In dieser Stunde sollen sich die SuS über den Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation bewusst werden, um den Erziehungsbegriff abgrenzen und Erziehungsprozesse hinterfragen und bewerten zu können.
Zugang zur Thematik der heutigen Unterrichtsstunde finden die SuS über die Folie mit der Abbildung einer Marionette. Diese sollen sie zuerst beschreiben und dann Vermutungen aufstellen, was die Abbildung mit Erziehung zu tun haben könnte. Dazu sollen die SuS gegebenenfalls den Erziehungsbegriff definieren und auf das Bild anwenden.
Im nächsten Schritt sollen die SuS anhand des Textes „Der Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation“ den Begriff „Manipulation“ verstehen.Die Erarbeitung erfolgt auf der Grundlage des Kooperativen Lernens.Danach soll das Gruppenergebnis präsentiert und diskutiert werden. In der Diskussionsrunde sollen ebenfalls praktische Beispiele aus der Erziehungswirklichkeit gefunden werden, die Manipulation in der Erziehung verdeutlichen. Des Weiteren soll die Frage diskutiert werden, ob Tiere, insbesondere Hunde und Pferde erzogen werden.
KURSTHEMA: Was ist Erziehung? - Das Individuum im Erziehungsprozess.
THEMA: Der Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation – Eine Erarbeitung der Begriffe „Erziehung“ und „Manipulation“ anhand von Textarbeit und dessen Verdeutlichung und Darstellung.
KERNANLIEGEN: Die SuS verstehen anhand des Textes den Begriff der „Manipulation“ und können beide Begriffe in einem Schaubild klar voneinander abgegrenzt darstellen.
UNTERRICHTSVERLAUFSPLAN
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hausaufgabe: Ein Märchen von Heinz Körner (Arbeitsauftrag: Handelt es sich um Erziehung oder Manipulation? Wenn du der Meinung bist, dass es sich um Erziehung handelt, schreibe ein neues Märchen, in dem der Baum manipuliert wird, wenn du meinst, dass der Baum manipuliert wird, dann schreibe ein neues Märchen, in dem der Baum erzogen wird.)
Verwendete Abkürzungen: AB: Arbeitsblatt; EA: Einzelarbeit; GA: Gruppenarbeit; L: Lehrperson; LV: Lehrervortrag; PL: Plenum; SuS: Schülerinnen und Schüler; SV: SchülerInnenvortrag.
EINBETTUNG IN DIE UNTERRICHTSREIHE:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
DIDAKTISCH-METHODISCHE BEGRÜNDUNG:
Im ersten Halbjahr der Jahrgangsstufe 11 sieht der Lehrplan Erziehungswissenschaft als Kursthema „Erziehungssituationen und Erziehungsprozesse“ vor. Die SuS werden mit zentralen Fragen der Erziehungswissenschaft konfrontiert und bauen inhaltliche sowie methodische Kompetenzen auf, um dadurch ein anspruchsvolles und hinreichend differenziertes Fundament für den Unterricht in der Qualifikationsphase aufzubauen.
Für die Einführungsphase ist eine gründliche Beschäftigung mit dem Erziehungsbegriff unumgänglich. Dabei ist die Thematisierung verschiedener Formen der familialer und außerfamilialer Erziehung und eine Auseinadersetzung mit Macht und Autorität als pädagogische Phänomene notwendig.[1]
Das Kursthema „Erziehungssituationen und Erziehungsprozesse“ ist in drei obligatorische Themen unterteilt: „ Das Individuum im Erziehungsprozess “, „ Erziehungsverhalten und Legitimation von Erziehungspraktiken “ sowie „ Erziehung in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten “.[2]
Das Stundenthema kann dem ersten Block der Jahrgangsstufe 11 „Das Individuum im Erziehungsprozess“[3] zugeordnet werden.
In den vorherigen Wochen haben sich die SuS detailliert mit dem Erziehungsbegriff auseinandergesetzt. Durch die Auseinadersetzung mit der eigenen subjektiven Theorie der SuS über Erziehung sowie mit anderen Positionen und Definitionen von Erziehung (Nickel, Mollenhauer, Wolf, Roth und Brezinka) wurde sich auf einen einheitlich verwendeten Erziehungsbegriff geeinigt.
Die SuS gewannen durch die Beschäftigung mit den Definitionen ein Bewusstsein, erzieherische bzw. nicht erzieherische Handlungen zu klassifizieren, welches sich in der umfassenden Beschäftigung mit Erziehungssituationen widerspiegelte. Anhand der Fallbeispiele „Tante Agnes“, „Familie Drescher“ und „Die Nikitin-Pädagogik“ wurden pädagogische Merkmale hinterfragt, bewertet und diskutiert.
