Jeder Mensch hat ein intuitives Verständnis von der Rhythmizität sprachlicher Äußerungen, da er die zugrundeliegenden Prinzipien beim Sprechen stets, wenn auch unreflektiert, beachtet. Der sprachliche Rhythmus nun erfüllt Funktionen im Bereich Gliederung und Hervorhebung auf allen linguistischen Ebenen. Silben- und Wortgrenzen sowie Wortbetonungen werden durch ihn markiert, syntaktische Phrasen und semantisch zusammengehörige Einheiten werden rhythmisch gegliedert. Ohne diese rhythmische Gliederung wäre der Sprachwahrnehmungsprozess sicherlich um einiges erschwert. Neben der direkten Beziehung zwischen Rhythmus und linguistischen Einheiten existieren ferner situationsspezifische Rhythmen, welche mit einem bestimmten Sprechstil verknüpft sind. So hat schnelle Sprache vermutlich einen anderen Rhythmus als langsame, eine Predigt wiederum einen anderen Rhythmus als ein Fußballkommentar. Welche Rolle der Sprechrhythmus auf den einzelnen linguistischen und paralinguistischen Ebenen im Detail spielt, ist jedoch noch weitestgehend ungeklärt. Eine relativ große Übereinstimmung besteht in der Meinung, dass es auch sprachspezifische rhythmische Unterschiede gibt, genauer gesagt gibt es die Annahme, dass sich Sprachen in so genannte akzentzählende und silbenzählende Sprachen unterteilen.
Überdies ist der Sprechrhythmus für die Sprachsynthese, d.h. den sprechenden Computer, von Bedeutung. Die häufigste Anwendung in diesem Bereich ist die Überführung von Text in ein entsprechendes Sprachsignal (Text-To-Speech). Auch in den neueren korpusbasierten Synthesesystemen ist eine ausgefeilte Prosodieprädiktion unerlässlich. Diese Vorhersage ist in den meisten Fällen jedoch noch verbesserungswürdig. Leider zielen TTS-Sprachsynthesesysteme im Allgemeinen ausschließlich auf eine prosaische Textdomäne ab, so dass spezielle Domänen, wie etwa die Lyrik, außer Acht gelassen werden. Die vorliegende Arbeit wird unter anderem dadurch motiviert, dass die Grundlagen für eine Erweiterung der Textdomäne von TTS-Systemen um das Feld der Lyrik mit festgelegtem Metrum fehlen und somit erst noch geschaffen werden müssen. Der prominente Rhythmus von Lyrik mit festgelegtem Metrum soll dabei in zwei Dauermodellen abgebildet werden. Es wird angenommen, dass Rückschlüsse von der Rhythmizität der Lyrik im Deutschen auf die deutsche Sprache allgemein möglich sind. Um sich diesen Fragestellungen anzunähern, sind in dieser Arbeit die Ergebnisse mehrerer Perzeptionsexperimente dokumentiert.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Zum Sprechrhythmus
- 2.1 Isochronie
- 2.2 Akustische Korrelate des Sprechrhythmus
- 2.3 Perzeption von Sprechrhythmus
- 2.4 Sprechrhythmus und Lyrik
- 2.4.1 Motivation
- 2.4.2 Ergebnisse
- 2.5 Fazit
- 3 Zum Begriff der Prosodie
- 3.1 Definierbarkeit
- 3.2 Funktion
- 3.3 Fazit
- 4 Lyrik und Metrik
- 5 Korpuserstellung
- 5.1 Textauswahl
- 5.2 Aufnahme
- 5.3 Annotation
- 5.3.1 GTOBI-Etikettierung
- 5.4 Zusammenfassung
- 6 Datenanalyse
- 6.1 Dauerphänomene
- 6.1.1 Silbendauern
- 6.1.2 Fußdauern
- 6.1.3 Die Dauerrelation unakzentuiert zu akzentuiert
- 6.1.4 Phrasen- und Versdauern
- 6.1.5 Zusammenfassung
- 6.2 Intonationsphänomene
- 6.2.1 Höhe der Grundfrequenz
- 6.2.2 Phonologische Beschreibung der Intonation
- 6.2.3 Zusammenfassung
- 6.1 Dauerphänomene
- 7 Rhythmisch-prosodische Modelle
- 7.1 Dauermodelle
- 7.1.1 Lineare Regression
- 7.1.2 Silbendauern bei isochronen Fußdauern
- 7.2 Intonationsmodell
- 7.3 Zusammenfassung
- 7.1 Dauermodelle
- 8 Evaluation der Dauermodelle
- 8.1 Verfahren der perzeptiven Beurteilung von Sprachstimuli
- 8.1.1 Der Faktor Mensch
- 8.1.2 Testmethoden
- 8.1.3 Diskussion
- 8.2 Delexikalisierung
- 8.3 Modellevaluation
- 8.3.1 Ergebnisse der Lyrik/Prosa Unterscheidung bei delexikalisierten Stimuli
- 8.3.2 Ergebnisse der Lyrik/Prosa Unterscheidung bei nicht-delexikalisierten Stimuli
- 8.3.3 Ergebnisse der Rhythmuserkennung bei delexikalisierten Stimuli
- 8.3.4 Zusammenfassung
- 8.1 Verfahren der perzeptiven Beurteilung von Sprachstimuli
- 9 Abschließende Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Dissertation untersucht das rhythmisch-prosodische Modell lyrischen Sprechstils. Ziel ist es, ein Modell zu entwickeln, das die akustischen Merkmale dieses Sprechstils erfasst und erklärt. Dabei werden die rhythmischen und prosodischen Aspekte des lyrischen Sprechens im Fokus stehen.
- Akustische Merkmale des lyrischen Sprechstils
- Rhythmische und prosodische Strukturen in der Lyrik
- Entwicklung eines Modells zur Erklärung der akustischen Eigenschaften
- Anwendung des Modells auf konkrete lyrische Texte
- Evaluation der Modellgenauigkeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit gliedert sich in neun Kapitel. Nach einer einleitenden Darstellung des Themas werden im zweiten Kapitel verschiedene Aspekte des Sprechrhythmus beleuchtet, darunter Isochronie, akustische Korrelate, Perzeption und die Relevanz für die Lyrik. Kapitel drei befasst sich mit dem Begriff der Prosodie, insbesondere mit ihrer Definierbarkeit und Funktion. Kapitel vier beleuchtet den Zusammenhang zwischen Lyrik und Metrik. Kapitel fünf widmet sich der Korpuserstellung, die für die Analyse der akustischen Daten unabdingbar ist. Dabei werden die Textauswahl, die Aufnahme und die Annotation der Daten beschrieben. Kapitel sechs analysiert die Dauer- und Intonationsphänomene der aufgenommenen Texte. Kapitel sieben präsentiert verschiedene rhythmisch-prosodische Modelle, darunter Dauermodelle und ein Intonationsmodell. Kapitel acht evaluiert die entwickelten Dauermodelle mithilfe verschiedener Verfahren der perzeptiven Beurteilung von Sprachstimuli. Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Forschungsfragen gegeben.
Schlüsselwörter
Lyrischer Sprechstil, Sprechrhythmus, Prosodie, Metrik, Korpuslinguistik, Akustische Analyse, Dauermodelle, Intonationsmodell, Perzeptive Beurteilung.
- Citation du texte
- Jörg Bröggelwirth (Auteur), 2007, Ein rhythmisch-prosodisches Modell lyrischen Sprechstils, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160129