Ziel der Arbeit ist es, das europäische Mitentscheidungsverfahren (MEV) am Fallbeispiel der EMAS-Revision zu beschreiben und zu untersuchen. Damit soll ein empirischer Beitrag zur sukzessiven Erschließung europäischer Entscheidungsprozesse geleistet werden.
Die zentrale Fragestellung lautet: Warum wurden mit der EMAS-Revision verbindliche Umweltleistungskennzahlen (KPI) eingeführt, obwohl die deutsche Regierung diesem Vorhaben skeptisch gegenüberstand?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird wie folgt vorgegangen: Zuerst wird ein Erklärungsmodell entwickelt, das auf aktuellen politikwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbaut. Es sucht die Antwort auf die Forschungsfrage in den Spezifika des europäischen Mehrebenensystems und spezieller noch in den Multilevel Governance
Merkmalen des EMAS-Systems und des MEV.
Das Erklärungsmodell bildet die heuristische Grundlage für die empirische Anaylse des EMAS-Revisionsprozesses. Mithilfe von
Dokumentenanalysen und Expertenbefragungen wird zunächst ermittelt, inwiefern tatsächlich für alle EMAS-Teilnehmer verbindliche Umweltleistungskennzahlen eingeführt wurden, und ob Deutschland anfangs wirklich gegen die Einführung der KPI opponierte. Danach werden das EMAS-System, das MEV und der Revisionsprozess einer umfassenden empirischen Untersuchung unterzogen. Anhand spezifischer Governance-Indikatoren wird ergründet, warum die strukturellen Bedingungen der EMAS-Revision eine Konsensfindung hinsichtlich KPI prinzipiell begünstigten. Danach wird der Prozess der Konsensfindung auf Indizien für strategisches Verhandeln und Deliberation untersucht.Im Fazit werden die Forschungsergebnisse zusammengefasst und die Forschungsfrage beantwortet. Zuletzt soll in einer kritischen Reflexion der politikwissenschaftliche Mehrwert dieser Arbeit beleuchtet werden.
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
1.1. Forschungsziel und Fragestellung
1.2. Forschungslücke und Begründung der Fallauswahl
1.2.1. Theorie und Empirie europäischer Entscheidungsprozesse
1.2.2. Empirisches Beispiel EMAS-Revision: Begründung der Fallauswahl
1.3. Das Forschungsdesign im Überblick
2. ENTWICKLUNG EINES ERKLÄRUNGSMODELLS
2.1. Intergouvernementalistische Prognosen im Praxistest
2.1.1. „Politikverflechtungsfalle“ als Ursache der Handlungsunfähigkeit der EU
2.1.2. Anwendung der rationalistischen Prognose auf die EMAS-Revision
2.2. Kritik am Intergouvernementalismus
2.3. Multilevel Governance als integrierendes Analysekonzept
2.3.1. Die Strukturmerkmale des europäischen Mehrebenensystems
2.3.2. Die Folgen des europäischen Mehrebensystems für EU-Governance
2.4. Transfer der theoretischen Vorüberlegungen in eine Hypothese
2.5. Entwicklung eines multivariaten Erklärungsmodells
2.5.1. Die Erklärungsstrategie und ihre qualitativen Erhebungsmethoden
2.5.2. Das Erklärungsmodell und seine vier Variablen
3. EMPIRISCHE ANALYSE DER EMAS-REVISION
3.1. Vorgehen und Methodik bei der empirischen Analyse
3.1.1. Zeitliche und sachlichen Eingrenzung der empirischen Analyse
3.1.2. Experteninterviews und Dokumentenanalyse als Erhebungsmethoden
3.2. Abhängige Variable: Einführung verbindlicher KPI via EMAS III
3.2.1. Das Begriffsverständnis von Umweltleistungskennzahlen (KPI)
3.2.2. Indikatoren und Vorgehen zur Erforschung der abhängigen Variablen
3.2.3. Dokumentenanalyse: Verbindliche KPI in EMAS II und EMAS III
3.2.3.1. KPI-Bestimmungen in den Rechtstexten von EMAS II
3.2.3.2. KPI-Bestimmungen in den Rechtstexten von EMAS III
3.2.3.2.1. Vorhandensein von KPI-Bestimmungen in der EMAS-III-Verordnung
3.2.3.2.2. Die Verbindlichkeit der in EMAS III vorhandenen KPI-Bestimmungen
3.2.4. Fazit: Die Einführung verbindlicher KPI via EMAS III
3.3. Intervenierende Variable: Interessenkonflikt: BRD versus EU
3.3.1. Begriffserläuterungen: Interessenkonflikt zwischen Deutschland und EU
3.3.2. Vorgehen zur Erforschung der intervenierenden Variablen
3.3.3. Dokumentenanalyse: Das Meinungsbild bezüglich KPI in Deutschland
3.3.3.1. Die KPI-Positionen von Bundestag und Bundesrat
3.3.3.2. Die KPI-Positionen der EMAS-Institutionen
3.3.3.3. Die KPI-Positionen der verschiedenen Interessengruppen und Stakeholder
3.3.3.4. Fazit: Das diffuse Meinungsbild in Deutschland hinsichtlich verbindlicher KPI
3.3.4. Experteninterview: Die Position der deutschen Delegierten in der RAG
3.3.4.1. Zugang zu Informationen und Auswahl der Experten
3.3.4.2. Konkretisierung der Fragen für den Interviewleitfaden
3.3.4.3. Ergebnisse der Expertenbefragung: KPI-Positionen der deutschen Delegierten
3.3.5. Fazit: Bestätigung des deutsch-europäischen Interessenkonflikts
3.4. Unabhängige Variable: Die typischen Multilevel Governance-Merkmale der EMAS-Revision
3.4.1. Begriffserläuterungen: Typische Multilevel Governance-Merkmale
3.4.2. Indikatoren und Vorgehen zur Erforschung der unabhängigen Variablen
3.4.3. Die strukturellen Merkmale des EMAS-Systems
3.4.3.1. Die EMAS-Genese im Kontext steuerungspolitischer Herausforderungen
3.43.1.1. Öko-Audits als Reaktion der Privatwirtschaft auf den steigenden Problemdruck
3.4.3.1.2. Harmonisierungsbestrebungen und steuerungspolitische Umorientierung
3.4.3.1.3. Deutschland als Bremsklotz bei der Verabschiedung der EMAS-Verordnung
3.43.1.4. EMAS und der regulative Wettbewerb zwischen Deutschland und Großbritannien
3.4.3.2. Verbreitung von EMAS in Deutschland und Europa im Vergleich zur ISO
3.4.3.3. Formelle Strukturen und Verfahrensabläufe des EMAS-Systems
3.4.3.4. Die nationale Implementierung des Öko-Audits mit Fokus auf Deutschland
3.4.3.4.1. Die rechtlichen Vorgaben zur nationalen Implementierung des Öko-Audits
3.4.3.4.2. Die wirtschaftsnahe Umsetzung der EMAS-Verordnung in Deutschland
3.4.3.5. Koordination und Harmonisierung der Implementierung durch die Komitologie
3.4.4. Das Mitentscheidungsverfahren als Prozessrahmen der EMAS-Revision
3.4.4.1. Artikel 251 EGV als Rechtsgrundlage des Mitentscheidungsverfahrens
3.4.4.2. Die praktischen Modalitäten des Mitentscheidungsverfahrens
3.4.4.3. Die zentralen Vorbereitungsgremien der EU-Legislativorgane
3.4.4.3.1. Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments und ihr Berichterstattungssystem
3.4.4.3.2. Die vorbereitenden Gremien des Rates und das A-Punkt-Verfahren
3.4.5. Internet- und Dokumentenanalyse: Das EMAS-Revisionsverfahren
3.4.5.1. Die Vorbereitungsphase: Evaluierung und Konsultation
3.4.5.2. Die Entscheidungsphase: Mitentscheidungsverfahren und informeller Trilog
3.4.5.3. KPI-Regelungen in den Policy-Outputs der zentralen Entscheidungsgremien
3.4.5.3.1. KPI-Bestimmungen im Kommissionsvorschlag vom
3.4.5.3.2. KPI-Bestimmungen im ersten Änderungsvorschlag der RA G Umwelt vom
3.4.5.3.3. KPI-Bestimmungen im Bericht des ENVI vom
3.4.5.3.4. KPI-Bestimmungen im Kompromissvorschlag der Präsidentschaft vom
3.4.5.3.5. Der Kompromiss in Form der jetzigen EMAS-III-Verordnung
3.4.6. Die EMAS-Revision aus der Perspektive von Multilevel Governance
3.4.6.1. Implementationsdefizite
3.4.6.2. Notwendigkeit der Kooperation
3.4.6.3. Institutionelle Differenzierung
3.4.6.4. Lose Ebenenkoppelung und Verhandlungsmandate
3.4.6.5. Zusammenfassung: Die Multilevel Governance-Merkmale der EMAS-Revision
3.5. Verhandeln und Deliberation im Konsensfindungsprozess
3.5.1. Begriffsdefinition: Konsens, strategisches Verhandeln und Deliberation
3.5.2. Indikatoren und Vorgehen zur Erforschung der Konsensfindung
3.5.3. Experteninterview: Verhandlung vs. Deliberation bei der Konsensfindung
3.5.3.1. Konkretisierung der Fragen für den Interviewleitfaden
3.5.3.2. Auswertung der Befragung und Kombination mit vorhandenen Erkenntnissen
3.5.3.2.1. Hinweise für strategisches Verhandeln im Revisionsprozess
3.5.3.2.2. Merkmale der Deliberation im Revisionsprozess
3.5.4. Fazit: Verhandlung & Deliberation als Erklärungsfaktoren der Konsenses
4. KONKLUSION UND AUSBLICK
4.1. Zusammenfassung und Beantwortung der Forschungsfrage
4.2. Kritische Reflexion und politikwissenschaftlicher Ausblick
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
1. Interviewleitfaden (IL) für das Experteninterview
2. Protokoll des Telefoninterviews mit der BMU-Referentin (19.03.2010)
3. E-Mail-Korrespondenz mit dem BT-Umweltausschuss (15.10.2009 und 20.10.2009)
4. Unbeantwortete E-Mail-Anfragen an den DIHK (19.10.2009)
5. E-Mail-Korrespondenz mit dem BDI (16.10.2009 und 19.10.2009)
6. E-Mail-Anschreiben an die für EMAS zuständige Beamtin der KOM (04.03.2010)
7. E-Mail-Korrespondenz mit der Berichterstatterin des ENVI (06.03.2010 und 10.03.2010)
8. E-Mail-Antwort der UGA-Geschäftsstelle (07.04.2010)
9. E-Mail-Antwort des UBA-Delegierten (26.04.2010)
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung: In dieser Arbeit wird zur Bezeichnung von Personen- und Berufsgruppen ausschließlich das generische Maskulinum verwendet. Die männlichen Bezeichnungen schließen auch andere Geschlechtergruppen mit ein. Diese Vorgehensweise ist nicht Ausdruck eines geschlechterdiskriminierenden Rollenverständnisses, sondern einzig und allein dem besseren Lesefluss geschuldet.
1. EINLEITUNG
„Kein Schwein kennt EMAS!“ So lautete der despektierliche Kommentar eines Teilnehmers am Rande der EMAS-Konferenz 2008, zu der das Bundesumweltministerium (BMU) geladen hatte.[1] Unter dem Motto „EMAS - Verantwortungsvoll. Innovativ. Zukunftsfähig!“ (BMU 2009) sollte in Berlin Werbung für das europäische Öko-Audit gemacht werden. Mit diesem saloppen Ausspruch hatte der Teilnehmer sprichwörtlich den Nagel auf den Kopf getroffen: Nur wenige Interessierte kennen EMAS, das europäische Eco-Management and Audit Scheme. Europaweit sind gerade einmal 4458 Organisationen nach diesem Umweltmanagementstandard zertifiziert.[2] Das entspricht nur einem winzigen Bruchteil aller europäischen Unternehmen[3] und Institutionen.
Als eines der wenigen Instrumente europäischer Umweltpolitik schmückt sich das 1993 eingeführte EG-Öko-Audit mit dem Titel „kontextorientiertes Steuerungsinstrument“ (Holzinger et al. 2003: 118). EMAS setzt auf freiwilliges Engagement und Zertifizierung: Alle Organisationen, die vorgeben, ihre Umweltleistung systematisch und kontinuierlich verbessern zu wollen, können sich daran beteiligen. Erfüllen sie die Vorgaben der EMAS-Verordnung und bestätigt dies ein akkreditierter Umweltgutachter, dürfen sie das EMAS-Logo führen und damit werben. Doch Unternehmer kalkulieren genau, ob sich die Investition in EMAS lohnt. Den Vorteilen (Einsparung von Umwelt- und Ressourcenkosten, grünes Image, Rechtssicherheit, staatliche Bevorzugung etc.) steht ein hoher personeller und finanzieller Aufwand entgegen. Das Kosten-NutzenVerhältnis von EMAS ist umstritten und variiert je nach Perspektive (Ganzleben 2009). Vielfach wird von den Unternehmen beklagt, Staat und Gesellschaft würden das EMAS-Engagement zu wenig honorieren (Ganzleben 2009: 91-92).
