Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung steht für die Idee, dass soziale, wirtschaftliche und ökologische Zielsetzungen grundsätzlich nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern gleichzeitige Berücksichtigung finden müssen, um eine gemeinsame und langfristig tragbare Entwicklung zu erzielen.
Mit dem Abschlussdokument „Die Agenda 21“ der 1992 in Rio de Janeiro stattgefundenen Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen wurde in 40 Kapiteln ein Aktionsplan für die dringlichsten Fragen des 21. Jahrhunderts geschaffen. Kapitel 28 der Agenda 21 beinhaltet eine Aufforderung speziell an die Kommunen, in eigener Verantwortung einen Beitrag zur globalen Zielsetzung zu leisten, da sich vor allem auf kommunaler Ebene eine große Anzahl möglicher Betätigungsfelder für nachhaltiges Handeln bietet. Viele der Probleme haben ihre Wurzel in den lokalen Gemeinden.
Viele Gemeinden in der Steiermark haben sich gemeinsam mit ihrer Bevölkerung dem Prinzip der Lokalen Agenda 21 verschrieben und so verbindliche Leitziele und Maßnahmen für die nächsten Jahrzehnte entwickelt, die viele positive Effekte mit sich gebracht haben. Dennoch ist die Lokale Agenda dem Großteil der Bevölkerung unbekannt und als langfristiger Prozess nicht ausreichend institutionalisiert.
Die Ökologische Landentwicklung (ÖLE) unterstützt die steirischen Gemeinden bei der Durchführung von nachhaltigen Entwicklungsprogrammen. Diese Tätigkeit ist zwar unablässig, dennoch sind die Gemeinden vor allem selbst dafür verantwortlich, den Prozess langfristig zu etablieren. So werden in dieser Arbeit zahlreiche Bedingungen aufgelistet, die für die Stabilisierung der kommunalen Agenda-Prozesse nötig sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung
1.2 Vorgehensweise
2. Der konzeptionelle Rahmen
2.1 Grundzüge der Debatte um Nachhaltigkeit
2.2 Die Lokale Agenda 21
3. Die Kommune als Ort für nachhaltige Entwicklungen
3.1 Die Rolle der Kommunen
3.2 Akteure im kommunalen Kontext
4. Stabilisierung eines leitbildgesteuerten Prozesses im kommunalen Umfeld
4.1 Notwendigkeit einer Prozess-Stabilisierung
4.2 Bedingungen zur Stabilisierung
5. Handlungsempfehlungen zur Stabilisierung von Lokalen Agenda-Prozessen
5.1 Politisch-administrative Einbindung
5.2 Innerkommunale und interkommunale Vernetzungen
5.3 Partizipation und bürgerschaftliches Engagement
5.4 Strukturelle Integration
5.5 Bildungsarbeit
5.6 Popularisierung
5.7 Nachhaltigkeitscontrolling
5.8 Effizientes Prozessmanagement
6. Fazit
7. Quellenverzeichnis
8. Anhang
8.1 Fragebogenerhebung Bürgermeister
8.2 Fragebogenerhebung Aktivbürger
8.3 Fragebogenerhebung Bevölkerung
8.4 Fragebogenerhebung Regionalbetreuer
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen
Abbildung 1: Phasenmodell eines LA 21-Prozesses
Abbildung 2: Haupt- und Unterzielgruppen im kommunalen Nachhaltigkeitsprozess
Abbildung 3: Wichtigkeit der Funktion des Bürgermeisters für die Weiterführung der LA 21
Abbildung 4: Wichtigkeit der Akzeptanz und Unterstützung des Bürgermeisters für eine Weiterführung der LA 21
Abbildung 5: Einbeziehung der Verwaltung und ihres Fachwissens in den Prozess
Abbildung 6: Vorrangige Themenbehandlung im Gemeinderat
Abbildung 7: Zuweisung von nachhaltigen Themen
Abbildung 8: Entscheidende Faktoren für die Umsetzung einer Politik für Nachhaltigkeit
Abbildung 9: Überprüfung der Zielerreichung des Prozesses
Abbildung 10: Durchführung regelmäßiger Anpassungen von Zielen, Maßnahmen und Indikatoren
Abbildung 11: Aufrechterhaltung von Vernetzungen bzw. Kooperationen
Abbildung 12: Hemmnisse in Bezug auf die Aufrechterhaltung von Vernetzungen bzw. Kooperationen laut Aktivbürgern
Abbildung 13: Wichtige Akteure für längerfristige Kooperationen laut Regionalbetreuer
Abbildung 14: Engagementbereitschaft der Bevölkerung
Abbildung 15: Geschlechterstruktur der Aktivbürger
Abbildung 16: Altersstruktur der Aktivbürger
Abbildung 17: Höchster Ausbildungsabschluss der Aktivbürger
Abbildung 18: Fluktuationsprobleme bei Aktivbürgern
Abbildung 19: Hemmnisse in Bezug auf die Fluktuation der Aktivbürger
Abbildung 20: Bekanntheit des Begriffs Lokale Agenda 21 in der Bevölkerung
Abbildung 21: Assoziationen mit dem Begriff der Lokalen Agenda 21
Abbildung 22: Informationsmedien im LA 21-Prozess
Abbildung 23: Erfolgreiche Methoden der Öffentlichkeitsarbeit im LA 21-Prozess
Abbildung 24: Übergabe der Moderation nach Betreuung durch die ÖLE
Abbildung 25: Kommunikations- und Gemeindezentrum Treglwang
Abbildung 26: Schulagenda Großsteinbach
Abbildung 27: Wanderausstellung Gemeinde Brodingberg
Abbildung 28: Nachhaltigkeitskompass
Abbildung 29: Vorbereitungsphase
Abbildung 30: Startphase
Abbildung 31: Leitbildphase
Abbildung 32: Umsetzungsphase
Abbildung 33: Politisch-administrative Einbindung
Abbildung 34: Vernetzung gesellschaftlicher Akteure
Abbildung 35: Partizipation und bürgerschaftliches Engagement
Abbildung 36: Strukturelle Integration
Abbildung 37: Bildungsarbeit
Abbildung 38: Popularisierung
Abbildung 39: Nachhaltigkeitscontrolling
Abbildung 40: Effizientes Prozessmanagement
Tabellen
Tabelle 1: Vorbildfunktion der Gemeinde in Bezug auf Nachhaltigkeit
Tabelle 2: Beispielgebendes Handeln der Gemeinde
Tabelle 3: Einbindung der Verwaltung in den Prozess
Tabelle 4: Themenbehandlung im Gemeinderat
Tabelle 5: Zuweisung von nachhaltigen Themenstellungen
Tabelle 6: Wichtigkeit der Funktion des Bürgermeisters für die Weiterführung des LA 21-Prozesses
Tabelle 7: Notwendigkeit politischer bzw. rechtlich abgesicherter Beschlüsse
Tabelle 8: Verwendung des Aktionsplanes für zukünftige Entscheidungen
Tabelle 9: Erfahrungsaustausch bzw. Zusammenarbeit zwischen LA 21-Gemeinden
Tabelle 10: Art des Erfahrungsaustausches bzw. der Zusammenarbeit zwischen LA 21-Gemeinden
Tabelle 11: Stellenwert der Bürgerbeteiligung
Tabelle 12: Vorhandensein von Bildungs- bzw. Fortbildungsaktivitäten in der Gemeinde
Tabelle 13: Konkrete Bildung- bzw. Fortbildungsaktivitäten in der Gemeinde
Tabelle 14: Bekanntheit der Bildungsinitiative STARK unter den Bürgermeistern
Tabelle 15: Erhebungen zu den Wünschen der Bürger
Tabelle 16: Arten der Bürgererhebungen
Tabelle 17: Öffentlichkeitsarbeit durch den Bürgermeister
Tabelle 21: Geschlechterstruktur der Aktivbürger
Tabelle 22: Altersstruktur der Aktivbürger
Tabelle 23: Höchster Ausbildungsabschluss der Aktivbürger
Tabelle 24: Wichtigkeit des Bürgermeisters für die Weiterführung des Prozesses
Tabelle 25: Aufrechterhaltung von Vernetzungen bzw. Kooperationen
Tabelle 26: Hemmnisse in Bezug auf Aufrechterhaltung von Kooperationen
Tabelle 27: Aufrechterhaltung der Anzahl der Beteiligten
Tabelle 28: Hemmnisse in Bezug auf die Fluktuation der Beteiligten
Tabelle 29: Anderwärtiges Engagement der Aktivbürger
Tabelle 30: Art des Engagements der Aktivbürger
Tabelle 31: Bekanntheit der Bildungsinitiative STARK unter den Aktiven
Tabelle 32: Gleichberechtigte Berücksichtigung der drei Dimensionen
Tabelle 33: Bekanntheit des Begriffs Lokale Agenda in der Bevölkerung
Tabelle 34: Assoziationen mit dem Begriff Lokale Agenda
Tabelle 35: Art der Aufklärung über den Begriff Lokale Agenda
Tabelle 36: Engagementbereitschaft in der Bevölkerung
