Die Geschichte der Moderne wurde von Prof. Kittsteiner als in drei Stufen verlaufend vorgestellt. In dem vorliegenden Essay wird der von Kittsteiner bereitgestellte Reflexionsrahmen für die Reflexion des Schaffens von Richard Wagner fruchtbar gemacht. Wagner wird als Exponent der Bewegungsmoderne vorgestellt. Gleichzeitig wird skizziert wie er Ideen der heroischen Moderne antizipierte und damit als geistiges Bindeglied zu avantgardistischen Strategien des 20. Jahrhunderts diente.
I. Einleitung
Die Evolution der Moderne wurde von Prof. Kittsteiner1 als in drei Stufen verlaufend vorgestellt. In dem vorliegenden Essay wird der von Kittsteiner bereitgestellte Reflexionsrahmen für die Geschichte Richard Wagners fruchtbar gemacht. Wagner wird als Exponent der Bewegungsmoderne vorgestellt. Gleichzeitig wird skizziert wie er Ideen der heroischen Moderne antizipierte und damit als geistiges Bindeglied zu avantgardistischen Strategien des 20. Jahrhunderts diente.
Die mittlere der drei Stufen die Bewegungs- oder Fortschrittsmoderne steht mithin im Zentrum dieses Textes. Die ihr vorangegangene Stabilisierungsmoderne prägten im 17. Jh. auf religiöser Ebene wesentlich die Auseinandersetzungen und Bändigung der christlichen Konfessionen. Die vielfältige Religionskritik der Aufklärer im 18. Jh. trug weiterhin zur abnehmenden Weltdeutungskraft der christlichen Konfessionen bei. Die zweite Stufe, von Kittsteiner Bewegungs- oder Fortschrittsmoderne genannt, erstreckte sich etwa über den Zeitraum von 1780 - 1880. Diese charakterisierten insbesondere die sich zunehmend beschleunigenden Umwälzungen gesellschaftlicher und kultureller Prozesse - maßgeblich bewirkt durch Industrialisierung und Revolutionen. Diese Entwicklungen waren eng verbunden Aufkommen eines primär rationalistischen, naturwissenschaftlich-ökonomischen Weltzugriffs. Die Offenbarungsreligionen gerieten mehr und mehr unter Druck, während sich gleichzeitig die religiösen Angebote vervielfältigten. Die Bindungskraft der einzelnen Konfessionen schwächte sich weiter ab. Wandlungen gingen beispielsweise hin zur pietistischen Verinnerlichung (18. Jh.), zu „ Ersatzreligionen “ wie Hegels Weltgeist2 (Ende 18.Jh.) und letztlich zu radikaleren Religionskritiken wie zum Beispiel von Feuerbach und David Friedrich Strauß (beide erste Hälfte des 19. Jh.). Die religionskritischen Überlegungen der Aufklärer des 18. Jahrhunderts wirkten zu ihrer Entstehungszeit überwiegend beschränkt, auf akademisch-theologischer Ebene. Im nachfolgenden Jahrhundert, angesichts massiver neuer Kritik, Problemen und fundamentalen Umwälzungen entwickelte sich das neue Phänomen der „ Bildungs- und Kunstreligion des Bürgertums “ 3.
Ein Protagonist dieser war Richard Wagner. Sein Wirken fällt in diese Zeit, der andauernden sich beschleunigenden Veränderung. In Leben und Werk des Komponisten, Dichters und Schriftstellers Richard Wagner (1813 - 1883) schlug sich in vielfältigster Weise die von ihm tief empfundene verwirrende Instabilität seiner Zeit nieder. Als Angehöriger des Bürgertums suchte er in seinem Kunstschaffen nach Kompensationsmöglichkeiten für diese. Nachfolgend wird in drei Schritten die enge Verknüpfung Wagners zu seiner Zeit und das nur aus dieser Verwobenheit verständliche Konzept des „ Gesamtkunstwerkes “ als Wagners „ Kunstreligion “ 4 in seinen Kernpunkten skizziert. Dazu wird zuerst seine, aus der Erfahrung von vielseitigster Desintegration menschlichen Lebens und Entfremdung gespeiste, Erlösungssehnsucht, als wesentliche Triebkraft und Kernproblem seines Schaffens, erörtert. Danach werden wesentliche Bezüge seines Denkens zu zeitgenössischen Diskursen kurz vorgestellt, indem einige Denkstationen seines Lebens skizziert werden. Den dritten Teil der Ausführungen bildet eine knappe Analyse seines Konzeptes vom Gesamtkunstwerk und welche Bezüge dieses zu Religiösem aufweist. Denn in diesem ist der ideologische Kern seines Erlösungsprojektes zu finden und gleichzeitig „ die Leitidee der späteren historischen Avantgarden [ … ] präformiert “ 5 . Die dafür in der Literatur über Wagner verwendeten Bezeichnungen sind dabei fast so vielfältig wie diese selbst. So lesen wir unter Anderem „ Kunstreligion “ 6, „ verkappte Religion “ 7, „ Rettungs- und Erlösungsphilosophie “ 8, „ totalitäre Kunst “9, „ Kunstmythos als Zivilreligion “ 10 oder auch angelehnt an Max Weber die Bezeichnung als „ästhetischer Fundamentalismus “ 11. Sein (durchaus wandelbares) Konzept wurde mit verschiedenen häufig polemischen Bezeichnungen bedacht, die im Kern aber oft Ähnliches meinen.
