Parlamentarisch-repräsentative Demokratien westlicher Prägung müssen pluralistisch strukturierten Interessen gerecht werden. Diese Interessen drücken sich in Erwartungshaltungen und Strategien der Wahlbevölkerung aus, um Vorteile für die eigene Person zu erzielen. In den Mittelpunkt solcher Überlegungen rückt die Gestaltung des Steuerrechts, weil mit ihr distributive Vorstellungen verwirklicht und gleichzeitig die dafür notwendigen allokations- und stabilitätsorientierten Bedingungen geschaffen werden müssen.
Ziel ist es, nachzuweisen, dass die Gestaltung des Steuerrechts in der Bundesrepublik Deutschland von den Bundesregierungen und den sie stellenden Parteien zur Umsetzung solcher Verhaltensmuster eingesetzt wurde. Die Betrachtung wird dabei auf den Zeitraum von 1969 bis 1990 beschränkt, weil in diesem Zeitraum sowohl die SPD als auch die CDU als führende Parteien gemeinsam mit der FDP die Bundesregierung stellten.
Für das behandelte Thema bietet sich eine Wahl der Phasen an, die sich, in Bezug auf die die Regierung stellenden Parteien, an einer unterschiedlichen Zusammensetzung orientiert. Parteispezifische Zielstellungen sind jedoch nur ein Teil der Faktoren, welche die Politik bestimmen, und werden zeitweise von als vorrangig empfundenen Zielen überlagert. Immer dann nämlich, wenn die wirtschaftliche Lage schwieriger wird, finden – wie die Erfahrungen zeigen – ökonomische Überlegungen wieder vorrangig Eingang in die Entscheidungen.
Aus diesem Grunde wird zu Beginn jeder betrachteten Periode ein kurzer Überblick über die wesentlichen Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung in den betreffenden Jahren gegeben. Aus Partei- und Wahlprogrammen, Regierungserklärungen sowie anderen Äußerungen verantwortlicher Politiker werden in einem zweiten Schritt die relevanten Hauptziele für die jeweilige Periode ermittelt.
Die Untersuchung umfasst Änderungen im deutschen Steuerrecht, die vom Volumen her bedeutsam und/oder in ihrer Ausgestaltung auf besondere Ziele ausgerichtet sind. Dabei werden zunächst die einzelnen Maßnahmen sowie ihre Zielsetzung dargestellt. Anschließend wird überprüft, ob die beschlossenen Gesetze auch in dieser oder in einer anderer Form von den nicht an der Regierung beteiligten Parteien beschlossen worden wären und welche Zielstellungen die Opposition mit ihren eigenen Vorschlägen verfolgte.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. PROGRAMMATISCHE ZIELE DER PARTEIEN
A. Die Ziele der CDU/CSU
B. Die Ziele der FDP
C. Die Ziele der SPD
D. Gegenüberstellung der Grundziele
3. DIE ZEIT DER SOZIAL-LIBERALEN KOALITION
A. Das 3. Vermögensbildungsgesetz
1) Zweck und Inhalt des Gesetzes
2) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
B. Die Steuerreform von 1974/75
1) Das Außensteuergesetz
a) Zweck und Inhalt des Gesetzes
b) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
2) Die Reform der Vermögen- und Erbschaftsteuer
a) Zweck und Inhalt des Gesetzes
b) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
3) Die Reform der Einkommensteuer und des Familienlastenausgleichs
a) Zweck und Inhalt des Gesetzes
b) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
C. Die Einführung des Verlustrücktrages
1) Zweck und Inhalt des Gesetzes
2) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
D. Die Steueränderungsgesetze von 1977 und 1979
1) Zweck und Inhalt der Gesetze
2) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
4. DIE ZEIT DER CHRISTLICH-LIBERALEN KOALITION BIS 1990
A. Das Haushaltsbegleitgesetz 1983
1) Zweck und Inhalt des Gesetzes
2) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
B. Die Steuerreform 1986/1990
1) Zweck und Inhalt der Gesetze
2) Zur Nachweisbarkeit des Einflusses politischer Überzeugungen
5. SCHLUßBEMERKUNGEN
6. LITERATURVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Parlamentarisch-repräsentative Demokratien westlicher Prägung müssen pluralistisch strukturierten Interessen gerecht werden. Diese Interessen drücken sich in Erwartungshaltungen und Strategien der Wahlbevölkerung aus, um Vorteile für die eigene Person zu erzielen. In den Mittelpunkt solcher Überlegungen rückt die Gestaltung des Steuerrechts, weil mit ihr distributive Vorstellungen verwirklicht und gleichzeitig die dafür notwendigen allokations- und stabilitätsorientierten Bedingungen geschaffen werden müssen. Dabei entstehen verschiedene gesellschaftliche Gruppen, die sich einerseits stärker auf distributive Ziele oder andererseits auf allokative und stabilitätsorientierte Aspekte konzentrieren. Die von diesen Gruppen an die Regierung und an die sie stützenden Parteien herangetragenen Vorstellungen finden ihren Niederschlag in bestimmten Verhaltensmustern von Parteien und Politikern.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, nachzuweisen, daß die Gestaltung des Steuerrechts in der Bundesrepublik Deutschland von den Bundesregierungen und den sie stellenden Parteien zur Umsetzung solcher Verhaltensmuster eingesetzt wurde. Die Betrachtung wird dabei auf den Zeitraum von 1969 bis 1990 beschränkt, einerseits weil in diesem Zeitraum sowohl die SPD als auch die CDU als führende Parteien gemeinsam mit der FDP die Bundesregierung stellten und andererseits, da für den Zeitraum seit der Wiederherstellung der deutschen Einheit die Vermutung nahe liegt, daß die großen damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Probleme Lösungen bedürfen, die größtenteils nur durch überparteilichen Konsens zu erreichen sind.
Zur Untersuchung eines so langen Zeitraums ist es unumgänglich, die betrachtete Periode in einzelne Phasen aufzuteilen. Für das behandelte Thema bietet sich m.E. eine Wahl der Phasen an, die sich, in Bezug auf die die Regierung stellenden Parteien, an einer unterschiedlichen Zusammensetzung orientiert. Es ist offensichtlich, daß diese Einteilung in engem Zusammenhang mit unterschiedlichen politischen Zielsetzungen steht, ergeben sich doch die Zielstellungen der Regierungen teilweise unmittelbar aus den Zielen der an ihr beteiligten Parteien. Parteispezifische Zielstellungen sind jedoch nur ein Teil der Faktoren, welche die Politik bestimmen, und werden zeitweise von als vorrangig empfundenen Zielen überlagert. Immer dann nämlich, wenn die wirtschaftliche Lage schwieriger wird, finden – wie die Erfahrungen zeigen – ökonomische Überlegungen wieder vorrangig Eingang in die Entscheidungen.
Aus diesem Grunde wird zu Beginn jeder betrachteten Periode ein kurzer Überblick über die wesentlichen Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung in den betreffenden Jahren gegeben. Aus Partei- und Wahlprogrammen, Regierungserklärungen sowie anderen Äußerungen verantwortlicher Politiker werden in einem zweiten Schritt die relevanten Hauptziele für die jeweilige Periode ermittelt.
Nachdem so die „Rahmenbedingungen“ dargestellt wurden, sollen jeweils wesentliche Steueränderungen des entsprechenden Zeitraums dahingehend überprüft werden, ob sich die Umsetzung typischer politischer Ziele der Regierungen bzw. der sie stellenden Parteien nachweisen läßt. Die Untersuchung umfaßt Änderungen im deutschen Steuerrecht, die vom Volumen her bedeutsam und/oder in ihrer Ausgestaltung auf besondere Ziele ausgerichtet sind. Dabei werden zunächst die einzelnen Maßnahmen sowie ihre Zielsetzung dargestellt. Anschließend wird überprüft, ob die beschlossenen Gesetze auch in dieser oder in einer anderer Form von den nicht an der Regierung beteiligten Parteien beschlossen worden wären und welche Zielstellungen die Opposition mit ihren eigenen Vorschlägen verfolgte. Bei dieser Überprüfung wird sich zeigen, daß bestimmte Grundeinstellungen der Parteien immer wieder in der politischen Diskussion auftreten und diese abhängig von der aktuellen politischen Konstellation Eingang in das deutsche Steuerrecht fanden.