Tabelle 37: Wissensstand über die Gemeindesituation
Tabelle 38: Einstellung zu einer nachhaltigen Zukunft
Tabelle 39: Tatsächliches Handeln für eine nachhaltige Zukunft
Tabelle 40: Wichtigkeit einer politisch-administrativen Einbindung für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 41: Wichtigkeit einer strukturellen Integration für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 42: Wichtigkeit einer inner- und interkommunalen Vernetzungsarbeit für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 43: Wichtigkeit von Partizipation und bürgerschaftlichem Engagement für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 44: Wichtigkeit einer Bildungsarbeit für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 45: Wichtigkeit der Popularisierung für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 46: Wichtigkeit eines effizienten Prozessmanagements für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 47: Wichtigkeit eines Nachhaltigkeitscontrollings für die Stabilisierung der LA 21
Tabelle 48: Wichtigkeit der Akzeptanz und Unterstützung des Bürgermeisters für eine Weiterführung der LA 21
Tabelle 49: Entscheidende Faktoren für die Umsetzung einer Politik für Nachhaltigkeit
Tabelle 50: Prioritätensetzung in Bezug auf die Umsetzung der erarbeiteten Ziele und Maßnahmen
Tabelle 51: Schaffung neuer Kooperationen durch die LA 21
Tabelle 52: Neu gefundene Kooperationszusammenschlüsse
Tabelle 53: Problem der Aufrechterhaltung von Kooperationen
Tabelle 54: Hemmnisse in Bezug auf längerfristige Kooperationsbildungen
Tabelle 55: Erfolg von formellen bzw. informellen Kooperationen
Tabelle 56: Wichtigkeit der Einbeziehung verschiedener Akteure für langfristige Kooperationen
Tabelle 57: Erfahrungsaustausch mit anderen LA 21-Gemeinden
Tabelle 58: Arten des Erfahrungsaustausches bzw. der Zusammenarbeit mit LA 21-Gemeinden
Tabelle 59: Potenzial einzelner Gruppen für den Prozess
Tabelle 60: Problem der Fluktuation der Aktivbürger
Tabelle 61: Gründe für die Fluktuation der Aktivbürger
Tabelle 62: Wichtigkeit struktureller Institutionalisierungen in der Gemeinde
Tabelle 63: Wichtigkeit einer Grundbildung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für Bürgermeister
Tabelle 64: Wichtigkeit einer Grundbildung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für Verwaltungsmitarbeiter
Tabelle 65: Wichtigkeit einer Grundbildung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für Wirtschaftstreibende
Tabelle 66: Wichtigkeit einer Grundbildung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für Bürger
Tabelle 67: Kommunizierbarkeit des Leitbildes Nachhaltigkeit
Tabelle 68: Erfolg von unterschiedlichen Methoden der Öffentlichkeitsarbeit
Tabelle 69: Überprüfung der Zielerreichung des Prozesses durch Nachhaltigkeitsindikatoren
Tabelle 70: Durchführung von regelmäßigen Anpassungen von Zielen, Maßnahmen und Indikatoren
Tabelle 71: Allgemeine Erfolge der Lokalen Agenda 21
Tabelle 72: Moderationsübergabe nach Abschluss der Betreuung durch die ÖLE
Tabelle 73: Stabilisierung des Prozesses nach Abschluss der Betreuung durch die ÖLE
Tabelle 74: Typische Hemmnisse bezüglich Stabilisierungen von LA 21-Prozessen
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung
Angesichts der zunehmenden Globalität und Vernetzung der Probleme erstaunt die gegenläufige Initiative der Lokalen Agenda 21, welche eine Lösung im Lokalen vermutet. Die 1992 in Rio begründete und seitdem in Kommunen auf der ganzen Welt fortgeführte Initiative der Lokalen Agenda 21 ist eine Revolution der kleinen Schritte, welche die öffentlichkeitswirksamen globalen Proklamationen sinnvoll ergänzen und unterstützen kann.
So fortschrittlich dieses Programm und der daraus abgeleitete Handlungsbedarf ist, so gering ist demgegenüber seine institutionelle Absicherung. Bei der Lokalen Agenda 21 handelt es sich jedoch um kein mit formalen Sanktions- oder Belohnungsmechanismen versehenes Normensystem. Kommunen, die ihrem Aufruf Folge leisten, tun dies auf freiwilliger Basis.
Diese geringe institutionelle Absicherung von Nachhaltigkeit ist Gegenstand einer Vielzahl von wissenschaftlichen Betrachtungen. Denn vor dem Hintergrund der breiten Zustimmung zur Bedrohlichkeit globaler Umwelt- und Entwicklungsprobleme und zur Dringlichkeit des Handelns erscheint diese lasche Form der Zielvereinbarung in höchstem Maße unzureichend und das Problem der langfristigen Implementierung einer nachhaltigen Entwicklung nicht hinreichend gelöst. Ziel soll es daher sein, vor allem auf kommunaler Ebene Bedingungen zur Stabilisierung des Agenda-Prozesses zu finden, damit lokale Gemeinschaften ihre Rolle bei der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung wahrnehmen können.
1.2 Vorgehensweise
Arbeitshypothese
Es stellt sich also die Frage, wie die Agenda-Prozesse institutionell verankert werden können, dass sie nicht in Nischen abgedrängt werden oder als Legitimationsmäntelchen benutzt werden, sondern nachhaltige Lern- und Veränderungsprozesse in Gang setzen und somit wirklich als Prozess wahrgenommen werden.
Eine einfache Zielsetzung für diesen Wandel, welcher mit klar definierten Mitteln erreicht werden kann, ist nicht möglich. Zentrale Hypothese ist es, dass nur dann eine Chance für eine dauerhafte Stabilisierung der Lokalen Agenda besteht, wenn ein komplexer organisatorischer Wandlungsprozess vonstatten geht. Ein Wandlungsprozess steht immer im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Werten, Normen und Konventionen.
Dieser Wandel kann also weder strikt „top-down“ noch ausschließlich „bottom-up“ verlaufen. Reformen müssen an vielen Stellen des Systems ansetzen und nicht nur von einer Stelle ausgehen. Diese Polyzentralität bewirkt unter anderem, dass bei eventuellen Blockaden an einer Stelle (bei einem Akteur) diese umgangen werden und der Wandel dennoch weitergehen kann. Wenn es also im Nachhaltigkeitsprozess um eine langfristige Stabilisierung geht, muss ein ganzheitlicher Ansatz gewählt werden.
Aufbau
In einem ersten Schritt wird in Kapitel 2 zunächst der konzeptionelle Rahmen geklärt. Dies geschieht auf Basis der in der Diskussion vorgetragenen Argumente, Konzepte und Begriffsdefinitionen. Im Sinne einer Bestandsaufnahme wird versucht zu erklären, welche Ziele und Interpretationsansätze sich hinter dem scheinbar einfachen Konzept der Nachhaltigkeit und im nachfolgenden hinter dem der Lokalen Agenda verbergen.
Kapitel 3 diskutiert vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interpretationsansätze von Nachhaltigkeit, welche Rolle den Kommunen bei ihrer Umsetzung zukommt. Hierzu werden zusätzlich die kommunalen Akteure aufgezeigt und konkretisiert.
Kapitel 4 versucht die Notwendigkeit einer Stabilisierung von Agenda-Prozessen im lokalen Kontext aufzuzeigen und Bedingungen zur Stabilisierung zu erstellen. Diese Bedingungen zur Stabilisierung sind jedoch nicht als Rezeptwissen zu verstehen, die den einzelnen Kommunen schließlich angeboten werden können. Vielmehr sollen sie als Hinweise auf strategische Ansatzpunkte verstanden werden, die dann von lokalen Agenda-Akteuren, von Gemeindeverantwortlichen und Regionalbetreuern an den eigenen lokalen Kontext angepasst werden können.