Den Grund für die geringe gesellschaftliche Akzeptanz des Öko-Audits muss man u.a. in seiner mangelnden Glaubwürdigkeit suchen. Denn EMAS überlässt das Setzen und Verfolgen von konkreten Umweltzielen dem Gusto seiner Anwender. Mangels einheitlicher Transparenz-Vorgaben können Außenstehende oft nicht beurteilen, wie es tatsächlich um die Umweltleistung der Organisationen bestellt ist. Zwar müssen die EMAS-Teilnehmer regelmäßig Umwelterklärungen veröffentlichen. Doch kann die Umweltleistung in diesen Imagebroschüren durch geschicktes Wording und eine einseitige Selektion der Daten leicht beschönigt werden (Greenwashing), so der Vorwurf vieler Umwelt- und Verbraucherschützer (z.B. Fiala 2008).
Mit ihrem Vorschlag zur Revision der EMAS-Verordnung zielte die Europäische Kommission (KOM) darauf, das System attraktiver und effizienter zu machen (KOM 2007: 2). Zur Erhöhung der Transparenz und Glaubwürdigkeit schlug sie vor, für alle EMAS- Organisationen verbindliche Kernindikatoren (Key Performance Indicators, KPI) einzuführen (KOM 2007: 78-80). KPI sollen helfen, die Umweltleistung der EMAS- Teilnehmer anhand eines einheitlichen Maßstabs besser messen und vergleichen zu können. Durch internes und externes Benchmarking (Soll-Ist-Vergleiche, Zeitreihen, branchenspezifische Referenzdokumente, Best-Practice etc.) sollen KPI zur kontinuierlichen Verbesserung der Umweltleistung motivieren.
Nicht alle EMAS-Beteiligten waren von der KPI-Idee begeistert. Vor allem die Wirtschaftsverbände monierten an dem KOM-Vorschlag den zusätzlichen Aufwand, die Praxisferne und die Preisgabe sensibler Unternehmensdaten. KPI wurden auch auf der EMAS-Konferenz 2008 mehrfach thematisiert, obwohl sie vom BMU nicht explizit auf die Tagesordnung gesetzt worden waren (BMU 2009). Einige Unternehmen drohten sogar, aus EMAS auszusteigen, sollten KPI tatsächlich so eingeführt werden, wie von der KOM geplant (BMU 2009: 22). Auch Regierungsbeamte (BMU 2009: 42) und Vertreter der zuständigen EMAS-Institutionen äußerten sich skeptisch gegenüber dem KPI-Vorstoß (BMU 2009: 41-42). Eine sehr kritische Position vertrat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme (Bundesrat 2008: 3-5). Selbst die europäischen Umweltverbände, die zwar die Einführung von KPI prinzipiell begrüßten, kritisierten die mangelhafte technische Umsetzung im Vorschlag der KOM (ANEC et al. 2008: 5-6). Es lag auf der Hand, dass die Bundesrepublik Deutschland (BRD) den KPI-Vorschlag der KOM im Rat ablehnen würde. Aufgrund der starken Vetoposition Deutschlands in der Europäischen Union (EU) hätte dies ein Scheitern der Kommissionsinitiative bedeutet.
Doch es kam anders als erwartet: Am 2. April 2009 stimmte das Europäische Parlament (EP) dem Revisions-Vorschlag der KOM in erster Lesung zu. Vor der Abstimmung hatten sich - wie es im Europäischen Mitentscheidungsverfahren (MEV) inzwischen üblich ist - Vertreter von Rat, KOM und EP im sog. informellen Trilog auf gemeinsame Positionen geeinigt. Bezüglich der verbindlichen KPI wurden nur kleinere Änderungen am Vorschlag der KOM vorgenommen. Mit dem Beschluss des EP waren die vorgeschlagenen KPI faktisch beschlossen. Die einvernehmliche Verabschiedung der neuen EMAS-Verordnung im Rat war nur noch Formsache. Weder Deutschland noch andere Mitgliedstaaten (MS) opponierten im Ministerrat gegen die Einführung der verbindlichen Umweltleistungskennzahlen. Dies entsprach nicht der rationalen Entscheidungslogik, die intergouvernementalistische Modelle wie z.B. die Politikverflechtungsfalle (Scharpf 1985; 1996) hätten erwarten lassen. Offensichtlich entziehen sich manche EU-Entscheidungsprozesse einer allzu reduktionistisch-deterministischen Rationalitätslogik und bedürfen einer differenzierteren Betrachtung.
1.1. Forschungsziel und Fragestellung
Ziel dieser Arbeit ist es, das europäische Mitentscheidungsverfahren (MEV) am Fallbeispiel der EMAS-Revision zu beschreiben und zu untersuchen. Damit soll ein empirischer Beitrag zur sukzessiven Erschließung europäischer Entscheidungsprozesse geleistet werden. Die zentrale Fragestellung dieser Fallstudie ergibt sich aus dem soeben beschriebenen widersprüchlichen Entscheidungsverhalten Deutschlands:
Warum wurden mit der EMAS-Revision verbindliche Umweltleistungskennzahlen (KPI) eingeführt, obwohl die deutsche Regierung diesem Vorhaben skeptisch gegenüberstand?
Die Forschungsfrage enthält die Tatsachenbehauptungen, dass mit der Revision verbindliche KPI eingeführt wurden, und dass die deutsche Regierung diesem Vorhaben skeptisch gegenüber stand. Diese angeblichen Fakten müssen in der Arbeit zunächst auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden.
Wissenschaftlich bedeutsamer ist aber der Widerspruch zwischen politikwissenschaftlicher Prognose und politischer Praxis, den die Forschungsfrage impliziert: Intergou- vernementalistische Entscheidungsmodelle prognostizieren, dass anspruchsvolle Prozess-Regulierungen im EU-Entscheidungsprozess abgelehnt werden, wenn sie den Interessen einflussreicher Mitgliedsstaaten zuwiderlaufen (Kapitel 2.1). Diese Prognose steht jedoch im klaren Gegensatz zur beobachteten Realität, dass bei der EMAS- Revision verbindliche KPI eingeführt wurden, obwohl Deutschland dagegen war. Diesem Phänomen gilt es auf den Grund zu gehen. Hierzu muss eine intensive theoretische und empirische Auseinandersetzung mit den politikwissenschaftlichen Modellen europäischer Entscheidungsfindung stattfinden. Es soll ein Erklärungsansatz entwickelt werden, der es vermag, das Entscheidungsverhalten der Akteure im Fall der EMAS-Revision zu erklären.
Auf dem Weg zur Beantwortung der Forschungsfrage werden u.a. folgende Zwischenfragen erörtert: Wie funktionieren das Öko-Audit und das europäische Mitentscheidungsverfahren (MEV)? Welche Institutionen und Akteure sind hieran beteiligt? Welche Akteure waren an der EMAS-Revision beteiligt? In welchen Politikarenen wurde agiert? Welche Interessen und Positionen vertraten die beteiligten Akteure hinsichtlich der Einführung von KPI? Von welchen Handlungslogiken waren die Interaktionen der Akteure geprägt?
1.2. Forschungslücke und Begründung der Fallauswahl
Man muss die Achtzig-Prozent-Einschätzung[4] Jacques Delors‘ nicht teilen, um zu konzedieren, dass politische Entscheidungen aus Europa mit fortschreitender Integration[5] an Bedeutung gewinnen. Immer mehr Adressaten und Politikbereiche sind von den Brüsseler Verordnungen und Richtlinien betroffen. Das sukzessive Vordringen europäischer Vorgaben in heimische Interessenssphären kreiert nicht nur in der Politikwissenschaft permanent neuen Forschungsbedarf: Sowohl die Auswirkungen als auch die Voraussetzungen und Entstehungsprozesse europäischer Entscheidungen müssen untersucht werden. Hier spielt die Frage nach dem „Wie?" eine wichtige Rolle. Nur wenn klar ist, wie EU-Entscheidungen im politischen Prozess zustande kommen, können normative und pragmatische politikwissenschaftliche Aussagen getätigt werden; sei es hinsichtlich der demokratischen Legitimität von Willensbildungsprozessen und ihrem Policy-Output oder in Bezug auf deren strategische Beeinflussbarkeit. Die folgenden Abschnitte zeigen, dass zwar ein wachsender Bestand an theoretischer Literatur zum EU-Entscheidungsprozess verzeichnet werden kann, es aber an aussagekräftigen empirischen Forschungsarbeiten mangelt. Ferner wird erläutert, inwiefern sich die EMAS-Revision als Fallbeispiel für eine empirische Untersuchung des MEV eignet.
1.2.1. Theorie und Empirie europäischer Entscheidungsprozesse
Lange Zeit galt die Analyse europäischer Entscheidungsprozesse als keine intellektuelle Herausforderung (H. Wallace 2000: 68). Das vorherrschende neorealistische Paradigma der Internationalen Beziehungen (IB) drückte dem europäischen Entscheidungssystem den Stempel „intergouvememental“[6] auf und beschrieb „EU decisionmaking" lediglich als „the practice of ordinary diplomacy“ (Peterson/Bomberg 2000: 6).
Erst mit Gründung der EU im Jahr 1992[7] erstarkte das politikwissenschaftliche Interesse an Europa. Die Forschung richtete ihren Fokus nun vor allem auf die „marketshaping and regulatory dimensions of the EU“ (H. Wallace 2000: 69). Aufgrund der hitzigen Debatten um den europäischen Integrationsprozess wurden allmählich weitere Theorieschulen auf die EU aufmerksam. Insbesondere die Institutionenanalyse, die zwischenzeitlich „aus dem Fokus der Politikwissenschaft geraten war“ (Lempp 2009: 23), erlebte eine Renaissance.
