Die vorliegende Arbeit ist ein Essay aus dem Jahr 2008, in dem ich mich mit dem Historikerstreit und der sogenannten Goldhagendebatte auseinander setze.
Verschiedene Standpunkte der Debatte werden beleuchtet und der Frage nach Zeitgeschichte als Streitgeschichte wird auf den Grund gegangen.
Die Erkenntnis des Textes lässt sich in etwa so zusammenfassen: Die Deutschen werden den Juden Auschwitz niemals verzeihen.
Inhaltsverzeichnis
- Der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex formulierte treffend, dass die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen werden.
- Die sogenannte Goldhagen Kontroverse, welche sich in die anhaltende Antisemitismus Debatte oder aber auch in den berühmt gewordenen Historikerstreit, in welchem 1986/87 Jürgen Habermas die Historisierung des Holocaust stark kritisierte, einreiht, spiegelt auch sehr deutlich die Uneinigkeit über die Bewältigung speziell der deutschen Geschichte wieder.
- Goldhagens umstrittene Thesen lieferten eine völlig neue Perspektive auf die Betrachtung der Mitwirkung und der damit verbundenen Schuld der deutschen Bevölkerung am Holocaust an den europäischen Juden.
- Die schon vor Erscheinen der deutschen Druckausgabe des Buches begonnene Debatte entzündete sich maßgeblich in einem Zeitungsartikel der „ZEIT“, wo ein Vorabdruck erschien.
- Goldhagen geht davon aus, dass der seit dem Mittelalter in Form des christlich motivierten Antijudaismus tief verwurzelte Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung der Hauptgrund für den Holocaust war.
- Er führt zur Belegung seiner Aussagen an, dass nachweislich die Nichtbefolgung des Befehls zum Massenmord nicht bestraft wurde und somit ist für ihn weder unmittelbarer Zwang oder die deutsche Staatshörigkeit und Untertanenkultur ein hinreichender Grund für die Durchführung des Völkermordes.
- Eine weiteres Argument ist die Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Weltsicht, selbst bei liberal eingestellten oder NS Gegnern wie dem Pastor Niemöller, dass „die Juden“ das ewige Übel der Deutschen seien und die „Judenfrage“ einer Lösung bedürfe.
- Anhand des Beispiels des Polizeibataillons 101, welches auf äußerst sadistische Weise massenhaft Juden hinrichtete, und welches gerade nicht aus elitären, Führer treuen SS Truppen bestand, sondern aus einem Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft, eben „,ganz gewöhnlichen Deutschen“ bestand.
- Während diese Thesen beispielsweise in den USA ebenfalls heftig diskutiert, aber dennoch als eine Bereicherung und eine neue Sicht auf die Geschichte anerkannt wurden, brach in Deutschland eine hitzige Debatte mit vielerlei Anschuldigungen und Unterstellungen einer unwissenschaftlichen Arbeitsweise Goldhagens aus.
- Von allen Zeitungen reflexartig ablehnend betitelt, gab es diverse inhaltliche Kritikpunkte.
- Zum Einen wurde das Argument der folgenlosen Befehlsverweigerung relativiert, da das Dritte Reich als totalitäre Diktatur auf staatliche Unterdrückung und Einschüchterung setzte und schon kleinste Vergehen fatale Folgen haben konnten.
- Weiterhin war die Massenvernichtung der Juden keineswegs ein öffentlich verkündeter Akt. Sie unterlag strikter Geheimhaltung und war kein öffentlich diskutiertes Thema.
- Volker Ullrich merkte an, dass es damals auch außerhalb von Deutschland starke antisemitische Tendenzen gab was beispielsweise in Pogromen an Juden in Russland deutlich wird. Der Antisemitismus sei demnach kein typisch „deutsches“ Phänomen.
- Christopher R. Browning, dem Goldhagen vehement widerspricht geht davon aus, dass ein Geflecht von Motiven, bestehend aus Gruppendruck, Gehorsamsneigung und Enthemmung durch die Kriegserlebnisse der Grund für die Täter waren.
- Ein gesellschaftlicher Zorn auf die Juden und ein allgemeiner Willen zur Judenvernichtung werden abgewiesen.
- Dies habe sich bei den November Pogromen 1938 gezeigt, wo eine massenhafte aktive Bevölkerungsbeteiligung ausblieb, oder aber auch in dem Punkt, dass zwar „Alle“ etwas wussten, der Großteil der Bevölkerung aber nicht ins Detail über die „Endlösung“ informiert war.
- Demnach seien nicht alle Deutschen Hass erfüllte Antisemiten gewesen.
- Ebenfalls stark kritisiert wurde die Tatsache, dass Goldhagen nur den deutschen Antisemitismus untersucht hatte und keinen Vergleich zu den europäischen Nachbarstaaten heranzog.
- Der Historiker Wolffsohn vertrat das Argument, dass eine genaue Analyse der Mittäter aus Lettland, Litauen, Kroatien oder Frankreich nötig sei um von einem typisch deutschen „eliminatorischen Antisemitismus“ sprechen zu können.