Das fünfte Kapitel widmet sich aufbauend auf der Problemsicht in Kapitel 4 schließlich den Handlungsempfehlungen von Stabilisierungsmaßnahmen. Hierbei wurden einzelne
Stabilisierungsbedingungen einer intensiveren Analyse unterzogen und daraus konkrete Strategieempfehlungen abgeleitet.
Abgerundet wird die Arbeit mit einer kurzen Zusammenfassung der Ergebnisse. Der Anhang beinhaltet die zusammengefassten Befragungsergebnisse der einzelnen Zielgruppen der Erhebung.
Methodik
Die Darstellung der wichtigsten Theorien und die Analyse einzelner Schwerpunktthemen erfolgt über eine ausführliche Literaturanalyse, wobei hierfür sowohl grundlegende Standardwerke wie auch entsprechende Sekundärliteratur (aktuelle Analysen) herangezogen wurden. Ebenso nützte ich das Internet als Recherchemedium.
Im Zuge der Arbeit wurde eine empirische Erhebung in Form von halb-standardisierten Fragebögen (November 2004 – Jänner 2005) in vier Gemeinden durchgeführt (siehe Anhang). Zusätzlich wurden Erhebungen unter den Regionalbetreuern der Ökologischen Landentwicklung durchgeführt, um auch Expertenwissen mit einfließen zu lassen. Anhand einer Zustandanalyse soll dann versucht werden, konkrete Empfehlungen für die Stabilisierung des LA 21-Prozesses auf Gemeindeebene abzuleiten. Zusätzlich wurden persönliche Gespräche mit Aktivbürgern und Frau Sabine Baumer vom Umwelt-Bildungs-Zentrum Steiermark geführt.
Wie bei jeder empirischen Erhebung besteht die Gefahr der Verallgemeinerung der Befragungsergebnisse. Mit dieser Erhebung stelle ich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern versuche vielmehr, die Erfahrungen und Erkenntnisse im Zuge des LA 21-Prozesses als Momentaufnahme darzustellen.
2. Der konzeptionelle Rahmen
2.1 Grundzüge der Debatte um Nachhaltigkeit
Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch raschen Wandel. Globalisierung und Informationsgesellschaft, Wettbewerb und technischer Fortschritt sind Schlagworte, die die öffentliche Diskussion beeinflussen. Durch diesen raschen Wandel treten gleichzeitig neue Probleme und Herausforderungen in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht auf. Hier sind einerseits soziale Probleme wie die langfristige Sicherung der Altersvorsorge oder die steigende Arbeitslosigkeit, aber auch globale Umweltprobleme wie das Ozonloch und der Treibhauseffekt und die wirtschaftliche Herausforderung durch globale Konkurrenz und die Gefährdung von Standorten durch ungehinderte Mobilität von Kapital zu nennen.
Die Frage nach Kriterien, Konzepten und Strategien zur Umsetzung einer dauerhaft erhaltbaren Entwicklung der Menschheit nahm demnach in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung zu. Wir brauchen daher ein neues Planungs- und Politikkonzept, das uns eine solide langfristige Zielsetzung bietet und das uns befähigt, in den notwendigen kurz- und mittelfristigen Entscheidungen den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein (Grabher et al. 1998, S.9).
Im Mittelpunkt steht hierbei das Konzept der Nachhaltigkeit. Kaum ein Begriff hat in jüngster Zeit weltweit eine vergleichbare Popularität erlangt. Was verbirgt sich jedoch nun genau hinter diesem Begriff der durch seine inflationäre Verwendung Gefahr läuft, zu einem Modewort zu mutieren?
Greift man auf das Lateinische zurück, so bedeutet das Verb „sustinere“ „aufrechthalten, stützen“ (Stowasser et al. 1994, S.500). Auch im Englischen hat das Verb „sustain“ die Bedeutung von „stützen, tragen, aushalten, erhalten“ (Messinger 1996, S.1099). Das deutsche Wort „nachhaltig“ weist ein komplexeres Bedeutungsfeld auf. Die älteste Verwendung des Begriffes im deutschen Sprachraum geht auf das Jahr 1713 zurück. Hier wurde das Wort „nachhaltig“ von Carl von Carlowitz als terminus technicus in der Forstwirtschaft eingeführt, indem er ein Nachhaltigkeitskonzept entwarf, das die dauerhafte Bereitstellung von Holz sicherstellen sollte. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Wort „nachhaltig“ in Campes Wörterbuch (1809) neu vermerkt. Hier als auch bei Grimm (1889) wurde dem Begriff noch eine Doppelbedeutung, im Sinne von „Vorrat und Dauerhaftigkeit“ zugemessen. In neueren Wörterbüchern wurde das Wort „nachhaltig“ bereits mit „dauernd, lang nachwirkend, (…)“ übersetzt. So ist die Verwendung des Begriffs mit der in der Forstwirtschaft typischen Bedeutung verloren gegangen (Zürcher, nach Ninck 1997; Büchi 2000, S.201-205). Der Begriff Nachhaltigkeit umschreibt heute nicht mehr einen Weg zur dauerhaften Vorratserhaltung, sondern den Zustand von Dauerhaftigkeit.
Im Deutschen hat sich der Begriff der nachhaltigen Entwicklung durchgesetzt, der als Dichotomie, im Sinne einer konservativ bewahrenden und einer fortschreitend ändernden Tendenz, verstanden werden kann[1] (Trommer, nach Grossmann et al. 1999, S.1; Aachener Stiftung, August 2004).
Ferner definiert sich der Begriff über seine drei Dimensionen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit ist es, die Erhaltung des ökologischen Systems, die die Lebensgrundlage aller irdischen Aktivitäten darstellt, zu sichern. Die ökonomische Dimension meint dagegen, mit dem Kapitalstock so zu wirtschaften, dass der künftige Konsum nicht geschmälert wird. Mit Fragen nach sozialen Normen einer Gesellschaft, wie z.B. der Forderung nach einer intergenerativen und intragenerativen Gerechtigkeit, beschäftigt sich die soziale Nachhaltigkeit. Den einzelnen Dimensionen wurde hierbei im Laufe der Zeit unterschiedliche Bedeutung zugemessen. So wurden noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ökologische Probleme als Ursache allen Übels gesehen. Erst in den 70er-Jahren erfolgte aufgrund der Folgewirkungen der industriellen Veränderungsprozesse und durch den 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ durch den Club of Rome ein Umdenken, wodurch zunehmend ökonomische Aspekte hinterfragt wurden. Soziale Belange, die bisher immer hinter ökologische und wirtschaftliche Entwicklungen gestellt waren, wurden erst nach und nach konkreter in das Konzept mit einbezogen und als eigenständige Dimension anerkannt. Man erkannte also, dass ökologische Krisenbewältigung nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten ist, sondern Teil der ganzheitlichen Betrachtung des Systems ist.
Einen Meilenstein stellte in diesem Zusammenhang der 1987 vorgelegte Bericht „Our Common Future“, der von der WCED (World Commission on Environment and Development) unter der Führung der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland in Auftrag gegeben wurde, dar. Der Bericht führte den Begriff „nachhaltige Entwicklung“ (sustainable development) ein und definierte ihn wie folgt:
“Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs” (Brundtlandbericht 1987, nach Ninck 1997, S.51).
Seit diesem Zeitpunkt kam der Begriff weltweit in Debatten über die geeigneten Wege zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung vor, da er erstmals nicht nur einer Dimension grundsätzliche Priorität einräumte, sondern die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales vereinte, ein Gerechtigkeitspostulat forderte und ein globales Bewusstsein erzeugte (Kopfmüller et al. 2001, S. 24-26; Ninck 1997). Ferner wurde der Begriff auch erstmals der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit näher gebracht, denn im Alltagsgebrauch der Menschen kam bzw. kommt der Begriff so gut wie gar nicht vor. Grund dafür ist, dass die Bevölkerung mit Themen wir Ressourcenknappheit, Zerstörung der Regenwälder, Versteppung oder Artenschwund nicht direkt konfrontiert ist. Unmittelbare Betroffenheit würde einen Handlungsdruck nach sich ziehen und eine Veränderung des Bewusstseins bewirken.
