Der aufgeklärte Mensch des 21. Jahrhunderts erfasst sein Leben in der Gesellschaft gleich einem Schauspiel auf dem Theater. Er hat seine den soziologischen Bedingungen angepasste Rolle richtig zu spielen und bedient sich daher verschiedener Attribute der Maskerade, wie beispielsweise der Schminke. Seine Alltags-Maske wird zu einem Gesellschaftsspiel und das alltägliche Theater mit Masken zu einer surrogativen Wirklichkeit, einer Doppelung von Realität des menschlichen Seins – der Grundbedingung jeden Theaters.
Die Theater-Maske, von welcher im Folgenden die Rede sein soll, entwickelte sich von der Entstehung des antiken Theaters im alten Griechenland über das theatralische Masken-Spiel im 16. Jahrhundert durch die italienische Kunstgattung der commedia dell’arte, über das französische Theater eines Molière und das elisabethanische Theater Shakespeares bis in die heutige Zeit, in der die Schmink-Maske zu der am meisten verwendeten Maskenart gehört, welche die Typisierung einer Figur mittels entsprechender Frisur, symbolisierter Farbgebung und stilisierter Linienführung betont.
Hatte in der Geschichte des Maskengebrauchs das bürgerliche Theater des 19. Jahrhunderts die Maske noch von der Bühne verbannt, um so den individuellen Menschen, den vielschichtigen Ausdruck seiner Persönlichkeit, seiner innersten Gefühle, darzustellen, richtete sich die avantgardistische Strömung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen diesen allzu beliebigen Gebrauch von Mimik und Gestik auf der Bühne. In seiner Schrift „The Actor and The Über-Marionette“ forderte der britische Theaterreformer Edward Gordon Craig die Abschaffung des Schauspielers und die Einführung, beziehungsweise die Entwicklung einer Über-Marionette...
Im Hinblick auf diesen theaterhistorischen Diskurs um die Verwendung von Masken soll nun am Beispiel zweier bedeutender europäischer Theatermacher, am Beispiel des russischen Schauspielers und Regisseurs Wsewolod Meyerhold und des deutschen Regisseurs und Stückeschreibers Bertolt Brecht, das theoretische Verständnis des Maskengebrauchs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dargelegt und deren gegenseitige Bezugnahme innerhalb der schauspieltheoretischen Tendenzen des 20. Jahrhunderts aufgezeigt werden, um diese abschließend im Bezug auf die Frage nach einer Doppelheit des Schauspielers zu untersuchen.
Inhaltsverzeichnis
- Methodologische Vorüberlegung
- Schauspieltheoretische Tendenzen des 20. Jahrhunderts
- Wsewolod Meyerholds und Bertolt Brechts Theorien über den Schauspieler
- Das Theater Wsewolod Meyerholds
- Der Regisseur Wsewolod Meyerhold und das Meyerhold Theater
- Wsewolod Meyerholds Theorie über den Schauspieler
- Wsewolod Meyerholds Vorstellung von einer Maske für den Schauspieler
- Das Theater Bertolt Brechts
- Der Regisseur Bertolt Brecht und das Berliner Ensemble
- Bertolt Brechts Theorie über den Schauspieler
- Bertolt Brechts Vorstellung von einer Maske für den Schauspieler
- Die Maske als Paradigma von Theatralität in den Schauspieltheorien Wsewolod Meyerholds und Bertolt Brechts
- Das Theater Wsewolod Meyerholds
- Die Doppelheit des Schauspielers - Eine abschließende Bemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist es, das theoretische Verständnis des Maskengebrauchs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand der Schauspieltheorien von Wsewolod Meyerhold und Bertolt Brecht zu erforschen. Dabei sollen die gegenseitigen Bezugnahmen der beiden Theatermacher im Kontext der schauspieltheoretischen Tendenzen des 20. Jahrhunderts aufgezeigt werden, um anschließend die Frage nach einer Doppelheit des Schauspielers zu untersuchen.
- Die Entwicklung der Theatermaske von der Antike bis ins 20. Jahrhundert
- Die schauspieltheoretischen Tendenzen des 20. Jahrhunderts, insbesondere die von Konstantin Stanislawski, Wsewolod Meyerhold und Bertolt Brecht
- Die Rolle der Maske in den Schauspieltheorien von Meyerhold und Brecht
- Die Vorstellung von Maske im eigenen theoretischen System von Meyerhold und Brecht
- Das Verhältnis von Person, Rolle und Maske im Kontext des Schauspielens
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel widmet sich der methodologischen Vorüberlegung und stellt den Zusammenhang zwischen der Theatermaske und dem menschlichen Leben in der Gesellschaft her. Es beleuchtet die Entwicklung der Maske von der Antike bis in die heutige Zeit und betrachtet die Rolle der Maske im bürgerlichen Theater des 19. Jahrhunderts sowie die avantgardistischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Kapitel 2 beleuchtet die schauspieltheoretischen Tendenzen des 20. Jahrhunderts und stellt die unterschiedlichen Auffassungen von Stanislawski, Meyerhold, Brecht und Grotowski zur Beziehung zwischen Schauspieler und Rolle dar. Dabei wird insbesondere auf die Involviertheit in der Theorie Stanislawskis, die Distanziertheit in der Arbeit von Meyerhold und Brecht sowie den Selbstausdruck im Werk von Grotowski eingegangen.
Kapitel 3 konzentriert sich auf die Schauspieltheorien von Wsewolod Meyerhold und Bertolt Brecht. Es beschreibt Meyerholds körperbasierte Darstellungstechnik, Brechts Theorie einer gestischen Schauspielkunst sowie die Vorstellung der beiden Theatermacher vom Maskengebrauch in ihrem jeweiligen theoretischen System.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Schlüsselbegriffen Maske, Theatralität, Schauspieltheorie, Schauspielkunst, Wsewolod Meyerhold, Bertolt Brecht, Stanislawski, Grotowski, Biomechanik, Episches Theater, Doppelheit des Schauspielers. Sie befasst sich mit den theoretischen Schriften und Aufzeichnungen von Meyerhold und Brecht, sowie den wissenschaftlichen Arbeiten zum Maskenbegriff von Gerda Baumbach, Peter Simhandl und Jochen Kiefer.
- Quote paper
- Sarah Schneider (Author), 2009, Über die Maske des Schauspielers in den theatertheoretischen Schriften Wsewolod Meyerholds und Bertolt Brechts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162405