Wesentliche Quellen für die Erfassung der Wagnerschen Kunstauffassung sind die so genannten Züricher Kunstschriften.12 Diese Schriften markieren einen durch Wagner selbstgewählten Zwischenhalt in dessen Schaffen. Die Kunstschrif]ten sind ästhetische Reflexionen, die zugleich historisch-politische Aspekte berühren, da diese Sphären von ihm als eng interagierend auffasst werden. Sie reflektieren, vor dem Hintergrund der gescheiterten Revolution von 1848/9, die gesellschaftlichen Aufgaben und Möglichkeiten einer neuen Kunst der Zukunft. 1848/9 hatte die von ihm und anderen Intellektuellen erhoffte Umwälzung der religiösen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse nicht stattgefunden. Sein persönlicher Weg der Kompensation bestand darin, dass er im Züricher Exil daran ging, die ausgebliebene Erneuerung und deren Umstände nun theoretisch zu durchdenken und diese Überlegungen dann in einem programmatischen Konzept für eine Neuen Oper niederzulegen. Dieser Entwurf prägte Wagners Schaffen bis an dessen Lebensende mit wechselnder Intensität, aber gleichwohl immer maßgeblich.
II. Hauptteil
II.1 Leiden an der Welt
Richard Wagner erfasste das Leiden an der Welt als Grundproblematik seiner Zeit: Der Mensch sei der Erfahrung von Leiden ausgesetzt und die Suche nach Erlösung vom Leiden muss, nach der Destruktion der Offenbarungsreligion, jenseits von dieser stattfinden. Jedoch erschienen ihm die zu seiner Zeit verfügbaren Alternativen unbefriedigend.
Indem er die Religionskritik seiner Zeit rezipierte, wurde ihm deutlich, dass dieses Leiden nicht mehr leicht auf etwas Jenseitiges hin sinnvoll deutbar war. Beziehungsweise erschienen die Offenbarungsreligionen ihm bald sogar als Teil des Problems, denn das Leiden bestand für ihn zuvorderst in dem Auseinanderfallen von Mensch und Natur. Auseinanderfallen bedeutete im Einzelnen die Entfremdung von Geist und Natur, von Kunst und Leben und Kunst und Religion. Dies seien weiterhin Manifestationen einer desintegrierten Gesellschaft, geprägt durch lebensfeindliche Sinnes- und Gefühlsfeindlichkeit, abstrakten Moralismus und Jenseitsorientierung. Insbesondere das Christentum machte er dafür verantwortlich. Aus der Aufklärung und den modernen Wissenschaften sah er schädlichen (Über-)Rationalismus, die negative Dominanz der technisch-ökonomischen Rationalität und die damit verbundene zunehmende Ungleichheit der Menschen hervorgehen.13 14 Seine Problemerkenntnis bewegt sich auf der Höhe der damaligen Zeit. Nicht zuletzt aufgrund persönlicher Not beeinflussten Wagner in seinem Denken und Werk sowohl frühsozialistische wie anarchistische Ideen.
