Das deutsche Finanzsystem ist im Vergleich z.B. zu anglo-amerikanischen Systemen durch eine hohe Abhängigkeit der vorwiegend mittelständischen Wirtschaftsunternehmen von Finanzierungen durch Banken geprägt. Dies umfasst sowohl den Bereich langfristiger Investitionsdarlehen als auch den der kurzfristigen Betriebsmittelkredite. Eine den wirtschaftlichen Umständen entsprechende Kreditvergabepolitik ist demnach von besonderer volkswirtschaftlicher Bedeutung, um Betriebe mit geeigneter Bonität zu finanzieren. Darüber hinaus hängen Kreditinstitute in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und Stabilität maßgeblich von den Geschäftsverläufen dieses Segments ab. Dabei sind Banken in ihrer Geschäftspolitik nicht unabhängig von äußeren Einflüssen, sondern unterliegen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dies erfordert aufgrund konjunktureller Zyklen Anpassungen in der Kreditvergabepolitik seitens des Bankmanagements sowie aufgrund der Bedeutung der Kreditwirtschaft für die Volkswirtschaft eine Unterwerfung unter Normen zur Bankenaufsicht und Berichterstattung. Eine Ineffektivität für das gesamte Bankensystem wie auch für das einzelne Institut kann dadurch entstehen oder verstärkt werden, dass diese Normen Mechanismen verursachen oder unterstützen, die in der Wechselwirkung zwischen Kreditmärkten und Faktormärkten zu einer Verstärkung und Übertreibung zyklischer Bewegungen im Kreditvergabeverhalten der Bank und ggf. daraus resultierend zu Rückwirkungen auf die volkswirtschaftliche Produktivität führen. Diese Mechanismen als Folge neuerer Normen¬setzungen in Bankenaufsicht und Rechnungslegung gilt es im Rahmen dieser Arbeit herauszuarbeiten, theoretisch zu fundieren und soweit möglich empirisch zu bestätigen.
Die in der Arbeit diskutierte Problematik fußt dabei auf einem wissenschaftlichen Diskurs, der bereits im Vorfeld der Einführung des Bankenaufsichtsregimes nach Basel II und der Konzernrechnungslegung nach IFRS aufkam. Eine besondere Bedeutung erhielt die Auseinandersetzung im Zuge der Finanzkrise, deren Verlauf in diesem Kontext als Indiz gewertet werden kann, dass die Unterstellung prozyklischer Effekte berechtigt ist. Verschiedene Studien im Auftrag deutscher Banken, universitärer Initiativen und Studien von Wirtschaftsverbänden sowie der Bundesbank greifen diese Thematik erneut auf. Anlass genug, mit der Erarbeitung einer analytisch-theoretischen Grundlage zur Frage prozyklischer Wirkungen einen Beitrag zu der Forschung zu leisten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Konzeptionelle Grundlagen zum prozyklischen Kreditvergabeverhalten
- Überblick über theoretische Modelle zur Erklärung von Kreditvergabeverhalten
- Modelle mit Risikoneutralität, Informationsasymmetrien und Kundenbindung
- Portfoliomodelle mit Risikoaversion
- Ökonometrisches Modell mit getrennter Betrachtung von Kreditangebot und Kreditnachfrage
- Sonstige und ältere Erklärungsansätze
- Interdependenz zyklischer Konjunkturentwicklungen und zyklischer Kreditvergabe
- Erklärungsansätze für Konjunkturzyklen als Grundlage für Kreditzyklen
- Kreditversorgung der Wirtschaft als Voraussetzung für Investitionen und konjunkturelles Wachstum
- Betriebswirtschaftliche Ursachen und Treiber für Prozyklizität in der Kreditvergabe
- Eigenkapital als die Risikotragfähigkeit limitierende Determinante
- Ergebnisbeiträge durch Kredite als Vergütungsanforderung
- Refinanzierbarkeit von Krediten über Einlagenmärkte als liquiditätsbezogene Determinante
- Weitere Determinanten des Kreditangebots sowie Determinanten der Kreditnachfrage
- Überblick über theoretische Modelle zur Erklärung von Kreditvergabeverhalten
- Relevante neuere Normensetzungen mit potenziell prozyklischen Auswirkungen auf die Determinanten von Kreditangebot und Kreditnachfrage
- Neuere Normensetzungen der internationalen Rechnungslegung mit potenziell prozyklischen Auswirkungen auf die Determinanten von Kreditangebot und Kreditnachfrage
- Bewertungsvorschriften: Die Fair Value Bewertung und das Incurred Loss Principle im Rahmen des Mixed-Model-Approach nach IAS 39 als potenziell prozyklische Rechnungslegungsnorm
- Weitere Bewertungsvorschriften, Ansatzvorschriften und außerbilanzielle Rechnungslegungsvorschriften mit potenziell prozyklischen Auswirkungen
- Neuere Normensetzungen der Bankenaufsicht nach Basel II mit potenziell prozyklischen Auswirkungen auf die Determinanten von Kreditangebot und Kreditnachfrage
- Eigenmitteldefinition, Sicherheiten und Risikogewichtung als Normen der quantitativen Bankenaufsicht mit potenziell prozyklischen Auswirkungen
