Während die bevorstehenden Veränderungen der Bevölkerungszahl- und Struktur schon lange bekannt und zumindest für Gesamtdeutschland mit Ausnahme der Zuwanderungen zuverlässig zu prognostizieren sind, hat eine breite Auseinandersetzung mit der Thematik erst in den letzten Jahren eingesetzt. Über Nacht wurde der demografische Wandel zu einem der meistdiskutierten Stichworte in Medien, Politik und Öffentlichkeit. Abnahme und Alterung der Bevölkerung sind in Europa weit verbreitete Phänomene. Auch Deutschland ist davon betroffen, die von Lachmann beschriebenen neuen Bundesländer haben besonders mit der demografischen Entwicklung zu kämpfen.
In Ostdeutschland vollzog sich nach der Wiedervereinigung 1990 ein dramatischer Absturz der Geburtenhäufigkeit, der auf globaler und europäischer Ebene seinesgleichen sucht. Dazu wanderten seit dem Fall der Mauer fast drei 3,8 Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern nach Westdeutschland ab, davon vor allem junge Leute, Frauen und höher qualifizierte Personen. Die Folge dieser Phänomene sind massive Veränderungen in der Altersstruktur und eine deutliche Schrumpfung der Bevölkerung (Schultz 2009). Nach der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformation in Verbindung mit der Wiedervereinigung steht der Osten Deutschlands nun unweigerlich auf dem Weg in die vierte, die demografische Transformation (Kraslinski 2003).
Die Entvölkerung im Osten der Republik macht sich in einigen Regionen besonders bemerkbar, denn für viele Bürger in den neuen Bundesländern heißt es ganz real: Sparkassen und Postämter müssen schließen, Schulen müssen zusammen gelegt werden, der öffentliche Nahverkehr wird reduziert, Einkaufsläden und Arztpraxen „lohnen“ sich nicht mehr, der zurück gehende Wasserverbrauch verteuert die Abwasserentsorgung; es wird von Seiten der Bevölkerungsforschung bereits sogar dem „Rückbau“ oder die „Rückentwicklung“ ganzer Regionen angeregt. Dabei herrscht in den neuen Ländern eine Gleichzeitigkeit von Entleerungs- und Boomprozessen. Den wenigen wachsenden Regionen in Ostdeutschland stehen vorwiegend schrumpfende Gegenden gegenüber. Es gibt periphere, dünn besiedelte Regionen (weite Teile von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder das nördliche Sachsen-Anhalt), deren Entwicklungsperspektiven eher ungünstig sind. Daneben liegen aber auch Gebiete mit guten Wachstumschancen (Sachsendreieck , Thüringische Städtereihe , Speckgürtel um Berlin), die als die Leuchttürme im strukturschwachen Gebiet fungieren.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bevölkerungsentwicklung
2.1 Schrumpfung und Alterung
2.2 Selektivität der Bevölkerungsentwicklung
2.3 Entwicklung der Bundesländer
2.4 Zukunftsprognosen und Raumentwicklung
3 Einflussfaktoren der Bevölkerungsentwicklung
3.1 Wirtschaftliche und strukturelle Umbrüche
3.2 Ungleichgewicht in der geschlechtlichen Abwanderung
4 Politik
4.1 Einfluss auf die Parteiendemokratie
4.2 Föderale Finanzstrukturen
5 Arbeitswelt
5.1 Arbeitskräfteangebot
5.2 Verlust von Humankapital
5.3 Sinkende Wirtschaftsleistung
6 Infrastruktur
6.1 Technische und soziale Infrastruktur
6.2 Stadtentwicklungspolitik
7 Gesellschaft
7.1 Systematischer Frauenklau
7.2 Familien- und Haushaltsstrukturen
7.3 Veränderung der Sozialstruktur
7.4 Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
8 Hat die Politik die Probleme erkannt?
8.1 Bundesebene
8.2 Länder- und Kommunalebene
8.3 Wie sinnvoll sind die politischen Maßnahmen?
9 Perspektiven
9.1 Zuwanderungschancen ostdeutscher Regionen
9.2 Handlungsempfehlungen
9.3 Bürgerschaftliches Engagement
10 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Abbildung: Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland
2. Abbildung: Anzahl der lebendgeborenen Kinder pro Frau
3. Abbildung: Anteil der 65-jährigen und Älteren nach Bundesländern
4. Abbildung: Zahl der 16- bis 20-jährigen in Ostdeutschland
5. Abbildung: Veränderung der Bevölkerung nach Bundesländern
6. Abbildung: Bevölkerungsentwicklung nach Gemeinden
7. Abbildung: Wachsende Polarisierung in Ostdeutschland
8. Abbildung: Ausbildungsverträge und Schulabsolventen
9. Abbildung: Abwanderung und Rückkehr 18- bis 25-jähriger Ostdeutscher
10. Abbildung:Prozentualer Anteil der Frauen an Schulabschlüssen
11. Abbildung: Entwicklung des Nachfragepotentials von 2005 bis 2020
12. Abbildung: Arbeitsmarktbilanz für Ostdeutschland bis 2025
13. Abbildung:Alternde Bevölkerung in Deutschland
14. Abbildung:Geschlechterverhältnis in Deutschland zwischen 1995 und 2005
Tabellenverzeichnis
1. Tabelle: Wanderungen zwischen den alten und den neuen Bundesländern
2. Tabelle: Geburten in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) 1990 bis 2005
3. Tabelle: Veränderung der Einwohnerzahlen ostdeutscher Städte
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
"Das Sterben beginnt im Osten. In Sachsen-Anhalt, MecklenburgVorpommern und Brandenburg gibt es sie schon, die Geisterstädte, in denen wie durch Neutronenbomben alles Leben ausgelöscht scheint.
Wer mit dem Auto kommt, fährt über neu asphaltierte, aber menschenleere Straßen. Er fährt vorbei an verlassenen, für immer verschlossenen Häusern, hinter deren Fenstern eine unheimliche Stille wohnt" (vgl. Schubarth / Speck 2009: 11).
Es ist ein düsteres Bild, das der Journalist Günther Lachmann in einer Reisereportage von den neuen Bundesländern entwirft. Während die bevorstehenden Veränderungen der Bevölkerungszahl- und Struktur schon lange bekannt und zumindest für Gesamtdeutschland mit Ausnahme der Zuwanderungen zuverlässig zu prognostizieren sind, hat eine breite Auseinandersetzung mit der Thematik erst in den letzten Jahren eingesetzt. Über Nacht wurde der demografische Wandel zu einem der meistdiskutierten Stichworte in Medien, Politik und Öffentlichkeit. Abnahme und Alterung der Bevölkerung sind in Europa weit verbreitete Phänomene. Auch Deutschland ist davon betroffen, die von Lachmann beschriebenen neuen Bundesländer haben besonders mit der demografischen Entwicklung zu kämpfen.
In Ostdeutschland vollzog sich nach der Wiedervereinigung 1990 ein dramatischer Absturz der Geburtenhäufigkeit, der auf globaler und europäischer Ebene seinesgleichen sucht. Dazu wanderten seit dem Fall der Mauer fast drei 3,8 Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern nach Westdeutschland ab, davon vor allem junge Leute, Frauen und höher qualifizierte Personen. Die Folge dieser Phänomene sind massive Veränderungen in der Altersstruktur und eine deutliche Schrumpfung der Bevölkerung (Schultz 2009). Nach der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformation in Verbindung mit der Wiedervereinigung steht der Osten Deutschlands nun unweigerlich auf dem Weg in die vierte, die demografische Transformation (Kraslinski 2003).