Die SuS befassten sich zudem mit dem Text „Fünf Säulen einer guten Erziehung“ und arbeiteten entwicklungsfördernde und entwicklungshemmende Verhaltensweisen in der Erziehung heraus. Auch die Thematisierung der intentionalen und funktionalen Erziehung und die vertiefende Behandlung im Fallbeispiel „Paul lügt“ bedeutete für die SuS eine Erweiterung des Verständnisses von Erziehungssituationen und –prozesse.
In dieser Stunde sollen sich die SuS über den Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation bewusst werden, um den Erziehungsbegriff abgrenzen und Erziehungsprozesse hinterfragen und bewerten zu können.
In den folgenden Stunden geht es um die Erziehungsbedürftigkeit des Menschen. Dafür soll der Film „Der Wolfsjunge“ vertiefend behandelt werden. Weitere Fallbeispiele wie „Der Fall Kasper Hauser“, „Der Fall Genie“ sowie „Amala und Kamala“ sollen die Erziehungsbedürftigkeit verdeutlichen. Abschließend soll geklärt werden, was den Menschen zum Menschen macht und vom Tier unterscheidet.
Zugang zur Thematik der heutigen Unterrichtsstunde finden die SuS über die Folie mit der Abbildung einer Marionette. Diese sollen sie zuerst beschreiben und dann Vermutungen aufstellen, was die Abbildung mit Erziehung zu tun haben könnte. Dazu sollen die SuS gegebenenfalls den Erziehungsbegriff definieren und auf das Bild anwenden. Der Einstieg über das Bild soll den SuS einen ersten Zugang zur Thematik verschaffen und alle SuS aktivieren, sich Gedanken über das Stundenthema zu machen. Zudem soll die Motivation und Spannung erhöht werden, indem gegebenenfalls nicht aufgeschlüsselt wird, was die Marionette in Bezug auf Erziehung darstellen möchte.
Im nächsten Schritt sollen die SuS anhand des Textes „Der Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation“[4] aus dem Phoenix - Band 1 den Begriff „Manipulation“ verstehen. Der Text wurde ausgewählt, da sich die SuS über Manipulation in Erziehungsprozessen bewusst werden sollen. Zudem untermauert und ergänzt der Text das bereits in den letzten Unterrichtsstunden erarbeitete Verständnis von Erziehung. Die SuS lernen, dass Erziehung nicht jegliche Verhaltensänderung meint, sondern dass ein Erziehen mit Zwang, ohne Raum der Entfaltung und die Eliminierung von unerwünschten Verhalten Manipulation ist.
Die Erarbeitung erfolgt auf der Grundlage des Kooperativen Lernens, da dieses Unterrichtsprinzip alle SuS aktiviert und Sozialkompetenzen ausbildet. Die SuS erproben Teamarbeit und erlangen dadurch Kritikfähigkeit, da sie sich über die Stichpunkte auf eine gemeinsame schematische Darstellung der Begriffe einigen müssen. „Lernprozesse sollen Gelegenheit für kooperative Arbeitsformen geben. Je mehr die Notwendigkeit besteht, eigene Lernerfahrungen und –ergebnisse mit den Problemlösungen anderer zu vergleichen, zu erörtern, sie dabei zu überprüfen und zu verbessern, desto nachhaltiger ist das Lernen.“[5]
Die Bearbeitung der Aufgabe erfolgt auf eine Placemat, da diese Methode den SuS ermöglicht, sich zunächst individuell Gedanken zu dem Thema zu machen und sich anschließend über die Gedanken austauschen zu können. Die schriftliche Fixierung gibt auch zurückhaltenden SuS die Sicherheit für die nachfolgende Diskussion. Schwächere SuS können sich an Arbeitsergebnissen von stärken SuS orientieren. Durch die stichpunktartige Beschäftigung mit den Begriffen sollen die SuS den Text für sich strukturieren und verstehen.
Falls bei einigen SuS Probleme beim Textverständnis auftreten (der Kurs ist sehr leistungsheterogen), wird die Lehrperson Hilfestellungen geben.
Im zweiten Arbeitsschritt liest sich jedes Gruppenmitglied die Ergebnisse der einzelnen Gruppenmitglieder durch. Dadurch entsteht die Grundlage, auf der dann gemeinsam ein Schaubild erstellt werden soll, welches die Begriffe „Erziehung“ und „Manipulation“ gegenüberstellt und verdeutlicht. Die SuS sollen Texte verstehen und untergliedern lernen. Eine schematische Darstellung ermöglicht komplexe Inhalte plastisch, verständlich und übersichtlich zu machen. Somit können solche Schaubilder ermöglichen, die Inhalte schneller memorisieren zu können.