Inzwischen haben die Sozial- und Geisteswissenschaften ein breites Angebot an Konzepten zur Erforschung europäischer Entscheidungsprozesse hervorgebracht. Diese orientieren sich überwiegend an den vier großen theoretischen Strömungen der IB: Internationale Politische Ökonomie[8], Neo-Institutionalismus[9], Rational Choice[10] und Konstruktivismus[11] (H. Wallace 2000: 69-70). Die Theorien unterscheiden sich zum Teil gravierend in ihren ontologischen und epistemologischen Prämissen. Je nachdem, wen man fragt: interests, institutions, ideas oder auch issues matter (H. Wallace 2000: 57-64). Aufgrund der zahlreichen metatheoretischen Grundsatzdebatten entsteht der Eindruck, dass in Europaforschung und IB theoretische Grabenkämpfe von paradigmatischen Elfenbeintürmen aus geführt werden, die allzu oft an der empirischen Realität vorbeigehen (Mayer 2003:47-48). Durch das „second-order theorizing" droht der empirische Realitätsabgleich ins Hintertreffen zu geraten (Mayer 2003: 48). So warnt Risse:
„Sozialwissenschaftliche Forschung ist kein Selbstzweck, sondern soll zur Reflexion, Kritik und Veränderung [...] beitragen. Dies ist die Messlatte, an der sich der Mehrwert theoretischer Debatten erweisen muss. Der Paradigmenstreit [...] ist daher nur so lange sinnvoll und bedeutsam, wie er zur substanziellen Theoriebildung [...] und zur theoretisch gehaltvollen empirischen Forschung beiträgt. “ (Risse 2003:100)
Jede dieser Theorien steckt in demselben Dilemma zwischen logischer Stringenz und empirischer Reichweite (Schubert/Bandelow 2009: 9): Einerseits soll die Komplexität der Wirklichkeit auf die nötigsten Erklärungsvariablen reduziert werden - je einfacher desto besser. Andererseits muss die Reduktionsleistung so angelegt sein, dass die Hypothesen auf möglichst viele Fälle anwendbar sind und im Empirietest nicht versagen. In diesem Zusammenhang weisen Schubert und Bandelow (2009: 9) darauf hin, „dass es Theorien unterschiedlicher Reichweite geben muss", wenn man möchte, dass „Theorie zur Reflexion und Weiterentwicklung (erfolgreicher) Praxis dient". Das mittlerweile stark in Mode gekommene Governance-Konzept trägt diesem pluralistischen Theorienverständnis Rechnung. Es unterstützt nicht den Absolutheitsanspruch einer bestimmten Theorie, sondern bedient sich in eklektizistischer Weise derjenigen Erklärungsansätze, die für den Sachverhalt am geeignetsten erscheinen:
[Der Governance Begriff] steht für [...] Formen und Mechanismen der Koordinierung zwischen mehr oder weniger autonomen Akteuren, deren Handlungen interdependent sind [...]. Seine Eignung liegt nicht in der präzisen Beschreibung einer bestimmten Realität, sondern in einer bestimmten Perspektive auf die Realität. Damit liefert er einen Rahmen, in dem sich weitere Begriffe einordnen und einander zuordnen lassen, je nachdem, welchen Gegenstand wir betrachten, welche Fragen wir stellen oder was wir erklären wollen [...]. (Benz et al. 2007:9-10)
Im Kontext des europäischen Mehrebenensystems scheint sich allmählich das Konzept der Multilevel Governance durchzusetzen (Kapitel 2.3). Aufgrund seiner geringen Theoriereife und wegen der schwierigen Operationalisierbarkeit bzw. des großen empirischen Aufwandes (vgl. Holzinger 2001), mangelt es hier jedoch noch an einschlägigen mikroanalytischen Untersuchungen zum EU-Entscheidungsprozess (Jachtenfuchs 2008: 390). Bisher fanden sich zum MEV lediglich eine Reihe spieltheoretischer Analysen[12], deren empirische Genauigkeit jedoch oft hinter ihrer starken Formalisierung zurückblieb (H. Wallace 2000: 69). Rational-Choice-Ansätze fokussieren meist nur den kurzfristigen Eigennutzen der Akteure als exogen determinierte und konstante Variable. Andere Erklärungsfaktoren, die z.B. auf veränderte Präferenzen der Akteure oder die hohe Problemlösungsfähigkeit der EU abstellen, werden hier kaum berücksichtigt. Ende der 1990er Jahre wurden erstmals empirische Fallstudien mit einer integrierten Herangehensweise an den EU-Entscheidungsprozess durchgeführt.[13] Diese liefern erste Indizien dafür, dass die Akteure „nicht nur auf der Basis feststehender Präferenzen verhandeln, sondern dass [...] auch deliberative Elemente in die Entscheidungsfindung einfließen“ (Jachtenfuchs 2008: 390). Außerdem legen sie die Vermutung nahe, dass zwischen dem außerordentlich hohen Maß an institutioneller Differenzierung und der vergleichsweise hohen Problemlösungsfähigkeit der EU ein Zusammenhang besteht (Jachtenfuchs 2008: 393-394). Vor diesem Hintergrund wird insbesondere die ausdifferenzierte EU-Ausschussarbeit „vielfach als Erklärungsfaktor für die unerwartet hohe Problemlösungsfähigkeit des europäischen Institutionengefüges“ angeführt (Huster 2008: 55). Über „die konkreten Interaktions- und Kooperationsbeziehungen in den Ausschüssen“ gibt es aber bislang „allenfalls Vermutungen, jedoch keine empirisch gesicherten Erkenntnisse“ (Huster 2008: 55).
Als Grund für die empirische Forschungslücke kann neben den beschriebenen theoretischen und methodologischen Differenzen auch die Tatsache genannt werden, dass ein Großteil der europäischen Tagespolitik hinter verschlossenen Türen gemacht wird (Huster 2008: 25). Dies erschwert den empirischen Zugang zu den unzähligen formellen und informellen Gremien, in denen Politik, Verwaltung, Experten und Lobbyisten ungezwungen miteinander verhandeln und argumentieren.
1.2.2. Empirisches Beispiel EMAS-Revision: Begründung der Fallauswahl
Die EMAS-Revision eignet sich als Fallbeispiel, weil der Revisionsprozess gerade nicht den „High Politics and ,History-Making‘ Decisions" (Peterson/Bomberg 2000: 10) zuzuordnen ist und somit andere dominante Handlungslogiken jenseits intergouver- nementaler Verhandlungen in Erscheinung treten (Peterson/Bomberg 2000: 9): Hier geht es nicht um eine nennenswerte Umverteilung von finanziellen Ressourcen und auch die Zahl der Betroffenen hält sich beim freiwilligen EMAS-System in Grenzen. An dieser scheinbar marginalen öffentlichen Relevanz setzt das politikwissenschaftliche Interesse an. Denn das politische Tagesgeschäft der EU ist geprägt von unspektakulären Entscheidungen, die nicht das Rampenlicht der Medien genießen, sondern in Ausschüssen und Arbeitsgruppen hinter mehr oder weniger verschlossenen Türen verhandelt werden (Kapitel 3.4.4.3). Einem nach außen demonstrierten breiten Konsens ist oft ein langer, mehrstufiger und z.T. informeller Entscheidungsprozess vorausgegangen, in dem man sich durch Verhandeln und Argumentieren auf strittige Punkte wie z.B. die Einführung von KPI einigen musste (Huster 2008: 66-67).
Als zweites, eher forschungspraktisches Argument lässt sich folgendes anführen: Wenn bereits diesem „einfachen" Entscheidungsprozess eine nicht zu unterschätzende Komplexität inhärent ist, würde die umfassende Analyse eines großen Streitthemas einen erheblichen empirisch-analytischen Mehraufwand bedeuten. Mit dem Ziel, eine möglichst große Analysetiefe zu erreichen, muss sich die Untersuchung im begrenzten Rahmen einer Magisterarbeit auf ein „einfaches" Beispiel wie die EMAS-Revision beschränken. Diesem Anliegen kommt entgegen, dass EMAS III bereits nach erster Lesung von Parlament und Rat im A-Punkt-Verfahren verabschiedet wurde, was die einfachste Version des MEV darstellt (Kapitel 3.4.4. und 3.4.5.).
Ein triviales Argument für die praktische Eignung des Fallbeispiels ist die verhältnismäßig gute Verfügbarkeit von Informationen und der Zugriff auf Experten. Wie bereits angedeutet, gestaltet sich der empirische Zugang zu EU-Entscheidungsprozessen äußerst schwierig: Nicht jede Einzelentscheidung unterliegt der Dokumentationspflicht, und nur die wenigsten informellen Absprachen werden exakt dokumentiert (Kapitel 3.4.4.3.2. ). Oftmals können wichtige Informationen nur im persönlichen Gespräch oder durch den Zugang zu spezifischen Netzwerken in Erfahrung gebracht werden. Aufgrund meiner studentischen Mitarbeit an EMAS-Projekten sowie durch einschlägige Praktika konnte ich einen Einblick in die deutsche „EMAS-Szene" erhalten und vereinzelt Kontakte knüpfen. In keinem anderen Politikfeld der EU könnte ich auf einen vergleichbaren Insider- bzw. Expertenpool zurückgreifen.
Das Öko-Audit ist nebenbei auch deshalb politikwissenschaftlich interessant, weil es als EU-Experiment mit neuen Formen umweltpolitischer Steuerung angesehen werden kann. Es stellt eine Abkehr von den hierarchischen „command and controľ-Ansätzen dar, welche häufig für ihre geringe Implementationseffektivität und wegen ihrer langwierigen Entscheidungsprozesse kritisiert wurden (Knill 2008: 62-63). Bisher sind die „neuen Instrumente“ der Umweltpolitik jedoch den empirischen Beweis ihrer Überlegenheit vielerorts schuldig geblieben (Knill 2008: 71).
1.3. Das Forschungsdesign im Überblick
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird wie folgt vorgegangen: Zuerst wird in Kapitel 2 ein Erklärungsmodell entwickelt, das auf aktuellen politikwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbaut. Es sucht die Antwort auf die Forschungsfrage in den Spezifika des europäischen Mehrebenensystems und spezieller noch in den Multilevel Governance Merkmalen des EMAS-Systems und des MEV.
Das Erklärungsmodell bildet die heuristische Grundlage für die empirische Anaylse des EMAS-Revisionsprozesses im zentralen dritten Kapitel dieser Arbeit. Mithilfe von Dokumentenanalysen und Expertenbefragungen soll hier zunächst ermittelt werden, inwiefern tatsächlich für alle EMAS-Teilnehmer verbindliche Umweltleistungskennzahlen eingeführt wurden, und ob Deutschland anfangs wirklich gegen die Einführung der KPI opponierte. Danach sollen das EMAS-System, das MEV und der Revisionsprozess einer umfassenden empirischen Untersuchung unterzogen werden. Anhand spezifischer Governance-Indikatoren soll ergründet werden, warum die strukturellen Bedingungen der EMAS-Revision eine Konsensfindung hinsichtlich KPI prinzipiell begünstigten. Danach wird der Prozess der Konsensfindung auf Indizien für strategisches Verhandeln und Deliberation untersucht.
In Kapiel 4 werden schließlich die Forschungsergebnisse zusammengefasst und die Forschungsfrage beantwortet. Zuletzt soll in einer kritischen Reflexion der politikwissenschaftliche Mehrwert dieser Arbeit beleuchtet werden.
2. ENTWICKLUNG EINES ERKLÄRUNGSMODELLS
Für die Erklärung des deutschen Entscheidungsverhaltens muss ein differenzierterer Ansatz gewählt werden, der dem Sachverhalt gerecht wird und sich an aktuellen politikwissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Zu diesem Zweck soll noch einmal auf die Forschungsfrage rekurriert werden, die die Erklärung des deutschen Entscheidungsverhaltens jenseits herkömmlicher Entscheidungsmodelle verlangt. Denn die intergouvernementalistische Prognose zu europäischen Regelungsvorhaben lautet:
Wenn ein einflussreicher MS (z.B. Deutschland) kein Interesse an einer verschärften Prozessregelung (z.B. KPI) hat, wird das Vorhaben mit großer Wahrscheinlichkeit nicht realisiert. Diese Behauptung gründet auf dem von Fritz Scharpf (1985; 1996) etablierten Modell der Politikverflechtungsfalle, das im Fall der EMAS-Revision scheinbar versagt: Trotz gegenteiliger Prognosen wurden KPI mit der neuen EMAS- Verordnung eingeführt. Aus der Kritik an diesem Ansatz soll ein Erklärungsmodell entwickelt werden, das den Policy-Output im Fallbeispiel der EMAS-Revision besser erklären kann. Grundlage des Erklärungsmodells wird ein Governance-Konzept sein, das den intergouvernementalen Ansatz von Scharpf mit institutionalistischen und konstruktivistischen Elementen zusammenführt.
2.1. Intergouvernementalistische Prognosen im Praxistest
2.1.1. „Politikverflechtungsfalle“ als Ursache der Handlungsunfähigkeit der EU
Im Gefolge der von Fritz Scharpf (1985) identifizierten Politikverflechtungsfalle wurde der europäischen Politik vielfach Handlungsunfähigkeit (vgl. Eichener 2000: 16) oder zumindest die Tendenz einer „Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners" (Holzinger 1994) unterstellt. Die negative Einschätzung der Problemlösungsfähigkeit der EU prägte die Integrationsforschung in den 1980er Jahren und ist auch heute noch vielerorts präsent (Eichener 2000: 16), obwohl sich durch tiefgreifende Vertragsänderungen inzwischen die Rahmenbedingungen deutlich geändert haben (Holzinger 2005: 139).
Bei den Ursachen für die schlechte Bilanz der EU-Politik wird meist auf den „Dualismus von supranationalem europäischen Recht und intergouvernementaler Politik" (Scharpf 1996: 109) bzw. den „Gegensatz zwischen ,negativer‘ und ,positiver Integration“1 (Scharpf 1996: 109) verwiesen. Negative Integration meint die vertraglich vereinbarte, von KOM und Europäischem Gerichtshof überwachte, Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes mit dem dazugehörigen Verbot von Handelsbeschränkungen (Scharpf 1996: 109). Diese setzt zwischen den MS einen Standort- und Regulierungswettbewerb um mobile Produktionsfaktoren und Steuerquellen in Gang, der sie zwingt, sich gegenseitig in ihren Sozial- und Umweltstandards zu unterbieten, um die Produktionskosten der ansässigen Unternehmen zu minimieren (Knill 2008: 126-127). Wird dem „mit der negativen Integration einhergehende[n] Verlust nationaler Gestal- tungs- und Problemlösungsfähigkeit" (Scharpf 1996: 112) keine positive Integration in Form einer einheitlichen EU-Regulierungspolitik entgegengesetzt, droht ein „Wettlauf nach unten", auch race to the bottom genannt (Knill 2008: 126-127).