Die Entvölkerung im Osten der Republik macht sich in einigen Regionen besonders bemerkbar, denn für viele Bürger in den neuen Bundesländern heißt es ganz real: Sparkassen und Postämter müssen schließen, Schulen müssen zusammen gelegt werden, der öffentliche Nahverkehr wird reduziert, Einkaufsläden und Arztpraxen „lohnen“ sich nicht mehr, der zurück gehende Wasserverbrauch verteuert die Abwasserentsorgung; es wird von Seiten der Bevölkerungsforschung bereits sogar dem „Rückbau“ oder die „Rückentwicklung“ ganzer Regionen angeregt. Dabei herrscht in den neuen Ländern eine Gleichzeitigkeit von Entleerungs- und
Boomprozessen. Den wenigen wachsenden Regionen in Ostdeutschland stehen vorwiegend schrumpfende Gegenden gegenüber. Es gibt periphere, dünn besiedelte Regionen (weite Teile von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder das nördliche Sachsen-Anhalt), deren Entwicklungsperspektiven eher ungünstig sind. Daneben liegen aber auch Gebiete mit guten Wachstumschancen (Sachsendreieck[1], Thüringische Städtereihe[2], "Speckgürtel" um Berlin), die als die "Leuchttürme" im strukturschwachen Gebiet fungieren.
Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung wird die Forderung nach gleichwertigen Lebensräumen - wie sie im Grundgesetz (Art. 72 Abs. 2) verankert ist - immer schwieriger (Mai 2008). Der Schrumpfungsprozess in Ostdeutschland ist kein kurzzeitiges zyklisches Phänomen, vielmehr ist für die nächsten Jahrzehnte vorgezeichnet, dass es hinsichtlich der demografischen Entwicklung Gewinner- und Verliererregionen geben wird (Herfert 2007). Zurück bleibt vor allem in den ländlichen Gebieten eine sozial schwache, alternde Bevölkerung. Diese Regionen sind mittlerweile so sozial und intellektuell erodiert und dadurch unattraktiv geworden, dass ein Zuzug neuer Bürger unwahrscheinlich geworden ist. Die Wanderungs- und natürliche Bevölkerungsentwicklung eines Landes oder Region hat allgemein Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft des Staates, nämlich auf Bereiche wie Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Finanzpolitik und räumliche Struktur. Dies trifft natürlich in dem Fall auch auf Ostdeutschland zu, insbesondere auf die peripheren Regionen, die zunehmende Bevölkerungsverluste verzeichnen. Dort stellen fehlende Steuereinnahmen einerseits, Veränderungen im Versorgungsangebot andererseits oder ein großer Männerüberschuss sowohl Länder und Kommune als auch die Gesellschaft und den einzelnen Bürger vor kaum überwindbare Herausforderungen (vgl. Klingholz 2009b).
Durch diese sich abzeichnenden Entwicklungen mehren sich die Schreckensmeldungen über den demografischen Zustand in Ostdeutschland, das "in einem lichtlosen Tunnel ohne Hoffnung" feststecke und dessen ländlicher Raum "langsam zum Altersheim" verkommt (vgl. Kralinski 2003: 81). Bevölkerungsforscher Herwig Birg vergleicht die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland sogar mit der "demografischen Katastrophe wie im Dreißigjährigen Krieg" und befürchtet: "Wer soll in einer Region investieren, wenn die Weichen dauerhaft auf Schrumpfen gestellt sind?" (vgl. Tutt 2007: 33). Auch Bärbel Winkler-Kühlken mutmaßt, dass in Ostdeutschland "die Schere zwischen der Bevölkerungsentwicklung insgesamt und in den ländlichen Regionen noch weiter auseinander gehen“ wird (vgl. Winkler- Kühlken 2005: 67). Gleichzeitig wird in den entlegenen Regionen Ostdeutschlands die Rückkehr der jahrhundertelange ausgerotteten Wölfe als Symbol für die dramatische Entwicklung vieler ländlicher Gebieten in den neuen Bundesländern gesehen, schließlich verschwinden dort weniger Tiere als Menschen (Neu 2009). Reiner Klingholz prognostiziert derweil für die neuen Bundesländer "einen zweiten demografischen Wendeschock", denn auf Grund des erheblichen Geburtenrückgangs ab 1990 werde eine "halbausgefallene Generation als Eltern fehlen" (vgl. Klingholz 2009a). Der SPIEGEL befürchtet indes auf Grund des großen Frauenmangels, dass in Ostdeutschland künftig nur noch die "arbeitslosen Stadtdeppen ohne Chance auf Paarbeziehung" anzutreffen sein werden (Der SPIEGEL 2003).
Aber inwieweit stimmen diese beschriebenen Eindrücke, Bilder und Szenarien von Ostdeutschland überhaupt? Treffen diese "Schreckensszenarien" über einen zukünftigen Niedergang Ostdeutschlands wirklich zu? Oder bietet das drohende Aussterben sogar eine gewisse Chance? An dieser Stelle setzt die Forschungsarbeit an. Ausgehend von der Themenstellung "Welche Zukunft hat der Osten? Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung in den neuen Bundesländern auf Politik, Arbeitswelt, Infrastruktur und Gesellschaft" soll als Ziel dieser Master-Arbeit analysiert werden, zu welchen Problemen die negativ verlaufende Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland seit dem Fall der Mauer im Oktober 1989 bislang geführt hat. Darüber hinaus soll erörtert werden, welche Folgen auch noch zukünftig in den neuen Bundesländern zu erwarten sind und wie mit diesen umgegangen werden kann.
Im Folgenden sind unter "Ostdeutschland" beziehungsweise unter dem Begriff "neue Bundesländer" ausschließlich die fünf Flächenländer zu verstehen. Im Hinblick auf die demografische Entwicklung ist das Land Berlin mit den Ostflächenländern nur bedingt vergleichbar, da sich die demografischen Veränderungen in den neuen Ländern in Berlin weitgehend auf den ehemaligen Ostteil der Stadt konzentriert haben. Die Überschneidung mit Berlin lässt sich bei einigen statistischen Auswertungen jedoch nicht ganz vermeiden.
Die mit der Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung zusammenhängenden Probleme im Bereich der sozialen Sicherungssysteme können in dieser Arbeit nicht behandelt werden. Diese Auswirkungen umfassen das Finanzkonstrukt der gesamten Bundesrepublik. Eine ausführlichere Analyse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es muss an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass diese Probleme von Familienangehörigen der Kinder- und Enkelgeneration bewältigt werden müssen, die weit weniger zahlreich sind als heute. Da die zu erwartende Altersstruktur des Ostens noch schlechter ist als die in Westdeutschland, wird es im Bereich der sozialen Sicherungssysteme auch weiterhin einen "Lastenausgleich" (vgl. Schwarz 2002: 21) geben müssen.
Um das Thema dieser Master-Arbeit zu beantworten, wird nach dem einleitenden ersten Abschnitt in Kapitel 2 zunächst ein Überblick über die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland gegeben. Es wird dargestellt, wie es seit der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern zu einer deutlichen Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung infolge eines drastischen Rückgangs der Geburten kam. Anschließend wird das für die neuen Bundesländer charakteristische Merkmal der selektiven Migrationsbewegungen erarbeitet, ehe ein Überblick über die regionalen Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung der einzelnen Bundesländer erfolgt. Auf Basis der prognostizierten demografischen Trends wird im Folgenden erörtert, wie sich die Bevölkerung und ihre Räume in den neuen Bundesländern zukünftig entwickeln könnten.
