Als Erzähler gilt „[i]n narrativen Texten diejenige Instanz, die die Information über die erzählte Welt vermittelt“. Doch nicht immer vermittelt diese Instanz die Wahrheit. Narrative Unzuverlässigkeit gilt „als ein der Ironie verwandtes, widersprüchliches Erzählverhalten“. Es ist „bereits in der antiken Romanliteratur zu finden“ und dementsprechend in der Literaturwissenschaft ausgiebig untersucht worden.
Auch im Film gibt es „Erzähler, deren Behauptungen, zumindest teilweise, als falsch gelten müssen mit Bezug auf das, was in der erzählten Welt der Fall ist.“ Filmcharaktere können Informationen verschweigen, und sie können lügen. Doch auch die Vorstellung der Filmkamera als neutraler Vermittlungsinstanz der erzählten Welt muss hinterfragt werden.
Im Rahmen dieser Arbeit soll dargelegt werden, welche filmtypischen Formen des unzuverlässigen Erzählens existieren und wie sich diese analysieren und kategorisieren lassen. Anhand eines konkreten Analysebeispiels soll zudem gezeigt werden, wie es unzuverlässig erzählenden Filmen gelingt, das Publikum in die Irre zu führen – und wie das Publikum dies anhand typischer „Markierungen“ hätte bemerken können. Angelehnt an den im Rahmen des Seminars erarbeiteten „Mind-Bender“- Begriffs handelt es sich bei möglichen zu analysierenden Filmen um kommerziell erfolgreiche bzw. ausgerichtete Kinofilme, die den Zuschauer kognitiv herausfordern, ohne ihn zu überfordern. Die Herausforderung des Zuschauers wird typischerweise durch die Verwendung der narrativen Techniken des nonchronologischen, unzuverlässigen und/oder metaleptischen Erzählens hergestellt, gegen Ende des Films erfolgt jedoch eine lückenlose Aufklärung aller im Laufe des Handlungsverlaufs konstruierten Unklarheiten.
Der Film "Lucky Number Slevin" erfüllt diese Voraussetzungen durch seine über weite Strecken analeptische und elliptische sowie durchgehend hochgradig unzuverlässige Erzählstruktur. Bei unzuverlässig erzählenden Filmen, die gegen Ende auf eine für den Zuschauer überraschende Auflösung zusteuern, unterscheidet sich die Erstrezeption fundamental von möglichen Folgerezeptionen. Wenn in dieser Arbeit vom Zuschauer oder Rezipienten die Rede ist, ist damit zu jeder Zeit ein prototypischer Erstrezipient ohne handlungs- oder figurenspezifisches Vorwissen gemeint.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Aktueller Forschungsstand
- Unzuverlässiges Erzählen im Film
- Unzuverlässiges Erzählen und unzuverlässige Erzähler
- Faktisch-mimetische und normativ-ideologische Unzuverlässigkeit
- Misreporting und Underreporting
- Unzuverlässiges Erzählen in LUCKY NUMBER SLEVIN
- LUCKY NUMBER SLEVIN: Daten und Fakten
- LUCKY NUMBER SLEVIN: Die Handlung
- Ausprägungen unzuverlässigen Erzählens in LUCKY NUMBER SLEVIN
- Handlungsverlauf und Zuschauerwissen
- Hinweise, Andeutungen, Unstimmigkeiten
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert das Phänomen des unzuverlässigen Erzählens im aktuellen Mainstreamkino am Beispiel des Films LUCKY NUMBER SLEVIN. Ziel ist es, die verschiedenen Formen des unzuverlässigen Erzählens im Film zu identifizieren und zu kategorisieren sowie aufzuzeigen, wie diese das Publikum in die Irre führen können.
- Unzuverlässiges Erzählen in Filmen
- Analyse von LUCKY NUMBER SLEVIN als Beispiel für unzuverlässiges Erzählen
- Die Rolle des Zuschauers in unzuverlässig erzählenden Filmen
- Die Verwendung von narrativen Techniken wie Nonchronologie und Metalepse
- Die Bedeutung von Andeutungen und Unstimmigkeiten im Handlungsverlauf
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einführung führt in das Thema des unzuverlässigen Erzählens ein und erläutert die Bedeutung dieses Phänomens in der Filmnarratologie. Der aktuelle Forschungsstand beleuchtet die Entwicklung des Genres und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unzuverlässigen Erzähltechniken im Film. Das Kapitel über unzuverlässiges Erzählen im Film bietet eine systematische Analyse verschiedener Formen des unzuverlässigen Erzählens, einschließlich der Unterscheidung zwischen faktisch-mimetischer und normativ-ideologischer Unzuverlässigkeit. Die Analyse von LUCKY NUMBER SLEVIN untersucht die Ausprägungen unzuverlässigen Erzählens in diesem Film und beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Handlungsverlauf und Zuschauerwissen.
Schlüsselwörter
Unzuverlässiges Erzählen, Film, Narratologie, LUCKY NUMBER SLEVIN, Mind-Bender, Zuschauer, Rezeption, Handlung, Analyse, Andeutungen, Unstimmigkeiten.
- Quote paper
- Jan Horak (Author), 2009, Unzuverlässiges Erzählen im aktuellen Mainstreamkino. Eine Analyse von "Lucky Number Slevin", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164930