2. Programmatische Ziele der Parteien
Die folgende einleitende Darstellung umfaßt die jeweiligen grundsätzlichen Einstellungen der Parteien, um zu zeigen, daß die konkreten politischen Maßnahmen in den programmatischen Leitlinien wurzeln, denn jede Politik geht von einer bestimmten Grundkonzeption aus, die durch den gesellschaftlichen Standpunkt bestimmt ist.[1]) Die Betrachtung beschränkt sich dabei auf die CDU, die CSU, die FDP sowie die SPD. Damit werden jene Parteien erfaßt, die im betrachteten Zeitraum die Bundesregierungen stellten.
A. Die Ziele der CDU/CSU
Die CDU orientiert ihre Politik an den Grundsätzen christlicher Verantwortung. Zielsetzungen dieser Politik sind die Freiheit des Einzelnen, die Gerechtigkeit und die Chancengleichheit für jedermann sowie die auf Eigenverantwortung aufbauende Solidarität aller.[2]) Aus diesen Grundsätzen heraus leitet sie das klare Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft ab, deren Grundlagen
- Leistung und soziale Gerechtigkeit,
- Wettbewerb und Solidarität,
- Eigenverantwortung und soziale Sicherung seien.[3])
Explizit wird im Parteiprogramm die Bedeutung von Wettbewerb und persönlichem, sozialverpflichtetem Eigentum hervorgehoben.[4]) Die CDU übersieht nicht, daß Korrekturen und Ergänzungen des Marktes durch Leistungen des Staates in den Bereichen notwendig sind, in denen der Markt nur unzureichend oder gar nicht wirksam sein kann. Dennoch wendet sie sich von der Übernahme eines wesentlichen Teils der Dienstleistungen durch den Staat ab; die Neuordnung der Staatswirtschaft mit dem Ziel einer Senkung der Steuer- und Abgabenlast ist vordringliches Ziel.[5])
Auf dem Gebiet des Steuerrechts stellt die CDU fest, daß die Abgabenbelastung die Prinzipien der Steuergerechtigkeit berücksichtigen muß sowie private Initiative und Leistungsfähigkeit nicht erstickt werden darf. Das Steuersystem soll einfacher werden, die Einkommensbesteuerung der individuellen Leistungsfähigkeit Rechnung tragen. Die CDU fordert eine wachstumsfördernde Steuerpolitik. Dabei ist das Hauptaugenmerk auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu richten und insbesondere der Förderung mittelständischer Unternehmen hohe Priorität einzuräumen.[6])
Im vermögenspolitischen Grundsatzprogramm, das auf dem Bundesparteitag 1973 verabschiedet wurde, fordert die CDU eine wachsende Vermögensförderung einkommensschwacher Schichten. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, daß der Maßstab für solche staatlichen Förderungsmaßnahmen die individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse und nicht die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen sein soll. Ziel dieser Förderung ist eine stärkere Orientierung zu persönlich verfügbarem Miteigentum mit der Folge von sozialer Partnerschaft statt Klassenkampf als Gegensatz zum Kollektiveigentum.[7])
Neue Akzente in der Programmatik der CDU setzte das Grundsatzprogramm von 1978 vor allem mit seiner Forderung nach einer neuen sozialen Politik. Zu den wichtigsten Aufgaben der Sozialpolitik gehört u.a., sozialen Ausgleich für die Familie zu gewährleisten.[8]) Jedoch müssen auch und gerade im Bereich der Sozialpolitik Besitzstände aller sozialen Gruppen überprüft werden; dies gilt ebenso für Steuervergünstigungen und Subventionen.
Als Regierungspartei ab dem Jahre 1982 begann für die CDU wiederum eine Phase programmatischer Neuorientierung. Sie setzte Akzente, „die sich stark von der sozialdemokratisch bestimmten Denkweise der Regierungen Brandt/Schmidt absetzten: Betonung des Leistungs- und Elitegedankens, mehr Selbsthilfe anstatt kollektiver Daseinsfürsorge, Abbau der Staatsverschuldung“.[9]) Jedoch wurde erst zwölf Jahre später, im Februar 1994, das neue und derzeit gültige Grundsatzprogramm, eine Fortschreibung der Leitsätze von 1978, verabschiedet.