In Kapitel 3 wird danach auf die Einflussfaktoren der Bevölkerungsentwicklung eingegangen. Es wird gezeigt, dass für die natürliche Entwicklung der Bevölkerung in Ostdeutschland hinsichtlich seiner Abwanderung und Schrumpfung nicht nur wirtschaftliche und strukturelle, sondern auch bildungsspezifische und geschlechtliche Gründe anzuführen sind. Im Anschluss daran wird erläutert, wie das Ungleichgewicht in der Geschlechterproportion zustande kam.
In Kapitel wird 4 herausgestellt, mit welchen Auswirkungen die Politik hinsichtlich der demografischen Entwicklung zu kämpfen hat. Inwieweit können tragfähige politische Netze in den ländlichen Regionen auf Grund einer schrumpfenden Bevölkerung überhaupt noch aufrecht erhalten werden und welche Maßnahmen sind infolgedessen zu ergreifen. Es stellt sich die Frage der zukünftigen finanziellen Ausstattung der Länder und Kommunen angesichts von abnehmenden Einnahmen und steigenden Ausgaben.
Welche Probleme sich der Arbeitswelt in Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung stellen, wird in Kapitel 5 geklärt. Dabei soll deutlich werden, worauf sich die Unternehmen auf Grund von fehlenden Auszubildenden und vor allem Fachkräften einzustellen haben. Wie wirkt sich der Verlust von Humankapitel auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens aus? Wie ist das Wachstum weiter auf einem hohen Niveau zu halten? Wie verändert sich die Güternachfrage?
In Kapitel 6 wird der Umgang der Infrastruktur hinsichtlich der Unterauslastung von technischen (Verkehr, Kläranlagen) und sozialen (Schulen, Krankenhäuser) Einrichtungen analysiert. Auch die veränderte Stadtentwicklungspolitik soll hinsichtlich des Niedergangs von Stadtteilen soll in diesem Abschnitt untersucht werden.
Danach wird in Kapitel 7 überprüft, welche Auswirkungen die demografischen Veränderungen auf die Gesellschaft haben: Wie wirkt sich das Ungleichgewicht der Geschlechter aus? Welche Veränderungen treten in den Familien- und Haushaltsstrukturen auf? Zusätzlich wird geklärt, ob die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wie sie im Grundgesetz verankert ist, in Ostdeutschland überhaupt noch aufrecht erhalten werden können.
In Kapitel 8 wird der Umgang der Politik mit dem Thema der Bevölkerungsentwicklung analysiert. Hat sie die Probleme überhaupt erkannt? Wenn ja: Wie geht die Politik mit dieser Angelegenheit auf Bundes- und Landesebene überhaupt um?
Danach werden die Perspektiven der Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland erläutert. Welche Zuwanderungschancen haben die neuen Bundesländer? Und wie sehen mögliche Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der demografischen Lage überhaupt aus? Zum Beispiel durch den verstärkten Einsatz von bürgerschaftlichem Engagement? Diese Fragen sollen in Kapitel 9 geklärt werden.
In Kapitel 10 werden die prägnanten Aspekte nochmals kurz zusammen gefasst. Basierend auf den erarbeiteten Erkenntnissen wird bei einem Ausblick geprüft, inwiefern das Thema dieser Master-Arbeit abschließend beantwortet werden kann.
2 Bevölkerungsentwicklung
Die Zusammensetzung der Bevölkerungszahl ergibt sich aus dem Zusammenspiel dreier unterschiedlicher demografischer Prozesse: der Wanderung (Migration), des Geburtenverhaltens (Fertilität) und der Sterblichkeit (Mortalität). Gekennzeichnet ist die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland durch zwei Einflussbündel: Auf der einen Seite herrscht ein negatives Wanderungssaldo, auf der anderen ist sie durch ein Defizit in der Geburtenentwicklung geprägt. Jene Sterbefallüberschüsse trugen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu rund zwei Drittel zum Rückgang der Bevölkerung in den neuen Bundesländern bei, während die Abwanderung ein Drittel der natürlichen Bevölkerungsentwicklung ausmacht. Diese Mixtur führt sowohl zu einer starken Schrumpfung als auch Alterung der Bevölkerung.
Im Folgenden wird die Bevölkerungsentwicklung der neuen Bundesländer der letzten zwei Jahrzehnte aufgearbeitet. Es werden die für sie spezifische Selektivität und die regionalen Unterschiede innerhalb der einzelnen Bundesländer dargelegt, danach wird auf die zukünftige Bevölkerungsentwicklung und die damit verbundene Raumordnungspolitik eingegangen. Grundlage der Berechnungen sind die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, das seine 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung von 2009 noch um die Bevölkerungsentwicklung der Bundesländer ergänzt hat. Dabei wird die Gesamtbevölkerung in Ostdeutschland (ohne Berlin) mit 13,178 Millionen Einwohnern beziffert (Statistisches Bundesamt 2010b).
2.1 Schrumpfung und Alterung
Das politische System der DDR beschränkte die Migrationsbewegungen stark, sowohl was die Abwanderung von DDR-Bürgern als auch die äußerst geringe Zuwanderung von Ausländern betraf. Trotzdem hatte die DDR über den gesamten Zeitraum ihres Bestehens (1949-1990) als einziges Land der Welt bedingt durch ein negatives Wanderungssaldo durchgängige Verluste der Bevölkerung zu verzeichnen, welche auch der Mauerbau 1961 nicht verhindern konnte.
Diese Verluste setzten sich nach der Grenzöffnung im November 1989 weiter fort. Das Ausmaß der Wanderungsverluste verlief ist in den letzten zwei Jahrzehnten sehr unterschiedlich, dabei lassen sich Wanderungswellen[3] unterscheiden. Die erste setzte sich mit dem Fall der Mauer 1989 und dem Einigungsjahr 1990 in Gang, als in beiden Jahren jeweils 400.000 Menschen den Osten verließen. Insgesamt wanderten in den folgenden vier Jahren bis 1993 fast 1,4 Millionen Menschen aus allen Altersgruppen aus der ehemaligen DDR in Richtung Westen. Wie in Abbildung 1 zu erkennen ist, konsolidierte sich bis 1997 die Entwicklung auf Grund der geringer werdenden Fortzüge und das Wanderungsgefälle wurde spürbar kleiner. Vor allem in den verstädtern und ländlichen Kreise verringerte sich der Wanderungsverlust und war beinahe ausgeglichen. In den Jahren 1994 und 1995 wurden in der Gruppe der 25- bis 30-jährigen Bevölkerung sogar Wanderungsgewinne für Ostdeutschland registriert. Dennoch stand für die erste Phase der Binnenmigration von 1989 bis 1997 bei 1,85 Millionen Abwanderern im Vergleich zu 1,2 Millionen Zuwanderern ein Wanderungsdefizit von über 600.000 Menschen.
