INHALTSVERZEICHNIS
A EINLEITUNG
B ALLEGORIE ALS HERMENEUTISCHE GRUNDLAGE ANTIKER UND MITTELALTERLICHER EXEGESE
C AUSLEGUNGEN AUS DER ANTIKE
I Vorbemerkungen zu den Autoren
1) Viktorinus von Poetovio
2. Andreas von Caesarea
II Einzelversauslegung
D AUSLEGUNGEN AUS DEM MITTELALTER
I Vorbemerkungen zu den Autoren
1. Berengaud
2. Anselm von Canterbury
II Einzelversauslegung
E ZUSAMMENFASSUNG
F LITERATURVERZEICHNIS
A Einleitung
Auf den Nutzerprofilseiten der bekannten Online-Community „Wer-kennt-wen“ gibt es eine Kategorie „Wo ich einmal hin will“. Von den zurzeit etwa 8 Millionen angemeldeten Nutzern haben dort ca. 2600 „in den Himmel“ als ihr Traumreiseziel stehen. Zugegebe- nermaßen ist dies mit knapp 0,3‰ ein relativ kleiner Anteil, jedoch nicht zu verachten, wenn man bedenkt, dass sich doch hinter diesem Wort „Himmel“ etwas im Wesentlichen dem Menschen Unbekanntes verbirgt. Man identifiziert damit einen Ort ewiger Freude und Glückseligkeit in der Gegenwart Gottes. Wie man sich diesem Himmel konkret vorzustel- len hat, vermag niemand zu sagen.
Auch die Heilige Schrift geht mit detaillierten Beschreibungen des Himmels äußerst spar- sam um, wenn man einmal von der Offenbarung des Johannes absieht, welche als Apoka- lypse einen besonderen Status unter den kanonischen Schriften einnimmt. Um die Wende zum zweiten Jahrhundert hält sich auf der griechischen Insel Patmos ein Mann namens Johannes auf. Er hat Visionen, die er zu Papier bringt. Nach einer ersten Beauftragungsvi- sion, in der ihm sieben Briefe an kleinasiatische Gemeinden diktiert werden, öffnet sich ihm der Himmel. Das vierte Kapitel seiner Apokalypse ist der Beschreibung des Thronsaa- les Gottes gewidmet, welchen er in dieser Vision als erstes erblickt. Im Anschluss daran sieht er in mehreren Siebenerzyklen die Vernichtung der Erde, um am Ende das himmli- sche Jerusalem zu schauen und einen tröstenden Gott zu erfahren, der alles zum Guten wendet.
Gegenstand dieser Arbeit ist die erwähnte Beschreibung des Thronsaales in Offb4. Text-, literar- und redaktionskritische Beobachtungen sollen hierbei keine Rolle spielen. Viel- mehr will ich mein Augenmerk darauf legen, auf welche Weise die Dinge, die Johannes in dieser Vision gesehen hat, von verschiedenen Menschen gedeutet wurden, genauer gesagt von Exegeten der Antike und des Mittelalters. In einem ersten Abschnitt werde ich kurz die hermeneutischen Grundlagen antiker und mittelalterlicher Exegese darlegen, um dann in zwei Hauptteilen jeweils zwei Kommentare aus Antike und Mittelalter vergleichend und ergänzend versweise vorzustellen. Am Ende soll eine kurze Zusammenfassung stehen und eine Antwort auf die Frage, welchen Nutzen der heutige Leser aus diesen alten Betrach- tungsweisen ziehen kann.