Für die Präsentation der Gruppenergebnisse wird per Zufall ein Mitglied einer Gruppe ausgewählt. So muss jeder Lernende damit rechnen, dass er am Ende die Ergebnisse präsentieren muss und ist „gezwungen“ bei der Gruppenarbeit aktiv mitzuarbeiten. In Anbetracht der Unterrichtszeit von 45 Minuten wird nur eine Gruppe ihre Ergebnisse präsentieren können. Die anderen Gruppen erhalten jedoch die Gelegenheit die Arbeitsergebnisse der Präsentationsgruppe durch ihre Ergebnisse zu ergänzen.
Gegebenenfalls die anschließende Diskussion auf die nächste Stunde verschoben werden. Dann könnten andere Gruppen ebenso die Gelegenheit bekommen, ihre Schaubilder (als Einstieg in die Stunde) kurz zu präsentieren. In der Diskussionsrunde sollen ebenfalls praktische Beispiele aus der Erziehungswirklichkeit gefunden werden, die Manipulation in der Erziehung verdeutlichen. Des Weiteren soll die Frage diskutiert werden, ob Tiere, insbesondere Hunde und Pferde erzogen werden. Dadurch soll die alltägliche Verwendung des Begriffes Erziehung in Frage gestellt werden.
Als Hausaufgaben sollen die SuS sich mit dem Märchen von Heinz Körner[6] auseinandersetzen, indem sie beurteilen, ob der Baum erzogen oder manipuliert wird und anschließend ein gegensätzliches Märchen schreiben. Durch diesen praktischen Bezug sollen die SuS ihre theoretischen Kenntnisse festigen und auf die Erziehungswirklichkeit anwenden lernen.
Literatur:
Dorlöchter, H./Stiller, E. (2005): Phoenix. Der etwas andere Weg zur Pädagogik. Ein Arbeitsbuch. Band 1. Schöningh.
Körner, H. (1983): Die Farben der Wirklichkeit - Ein Märchenbuch -. Lucy Körner Verlag.
Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen [Hrsg.] (1999): Richtlinien und Lehrpläne für das Fach Erziehungswissenschaft (Sekundarstufe II), Gymnasium/Gesamtschule. Ritterbachverlag. Frechen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation
Kinder stärken heißt Kinder achten. Geduld haben und Warten können sind pädagogische Tugenden einer achtsamen Erziehung. Achtung, so sagt Erich Fromm (1998), bezeichnet die Fähigkeit, jemanden so zu sehen, wie er ist, und seine einzigartige Individualität wahrzunehmen. Achtung bezieht sich darauf, dass man ein echtes Interesse daran hat, dass der andere wachsen und sich entfalten kann. [...] Achtung vor einem Menschen zu haben, setzt Verantwortungsgefühl und Glauben voraus. Ein wichtiger Aspekt des Glaubens an einen anderen Menschen bezieht sich darauf, dass wir an dessen Möglichkeiten glauben, erfahren wir weiter bei Erich Fromm. Ob dieser Glaube vorhanden ist oder nicht, macht seiner Meinung nach den Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation aus. Erziehen heißt ein „Herauslocken“ oder „etwas herausbringen, was potenziell bereits vorhanden ist“, es bedeutet auch ein „Formgewinnen, ein Gewinnen von Identität durch Ausschöpfung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten“. Der Glaube an die Möglichkeiten des Kindes sollte selbstverständlich in allen gesellschaftlichen Bereichen vorhanden sein, in der Familie genauso wie Kindergarten, in der Politik genauso wie in den Medien. Vor allem sollte generell ein Klima existieren, in dem wir alle an ihre Möglichkeiten glauben (können) und deshalb alles daran setzen Bedingungen zu schaffen, damit jedes Kind das erhält, was es braucht, um seelisch gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein. Diese Klima haben wir in Deutschland leider nur vereinzelt, insgesamt betrachtet haben es Kinder bei uns noch immer sehr schwer. Es herrscht mehr Misstrauen als Vertrauen, mehr Kälte als Warmherzigkeit, mehr Trennung als Gemeinsamkeit, mehr Manipulation als Erziehung. Der Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation ist tatsächlich fundamental. Vielleicht erziehen wir zu wenig, manipulieren tun wir auf jeden Fall zu viel. „Das Gegenteil von Erziehung ist Manipulation, bei welcher der Erwachsene nicht an die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes glaubt und überzeugt ist, dass das Kind nur dann zu einem ordentlichen Menschen wird, wenn er ihm das, was er für wünschenswert hält, einprägt und alles unterdrückt, was ihm nicht wünschenswert scheint. An einen Roboter braucht man nicht zu glauben, weil in ihm kein Leben ist, das sich entfalten könnte.“ (Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. Berlin: Ullstein Verlag, 1998, S. 187) Kinder brauchen fürsorgende Erziehung, die ihre Grundbedürfnisse respektiert. Darauf hat jedes Kind ein Recht. Und wir, die Gesellschaft haben nicht das Recht, diese Grundbedürfnisse zu ignorieren.