Abbildung 1: Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: von Bargen 2009
Ab 1998 nahm die Nettoabwanderung erneut signifikant zu (vgl. Abbildung 1). Die Schere zwischen Ab- und Zuwanderung öffnete sich und erreichte 2001 mit 97.600 Personen ihren negativen "Höhepunkt" in der zweiten Welle der Abwanderungen. Gleichzeitig blieb die Zuwanderung aus den alten Ländern aber auf einem sehr geringen Niveau. Zuwanderungsgewinne gab es lediglich in den Universitätsstädten durch die 18- bis 24-jährigen und in den ländlichen Räumen in Mecklenburg- Vorpommern durch die ältere Bevölkerung. Seit 2003 ist mit Ausnahme der Altersgruppen der 18- bis 24-jährigen wieder ein Abflauen der Wanderungen in allen Generationen zu beobachten (Ragnitz 2005; Schneider / Eichler 2007; Weiß 2005). Die aktuellsten Zahlen bezüglich der Wanderungen zeigen, dass 2008 insgesamt 136.500 Personen aus den neuen Bundesländern in den Westen zogen, während 85.500 Menschen den Weg in die entgegengesetzte Richtung wählten. Die neuen Bundesländer verloren folglich per Saldo rund 51.000 Personen durch Abwanderung. Damit schwächte sich die Wanderung von Ost- nach Westdeutschland wieder leicht ab, nachdem in den Jahren 2006 und 2007 ein geringfügiger Anstieg zu verzeichnen war. Dennoch ergibt sich für die zweite Phase der Wanderungswellen (1998-2008) durch Abwanderungen (1,94 Millionen) und Zuwanderungen (0,99 Millionen) ein Defizit von fast einer Million Personen.
Zu den Hauptzielländern im Westen zählten in der Vergangenheit vor allem Bayern, aber auch Niedersachen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Unter Berücksichtigung der Einwohnerzahlen war 2008 von der Abwanderung am stärksten Mecklenburg-Vorpommern (1,5 Prozent der dort lebenden Bevölkerung) betroffen, gefolgt von Thüringen (1,2 Prozent) und Sachsen-Anhalt (1,1 Prozent). Insgesamt zogen seit 1989 bis 2008 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 3,79 Millionen Menschen von den neuen in die alten Bundesländer; in die umgekehrte Richtung wanderten dagegen 2,19 Millionen Bürger ab, was für Ostdeutschland ein Wanderungsdefizit von rund 1,6 Millionen Personen ergibt (vgl. Friedrich / Schultz 2005; Kröhnert 2008; Statistisches Bundesamt 2009).
Ein weiteres Merkmal der Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland ist neben der (Binnen-)Migration die Schrumpfung der Bevölkerung, die durch einen "doppelten Geburtenknick" (vgl. Tutt 2007: 46) ausgelöst wurde, nämlich dem Einbruch der Geburten und dem Fortzug potentieller Eltern. Die Gesamtfertilität in der DDR lag mit durchschnittlich 1,6 Kindern pro Frau deutlich höher als in der Bundesrepublik (1,3), da das politische System der DDR frühere und häufigere Geburten förderte; auch die bessere strukturelle Vereinbarkeit von Kindern und Erwerbstätigkeit war im Erwerbssystem der DDR gegeben. Nach der Wiedervereinigung mussten jedoch die neuen Bundesländern, und dort besonders die ländlichen Regionen, einen überaus großen Geburtenrückgang hinnehmen. Lag die Fertilität der Frauen 1990 noch bei 1,52 Kindern, sank sie 1994 auf 0,77 Kinder - der niedrigste Wert, der weltweit je gemessen wurde. Während 1990 noch 203.000 Kinder im Osten Deutschlands geboren wurden, waren es 1994 nur noch 102.000 Neugeborene. Danach stieg das Geburtenniveau bis 2004 zwar wieder auf 1,31 an und lag 2008 mit 1,4 Kindern pro Frau auf dem westdeutschen Niveau (vgl. Abbildung 2) - zur Bestandserhaltung einer Bevölkerung ist jedoch eine Fertilität von 2,1 Kindern pro Frau nötig.
Abbildung 2: Anzahl der lebendgeborenen Kinder pro Frau
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2009
Diese niedrige Geburtenhäufigkeit führt in Ostdeutschland dazu, dass Bevölkerungsgewinne nur noch in den Regionen verwirklicht werden können, in denen positive Wanderungssalden (vgl. 2.3) zu verzeichnen sind. Gleichzeitig fehlten durch die Abwanderung der jüngeren Menschen nach Westdeutschland vor allem die potentiellen Altersgruppen, die überhaupt noch Kinder zeugen konnten (Kröhnert 2008; Tutt 2007).
Die Kombination aus Schrumpfung der Bevölkerung und Rückgang der Geburten resultiert in dem für Ostdeutschland auffälligen Merkmal der flächenhaften Alterung der Bevölkerung, in dem der Anteil der Jüngeren sinkt und die Anzahl der Älteren permanent steigt. Ostdeutschland weist mit Ausnahme der Berliner Umlandkreise und einiger Gebiete Mecklenburgs eine überdurchschnittliche "alte" Bevölkerung auf. Diese Entwicklung wird anhand der Abbildung 3 deutlich, wo die Altersgruppe der 65-jährigen und Älteren in den neuen Bundesländern (zusammen mit Saarland und Bremen) am höchsten vertreten ist. Zwar weisen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern dank ihrer vereinzelten "jungen" Regionen noch den geringsten Anteil an Senioren auf, dafür stieg ihr "Altersgewinn" prozentual gesehen im Beobachtungszeitraum von 1991 bis 2006 allerdings am höchsten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Anteil der 65-jährigen und Älteren nach Bundesländern
Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen Saarland Bremen Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern Schleswig-Holstein Rheinland-Pfalz Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Hessen Bayern Baden-Württemberg Hamburg Berlin
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der zunehmende Anteil älterer Bürger ist wiederum das Resultat der Nettoabwanderung jüngerer Menschen und damit der potenziellen Mütter. Dazu trug auch der medizinische Fortschritt zu einer gestiegenen Lebenserwartung und damit zu einem höheren Anteil an älteren Personen bei. Folge dieser Entwicklungen ist deshalb eine Zunahme des Durchschnittsalters der ostdeutschen Bürger, das von 38,6 Jahren (1991) über 42,6 (2002) auf 44,1 Jahre (2008) stieg (Kröhnert 2008; Lehmann 2008; Statistisches Bundesamt 2010a; Statistisches Bundesamt 2010b).
2.2 Selektivität der Bevölkerungsentwicklung
Charakteristisch für die Migrationen in Ostdeutschland sind die Unterschiede hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Geschlecht und Wanderungsverhalten. Bei der Abwanderung in den Westen sind es vor allem die jungen Personengruppen, die hoch vertreten sind: 60 Prozent der Ost-West-Migranten sind jünger als 30 Jahre. Der höchste Anteil des gesamten Wanderungssaldos entfällt dabei wiederum auf die Altersgruppe der hochmobilen 18- bis 24-jährigen. Mit zunehmendem Alter reduziert sich schließlich der Umzugswunsch; vor allem Familien haben eine deutlich niedrigere Mobilität als Alleinstehende. Ab dem Alter von 50 Jahren spielt die Ost-West-Mobilität in der Gesamtzahl fast kaum mehr eine Rolle, wobei das Wanderungsverhalten der über 65-jährigen ab Mitte der 1990er Jahre bis Mitte der 2000er Jahre sogar positiv gewesen ist.
