Im Zentrum des Essays stehen die grundlegenden Thesen Walter Benjamins, einem Autor, der in einem seiner zahlreichen Werke über die Aufgaben eines Übersetzers von Gedichten schreibt. Benjamins Ansicht, wodurch eine Übersetzung von Gedichten als gelungen gilt, wird hierbei mit der technischen Übersetzung durch das Programm Google Translate verglichen, um herauszuarbeiten, wie Google Translate Gedichte übersetzt und in wie weit diese Übersetzung den Anforderungen Benjamins an einen guten Übersetzer gerecht wird, oder nicht. Ist Google Translate demnach die neue Generation von gelungenen Übersetzungen oder verfehlt das Programm die Aufgabe eines Übersetzers?
Google Translate
--- Die neue Generation gelungener Übersetzungen? ---
Bereits seit Jahrtausenden beschäftigt sich die Menschheit mit Übersetzungen von einer in eine andere Sprache, nachdem vor langer Zeit der Grundstein dafür, durch die Entstehung der Sprache vor über 100.000 Jahren und die Entstehung der Schrift vor gut 5.000 Jahren[1], gelegt wurde. Warum Übersetzungen im Laufe unserer Menschheitsgeschichte notwendig geworden sind, begründet sich vor allem darin, dass sich seit unserer menschlichen Existenz eine Vielzahl an unterschiedlichen Völkern an den verschiedensten Orten unseres Planeten ansiedelten, die ihre eigenen Sprachen und Dialekte entwickelten.
Nachdem für einen langen Zeitraum die einzigen Hilfsmittel bei einer Übersetzung ein Wörterbuch, Blatt und Stift gewesen sind, entwickelte sich die Technik im Laufe der Jahre soweit, dass es seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts möglich ist, Übersetzungen nicht nur von Menschen, sondern auch von Maschinen durchführen zu lassen. Eines der wohl bekanntesten Computerprogramme, die solche maschinellen Übersetzungen anfertigen, ist die, von der großen und weltweit bekannten Firma Google hergestellte, Software Google Translate. Das Programm übersetzt Sätze, Textstellen und sogar ganze Bücher automatisch in über fünfzig verschiedene Sprachen, sofern man das zu Übersetzende in das Programm eingibt und der Software den Befehl erteilt, in eine ausgewählte Sprache zu übersetzen.
Nachdem die verschiedensten Autoren- so beispielsweise Friedrich Schleiermacher, Emily Apter und Walter Benjamin- die Problematik von Übersetzungenverdeutlichten und ihre eigenen Vorstellungen einer gelungenen Übersetzung darlegten, stellt sich nun, nach der Entwicklung der maschinellen Übersetzung des Google- Unternehmens, die Frage, ob jene Übersetzungen von Google Translate ihren Erwartungen entsprechen und demzufolge gelungene Übersetzungen liefern. Da es jedoch zu viele verschiedene Ansichten einer gelungen Übersetzung gibt, wird an dieser Stelle nur die Auffassung von Walter Benjamin berücksichtigt, da dieser die Aufgabe des Übersetzers- in diesem Falle Google Translate - definierte und es sich anhand eines ausgewählten Beispiels gut demonstrieren lässt. In Benjamins Werk ‚Die Aufgabe des Übersetzers‘ stehen Gedichte im Mittelpunkt, da jene Übersetzungen von poetischen Texten als schwierig oder gar nicht übersetzbar gelten. Was ein Übersetzer bei seiner Arbeit beachten muss, ist laut Benjamin, dass dieser das Wesentliche, das er als das „Unfaßbare, Geheimnisvolle, >Dichterische<“[2] bezeichnet, in einer gelungenen Übersetzung wiedergeben muss. Unter dem „Wesentlichen“[3] einer Übersetzung versteht Benjamin nicht die Mitteilung bzw. Aussage eines Gedichtes, sondern vielmehr das Wesen bzw. die Gestalt. „Vom Sinn [muss] in sehr hohem Maße abgesehen“[4] und der Fokus des Übersetzers muss auf die Form und Syntax eines poetischen Textes gelenkt werden, um eine gelungene Übersetzung entwickeln zu können.
Ob und inwieweit Google Translate den Anforderungen Benjamins an eine gute Übersetzung bzw. an einen guten Übersetzer gerecht wird, wird nun anhand des Gedichtes ‚Willkommen und Abschied‘[5] von Johann Wolfgang von Goethe demonstriert. Nachdem das vollständige Gedicht in das Programm eingegeben und es automatisch vom Deutschen ins Englische übersetzt wurde, ist zunächst auffällig, dass Google Translate die Absätze, die das Original aufweist, nicht in der Übersetzung berücksichtigt, sondern stattdessen vollkommen weggelassen hat. Der maschinelle Übersetzerformte folglich das geordnete und übersichtliche Original, das aus insgesamt vier Strophen besteht, um, in eine einzige gebundene Strophe. Des Weiteren wird deutlich, dass die Software jegliche Satzzeichen vom Original in die Übersetzung übernommen hat.[6] Bei näherer Betrachtung der Übersetzung erkennt man jedoch, dass das Programm zwar alle Zeichen grammatikalisch korrekt und an den gleichen Stellen, wie es im Original ist, übernahm, aber im fünften Vers ein Satzzeichen eingefügt hat, das im Original nicht zu finden ist. Das Komma betont zwar hierbei das Wort ‚oak‘, kann aber in diesem Falle aus grammatikalischer Sicht weggelassen werden.
