Über Freundschaft zu schreiben ist heute wieder modern. Doch konzentriert sich dieses Interesse weniger auf den philosophischen oder theologischen Diskurs, als vielmehr im Bereich der Sozialpsychologie. Meine Untersuchung nimmt sich eine ganz spezielle Spielart der Freundschaft vor: nämlich die Männerfreundschaft. Ein nicht ganz leichtes Thema, wenn man ihre Verknüpfung mit den Themen Homosexualität bzw. Homoerotik, die ja nicht unbedingt deckungsgleich sind, ins Auge fasst. Wenn man dann aber einen mittelalterlichen Autor zu Rate zieht, bei dem die einschlägigen Fachdiskussionen nicht sicher sind, ob er selbst in seinem Leben solche erotischen Präferenzen hatte, verkompliziert sich dieses Thema noch. Ein homoerotisch veranlagter Heiliger? Ist diese Möglichkeit nicht selbst ein ,,verworfener Teil der Hagiographie"2, dem man nicht gerne ins Auge sieht? Aelred, so kann man mit großer Sicherheit sagen, machte seine intensivsten Liebeserfahrungen in affektiv reichen Männerfreundschaften und das inspirierte ihn zu seiner Lehre über die ,,Geistliche Freundschaft". Auf der Grundlage seiner Überlegungen versuche ich in systematischer Absicht seine Erkenntnisse für eine moderne und erneuerte christliche Spiritualität fruchtbar zu machen. Aelreds Spiritualität, die sich natürlich nicht nahtlos auf unsere Zeit und ihre veränderten Umstände applizieren lässt, dient mir hier als Ausgangsbasis meiner Überlegungen, die sich im systematischen Teil auf unsere jetzige Zeitsituation beziehen. Dem gemäß gliedert sich meine Arbeit in zwei große Blöcke: einen geschichtlichen und einen systematischen Teil. Eine moderne Spiritualität, so wie ich sie verstehe, lässt sich am besten über solche ,,verworfenen Variablen", wie es etwa die Homoerotik für unsere Kirche ist, aufbauen. Sind nicht solche Menschen selbst ,,verworfene Teile der Kirche"? Ist es aber nicht aus diesen Gründen notwendig, dass solche Menschen eine Sprache finden, um sich und ihre Anliegen vor Gott verworten zu können? Jede Mystik, jede Spiritualität, so verstehe ich es, ist ein Prozess des Sprachfähig-Werdens auf den Gott des Lebens hin. Man mag meiner These, die ich hier skizzieren werde, zustimmen oder sie ablehnen, und sich vielleicht fragen, ob ich hier mit Aelred zusammen einen Weg beschreite, den man aus seinem Leben und Werk her gar nicht beschreiten kann. Einerlei. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Einige Notizen zur Biographie des hl. Aelred von Rievaulx
- AELRED ALS INITIATOR EINER EIGEN STÄNDIGEN THEOLOGIE DER FREUNDSCHAFT IM KONTEXT HOCHMITTELALTERLICHER SPIRITUALITÄT...
- AELREDS HOMOEROTISCHE NEIGUNG ALS INDIKATOR EINER EIGENSTÄNDIGEN SPIRITUELLEN ORTUNG VON MÄNNERFREUNDSCHAFTEN.
- DAS SOZIALE UMFELD VON RIEVAULX
- AELREDS VERSTÄNDNIS ZISTERZIENSISCHER REGELOBSERVANZ
- Der Rahmen der Benediktusregel oder die „Sorge um den wahren Mönch"
- DIE GRENZEN VON LIEBE UND FREUNDSCHAFT INNERHALB EINER KLÖSTERLICHEN GEMEINSCHAFTSSTRUKTUR: AELRED IN SEINER FUNKTION ALS ABT
- „Ecce ego et tu, et spero quod tertius inter nos Christus sit“: Geistliche Freundschaft als „Sorge um das Heil der Mönche“..
- MÖNCHSFREUNDSCHAFTEN ALS EIN AKTUELL ZU VOLLZIEHENDER,,WILLE ZU JESUS".
- DIE ONTOLOGISCHE BEZIEHUNG DER FREUNDSCHAFT AUF CHRISTUS
- Die Differenz zwischen antiken und christlichen Freundschaftsmodellen aus der Sicht Aelreds...
- Exklusivität der Jesusfreundschaft - Universalität christlichen Heilsangebotes: das Paradox christlich-personaler Mystik.
- Das Spannungsverhältnis von exklusivem amor und universaler caritas in der Freundschaftstheorie Aelreds als einem Konstitutivum christlicher Mystik..
- Die drei Möglichkeiten von Freundschaft: amicitia carnalis – mundialis spiritualis....
- Der Sündenfall als Ur-katastrophe: die Scheidung von caritas und amicitia
- Konklusion.....
