Überprüfung von Michel de Montaignes Argumentation aus seinem Essay „Philosophieren heißt sterben lernen“ an der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität beziehungsweise Medienrealität in Gegenüberstellung zu Ernst Tugendhats Aufsatz „Über den Tod“
Hausarbeit
Überprüfung von Michel de Montaignes Argumentation aus seinem Essay „Philosophieren heißt sterben lernen“ an der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität beziehungsweise Medienrealität in Gegenüberstellung zu Ernst Tugendhats Aufsatz „Über den Tod“
1. Michel de Montaigne: „Philosophieren heißt sterben lernen“
1.1. Einleitung
Bereits in der Überschrift seines Essays „Philosophieren heißt sterben lernen“ macht Michel de Montaigne deutlich, welche Kernthese er in diesem Teil seiner Arbeit versuchen wird, mithilfe von Argumenten und Beispielen zu belegen beziehungsweise zu bestärken. Doch welche Aussagen trifft er in diesem Text und welche Vorschläge kann er uns zum Umgang mit dem Tod geben?
„Der Tod ist unvermeidlich“1. Jeder stirbt irgendwann einmal, der Tod schwebt somit immer über einem. Es ist nur eine Frage der Zeit beziehungsweise eine des Zufalls, wann er uns ereilt. Niemand ist dazu in der Lage, ihm in dem Sinne aus dem Weg zu gehen, dass er niemals stirbt. So stellt sich die Frage, wie man mit dieser Tatsache - sie ist zugegebenermaßen zwangsläufig ein Bestandteil unseres Lebens - umgehen soll beziehungsweise umzugehen hat. Sollen wir den Tod mit offenen Armen erwarten oder versuchen, uns vor ihm zu verstecken und vor ihm wegzurennen? Sollten wir ihn aus unserem Bewusstsein verdrängen?
1.2. Seine Thesen
„Was tut der gemeine Mann dagegen? er denkt nicht daran; aber welch tierischer Stumpfsinn gehört dazu, einer so groben Verblendung zu erliegen!“2 Alle Menschen, ob jung oder alt, sind nach Montaigne gleichermaßen vom Tod bedroht. Jedes Leben finde irgendwann ein Ende und man könne nie wissen, wie weit man noch von diesem entfernt sei. Werde man jedoch vom Tod getroffen - ob am eigenen Leib oder durch den Tod eines Bekannten oder Verwandten - oder auf eine andere Weise mit ihm konfrontiert und habe sich im vorigen Leben nicht mit diesem auseinandergesetzt, so treffe er einen völlig unvorbereitet. Wenn der Tod einen auf diese Weise überfalle, so würde man unter ihm zerbrechen, weil man noch keine Vorstellung oder Erfahrung habe, in welcher Form dieser auftrete beziehungsweise, wie man mit ihm umgehen könne. „Dagegen muss man rechtzeitig etwas tun. Die Beruhigung durch die viehische Gleichgültigkeit ist zu teuer erkauft“3. Da jeder irgendwann einmal dem Tod entgegenzutreten habe, hält der Autor es für unsinnig, vor ihm wegzulaufen. Es lohne sich einfach nicht, ein sorgenfreies Leben zu führen, um dieses in Konfrontation mit dem Tod gegen eines einzutauschen, in dem man nicht mehr seines Glückes Herr werden könne. „Er holt den Fliehenden ein und schont auch die nicht, die zum Kriegsdienst noch zu jung sind oder die der Gefahr den Rücken kehren“. Montaigne schlägt vor, sich den Tod so oft wie möglich ins Bewusstsein zu rufen und ihn sich dabei genau vorzustellen, in welcher Form er dabei auch immer auftreten möge. Nur auf diese Weise könne man sich an ihn gewöhnen und dem Todesgedanken seine beängstigende Form nehmen. Wenn man sich unentwegt mit diesem Gedanken auseinandersetze, so der Verfasser, würde man ihm seine „furchtbare Fremdartigekeit“3 nehmen. Insbesondere in Momenten des Genusses, der Fröhlich- und Heiterkeit solle man dieser Maxime Folge leisten. Denn diese oberflächlich unzerstörbar wirkenden Glücksmomente seien gleichermaßen vom Tod bedroht, obwohl sie möglicherweise - wie ich vermute - am wenigsten den Anschein dazu erwecken. Nur auf diese Weise könne man sich darüber bewusst werden, wie schnell dieses Glück vom Tod ins Gegenteil umgewandelt werden könne. So sei es auch erst durch die Vergegenwärtigung des Todes möglich, sich seines Lebensglückes wirklich bewusst zu werden. Denn Glück kann man erst in dem Moment wirklich schätzen, in dem man sich darüber bewusst ist, dass dieses nicht selbstverständlich ist und immer vom Tod beziehungsweise vom Pech - insoweit man dieses als Gegenpol zum Glück ansehen kann - überschattet wird. „Denke, dass jeder Tag der letzte sein kann, der dir leuchtet; die Stunden, mit