Diesem Anspruch auf Interessensausgleich ist zu verdanken, dass sich das Leitbild als Standard nationaler und internationaler politischer Diskurse etabliert hat. Den Höhepunkt stellt hierbei die nachfolgende Einrichtung der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro dar, an dem Delegierte der UNO, diverser Regierungsstellen, lokaler Behörden, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Nichtregierungsorganisationen aus nahezu 180 Staaten teilnahmen. In fünf Jahre langen Verhandlungen wurde dieses Megaereignis, das eine Fortsetzung der Arbeit der Word Commission on Environment and Development darstellt, vorbereitet. Ziel dieses Erdgipfels war es, aufgrund wachsender globaler Probleme mit teilweise irreversiblen Folgen und zunehmend globalen Verflechtungen zumindest politisch verbindliche Normen für die globale Entwicklung festzulegen (Grabher et al. 1998, S.5; Greiner 2002).
Die ebenfalls in Rio beschlossene „Commission on Sustainable Development“ wurde eingerichtet, um den Prozess der nachhaltigen Entwicklung in den einzelnen Staaten besser beobachten, fördern und evaluieren zu können (Kopfmüller et al. 2001, S. 26-27).
Bei der UN-Sondergeneralversammlung 1997 in Amsterdam folgte jedoch die Ernüchterung. Die globale Situation, angefangen von der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, Nord und Süd bis zum zunehmenden Umweltproblem, hatte sich trotz aller entwickelten Nachhaltigkeitsstrategien drastisch verschlimmert. Aufgabe war es nun, jene Nachhaltigkeitsstrategien auf ihre praktische Umsetzung hin zu überprüfen. Dies erfolgte durch den Folgeprozess „World Summit for Sustainable Development“ in Johannesburg im Jahr 2002, der 10 Jahre nach Rio eine Bilanz des Erreichten ziehen sollte. Einigkeit bestand darüber, dass in Bezug auf nachhaltige Entwicklung und Umsetzung dieser ein gemeinsamer Lern- und Erfahrungsprozess bestand (Aachener-Stiftung, August 2004).
2.2 Die Lokale Agenda 21
Wie bereits erwähnt, fand 1992 die Konferenz der Vereinigten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro statt. Das Herzstück dieser Konferenz ist die Agenda 21, ein globales Aktionsprogramm zur nachhaltigen Entwicklung des 21. Jahrhunderts. In 40 Kapiteln werden die Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Entwicklung unter Einbeziehung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte erläutert. Sie soll Anleitung zum Handeln sein, um die gegenwärtige Entwicklung unserer Mitwelt in eine positive Richtung zu bringen und durch praktische Maßnahmen die Grundlage zu schaffen, die das Überleben der Erde und seiner Bewohner in ihrer natürlichen Vielfalt sichert. Sie ruft Regierungen auf, nationale Programme für eine zukunftsfähige/nachhaltige Entwicklung unter Beteiligung der Öffentlichkeit und NGO zu entwerfen. Insgesamt haben mehr als 150 Staaten, darunter auch Österreich, dieses Aktionsprogramm als Grundlage für weitere Entwicklungsschritte unterzeichnet (Grabher et al. 1998, S.5).
Von einem Lokalen Agenda-Prozess ist also dann zu sprechen, wenn entsprechende, bewusst organisierte Bemühungen unternommen werden, eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Um nicht in ein unspezifisches „alles ist irgendwie Agenda“ abzugleiten, lassen sich hierbei zentrale Herausforderungen folgendermaßen resümieren:
(1) Kurzfristige Interessen lokaler Akteursgruppen sollen in der Lokalen Agenda 21 mit langfristigen, gemeinwohlorientierten Zielen regionaler und globaler Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen verknüpft werden.
(2) Lokale Probleme und Interessen sollen mit Fragen globaler Entwicklung in Beziehung gesetzt werden, und zwar unter der Perspektive sozialer Gerechtigkeit.
(3) Bisher getrennt verfolgte soziale, ökologische, ökonomische und kulturelle Anstrengungen sollen unter dem neuen Leitbild „nachhaltiger Entwicklung“ integrativ bearbeitet und neue vernetzte Strategien entwickelt werden.
So fortschrittlich das Bewusstsein über globale Nachhaltigkeitsprobleme und der daraus abgeleiteten Handlungsebenen durch die globale Staatengemeinschaft sind, so gering ist demgegenüber die institutionelle Absicherung dieser Bekenntnisse und Absichtserklärungen.
Denn die Agenda 21 besitzt als Dokument keinen verbindlichen Konkretisierungs- und Umsetzungsprozess, sondern ist nur moralisch verpflichtend und somit letztlich ein Ausdruck des guten Willens (Kopfmüller et al. 2001, S. 26-27; Greiner 2002, S.16-17; Grabher et al. 1998).
Hilfestellung bei dieser Umsetzung bzw. Etablierung der Lokalen Agenda bietet in der Steiermark die Ökologische Landentwicklung Steiermark (ÖLE), die im Jahr 1997 auf Antrag von Landesrat Erich Pöltl von der Steiermärkischen Landesregierung gegründet wurde. Mit insgesamt sieben Regionalbetreuern ist die ÖLE in allen Regionen der Steiermark tätig. Sieben Regionalbetreuer in den steirischen Baubezirksleitungen bieten den Gemeinden fachliche Unterstützung bei der Umsetzung nachhaltiger Entwicklungsprojekte an und dienen als Informationsdrehscheibe für die Kommunikation zwischen Land und Gemeinde. Hierbei wird versucht, die Themen der Gemeindepolitik (Raumplanung, Verkehrsplanung, Jugendprogramme, Naturschutzprogramme, Wirtschaftsentwicklungskonzept) aufzugreifen und durch eine breite Partizipation neue Leitziele und Maßnahmen für die Gemeinde zu schaffen. Die Zentrale der Ökologischen Landentwicklung in Hartberg koordiniert steiermarkweite Initiativen im Bereich der ländlichen Infrastruktur, der Bildung und vieler innovativer Projekte, die langfristig die Lebensqualität der Menschen sichern.
Als Rahmen für die praktische Umsetzungsbegleitung durch die Ökologische Landentwicklung wurde vom Österreichischen Institut für Nachhaltige Entwicklung (ÖIN) anhand einer Auswertung erfolgreicher LA 21-Prozesse ein Vier Phasen-Schema entwickelt, das international anerkannt ist. Der Abschluss einer Phase ist jeweils mit einem Meilenstein versehen. Ist dieser Meilenstein erfüllt, kann zur nächsten Phase übergegangen werden. Der Rahmen der Durchführung eines LA 21-Prozesses beträgt, wie aus der Abb. 1 ersichtlich, mindestens 24 Monate, wobei die ersten beiden Phasen jeweils ca. drei Monate, die dritte Phase sechs Monate und die letzte, eigentlich offene Phase, zumindest ein Jahr dauern sollte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Phasenmodell eines LA 21-Prozesses
(Quelle: Kresitschnig 2003, S. 38)
Die Entwicklungsschritte in der Gemeinde gliedern sich in folgende Bereiche: In der Vorbereitungsphase kommt es zur Bildung des Koordinationsteams, zu Information und Einbeziehung wichtiger Zielgruppen, zum Festlegen der Themenbereiche für die Arbeitsgruppe und schlussendlich zum Gemeinderatsbeschluss zur LA 21. Die Startphase sieht eine Aktivierung der Bevölkerung und Stärkung des Gemeindebewusstseins unter Mitarbeit der Bürger vor. Bürgerversammlung, Bildung von Arbeitskreisen und Leitbilddiskussion sind zentrale Merkmale dieser Phase. Dadurch soll es zu einer Bündelung der Kräfte in der Gemeinde kommen, was bei der Durchführung von zukunftsorientierten, nachhaltigen Projekten unbedingt notwendig ist. Die Leitbildphase schreibt eine Ideensammlung und anschließend die Erstellung eines umfassenden LA 21-Aktionsprogrammes, der Leitbild, Leitziele, Maßnahmen und Indikatoren beinhaltet, vor.
Die Einleitung der Realisierung der vorgesehenen Maßnahmen und Projekte mit anschließender Evaluierung erfolgt in der Umsetzungsphase. Eine erste Zwischenbilanzierung der umgesetzten Maßnahmen sollte nach einem Jahr erfolgen. Diese letzte Phase soll jedoch nicht als zeitlich begrenzt gesehen werden, sondern stellt einen kontinuierlichen, von der Gemeinde selbstständig getragenen Prozess dar (Österreichisches Internetportal für Nachhaltige Entwicklung, August 2004).