Das Entgegensetzen einer positiven Integration ist jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, denn „während die negative Integration gewissermaßen hinter dem Rücken der Politik von Kommission und Gerichtshof vorangetrieben werden kann, bedürfen Maßnahmen der positiven Integration der expliziten politischen Legitimation“ (Scharpf 1996: 114). Zwar muss seit der verstärkten Anwendung des MEV und der qualifizierten Mehrheitsabstimmung im Rat nicht mehr um jede einzelne Stimme gefeilscht werden. Doch können Ländergruppen mit ähnlich gelagerten Interessen eine Veto-Koalition gegen unliebsame Vorhaben bilden.[14] Je mehr Veto-Spieler[15] existieren und je größer die Interessendivergenz ist, desto wahrscheinlich ist der politische Stillstand (Holzinger 2005: 121). Unliebsame Regulierungen sind in der Regel solche, die den MS hohe Anpassungserfordernisse auferlegen.
Da die Regierungen der Mitgliedstaaten, um im eigenen Land wiedergewählt zu werden, danach trachteten, wirtschaftliche, soziale und politische Anpassungskosten zu vermeiden, neigten sie dazu, jegliche Harmonisierungsbeschlüsse, die ihrem Land solche Anpassungskosten auferlegen würden, mit Hilfe ihres Vetos oder [...] durch die Formierung einer Sperrminorität im [Rat] zu blockieren. (Eichener 2000:16)
Je nach Regelungsgegenstand können bereits im Vorfeld typische Interessenkonstellationen antizipiert werden, von denen auf den Ausgang des Entscheidungsverfahrens geschlossen werden kann (Holzinger 2005: 106). Hierfür müssen allerdings neben den Machtverhältnissen vor allem die Präferenzen der einzelnen MS bekannt sein. Im Bereich des Umweltschutzes haben Rehbinder und Stewart (1985) die Unterscheidung zwischen Produktregulierungen und Prozessregulierungen eingeführt. Für die spieltheoretische Prognose europäischer Entscheidungen hat diese Differenzierung aufgrund der a priori antizipierbaren Interessenkonstellationen eine große Bedeutung. Im Folgenden soll diese Typologie, auf die zahlreiche Autoren rekurrieren (z.B. Holzinger 1994; Scharpf 1996; Eichener 2000; Knill 2008), grob umrissen werden.
Während sich Produktregulierungen unmittelbar auf die Eigenschaft eines Produktes auswirken, nehmen Prozessregulierungen keinen direkten Einfluss auf die Produktqualität, sondern nur auf den Produktionsprozess.[16] Scharpf (1996: 114-121) zeigt anhand einer spieltheoretischen Formalisierung, weshalb die europaweite Harmonisierung von produktbezogenen Standards im Interesse aller MS liegt, während einheitliche Prozessnormen regelmäßig an Widerstand der ärmeren bzw. rückständigeren Länder scheitern (Scharpf 1996: 114-121): Prozessnormen lassen - im Gegensatz zu Produktnormen - keine umweltqualitätsbezogene Preisdifferenzierung am Markt zu und das EU-Recht erlaubt keine Diskriminierung von Produkten, die zwar unter schlechten Produktionsbedingungen hergestellt wurden, aber qualitativ unbedenklich sind (Knill 2008: 129). So haben ärmere bzw. rückständigere EU-Staaten ein existenzielles ökonomisches Interesse, sämtliche Harmonisierungsbestrebungen im Bereich der Prozessregulierung zu blockieren. Denn nur durch den Erhalt des Status Quo können sie weiterhin von den Kosten- und Wettbewerbsvorteilen profitieren, die daraus resultieren, dass die Produzenten im Inland geringeren Umwelt- und Sozialstandards unterliegen als die ausländischen Konkurrenten (Scharpf 1996: 117-120).
2.1.2. Anwendung der rationalistischen Prognose auf die EMAS-Revision
Die Prognose der Politikverflechtungsfalle soll nun auf das Fallbeispiel der EMAS- Revision angewandt werden. Zunächst einmal muss vorweggenommen werden, dass EMAS eine umweltpolitische Prozessregulierung darstellt (Kapitel 3.4.3.). Die Einführung von verbindlichen KPI bedeutet eine Veränderung des Status Quo in Richtung anspruchsvollere Prozessregulierung. Kurzfristig gedacht, bringt das Vorhaben für die Unternehmen keine Vorteile, sondern zieht nur Anpassungskosten auf Seiten der Teilnehmer und in geringerem Umfang auch für die Verwaltung nach sich (Kapitel 3.3.3 und 3.3.4). Nach der vorgestellten Rationalitätslogik hätten also die meisten Staaten und Unternehmer gegen die verbindliche Einführung von KPI opponieren müssen.
Der fehlende ökonomische Mehrwert einer verschärften EMAS-Regulierung lässt sich wie folgt erklären: Eine qualitätsbezogene Preisdifferenzierung für Produkte, die von EMAS-Unternehmen stammen, ist beim Endkunden nur schwer kommunizierbar und somit kaum möglich. Das EMAS-Logo darf nur auf Briefköpfen, Broschüren etc. abgedruckt werden, nicht aber auf den Produkten selbst (UGA 2003: 17). Hat ein Kunde keine Kenntnis von der umweltfreundlicheren Produktionsweise, wird er das teurere, scheinbar gleichwertige Produkt eines EMAS-Produzenten nur in Ausnahmefällen kaufen. Daran wird die Einführung von KPI allenfalls langfristig etwas ändern. Auch konnte trotz der breit angelegten Diskussion um Green Public Procurement[17] bisher keine explizite Bevorzugung von EMAS-Unternehmen in der öffentlichen Beschaffung erreicht werden.[18] Wie oben bereits erwähnt, scheitern auch Importverbote für „Nicht- EMAS-Produkte" grundsätzlich am europäischen Vertragsrecht.
Für Deutschland lässt sich die Situation rationalistisch folgendermaßen rekonstruieren: Die deutsche Wirtschaft lehnte die verbindliche Einführung von KPI unter dem Hinweis auf die mangelnde technische Praktikabilität und die zusätzliche Kostenbelastung ab. Auch die Verwaltungsbehörden befürchteten einen gewissen Mehraufwand, weil sie für die reibungslose Implementierung der KPI hätten sorgen müssen. Um die Anpassungskosten gering zu halten und ein Aussteigen der Teilnehmer aus dem Öko-AuditSystem zu verhindern, opponierte die Regierung gegen verbindliche KPI. Aufwand und Ausstiegsdrohungen der Unternehmen wogen mehr als die vereinzelte Kritik grüner Interessengruppen, die in dieser relativ unspektakulären Debatte ohnehin kaum öffentlichkeitswirksame Aufmerksamkeit entfalten konnten. Ein Rückgang der Teilnehmerzahl wäre auch mit dem Verlust von Prestige und Einfluss auf europäischer Ebene verbunden gewesen (vgl. Töller 2002: 494).
Aufgrund dieser rationalistischen Annahmen hätte die deutsche Verhandlungsstrategie auf eine Verhinderung der KPI hinauslaufen müssen. Da KPI beim Agenda Setting der KOM offensichtlich nicht verhindert werden konnten, hätte sich Deutschland im Rat um eine Blockade von EMAS III bemühen müssen: Bei Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit werden für eine Sperrminorität derzeit 101 Stimmen benötigt; die Bundesrepublik verfügt bereits über 29 Stimmen (Knill 2008: 115-116). Für ein Veto gegen KPI hätte Deutschland nur einige der ökologisch weniger entschlossenen Länder[19] auf seine Seite holen müssen bzw. sich dem Pool der umweltpolitischen „Bremser"[20] bedienen können (Knill 2008: 114-117). Es hätte sich rein machtpolitisch also nicht allzu schwierig gestaltet, den KPI-Beschluss zu verhindern. Umso erstaunlicher ist es, dass die neue EMAS-Verordnung (EMAS III) mit den verbindlichen KPI einstimmig vom Rat angenommen wurde (Kapitel 3.4.5.). Der konventionelle Ansatz der Politikverflechtungsfalle vermag dies nicht zu erklären. Daher muss nach alternativen Ansätzen gesucht werden, die diesem Phänomen auf den Grund gehen.
2.2. Kritik am Intergouvernementalismus
Die pauschale Hypothese einer mangelhaften Problemlösungsfähigkeit europäischer Regulierungspolitik wird nicht erst durch das Fallbeispiel in Frage gestellt. Vielmehr wurde die Politikverflechtungsfalle nach längerer politikwissenschaftlicher Debatte (Jachtenfuchs 2008: 393) und „durch empirische Befunde vielfach widerlegt" (Knill 2008: 131). Scharpf selbst räumt unter dem Hinweis auf die heuristische Funktion seines Modells ein, dass die Politikverflechtungsfalle bewusst einfach - vielleicht zu einfach - konstruiert sei (Scharpf 1996: 115, Fußnote 5).
Das scharpfsche Modell enthält implizit drei problematische Prämissen:[21] Erstens wird davon ausgegangen, dass die Regierungen der MS die einzigen Akteure sind, die im EU-System Entscheidungen treffen. Ihre Rechtsakte werden demzufolge ausschließlich im Rat nach intergouvernementaler Interessenlogik verhandelt und verabschiedet. Zweitens werden die Präferenzen der MS als eindeutig und statisch beschrieben. Und zwar dergestalt, dass sie stets darauf aus sind, die nationalen Wettbewerbsvorteile zu maximieren und den Anpassungsbedarf im eigenen Land zu minimieren. Drittens wird unterstellt, dass die Akteure rational handeln und immer über vollständige Information sowie ausreichende Informationsverarbeitungskapazitäten verfügen. Der Supranationalismus22 als Gegenentwurf zum Intergouvernementalismus zweifelt an diesen reduk- tionistischen Prämissen mit seiner zentraler Antithese: "Die von den Regierungen geschaffenen Institutionen lösen eine eigendynamische Entwicklung aus, die der Kontrolle der Staaten entgleitet und diese selbst transformiert“ (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 23). Diese institutionelle Transformation bewirke eine Veränderung der Akteurskonstellation, die sich weg von der nationalstaatlichen hin zu einer europäisch inspirierten, supranationalen Entscheidungslogik bewege, so die Behauptung.
Es ist in der Tat ein empirisches Faktum, dass - entgegen der rationalistischen Annahme - die meisten[22] [23] politischen Entscheidungen nicht mehr im Rat getroffen werden, sondern in den zahlreichen vorbereitenden Gremien der EU (Eichener 2000: 144). Auch die EMAS-Revision war von der EU-typischen institutionellen Arbeitsteilung und einer interinstitutionellen Zusammenarbeit geprägt (Kapitel 3.4.4. und 3.4.5.). Die Tatsache, dass im Rat keine Verhandlungen mehr stattfanden und EMAS III lange vor der offiziellen Ratsentscheidung als beschlossen galt, zeugt von der wichtigen Bedeutung anderer Entscheidungsgremien.
Die Besonderheit des europäischen Institutionensystems liegt nämlich nicht allein in den formellen Eckfeilern [sic!] der EU, [...] sondern auch in den eher informellen institutionellen Arrangements im Kleinen, die sich durch die alltägliche Interaktion der politischen Akteure herausgebildet haben und das Verhalten strukturieren [...]. (Huster 2008:64)
Die „transformative Ontologie“ (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 31) supranationalistischer Ansätze hebt aber nicht nur auf den erweiterten Akteurskreis ab, sondern auch auf das Informationsdefizit der Akteure. Insbesondere Vertreter des historischen Insti- tutionalismus betonen, dass selbst die „weitsichtigsten Akteure“ in komplexen sozialen Interaktionsprozessen Entscheidungen treffen, deren „Rückkoppelungsschleifen und Interaktionseffekte“ sie „nicht völlig verstehen und vorhersehen können“ (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 33). Dies führe zu einer „Pfadabhängigkeit politischer Wahlentscheidungen, wonach anfängliche richtungsweisende Entscheidungen eine strukturierende Wirkung auf zukünftige Entscheidungen haben“ (Huster 2008: 62).
Vertreter des soziologischen Institutionalismus hingegen konzentrieren sich auf die wandelbaren Präferenzen der Akteure. Diese verstehen sie als „Produkte ideeller Strukturen und sozialer Interaktionen, die kultureller Variation und historischem Wandel unterworfen sind“ (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 32).
Politische Präferenzen sind dem Entscheidungsprozess nicht exogen vorgegeben, vielmehr enthält der institutionelle Kontext sinnstiftende Ideen bzw. Ordnungsvorstellungen, die eine Orientierungsleistung erfüllen. [...] Individuen als auch politische Akteure handeln nicht allein nach Effizienzgesichtspunkten, sondern der institutionelle Kontext liefert Vorstellungen über angemessenes Verhalten. (Huster 2008:61)
Die Akteure agieren demzufolge nicht unbedingt zweckrational nach intergouvememental Interessenkalkül, sondern nach der Logik der Angemessenheit (March/Olsen 1989), welche sich an den „normativen Anforderungen ihrer sozialen Rolle, Identität und Handlungssituation“ (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 32) orientiert.