Innerhalb der Altersgruppen sind im Verhalten der Abwanderungen ebenfalls Unterschiede zu erkennen: Während die jüngere Bevölkerung (18 bis 30 Jahre) vornehmlich aus ländlichen Gebieten fortzieht, verlassen Familien (Kinder unter 18 Jahren und Erwachsene zwischen 30 bis 50 Jahren) und ältere Bevölkerungsgruppen (ab 51 Jahren) hauptsächlich Großstädte oder verstädterte Regionen. Die Wanderungen lassen sich insgesamt in drei verschiedene Altersstrukturtypen kategorisieren:
- Bei den 18- bis 30-jährigen ist das Wanderungsgefälle zum Westen in den strukturschwachen Mittelstädten (Frankfurt/Oder, Cottbus, Hoyerswerda) überdurchschnittlich groß. Dasselbe gilt für strukturschwache Kreise des Nordostens, Sachsen-Anhalts oder Nordthüringens. Der größte Cluster wird von Kreisen mit gemäßigter Abwanderung und junger Altersstruktur, aber unterdurchschnittlicher Entwicklung durch verstädterte Kreise an den Grenze zu Westdeutschland gebildet, die vor allem als Wohnstandort attraktiv sind.
- Die Familien und mittleren Bevölkerungsjahrgänge (unter 18 Jahren und zwischen 30 bis 50 Jahre) wandern vor allem aus strukturschwachen Städten (Cottbus, Brandenburg, Dessau) nach Westdeutschland ab. Zu dieser Kategorien gehören die Kreise, die ihre Eigenschaft als Abwanderungsgebiet ihrer dezentralen Lage zu verdanken haben. Einen geringen Teil der Abwanderungen dieser Altersgruppen bilden Großstädte, die eine günstige sozioökonomische Struktur aufweisen wie das Sachsendreieick oder die Thüringische Städtereihe.
- Die ab 50-jährigen migrieren vor allem aus Mittel- und Großstädten mit einer strukturschwachen wirtschaftlichen Entwicklung nach Westdeutschland ab.
Diese räumliche Struktur der Hauptwanderungsgebiete spiegelt die Motivation dieser Gruppe im Rahmen ihres Lebenszyklus wider.
Innerhalb der Wanderungen in Ostdeutschland findet zudem eine Polarisierung statt, denn die (junge) Bevölkerung zieht es aus den peripheren Gebieten in die Boomregionen im südlichen Ostdeutschland (Sachsendreieck, Thüringische Städtereihe) und den Berliner "Speckgürtel". Diese Gebiete punkten mit spezifischen Standortvorteilen (als Wohn-, Wirtschafts- und Bildungsstandort), einer überdurchschnittlicher sozioökonomischen Entwicklung und können ihre Abwanderung durch Zuwanderung (vor allem mit jüngerer Bevölkerung) teilweise mehr als kompensieren. Verliererregionen der Binnenwanderung sind wie bei der Abwanderung nach Westdeutschland die peripherer gelegenen ländlichen Räume im Norden und strukturschwachen Mittelstädte wie Frankfurt/Oder, Cottbus oder Hoyerswerda. In etwa die Waage halten sich die Binnenwanderungen in den Übergangsregionen: Während die verstädterten, grenznahen Räume in der Nähe der Ballungszentren eher als Wohnstandort, denn als Arbeitsort dienen, gleichen die Küstenregionen die Abwanderung der jüngeren Altersgruppen durch "Altersruhesitze" für Senioren aus (vgl. Herfert 2007).
Auffällig ist, dass die Abwanderer einer überdurchschnittlich hohe Schulbildung besitzen: Nur zwölf bis 14 Prozent der aus dem Osten abgewanderten Personen sind überhaupt arbeitslos. Gleichzeitig ist der Anteil der Abiturienten und Hochschulabsolventen (18 bis 29 Jahre) sehr groß - auch weil von ostdeutschen Universitäten und Hochschulen jedes gleich über 70 Prozent der Absolventen in den West abwandern.
Ein für Ostdeutschland neues und weitgehend unerforschtes Thema ist hingegen der enorme geschlechtsspezifische Unterschied bei dieser Wanderungsbewegung. Von 1991 bis 2005 waren etwa 63 Prozent aller abgewanderten Personen weiblich, die zudem in den meisten Fällen dem Trend folgend einen hohen Bildungsstand aufwiesen. Da von den abgewanderten Frauen wiederum mehr als die Hälfte jünger als 30 Jahre sind, ist in den neuen Bundesländern im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte ein erhebliches Defizit an weiblicher Bevölkerung in der Altersgruppe der 18- bis 29-jährigen entstanden, die seit Beginn der 1990er Jahre den Schrumpfungsregionen den Rücken kehren. Dagegen bleiben junge Männer mit schlechter Ausbildung zurück. In der Hochphase der Abwanderung 1989 und 1990 waren zwar noch deutlich mehr Männer als Frauen in das Wanderungsgeschehen involviert. Ab 1991 bis Mitte der 2000er Jahre lag das Abwanderungssaldo der Frauen jedoch fast immer deutlich über dem der Männer, wie Tabelle 1 zu entnehmen ist.
Tabelle 1: Wanderungen zwischen den alten und den neuen Bundesländern^ 1991-2008, Personen insgesamt
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Alte Bundesländer ohne Berlin-West, neue Bundesländer ohne Berlin-Ost 1 ' vorläufiges Ergebnis
Quelle: Statistisches Bundesamt 2009
In den letzten Jahren nahmen die Diskrepanzen zwischen Frauen und Männern wieder ab, ehe der Wanderungsverlust bei Frauen und Männern 2008 mit je 25.500 Personen nahezu identisch war - es war das erste Jahr seit 1991, in dem nicht mehr Frauen als Männer aus den neuen Bundesländern migrierten. Während bei den Männern seit 1994 die Zahl der Fortzüge durch die Zuzüge fast ausgeglichen wurde, blieb bei den Frauen das Wanderungssaldo dagegen durchgehend negativ. Durch diese Entwicklungen entstand ein großes Missverhältnis zwischen Männern und Frauen, vor allem in der wanderungsintensiven Gruppe der 18- bis 29-jährigen. Daher kamen 2008 in dieser Altersklasse auf 100 Männer nur 85 Frauen. Während die kreisfreien Städte ein relativ ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter aufweisen, ist die Diskrepanz in den Landkreisen zum Teil noch wesentlich dramatischer als im gesamten Landesdurchschnitt. In einigen Kreisen "fehlt" jede junge vierte Frau, die dort als potentielle Mutter künftig Kinder zur Welt bringen könnte. In Bezug auf die demografischen Folgewirkungen ist jedoch es entscheidend, in welchen Altersstufen gewandert wird, weniger, in welcher Größenordnung. Denn das Resultat ist ein Männerüberschuss vor allem bei den jüngeren Jahrgängen, der sich auf ländlich geprägte Räume und strukturschwache Gebiete konzentriert. Umgekehrt liegt das Verhältnis bei den Altersgruppen zwischen 25 und 50 Jahren zu Gunsten der Männer.