Dies stellt jedoch ein großes Problem dar. Viele Gemeinden, die voller Enthusiasmus einen LA 21-Prozess initiiert haben, kämpfen nun in dieser letzten Phase mit Ermüdungserscheinungen. Probleme schafft sowohl die mangelnde Verbindlichkeit, die gleichzeitig auch eine hohe Offenheit für unterschiedliche Interpretationen und Umsetzungsstrategien zulässt, als auch die fehlende Kontrolle dieser Umsetzungsphase. Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit des Handelns muss also das Problem der langfristigen Implementierung einer nachhaltigen Entwicklung in den Kommunen gelöst werden (Kopfmüller et al. 2001, S. 26-27; Greiner 2002, S.16-17; Grabher et al. 1998, S.5).
3. Die Kommune als Ort für nachhaltige Entwicklungen
3.1 Die Rolle der Kommunen
Nach dieser allgemeinen Auseinandersetzung mit dem konzeptionellen Rahmen soll in diesem Kapitel das Hauptaugenmerk auf die Rolle der Kommune gerichtet werden.
“But we believe communities are the primary locus of responsibility for creating a sustainable world. The admonition to Think Globally, Act Locally retains its wisdom despite years of bumper-sticker overexposure. Directed sustainability will come about in neighbourhoods or not at all. Humans seem involved for communities of manageable size, and most of the individual behaviours and attitudes that support sustainability are best nurtured at the community level. The political structure and process necessary for a regionally, nationally, and globally sustainable society must be built on a foundation of local communities” (Prugh et al., nach Grabher et al. 1998, S.21).
Die „Kommunalisierung“ der Aufgabenzuständigkeit für Nachhaltigkeit ist eine quer durch alle politischen und sozialwissenschaftlichen Fraktionen geteilte Überzeugung. Die Tatsache, dass vor allem auf lokaler Ebene Kapazitäten bestehen, jene unverorteten globalen Probleme zu lösen, ist unumstritten. Im Folgenden werden nun Argumente zusammengefasst, die die Bandbreite möglicher Begründungen für eine „Kommunalisierung von Nachhaltigkeit“ aufzeigen.
Lokale Problemverursachung
Lokale Gemeinschaften werden als eigentliche Wurzel einer möglichen Umstrukturierung der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit gesehen, da hier gewirtschaftet, gebaut, geheizt, gegessen wird, menschliche Beziehungen stattfinden und sich die Menschen an der Gestaltung ihrer Umgebung direkt beteiligen können. Hier werden auch durch den alltäglichen Konsum von Lebensmitteln und Waren sowie durch den Verbrauch von Energie und Rohstoffen, sei es bewusst oder unbewusst, die Lebensbedingungen von Menschen in der Region, aber auch in anderen Regionen und Ländern, mitgestaltet (Greiner 2002, S.51).
Lokale Problemnähe
„Local institutions are often in the best position to regulate and manage environment and development activities which, while global in effect, are the result of local practices and complex local conditions. Efforts to address environmental problems at the national and international levels are handicapped by their distance from these local conditions, and therefore have too often failed to meet even modest expectations” (ICLEI nach Grabher et al. 1998, S.57).
Die Kommunen stellen nicht nur positive Beiträge zur Lösung von globalen Problemen, sie sind hierbei allen höheren Instanzen sogar überlegen. Denn die Gemeinde stellt eine Ebene überschaubarer Einheiten dar, an der ein Kommunikationsprozess mit der Öffentlichkeit stattfinden kann und spezielle Lösungen, die von der jeweiligen Struktur der Kommune abhängig sind, erarbeitet werden. So sind die den örtlichen Gegebenheiten angepassten Initiativen besonders wirkungsvoll und gegenüber einheitlich geltenden Lösungen vorzuziehen. Alle höheren Handlungsebenen haben größere Schwierigkeiten, den von der Agenda 21 vorgestellten Prozess mit den Bürgern zu realisieren, da sie im Sinne einer Zentralinstanz immer nur nach dem Gießkannenprinzip verfahren können. Dennoch sollten größere Einheiten, wie Land oder Bund nicht von vornherein als übergeordnete Einheit gesehen werden, sondern als Partner zur Zusammenarbeit (Stoltenberg 2000, S.11-12, S. 30; Grabher et al.1998, S. 5-6, 56-57; Heinelt 2000, S.13).
Transparenz und lokale Erfahrbarkeit
Eng verbunden mit der lokalen Problemnähe ist die Transparenz der kommunalen Nachhaltigkeitsinitiativen zu sehen. Die Kommune nimmt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsbewusstsein und nachhaltigem Handeln ein, da lokales Handeln Nähe zu eigener Betroffenheit hat. Der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung bzw. Erfolg ist hier am nahe liegendsten und wahrscheinlichsten. Die Verantwortung für Problemlagen ist leichter zuzuordnen, Ansatzpunkte für nachhaltiges Handeln lassen sich zielgenauer bestimmen. Aufgrund dieser Zurechenbarkeit vermutet Benkert (1995) sogar, dass mit einer größeren Bereitschaft seitens der Bevölkerung und damit verbunden erhöhten Opportunitätskosten zu rechnen sei. Eng damit verbunden ist die auf lokalen Ebenen besonders ausgeprägte wechselseitige Abhängigkeit zwischen Natur und Mensch. Auf zentraler Ebene ist dies aufgrund sehr komplexer Wirkungsketten nur schwer möglich.
Auch hinsichtlich ihrer Wahrnehmbarkeit durch die Bevölkerung haben lokale Nachhaltigkeitsinitiativen Transparenzvorteile. Projekte, die auf der lokalen Ebene umgesetzt werden, werden direkt als Steigerung der Lebensqualität empfunden. Die Befriedigung, im eigenen lokalen Umfeld etwas bewirken zu können, wird von vielen Autoren als wichtiger Motivationsfaktor für Engagement gesehen (Greiner 2002).
Flexibilität und Kreativität
„Lokale Lösungen für globale Probleme sind gefragt. Gerade wenn offene Märkte zu riesigen Globalisierungswellen führen, bedarf es kleinerer und beweglicher Boote, nicht schwerfälliger Dampfer unter nationaler Flagge“ (Straubhaar 1999, nach Grabher et al. 1998, S.59).
Kommunen können, wie aus dem oben angeführten Zitat hervorgeht, vielfältig flexibler agieren, als größere Handlungseinheiten, da der Radius kommunaler Entscheidungen begrenzt ist. Auch der Abstimmungsbedarf ist geringer, da regionale Differenzen wegfallen. Lokale Einheiten können ferner Handlungsstrategien erproben, die in übergeordneten Ebenen als zu risikoreich erscheinen oder keine politischen Mehrheiten erlangen. Ferner erscheint es unter dem Gesichtspunkt der Vielfalt von Projektideen sinnvoll, auf das kommunale Kreativitätspotenzial zu setzen, da so mehr Strategien erfunden und umgesetzt werden können als von jeder anderer Ebene.
Die lokale Ebene spielt als Wegbereiter des gesellschaftlichen Konsenses eine große Rolle, da vor allem vor Ort die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung um die Zukunft, unter der Vorraussetzung einer dauerhaften Unterstützung und Zustimmung der Bevölkerung, geführt werden kann (Greiner 2002, S.60).
Nachhaltigkeit lässt sich nicht von oben als „top-down“ Prozess verordnen, sondern ist von unzähligen Alltagsentscheidungen und -handlungen einfacher Menschen auf lokaler Ebene abhängig (Greiner 2002, S. 20-21). Auch wenn für das lokale Handeln Rahmenbedingungen, strukturelle und rechtliche Regulierungen festgelegt sind, so besitzen Kommunen doch einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der lokalen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse. Kommunen errichten und erhalten zu einem großen Teil ihre wirtschaftliche, soziale, ökologische und kulturelle Infrastruktur selbst, sind für die Attraktivität der Kommune im regionalen und zum Teil auch im globalen Standort selbst verantwortlich. Neben den einfachen Bürgern spielt also die Politik- und Verwaltungsebene hier eine entscheidende Rolle, welche noch näher erläutert wird (Deutsches Forschungsnetz, August 2004).