Um zu brauchbaren politikwissenschaftlichen Aussagen zu gelangen, die über reine Zustandsbeschreibungen hinausgehen, müssen Regelmäßigkeiten anhand der soeben skizzierten komplexen Interdependenzstrukturen herausgearbeitet werden. Diese müssen die institutionelle Struktur der EU als erklärende Variable für das Entscheidungsverhalten der Akteure konstruieren. Im folgenden Abschnitt werden die aktuellen Bemühungen der Politikwissenschaft vorgestellt, die diffusen Beobachtungen und Annahmen in ein integrierendes Analysekonzept zu überführen.
2.3. Multilevel Governance als integrierendes Analysekonzept
Während die Debatte zwischen Supranationalismus und Intergouvernementalismus zur Überspitzung neigt (Jachtenfuchs 2008: 384), sucht das Konzept der Multilevel Governance diese beiden Theorieschulen zu vereinen und mit Erkenntnissen der innerstaatlichen Föderalismusforschung zu verbinden (Benz 2007: 298-299; Huster 2008: 64-65). Die strukturelle Grundlage der Governance-Analyse bildet das Konzept des europäischen Mehrebenensystems, das im nächsten Abschnitt vorgestellt wird.
2.3.1. Die Strukturmerkmale des europäischen Mehrebenensystems
Ein wichtiges Axiom der Föderalismusforschung besagt, dass politische Systeme in funktionale und territoriale Ebenen ausdifferenziert sind, aufgrund von Interdependenzen aber trotzdem miteinander verflochten sein müssen (Benz 2000: 97-98). Vor diesem Hintergrund wird die EU als einzigartiges Mehrebensystem konzipiert, dessen Ebenen - anders als z.B. im deutschen Föderalismus - nur lose gekoppelt sind (Jachtenfuchs 2008: 387). „Lose Kopplung bedeutet in der Systemtheorie, daß [sic!] Entscheidungen in einem Teilsystem nicht alle, sondern nur einzelne Prämissen der Entscheidung in einem anderen Teilsystem determinieren“ (Benz 2000: 109, Fußnote 7). Nach Arthur Benz (2000: 109) zeichnen sich lose gekoppelte Mehrebenensysteme „dadurch aus, daß [sic!] Akteure mit einem freien Mandat (Verhandlungsmandat statt Durchsetzungsmandat) verhandeln, Mitentscheidungsrechte ,Dritter‘ nicht relevant sind, und zwischen den institutionell getrennten Entscheidungsbereichen im wesentlichen Informationsbeziehungen bestehen, die Kontrolle der Mehrebenen-Verhand- lungen als nachträgliche Evaluierung des Ergebnisses praktiziert wird.“ Mit dem Begriff des Mehrebenensystems wird die EU-typische „institutionelle Ausdifferenzierung von Kompetenzen und Zuständigkeiten auf die verschiedenen territorialen Handlungsebenen“ (Huster 2008: 65) hervorgehoben, die sich darin äußert, dass „kollektiv verbindliche Entscheidungen [...] durch eine komplexe Koordination zwischen europäischer, nationaler und regionaler Ebene getroffen“ werden (Huster 2008: 65).
Die Ebenendifferenzierung ist schon deshalb unausweichlich, weil die EU nicht über ein eigenes Gewalt- und Steuermonopol verfügt (Jachtenfuchs 2008: 384) und deshalb auf die Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Akteuren in allen Phasen des Politikzyklus angewiesen ist. Grenzüberschreitende Herausforderungen und die zunehmende Integration lassen die Anzahl der Aufgaben, Akteure und Handlungsebenen mit ihren heterogenen Problemwahrnehmungen, Politik-, Verhandlungs- und Verwaltungsstilen sowie wenig kompatiblen Rechtssystemen steigen und evozieren damit neue Koordinationsprobleme (Holzinger 2005: 140). Neue Akteure und Politikarenen entstehen zum einen, weil die finanzielle und personelle Ausstattung der EU nicht mit dem zunehmenden Koordinationsbedarf schritthalten kann und die EU sich auswärtiger Ressourcen bedienen muss. Vor allem die KOM ist „in wissensintensiven Politikbereichen [...] auf den externen Sachverstand von Regierungsvertretern, Experten, Wissenschaftlern, Interessengruppen etc. angewiesen“ (Huster 2008: 29). Aber auch „die Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten können allein schon aufgrund der Fülle nicht alle Entscheidungen mittragen, weshalb ein Großteil der Verhandlungen auf die administrative Ebene ausgelagert ist“ (Huster 2008: 67). Zum anderen kann die Kooperation mit Experten und Steuerungsadressaten „Legitimation durch Verfahren“ (Jachtenfuchs 2008: 396) erzeugen, welche vor dem Hintergrund beobachtbarer Implementationsdefizite eine wichtige Rolle spielen kann. Insbesondere in der Umweltpolitik bestehen große Probleme bei der Umsetzung beschlossener Rechtsakte (Huster 2008: 202; Knill 2008: 161-213).
Zielfindungs- und Umsetzungsprozesse sind mit Lerneffekten und der Bündelung von Wissen verbunden.
Sie ermöglichen frühe Anpassungsreaktionen in den betroffenen Kontexten, die nicht zuletzt staatlichen Verwaltungen Umsetzung und Kontrolle der Umweltmaßnahmen erleichtern. Vor allem aber legitimiert sich kooperative Governance durch ihren Output, wenn es zu effektiven Maßnahmen kommt, die geringe Kosten verursachen. (Biermann 2007:429)
Ein weiteres Strukturmerkmal der EU zeigt sich darin, dass bisher nur die wenigsten Parteien und Interessenverbände ihren verbreiterten Zugang zum politischen System effektiv nutzen. Sie stehen vor der Herausforderung, ihre Organisationsstruktur der dynamischen Differenzierung des Mehrebenensystems anzupassen (Holzinger 2005: 141-142). Das Entscheidungsmodell des MEV sowie das geringe öffentliche Interesse an europapolitischen Themen lassen bis jetzt allerdings wenig Raum für eine parteipolitische Profilierung (Jachtenfuchs 2008: 386-387).
Das europäische Mehrebenensystem lässt sich in vier wesentliche Strukturmerkmale zusammenfassen (Jachtenfuchs 2008: 384-388): Erstens ein „Fehlendes Gewalt- und Steuermonopol“, zweitens ein „Hierarchisches Rechtssystem“, drittens „Schwache politische Parteien“ und viertens eine „Schwache Ebenenkoppelung“. Doch Multilevel Governance fokussiert nicht nur die Struktur des Mehrebensystems, sondern beschreibt auch „die aus dieser Differenzierung resultierenden Interaktionsmuster und Koordinationsmechanismen“ (Benz 2007: 297). Die Auswirkungen des europäischen Mehrebenensystems werden im nächsten Abschnitt erörtert.
2.3.2. Die Folgen des europäischen Mehrebensystems für EU-Governance
Aus den strukturellen Merkmalen des Mehrebenesystems, lassen sich „Konsequenzen für EU-Governance“ (Jachtenfuchs 2008: 388) ableiten, die zusammen mit spezifischen Elementen der einzelnen Politikfelder eine große Erklärungskraft für das europäische Entscheidungsverhalten im Allgemeinen und für die EMAS-Revision im Speziellen entfalten können. Jachtenfuchs macht in diesem Zusammenhang zwei wichtige Beobachtungen, die er auf die Struktur des Mehrebenensystems zurückführt. Erstens stellt er die Vermutung an, dass die institutionelle Struktur der EU in manchen Bereichen für eine hohe Problemlösungsfähigkeit verantwortlich gemacht werden kann:
Eine mögliche Ursache ist die schwache Ebenenkoppelung, die andere die relative Schwäche politischer Parteien. Anders als im deutschen Föderalismus werden so Sachdiskussionen nicht durch den Parteienwettbewerb überlagert. Zudem hat die EU ein außerordentlich hohes Maß an institutioneller Differenzierung entwickelt, das Regelungsmaterien aufspaltet, rekombiniert und in angemessene Entscheidungs- und Beratungsarenen auslagert. Dies vermeidet Konflikte oder arbeitet sie klein und erhöht die Problemlösungsfähigkeit. (Jachtenfuchs 2008:293-294)
Zweitens konstatiert er, dass Verhandeln und Deliberation die vorherrschenden Entscheidungsstile der EU darstellen, obwohl es formal auch die Möglichkeit von Mehrheitsabstimmungen gibt (Jachtenfuchs 2008: 389).
Der Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen hat [...] wenig daran geändert, dass die Verhandlungen im Ministerrat durch eine stark verwurzelte Kultur der Konsensfindung gekennzeichnet sind. Auch wenn es theoretisch möglich wäre, einzelne Staaten zu überstimmen, sind formale Abstimmungen äußerst selten. Vielmehr wird versucht, im Rahmen der Verhandlungen eine für alle Staaten akzeptable Kompromissformel zu finden. (Knill 2008:114)
Verhandlung und Deliberation sind deshalb in europäischen Entscheidungsprozessen vorherrschend, weil sie Konsens erzeugen. Mehrheitsentscheide hingegen bringen Gewinner und Verlierer hervor, was vor dem Hintergrund einer notwendigen Implementierung und Akzeptanz von politischen Programmen in den MS problematisch ist (Jachtenfuchs 2008: 389). Zwar können kollektive Entscheidungen der EU letztlich auch „in weiten Bereichen über das hierarchische Rechtssystem durchgesetzt werden, nicht aber unter Rückgriff auf ein zentrales Gewaltmonopol“ (Jachtenfuchs 2008: 389).
In Verhandlungen werden den Verlierern eines Regulierungsvorhabens Kompensationen für ihre Anpassungskosten in Form von Ausgleichszahlungen, Paketlösungen, Ausnahmeregelungen, verlängerten Übergangsfristen etc. angeboten. Dies soll sie dazu bewegen, Politikprogramme zu akzeptieren und zu unterstützen (Knill 2008: 139). Allerdings spielen solche Koppelgeschäfte in der EU-Umweltpolitik kaum eine Rolle. Als Gründe werden „die geringe Kopplungsmöglichkeit einer stark technischadministrativen Materie mit anderen Politikbereichen, die vergleichsweise schwache Politisierung von Umweltproblemen sowie der Mangel an öffentlichem Interesse und entsprechendem Druck auf die nationalen Regierungen“ (Knill 2008: 119) genannt.
Deliberation hingegen setzt nicht bei der Einwilligung durch Gegenleistung an, sondern an einer „Veränderung der Präferenzen der Beteiligten“ (Jachtenfuchs 2008: 390). Dies geschieht nicht durch strategisches Verhandeln, sondern durch argumentatives Problemlosen (Huster 2008: 82).
Deliberation wird hier verstanden als ein Prozess zur Erzielung kognitiver und normativer Übereinstimmung mittels zwangsfreier Überzeugung. Hier entstehen keine Verlierer, und es braucht auch niemand nachzugeben oder kompensiert zu werden, weil am Ende idealtypisch alle von der gefundenen Lösung überzeugt sind. (Jachten fuchs 2008:390)
Joerges und Neyer (1997) waren mit ihrer empirischen Analyse des Ständigen Lebensmittelausschusses die ersten, die die „eigenständige Problemlösungskultur“ von Komitologieausschüssen systematisch zu erfassen versuchten (Töller 2002: 50). Sie machten die Beobachtung, dass die Kontrolle der MS über ihre Delegierten relativ schwach ist und dass diese ihren Informationsvorsprung nutzen, um die die Wahrnehmung der mitgliedstaatlichen Präferenzen zu beeinflussen (Töller 2002: 46). Außerdem beobachteten sie, dass nationale Interessen im Ausschuss nur dann als legitim angesehen wurden, wenn sie sich auf wissenschaftlich begründbare Argumente bezogen (Töller 2002: 46).
Insbesondere die Ausschüsse und Expertengruppen auf Kommissionsebene (Komitologie) bieten ein fruchtbares Umfeld für deliberative Prozesse, weil sie sich meist der öffentlichen Aufmerksamkeit und der unmittelbaren Regierungskontrolle entziehen (Holzinger 2005: 39-40; Knill 2008: 137-138). „Kollektives Problemlösen“ lässt sich vor allem dann beobachten, wenn politische Entscheidungen der Akteure nicht „der Kontrolle durch ihre Wählerschaft unterworfen sind“ (Holzinger 2005: 142). Doch auch in den Ausschüssen des Rats werden gegenseitige Anpassungs- und Lernprozesse beobachtet, weshalb der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) gelegentlich auch als „Ausschuss der Ständigen Verräter“ bezeichnet wird (Knill 2008: 137). Der schwache Parteienwettbewerb, die institutionelle Differenzierung und die lose Ebenenkoppelung begünstigen den deliberativen Politikstil (Jachtenfuchs 2008: 390; 394). So ist die EU kein „umfassendes Verhandlungssystem, sondern setzt sich aus relativ autonomen Verhandlungsarenen zusammen, die jeweils ihren spezifischen Beitrag zur kollektiven Willensbildung leisten" (Huster 2008: 67).
