Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den ökonomischen Strukturen neuer
Bürgerkriege.
Die „neuen Kriege“ der Zeit nach dem Kalten Krieg zeichnen sich durch
qualitative Merkmale aus, die aus Sicht vieler klassischer Erklärungsansätze
der Kriegsursachenforschung zunächst paradox erschien. Nach dem Diktum
Max Webers, dass Krieg eine „ökonomisch zweckrationale Veranstaltung“ sei,
schienen Ursachen und Verlaufsformen dieser Konflikte zunächst kaum
greifbar. Neuere Forschungsergebnisse erkennen in den komplexen und oft
scheinbar sinnlosen Strukturen der neuen Bürgerkriege jedoch eben diese
ökonomisch zweckrationalen Kategorien wieder.
Während sich der erste Teil der Arbeit mit den spezifischen
Entstehungsbedingungen und Verlaufsformen neuer Bürgerkriege auseinander
setzt, werden im zweiten Teil die ökonomischen Ursachen gegliedert
dargestellt. Politische und ökonomische Faktoren sind in der Beurteilung von
Konflikten nicht voneinander zu trennen und bedingen einander wechselseitig.
„Die wirtschaftliche Dimension gegenwärtiger Konflikte herauszuheben und zu
beschreiben heißt nicht, [...] daß man diese Phänomene auf einen simplen
Interessenkonflikt zwischen einzig von materiellen Motiven getriebenen und nur
nach Profit strebenden Akteuren verkürzen könnte oder sollte.“ (Jean/ Rufin
1999, 9) Die Trennung von ökonomischen und politischen Faktoren soll deshalb
als rein analytisch verstanden werden. Die Analyse vollzieht sich im folgenden
auf der Ebene der Gesellschaft, da die Erosion der staatlichen Zentralgewalt ein
konstitutives Merkmal neuer Kriege ist und die staatliche Analyseebene folglich
ungeeignet erscheint. Wo es für die Analyse innerstaatlicher Konflikte
notwendig ist, werden die Akteure und Aktionen des internationalen Systems
mit einbezogen.
Inhalt:
1. Einleitung
2. Strukturmerkmale und Entstehungsbedingungen neuer Bürgerkriege
2.1 Die politische Dimension der neuen Bürgerkriege
2.2 Entstaatlichung der Konflikte und Perpetuierung der Gewalt
3. Kriegsökonomien als strukturelles Element neuer Bürgerkriege
3.1 Interne Faktoren der Kriegsökonomien
3.2 Externe Faktoren in neuen Kriegsökonomien
4. Schlussbetrachtung
5. Literatur
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den ökonomischen Strukturen neuer Bürgerkriege.
Die „neuen Kriege“ der Zeit nach dem Kalten Krieg zeichnen sich durch qualitative Merkmale aus, die aus Sicht vieler klassischer Erklärungsansätze der Kriegsursachenforschung zunächst paradox erschien. Nach dem Diktum Max Webers, dass Krieg eine „ökonomisch zweckrationale Veranstaltung“ sei, schienen Ursachen und Verlaufsformen dieser Konflikte zunächst kaum greifbar. Neuere Forschungsergebnisse erkennen in den komplexen und oft scheinbar sinnlosen Strukturen der neuen Bürgerkriege jedoch eben diese ökonomisch zweckrationalen Kategorien wieder.
Während sich der erste Teil der Arbeit mit den spezifischen Entstehungsbedingungen und Verlaufsformen neuer Bürgerkriege auseinander setzt, werden im zweiten Teil die ökonomischen Ursachen gegliedert dargestellt. Politische und ökonomische Faktoren sind in der Beurteilung von Konflikten nicht voneinander zu trennen und bedingen einander wechselseitig. „Die wirtschaftliche Dimension gegenwärtiger Konflikte herauszuheben und zu beschreiben heißt nicht, [...] daß man diese Phänomene auf einen simplen Interessenkonflikt zwischen einzig von materiellen Motiven getriebenen und nur nach Profit strebenden Akteuren verkürzen könnte oder sollte.“ (Jean/ Rufin 1999, 9) Die Trennung von ökonomischen und politischen Faktoren soll deshalb als rein analytisch verstanden werden. Die Analyse vollzieht sich im folgenden auf der Ebene der Gesellschaft, da die Erosion der staatlichen Zentralgewalt ein konstitutives Merkmal neuer Kriege ist und die staatliche Analyseebene folglich ungeeignet erscheint. Wo es für die Analyse innerstaatlicher Konflikte notwendig ist, werden die Akteure und Aktionen des internationalen Systems mit einbezogen.