Die parteipolitischen Zielsetzungen der CSU sind nahezu mit denen der CDU identisch. Deutlich wird dies besonders in der Beurteilung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der sozial-liberalen Koalition.[10]) Ihr wird vorgeworfen, die deutsche Wirtschaft in einen Scherbenhaufen verwandelt zu haben. Die CSU werde sich bemühen, aus der von dieser Regierung künstlich erzeugten Anspruchs- wieder eine Leistungsgesellschaft zu machen, in der es Arbeit für alle gibt, in der alle Bürger gegen die wirklichen Notfälle des Lebens gesichert sind und die späteren Generationen keine untilgbaren Hypotheken aufbürdet. Neben einer generellen Förderung der Privatinitiative will die CSU die Wirtschaft durch den Abbau bürokratischer Belastungen sowie durch eine maßvolle Lohn- und Abgabenpolitik fördern. Die CSU hebt ausdrücklich hervor, daß die „zahlreichen an die Finanzpolitik gestellten Nebenforderungen nicht zu einer Verfälschung von Sinn und Zweck echter Finanzpolitik führen“[11]) dürfen. Sie fordert ausdrücklich den Schutz der Unternehmenssubstanz, die Förderung des Wettbewerbs und die Entwicklung des Wachstumspotentials durch eine entsprechende Gestaltung des Steuerrechts.[12])
B. Die Ziele der FDP
Als kleinerer Koalitionspartner kann die FDP nur eine korrigierende Funktion in der politischen Entscheidungsbildung wahrnehmen. Aus diesem Grunde ist es auch verständlich, daß die jeweilige Koalitionsorientierung ihren Ausdruck in den programmatischen Aussagen der FDP findet, die sich wechselnd an den Zielen der beiden großen Volksparteien orientieren. Jedoch grenzt sich die FDP in ihrer Programmatik klar von der CDU/CSU und der SPD ab. 1957 – im Berliner Programm – hieß es: „Aus sozialer Verantwortung lehnt die FDP den Marxismus und sozialistische Experimente ab, aus christlicher Verantwortung den Mißbrauch der Religion im politischen Tageskampf“; und 1971 formulierte Scheel: „Die FDP hat die CDU daran gehindert, klerikal zu werden, und sie wird auch die SPD daran hindern, sozialistische Politik zu betreiben.“
Das politische Leitbild der FDP bilden die Freiburger Thesen von 1971. Darin versteht sie sich, wie bereits oben erwähnt, als Pendant zur Partei des demokratischen Sozialismus, als die sich die SPD seit Godesberg interpretierte. Aus den Grundwerten der geistigen Freiheit, der Toleranz und der Konkurrenz, aber auch der sozialen Gerechtigkeit leitet die FDP ihre Forderung nach „Freiräumen für Individualität und Spielräumen für Pluralität“[13]) ab. Die Bedeutung der sozialen Gerechtigkeit wird bei der Forderung nach einer breit angelegten Vermögensbildung deutlich. Die FDP fordert eine Harmonisierung von Steuer- und Transfersystem, um das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu verwirklichen.[14])
C. Die Ziele der SPD
Das Godesberger Programm der SPD von 1959, das auch heute noch in seinen Grundprinzipien Gültigkeit hat, ist politisch gesehen, die „Verfassung“ des demokratischen Sozialismus in Deutschland. Anders als bis dahin stand nun das Bekenntnis zum freiheitlichen Rechtsstaat, zur Sozialen Marktwirtschaft und zur freien Entfaltung des Menschen im Mittelpunkt.