B Allegorie als hermeneutische Grundlage antiker und mittelalterlicher Exegese
Ein wichtiger Schlüsselbegriff für das antike Schriftverständnis ist die Allegorie, welche man im Deutschen mit „andere Aussage“ übersetzen kann. Dahinter steht die Auffassung, „dass der Urheber der Heiligen Schrift Gott ist, in dessen Macht es steht, nicht nur Worte (das kann auch der Mensch), sondern auch die Dinge selbst zu verwenden, um etwas zu bezeichnen“1. Diese Bezeichnung durch die Dinge selbst ist der geistige Schriftsinn, neben dem historischen. Außer dem allegorischen Sinn beinhaltet der geistige Sinn noch den mo- ralischen, der Perspektiven menschlichen Handelns eröffnet und der anagogische, der auf die Ewigkeit verweist.2 Insgesamt liegt also ein vierfacher Schriftsinn vor. In dieser Weise wurde er erstmals von Cassian um 420 formuliert.3 Er exemplifiziert ihn an der Stadt Jeru- salem: „historisch als Stadt in Israel, allegorisch als Kirche, anagogisch als himmlische Gottesstadt, und moralisch als Seele des Menschen.4 In der exegetischen Praxis beschränk- te man sich jedoch meist auf den historischen Sinn und einen der drei anderen.5
Ein großen Anliegen der allegorischen Schriftauslegung ist es, Verbindungen zwischen dem Alten und Neuen Testament, sogenannte Typologien zu finden, um dadurch die Einheit der Schrift zu belegen. Ausgehend von im NT selbst zitierten atl. Erfüllungszitaten suchte man darüber hinaus Andeutungen von Ereignissen des NT im AT. Als Beispiel sei hier nur Jona genannt, der drei Tage im Bauch des Fisches war und wieder ausgespuckt wurde, genau wie Christus drei Tage im Grab war und auferstand.
Die Allegorie ist in ihren Grundzügen keine Erfindung der frühen Christen, sondern geht auf philologische Untersuchungen homerischer Texte in der Zeit des Hellenismus zurück.6 Von christlicher Seite lässt sich dieser Ansatz dadurch begründen, dass durch Christus, der selbst überwiegend in Gleichnissen sprach, alles geschaffen wurde, also auch Gesetz und Prophetie und diese somit auch in Gleichnisform zu verstehen sind.7
C Auslegungen aus der Antike
I Vorbemerkungen zu den Autoren
1) Viktorinus von Poetovio
Viktorinus war Bischof von Poetovio (Slowenien). Er erlitt das Martyrium während der diokletianischen Christenverfolgung, wahrscheinlich im Jahre 304. Über ihn ist nur wenig bekannt. Er war der früheste lateinische Bibelexeget. Optatus von Mileve lobt Viktorinus’ Polemik gegen Irrlehren. Eventuell ist darin eine Reaktion auf Verhältnisse in Poetovio zu erkennen, wo verschiedene häretische Bewegungen aktiv waren. Von seinen (zu ursprüng- lich neun biblischen Büchern verfassten) exegetischen Schriften sind ein Traktat über die Schöpfungswoche, ein Fragment zur Chronologie Jesu, sowie der Kommentar zur Apoka- lypse erhalten. Seine Schriften wurden im decretum Gelasianum als Apokryphen indiziert.8
Der Apokalypsenkommentar ist der älteste erhaltene lateinische Bibelkommentar und wur- de erst im 19. Jahrhundert entdeckt. Er zeichnet sich durch einen unbeholfenen Stil und viele Gräzismen aus und zeigt enge Anlehnungen an griechische Theologen. Hervorzuhe- ben ist seine negative Haltung gegenüber der weltlichen Staatsmacht Rom, in der er das Wirken des Teufels erkennt, sein Interesse an Geschichte und seine antisemitische Orien- tierung.9
2. Andreas von Caesarea
Andreas war gegen Ende des sechsten Jahrhunderts Erzbischof von Caesarea in Kappado- zien. Über sein Leben ist nichts bekannt. Sein Kommentar zur Apokalypse ist der zweite in griechischer Sprache, der erste stammt von Oekumenios. Daneben hat er noch andere Kommentare verfasst von denen bis auf spärliche Fragmente nichts erhalten ist. Auch wenn es kaum Systematische Kommentare gibt, so kann er doch auf sporadische Passagen der patristischen Literatur, sowie mündliche Überlieferungen zurückgreifen.
