Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft war damals als Alternative zu den Frühehen der 60er Jahre gedacht, man wollte verhindern, dass die Jugend heiratet nur um das Elternhaus zu verlassen. Doch wer hätte gedacht, dass die nichtehelichen Lebensgemeinschaften einen so großen Anklang finden, dass selbst die "Wissenschaftler" sich ernsthaft Gedanken machen, ob die Institution Ehe gefährdet ist. Die umfangreiche Literatur zeigt, dass es ein Thema ist, über das man diskutieren kann und vielleicht sogar auch muß. Schon der Begriff nichteheliche Lebensgemeinschaft regt zum Denken an, denn was genau versteht man darunter?
Unter diesen Begriff fallen alle Formen von Lebensgemeinschaften: gleichgeschlechtliche Paare, Wohngemeinschaften, eheähnliche Gemeinschaften, getrenntlebende Paare, u.v.m. An diesen Beispielen sieht man, dass die nichtehelichen Lebensgemeinschaften ein großes Spektrum abstecken.
Dieser Text beschränkt sich auf "eheähnliche" Lebensformen. Für eheähnliche Lebensgemeinschaften gibt es verschiedene Definitionen, doch die aussagekräftigste ist die Definition von Max Wingen (1984) : "Grundsätzlich geht es um auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung eines verschiedengeschlechtlichen Paares, das in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft (Haushalt) in umfassender Lebens- und Geschlechtsgemeinschaft zusammenlebt,ohne dass die Beziehung durch eine Eheschließung offiziell bestätigt (legitimiert) ist."
Auf das Ausland wird nicht gesondert eingegangen, genauso wie auf die DDR. Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften werden nur anhand von Deutschland behandelt. Zuerst wird die Geschichte der nichtehelichen Lebensgemeinschaften behandelt, und zwar speziell das 18. -19. Jahrhundert und ab den 60er Jahren bis heute. Danach werden die Strukturen der nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufgezeigt, und die Frage behandelt, ob es sich bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften um eine Form der Probeehe handelt oder um eine Alternative zur Ehe. Am Schluß werden alle Ergebnisse nochmals kurz zusammengefasst dargestellt.
GLIEDERUNG
1. Einleitung
2. Geschichtliche Einordnung
2.1 18. - 19. Jahrhundert
2.2 60er Jahre bis jetzt
3. Strukturen nichtehelicher Lebensgemeinschaften
3.1 Alter
3.2 Schicht
3.3 Konfession
3.4 Stadt- Land
3.5 Nord- Süd
3.6 Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften
4. Alternative oder Probeehe ?
5. Zusammenfassung
6. Fußnotenverzeichnis
7. Literaturangaben
1. Einleitung
Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft war damals als Alternative zu den Frühehen der 60er1 Jahre gedacht, man wollte verhindern, dass die Jugend heiratet nur um das Elternhaus zu verlassen.2 Doch wer hätte gedacht, dass die nichtehelichen Lebensgemeinschaften einen so großen Anklang finden, dass selbst die "Wissenschaftler" sich ernsthaft Gedanken machen, ob die Institution Ehe gefährdet ist. Die umfangreiche Literatur zeigt, dass es ein Thema ist, über das man diskutieren kann und vielleicht sogar auch muß. Schon der Begriff nichteheliche Lebensgemeinschaft regt zum Denken an, denn was genau versteht man darunter?
Unter diesen Begriff fallen alle Formen von Lebensgemeinschaften: gleichgeschlechtliche Paare, Wohngemeinschaften, eheähnliche Gemeinschaften, getrenntlebende Paare, u.v.m. An diesen Beispielen sieht man, dass die nichtehelichen Lebensgemeinschaften ein großes Spektrum abstecken.
Dieser Text beschränkt sich auf "eheähnliche" Lebensformen. Für eheähnliche Lebens-gemeinschaften gibt es verschiedene Definitionen, doch die aussagekräftigste ist die Definition von Max Wingen (1984) : "Grundsätzlich geht es um auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung eines verschiedengeschlechtlichen Paares, das in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft (Haushalt) in umfassender Lebens- und Geschlechtsgemeinschaft zusammenlebt,ohne dass die Beziehung durch eine Eheschließung offiziell bestätigt (legitimiert) ist."
Auf das Ausland wird nicht gesondert eingegangen, genauso wie auf die DDR. Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften werden nur anhand von Deutschland behandelt. Zuerst wird die Geschichte der nichtehelichen Lebensgemeinschaften behandelt, und zwar speziell das 18. -19. Jahrhundert und ab den 60er Jahren bis heute. Danach werden die Strukturen der nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufgezeigt, und die Frage behandelt, ob es sich bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften um eine Form der Probeehe handelt oder um eine Alternative zur Ehe.Am Schluß werden alle Ergebnisse nochmals kurz zusammengefasst dargestellt.