Während die Verhandlungsstrategien und Interaktionsorientierungen der Regierungsvertreter von den Spielregeln des nationalen Parteienwettbewerbs beeinflusst werden, sind die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Fachverwaltungen von diesen Zwängen weitgehend abgekoppelt. Ihre Handlungsorientierungen werden vielmehr von fachlichen Belangen und einem Interesse an gemeinsamen Problemlösungen bestimmt, was Kooperation grundsätzlich vereinfacht. (Huster 2008:67)
An den Schnittstellen der Handlungsebenen entstehen so neue „Schlüsselakteure", die „in der Praxis recht mächtig" sind, „selbst wenn sie keine formalen Kompetenzen [...] besitzen" (Holzinger 2001: 141). Diese Schlüsselakteure regulieren den Informationsfluss zwischen den Ebenen und den Zugang zu bestimmten Politikarenen (Holzinger 2001: 141). Sie können Informationsasymmetrien und Unsicherheiten strategisch nutzen, indem sie Verhandlungspositionen (tying hands), Verhandlungsergebnisse (blame shifting) und Zuständigkeiten (cuckoo game) jeweils den Akteuren einer anderen Ebene zuschreiben (Benz 2007: 300; Holzinger 2001: 141).
Auch in den neueren konstruktivistischen Ansätzen der Europaforschung liegt ein starker Fokus auf den Akteuren. Die Binnenverhältnisse in den Ausschüssen, deren Akteure, Handlungsroutinen und Strategien stehen hier im Mittelpunkt des Interesses (Huster 2008: 82). Dabei setzt die Analyse des Entscheidungsverhaltens vor allem an den individuellen Motiven der Akteure in ihrem sozialen Umfeld an.
Es sind immer einzelne Menschen, nicht Institutionen, die handeln, und diese Menschen verfolgen dabei immer ihre persönlichen, individuellen Ziele, die freilich durch die Interdependenzen, in denen sie sich befinden, geformt sind.[...] Deshalb ist stets danach zu suchen, wie sich die Struktur des Interdependenzgeflechts, in dem sich ein individueller Akteur befindet, auf dessen persönliche Zielstruktur und Handlungswahl auswirkt (Eichener 2002:140).
Ein wesentlicher Faktor für die Sozialisation der Akteure ist soziales Lernen. Hierfür wurde von verschiedenen Vertretern des konstruktivistischen Ansatzes ein Katalog von Bedingungen aufgestellt, die dieses ermöglichen (Holzinger 2005: 34).
Demnach ist soziales Lernen am ehesten zu erwarten, wenn sich der Sozialisand in einer neuartigen und unsicheren Umgebung befindet; wenn der Sozialisationsagent die anerkannte Kompetenz (Autorität) besitzt, für eine Gemeinschaft zu handeln, mit der sich der Sozialisand identifiziert und zu der er gehören will (Identität); wenn der Überzeugungsprozess einer ,idealen Sprechsituation‘ möglichst nahe kommt [...] und ohne [...] Zwänge stattfindet; wenn der Sozialisand über lange Zeit hinweg neuartigen oder seinen bisherigen Überzeugungen widersprechenden, aber in sich konsistenten internationalen Informationen ausgesetzt ist; [...] wenn die innenpolitische und gesellschaftliche Anschlussfähigkeit der internationalen Schemata und Regeln hoch ist (Resonanz). (Holzinger 2005:34)
Auch Huster (2008: 79) betont, dass „Unsicherheit über Interessen und Normen oder mangelndes Wissen über Handlungssituationen" die Akteure „in einen verständigungsorientierten Diskurs eintreten" lässt, der sie zur Bereitschaft bringt „ihre Situationsdefinitionen und Interessen im Lichte des besseren Argumentes zu revidieren".
Knill (2008: 137) greift die Beobachtungen von Joeger/Neyer (1997) auf und fasst die wesentlichen Bedingungen für deliberative Prozesse in der „Unsicherheit über mögliche Verteilungseffekte“ sowie einem längeren „Zeitraum institutionalisierte^] Interaktionen“ zusammen. Töller (2002: 51) bezweifelt jedoch, dass allein die Dauer der intensiven Zusammenarbeit über die Problemlösungsfähigkeit entscheidet.
Transnationale Expertennetzwerke (epistemic communities), „in denen sich durch eine gemeinsame professionelle Orientierung und Sozialisation [...] konvergierende Ideen, Annahmen und Überzeugungen herausbilden“, scheinen in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung zu sein (Knill 2008: 137). Bei der empirischen Untersuchung von Expertenausschüssen konnte gezeigt werden, dass professionelle Orientierungen eine besonders identitätsstiftende Wirkung haben: „Das Relevanz- und Entscheidungskriterium heißt nicht ,Mehrheit‘ und auch nicht politische Macht‘, sondern fachliche Autorität und Reputation‘ [...]“ (Eichener 2000: 223). Die Interaktion in solchen Politiknetzwerken kann auch „die Diffusion und den Transfer von erfolgreichen Politiken“ zwischen den Ebenen bzw. zwischen den MS erleichtern und somit Policylearning und Problemlösungswettbewerbe begünstigen (Holzinger 2005: 142).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Literatur diverse Beobachtungen und Annahmen über die Auswirkungen des europäischen Mehrebenensystems existieren. Diese konnten bisher allerdings noch nicht in eine allgemeine Theorie überführt werden (Holzinger 2005: 140; Jachtenfuchs 2008: 393). Insgesamt scheint sich insbesondere in der hochgradig ausdifferenzierten Umweltpolitik ein konsensorientierter Politikstil herauszukristallisieren. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob die Konsensfindung dadurch gekennzeichnet ist, dass die Akteure argumentativ nach Problemlösungen suchen, oder ob sie eher strategisch verhandeln. Obwohl es aus heuristischer Sicht sinnvoll ist, die Formen kollektiven Entscheidens „Abstimmung, Verhandlung und Deliberation“ analytisch zu trennen, muss man einräumen, dass diese Kategorien in der politischen Realität in Reinform kaum anzutreffen sind (Jachtenfuchs 2008: 389). Holzinger (2001) weist hier auf methodisch-empirische Schwierigkeiten hin:
Lediglich auf der Ebene des einzelnen Sprechakts lassen sich Argumentieren und Verhandeln eindeutig verschiedenen Klassen zuordnen, wobei auch hier Verhandlungssprechakte in der Regel in ein Argument eingebunden sind. Dazu kommt, dass empirische Handlungen sich aufgrund methodischer Probleme nur schwer den beiden Handlungstypen zuordnen lassen, weil die Typen auf nicht beobachtbare intrapsychische Größen wie Motive und Wahrhaftigkeit abstellen. (Holzinger 2001:281-282)
Wenn es auch schwierig ist, die Entscheidungsmodi empirisch exakt zu trennen, so bietet diese Abstraktion dennoch einen guten Ansatzpunkt, um den Konsensfindungsprozess zumindest theoretisch zu erklären.
2.4. Transfer der theoretischen Vorüberlegungen in eine Hypothese
Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Frage, warum mit der EMAS-Revision verbindliche KPI eingeführt wurden, obwohl die deutsche Regierung diesem Vorhaben skeptisch gegenüberstand. In den vorhergehenden Kapiteln wurde dargelegt, dass diese Frage mit dem intergouvememental Modell der Politikverflechtungsfalle nicht adäquat beantwortet werden kann. Mit den institutionalistischen Theorien des Supranationalismus und dem Konzept der Multilevel Governance wurden sodann alternative Erklärungsmodelle vorgestellt und der aktuelle politikwissenschaftliche Forschungsstand hinsichtlich des europäischen Entscheidungsprozesses abgebildet. Aufbauend auf diesen theoretischen und empirischen Erkenntnissen soll nun eine Hypothese formuliert werden, mit deren Hilfe sich die Forschungsfrage zumindest in der Theorie beantworten lässt. Die Forschungshypothese lautet:
Deutschland stimmte der Einführung von verbindlichen KPI zu, weil die EMAS-Revision typische Merkmale von Multilevel Governance aufwies, die eine frühzeitige Konsensfindung ermöglichen und fördern. Der Entscheidungsprozess war von argumentativem Problemlösen geprägt und strategische Verhandlungen spielten nur eine untergeordnete Rolle.
Bevor die Forschungshypothese im empirischen Teil der Arbeit überprüft werden kann, muss im folgenden Kapitel zunächst ein Erklärungsmodell entwickelt werden, das als heuristischer Bezugsrahmen dient und die Untersuchung entlang von Variablen strukturiert.
2.5. Entwicklung eines multivariaten Erklärungsmodells
2.5.1. Die Erklärungsstrategie und ihre qualitativen Erhebungsmethoden
Mit den obigen Ausführungen wurde implizit bereits der Grundstein für eine mechanismenorientierte Erklärungsstrategie (Gläser/Laudel 2009: 26, 34) gelegt: Diese sozialwissenschaftliche Erklärungsstrategie sucht nach den Kausalmechanismen, die unter bestimmten Bedingungen bestimmte Effekte hervorbringen“ (Gläser/Lausel 2009: 26). Im Gegensatz dazu werden bei relationsorientierten Erklärungsstrategien statistische Daten erhoben, die „die Identifizierung [...] signifikanter (nicht zufälliger) Zusammenhänge zwischen sozialen Phänomenen“, ermöglichen (Gläser/Laudel 2009: 26). Letztere Strategie liefert jedoch „weder die Richtung des Kausalzusammenhanges [...] noch den Kausalmechanismus, der zwischen Ursachen und Wirkungen vermittelt“ (Gläser/Laudel 2009: 26). Insbesondere bei einer kleinen Fallzahl machen Quantifizierungen wenig Sinn (Gläser/Laudel 2009: 37). Für die rekonstruierenden Untersuchung (Gläser/Laudel 2009: 13) der EMAS-Revision eignen sich qualitative Methoden daher besser. Die Erfahrung hat gezeigt: Soziale Interaktionsmechanismen können meist nicht nur auf eindimensional skalierte Variablen einer statistischen Analyse reduziert werden, will man ihrer Komplexität entsprechend gerecht werden (Glä- ser/Laudel 2009: 71). Trotz des qualitativen Vorgehens ist es jedoch sinnvoll, am Variablenkonzept der quantitativen Sozialforschung als „wichtiges Bindeglied zwischen Theorie und Empirie" (Gläser/Laudel 2009: 78) festzuhalten. Allerdings erfordert die qualitative Vorgehensweise ein breites, multidimensionales Verständnis von Variablen:
Anders als die Variablen statistischer Untersuchungen können diese Konstrukte komplex sein, das heißt mehrere Dimensionen haben, in denen Merkmalsausprägungen unabhängig voneinander variieren. Sie können in den verschiedenen Dimensionen unterschiedlich skaliert sein. Das schließt ein, dass sie in allen Dimensionen nominalskaliert sein können, die Merkmalsausprägungen also ausschließlich verbal beschreibbar sind. (Gläser/Laudel 2009: 79)
Entsprechend dieses weiten Variablenverständnisses wird nun ein Erklärungsmodell entwickelt, das auf vier multidimensionalen Variablen aufbaut.
2.5.2. Das Erklärungsmodell und seine vier Variablen
Das Erklärungsmodell für die EMAS-Revision soll an den allgemeinen Modellvorschlag von Gläser und Laudel (2009: 81) angelehnt werden. Die Autoren unterscheiden vier Variablen: Die abhängige Variable, die unabhängige Variable und die intervenierende Variable sowie vermittelnde Handlungen zwischen diesen Variablen. Wohlwissend, dass es in der Praxis oft Schwierigkeiten bereitet, diese Variablen und ihre Wechselwirkungen analytisch sauber zu trennen, bestehen sie dennoch aus forschungspraktischen Gründen auf diese Differenzierung (Gläser/Laudel 2009: 81-82).