- DIE INSTRUMENTALE BEZIEHUNG DER FREUNDSCHAFT AUF CHRISTUS HIN (KONKLUSION)..
- Einleitung
- SEGEN UND SCHÖNHEIT DER GEISTLICHEN FREUNDSCHAFT: IHRE NATÜRLICHEN VORAUSSETZUNGEN.
- Freundschaft und Einsamkeit....
- Freundschaft und konkrete Heilserfahrung
- Freundschaft als Stufenleiter zur Liebe und Erkenntnis Gottes: Die Lehre von den drei Küssen, die sich Freunde einander schenken.
- Die Exklusivität geistlicher Freundschaft: electio - probatio - admissio.
- Die Wahl (electio)
- Die Erprobung (probatio)
- DIE FINALE BEZIEHUNG DER FREUNDSCHAFT AUF CHRISTUS HIN
- Männerfreundschaften als ein „,verworfener Teil“ menschlicher Beziehungsspiele: ihre mögliche Aktualität für einen Neuentwurf christlicher Spiritualität...
- EINLEITUNG
- Männer-Freunde: das einzig Wahre? Eine Besinnung auf die momentane Lage..
- Moderne Rahmenbedingungen von Männerfreundschaften und ihre kontinuierliche Pflege: der Wille zu einer Kultur der Freundschaft...
- Rahmenbedingungen moderner Männerfreundschaften.
- Exklusivität von Männerfreundschaften als kulturschaffende Größen..
- MÖGLICHE OPTIONEN MÄNNERSPEZIFISCHER KULTURLEISTUNGEN IN KIRCHE UND GESELLSCHAFT
- Kirche als Freundesgemeinschaft Jesu: eine Utopie?.
- Homosexuelle als Avantgarde von neuen Freundschaftskulturen: ein Beitrag Michel Foucaults..
- CHRISTLICHE SPIRITUALITÄT ÜBER DIE „VERWORFENE VARIABLE\" DER HOMOEROTIK
- Die Reich-Gottes-Theologie: Jesu Option für die Marginalisierten einer Gesellschaft und einer Religion.
- „Der Jünger, den Jesus liebte“: Die Jesus-Johannes-Freundschaft als Paradigma einer homoerotischen Spiritualität...
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit untersucht Aelreds von Rievaulx (1109/10-1157) Theorie der geistlichen Freundschaft, die er in seinem Werk „Speculum Caritatis“ entwickelt. Der Fokus liegt dabei auf der Bedeutung von Männerfreundschaften im Kontext einer christlichen Spiritualität. Die Arbeit beleuchtet Aelreds Lebensumstände und die Rolle, die die Liebe und Freundschaft in seinem Klosterleben spielten.
- Aelreds Leben und seine Beziehung zu Männerfreundschaften
- Aelreds theologische und spirituelle Ansichten zur Freundschaft
- Die Bedeutung von Männerfreundschaften in einer christlichen Spiritualität
- Die Aktualität von Aelreds Ideen für eine moderne, christliche Spiritualität
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Kontext und die Relevanz des Themas erläutert. Anschließend wird die Biographie von Aelred von Rievaulx beleuchtet, wobei insbesondere seine homoerotische Neigung und die Bedeutung von Männerfreundschaften in seinem Leben hervorgehoben werden. Das dritte Kapitel widmet sich Aelreds Verständnis der Zisterzienserregel und den Grenzen von Liebe und Freundschaft innerhalb einer klösterlichen Gemeinschaft. Im vierten Kapitel wird Aelreds Theologie der geistlichen Freundschaft ausführlich behandelt, wobei die Beziehung der Freundschaft zu Christus und die verschiedenen Formen der Freundschaft (carnalis, mundialis, spiritualis) beleuchtet werden. Das fünfte Kapitel untersucht die Aktualität von Aelreds Ideen für eine moderne christliche Spiritualität und die Bedeutung von Männerfreundschaften im heutigen Kontext. Schließlich wird im sechsten Kapitel diskutiert, wie die Kirche und die Gesellschaft den Raum für Männerfreundschaften gestalten können.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter der Arbeit sind: Aelred von Rievaulx, Freundschaft, geistliche Freundschaft, Männerfreundschaft, Homosexualität, Homoerotik, Spiritualität, christliche Spiritualität, Klosterleben, Zisterzienserorden, Liebe, caritas, amicitia, Reich Gottes, Jesus Christus, Johannes der Täufer, Marginalisierte.
- Quote paper
- Christoph Bernhard Ramsauer (Author), 2001, Männerfreundschaft als Ort der Gottesbegegnung bei Aelred von Rievaulx. Versuch einer christlichen Spiritualität über verworfene Beziehungsvariablen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1586