- Diese Forderung nach einem Vergleich und der Untersuchung nach antisemitischen Tendenzen in den Bevölkerung auch anderer europäischer Staaten, welche bereitwillig den Holocaust unterstützt haben, soll jedoch keine Entlastung für deutsche Täter darstellen, sondern vielmehr ein besseres historisches Bild davon vermitteln, wie Menschen zu Massenmördern werden können.
- Ein weiterer Kritikpunkt war die in Hinblick auf Goldhagens monokausale Erklärung des Holocaust betreffender Aussage, dass es ein quasi vorbestimmter Weg vom im 19. Jahrhundert in zahlreichen Ländern zu beobachtendem Antisemitismus, in Deutschland zur „Endlösung der Judenfrage“ kam.
- An diesem Punkt wird beispielsweise eine weitreichende Gesellschaftsanalyse und eine Entwicklung vom 1. Weltkrieg über die Weimarer Republik bis hin zum Leben im 3.Reich von Mommsen für nötig empfunden.
- Einer der strittigsten Punkte betraf bei der Debatte um Goldhagens Ausführungen den Punkt der schon anfangs erwähnten Kollektivschuld der Deutschen und der Unterscheidung von westlichen Demokratien und „den Deutschen“.
- Zwar wird im Vorwort der deutschen Ausgabe von „Hitlers willige Vollstrecker“ die Kollektivschuldthese vehement bestritten und auch ein zeitloser „typisch deutscher“ Charakter wird von Goldhagen negiert, jedoch sagen die einzeln getroffenen Aussagen im Buch etwas anderes aus.
- Selbst in Zeiten, wo der Antisemitismus nicht deutlich sichtbar und in Form von direkten Angriffen oder Diskriminierung gegen Juden ausgedrückt wurde, sei er bei den Deutschen doch immer latent vorhanden gewesen und hätte sich dann im Nationalsozialismus manifestiert und wäre offen sichtbar zum Tragen gekommen.
- Aufgrund dieser Argumentation kam es von verschiedensten Seiten zu Rassismus Vorwürfen, da die Zuschreibung des Antisemitismus als typisch deutsches Phänomen nicht haltbar und unwissenschaftlich sei.
- Harald Welzer präsentierte zu diesem Punkt 2005 in seinem Buch „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“ sehr aufschlussreiche Erkenntnisse.
- Er zeigt anhand von psychologischen Auswertungen der Persönlichkeitsprofile von führenden Nazigrößen wie Rudolf Höss, dem Kommandanten des KZ Auschwitz, dass die Täter keine skrupellosen und psychisch gestörten Bestien waren, sondern ganz gewöhnliche Menschen.
- Verschiedenste Experimente und Untersuchungen lassen Welzer zu dem Schluss kommen, dass in jedem Menschen ein potenzieller Massenmörder steckt.
- Dies steht zwar im völligen Widerspruch zu Goldhagens Aussage, das der Völkermord an den Juden ein speziell „deutsches Projekt“ gewesen sei, andererseits gibt er zu, dass es ohne Hitler und Nationalsozialismus keinen Holocaust gegeben hätte.
- Die Gefahr des auch heute noch existenten Antisemitismus wird damit jedoch nicht gemindert, sondern löste vielmehr eine weitere Diskussion über die Tradition und das Fortbestehen dessen aus und ebenfalls die Frage was nun eigentlich als „deutsch“ zu bezeichnen sei führte zu weiteren Unstimmigkeiten.
- Eine ebenfalls aktuellere Erscheinung war das 2006 erschienene Werk Peter Longerichs „Davon haben wir nichts gewusst! Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945“.
- Nach dessen aktuellen Forschungsstand kommt er im Gegensatz zu Goldhagen zu dem Schluss, dass es in Deutschland zwar keinen tief verwurzelten Antisemitismus gegeben habe, jedoch ein gezieltes „Wegschauen“ und teilweise passive wie aktive Unterstützung bei der Judenverfolgung.
- Hinzu kommt, dass die deutsche Bevölkerung zum heimlichen Komplizen des Holocaust gemacht wurde und sie am Vernichtungsziel insgesamt keinen Zweifel gehabt haben konnte, da er für alle sichtbar war.
- Die Argumentation Longerichs unterscheidet also, wie es in der historischen Forschung zum nationalsozialistischen Deutschland üblich ist, zwischen den Nazis, welche die Massenvernichtung durchgeführt haben und der breiten Masse der Bevölkerung, welche in der überwältigenden Mehrheit tatenlos zugeschaut hatte und über die Ausgrenzung, Diskriminierung und Deportationen „nur“ Bescheid wusste.
- Genau solch eine Haltung hatte Goldhagen zu durchbrechen versucht indem er gerade nicht zwischen Deutschen und Nazis trennte.
- Für ihn war der Antisemitismus, welcher sich in den verschiedensten Formen äußern konnte der gemeinsame Nenner der Deutschen und somit ist für ihn ausgehend von den einzeln handelnden Individuen das deutsche „Volk\" als Kollektiv schuldig, unabhängig davon wie sehr der Eine oder die Andere an der direkten Vernichtung beteiligt war.