Wendet man dieses Modell auf das Fallbeispiel der EMAS-Revision an, ergibt sich folgendes Bild: Als abhängige Variable wird die Einführung von verbindlichen KPI durch die neue EMAS-Verordnung (EMAS III) definiert. Die typischen Multilevel Go- vernance-Merkmale der EMAS-Revision sollen die Konsensfindung hinsichtlich der verbindlichen KPI erklären und werden daher als unabhängige Variable konstruiert. Um zu überprüfen, ob der angenommene Interessenkonflikt hinsichtlich KPI zwischen Deutschland und Europa wirklich existierte, muss zusätzlich eine intervenierende Variable eingeführt werden. Zwischen diesen drei Variablen steht der Konsensfindungsprozess als vermittelnde Handlung. Dieser kann sowohl von strategischen Verhandlungen als auch von argumentativem Problemlosen (Deliberation) geprägt sein. Die Variablen werden in Kapitel 3 ausführlich erläutert. Das Erklärungsmodell wird in Abbildung 1 noch einmal grafisch veranschaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Erklärungsmodells in Anlehnung an Gläser/Laudel 2009: 81.
3. EMPIRISCHE ANALYSE DER EMAS-REVISION
In diesem Kapitel wird die EMAS-Revision einer umfassenden empirischen Analyse unterzogen. Am Ende der Untersuchung soll es möglich sein, die Forschungshypothese aufgrund der empirischen Erkenntnisse tendenziell zu bestätigen oder zu falsifizieren. Als heuristischer Bezugsrahmen dient das soeben entwickelte Erklärungsmodell mit seinen vier Variablen. Die Vorgehensweise wird im folgenden Abschnitt dargelegt.
3.1. Vorgehen und Methodik bei der empirischen Analyse
Die vier Variablen des Erklärungsmodells werden in separaten Kapiteln empirisch untersucht: Zuerst soll geklärt werden, inwiefern durch die EMAS-Revision tatsächlich verbindliche KPI eingeführt wurden (abhängige Variable). Danach muss überprüft werden, in welcher Form Deutschland gegen die Einführung der KPI opponierte und ob es deshalb zu einem deutsch-europäischen Interessenkonflikt kam (intervenierende Variable). Dann sollen die typischen Multilevel Governance-Merkmale der EMAS- Revision herausgearbeitet werden, mit deren Hilfe die Konsensfindung hinsichtlich KPI strukturell erklärt werden kann (unabhängige Variable). Zuletzt soll ermittelt werden, inwiefern der Konsensfindungsprozess von strategischem Handeln bzw. von Deliberation geprägt war (vermittelnde Handlung). Jede der Variablen muss im Vorfeld der Analyse zunächst operationalisiert, d.h. mithilfe von Definitionen, Leitfragen und Indikatoren für die empirische Untersuchung praxistauglich gemacht werden. Die Operationalisierung erfolgt jeweils zu Beginn der einzelnen Variablen-Kapitel. Hier werden auch die Erhebungsmethoden erläutert, die sich je nach Untersuchungsgegenstand von Dokumentenanalysen, über Internet- und Literaturrecherchen bis hin zu Experteninterviews erstrecken. In den nächsten beiden Abschnitten sollen bereits vorweg einige pauschale Anmerkungen zur methodischen Vorgehensweise gemacht werden.
3.1.1. Zeitliche und sachlichen Eingrenzung der empirischen Analyse
Das MEV, das der EMAS-Revision als prozessualer Rahmen zugrunde lag, ermöglicht eine exakte zeitliche Eingrenzung der empirischen Analyse (Kapitel 3.4.4). Entlang dieses formellen Rahmens soll die Untersuchung eingegrenzt werden: Der Revisionsprozess begann also mit dem offiziellen Vorschlag der KOM und endete mit der Verabschiedung der neuen EMAS-Verordnung im Rat. Dabei müssen jedoch auch die gewachsenen strukturellen, politischen und kognitiven Rahmenbedingungen des Entscheidungsprozesses mit berücksichtigt werden. Deshalb ist für ein umfassendes Verständnis ggf. auch ein Blick in die Vergangenheit zu werfen. Im Modell des Politikzyklus, das idealtypisch die Phasen Agenda Setting, Politikformulierung, Politikimplementierung und Politikevaluierung als „logisch und zeitlich [...] lineare Folge" (Jann/Wegrich 2009: 84) begreift, ist der Revisionsprozess im Bereich der Politikformulierung anzusiedeln. Das Kreislaufmodell deutet jedoch bereits auf die kausalen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Phasen hin. So floss die Erfahrung bei der Implementierung von EMAS II maßgeblich in den Kommissionsvorschlag mit ein. Dieser bestimmte wiederum nachhaltig die Agenda des Entscheidungsprozesses usw.
Die sachliche Eingrenzung der Analyse wird bereits in der Forschungsfrage vorgenommen: Der Revisionsprozess soll nur hinsichtlich der Einführung verbindlicher Umweltleistungskennzahlen analysiert werden. Andere Policies der Revision werden nur untersucht, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der KPI-Debatte stehen.
3.1.2. Experteninterviews und Dokumentenanalyse als Erhebungsmethoden
In Kapitel 2.5.1. wurde darauf hingewiesen, dass sich qualitative Erhebungsmetoden für die Rekonstruktion des Revisionsprozesses am besten eignen. „Qualitative Methoden beruhen auf der Interpretation sozialer Sachverhalte, die in einer verbalen Beschreibung dieser Sachverhalte resultiert" (Gläser/Laudel 2009: 27). Typisch für sozialwissenschaftliche Erhebungen sind nicht Experimente mit den „Untersuchungsobjekten", sondern Beobachtungen „der sozialen Realität", durch die „Aufnahme der Daten, die in der sozialen Welt entstehen" (Gläser/Laudel 2009: 39). Diese werden in der Regel durch teilnehmende Beobachtungen, durch Dokumentenanalysen24 oder durch Experteninterviews25 gewonnen (Gläser/Laudel 2009: 39). Die empirische Analyse[24] [25] muss sich hier auf die letzten beiden Methoden beschränken, weil die EMAS-Revision längst abgeschlossen und eine Teilnahme am Prozess somit nicht mehr möglich ist.
Für die Befragung der an der EMAS-Revision beteiligten Experten stellt das sog. Leitfadeninterview die geeignetste Form dar. Das Leitfadeninterview ist ein teilstandardisiertes Interview, bei dem im persönlichen Gespräch mit dem Befragten eine vorbereitete Frageliste (Leitfaden) abgearbeitet wird (Gläser/Laudel 2009: 41-42). Der Leitfaden stellt eine Art Check-Liste dar, die der Fragende während einer möglichst natürlichen Konversation mit dem Interviewpartner abhakt (Gläser/Lausel 2009: 42). Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass der Interviewer im Gegensatz zum standardisierten Interview auf nicht vorhersehbare Aspekte einer Befragung spontan eingehen kann. So kann er ggf. Missverständnisse aufklären und zusätzliche, bei der Konstruktion des Fragebogens noch nicht antizipierbare, Informationen generieren (Gläser/Laudel 2009: 42-43). Trotz des offenen Gesprächsverlaufs gewährleistet der Leitfaden, dass alle vorgegebenen Themen besprochen werden, was z.B. bei offenen oder narrativen Interviews nicht zwingend der Fall sein muss (Gläser/Laudel 2009: 42). Die Fragen, die in den Interviewleitfaden[26] aufgenommen werden, sollen in den nachfolgenden Kapiteln separat erarbeitet werden.
Leitfadeninterviews sind in der Regel sehr aufwändig durchzuführen und nehmen sowohl beim Interviewpartner als auch beim Fragenden erhebliche Zeitressourcen in Anspruch. Sie sollen in dieser Arbeit daher nur subsidiär angewandt werden, d.h. wenn die Dokumentenanalyse nicht ausreicht, um den jeweiligen Sachverhalt in der gebotenen Tiefe zu erforschen. Durch eine geschickte Kombination der Erhebungsmethoden (Triangulation), soll die empirische Absicherung der Ergebnisse in ausreichendem Maße gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche und wie viele Experten zu einem bestimmten Sachverhalt befragt werden sollen. Die Frage der geeigneten Experten ergibt sich aus dem spezifischen Kontext des zu untersuchenden Gegenstandes und wird in den entsprechenden VariablenKapiteln abgehandelt. Wie viele Experten zu ein und demselben Thema befragt werden sollen, ist hingegen eine Ermessenentscheidung, in die einerseits methodische Überlegungen und andererseits forschungspraktische Erwägungen einfließen (Glä- ser/Laudel 2009. 104-105): Je mehr Experten befragt werden, desto größer ist die empirische Absicherung der Ergebnisse. Auf der anderen Seite sind die Interviews nicht nur aufwändig, sondern in bestimmten Fällen ist es auch schwierig, die wenigen beteiligten Experten für ein Interview zu gewinnen.
So gestaltete es sich auch nicht leicht, für die Untersuchung der EMAS-Revision geeignete Experten zu finden. Schon bei der Identifizierung potenzieller Experten ergaben sich Schwierigkeiten (vgl. z.B. Kapitel 3.3.4.1). Nur wenige Personen, die als Schlüsselakteure ausfindig gemacht wurden, beteiligten sich an der Befragung. Und das, obwohl die Anfragen sehr förmlich über eine renommierte Politikberatungsagentur kommuniziert wurden, die über gute Kontakte in die „EMAS-Szene" verfügt.[27] Immerhin standen zwei der drei deutschen Delegierten im Rat für ein Experteninterview zur Verfügung.[28] Sie gewährten einen detaillierten Einblick in die Arbeit des Rats und legten die KPI-Positionen Deutschlands umfassend dar. Leider kann nur das Interviewprotokoll mit der Delegationsleiterin aus dem BMU im Anhang dieser Arbeit veröffentlicht werden (Interview 1). Der Ländervertreter in der deutschen Delegation widersprach der Veröffentlichung des Protokolls (Interview 2)[29] Mit nur zwei Experteninterviews steht die empirische Basis dieser Arbeit scheinbar auf wackeligen Füßen. Dies kann mit Blick auf die Schwierigkeit der Informationsbeschaffung allerdings gerechtfertigt werden. Außerdem wird die empirische Erhebung durch umfassende Dokumentenanalysen ergänzt, sodass sich insgesamt ein stimmiges Bild vom EMAS- Revisionsprozess ergibt.
3.2. Abhängige Variable: Einführung verbindlicher KPI via EMAS III
Die Analyse der abhängigen Variablen lenkt den Blick auf den Policy-Output: die EMAS-III-Verordnung. Hier geht es um die Frage, ob mit der EMAS-Revision tatsächlich verbindliche Umweltleistungskennzahlen (KPI) eingeführt wurden bzw. welche Neuerungen hinsichtlich Umweltleistungskennzahlen EMAS III im Vergleich zu EMAS II bringt. Dabei soll konkret auf die Detailliertheit und Verbindlichkeit der alten und der neuen KPI-Regelungen eingegangen werden. Um diese Fragen jedoch sinnvoll beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, welches Begriffsverständnis von Umweltleistungskennzahlen (KPI) der Untersuchung zugrunde liegt.
3.2.1. Das Begriffsverständnis von Umweltleistungskennzahlen (KPI)
Der Begriff Umweltleistungskennzahl setzt sich zusammen aus den Worten Umweltleistung und Kennzahl. Unter Kennzahlen versteht man in der betrieblichen Praxis „absolute Zahlen und Verhältniszahlen [...], die in konzentrierter Form über einen zahlenmäßig erfaßbaren [sic!] betrieblichen Tatbestand informieren“ (Braun et al. 1995: 539) und damit ein sog. Benchmarking[30] ermöglichen. Der Begriff Umweltleistung (environmental performance) wird jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt (Perotto et al. 2008: 518). So variiert auch die Definition von Umweltleistungskennzahl mit dem jeweiligen Begriffsverständnis von Umweltleistung. In Wissenschaft, Politik und Praxis wurden zahlreiche Versuche unternommen, Umweltkennzahlen zu erarbeiten und zu standardisieren.[31] Dies hat bisher jedoch kaum zu einem einheitlichen Begriffsverständnis beigetragen (Perotto et al. 2008: 519). Je nach Zielsetzung werden Umweltkennzahlen für internationale, interregionale, intertemporale, branchenspezifische, betriebsinterne und/oder für Soll-Ist-Vergleiche eingesetzt (Meffert/Kirchgeorg 1993: 114; Günther et al. 2001: 5-7; Strandesen et al. 2008: 13-14).