II Einzelversauslegung
V1: Das Geöffnet Sein der Tür versteht Andreas als „Offenlegung der verborgenen Ge- heimnisse des Geistes“10. Damit interpretiert er die Tür, im Gegensatz zu anderen Kom- mentatoren, beispielsweise Oekumenios, vollkommen allegorisch.11 Ebenfalls allegorisch geht Viktorinus vor, wenn er die geöffnete Tür mit dem neuen Testament gleichsetzt, denn laut Augustinus liegt ja das Alte Testament im Neuen offen12. Die Stimme des Sprechen- den, die mit einer Tuba verglichen wird, ist dieselbe, die zuvor schon zum Seher gespro- chen hat. Darin wird für Viktorinus deutlich, dass „Christus in seinem Körper zum Vater in den Himmel aufgefahren ist“13. Johannes klagt dadurch, dass er hervorhebt, er habe diese Stimme bereits vorher vernommen, jene an, die behaupten, in den Propheten spreche je- mand anderes als in den Evangelien. Denn er selbst stammt aus dem Judentum und kennt diese Stimme aus der Verkündigung des Alten Testamentes.14 Das „Komm herauf“ deutet an, dass der Seher sich von irdischen Dingen frei machen soll und „[sein] Geist nun im Himmel verweilt“15
V2: Vom Geist ergriffen zu sein bedeutet für Viktorinus in Konsequenz zu dem oben Ge- sagten, dass die Gläubigen sich durch den Beistand des Heiligen Geistes der Tatsache be- wusst sind, „dass die Botschaft auch schon den Alten verkündet worden ist“16. „Für And- reas bedeutet „im Geist“, dass Johannes’ Gedanken „vom Geist geprägt“ (τυπωΟεϠς) wa- ren. Die Erfahrung war eine „komplette Verlagerung der Gedanken“ von irdische in himm- lische Sphären.“17 Hierin bleibt er seiner Interpretation von oben treu, nämlich dass Johan- nes nicht in Wirklichkeit, ja nicht einmal mystisch, in den Himmel gekommen ist.18 Durch den Thron „wird die Ruhe Gottes inmitten seiner Heiligen offenbar“19, aber auch Gott als der König und Richter20.
[...]
1 THOMAS, S.Th., I, q.1, a.10, co. (quod auctor sacrae Scripturae est Deus, in cujus potestate est ut non solum voces ad significandum accomodet (quod etiam homo facere potest), sed etiam res ipsas.).
2 Vgl. ebd.
3 Vgl. FIEDROWICZ, XIX.
4 Vgl. CASSIAN, Collationes, 14,8.
5 Vgl. FIEDROWICZ, XIX.
6 Vgl. BIENERT, 1786.
7 Vgl. CLEMENS v. Al., strom VI, 125.
8 In diesem Abschnitt beziehe ich mich auf WALDHERR.
9 In diesem Abschnitt beziehe ich mich auf CONSTANTINOU I, 1f.
10 MPG 106, 253A („τЗν κρυπτЗν τοІ ΠνεϾµατος µυστηρϟων […] δφλωσιν“). Hier zeigt sich bereits, dass es sich für Andreas nicht um eine reale Himmelreise des Johannes handelt.
11 Vgl. CONSTANTINOU II, 55. Anm. 239.
12 Vgl. AUGUSTINUS, quaest. hept., II, 73.
13 MPL 5, 323 („Christus cum corpore in caelos ad Patrem ascendit“).
14 Vgl. ebd.
15 MPG, 106, 253A („πν οЁρανХ γεννσθαι τχν διάνοιαν“).
16 MPL 5, 324 („quod et prioribus est praedicatum“).
17 CONSTANTINOU, II, 56, Anm. 241 („For Andrew „in the spirit“ means, that John’s mind was „stamped by the spirit“ (τυπωΟεϠς). The experience was a „complete removal of the mind“ from earthly to heavenly places.“).
18 Vgl. ebd.
19 MPG, 106, 253B („δηλοІται ψ πν τοϧς Υγίοις τοІ ΘεοІ ΦνΣπαυσις“).
20 Vgl. MPL 5,324.
- Quote paper
- Michael Roßler (Author), 2010, Vom Thronsaal Gottes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166540
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