Insgesamt herrscht eine unausgewogene Migration, die vor allem überproportional junge, qualifizierte Frauen betrifft, wie sie sonst in diesem Ausmaß nirgendwo in der Welt zu finden ist. Aber: Die Abwanderung aus dem Osten ist vom Umfang her nicht größer als die aus anderen Regionen. Der Migrationsstrom der Personen, die von den alten in die neuen Länder wandern, ist mit 1,6 Millionen Menschen durchaus groß, nur gibt es in der Gesamtheit zu wenig Zuwanderer, die von den ostdeutschen Städten angezogen werden. Dieses negative Wanderungssaldo resultiert vornehmlich aus dem Frauendefizit bei den Zuzügen nach Ostdeutschland. Auch bei den Rückwanderern in die neuen Bundesländer ist dieses Muster erkennbar, denn es sind hauptsächlich zurückkehrende ostdeutsche Männer für den Männerüberschuss verantwortlich (vgl. auch 9.1).
Den größten Anteil an den Ost-Wanderungen halten die Personen der Altersgruppe von 30 bis 50 Jahren. Zur Wanderungsgruppe der Zuzügler gehören teilweise auch die Senioren ab 65 Jahren, allerdings stagnierte der Anteil der Älteren in den letzten Jahren wieder. Die Zuwanderung der älteren Bevölkerung aus dem Westen konzentriert sich derweil auf Kreise, in denen die Bereiche Infrastruktur, Fremdenverkehr und Wohnungsmarkt überdurchschnittliche Werte aufweisen - also landschaftlich attraktive Gebiete an der Ostseeküste, dem Thüringer Wald oder dem Erzgebirge (Beetz 2009a; Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2006; Grünheid 2009; Jain / Schmithals 2009; Kröhnert 2009, Mai 2006; Schultz 2009).
2.3 Entwicklung der Bundesländer
Bei den Darstellungen über die Bevölkerungsentwicklung in den neuen Bundesländern darf Ostdeutschland jedoch nicht nur als Ganzes betrachtet werden, sondern muss für eine bessere Einordnung auch differenziert analysiert werden. Die neuen Bundesländer sind nicht nur untereinander ungleichmäßig vom demografischen Niedergang betroffen, sondern auch innerhalb ihrer einzelnen Regionen. Während sich Metropolregionen - Dresden und Leipzig, der Berliner "Speckgürtel" sowie die Thüringische Städtereihe (Jena, Erfurt, Weimar) - mehr oder weniger demografisch stabilisieren konnten, sind Gebiete fernab von urbanen Zentren besonders stark von Abwanderung und Sterbefallüberschüssen gekennzeichnet.
Mecklenburg-Vorpommern (1,652 Millionen Einwohner/November 2009) war zum Zeitpunkt der Wende das Bundesland mit dem jüngsten Altersdurchschnitt, zudem gab es vergleichsweise wenige Rentner. Doch mit dem Einbruch der Geburtenzahlen nach der Wiedervereinigung und der Abwanderung junger Menschen wandelte sich Mecklenburg-Vorpommern binnen kurzer Zeit in die jugendärmste Region Ostdeutschlands. Die Zahl der unter 20-jährigen halbierte sich dabei bis 2010 um rund die Hälfte (vgl. Abbildung 4).
Abbildung 4: Zahl der 16- bis und 20-jährigen in Ostdeutschland 1999 bis 2010
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Kröhnert, Steffen 2003
Insgesamt musste das nördlichste der neuen Bundesländer von 1990 bis 2008 einen Rückgang der Bevölkerung um 260.000 Menschen hinnehmen. Auch die Großstädte Rostock, Schwerin und Wismar haben seit 1990 etwa ein Fünftel ihrer Bevölkerung verloren, wenngleich Bad Doberan als Landkreis um Rostock mit einer steigenden Einwohnerzahl von knapp 30 Prozent Landkreis mit dem höchsten Wachstum in ganz Deutschland ist.
In den nächsten Jahren ist ein weiterer jährlicher Rückgang zwischen 0,7 und 0,8 Prozent der Bevölkerung anzunehmen. Dabei ergibt sich ein regional unterschiedliches Bild: Die Kreise erwarten umso größere Bevölkerungsverluste, je weiter sie im Osten liegen. Während die Städte im Westen des Bundeslandes von ihrer Nähe zu den alten Bundesländern profitieren können, sind in Vorpommern und im Osten Mecklenburgs Bevölkerungsverluste von bis zu 15 Prozent zu erwarten. Bei Betrachtung der Zahl der Zu- und Fortzüge offenbart sich folgendes Bild: Seit 1990 finden sich nur zwei Jahrgänge, in denen mehr Menschen zu- statt weggezogen sind: 1995 betrug die Wanderungsbilanz plus 198 Menschen, im Jahr darauf plus 1.666 Bürger. Allerdings ist der Rückgang der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern in seiner Gesamtheit seit 2002 etwas geringer ausgefallen als im Durchschnitt der neuen Länder. Dies lag vor allem auch an der Zunahme der Geburtenziffer, die auf 1,41 Kinder pro Frau angestiegen ist. Außergewöhnlich ist in Mecklenburg-Vorpommern der steigende Altersdurchschnitt: Das durchschnittliche Alter der Bevölkerung betrug 1989 noch etwa 36 Jahre, stieg auf 43,8 (2006) Jahre und soll sich bis 2030 auf Grund der deutlich zunehmenden Rentnerzahlen auf nahezu 49 Jahre erhöhen (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2006; Gräf 2009; Mecklenburg-Vorpommern 2008; Statistisches Bundesamt 2010b).
Brandenburg (2,512 Millionen Einwohner/November 2009), das in Ostdeutschland die zweitdünnste Besiedelung aufweist, profitiert seit langer Zeit von den Zuzügen aus Berlin und verzeichnet als einziges der ostdeutsches Bundesländer eine relativ stabile Bevölkerungsentwicklung (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5: Veränderung der Bevölkerung nach Bundesländern (1990-2006)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2010a
In der Entwicklung der Bevölkerung ist allerdings zu differenzieren: Während die Bevölkerungszahl um den Berliner "Speckgürtel" im Vergleich zu 1990 um 30 Prozent gestiegen war, ging im äußeren Entwicklungsraum des Landes die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um insgesamt 16,1 Prozent zurück; dabei wurde der natürliche Bevölkerungsrückgang durch die Wanderungsverluste zusätzlich verstärkt. Bis 2060 wird die Bevölkerung im Ballungszentrum um Berlin weiter zunehmen, während sie in den Hauptstadt fernen Landesteilen stark zurück gehen wird. Anders ausgedrückt: Die eine Hälfte der Bevölkerung konzentriert sich dann auf 15 Prozent der Landesfläche, die andere Hälfte auf 85 Prozent. Diese Entwicklung macht sich schon jetzt in den Städten bemerkbar: Während das Berlin nahe Potsdam seine Bevölkerung konstant hält, verloren die anderen größeren Städte Brandenburg und Frankfurt/Oder rund 20 Prozent ihrer Bevölkerung. In kleineren und wirtschaftlich geschwächten Städten wie Schwedt oder Eisenhüttenstadt fällt die Entwicklung noch drastischer aus.
Trotz einer relativ hohen Geburtenziffer (2008: 1,4 Geburten pro Frau) werden die Menschen in Brandenburg immer älter. 2006 war jeder fünfte Brandenburger im Rentenalter, bis 2030 soll es bei steigender Lebenserwartung jeder dritte sein (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 206; Brandenburg 2008; Statistisches Bundesamt 2010b).