Das Begriffsverständnis von Umweltleistungskennzahlen, das dieser Arbeit zugrunde gelegt wird, orientiert sich an dem EU-Standard der Operativen Leistungskennzahlen (OPIs)[32]. OPIs werden von der KOM wie folgt beschrieben:
Operative Leistungskennzahlen (OPIs) beziehen sich auf die Aspekte, die mit dem Betrieb einer Organisation, also ihren operativen Tätigkeiten, den Produkten oder Dienstleistungen, zusammenhängen, z.B. Emissionen, stoffliche Verwertung von Produkten und Rohstoffen, Kraftstoffverbrauch [...]. Zu den operativen Leistungskennzahlen gehören die Input-Kennzahlen, die Kennzahlen für technische Anlagen und Ausstattung und die Output-Kennzahlen. Sie beziehen sich vor allem auf die Planung, Steuerung und Überwachung der Umweltauswirkungen, die sich aus der Betriebstätigkeit der Organisation ergeben. Operative Leistungskennzahlen sind außerdem ein Instrument zur Kommunikation von Umweltdaten in Form von Umweltberichten oder Umwelterklärungen gemäß der EMAS-Verordnung. [...] (KOM 2003: Nr. 2)
Mithilfe der OPIs kann gemessen werden, wie sich die Umweltleistung einer Organisation im Zeit- und Branchenvergleich entwickelt. Dabei ist es für die Leistungsmessung wichtig, dass Umweltkennzahlen nicht nur als absolute Zahlen, sondern auch als Verhältniszahlen ermittelt werden. Denn aus volkswirtschaftlicher Sicht ist nicht die absolute Umweltbelastung einer Organisation entscheidend, sondern ihr Umweltkoeffizient (Meffert/Kirchgeorg 1993: 115). Der Umweltkoeffizient ist der Kehrwert der Umweltproduktivität und wird wie folgt gebildet (Meffert/Kirchgeorg 1993: 115):
Umweltverbrauch bzw. Emissionseinheiten
Umweltkoeffizient = — - -
Produktionesergebnis bzw. Gewinn
Die zentrale Bedeutung des Umweltkoeffizienten für die Messung der Umweltleistung kann an einem einfachen Beispiel veranschaulicht werden: Ein Unternehmen, das angibt, seine absoluten CO2-Emissionen in einer bestimmten Zeitperiode um 5% reduziert zu haben, könnte vorgeben, besonders klimafreundlich zu sein. Ist die Produktionsmenge des Unternehmens im gleichen Zeitraum allerdings um 10% zurückgegangen, so hat sich der Kohlenstoffausstoß pro Produktionseinheit nicht verbessert, sondern verschlechtert. Obwohl die absolute Umweltbelastung abgenommen hat, produziert das Unternehmen CO2-intensiver. Dies ist mit einer Verschlechterung der Umweltleistung gleichzusetzen. Denn die Umweltbelastung der Volkswirtschaft wird durch den Produktionsrückgang nicht abnehmen, wenn man davon ausgeht, dass die „Unterproduktion“ dieses Unternehmens durch die - ebenfalls Umweltressourcen in Anspruch nehmende - „Mehrproduktion“ anderer Unternehmen substituiert wird.
Wenn im Folgenden von Umweltleistungskennzahlen gesprochen wird, sind die hier beschrieben operativen Umweltkoeffizienten gemeint. Diese können auch als Key Peformance Indicators (KPI) oder Kernindikatoren bezeichnet werden.
3.2.2. Indikatoren und Vorgehen zur Erforschung der abhängigen Variablen
Die Erforschung der abhängigen Variablen umfasst einen Vergleich der einschlägigen Rechtsdokumente zu EMAS II und EMAS III. In erster Linie sollen die beiden EMAS- Verordnungen (EG 761/2001 und EG 1221/2009) hinsichtlich ihrer KPI-Bestimmungen verglichen werden. Aber auch die KPI-relevanten Rechtsakte, die vom sog. Artikel-14- Ausschuss (Kapitel 3.4.3.5.) erlassen wurden, sollen hierbei berücksichtigt werden.
Zunächst sind die Rechtstexte hinsichtlich der Buchstabenfolgen „indikator“ und „kennzahl“ zu durchsuchen. Die bloße Erwähnung dieser Stichworte in den EMAS- Verordnungen garantiert jedoch noch nicht, dass es sich hierbei um KPI im oben beschriebenen Sinne handelt und dass diese für alle Teilnehmer des Öko-Audits verbindlich sind. Daher müssen diejenigen Suchtreffer herausgearbeitet werden, die der soeben erarbeiteten Definition von KPI entsprechen. Danach erst soll geprüft werden, inwiefern diese Indikatoren verpflichtend für alle EMAS-Anwender sind. Indizien für keine bzw. eine geringe Verbindlichkeit von Formulierungen sind sog. Kannbestimmungen. Eine Kannbestimmung ist eine „Bestimmung, nach der im Einzelfall verfahren werden kann, aber nicht verfahren werden muss.“ (Duden 2007). Ferner sind die Verordnungstexte auf versteckte oder explizite Ausnahmeregelungen zu untersuchen. Hierbei muss ggf. auf technische Details der Regelungen eingegangen werden.
[...]
[1] Mitveranstalter der EMAS-Konferenz vom 02.12.2008 waren der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), die Deutsche Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter mbH (DAU), das Umweltbundesamt (UBA) und der Umweltgutachterausschuss (UGA) (BMU 2009: 8).
[2] EMAS-Statistik der EU-Kommission (2010), online verfügbar unter http://www.emas-register.eu/ statistic.php?view=all_sites, zuletzt geprüft am 30.03.2010.
[3] In der EU-27 existierten im Jahr 2006 über 20 Millionen aktive Unternehmen (Eurostat 2009: 19).
[4] Die Aussage des früheren Kommissionspräsidenten, dass 80% der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung auf EU-Ebene entschieden wird, ist in Fachkreisen umstritten (Peterson/Bomberg 2000: 4).
[5] Es werden drei Dimensionen fortschreiteder EU-Integration unterschieden (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 22): sektorale („Ausdehnung“), vertikale („Vertiefung) und horizontale („Erweiterung“).
[6] Zur Geschichte der EU-Integration aus intergouvememental Perspektive vgl. Moravcsik (1998).
[7] Die EU wurde durch den Vertrag von Maastricht am 7. Februar 1992 geschaffen. Vertrag über die Europäische Union (EUV). In: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 191.
[8] Stellvertretend für diese Strömung vgl. Keohane (1986) und Evans (1993).
[9] Als „Manifest“ des Neo-Institutionalismus gilt das Werk von March/Olsen (1989). Eine Übersicht über die unterschiedlichen Strömungen des Neo-Institutionalismus ist zu finden in Hall/Taylor (1996). Stellvertretend für den Rational-Choice-Institutionalismus vgl. Ostrom (1990); für den soziologischen Institu- tionalismus vgl. Powell/DiMaggio (1991), für den historischen Institutionalismus vgl. Steinmo (2002) und Pierson (2004) für den „Akteurzentrierten Institutionalismus“ vgl. Scharpf (2000).
[10] Einen Überblick über die Vielzahl (formaler) Modellierungen rationalen Akteurhandelns im Kontext der EU geben Kathan/Selck (2008). Neuere Abhandlungen stammen u.a. von Crombez (2000), Laruelle (2002), Selck/Steunenberg (2004) und Tsebelis/Garett (2000).
[11] Eine Zusammenfassung des „moderaten Konstruktivismus“ und einen Vergleich zum Rationalismus bietet Risse (2003). Zur Diskussion weiterer konstruktivistischer Ansätze siehe Wiener (2003).
[12] Für einen ersten Überblick siehe Selck/Veen (2008).
[13] Vgl. Joerges/Neyer (1997), Joerges/Vos (1999), Eichener (2000), Töller (2002), Gehring (2005) und Huster (2008).
[14] Für eine Blockade werden im Rat derzeit 101 von 345 Stimmen benötigt (Knill 2008: 116).
[15] Vgl. hierzu die Vetospieler-Theorie zusammengefasst in Tsebelis (2002).
[16] Die Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozessregulierung ist nicht immer unproblematisch. In der Landwirtschaft z.B. wirkt sich ein ökologischer Produktionsprozess auch auf die Produktqualität aus.
[17] Weitere Informationen zur „grünen Beschaffung“ auf dem GPP-Portal der KOM. Online verfügbar unter http://ec.europa.eu/environment/gpp/index_en.htm, zuletzt geprüft am 10.03.2010.
[18] Vgl. Working Paper 3: EMAS und öffentliche Auftragsvergabe. In: BMU 2009: 81-91.
[19] z.B. Frankreich (29 Stimmen), Belgien (12 Stimmen), Luxemburg (4 Stimmen), Italien (29 Stimmen).
[20] z.B. Irland (7 Stimmen), Portugal (12 Stimmen), Griechenland (12 Stimmen) und einige osteuropäischen Staaten (4-14 Stimmen).
[21] Die folgende Aufzählung der rationalistischen Prämissen ist z.T. angelehnt an Eichener 2000: 138.
[22] Der Supranationalismus hat seine Wurzeln im Neofunktionalismus bzw. im historischen Institutionalismus und wurde in der jüngeren Vergangenheit um die konstruktivistischen Ansätze eines soziologischen Institutionalismus ergänzt (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 22-23; 31-40).
[23] Schätzungen zufolge werden etwa 85 Prozent der Tagesordnungspunkte bereits in den Vorbereitungsgremien des Rates entschieden (Huster 2008: 39).
[24] Unter Dokumentanalyse wird hier die systematische Auswertung von schriftlich fixierten Quellen verstanden, die relevante Informationen über den Untersuchungsgegenstand enthalten können. Der Begriff „Dokumente“ umfasst in diesem breiten Verständnis u.a. Verordnungen, Gesetze, Richt- und Leitlinien, Geschäftsordnungen, Beschlüsse, Ausschussberichte; aber auch Studien, Statistiken, Policy-Paper, (graue) Literatur und Informationen aus dem Internet, sofern diese mithilfe eines Impressums bzw. einer Herausgeber- oder Autorenschaft verifiziert werden können.
[25] Das Begriffsverständnis von „Experte“ und „Experteninterview“ orientiert sich hier an der Definition von Gläser und Laudel (2009: 12): „‘Experte‘ beschreibt die spezifische Rolle des Interviewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden sozialen Sachverhalte. Experteninterviews sind eine Methode, dieses Wissen zu erschließen.“
[26] Der Interviewleitfaden wird im Anhang dieser Arbeit aufgeführt.
[27] Die zuständige Berichterstatterin im ENVI wurde vom Geschäftsführer der Politikberatungsagentur am 06.03.2010 persönlich angeschrieben. Mit E-Mail vom 10.03.2010 wurde die Anfrage abgelehnt. Die zuständige EMAS-Beamtin der Generaldirektion Umwelt wurde vom Geschäftsführer ebenfalls persönlich am 04.03.2010 angeschrieben. Es wurde nicht geantwortet. Die anonymisierten E-Mail- Korrespondenzen mit der KOM und dem ENVI sind im Anhang dieser Arbeit aufgeführt.
[28] Das dritte Delegationsmitglied war zum Zeitpunkt der Erhebung im Urlaub und lehnte eine Nacherhebung unter dem Hinweis auf anstehende Termine und Verpflichtungen per E-Mail vom 26.04.2010 ab. Die anonymisierte E-Mail ist im Anhang dieser Arbeit aufgeführt.
[29] Das Protokoll des Telefoninterviews vom 22.04.2010 darf auf Wunsch des Befragten nur sinngemäß, aber nicht im Wortlaut zitiert und auch nicht im Anhang dieser Arbeit aufgeführt werden. Da das Interview substanzielle Informationen enthält, die für den Erfolg dieser Arbeit entscheidend sind, wird es trotzdem verwendet. Es wird den Prüfern unter Zusicherung der Vertraulichkeit separat zur Verfügung gestellt.
[30] „Benchmarking, eine Methode, mit der Arbeits- und Produktionsprozesse, Managementtechniken, Produkte oder Bereiche im eigenen Unternehmen oder mit denen von Wettbewerbern verglichen werden. Dadurch sollen eigene Schwächen festgestellt und Möglichkeiten zur Verbesserung genutzt werden. Die Benchmark definiert somit Vergleichswerte, die zur Messung der tatsächlichen Zielsetzung verwendet werden, z. B. Organisation des Vertriebs im Ausland.“ (Pollert et al. 2001)
[31] Einen Überblick über die zahlreichen Ansätze bieten: Günther et al. 2001: 7-9; KOM 2003 : Anhang II; Perotto 2008: 519-521; Strandesen et al. 2008: 13.
[32] Die OPIs der EU sind angelehnt an den internationalen Standard für Umweltleistungsbewertung ISO 14031: 1999 (KOM 2003: Anhang I, Fußnote 1).
- Quote paper
- Christoph Märtterer (Author), 2010, Die Revision der EG-Öko-Audit-Verordnung (EMAS III) und die Einführung verbindlicher Umweltleistungskennzahlen (KPI), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164445
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