Die zwei Seiten des Wachstums

Ein metaphernanalytischer Exkurs über Globalisierung und Schweinegrippe


Seminar Paper, 2010

18 Pages, Grade: 6


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung ins Thema

2. Superposition von Globalisierung und Virus

3. Zur Diagnostik infizierter Volkswirtschaften

4. Theoretisch-methodischer Teil
4.1. Kognitive Linguistik
4.2. Über die Diskurs- zur Metaphernanalyse

5. Analyseteil
5.1. Die Wirtschaft als Krisen- und Krankheitsfall
5.2. Die zwei Seiten des Wachstums
5.3. Hoffnung auf Beherrschung

6. Schluss

7. Literaturverzeichnis

1. Einführung ins Thema

Die Welt wächst zusammen, wir leben in einem „globalen Dorf“, eingebunden in eine „virtuelle Gemeinschaft“ - viele Aspekte, die man sich unter dem Schlagwort Globalisierung vorstellt, haben einen positiven, beruhigenden Beiklang. Es sind dies Metaphern, die einem das Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit vermitteln und, zusammen mit der Welthauptsprache Englisch, einen glauben machen, das babylonische Zeitalter, in dem wir nun schon seit Urzeiten gefangen sind, endlich überwunden zu haben. Es geht in dieser Arbeit nicht darum, die Erfüllung dieser Hoffnungen mit den Versprechungen abzugleichen - oder das Scheitern des Projekts Globalisierung zu konstatieren. Meine Absicht ist es, den Globalisierungsdiskurs während der Finanz- und Wirtschaftskrise von Herbst 2008 (bis heute) zu untersuchen.

Dieser Untersuchungszeitraum erweist sich in zweifacher Hinsicht als sinnvoll. Erstens macht die Krise Dinge im Lauf der Globalisierung sichtbar, die ohne sie nicht bzw. nicht so deutlich an der Oberfläche sichtbar geworden bzw. thematisiert worden wären. Zweitens eilte auf dem Höhepunkt der Krise gleichzeitig eine Schweinegrippe-Welle um den Globus. Zwar besteht zwischen der Influenza-Pandemie und der Wirtschaftskrise kein direkter Zusammenhang - wenn man einmal von dem Fakt absieht, dass die Viren stets den Weg des geringsten Widerstands gehen, und ihnen dafür die weltweite Vernetzung und die vielen Austauschmöglichkeiten in der modernen Gesellschaft sehr entgegen kamen. Dennoch lassen sich Zusammenhänge finden - auf metaphorischer Ebene.

Damit ist auch der methodische Kern dieser Arbeit genannt: Über eine Analyse von Metaphern werde ich zeigen, wie sich das Denken und Sprechen über die ökonomische Krise häufig in Begriffen von Gesundheit und Krankheit äussert - wie wir es überhaupt gewohnt sind, von der Wirtschaft als einem Organismus zu sprechen und an ihm verschiedene Körperzustände zu diagnostizieren. Hier kommt, man ahnt es, das Virus der Schweinegrippe ins Spiel. Nicht als Nukleinsäure, sondern als eine Form, ein Muster, eine Bewegung, die mehr sein Wesen zum Ausdruck bringt als seine Eigenschaften. Und die - wiederum auf metaphorischer Ebene - Ähnlichkeiten mit dem Phänomen der Globalisierung aufweist.

Ich gehe davon aus, dass das abstrakte Phänomen Globalisierung über das Konzept Virus kognitiv erschlossen werden kann und auch wird. Mass gebend für die virale Infektion wie für die Globalisierung ist die Vermehrung, oder genereller: das Wachstum. In der Ökonomie wird Wachstum als etwas grundsätzlich Erstrebenswertes angesehen und entsprechend positiv bewertet. In der Infektiologie ist das Wachstum, die Vermehrung ein Ereignis, das den vom Virus befallenen Organismus akut gefährdet. Diese Doppelbedeutung des Wortes Wachstum spielt eine entscheidende Rolle, wenn wir uns mit der Finanz- und Wirtschaftskrise als Effekt globalisierter Wirtschaft beschäftigen, der die Volkswirtschaften der Welt an den Rand des Kollaps’ gebracht hat. Was ich zu zeigen versuche, ist, dass hier, zumindest in den Medien, ein Sprechen über die Wirtschaftskrise in Begriffen der Virologie um sich greift. An diesem Sprechen zeigt sich ein verborgener und mittels der Metaphernanalyse sichtbar gemachter Diskurs über Globalisierung, der dem Bedrohlichen - entgegen Konstruktionen wie dem gemütlichen „globalen Dorf“ - erst Ausdruck verschafft.