Wie zur Zeit der DDR ist Sachsen-Anhalt (2,360 Millionen Einwohner/Oktober 2009) das Bundesland, das mit den größten Verlusten an Bevölkerung zu kämpfen hat. Im Vereinigungsjahr 1990 verließen gleich 87.0000 Menschen die Region. In den weiteren Jahren seit der Wiedervereinigung pendelte sich die Zahl der Abgewanderten auf durchschnittlich 17.000 Menschen pro Jahr ein, die meisten davon im besten Familiengründungsalter von 18 bis 30 Jahren. Mit dem Ohrekreis (bei Magdeburg) und dem Saalkreis (bei Halle) verbuchten nur zwei Landkreise dank der Nähe zu den beiden größten Städten nach dem Mauerfall überhaupt Bevölkerungszuwächse; mittlerweile ist jedoch auch deren Zuwachspotential erschöpft und sie verlieren wie alle anderen Kreise an Bevölkerung.
Symbolisch für diese Entwicklung im Bundesland steht die Region Dessau-HalleMagdeburg, in der Mitte 2008 die Einwohnerzahl um 4,7 Prozent niedriger als noch vier Jahre davor lag. Die demografische Entwicklung im Land liegt nicht nur an den niedrigen Geburtenzahlen, sondern auch daran, dass die Region europaweit am meisten Menschen durch Abwanderung verliert. Dafür verantwortlich ist wiederum die im Durchschnitt zu geringe Zahl an Zuwanderungen, die die massiven Abwanderungen nicht auffangen kann, aber auch ein überdurchschnittlich hohes Geburtendefizit (jedes Jahr sterben 12.000 mehr Menschen als geboren werden). Auf Grund der hohen Migration von jungen Frauen fehlen jedoch auch die potentiellen Mütter.
Längerfristig ist davon auszugehen, dass die Bevölkerung trotz einer tendenziell steigenden Geburtenziffer (2008: 1,38 Kinder pro Frau) bis 2020 um bis zu zwölf Prozent sinkt. Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind die strukturschwachen, dünn besiedelten Landkreise und Gebiete mit Großwohnsiedlungen (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2006; Klingholz 2009b; Sachsen-Anhalt 2008; Statistisches Bundesamt 2010b).
Sachsen (4,171 Millionen Einwohner/November 2009) verlor seit der Einheit bis 2008 gut eine halbe Millionen Menschen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung ist von 39 auf 45 Jahre gestiegen. Die hohen Verluste durch die Abwanderung junger Menschen haben dabei nicht nur unmittelbar zur Bevölkerungsabnahme geführt, sondern auch die Basis für weitere Familiengründungen verringert. Dazu erlebte Sachsen zu Beginn der 1990er Jahre einen drastischen Einbruch der Geburtenraten. 2008 stiegt die durchschnittliche Kinderzahl jeder Frau mit 1,44 jedoch auf den höchsten Wert in den neuen Bundesländern. In Verbindung mit der steigenden Lebenserwartung findet zugleich eine hohe gesellschaftliche Alterung statt: Bei den Frauen von 79 auf 82 Jahre, bei den Männern von 71 auf 76 Jahre. Kindermangel und die Abwanderung junger Menschen beschleunigen die Alterung des Bundeslandes, das das "älteste" in ganz Deutschland ist. Sachsen würde auch weiter Einwohner einbüßen, wenn mehr Menschen zu- statt fortziehen, denn es sterben jährlich 20.000 Menschen mehr im Freistaat als das geboren werden. Durch Abwanderung und Sterbefallüberschüsse droht Sachsen bis 2020 weitere rund neun Prozent seiner Bevölkerung zu verlieren.
Der demografische Wandel vollzieht sich regional sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite sind die Auswirkungen in der Region des Sachsendreiecks relativ gering, Städte wie Dresden und Leipzig gewinnen weiter an Bevölkerung. Gleichzeitig hält der enorme Wegzug aus den entlegenen, wirtschaftsschwachen Kreisen aber unvermindert an. Je weiter die Kreise von den Metropolen entfernt sind, desto mehr schrumpft die Bevölkerung. Einzelne Regionen in der Oberlausitz und im Erzgebirge sind bereits heute durch eine geringe Siedlungsdichte und einen hohen Altersdurchschnitt gekennzeichnet. Dort wird in einigen dieser Landkreise die Einwohnerzahl um bis 20 Prozent sinken (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2006; Sachsen 2008; Statistisches Bundesamt 2010b).
Thüringen (2,25 Millionen Einwohner/November 2009) hat seit der Wiedervereinigung rund 450.000 Einwohner verloren. Insgesamt wanderten seit dem Fall der Mauer über 1,7 Millionen Bürger aus Thüringen ab, im Jahr 2008 betrug das Minus in den Wanderungsbewegungen rund 12.000 Personen. Diesem Migrationsdefizit steht eine konstante Zahl an Verstorbenen gegenüber. Auf der Gegenseite fehlen jedes Jahr 10.000 Geburten, um für einen Ausgleich zu sorgen. Addiert mit der Geburtenbilanz geht die Bevölkerung in Thüringen jedes Jahr trotz einer noch relativ hohen Geburtenziffer von 1,37 Kindern pro Frau um circa 45.000 Menschen zurück. Dazu kommt der europaweit größte Mangel an Frauen: Alleine in der Altersgruppe der 15- bis 30-jährigen "fehlen" den Männern deshalb 6.000 Frauen.
Wie in allen anderen Bundesländern gibt es auch hier regionale demografische Unterschiede. Während es in Universitätsstädten wie Jena und Weimar noch ausgeglichene Geschlechterverhältnisse im Familiengründungsalter gibt, fehlen in einigen ländlichen Gegenden mehr als ein Fünftel junger Frauen. Vergleichsweise positiv im ostdeutschen Vergleich ist auch der Anteil der unter 35-jährigen (36,5 Prozent), der nur von Mecklenburg-Vorpommern übertroffen wird. Hinter dem Durchschnittswert verbirgt sich allerdings ein starkes regionales Gefälle: Das wirtschaftsschwache Ostthüringen hat sich zu einer der am überaltersten Gegenden der Republik entwickelt, während Jena die jüngste Stadt im Osten darstellt. Jena bildet mit Erfurt und Weimar die "Thüringische Städtereihe" und stellt - ähnlich wie das Sachsendreieck - eine der wenigen stabilen Regionen im allgemein schrumpfenden Ostdeutschland dar. In diesen drei Städten herrscht zudem eine ausgeglichene Geburtenbilanz, die eine weitere Alterung der Bevölkerung verlangsamt. Dem gegenüber steht die Entwicklung in den ländlichen Gebieten, deren Bevölkerung jedoch durch Geburtenrückgang und Abwanderung schrumpft. Dadurch steigt das Durchschnittsalter in jenen Gebieten rasch an. Die Wanderungen selbst zeigen einen Trend in die Stadt, unabhängig davon, ob diese in Thüringen oder anderen Bundesländern liegt. Bis 2020 ist ein weiterer Verlust der Bevölkerung um rund zehn Prozent im Vergleich zum Jahr 2008 zu erwarten (BerlinInstitut für Bevölkerung und Entwicklung 2006; Statistisches Bundesamt 2010b).
