Walther von der Vogelweide gilt als der erste deutsche Berufsdichter, der in seinem Werk alle drei Genres der mittelhochdeutschen Literatur, das Minnelied, das religiöse Lied und den Sangspruch vereinigt. Der Reichston, ein dreistrophiger Zyklus, bestehend aus den Sprüchen Ich saz ûf eime steine, Ich hôrte ein wazzer diezen und Ich sach mit mînen ougen ist höchstwahrscheinlich zwischen 1197 und 1201 entstanden und in der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift (Hs. A), der Weingartner Liederhandschrift (Hs. B), sowie der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse; Hs. C) vollständig überliefert. Die Bezeichnung „Reichston“ stammt von Karl Simrock und ist insofern zutreffend, dass der Dichter sich in allen drei Strophen mit der damaligen politischen Lage des Reiches auseinandersetzt. Ulrich Müller sieht im Reichston zudem den Anfang politischer Lyrik in deutscher Sprache. Anders als Lieder, deren Strophen innerhalb kurzer Zeit verfasst wurden, muss man sich den Reichston als „gewachsene Einheit“ vorstellen, da zwischen der Entstehung der zweiten und dritten Strophe ein Abstand von mindestens drei Jahren herrscht. Die drei Reichssprüche zählen zu den am meisten behandelten Walthers, da ihre genaue Deutung bis heute umstritten ist. Demnach gibt es eine Fülle von Forschungsliteratur und unterschiedlichen Thesen. Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit der Interpretation der Strophen, wobei einige der Ansichten, die die Forschung bietet, einfließen. Die Untersuchung stützt sich hauptsächlich auf die Ausarbeitungen von Konrad Burdach, Richard Kienast, Matthias Nix, Manfred Günther Scholz, Günther Schweikle und Bernard Willson. Als Primärliteratur dient der Text aus Hs. A, da dieser aufgrund der chronologisch korrekten Strophen-Reihenfolge dem Original am ähnlichsten ist. Die Hss. B und C vertauschen dagegen die zweite und die dritte Strophe und auch der Wortlaut weicht an einigen Stellen, die für das Gesamtverständnis entscheidend sind, von Hs. A ab. Die Untersuchung beginnt mit Hintergrundinformationen, welche die politische Lage im Reich um 1200 betreffen. Es folgen Erläuterungen zur Entstehung des Reichstons, zum mittelalterlichen Ordo-Gedanken und zur Metrik und Form der Strophen. Ohne diese Erläuterungen ist ein umfassendes Verständnis der Sprüche nicht möglich. Der anschließenden ausführlichen Interpretation folgt im Schlussteil eine kurze Zusammenfassung.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zu den politischen Ereignissen im Reich von 1196-1201
- Zur Entstehung des Reichstones
- Der mittelalterliche Ordo-Gedanke
- Zur Metrik und Form
- Hauptteil: Interpretation
- Der Erste Reichsspruch: Ich saz ûf eime steine
- Der Zweite Reichsspruch: Ich hôrte ein wazzer diezen
- Der Dritte Reichsspruch: Ich sach mit mînen ougen
- Schlussteil: Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert den Reichston Walthers von der Vogelweide, ein dreistrophiger Zyklus, der sich mit der politischen Situation des Reiches zwischen 1197 und 1201 auseinandersetzt. Die Hauptaufgabe besteht darin, die drei Sprüche zu interpretieren und dabei unterschiedliche Forschungsansätze zu berücksichtigen.
- Die politische Lage im Reich während des Thronstreits zwischen Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig.
- Die Entstehung des Reichstones und die mögliche Rolle eines Auftraggebers.
- Die Bedeutung des mittelalterlichen Ordo-Gedankens für die Interpretation der Sprüche.
- Die Interpretation der einzelnen Sprüche und die darin enthaltenen Botschaften.
- Die Bedeutung des Reichstones für die Entwicklung der politischen Lyrik in deutscher Sprache.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt zunächst in die politische Lage im Reich zwischen 1197 und 1201 ein, um den historischen Kontext des Reichstones zu beleuchten. Anschließend wird die Entstehung des Reichstones beleuchtet und die mögliche Rolle eines Auftraggebers diskutiert. Darüber hinaus werden die Konzepte des mittelalterlichen Ordo-Gedankens sowie die Metrik und Form der Strophen erläutert.
Der Hauptteil beschäftigt sich mit der Interpretation der drei Reichssprüche. Zuerst wird der Erste Reichsspruch, "Ich saz ûf eime steine", analysiert. Anschließend wird der Zweite Reichsspruch, "Ich hôrte ein wazzer diezen", behandelt und schließlich der Dritte Reichsspruch, "Ich sach mit mînen ougen", interpretiert.
Der Schlussteil fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen und zieht ein Fazit.
Schlüsselwörter
Reichston, Walther von der Vogelweide, politische Lyrik, mittelalterlicher Ordo-Gedanke, Thronstreit, Philipp von Schwaben, Otto von Braunschweig, Staufer, Welfen, Papst Innozenz III., Interpretation, Forschungsstand, Primärliteratur, Handschriften, Metrik, Form.
- Quote paper
- M.A. Dagmar Ernst (Author), 2006, Der Reichston Walthers von der Vogelweide als literarisches und historisches Werk, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164162