1. Geschichtliche Einordnung
1.1 18.- 19. Jahrhundert
Die Prostitution war die Form des freien Geschlechtsverkehrs, die am klarsten von der Ehe abgegrenzt und am einfachsten kontrolliert werden konnte; sie war notwendig, weil so viele Menschen von der Ehe ausgeschlossen waren, und als ein gebilligtes soziales Ventil stabilisierte sie indirekt die Ehe. Die frühe Neuzeit war besonders repressiv, was Sinnlichkeit, Sexualität und alle außerhalb der Ehe bestehenden Geschlechtsverbindungen betraf. Sie brachte die systematische Unterdrückung und Verdrängung aller Formen außerehelicher Erotik und Sexualität, den allmählichen Triumph der repressiven Moral im Alltag der breiten Bevölkerung. Während die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem in den Städten , einer strengen sexuellen Disziplin unterworfen wurde, gelang es wieder gleichzeitig einem Teil der herrschenden, der privilegierten Klasse, sich dem moralischen Reglement zu entziehen und einem ungezügeltem Sexualgenuß nachzugehen. Während vielerorts Prostituierte und Ehebrecherinnen oder ledige Mütter hart bestraft wurden, wurde in den Hauptstädten und an den Fürstenhöfen Orgien gefeiert. Die Aus-einanderentwicklung der Sexualmoral von Adel und aufstrebendem Bürgertum war Ende des 18. Jahrhunderts, Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur eine Quelle politischer Spannungen, sondern sie bildete auch den Hintergrund, vor dem sich kontrastierend das neue bürgerliche Ideal von der Ehe entwickelte. Im Adel war inzwischen die Trennung zwischen ehelichen und außerehelichen Beziehungen auf die Spitze getrieben.3 Gegen diese Sitten setzte sich selbstbewußt das Bürgertum mit seiner vom Protestantismus geprägten neuen Ehemoral ab.4 In allen sozialen Ständen dominierte bis weit in die Neuzeit hinein eine sachlich- nüchterne Einstellung zur Ehe, die sowohl die Partnerwahl als auch die eheliche Beziehung selbst prägte.
Die organisch- handwerkliche Gesellschaft hatte das Recht auf Ehe, das Recht auf legitime Fortpflanzung mit der ökonomischen Selbständigkeit, dem Vorhandensein einer eigenen Ernährungsgrundlage verbunden. Nicht nur den Armen war eine Heirat untersagt, sondern auch den nichterbenden Kindern eines Bauern oder eines Adeligen. Mit dem Zerfall der ständischen Gesellschaft und dem Aufstieg des Bürgertums wurde allmählich das bürgerliche Ehe- und Familienideal verbindlich für alle Schichten. Doch während des 19. Jahrhunderts bestanden noch immer mehrere Familientypen nebeneinander, die in unter-schiedlicher Weise vom sozialen Wandel berührt wurden, so dass sich verschiedene Konstellationen von vormodernen und modernen Elementen ergaben. Im Adel und in bäuerlichen Kreisen hielt sich das traditionelle Familienmodell vergleichsweise am längsten, auch das Handwerk war wenig tangiert, der große Umbruch in der Qualität der ehelichen Beziehung vollzog sich in den beiden neuen sozialen Klassen, in den Familien der Industriearbeiterschaft und des Bürgertums, wenn auch mit anderen Schwerpunkten und aus unterschiedlichen Gründen.
Heiraten erfolgten vor allem im Hochadel, fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Sicherung eigener Macht- und Herrschaftsansprüche, der Mehrung von Ländereien, politischen Ämtern oder Privilegien. Die Kinder waren schon im frühen Lebensalter wichtige Figuren im politischen Schachspiel und wurden häufig verlobt oder einander versprochen, ohne sich zu kennen. Entsprechend kühl und distanziert waren die ehelichen Beziehungen. Für die Freudlosigkeit und Gleichgültigkeit ihrer Ehe entschädigten sich vor allem die adeligen Männer- die im Gegensatz zum einfachen Volk über hinreichend Vermögen, Komfort und Muße verfügten, um ihre erotischen Bedürfnisse zu kultivieren- fast immer in nebenehelichen Beziehungen.
Auch Bauern heirateten fast ausschliesslich innerhalb ihres eigenen Standes und ihrer eigenen Schicht: jede Heirat mußte unter dem Gesichtspunkt der ausreichenden Ernährungsgrundlage geplant werden. Es wurde relativ spät geheiratet, später als im Adel: die Männer waren im Durchschnitt Ende 20 die Frauen etwa Mitte 20.