(Eiko Jürgens, Kinder stärken heißt Kinder achten. In: Lernwelten 1/2003, S.9)
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Ein Märchen von Heinz Körner
Es war einmal ein Gärtner. Eines Tages nahm er seine Frau bei der Hand und sagte: „Komm, Frau, wir wollen einen Baum pflanzen.“ Die Frau antwortete: „Wenn du meinst, mein lieber Mann, dann wollen wir einen Baum pflanzen.“ Sie gingen in den Garten und pflanzten einen Baum.
Es dauerte nicht lange, da konnte man das erste Grün zart aus der Erde sprießen sehen. Der Baum, der eigentlich noch kein richtiger Baum war, erblickte zum ersten Mal die Sonne. Er fühlte die Wärme ihrer Strahlen auf seinen Blättchen und streckte sich ihnen hoch entgegen. Er begrüßte sie auf seine Weise, ließ sich glücklich bescheinen und fand es wunderschön, auf der Welt zu sein und zu wachsen.
„Schau“, sagte der Gärtner zu seiner Frau, „ist er nicht niedlich, unser Baum?“ Und seine Frau antwortete: „Ja, lieber Mann, wie du schon sagtest: „Ein schöner Baum!“
Der Baum begann größer und höher zu wachsen und reckte sich immer weiter der Sonne entgegen. Er fühlte den Wind und spürte den Regen, genoss die warme und feste Erde um seine Wurzeln und war glücklich. Und jedes Mal, wenn der Gärtner und seine Frau nach ihm sahen, ihn mit Wasser tränkten und ihn einen schönen Baum nannten, fühlte er sich wohl. Denn da war jemand, der ihn mochte, ihn hegte, pflegte und beschützte. Er wurde lieb gehabt und war nicht allein auf der Welt. So wuchs er zufrieden vor sich hin und wollte nichts weiter als leben und wachsen, Wind und Regen spüren, Erde und Sonne fühlen, lieb gehabt werden und andere lieb haben.
Eines Tages merkte der Baum, dass es besonders schön war, ein wenig nach links zu wachsen, denn von dort schien die Sonne mehr auf seine Blätter. Also wuchs er jetzt ein wenig nach links.
„Schau“, sagte der Gärtner zu seiner Frau, „unser Baum wächst schief. Seit wann dürfen Bäume denn schief wachsen, und dazu noch in unserem Garten? Ausgerechnet unser Baum! Gott hat die Bäume nicht erschaffen, damit sie schief wachsen, nicht wahr, Frau?“ Seine Frau gab ihm natürlich recht. „Du bist eine kluge und gottesfürchtige Frau“, meinte daraufhin der Gärtner. „Hol also unsere Schere, denn wir wollen unseren Baum gerade schneiden.“
Der Baum weinte. Die Menschen, die ihn bisher so lieb gepflegt hatten, denen er vertraute, schnitten ihm die Äste ab, die der Sonne am nächsten waren. Er konnte nicht sprechen und deshalb nicht fragen. Er konnte nicht begreifen. Aber sie sagten ja, dass sie ihn lieb hätten und es gut mit ihm meinten. Und sie sagten, dass ein richtiger Baum gerade wachsen müsse. Und Gott es nicht gern sähe, wenn er schief wachse. Also musste es wohl stimmen. Er wuchs nicht mehr der Sonne entgegen.
„Ist er nicht brav, unser Baum?“ fragte der Gärtner seine Frau. „Sicher, lieber Mann“, antwortete sie, „du hast wie immer recht. Unser Baum ist ein braver Baum.“
Der Baum begann zu verstehen. Wenn er machte, was ihm Spaß und Freude bereitete, dann war er anscheinend ein böser Baum. Er war nur lieb und brav, wenn er tat, was der Gärtner und seine Frau von ihm erwarteten. Also wuchs er jetzt strebsam in die Höhe und gab darauf Acht, nicht mehr schief zu wachsen.