Als (Er-)Lösungsmöglichkeit, mithin als einen Weg die Menschen zurück zu führen zur Einheit, sah er - wie die Avantgardisten des zwanzigsten Jahrhunderts - die Kunst an. Wagner konstruierte, die Vision einer „Erlösung der Menschheit“ durch eine Zusammenhalt stiftende, gemeinschaftliche, ästhetische Erfahrung mit dem Ziel der Aufhebung der gesellschaftlichen Gegensätze. Während sich im Laufe seines Leben seine Weltauffassung durchaus änderte, das heißt Inhalte seines Nachdenkens über die Welt und seine Überzeugungen variierten, blieb eine Grunddisposition seines Strebens konstant erkennbar. Diese Grunddisposition war die Suche nach Erlösung vom Leiden, von welchem die Welt vornehmlich geprägt sei. Es war der Versuch Wagners, nach der Erfahrung von Leiden - entstanden aus den Veränderungen der Bewegungsmoderne -, dieses sinnvoll zu deuten und das Bedürfnis nach Heilung bzw. Rettung zu erfüllen.15
II.2 Denkstationen auf der Suche nach Erlösung
Im folgenden Abschnitt wird skizziert, welche Strategien Wagner verwandte um seiner sozial-utopischen Idee einer neuen Einheit von Kunst und Leben, der Kulturkunst, näher zu kommen. BREUER16 formuliert in Anlehnung an M. Weber einige grundsätzliche Optionen von Erlösungswegen. Die Möglichkeit der Fremderlösung, durch ein transzendentes Wesen, schied für Wagner nach der Rezeption der Feuerbachschen Religionskritik, in den 1830er Jahren, und erst recht unter dem späteren Einfluss von Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung (1854), von vornherein aus. Es verblieb demnach die Selbsterlösung des Menschen. Diese differenziert Breuer in fünf idealtypische Unterkategorien: Abgelehnt wurden von Wagner die Askese und die Ritualisierung. Es verblieben: erstens die Sozialen Leistungen, zweitens die Selbstvergottung und drittens der Weg der Mystik bzw. Kontemplation. In Wagners Leben und Schaffen sind Denkmuster nachweisbar die diesen drei Strategien zuzuordnen sind. Sie prägen sich in unterschiedlichen Stadien seines Lebens und Schaffens verschieden stark aus.
Zu Erstens17: Wagner war aktiv im Vormärz und an den revolutionären Bewegungen um 1848/9 beteiligt. Er war beeinflusst durch frühsozialistische Positionen, so zum Beispiel Distanz zur bürgerlichen Eigentumsordnung, Staat und christlicher Religion. Er beschrieb die Arbeit in Fabriken als „ [ … ] beständiges geist- und leibtötendes Mühen ohne Lust und Liebe und oft fast ohne Zweck [ … ] “ 18 und erkannte darin den abstrakten leib- und sinnesfeindlichen Rationalismus wieder. Diesen sah er in der „ Willkürherrschaft des Verstandes “ 19 und der Totalität des wissenschaftlichen Weltzugriffs verwurzelt. Zeitüberwindung hieß für ihn demzufolge auch Überwindung der Wissenschaft.20
[...]
1 Ich beziehe mich auf einen Vortrag gehalten im Rahmen der Ringvorlesung Die Modernisierung der Religion - Religion und Moderne im SS 2007 und auf die Seminare von Prof. Dr. Kittsteiner zur Religion in den Stufen der Moderne im WS 2006/07 und SS2007. Des Weiteren basieren die einleitenden Ausführungen auf einem unveröffentlichten Vortragsskript Kittsteiners zum selben Thema.
2 Hegel verlagert den Sinn in die Geschichte.
3 Vgl. KITTSTEINER, 9.
4 Ein Begriff, der erstmals bei Hegel erscheint. Kunstreligion bezeichnet die Durchdringung der Kunst mit religiösen Aufgaben und Strategien, wie zum Beispiel das Göttliche, Überzeitliche oder Absolute durch Anschauung gegenwärtig zu machen.
5 BARCK, 553.
6 BREUER, 150 & KITTSTEINER, 9.
7 GREGOR-DELLIN, 325 - 345.
8 Wagner, Siegfried in JUNGHEINRICH, 136.
9 MORK, 60f.
10 BERMBACH, 190 - 197.
11 BREUER, 150.
12 Darunter fallen Die Kunst und die Revolution (1849), Das Kunstwerk und die Zukunft (1849) und Oper und Drama (1851).
13 Vgl. BREUER 145 & 151; MORK, 50f.
14 So sei die „ Geldknechtschaft “, etwa in der Industrie, die Sklaverei der modernen Welt. (Vgl. GREGOR-DELLIN 328.)
15 Vgl. MORK, 48f.
16 Vgl. BREUER, 145ff.
17 Vgl. BREUER, 150-153.
18 Wagner, Richard in BREUER, 152.
19 BREUER, 153.
20 Weitere wichtige Einflüsse kamen von anarchistischen Denkern wie Bakunin und Proudhon.
- Arbeit zitieren
- M.A. Thomas Steller (Autor:in), 2008, Die Kunst der Zukunft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164056
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