2. Strukturmerkmale und Entstehungsbedingungen neuer Bürgerkriege
Nach den totalen Kriegen des 20. Jahrhunderts und den Stellvertreterkriegen des Kalten Kriegs hat sich die Hoffnung auf eine Periode weltweiten Friedens nicht erfüllt. Die Zahl der bewaffneten Konflikte ist nicht zurückgegangen, allerdings haben sich die Kriege in ihrer Qualität geändert. Von den weltweiten bewaffneten Konflikten des Jahres 1999 waren nach Klassifizierung der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung nur neun Prozent klassische Staatenkriege. Dem gegenüber standen 41 Prozent Antiregimekriege und 32 Prozent Autonomie- bzw. Sezessionskriege. Diese Verlagerung von den Kriegen zwischen modernen Flächenstaaten mit ihren klaren politischen und ökonomischen Zielsetzungen, den Staatsinteressen im Clausewitzschen Sinn, hin zu innerstaatlichen Konflikten ist jedoch nicht das einzige Merkmal der veränderten militärischen Konflikte. Die Bürgerkriege selbst haben eine neue Qualität entwickelt, die als neue Kriege bezeichnet werden.
Viele Konflikte haben das Spannungsfeld des Ost-West-Konfliktes überdauert, neue Kriege sind hinzu gekommen und eskalierten, wie in Bosnien und Ruanda, mit äußerster Brutalität. Während die Kriege alten Typs vor allem zwischen den Kombattanten[1], also regulären Streitkräften oder Rebellentruppen, ausgetragen wurden und die Zivilbevölkerung weitgehend geschont wurde, ist Gewalt gegen Zivilisten, teilweise sogar als strategisches Element der Kriegsführung, bezeichnend für die neuen Kriege. Genozid und Massenvertreibungen schienen den Interpreten vielfach aus tief verwurzelten Gründen aus ethnischem, religiösem oder tribalem Hass aufzusteigen oder scheinbar der Faszination an der Gewalt zu gehorchen.
Andererseits dauern neue Bürgerkriege auf einem geringen Intensitätsniveau über einen langen Zeitraum an. Unterstellt man den Kriegsparteien eine Logik die darauf abzielt, politische oder territoriale Ziele durchzusetzen und den jeweiligen Gegner schließlich zu besiegen, so erscheinen viele dieser Konflikte irrational und undurchschaubar. „Many analysts have stressed the irrationality und unpredictability of contemporary civil warfare, portraying it as evil, medieval, or both.” (Keen 2000, 20)
Die Strukturen der neuen Bürgerkriege lassen die bisherigen Erklärungsansätze für Bürgerkriegsdynamiken als unzureichend erscheinen. Das strategische Schema, das für die kolonialen Befreiungskriege und revolutionären Bürgerkriege der Fünfziger bis Achtziger Jahre Erklärungskraft hatte, gilt seit den Neunziger Jahren immer weniger. Die klare Einteilung in zwei sich bekämpfende Parteien, die sich mit Angriffen und Gegenoffensiven bekriegen, ist in den neuen Kriegen abhanden gekommen. Die neuen Bürgerkriege sind zunehmend durch den Zerfall der Parteien in Splittergruppen und die Auflösung von Kommandostrukturen gekennzeichnet. Dies führte dazu, dass Analysten die Konflikte häufig als Zusammenbrüche der überkommenen Ordnung aufgefasst haben. Chaostheorien, die Anarchie und sinnlose Gewalttätigkeit als Hauptmerkmale der neuen Bürgerkriege annahmen und solche Analysen, die die Zerstörung von ökonomischen Strukturen, die Vernichtung des „Reichtums der Nationen“, in den Vordergrund stellen, sind für das Verständnis der neuen Bürgerkriege nicht hinreichend. Sie zeichnen ein Bild, dass den Krieg als eine einzige Katastrophe für alle Beteiligten darstellt. Neuere Erklärungen dagegen machen deutlich, dass im scheinbaren Chaos der neuen Kriege politisch und vor allem ökonomisch zweckrationales Handeln Auslöser und Motor der Auseinandersetzungen sein kann. „[...] War represents [...] the creation of an alternative system of profit, power, and protection.” (Keen 2000, 19)
2.1 Die politische Dimension der neuen Bürgerkriege
Obwohl diese Arbeit ihr Hauptaugenmerk auf die ökonomischen Agenden richtet, kann die Kriegsökonomie nicht getrennt von den politischen Ursachen und Zielen der Bürgerkriege betrachtet werden. Kriege werden immer auch um die Erringung und den Erhalt politischer Macht geführt. Die Interaktion politischer und ökonomischer Agenden ist charakteristisch für die neuen Bürgerkriege.