Im Familientyp der Handwerker lagen die Bedingungen für die Entwicklungen eines befriedigenden Ehe- und Familienlebens zum Teil noch ungünstiger. Aufgrund der langen Ausbildung heirateten auch die Handwerker spät, auf jeden Fall nach dem 25. Lebensjahr. Die Meisterprüfung und die "Freisprechung" durch die Zunft war meist mit dem Bürgerrecht der entsprechenden Stadt verbunden; beides war Voraussetzung für die Heirat. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit regelte die Zunft das ganze Leben des Handwerkerstandes; sie kontrollierte nicht nur die im engeren Sinne beruflichen Belange, sondern sie wachte auch über den sittlichen Lebenswandel ihrer Mitglieder. Die soziale Diskriminierung der Unehelichkeit war im Handwerkerstand ausgeprägter als in allen anderen sozialen Schichten,was vermutlich mit den knappen Ressourcen zusammenhing. 5 Es kam vor, dass Meister aus der Zunft ausgeschlossen wurden, wenn ihr erstes Kind zu früh nach der Heirat geboren wurde. Auch Ehebruch oder nur der Verdacht auf Ehebruch beim Meister oder der Meisterin und allgemein ein unsittlicher Lebenswandel konnten zum Auschluß aus der Zunft führen, der die nächste Generation mit einbezog.
Die Heimarbeiterfamilie stellte einen Mischtyp zwischen traditioneller und moderner Familie dar. Heimarbeiter heirateten relativ früh. In dieser Schicht erfolgte erstmals eine deutliche Abwehr von dem über Jahrhunderten ausgeprägten "europäischen Heirats-muster".6 Partnerwahl und Werbung waren in Heimarbeiterkreisen viel stärker von persönlichen Gefühlen und auch von gegenseitiger sexueller Attraktion bestimmt als in den traditionellen Familientypen oder im Bürgertum. Voreheliche Beziehungen waren häufig; in der Regel heiratete ein Paar, wenn die Frau schwanger wurde - allerdings hatte sich bei den Heimarbeitern die traditionellen dörflichen Kontrollmechianismen bereits gelockert; so dass es auch vorkommen konnte, dass ein fester Freund sich aus dem Staub machte, wenn seine Geliebte ein Kind erwartete. Die Zahl der unehelichen Geburten waren in dieser Schicht relativ hoch.
Die Schicht der industriellen Lohnarbeiter, die sich in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausbildete, rekrutierte sich, wie der deutsche Heimarbeiter, weitgehend aus der ländlichen Unterschicht. Auch Arbeiter heirateten, wenn sie nicht wie mancherorts durch gesetzliche oder betriebliche Heiratsvorschriften überhaupt zur Ehelosigkeit gezwungen waren, relativ früh. Zwar bestand für sie keinerlei ökonomische Notwendigkeit zur Ehe- und Familiengründung (im Gegenteil: die vielen Kinder waren oft der Hauptgrund ihrer Armut), aber eine eigene Familie war die einzige Alternative zum trostlosen Dasein als Schlafgänger, der nur ein Bett bei anderen Leuten gemietet hatte. Für die jungen Arbeiterinnen war die Ehe schon deswegen die einzige Perspektive, weil die Frauenlöhne erheblich niedriger waren als die Männerlöhne, auf jeden Fall so niedrig, dass es fast unmöglich war, allein davon zu leben. Auch in diesem Milieu wurde normalerweise geheiratet, wenn die Frau schwanger war (falls die Heiratsbestimmungen es zuliesen), aber auch hier kam es - anders als auf dem Dorf - vor, dass sich Männer ihrer moralischen Verpflichtung entzogen und einfach verschwanden. Uneheliche Mutterschaft war relativ häufig und nicht unbedingt mit einem sozialen Makel verbunden.7
Das Ideal der bürgerlichen Ehe war die "vernünftige Liebe ": Mann und Frau sollten einander schätzen und achten, und die Frau sollte nicht geradezu Widerwillen beim Gedanken an die physische Vereinigung empfinden, aber gefragt war keineswegs eine blühende Leidenschaft, die sich über alle finanziellen Erwägungen hinwegsetzte. Damit waren die Wahlmöglichkeiten erheblich eingeschränkt, vor allem für die Frau, da die Alternative, als "alte Jungfer" sitzenzubleiben, besonders trostlos erschien.8