„Sieh dir das an“, sagte der Gärtner eines Tages zu seiner Frau, „unser Baum wächst unverschämt schnell in die Höhe. Gehört sich das für einen rechten Baum?“ Seine Frau antwortete: „Aber nein, lieber Mann, das gehört sich natürlich nicht. Gott will, dass Bäume langsam und in Ruhe wachsen. Und auch unser Nachbar meint, dass Bäume bescheiden sein müssten, ihrer wachse auch schön langsam.“ Der Gärtner lobte seine Frau und sagte, dass sie etwas von Bäumen verstehe. Und dann schickte er sie die Schere holen, um dem Baum die Äste zu stutzen.
Sehr lange weinte der Baum in dieser Nacht. Warum schnitt man ihm einfach die Äste ab, die dem Gärtner und seiner Frau nicht gefielen? Und wer war dieser Gott, der angeblich gegen alles war, was Spaß machte?
„Schau her, Frau“, sagte der Gärtner, „wir können stolz sein auf unseren Baum.“ Und seine Frau gab ihm wie immer recht.
Der Baum wurde trotzig. Nun gut, wenn nicht in die Höhe, dann eben in die Breite. Sie würden ja schon sehen, wohin sie damit kommen. Schließlich wollte er nur wachsen, Sonne, Wind und Erde fühlen, Freude haben und Freude bereiten. In seinem Innern spürte er ganz genau, dass es richtig war, zu wachsen. Also wuchs er jetzt in die Breite.
„Das ist doch nicht zu fassen.“ Der Gärtner holte empört die Schere und sagte zu seiner Frau: „Stell dir vor, unser Baum wächst einfach in die Breite. Das könnte ihm so passen. Das scheint ihm ja geradezu Spaß zu machen. So etwas können wir auf keinen Fall dulden!“ Und seine Frau pflichtete ihm bei: „Das können wir nicht zulassen. Dann müssen wir ihn eben wieder zurecht stutzen.“
Der Baum konnte nicht mehr weinen, er hatte keine Tränen mehr. Er hörte auf zu wachsen. Ihm machte das Leben keine rechte Freude mehr. Immerhin, er schien nun dem Gärtner und seiner Frau zu gefallen. Wenn auch alles keine rechte Freude mehr bereitete, so wurde er wenigstens lieb gehabt. So dachte der Baum.
(Heinz Körner, Die Farben der Wirklichkeit - Ein Märchenbuch -. Lucy Körner Verlag, 1983)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Erwartete Arbeitsergebnisse
4. Arbeite stichwortartig aus dem Text heraus, welche Punkte zum Begriff der Erziehung gehören. Verdeutliche auf dieser Grundlage, was Manipulation bedeutet.
Erziehung = achtsame Erziehung à Geduld haben/Warten können
Achtung = Fähigkeit, jmd. so zu sehen wie er ist
Interesse, dass der andere wachsen und sich entfalten kann
Glaube an die Möglichkeiten des Kindes in allen gesellschaftlichen Bereichen
„Herauslocken“, was potentiell bereits beim Kind vorhanden ist
Gewinnen von Identität durch Ausschöpfung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten
Bedingungen für das gute Aufwachsen des Kindes schaffen (seelische Gesundheit, gute Lernvoraussetzungen, Zufriedenheit)
Erziehung muss Grundbedürfnisse des Kindes respektieren
Manipulation = Erwachsener glaubt nicht an die Entwicklungsmöglichkeit des Kindes
und ist überzeugt, dass das Kind nur zum ordentlichen Menschen wird, wenn er ihm dass, was er für wünschenswert hält, einprägt und alles unterdruckt, was ihm nicht wünschenswert scheint.
5. Erstellt ein Schaubild, der beide Begriffe verdeutlicht. Nehmt Bezug zu den Inhalten, die wir bereits im Unterricht thematisiert haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] Vgl. MSW (1999): Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Erziehungswissenschaft. Frechen: Ritterbach-Verlag. S. 14 f.
[2] Vgl. MSW (1999: 17).
[3] Vgl. MSW (1999: 17).
[4] Vgl. Phoenix (2005: 42 f.).
[5] MSW (1999: 13 f.).
[6] Vgl. Körner, H. (1983): Die Farben der Wirklichkeit - Ein Märchenbuch -. Lucy Körner Verlag.
- Arbeit zitieren
- Daniela Witt (Autor:in), 2010, Unterrichtsentwurf Pädagogik: Unterschied zwischen Erziehung und Manipulation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160682
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