Es ist also durchaus begründet, dass die Kommunen in Kapitel 28 der Agenda 21 aufgefordert werden, Bemühungen, die einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Lokalen Agenda 21 entsprechen, voranzutreiben, wie dieser Auszug es klar darstellt:
„ Da viele der in der Agenda 21 angesprochenen Probleme und Lösungen auf Aktivitäten der örtlichen Ebene zurückzuführen sind, ist die Beteiligung und Mitwirkung der Kommunen ein entscheidender Faktor bei der Verwirklichung der in der Agenda enthaltenen Ziele (…). Als Politik- und Verwaltungsebene, die den Bürgern am nächsten ist, spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Information und Mobilisierung der Öffentlichkeit und ihrer Sensibilisierung für eine nachhaltige umweltverträgliche Entwicklung “ (Stoltenberg 2000, S.11).
Kommunen sind also aufgerufen, als Orte nachhaltiger Entwicklungen Programme, Pläne, Maßnahmen und Projekte gleichzeitig umweltgerecht, sozial verträglich und ökonomisch vertretbar zu gestalten sowie ihre Handlungsvorschläge umzusetzen. Dass diese Aufgabe nicht den Politikern und der Verwaltung allein überlassen werden kann, sondern im Dialog mit der Bevölkerung, der Privatwirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen weiterzuentwickeln ist, hat mit dem Charakter der Herausforderung zu tun. Dies setzt eine gemeinsame Anstrengung aller, einen gemeinsamen Lern- und Suchprozess der Bürger und Politiker, der Wirtschaft, der Verwaltung, der bürgerschaftlichen Initiativen voraus, um innovative und kollektive Lösungen für eine Trendwende in Richtung Nachhaltigkeit zu finden (Deutsches Forschungsnetz, August 2004).
3.2 Akteure im kommunalen Kontext
Von LA 21-Prozessen wird erwartet, dass sie nicht nur innovative Lösungsstrategien entwickeln, um die Vision der nachhaltigen Entwicklung Realität werden zu lassen, sondern auch eine umfassende Beteiligung einer Vielzahl von staatlichen und privaten, individuellen und kollektiven Akteuren zu gewährleisten, die gleichermaßen einzubinden sind. Demnach werden im Folgenden kurz die einzelnen Akteure, die eine breite Streuung über verschiedene Handlungsfelder der Gemeinde abdecken, aufgelistet und ihre Verantwortung in Bezug auf Nachhaltigkeit durchleuchtet (Stoltenberg 2000, S. 134; Deutsches Forschungsnetz, S.39).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Haupt- und Unterzielgruppen im kommunalen Nachhaltigkeitsprozess (Quelle: Österreichisches Internetportal für Nachhaltige Entwicklung , August 2004 eigene Veränderung)
Politik/Verwaltung/Anderwärtige Institutionen
Wenn heute von nachhaltiger Entwicklung die Rede ist, darf vor allem die Rolle der Gemeinde an sich nicht vergessen werden. Denn im Hinblick auf den hohen Schwierigkeitsgrad und der gesellschaftlichen Anstrengung, die das Konzept der nachhaltigen
Entwicklung mit sich bringt, ist eine hochrangige institutionelle Verankerung nötig. Der Politik und der Verwaltung kommt dabei ein zentraler Aspekt zu, denn ohne Gemeinderatsbeschluss bleibt die Lokale Agenda 21 unverbindlich. Kommunale Belange oder Vorhaben werden in den politischen Gremien entschieden und von der Verwaltung umgesetzt. Sie sind demnach als Initiatoren für das Zustandekommen und Weiterführen des Prozesses verantwortlich, können Bedingungen schaffen und unterstützen oder nicht. Es bedarf also verschiedener Veränderungen auf der Ebene von Politik und Verwaltung (Enquête Kommission 2002, S.43; Stoltenberg 2000, S. 135).
Auch Schulen und Bildungsinstitutionen stellen wichtige Institutionen und Meinungsbilder im gesellschaftlichen Leben dar. Über sie kann die Lokale Agenda 21 an vielen Orten zu vielen Menschen gelangen. Mit entsprechendem Fachwissen ist es möglich, die Institutionen bei der praktischen Umsetzung der Lokalen Agenda 21 zu unterstützen und sie in die Diskussion um Nachhaltigkeit einzubinden (Stoltenberg 2000, S. 212-213).
Obwohl diese gestaltende, initiierende Funktion dieser Institutionen sicherlich von hoher Bedeutung ist, ist doch zu vermerken, dass es zu einer Bedeutungszunahme weiterer Akteure kommen muss. Somit ist eine kluge Mischung anzustreben, die gesellschaftlichen Selbstorganisationen genug Raum lässt, die Handlungsfähigkeit der Politik, der Verwaltung und der Schulen in der Gemeinde jedoch nicht schwächt (Enquête Kommission 2002, S.43; Stoltenberg 2000, S. 135).
Wirtschaft
Die Wirtschaft stellt also mit der Einbindung von Betrieben, die in der Vergangenheit oftmals fehlte, einen wichtigen Faktor in Bezug auf nachhaltige Entwicklung dar. Die Rolle der Wirtschaft wird auch in Kapitel 30 der Agenda von Rio festgehalten, in dem es heißt:
„Die Privatwirtschaft einschließlich transnationaler Unternehmen spielt eine zentrale Rolle in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. Sowohl große als auch kleine Wirtschaftsunternehmen schaffen wichtige Handels-, Beschäftigungs- und Existenzsicherungsmöglichkeiten“ (Stoltenberg 2000, S. 151).
Die Partizipation der Wirtschaft an LA 21-Prozessen ist besonders wichtig, da die Akteure aus Verwaltung und Unternehmen als auch die Bürger Schlüsselakteure kommunalen Handelns darstellen und eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen ihnen besteht. Das Wohlergehen von Kommunen und deren Bürgern hängt in vielfältiger Weise von den ortsansässigen Unternehmen ab. Sie stellen und sichern die Arbeitsplätze, sorgen für Einkommen und damit für Steueraufkommen und prägen vielerorts das gesamte Bild der Gemeinde. Unternehmerischer Erfolg ist dagegen wieder abhängig vom Standort der Betriebe, kommunale Rahmenbedingungen sind wichtig für unternehmerisches Handeln. Unternehmen sind also als wichtige Partner in der Gemeinde zu betrachten, sei es, dass sie auf ihr Umfeld reagieren oder Veränderungen konkret mitsteuern (Stoltenberg 2000, S. 152; Österreichisches Internetportal für Nachhaltige Entwicklung, Juli 2004).
Die Zielgruppe Wirtschaft, also die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, die Betriebe des Produktionsbereiches und die Dienstleistungsbereiche sollen also die Bedeutung der Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft in der Gemeinde erkennen und durch konkrete Projekte umsetzen und somit eine Basis für zukünftige kommunale und regionale Stoff- und Verwertungskreisläufe schaffen. Obwohl es bei der Umsetzung und Einhaltung ihrer Selbstverpflichtungen oft scheitert, konnte in den letzten Jahren dennoch ein interner Nachhaltigkeitsdiskurs wahrgenommen werden. Nach und nach wird klar, dass die Nachhaltigkeit als Wettbewerbsstrategie von Vorteil sein kann. Erste Ansätze in steirischen Gemeinden wie z.B. in Mooskirchen, Trieben, Hartberg (BA21) zeichnen sich bereits ab (Fischer 2001, S.63-64; Österreichisches Internetportal für nachhaltige Entwicklung, August 2004).
Bürger
Unter der Gruppe der Bürger lässt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Rollen identifizieren. Diese Gruppe ist jene, die am schwierigsten dafür zu motivieren ist, am Prozess teilzunehmen. Sie stellt jedoch einen wichtigen Baustein im Agenda-Prozess dar. Voraussetzungen für eine Engagementbereitschaft sind eigene Betroffenheit oder Interesse zu bestimmten Themen im täglichen Umfeld (Stoltenberg 2000, S. 136).