- Mit diesem Punkt sind die wesentlichen kontroversen Streitpunkte um Goldhagens Thesen benannt und erläutert und der Bogen zur heutigen Bedeutung für die Debatte dürfte erahnbar sein.
- Trotz der vehementen Kritik wurde eine Beschäftigung mit den Motiven und Überzeugungen der Deutschen Täter und die Geschichte des Antisemitismus in den Mittelpunkt einer nötigen und aufschlussreichen Debatte gestellt.
- Goldhagen selbst zeigte sich seitens der massiven Kritik, sei es an seinem unwissenschaftlichen und moralischen Schreibstil oder einer angeblichen Befangenheit aufgrund der familiären Situation und seiner jüdischen Herkunft jedoch sehr unkooperativ.
- Die Geschichtsschreibung wird immer von konträren Meinungen geprägt sein und seine Einstellung, alle bis dato vorhandenen Erscheinungen und Beiträge zum Thema deutsche Schuld und Holocaust als schlichtweg als unzureichend bis falsch zu beurteilen ist sicherlich nicht sehr nützlich.
- Es hat sich an vielen Stellen und in Aussagen der verschiedensten Historiker und anderen gerade deutschen Wissenschaftlern gezeigt, dass die Thematik Nationalsozialismus noch lange nicht ausschöpfend betrachtet wurde und noch immer viel Arbeit mittels Quellenauswertung und sonstigen zur Verfügung stehenden Methoden und verschiedenen Perspektiven auf den Forschungsstand nötig ist.
- Die Schlussstrich Mentalität mancher Historiker und gewöhnlicher Deutscher wurde sicherlich um einiges gestört und machte deutlich, das die Geschichte niemals beendet ist.
- Letztendlich beweist sich Goldhagens Aussage, das der „eliminatorische Antisemitismus“ der Deutschen das einzige Motiv für die Shoa war als zu kurz gefasst.
- Nach den Ansichten der verschiedensten Historiker spielten vielerlei komplex verknüpfte Faktoren dazu bei, dass die singulare Tat, die industriell geplante und skrupellos durchgeführte Massenvernichtung möglich wurde.
- Die Verknüpfung von der historisch bedingten Affirmation zum Judenhass, einer deutschen Untertanenkultur, die sich beispielsweise in unhinterfragtem Befehlsgehorsam äußerte und eben auch dem nicht zu vergessenen Aspekt einer skrupellosen totalitären Diktatur, in der das Individuum der ständig propagierten Volksgemeinschaft untergeordnet war, sind die am meisten vertretenen Gründe.
- Zu konstatieren ist auf jeden Fall, dass ohne die Machtergreifung und den Aufbau eines nationalsozialistisch organisierten Systems in Deutschland kein Holocaust möglich gewesen wäre.
- Nicht vergessen sollten wir aber auch, dass dieses Projekt kein Geheimplan einiger weniger Nazis war sondern ohne die Unterstützung der Bevölkerung niemals realisierbar gewesen wäre.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text analysiert die Kontroverse um Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ und die Debatte um den deutschen Antisemitismus im Kontext des Holocaust. Die Arbeit beleuchtet verschiedene Perspektiven auf die Frage, inwieweit der deutsche Antisemitismus der Hauptgrund für den Holocaust war und welche Rolle die deutsche Gesellschaft in der Judenverfolgung spielte.
- Die Rolle des Antisemitismus in der deutschen Geschichte und seine Bedeutung für den Holocaust
- Die Kritik an Goldhagens Thesen und die unterschiedlichen Perspektiven auf die Rolle der deutschen Bevölkerung
- Die Diskussion um Kollektivschuld und die Frage der „typisch deutschen“ Mentalität
- Die Bedeutung von historischen Kontext und individuellen Motiven für das Verständnis des Holocaust
- Die Aktualität des Themas Antisemitismus und die Notwendigkeit, die Geschichte des Holocaust weiter zu erforschen
Zusammenfassung der Kapitel
Der Text beginnt mit der Einführung des Themas und der Darstellung der zentralen These von Daniel Goldhagen, wonach der Holocaust der Wille der deutschen Bevölkerung war. Es wird die kontroverse Debatte um das Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ beleuchtet und auf die verschiedenen Argumente von Kritikern und Befürwortern eingegangen. Der Text analysiert Goldhagens Thesen zum „eliminatorischen Antisemitismus“ und beleuchtet verschiedene Aspekte, wie die Rolle des Befehlsgehorsams, die allgemeine Kenntnis der Judenverfolgung und die Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Nazis“ in der Debatte.
Schlüsselwörter
Der Text befasst sich mit den Themen Antisemitismus, Holocaust, Goldhagen-Kontroverse, Historikerstreit, Kollektivschuld, deutsche Geschichte, nationalsozialistisches Deutschland, Judenverfolgung, Täter und Opfer, Individuum und Gesellschaft.
- Quote paper
- Daniel Schuch (Author), 2009, Historikerstreit und Goldhagen Kontroverse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161929