2. Superposition von Globalisierung und Virus

Schon vor langer Zeit lieferten Viren die Blaupause, das Muster für die Bewegung, die wir heute unter dem Namen Globalisierung kennen - und fürchten. Die Tierwelt aller Zeiten hat den Unlebewesen, die die Viren nach Ansicht der Wissenschaft sind, als äusserst fruchtbare Biotope ihre beständige Existenz gesichert. Die Effekte einer Kontamination können harmlos oder gravierend sein, der biologische Körper kann die Invasion schadlos überstehen oder aber vor die Hunde gehen - dem Virus ist das im Endeffekt gleichgültig, benutzt es ihn doch in seinem eigenen Interesse als Brutstätte und als Mittel zur Fortbewegung.

Vervielfältigung und Ausbreitung sind sein Weg und sein Ziel. Und das soziale Tier Mensch erwies und erweist sich in dieser Hinsicht als ein besonders dankbares Vehikel: Nicht zuletzt auch dank dessen Erfindungsgabe und Neugierde, die ihm, dem Virus, es gar erlaubte, sich über Weltmeere hinweg auf neue, unerschlossene Gebiete auszudehnen. Denn das Virus (als Stamm) kann nur überleben, solange es in Bewegung bleibt: Wachstum ist Leben, Stillstand sein Ende.

In dieser Konzeption des Virus gibt es auffällige Überschneidungen mit dem Phänomen der ökonomischen Globalisierung „als Beschleunigung in der Zeit und indem Räume erobert werden, die vor noch gar nicht langer Zeit dem menschlichen Zugriff verborgen waren“ (Altvater/Mahnkopf 1996:11). Wirtschaftswachstum wird dabei als Bedingung für das Gedeihen der Gesellschaft propagiert. Oder mit anderen Worten: „Growth has been (until now) the default mechanism for preventing collapse“ (Jackson 2009:7).

Diese Superposition von Globalisierung und Virus, beziehungsweise von deren Mechanismen, erklärt auch die Beziehung, die die beiden Modelle auf sprachlicher Ebene miteinander eingegangen sind. In beiden wird eine ähnliche Bewegung vollführt, die eine Art sinnhafter Vertrautheit zueinander ermöglicht, die schliesslich auch den intimen Austausch von Lexemen zulässt. Die Richtung, in der diese Wörter wandern, ist gemäss der Metapherntheorie der kognitiven Linguistik allerdings immer die gleiche: „Da so viele der für uns wichtigen Konzepte entweder abstrakt oder in unserer Erfahrung nicht klar umrissen sind (Emotionen, Ideen, Zeit usw.), brauchen wir zu diesen Konzepten einen Zugang über andere Konzepte, die wir in eindeutigeren Begriffen verstehen (Raumorientierungen, Objekte usw.“ (Lakoff/Johnson 2004:135). Mehr dazu weiter unten.

Während also die Globalisierung als ökonomisches Phänomen abstrakt bis undurchschaubar ist, lässt das Virus als Überbringer von Krankheit und Tod an Eindeutigkeit wenig zu wünschen übrig. So kommt es, dass wir (unter anderem) in Begriffen von Austausch, Ausbreitung und - natürlich - von Körperzuständen jeglicher Art über Globalisierung und ihren Effekt - die Wirtschaftskrise - zu denken und reden geneigt sind. Das Konzept des Virus passt sich auf sprachlicher Ebene dem Konzept der Globalisierung (und ihrer Symptome) an - oder das letztere macht sich das erstere passend. Mit den Methoden der Metaphernanalyse wird dieser Austausch und die erfolgreiche oder gescheiterte Integration in das Vokabular sichtbar gemacht (Maasen 2009:72), und damit auch die Auswirkung der Interaktion neuer Wissenselemente in neuen Diskursen: „Man kann erwarten, dass ein Begriff in verschiedenen Kontexten unterschiedlich rezipiert wird, aber auch, dass sich die Kontexte durch den Transfer verändern“ (ebd.:71).

3. Zur Diagnostik infizierter Volkswirtschaften

Natürlich hat es immer wieder Epidemien gegeben, die sich in (für die jeweiligen Verhältnisse) rasantem Tempo über den Globus oder über Teile desselben ausgebreitet hatten. Der von Mensch zu Mensch übertragene Erreger, sei dies nun ein Bakterium wie bei der Tuberkulose oder ein Virus wie bei der Grippe, hat in seiner Tendenz zur Verbreitung entlang von Handels- oder Kriegesrouten immer wieder von Neuem die Diffusität künstlicher wie natürlicher Grenzen aufgezeigt. Aber weder kann man deshalb schon von einer globalisierten Welt sprechen noch lässt sich ein damals bereits vorhandenes Bewusstsein dafür konstatieren. Ganz anders heute. Nur wenige Wochen, nachdem der fünfjährige Edgar Hernandez aus La Gloria im Staat Veracruz (Mexiko) - der später als „Patient Null“ bekannt werden sollte - im März 2009 erste Symptome einer schweren Erkältung zeigte, verbreitete sich die Meldung über den Ausbruch einer Epidemie mit bislang 60 Toten und etwa 800 Infizierten wie ein Lauffeuer um die Welt. Schneller und konsequenter als jedes Super-Virus hatte die Botschaft von der lange erwarteten tödlichen Grippe-Welle nahezu die ganze Welt infiziert. Quasi in Echtzeit hielt sich die Weltöffentlichkeit - zumindest der Teil, der dazu in der Lage war und keine grösseren Sorgen hatte - über die stetig steigenden Krankheits- und Todesfälle auf dem Laufenden.