Hier spielt vor allem der Begriff des „Empowerment“ eine wesentliche Rolle. Empowerment meint, dass jeder Mensch über Fähigkeiten und Potenziale verfügt, die es zu wecken und zu fördern gilt. Empowerment ist ein Prozess, in dem Menschen, Organisationen oder Gemeinschaften ihren ökologischen und sozialen Lebensraum gestalten und so mit eingeschränkten Bedingungen und problematischen Situationen kreativ und ihren Bedürfnissen gemäß umgehen lernen. Dies trifft auch auf Bevölkerungsgruppen zu, die auf Grund ihrer Sozialsituation nicht über die ausreichende Fähigkeit verfügen, um sich in Partizipationsprozesse angemessen einzubringen. Es ist möglich, die Wirkungen von Empowermentprozessen auf den verschiedenen Ebenen wahrzunehmen. Die Kraft dieser Prozesse liegt nämlich in der wechselseitigen Abhängigkeit und Integration von Veränderungen auf individueller, organisatorischer und struktureller Ebene. In diesem Sinn beschreibt Empowerment das Verständnis von individuellen und gemeinschaftlichen Prozessen hin zu einer gesellschaftlichen Konflikt- und Gestaltungsfähigkeit, gleichzeitig jedoch auch den Ausbau von strukturellen Rahmenbedingungen, die diese Entwicklungen ermöglichen und fördern (Zimmermann 1995, S. 581).
Medien
Eine in der wissenschaftlichen Literatur beinahe völlig ignorierte Akteursgruppe stellen die Medien dar. Die Medienberichterstattung wird zunehmend als Ersatzindikator öffentlicher Meinung wahrgenommen und reicht von den Printmedien übers Fernsehen bis zum Internet. Die Medien stellen für einige Akteure den Resonanzraum, die Bühne und den Verstärker dar. Hierbei sei aber zu erwähnen, dass die Massenmedien ein Thema nur dann aufgreifen, wenn es sozusagen werbewirksam ist und die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht. In Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit bedeutet dies nun harte Arbeit, da es den Zenit im Lebenszyklus öffentlicher Anliegen überschritten hat und sich bereits in der so genannten „Reifephase“ befindet. Die Kommunikation über nachhaltige Themen sollte jedoch nicht auf Massenmedien beschränkt werden. Jeder Einzelne ist ein potenzieller Sender und Empfänger in diesem Prozess (Fischer 2001, S.155-156; Österreichisches Internetportal für nachhaltige Entwicklung, August 2004; Heinelt 2000, S. 156).
Sonstige Akteure
Zu den sonstigen Akteuren auf kommunaler Ebene zählen vor allem Verbände und Vereine. Diese spielen dahingehend eine derart große Rolle, dass sie im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung ein großes Identifikationspotenzial aufweisen. Diese unterschiedlichen Umwelt-, Naturschutz- und Tourismusvereine bzw. -verbände betreiben bereits eine professionelle Arbeit hinsichtlich nachhaltigen Entwicklungen, wodurch es ratsam ist, diese
verstärkt in die Umsetzungsstrategien einzubinden. Vor allem in kleinen, ländlichen Gemeinden spielen Vereine und Verbände eine wichtige Rolle, da sie eine große Zahl von Bürgern verschiedenster Alters- und Interessensbereiche erreichen können und eine gute Mischung aus Geselligkeit und konkretem Nutzen darstellen (Kuckartz 1998, S.98; Fischer 2001, S.70).
4. Stabilisierung eines leitbildgesteuerten Prozesses im kommunalen Umfeld
4.1 Notwendigkeit einer Prozess-Stabilisierung
In den vergangenen Jahren kam es in immer mehr Gemeinden in der Steiermark zu LA 21-Prozessen. Um einen Einblick in den Agenda-Prozess der Steiermark zu erhalten, habe ich im Rahmen meiner Mitarbeit bei der Ökologischen Landentwicklung Fragebogenerhebungen durchgeführt, die im Folgenden zusammengefasst dargestellt werden. Befragt wurden hierbei Bürgermeister, aktive und nicht-aktive Personen aus 4Gemeinden sowie die Regionalbetreuer der Ökologischen Landentwicklung[2] (siehe Anhang).
Laut Angaben der Regionalbetreuer wurden zahlreiche Kooperationen geschlossen, die vor Beginn der LA 21 nicht möglich waren, eine erstaunliche Mobilisierung von Phantasie und sozialem Engagement bewirkt und zu neuen Dialogformen und Beteiligungsmodellen geführt haben. Die Ziele der Lokalen Agenda sind jedoch mit der Realisierung eines zwei- oder dreijährigen Konsultationsprozesses keineswegs erreicht. Vielmehr geht es um die Frage, wie dieser Prozess „nachhaltig“ stabilisiert bzw. verankert werden kann. Es geht also darum, den Agenda-Prozess bis zu einem Punkt zu bringen, an dem er ein Selbstläufer wird.
Derzeit scheint es jedenfalls, dass der Prozess etwas eingeschlafen ist. Dies bestätigen auch die folgenden Aussagen aktiv engagierter Bürger:
„Ein ständiger Prozess wäre wichtig, nicht nur punktuell bzw. phasenweise, auch wenn es einzelne Projektabschlüsse gibt.“
„Es tut sich nichts mehr, es werden keine Projekte mehr angeboten. Ich würde mich aber gerne weiter engagieren, da mir die Zukunft der Gemeinde am Herzen liegt.“
„Ich würde mir wünschen, dass etwas weiter geht, dass der Prozess nicht zum Stehen kommt.“
Es ist also, zumindest teilweise, eine Erschöpfungsphase zu verzeichnen, die nicht den Anschein gibt, dass der Prozess langfristig institutionalisiert ist. Hierbei sei gesagt, dass der LA 21-Prozess als Teil der gesellschaftlichen Struktur zu verstehen ist und daher auf Hemmnisse und Trends stößt, die sich in verschiedener Hinsicht blockierend oder lähmend auf diesen auswirken können.
Auch die Mehrheit der Regionalbetreuer (75 %) sehen den Agenda-Prozess nur zum Teil oder nicht langfristig institutionalisiert. Als typische Hemmnisse wurden folgende Gründe angegeben: fehlende personelle Ressourcen, fehlende aktive Projektmitarbeit, fehlende Finanzmittel, fehlende Sichtbarkeit der LA 21, fehlende Verankerung der LA 21 in gesellschaftlichen Institutionen, fehlendes Bekenntnis des Gemeinderates zur weiteren Prozessarbeit, fehlende Etablierung der LA 21 als Führungsinstrument der Gemeinde, Mangel an Kompetenz, mangelnde Verbindlichkeit sowie mangelndes Interesse an Beteiligung. Auf diese Hemmnisse soll nun im Folgenden näher eingegangen werden.
Politik und Verwaltung nehmen eine zentrale Rolle ein, da sie durch den Gemeinderatsbeschluss ihren Willen zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung in ihrer Gemeinde kundgetan haben. Es darf jedoch nicht nur bei diesem Lippenbekenntnis bleiben, wenn die Lokale Agenda für eine Verbesserung der Lebensqualität der jetzigen und zukünftigen Generation stehen soll.
Zwar geben alle der befragten Bürgermeister an, dass sich die Gemeinde als Vorbild versteht, die die Prinzipien der Agenda den Menschen durch beispielgebendes Handeln nahe bringt. Die Frage nach konkreten Beispielen konnte jedoch nur unzureichend beantwortet werden. Als Maßnahmen, die dies belegen sollten, wurden genannt: Informationen und Aussendungen seitens der Gemeinde, die Teilnahme am Koordinationsteam sowie die Umsetzung eines speziellen Projektes im Rahmen der Lokalen Agenda 21. Einzig aus letzterem geht hier klare Unterstützung hervor, wobei zu erwähnen sei, dass für die Umsetzung nicht nur allein die Gemeinde, sondern vor allem die Arbeitsgruppen verantwortlich sind. Dies steht in klarem Widerspruch zur Tatsache, dass wiederum alle befragten Bürgermeister ihre Funktion der Weiterführung des Prozesses als sehr wichtig bzw. wichtig einstufen (Abb. 3) als auch 86,4 % der befragten Aktiven (Abb.4).
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Abbildung 3: Wichtigkeit der Funktion des Bürgermeisters für die Weiterführung der LA 21 (Quelle: Eigenständige Erhebung)
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Abbildung 4: Wichtigkeit der Akzeptanz und Unterstützung des Bürgermeisters für eine Weiterführung der LA 21 (Quelle: Eigenständige Erhebung)
Bezüglich der Einbindung der Verwaltung sei zu erwähnen, dass dies, wie aus Abb.5 ersichtlich, nicht verbindlich geschieht. Nur ein Bürgermeister gab an, dass die Verwaltung und ihr Fachwissen von Anbeginn an in den Prozess miteinbezogen wurden.