Nach Kaldor ist die neue Art der Kriegsführung vor allem durch die Verwerfungen der Globalisierung in den Randgebieten der Weltmärkte zu sehen: „Neue Formen des Machtkampfes können die Gestalt eines traditionellen Nationalismus, Tribalismus oder Kommunalismus annehmen, gleichwohl handelt es sich um zeitgenössische Phänomene mit höchst zeitgenössischen Ursachen und Eigentümlichkeiten.“ (Kaldor 2000, 111-112) Kaldor sieht in den entflammten Konflikten die Reaktion auf die Schwäche der postkolonialen und postkommunistischen Staaten, denen Bewegungen einer neuen „Politik der Identität“ gegenüberstehen. „Mit dem Begriff ‚Politik der Identität bezeichne ich Bewegungen, die ihre Gefolgschaft auf der Grundlage ethnischer, rassischer oder religiöser Identität mobilisieren, und zwar zum Zweck der Erlangung staatlicher Macht.“ (Kaldor 2000, 121)
Georg Elwert dagegen stellt die ökonomischen Motive des Krieges stark in den Vordergrund seiner Analyse. Die politisch-ideologischen, also religiösen und weltanschaulichen Ziele bilden für ihn in erster Linie eine zweite Motivationsebene jenseits der herrschenden Ökonomie. Diese ideologische Motivationsebene reicht über die Lebenszeit des Einzelnen hinaus, was einen weiterer Erklärungshinweis für das langanhaltende Fortdauern der Konflikte liefert. Diese Motivationsebenen dienten nach Elwert jedoch letztendlich zur Stabilisierung der Kriegsökonomien. „Wenn wir hinter den Vorhang von angeblich trennender Kultur und Religion sehen, können wir Akteure mit klaren wirtschaftlichen Interessen erkennen.“ (Elwert 1998, 1 [HTML-Dokument])
Das Ursache-Wirkungs-Verhältnis von ökonomischen und politischen Motivationen der Bürgerkriege ist letztlich kaum zu klären, wichtig jedoch vor allem für lang anhaltende Konflikte ist die Tatsache, dass die anfänglichen Motivationen während des Krieges oftmals abhanden kommen. „In vielen Bürgerkriegen gehen die ursprünglich an oberster Stelle stehenden politischen Ziele, die unter Umständen am Anfang der Gewalt standen, mit der Zeit inmitten der erst im Verlauf des Krieges selbst entstandenen Feindseligkeiten und Interessen verloren.“ (Koch 2000, S. 22)
[...]
[1] Die Trennung von Kombattanten und Nichtkombattanten ist völkerrechtlich durch die Haager Landkriegsordnung (1899/ 1907) und die Genfer Konventionen (1929/ 1949) verbindlich festgelegt.
- Quote paper
- Jan Tilman Günther (Author), 2001, Ökonomische Strukturen in Neuen Bürgerkriegen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16357
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