Im Bürgertum gab es eine große Zahl unverheirateter Frauen. Das hing damit zusammen, dass viele Männer es sich nicht leisten konnten, eine Familie zu gründen; sie mußten, bevor sie heirateten, entweder ererbtes Vermögen oder eine einträgliche Position ( etwa im Staatsdienst ) oder eine Praxis, ein Geschäft, ein Unternehmen aufgebaut haben. Das setzt ein langjähriges Studium voraus, Bildungsreisen, Auslandsaufenthalten, eine mehrjährige Berufspraxis. Die Männer heiraten erst spät, und einige zogen es überhaupt vor, Junggeselle zu bleiben. Auch nebeneheliche Verhältnisse und sexuelle Doppelmoral, die sich vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Bürgertum verbreitete, waren mit der Idee der Liebesehe nicht vereinbar. Unter Männern galt es als selbstverständlich, dass sie vor der Ehe sexuelle Erfahrungen sammelten, sich die "Hörner abstießen", meist bei Prostituierten, häufig auch bei Verhältnissen mit Dienstmädchen oder anderen Frauen aus der Unterschicht.9
Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts nahm - parallel zur Entstehung der bürgerlichen Form - die Zahl der unehelichen Geburten und der wilden Ehen fast überall in Mitteleuropa sprunghaft zu. Beides war eine Begleiterscheinung des "Pauperismus", der Massenarmut, die durch die Strukturveränderung am Übergang von der agrarisch- handwerklichen zur industriellen Gesellschaft entstand. Der gesellschaftliche Umbruch lockerte auch die vormals feste Bindung der Ehe an die Voraussetzung ausreichender Lebensgrundlage, und die klaren bürgerlichen Zeitgenossen und kirchlicher Beobachter über den "sittlichen Verfall" der einfachen Bevölkerung wollten nicht abreißen. Die steigende Zahl "verlassener Weiber und hilfloser Kinder" hing damit zusammen, dass die sozialen Sanktionen der Nachbarschaft in der dörflichen Gemeinschaft, die früher dafür gesorgt hatten, dass der voreheliche Geschlechtsverkehr in stabile Paarbindungen mündete, wegen der mangelnden Verwurzelungen und hohen Mobilitäten vieler Menschen nicht mehr funktionierten. Oft genug blieben die Paare, die durch Armut oder gesetzliche Ehebeschränkungen an einer förmlichen Heirat gehindert waren, in wilder Ehe zusammen. Die Zunahme der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in städtischen Unterschichten dürfte vorwiegend in den wirtschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Eheschließung zu suchen sein. Es gab Schwierigkeiten bei der Beschaffung der für die Eheschließung notwendigen Papieren, es mangelte an finanziellen Mitteln für die Hochzeitsfeierlichkeiten, und es fehlte die traditionelle Aussteuer der Braut, die sie sich oft selbst erarbeiten mußte.10
Ein ganz entscheidenen Einfluß auf die Zunahme der wilden Ehe in der Unterschicht hatten die gesetzlichen Ehebeschränkungen, die in vielen deutschen Staaten im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder eingeführt wurden.
Wenn einem Paar die Heiratserlaubnis versagt wurde, blieb Mann und Frau nichts weiter übrig , als in wilder Ehe zu leben - oftmals mit getrenntem Wohnsitz und getrennt von ihren Kindern, die sie nicht selbst großziehen durften.
Manchmal waren es nicht die Gemeinden sondern Arbeitgeber, die die Freiheit der Eheschließung einschränkten.
Die kirchlichen Stellen waren vielerorts für die große Zahl der wilden Ehen mitverantwortlich, da sie nicht bereit waren den Armen die Heiratsgebühr zu erlassen.
In manchen Gegenden mußten unverheiratet zusammenlebende Paare mit Einschreiten der Polizei und mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe rechnen.
Im Jahre 1868 wurden die gesetzlichen Einschränkungen des Rechts auf "Vorehelichung" in allen Staaten des Norddeutschen Bundes aufgehoben. Bestimmte Berufsgruppen - so z. B. Beamte und Offiziere - mußten allerdings auch weiterhin gewisse Voraussetzungen erfüllen, um heiraten zu können, und auch Erlaubnis der vorgesetzten Behörde einholen. Eine Gruppe, der weit bis ins 20. Jahrhundert hinein die Freiheit der Eheschließung verweigert wurde, waren die Lehrerinnen. Für sie galt ein Zwangszölibat. Eine Lehrerin die heiratete, wurde automatisch aus dem Staatsdienst entlassen. So lebten auch Lehrerinnen nicht selten in wilden Ehen, allerdings meist versteckt, weil sie um ihren guten Ruf fürchten mußten.