Dies bestätigen auch meine Beobachtungen, dass LA 21-Aktivitäten, bis auf einen Fall, vor allem von ehrenamtlichen Arbeitskreisen getragen und nur wenig vom Bürgermeister oder Verwaltungsmitarbeitern unterstützt wurden. So als hätte der Agenda-Prozess eigentlich nichts oder nur wenig mit der Verwaltung und Politik zu tun. Dies verstärkt den Eindruck, dass es sich bei der Agenda zumindest teilweise um eine Alibiveranstaltung handelt, da viele Vorschläge, die etwas Geld kosten oder politisch relevant sind, eher zögerlich behandelt wurden. Es scheint also eine Art Mode zu sein, Agenda zu machen.
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Abbildung 5: Einbeziehung der Verwaltung und ihres Fachwissens in den Prozess (Quelle: Eigenständige Erhebung)
Auch die folgenden Fragen, wie „Welche Themen werden vorrangig im Gemeinderat behandelt?“ bzw. „Wo werden Themen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, zugewiesen?“ bestätigten die Vermutung, dass die Lokale Agenda in das politisch-administrative System noch keinen Einzug gehalten hat.
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Abbildung 6: Vorrangige Themenbehandlung im Gemeinderat (Quelle: Eigenständige Erhebung)
Das politisch-administrative System beschäftigt sich nämlich vor allem mit Aktivitäten wie z.B. touristischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, Maßnahmen gegen Abwanderung und Maßnahmen bezüglich Jugendarbeit (Abb. 6). Andere wichtige Aspekte wie integrative ökologische, ökonomische und soziale Ansätze kommen zu kurz. Eine Überwindung dieser sektoralen Kompetenzmonopole ist also unumgänglich, da auch die Zuweisung von nachhaltigen Projekten noch in einzelne sektorale Ausschüsse erfolgt, wie aus Abb. 7 ersichtlich ist.
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Abbildung 7: Zuweisung von nachhaltigen Themen (Quelle: Eigenständige Erhebung)
40% der unterschiedlichen Aktivitäten und Projekte, die sich um Nachhaltigkeit bemühen, finden eine Zuweisung innerhalb des politisch-administrativen Systems an den Umweltausschuss. Jeweils 20% entfallen auf den Sozialausschuss, Tourismusausschuss und den Planungsbeirat. Dies drückt die Schwierigkeiten des Systems aus, integrierte Aufgabenstrukturen an Stelle einer additiven Kooperationsstruktur zu entwickeln. Die Notwendigkeit einer umfassenden Integration von Ökologie, Ökonomie und Sozialem erweist sich in der Praxis als schwer umsetzbar. Auch die aktiven Bürger gaben zu 54,5 % an, dass sie sich mit der gleichberechtigten Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Anforderung sehr schwer bzw. schwer getan haben.
Bei der Frage, ob erarbeitete Aktionspläne zukünftig bei gemeindepolitischen Entscheidungen herangezogen werden, beantworteten alle befragten Bürgermeister die Frage mit ja. Dies spiegelt zwar den Willen der Politik wider, danach handeln bedeutet es aber noch lange nicht. Konkrete Überprüfungsmöglichkeit besteht in diesem Falle noch nicht. Gerade dies wäre jedoch für die Stabilisierung des Prozesses unabdingbar. Klare politische bzw. rechtliche Beschlüsse sehen hierbei nur zwei der drei Befragten als sinnvoll für eine wirkungsvolle Umsetzung von Nachhaltigkeit. Dieser Frage soll jedoch nicht näher nachgegangen werden, da sie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
Hier wird ein Widerspruch klar deutlich: Einerseits signalisieren Gemeinden anfangs ihre Absicht, die Lokale Agenda durchzuführen, andererseits unterstützen diese in ihrer Funktion den Agenda-Prozess zu wenig.
Die Position des Bürgermeisters ist also eine zentrale, wie auch die Ergebnisse der Regionalbetreuer dies bestätigen. 75% sehen die Akzeptanz und Unterstützung des Bürgermeisters für eine langfristige Etablierung als sehr wichtig an.
Befragt man die Lokalen Agenda-Beauftragten, welche Faktoren für eine Umsetzung einer Politik für Nachhaltigkeit entscheidend sind, so ist kennzeichnend, dass, wie der Abb. 8 zu entnehmen ist, finanzielle sowie überparteiliche Probleme behindernd wirken.
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Abbildung 8: Entscheidende Faktoren für die Umsetzung einer Politik für Nachhaltigkeit (Quelle: Eigenständige Erhebung)
Auch meinen Eindrücken nach tun sich einzelne parteipolitische Gruppen schwer, ein ressortübergreifendes strategisches Konzept für die Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit zu entwickeln. Die Lokale Agenda versucht zwar parteipolitisch neutral zu sein, jedoch ist eine spürbare Konkurrenz zur Parteipolitik als solche nicht zu leugnen, da Politik davon lebt, dass Parteien sich mit einem bestimmten Thema gegenüber den Vertretern anderer Parteien profilieren, in der Hoffnung, damit die Wählergunst zu gewinnen. Dies bestätigt auch eine Regionalbetreuerin, die Folgendes formulierte:
„ Die parteipolitische Situation ist als entscheidender Faktor zu sehen. Wir sind nämlich aufgrund unserer Zugehörigkeit zur LR Seitinger häufig mit Problemen zwischen verschiedenen Parteien konfrontiert.“
Was fehlt, ist eine politische Strategie für nachhaltige Entwicklung für einen längeren Zeitraum. Persönliche Eitelkeiten und politische Ressentiments müssen in jedem Fall überwunden werden. Ziel ist, wie ein anderer Regionalberater beschrieb, „eine Überparteilichkeit der Lokalen Agenda, da diese öffnet und jeder angesprochen wird“.
Ein anderer wunder Punkt liegt offensichtlich im Bereich der Finanzierung der mühsam erarbeiteten Visionen und Projektideen. Vieles scheitert neben der fehlenden politischen Unterstützung an der mangelnden Finanzierung. Die LA hat es nicht geschafft, ihr Anliegen mit den großen Themen der Kommunalfinanzen zu verbinden.
Auch der Bewusstseinbildung kommt ein entscheidender Faktor zu. Mangelnde Unterstützung durch die Politik entsteht oftmals durch Unwissenheit. Der Gemeinderat und der/die Bürgermeister fürchten die Konkurrenz. Denn bis zum Auftauchen der Agenda-Idee war es ihr Terrain, sich über die Zukunft ihrer Gemeinde die Köpfe heiß zu reden und damit Wahlkämpfe zu führen.
Außerdem dominieren meiner Beobachtung nach oft auch Pflichtaufgaben den Alltag des politisch-administrativen Systems. Für konzeptionelle und langfristige Aufgaben wie die der nachhaltigen Entwicklung ist kein Platz.
Zusammenfassend sei gesagt, dass auch die Regionalbetreuer das Bild stärken, dass die gemeinsam erarbeiteten Ziele und Maßnahmen in der Gemeinde nicht oberste Priorität in Bezug auf die Umsetzung dieser haben. Die Hälfe der Befragten beantworteten diese Frage mit teilweise, ein Viertel mit ja.
Demnach müsste es in den Gemeinden zu einer Zielerreichung des Prozesses durch Nachhaltigkeitsindikatoren kommen. Dies erfolgt zwar nach Angaben der Regionalbetreuer in den meisten Gemeinden, jedoch nur in 50% konsequent (Abb.9). Auch eine Anpassung der Ziele, Maßnahmen und Indikatoren erfolgt nur in 50 % der Fälle regelmäßig (Abb. 10).
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Abbildung 9: Überprüfung der Zielerreichung des Prozesses (Quelle: Eigenständige Erhebung)
[...]
[1] Im Folgenden werden die Begriffe „sustainable development“, „nachhaltige Entwicklung“ und „Nachhaltigkeit“ synonym verwendet.
[2] In den folgenden Abbildungen wurde die Anzahl der Befragten durch die Gesamtmenge „n“ angegeben.
- Arbeit zitieren
- Silvia Schein (Autor:in), 2005, TatOrt Nachhaltigkeit - Die Kommune als Raum zur Stabilisierung von Lokalen Agenda-Prozessen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163711
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