denen du nicht fest gerechnet hast, werden dir dann besonders lieb sein“4. An dieser Stelle führt Montaigne noch ein Beispiel von den alten Ägyptern an, die, wenn eine Feierlichkeit ihren Höhepunkt erreicht hatte, ein menschliches Skelett in den Saal trugen, um die Gäste an die Existenz des Todes zu mahnen. Die wahre Bedeutung von persönlichem Glück lässt sich erst durch das Kontrastbild des Todes erahnen. Ein weiterer Aspekt, den Montaigne erwähnt, ist der, dass man durch das Philosophieren über den Tod auch ein gelasseneres Leben führen könne. Durch die Auseinandersetzung mit dem Tod ändere sich auch die Sicht des Subjekts auf das Leben. „wer zu sterben gelernt hat, den drückt kein Dienst mehr: nichts mehr ist schlimm im Leben für denjenigen, dem die Erkenntnis aufgegangen ist, daß es kein Unglück ist, nicht mehr zu leben“4. Die Dinge, die einen im Leben belasten und bedrücken, werden an Bedeutung verlieren, wenn man sie in Anbetracht der Relation von Leben und Tod sieht. Man würde die Angst vorm Tod verlieren und könne so ein sorgenfreieres Leben führen.
Montaigne vertritt die Meinung, dass man immer „marschbereit“ sein solle. Damit meint er, dass man immer bereit sein solle - für den Fall, dass sich der Tod ankündigt -, alle Bindungen sozialer Art zu lösen, um allein zu sein, wenn man Abschied vom Leben nehmen müsse. Er meint, dass zwischenmenschliche Beziehungen den ohnehin schwierigen letzten Schritt im Leben eines jeden Menschen unnötig erschweren würden. Der Abschied vom eigenen Leben sei für ihn schon am schwersten. Je besser man sich auf den Zeitpunkt des Todes vorbereitet habe - durch die Lösung von allem, was einen einst am Leben gehalten hat -, desto einfacher werde einem dieser Schritt fallen. „Der Tod ist am selbstverständlichsten, wenn man schon vorher möglichst Tod ist“5. Damit meint er jedoch nicht, dass man völlig tatenlos das Ende abwarten solle. Der Mensch sei dazu geboren, tüchtig zu sein und solle dies auch weiterhin anstreben. Jedoch habe die Natur bereits gewisse Vorkehrungen getroffen, die uns den Abschied leichter machen würden. Dadurch, dass man langsam altern würde, ohne es wirklich zu bemerken, sehe man meist gar nicht, was mit dem Alter verloren gehe. „Was bleibt einem Greis von der Kraft seiner Jugend, seines Lebens?“6. Der Wechsel von der Jugend zum Alter vollziehe sich im Gegensatz zum „Sprung vom Elend ins Nichtsein“ allmählich und nicht plötzlich. Man werde nicht von ihm überrascht. Dieses fortwährende Absterben der Jugend mit zunehmendem Alter in einem sei viel schlimmer als der endgültige Tod selbst. So schlussfolgert Montaigne, dass es eine „Torheit“ sei, sich vor dem Augenblick im Leben zu fürchten, der einen von all dem Elend befreie, welches das Leben im Alter mit sich bringe. Es sei unnötig, sich vor dem Tod oder davor zu fürchten, dass man irgendwann nicht mehr ist oder irgendwann noch nicht war. Wenn das Leben ende, ende auch alles für einen selbst. Genauso wie es für einen nichts gegeben habe, als man noch nicht existierte. „Der Übergang vom Tode zum Leben, der dir kein Leiden und keine Schrecken gebracht hat, den brauchst du nur zu wiederholen, als Übergang vom Leben zum Tod“7. Umgekehrt wäre ein nie endendes Leben viel unerträglicher als eines, bei dem man die Gewissheit habe, dass es nicht ewig andauere. Montaigne fügt hinzu, dass es umso leichter sei, vom Leben loszulassen, wenn man es sinnvoll genutzt habe. „Man kann den Wert eines Lebens nicht nach der Länge messen; er ist vom Inhalt abhängig“8.
[...]
1 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 52
2 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 52
3 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 54
4 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 55
5 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 57
6 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 59
7 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 60
8 Montaigne, M. d. (2008). Essais. Ditzingen: Reclam, S. 61
- Arbeit zitieren
- Mischa Gillessen (Autor:in), 2010, Der Umgang mit dem Tod. Michel de Montaignes Argumentation im Spiegel der aktuellen gesellschaftlichen und medialen Realität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161750
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