Des Weiteren besteht das Original aus einem Kreuzreim (ababcdcd …). In der von Google Translate angefertigten Übersetzung ist sehr gut sichtbar, auf welche Art und Weise das Programm eine Sprache in eine andere überträgt: Es übersetzt jedes einzelne Wort und versucht dabei die Syntax beizubehalten. Das Programm übersetzt im ersten und dritten Vers beispielsweise ‚Pferd‘ mit ‚horse‘ und ‚Erde‘ mit ‚earth‘ und behält, um der Anordnung des Originalverses zu folgen, die Wörter, die eigentlich einen Reim bildeten, an der gleichen Stelle- nämlich am Schluss des Verses. Da das Programm die Anordnung beibehält verschwindet der Reim in der Übersetzung jedoch. Demzufolge besitzt die Software nicht die Aufgabe, das Reimschema eines poetischen Textes beizubehalten. Der Syntax treu zu bleiben funktioniert aber nicht an allen Stellen des Gedichtes, denn während im siebzehnten Vers durch die Wörter „Dich sah ich“ das ‚du‘ deutlich betont wird, verschwindet jene Betonung in der Übersetzung, nachdem das Programm den Satzbau zu „I saw you“ umwandelte. Aber auch im neunzehnten Vers verschwindet die Betonung, die im Original auf ‚Ganz‘ liegt, in der Übersetzung, durch die Umformung des Satzes. Google Translate übernimmt demzufolge nicht in allen Versen die Syntax des Originals, obwohl es aus grammatikalischer Sicht durchaus möglich wäre. Es scheint schlussfolgernd an manchen Stellen die poetische Syntax im Deutschen nicht zu verstehen und übernimmt den Satz in normaler, unpoetischer Form ins Englische.Dadurch verschwindet jedoch ein Teil des Wesens des Gedichtes.
Laut Benjamin ist das Ideal einer Übersetzung eine Interlinearversion eines Textes, das bedeutet, dass man einen Text nicht zusammenhängend, sondern in einzelnen Wörtern übersetzen soll. Mit diesem Verfahren bleibt bei einer Übersetzung die Syntax und das Wesen erhalten, so wie es auch bei Google Translate an den meisten Stellen der Übersetzung zu sehen ist. Da die Anordnung der Verse beinah vollständig übernommen wird, entstehen Probleme bei der Form des Gedichtes, da es in diesem poetischen Text nicht möglich ist, den Satzbau eines Verses und den dazugehörigen Reim zu erhalten. Das zeigt sich u. A. in dem ersten und dritten Vers, in denen die Begriffe ‚Pferde‘ und ‚Erde‘ am Schluss der jeweiligen Verse stehen und von Google Translate an derselben Satzposition gelassen werden.In der Übersetzung ins Englische entsprechen sie jedochnicht mehr einem Reimschema, da als Synonyme für ‚horse‘ nur die Begriffe cob, bronco, high-stepper oder shyer zur Auswahl stehen. Bei dem Begriff ‚earth‘ besteht die Auswahl zwischen ground, land, terra, etc. Es existiert bei der überwiegenden Wort-für-Wort-Übersetzung, bei der die Syntax erhalten bleibt, in diesem Falle keinerlei Möglichkeit, den Reim zu übertragen.
Das Programm arbeitet in seiner Übersetzung teilweise so, wie es Benjamin erwünscht, denn der Sinn der Sätze spielt nur wesentlich eine Rolle. Im Vordergrund stehen das interlineare Übersetzen und die Treue zur Form und Syntax des Originals. In der maschinellen Übersetzung wird jedoch an vereinzelten Stellen die Syntax verändert, das Reimschema verschwindet und die Betonungen einiger Wörter, die durch die jeweilige Anordnung der Verse entstehen, verschwinden, da das Programm diese spezielle Anordnung nicht versteht, als Syntaxfehler erkennt und umformuliert. Zusammenfassend kann man sagen, dass Google Translate dem nur teilweise nahe kommt, was nach Benjamin die Aufgabe des Übersetzers ist. Zwar versucht es die Syntax zu übertragen und übersetzt interlinear, jedoch scheitert das Programm an den genannten Stellen, verwischt dadurch einige Betonungen im Gedicht und lässt den Reim und einen Teil des Wesens des Gedichtes verschwinden. Demzufolge ist die Übersetzung des Programmes aus den Augen Benjamins nur kaum gelungen und bildet aus seiner Sicht ganz deutlich nicht die neue Generation gelungener Übersetzungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Information: Fußnoten wurden von mir aufgrund der Übersichtlichkeit hinzugefügt.
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[1] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbersetzung_%28Sprache%29 (14.07.2010).
[2] Benjamin, Walter: Die Aufgabe des Übersetzers. In: ders. Gesammelte Schriften Bd. IV/1, S. 9. Frankfurt/Main
1972.
[3] Ebd.
[4] Benjamin S. 18.
[5] Siehe Anhang.
[6] Beispiele dafür finden sich u. A. in den Versen 1,2, 18,23, etc.
- Quote paper
- Susanne Hahn (Author), 2010, Google Translate, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158604
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