„Wettbewerb soweit wie möglich – Planung soweit wie nötig!“[15]) Der wirtschaftspolitische Kernsatz des Godesberger Programms bezieht sich vor allem auf die dort vorstehende Aussage, daß der Staat sich seiner Verantwortung für den Wirtschaftskreislauf nicht entziehen kann. „Vielfältiger Maßnahmen“ bedarf es, um die „Freiheit in der Wirtschaft“[16]) zu erhalten. Die „Bändigung der Macht der Großwirtschaft“ sei zentrale Aufgabe sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik; auch hier fehlt nicht die Forderung nach Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen. Ausdrücklich wird die Notwendigkeit öffentlicher Unternehmen als Mittel zur Verhütung privater Marktbeherrschung genannt.[17]) Gemeineigentum als zweckmäßige und notwendige Form der Bewahrung der Freiheit vor der Übermacht großer Wirtschaftsgebilde wird gefordert.[18]) Wie keine andere Partei fordert die SPD eine Lohn- und Gehaltspolitik, die geeignet ist, Einkommen und Vermögen gerechter zu verteilen; der Zuwachs am Betriebsvermögen der Großwirtschaft soll als Eigentum breit gestreut oder gemeinschaftlichen Zwecken dienstbar gemacht werden.[19])
Ausführlich sind auch die programmatischen Ausführungen zum Bereich „Frau -Familie - Jugend“. Mit Bezug auf die Steuerpolitik wird postuliert, daß ein Familienlastenausgleich sowie Kindergeld die Familie wirksam schützen sollen.[20])
Im Ökonomisch-politischen Orientierungsrahmen für die Jahre 1975 bis 1985, der versucht, „das Zwischenstück zwischen Tagespolitik und Grundsatzprogramm zu schaffen“[21]), setzt sich die SPD kritisch mit dem von Konservativen vertretenen „herkömmlichen Leistungsbegriff“ auseinander. Sie vertritt die Meinung, daß überspitzte Leistungsanforderungen die Leistungsfähigkeit eher mindern als fördern, Verantwortungsgefühl, Kooperationsfähigkeit und soziales Engagement bisher zuwenig berücksichtigt werden.[22]) Erstmals zeigen sich im Orientierungsrahmen ´85 ökologische Ziele, die im (neuen) Grundsatzprogramm von 1989 in der Forderung münden, die Industriegesellschaft ökologisch zu erneuern[23]). Auch künftig orientieren sich die Sozialdemokraten, wie schon in Godesberg beschlossen, an den Grundwerten „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“.
D. Gegenüberstellung der Grundziele
Die Ausführungen zeigen, daß den Programmen der Parteien ähnliche bzw. gleiche Grundziele zu entnehmen sind. Allerdings ist deutlich geworden, daß diese unterschiedlich akzentuiert werden, was auf nicht unbeträchtliche Differenzen hinsichtlich konkreter politischer Vorstellungen schließen läßt. Bei der CDU/CSU wird besonders das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft deutlich; Begriffe wie „Bedarfs- und Leistungsgerechtigkeit“ werden hervorgehoben. Es fällt auf, daß sich die CDU/CSU vor allem durch die Forderung nach mehr Eigenverantwortung und Individualität gegenüber der SPD unterscheidet. Die programmatischen Vorstellungen der SPD laufen insgesamt auf einen größeren Aufgabenkatalog für den Staat hinaus als bei der CDU/CSU, konkret ist damit auch die Milderung von Einkommensdifferenzen und die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Produktivvermögen angesprochen. Um die mit Hilfe des Steuerrechts vorzunehmenden Umverteilungen zu finanzieren, schließt die SPD Steuererhöhungen nicht aus; die Unionsparteien dagegen fordern eine dauerhafte Senkung der Steuer- und Abgabenlast, denn die Lage der sozial Schwächeren wird in ihren Augen nicht durch direkte staatliche Umverteilung, sondern durch Anreiz zu größerer Eigenständigkeit verbessert.