- Normen der qualitativen Bankenaufsicht mit Bezug zur Geschäftsleitung und internen Prozessen der Bank mit potenziell prozyklischen Auswirkungen
- Neuere Normensetzungen der internationalen Rechnungslegung mit potenziell prozyklischen Auswirkungen auf die Determinanten von Kreditangebot und Kreditnachfrage
- Analyse der prozyklischen Wirkung der betrachteten Normen mit Bezug auf angepasste Modelle zur Erklärung des Kreditvergabeverhaltens
- Berücksichtigung der Determinanten in den Kreditvergabemodellen
- Anpassung eines Modells mit Risikoneutralität
- Anpassung eines Portfoliomodells mit Risikoaversion
- Anpassung eines ökonometrischen Modells
- Analyse prozyklischer Wirkmechanismen im Abschwung aufgrund von Einwirkungen durch Rechnungslegungs- und Bankenaufsichtsnormen anhand der angepassten Kreditvergabemodelle
- Prozyklische Wirkungen aufgrund von Kundenbonitätsverschlechterungen und Marktwertverringerungen im frühen Stadium des Abschwungs
- Prozyklische Wirkungen aufgrund von Incurred-Loss-Wertberichtigungen und Wertverlusten bei Sicherheiten im späteren Stadium des Abschwungs
- Weitere Wirkmechanismen, Handlungsalternativen und -automatismen der Geschäftsleitung der Bank und die Gefahr der Destabilisierung
- Analyse prozyklischer Wirkmechanismen im Aufschwung aufgrund von Einwirkungen durch Rechnungslegungs- und Bankenaufsichtsnormen anhand der angepassten Kreditvergabemodelle
- Prozyklische Wirkungen aufgrund von Kundenbonitätsverbesserungen und Marktwertsteigerungen
- Weitere prozyklische Wirkungen und Konsequenzen für die Bankleitung im Aufschwung
- Berücksichtigung der Determinanten in den Kreditvergabemodellen
- Empirische Aspekte zur prozyklischen Wirkung der betrachteten Normen
- Messprobleme bei der Ergebnisüberprüfung der theoretischen Analyse zur Prozyklizität der betrachteten Normen
- Ausgewählte empirische Quellen als Indikatoren prozyklischer Wirkungen der betrachteten Normen
- Vergleichende Betrachtung der Entwicklungen von nationaler Wirtschaftsleistung und Kreditvergabe durch Banken vor und nach Einführung der erörterten neueren Normen im Hinblick auf Prozyklizität
- Empirische Anhaltspunkte für prozyklische Wirkungen der betrachteten Normen aus den Offenlegungsberichten von Deutscher Bank und Commerzbank
- Weitere empirische Indizien für prozyklische Wirkmechanismen durch Bankenaufsichts- und Rechnungslegungsnormen
- Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die prozyklische Wirkung neuerer Normensetzungen in Bankenaufsicht und Rechnungslegung auf das Kreditvergabeverhalten von Banken. Die Arbeit konzentriert sich auf die theoretischen und empirischen Aspekte dieses Phänomens.
- Theoretische Modellierung des Kreditvergabeverhaltens unter Berücksichtigung der neuen Normen
- Analyse der prozyklischen Wirkmechanismen in konjunkturellen Abschwüngen und Aufschwüngen
- Empirische Überprüfung der prozyklischen Effekte anhand von Daten zur Kreditvergabe und zur Wirtschaftsentwicklung
- Bewertung der potenziellen Destabilisierung des Finanzsystems durch prozyklisches Kreditvergabeverhalten
- Diskussion von möglichen Lösungsansätzen zur Minderung der Prozyklizität.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die Thematik der Prozyklizität im Kreditvergabeverhalten. Kapitel 2 beleuchtet die konzeptionellen Grundlagen des Themas, indem es verschiedene theoretische Modelle zur Erklärung des Kreditvergabeverhaltens vorstellt und die Interdependenz zwischen Konjunkturzyklen und Kreditzyklen analysiert. Kapitel 3 befasst sich mit den Auswirkungen neuerer Normensetzungen in der Bankenaufsicht (Basel II) und in der Rechnungslegung (IAS 39) auf die Determinanten von Kreditangebot und -nachfrage. Kapitel 4 untersucht die prozyklischen Wirkmechanismen der neuen Normen anhand angepasster Kreditvergabemodelle und analysiert deren Auswirkungen in Abschwüngen und Aufschwüngen. Kapitel 5 beleuchtet empirische Aspekte zur Prozyklizität der betrachteten Normen, untersucht Messprobleme und präsentiert ausgewählte empirische Quellen. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick auf zukünftige Forschungsrichtungen.
Schlüsselwörter
Prozyklizität, Kreditvergabeverhalten, Bankenaufsicht, Rechnungslegung, Basel II, IAS 39, Fair Value Bewertung, Incurred Loss Principle, Risikoneutralität, Risikoaversion, Konjunkturzyklen, Kreditzyklen, Finanzstabilität, Destabilisierung.
- Quote paper
- Stefan Menk (Author), 2010, Prozyklizität im Kreditvergabeverhalten von Banken als Nebenwirkung neuerer Normensetzungen in Bankenaufsicht und Rechnungslegung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159523