2.4 Zukunftsprognosen und Raumentwicklung
Die Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung werden sich in der Zukunft in Ostdeutschland weiter verschärfen. Zwar verlangsamt sich die Schrumpfung der Bevölkerung, dennoch erwartet das Statistische Bundesamt für die neuen Bundesländer bis 2020 einen erneuten Verlust der Bevölkerung um 1,33 Millionen Bürger im Vergleich zum Jahr 2008, so dass dadurch die ostdeutsche Population auf weniger als zwölf Millionen Menschen absinkt. Bis 2050 wird der Bevölkerungsstand voraussichtlich unter die 10-Millionen-Grenze fallen; dies bedeutet, dass sich die ostdeutsche Bevölkerung seit 1989 um mehr als ein Drittel reduziert haben wird. Besonders drastisch fällt dabei die Schrumpfung in der Altersgruppe der 19- bis 24-jährigen aus. Der starke Geburtenrückgang kurz nach der Wende sorgt dafür, dass sich die Bevölkerung in den neuen Bundesländern in dieser Altersstufe bis 2015 nahezu halbieren wird (Statistisches Bundesamt 2010b). Ein Merkmal der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung ist die erhebliche Alterung der Bevölkerung. Da die in den nächsten Jahren ins gebärfähige Alter eintretenden Jahrgänge auf Grund des Geburtenrückgangs nach der Vereinigung relativ schwach besetzt sind, wird sich die Zahl der Geburten vermutlich nochmals deutlich verringern. Herfert vermutet daher, dass Ostdeutschland in einigen Jahren eine "im internationalen Vergleich neue Qualität der Depopulation" (vgl. Herfert 2007: 436) erleben wird. Dadurch sinkt die Größe der jüngeren Altersgruppen dramatisch, die der 15 bis 20-jährigen etwa um bis 46 Prozent, bei den 20 bis 40-jährigen um 28 Prozent. Bis 2060 werden dagegen 36 Prozent der Bürger 65 Jahre und älter sein (Hofmann / Seitz 2008: 70).
Gleichzeitig nimmt dadurch auch die absolute Zahl der Wanderungen von den neuen in die alten Bundesländer von 48.000 (2008) auf 14.000 (2020) pro Jahr ab. Auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit und der geringen wirtschaftlichen Potentiale dieser Städte und Gemeinden werden im Allgemeinen die jungen Altersgruppen abnehmen und die Abwanderung von Qualifizierten und jungen Berufseinsteigern in Zukunft anhalten. Neben dem starken Rückgang der Bevölkerung sind auch stark ausgeprägte Prozesse der Alterung charakteristisch für diese Raumgebiete. Dabei fällt neben den deutlich ausgeprägten Schrumpfungs- und Alterungsprozessen die wirtschaftliche Schwäche auf: Negative Arbeitsplatzentwicklungen und sehr hohe Arbeitslosenquoten gehen mit dem ausgeprägten demografischen Wandel einher (Kröhnert 2009; Statistisches Bundesamt 2010b).
War das Grundmuster der ostdeutschen Raumentwicklung bis Mitte der 1990er Jahre noch von der Suburbanisierung, also der Stadtflucht, dominiert, führte die demografische Suburbanisierung zu einer starken Konzentration der Bevölkerung, weil viele Haushalte in das Umland zogen. Dieser Aspekt wurde dadurch verstärkt, dass die „Plattenbauten“ der großen Städte oftmals entweder eine schlechte Qualität der Wohnungen aufwiesen oder unter ihrem negativen Image litten. 15 Jahre später hat dieser Prozess an Wirkung verloren, denn die ostdeutsche Raumentwicklung stellt sich auf Grund von mehr oder weniger starken Bevölkerungsverlusten bei näherer Betrachtung sehr differenziert dar. Nicht nur die Landeshauptstädte und deren Ballungsräume heben sich vom „schrumpfenden Rest“ (vgl. Fröhlich / Liebmann 2009: 61) ab: Abbildung 6 verdeutlicht, dass auch innerhalb der eher strukturschwachen, ländlichen Räume in Ostdeutschland in den letzten Jahren ebenfalls unterschiedliche Dynamiken in der Entwicklung zu erkennen sind (vgl. Herfert 2007).
Abbildung 6: Bevölkerungsentwicklung 2000-2006 nach Gemeinden
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In Ostdeutschland findet ein sehr dynamischer demografischer Schrumpfungsprozess statt, der laut Herfert kein kurzzeitiges zyklisches Phänomen darstellt, sondern für die nächsten Jahrzehnte vorgezeichnet ist. Die in Abbildung 7 dargestellte Polarisierung der Räume bezieht sich zwar auf die regionale Entwicklung von 2000 bis 2006, zeigt aber dennoch die zukünftige Differenziertheit der Räume. Es wird ein Nebeneinander von Bevölkerungsrückgang und Wachstum der Population sowie von boomenden und schrumpfenden Regionen geben. Es kristallisieren sich dabei drei verschiedene Raumtypen heraus (Herfert 2007).
Abbildung 7: Wachsende Polarisierung in Ostdeutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Wachstumsinseln um den Berliner "Speckgürtel" werden zukünftig weiter an Bevölkerung gewinnen; in einigen Landkreisen wird die Bevölkerung sogar um bis zu 15 Prozent zunehmen. Dazu schrumpft die Bevölkerung im Sachsendreieck sowie der thüringischen Städtereihe nur geringfügig. Die Kernstädte gewinnen dadurch Bevölkerung auf Grund einer verstärkten Bevölkerung sowohl aus dem eigenen also auch aus den anderen neuen Bundesländern. Diese boomenden Regionen ziehen mit ihren Universitäten und ihrer Wirtschaftskraft meist junge Bildungswanderer und Berufseinsteiger an, vorwiegend Singles und kinderlose Partnerschaften, während Familien nur eine untergeordnete Rollen spielen. Durch diese Entwicklungen wird die Alterung der Bevölkerung vorerst noch wesentlich abgedämpft (Herfert 2007). Die heutigen Wanderungsgewinne von Familien könnten dann allerdings den beschriebenen Alterungsprozess beschleunigen, weil die geringe Kinderzahl mit einer sehr geringen Geburtenrate korrespondiert. Die Gruppe der zugewanderten jungen Leute, die später eine Familie gegründet haben, würde bis 2020 dann in die Gruppe der "jungen Alten" hineingewachsen sein (Kröhnert 2009; Statistisches Bundesamt 2010b).
[...]
[1] Als Sachsendreieck wird die Metropolregion zwischen Chemnitz, Leipzig und Dresden mit den weiteren Städten Halle und Zwickau bezeichnet. Sie umfasst hauptsächlich Sachsen, an ihren Randgebieten auch Teile von Thüringen und Sachsen-Anhalt. Von der Ministerkonferenz für Raumordnung wurde sie zu den elf Metropolregionen in Deutschland benannt.
[2] Mit der thüringischen Städtereihe ist das Wirtschaftszentrum sowie die als Kultur- und Bildungsstätte geltende Region von Eisenach bis Altenburg mit den vier Großstädten Erfurt, Jena, Weimar und Gera gemeint.
[3] Seit dem 1. Januar 2001 liegt Auf Grund der Gebietsreform in Berlin keine bevölkerungsstatistische Unterteilung der Ost- und Westteile Berlins mehr vor. Zur Vereinfachung wird bei den Wanderungen das Bundesland Berlin bei den Daten nicht mit eingerechnet. Das Wanderungsdefizit aus dem Osten dürfte mit Berlin aber vermutlich noch etwas höher ausfallen.
- Quote paper
- Frederik Böckmann (Author), 2010, Welche Zukunft hat der Osten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163512
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