3. Die Zeit der sozial-liberalen Koalition
Am 20.10.1969 wurde die große Koalition durch eine sozial-liberale Koalition unter Führung von Bundeskanzler Willy Brandt abgelöst[24]). Der Reformwille – vor allem von Seiten der SPD – drückt sich besonders in der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt aus. Brandt hob hervor, daß man „vor der Notwendigkeit umfassender Reformen“ stehe und nun vor allem „mehr Demokratie wagen“[25]) wolle. Diese wohl vor allem auf die Gesellschafts- und Außenpolitik abzielenden Worte fanden ihren Niederschlag jedoch auch in der Wirtschaftspolitik. Es sei ein permanenter wirtschaftlicher und sozialer Wandel nötig, der jeden seine Fähigkeiten entwickeln ließe. Der Wunsch nach Veränderung ging jedoch nicht so weit, daß man auf dem Gebiet der Vermögensverteilung bestehende Vermögen durch „konfiskatorisch wirkende Steuern“ vernichten wollte; die Steuerpolitik müsse jedoch eine breitere Vermögensbildung schaffen.[26]) Die von der SPD anvisierten Ziele auf dem Gebiet des Steuerrechts wurden vom Vorsitzenden der Steuerreformkommission folgendermaßen dargestellt: „Das fiskalisch Nötige – also mehr Geld für die öffentlichen Kassen –, das gesellschaftspolitisch Wünschbare – also mehr Gerechtigkeit –, das technisch Durchführbare – also nicht mehr, sondern weniger Arbeit für die Finanzämter –, das wirtschaftlich Erträgliche – also nichts, was wirtschaftliches Wachstum, die Investitionsbereitschaft oder die Eigeninitiative lähmen könnte – und schließlich, nicht zu vergessen: das politisch Durchsetzbare – also nichts, was der Mehrheit der Bürger dieses Landes nicht plausibel gemacht werden könnte.“[27]) Hatten sich bis zur Krise von 1974/75 diese Ziele noch weitgehend ohne größere Zielkonflikte verfolgen lassen, so sah man sich in der zweiten Hälfte der 70er Jahre einer völlig veränderten wirtschaftlichen Situation gegenüber. Zu den im weiteren beschriebenen Schwierigkeiten bei der wirtschaftlichen Entwicklung kam das Problem einer zunehmenden Staatsverschuldung. Der Schuldenstand des Bundes hatte sich von 1974 bis 1977 fast verdoppelt. Die Neuverschuldung lag – trotz der Konsolidierungsbemühungen 1976/77 – im Durchschnitt der Jahre 1974 bis 1982 bei ca. 26 Milliarden DM[28]).
[...]
[1]) Waigel (1988), S. 22.
[2]) Berliner Programm der CDU (1971), S 43.
[3]) Grundsatzprogramm der CDU (1978), S. 170.
[4]) A.a.O., S. 171.
[5]) A.a.O., S. 181 f.
[6]) A.a.O., S. 182 f.
[7]) Vermögenspolitisches Grundsatzprogramm der CDU (1973), S. 90 ff.
[8]) Grundsatzprogramm der CDU (1978), S. 183.
[9]) Sontheimer/Röhring (1987), S. 142.
[10]) Wahlprogramm der CSU (1983), Tz. 2.
[11]) Grundsatzprogramm der CSU (1976), S. 235.
[12]) A.a.O.
[13]) Freiburger Thesen der Liberalen (1971), S. 421.
[14]) Liberale Politik zur Steuervereinfachung (1979), S. 541
[15]) Godesberger Programm der SPD (1959), S. 75.
[16]) A.a.O., S. 74.
[17]) A.a.O., S. 75.
[18]) A.a.O., S. 76.
[19]) A.a.O., S. 77.
[20]) A.a.O., S. 80.
[21]) Brandt (1975), S. 338.
[22]) Ökonomisch-politischer Orientierungsrahmen für die Jahre 1975 bis 1985, S. 342.
[23]) Grundsatzprogramm der SPD (1989).
[24]) Wirtschafts- und Finanzminister war zunächst Schiller (SPD). Nach der Bundestagswahl vom 19. November 1972 übernahm Friedrichs (FDP) das Wirtschaftsressort, das er auch nach der Wahl von Helmut Schmidt zum Bundeskanzler am 17. Mai 1974 behielt. Am 7. Oktober 1977 wurde Friedrichs von Lambsdorff (FDP) abgelöst. Das Finanzministerium übernahm 1974 Apel (SPD), nach ihm folgten ab dem 16. Februar 1978 Matthöfer (SPD) und ab dem 28. April 1982 Lahnstein (SPD).
[25]) BT-Sitzungsprotokoll VI/5 vom 28.10.1969, S. 20.
[26]) A.a.O., S. 23 C.
[27]) Eppler (1971), S. 59.
[28]) Vgl. Tabelle 1.
- Quote paper
- Matthias Piaszinski (Author), 1996, Zur Nachweisbarkeit eines Einflusses der politischen Richtungen der Bundesregierungen auf das deutsche Steuerrecht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15925
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.