Unter den Schlagworten "Künstliche Ernährung" werden die enterale Ernährung und die parenterale Ernährung zusammengefasst. Künstliche Ernährung ist erforderlich, wenn Menschen (Patienten) nicht essen können, wollen, dürfen oder sollten. Die Nahrungsaufnahme erfolgt im Rahmen der künstlichen Ernährung nicht mit üblichen Lebensmitteln, sondern mit Infusionslösungen (parenterale Ernährung) oder bilanzierten Diäten (Supplement, Trink- und Sondennahrung; pulverisiert oder flüssig im Rahmen der enteralen Ernährung). Für viele Patienten ist die klinische Ernährung der entscheidende Faktor im Gesamtbehandlungskonzept zur Wiederherstellung und/oder Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit und Lebensqualität. Wichtige Beispiele sind Patienten mit Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Schluckstörungen (Dysphagie), HIV-Infektion oder AIDS und Tumorpatienten (zur Vermeidung oder unterstützenden Ernährungstherapie der Tumorkachexie). Die Ernährungstherapie kann andere therapeutische Maßnahmen unterstützen, Komplikationen vermeiden und die Rekonvaleszenz verkürzen.
Grundlagen der enteralen Ernährung mit Trink- und Sondennahrung
1 Einleitung
Die ersten Versuche von Nährklistieren gehen bereits auf die alten Ägypter zurück.1 In den „Papyros Ebers", einer der frühesten schriftlichen Überlieferungen medizinischen Wissens (um 3.400 vor Chr.) finden sich detaillierte Beschreibungen über Art, Zusammensetzung und Applikationsweise von Nährklistieren. In der heutigen Zeit stehen eine Reihe unterschiedlicher Präparate und Techniken für die klinische Ernährung zur Verfügung. Sie dienen als Basis, um die Ernährungstherapie gezielt auf verschiedene Indikationen und Ernährungserfordernisse zuschneiden zu können.
Sowohl enterale als auch parenterale Ernährungsformen werden unter dem Begriff klinische Ernährung zusammengefasst. Die Nahrungsaufnahme erfolgt nicht mit üblichen Lebensmitteln, sondern mit Infusionslösungen oder bilanzierten Diäten (Supplement, Trink- und Sondennahrung; pulverisiert oder flüssig). Für viele Patienten ist die klinische Ernährung der entscheidende Faktor im Gesamtbehandlungskonzept zur Wiederherstellung und/oder Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit und Lebensqualität. Wichtige Beispiele sind Patienten mit Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Schluckstörungen, HIV-Infektion oder AIDS und Tumorpatienten2'3'4'5. Die Ernährungstherapie kann andere therapeutische Maßnahmen unterstützen, Komplikationen vermeiden und die Rekonvaleszenz verkürzen.
Die Indikation zur klinischen Ernährung ist bei (drohender) Mangelernährung des Patienten, erhöhtem Energieverbrauch und bei verlängerter Nahrungskarenz gegeben.6 Der Nutzen einer gezielten Ernährungstherapie hängt von der Länge der Nahrungskarenz und der Ausprägung des Ernährungsdefizits ab.7 Während gut ernährte Patienten auf jeden Fall nach einer 5 bis 7tägigen Nahrungskarenz eine gezielte Ernährungstherapie erhalten sollten, sollte bei einer drohenden oder bereits manifesten Mangelernährung so früh wie möglich mit der Ernährungstherapie begonnen werden.8,9 Bei Patienten, bei denen keine orale Nahrungsaufnahme möglich ist, da sie nicht (ausreichend) essen können, dürfen oder wollen, ist die Indikation zur enteralen Ernährung mit Trink- und Sondennahrungen gegeben. Bei einer unzureichenden Ernährungssituation, bei der weiterhin ein Teil des Energie-, Nähr- und Wirkstoffbedarfs über herkömmliche Lebensmittel gedeckt werden kann, sollten zusätzlich orale Aufbau- und Zusatznahrungen verabreicht werden. Beispiele für Indikationen zur klinischen Ernährung sind:1,10,11