Auf eine Weise ist es, als würden wir hier, in diesem Prozess, auf den Globus wie durch die Linse eines Mikroskops blicken, die das zelluläre Geschehen in einem ungleich grösseren Massstab abbildet: Ausgehend von einem lokalen Infektionsherd (in diesem Fall: Mexiko) breitet sich das Virus allmählich über die Blutbahnen (Verkehrswege) in andere Regionen des Körpers (Länder) aus, wo es sich, solange es nicht genug bekämpft wird, der Replikation widmet und immer mehr Zellen (Menschen) befällt. Doch das Virus befällt nicht nur lebende Organismen, seien dies nun Menschen oder Zellen. Es infiziert auch ganze Volkswirtschaften und Unternehmen - nicht weil in diesen auch Menschen vorkommen, die sich ihrerseits mit Schutzimpfungen und anderen Hygienemassnahmen herumschlagen (müssen), sondern als „eine mastermetaphor der globalisierten Welt. In mehrfach doppeldeutiger Weise signifiziert sie die Lust an schrankenlosem Austausch und die Angst vor Infektion in diesen Kontakten“ (Sarasin 2004b:291). Das Virus funktioniert auf metaphorischer Ebene optimal als (Über-) Träger von Inhalten - und das gleich in doppelter Hinsicht. Als Metapher funktioniert es „im Feld der Sprache wie kontaminierendes Material, das Bedeutungen von einem semantischen Bereich in einen anderen überträgt“ (Sarasin 2004a: 14). Zugleich liegt im Wort selber noch seine miasmatische Herkunft verborgen, die einen gefährlichen, krankheitserregenden Keim in einen Organismus einschleust: „Vom üblen Geruch des Schlachthausabfalls und demjenigen einer kranken Person hiess es, sie verursachten Infektionen, wie es später auch vom unangenehmen, über Sümpfen schwebenden Geruch der Malaria, d.h. der schlechten Luft angenommen wurde. Letztere insbesondere wurde virus genannt, ein Wort, das ebenso giftiges Schlangensekret bezeichnen konnte. Eine Assoziationskette von Wörtern und Bildern lieferte so eine Theorie der Infektion, und es ist bemerkenswert, wie sehr unsere moderne Terminologie innerhalb der antiken und mittelalterlichen Bilderwelt verblieben ist“ (Temkin 2007:52).

Diese Infektionalität der globalen Wirtschaft spiegelt sich mehrfach auch in Medientexten zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise wider: „Eine ansteckende Serie von staatlichen Zahlungsausfällen mit Bankpleiten (...)“ (Capital, 1.3.2010). „Das Virus steckt die Wirtschaft an“ (Berliner Morgenpost, 27.7.2009). „Auch die Börse ist schon infiziert“ (Hamburger Abendblatt, 28.4.2009). „Und dieser Schuldige sitzt nicht in uns selbst wie der gemeine Finanzkrisenbazillus der Gier“ (Frankfurter Rundschau, 18.1.2010). Und, last but not least: „And we need to understand what went wrong in this crisis, that the very financial instruments that were designed to diversify risk across the banking system instead spread contagion across the globe“ (Gordon Brown in seiner Rede vor dem U.S. Kongress am 4.3.2009).

4. Theoretisch-Methodischer Teil

Infektionen, Ansteckungen, Viren - wohin man blickt. Was hat es mit dieser auffälligen Anfälligkeit für ökonomische „Seuchen“ auf sich? Was sagt uns das überhaupt, wenn wir von Katastrophen oder Gefährdungen der Wirtschaft in Begriffen der Infektiologie reden und denken? Welche diskursive Ordnung wird dadurch sichtbar? Ich werde zu zeigen versuchen, wie eine abstrakte, ungreifbare Erfahrung wie die Globalisierung über konkrete, denkbare Konzepte, in diesem Fall das Virus, metaphorisch erschlossen wird. Als Methode der Sichtbarmachung eignet sich die Metaphernanalyse, wie sie von Maasen und Weingart entwickelt wurde, um die „inkrementalen Prozesse [zu] zeigen, die schliesslich global wirksames Wissen produzieren und verbreiten – oder auch nicht“ (Maasen 2009:74).

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Details

Title
Die zwei Seiten des Wachstums
Subtitle
Ein metaphernanalytischer Exkurs über Globalisierung und Schweinegrippe
College
University of Basel
Course
Diskursanalyse
Grade
6
Author
Year
2010
Pages
18
Catalog Number
V163412
ISBN (eBook)
9783640804252
File size
463 KB
Language
German
Keywords
Metaphernanalyse, Diskursanalyse, Globalisierung, Schweinegrippe
Quote paper
Markus Kocher (Author), 2010, Die zwei Seiten des Wachstums, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163412

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