Im übrigen war die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften im Bürgertum wesentlich kleiner als in den ländlichen und städtischen Unterschichten. Es gab aber auch wilde Ehen am Rande der bürgerlichen Gesellschaft, so etwa bei den Studenten oder in der Boheme, meist in großen Städten. Studenten war es erst möglich zu heiraten, wenn sie ihr Studium abgeschlossen, ein Geschäft oder eine Praxis aufgebaut oder einen einträglichen Posten übernommen hatten. Die Studenten und andere junge Männer der Boheme lebten häufig mit "Grisetten"11 zusammen. Für die Studenten waren solche Lebensgemeinschaften meist Übergangsphänomene, die dann ein Ende fanden, wenn sie einen bürgerlichen Beruf ergriffen und standesgemäß heiraten mußten. Die wilden Ehen der Studenten und der Angehörigen der Boheme wurden in der Öffentlichkeit geduldet; sie hatten selten ein Einschreiten der Polizei zur Folge.
In den großen Städten gab es auch im vorigen Jahrhundert schon hier und dar "freie Verhältnisse", die nicht von ökonomischer Not oder beruflichen Zwängen bedingt waren, sondern auf Grund der emanzipatorischen Einstellungen der betreffenden Frauen und Männer zustandekamen und von sozialistischen und feministischen Zeitströmungen beeinflußt waren. Solche Zeitströmungen hatten ihre Höhepunkte im Umfeld der französischen Revolution und in der Zeit des Vormärz. Doch wenn ökonomische Interessen es angeraten ließen, dann heirateten meist auch die "Emanzipierten", wobei sie sich mühten, ihrer Verachtung gegenüber der Ehe wenigstens noch in der Verspottung des Rituals Ausdruck zu geben.12 Es gibt unter den nicht ganz so seltenen Fällen freier Lebensgemeinschaften in den Mittel- und Oberschichten des ausgehenden 18. und des 19.Jahrhunderts nicht viele,bei denen sowohl der Mann als auch die Frau aus freiem Willen das nichteheliche Zusammenleben einer gesetzlichen Ehe vorzogen. In der Regel gingen dabei die Frauen ein großes ökonomisches und soziales Risiko ein, und deswegen heirateten die Paare im allgemeinen, falls (oder wenn endlich) die Möglichkeit bestand und der Mann eine gewisse Solidarität mit der Frau verspürte.13
Mit der Gründung des Deutschen Reiches fielen die letzten Heiratsbeschränkungen, und das BGB von 1900 war das erste Gesetzbuch, das jederman, nach erreichen des gesetzlichen Heiratsalters gestattete zu heiraten, wen er oder sie wünschte.14
[...]
1 Schenk, Herrad 1987, S. 213f
2 Schenk, Herrad 1987, S. 213f
3 Wingen, Max 1984, S. 13
4 Mit der Ehe erfüllte man seine Verpflichtungen gegenüber der Familie, sorgte man für den Fortbestand seines Geschlechts; die Aufgaben der Ehegatten gegeneinander waren erfüllt, sobald legitime Nachkommen gezeugt waren. Von da an lebten Mann und Frau, gleichgültig oder höflich, nebeneinander her wie Fremde. Nebeneheliche Beziehungen, in denen Leidenschaft und erotische Raffinesse kultiviert wurden, galten als selbst-verständlich, zumindest für den Mann, hier und da auch für die Frau.
5 Schenk, Herrad 1987, vgl. Kapitel 3
6 Die sonst für die vorindustrielle Gesellschaft typische Verklammerung von ökonomischer Selbständigkeit und Heirat bestand nicht mehr.
7 Schenk, Herrad 1987, vgl. Kapitel 4
8 Es bedeutete, nach dem Tod der Eltern, die soziale Isolation, wenn nicht verheiratete Brüder oder Schwestern bereit waren, sie zu sich zu nehmen, und es bedeutete sehr häufig eine quälende finanzielle Abhängigkeit
9 Schenk, Herrad 1987, vgl. Kapitel 5
10 Lengsfeld, Wolfgang; Schwägler, Georg 1987, S. 5
11 Grisetten waren junge Frauen aus der Unterschicht, meist Wäscherinnen, Näherinnen, Putzmacherinnen, gelegentlich Fabrikarbeiterinnen, und in der Regel Töchter aus großen Familien, die finanziell auf sich selbst angewiesen waren und relativ freizügige Liebesverhältnisse eingingen
12 Meist lebten Mann und Frau schon vor der Ehe zusammen, und die Ehe wurde nur widerwillig eingegangen.
13 Schenk, Herrad 1987, vgl. Kapitel 6
14 Schenk, Herrad 1987, vgl. Kapitel 8
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