- Schluckstörungen infolge von Erkrankungen oder Lähmungen im Bereich von Mundhöhle, Oesophagus und Gesicht
- Bewusstseinsstörungen/Bewusstlosigkeit (u. a. nach Schlaganfall, Koma, Schädelverletzungen)
- konsumierende Erkrankungen (z. B. Tumorerkrankungen, HIV/AIDS)
- Mucoviszidose
- Nach schweren Magen-Darm-Infektionen mit Erbrechen und Durchfällen
- Stenosen oder Fisteln des Darms (enterale Ernährung eingeschränkt indiziert)
- schwere Leber- und Nierenerkrankungen
- Mangelernährung
- Anorexia nervosa
- Verwirrtheit, Demenz
2 Enterale Ernährung
Die enterale Ernährung mit Trink-/Sondennahrung sollte dann gewählt werden, wenn stabile Stoffwechselverhältnisse vorliegen und eine zumindest partielle digestive und absorptive Funktion des Gastrointestinaltrakts vorhanden ist. Die Applikation erfolgt oral als Trinknahrung, entweder zur ausschließlichen oder zur ergänzenden Ernährung (beispielsweise eiweißreiche Supplemente = Zusatznahrungen) oder gastral, duodenal bzw. jejunal als Sondennahrung. Für die Sondenernährung über einen relativ kurzen Zeitraum (< 4 Wochen) und für Fälle, in denen die Ernährungsdauer unklar ist, wird in der Regel eine Nasensonde (Austritt der Sonde durch die Nase) gewählt. Wird die Ernährungstherapie über einen längeren Zeitraum benötigt, ist die Anlage einer transkutanen (Austritt durch die Bauchdecke) Sonde (FKJ = Feinnadelkatheter-Jejunostomie, PEG = Perkutane endoskopisch kontrollierte Gastrostomie) vorteilhafter.
Bis vor 30 Jahren war selbst hergestellte Trink- oder Sondennahrung die einzige verfügbare Form dieser Nahrungen. Diese wurde aus gekochten oder aus frischen Lebensmitteln hergestellt, im Mixer ze
rkleinert und durch sehr groß- lumige Sonden (Küchensonden) gegeben oder oral verabreicht. Da bei dieser Art der Herstellung weder die genauen Mengen an Inhaltsstoffen definiert noch die hygienischen Anforderungen eingehalten werden können, entspricht die Zusammensetzung nicht den gesetzlichen Vorgaben. Um Sondenverstopfungen zu vermeiden, werden diese Nahrungen vor der Applikation oftmals stark verdünnt. In der Folge kann es zu einer Unterversorgung der Patienten mit Energie und Nährstoffen kommen, da auf diese Weise die Kaloriendichte deutlich reduziert wird.
Für die enterale Ernährung sollten heutzutage ausschließlich industrielle bilanzierte Diäten eingesetzt werden, die bezüglich ihrer Zusammensetzung genau gesetzlich definiert sind. Bilanzierte Diäten sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, deren Nährstoffzusammensetzung (Mindest- und Höchstmengen an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen) durch die Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25. März 1999 geregelt wird. Diese Richtlinie löste die Diätverordnung ab, die in § 14b sowie Anlage 6 und 7 die Zusammensetzung regelte. 41
In der Regel beträgt die Kaloriendichte von bilanzierten Diäten 1 kcal/ml, jedoch werden auch hyperkalorische (1,5 bis 1,6 kcal/ml) sowie hypokalorische (0,75 kcal/ml) Nahrungen angeboten.
2.1 Bedarfsdeckende bilanzierte Diäten
Bedarfsdeckende bilanzierte Diäten enthalten (ausgehend vom Energiebedarf) alle essentiellen und nicht essentiellen Nähr- und Wirkstoffe (Vitamine und Mineralstoffe (Mengen- und Spurenelemente)) zur ausschließlichen enteralen Ernährung. Lediglich Flüssigkeit muss - abhängig von der Kaloriendichte der Nahrung und dem individuellen Bedarf des Patienten - zusätzlich verabreicht werden. Die Dosierung wird für jeden Patienten entsprechend dem Energiebedarf unter Berücksichtigung möglicher individueller oder klinischer Einschränkungen oder Bedürfnisse berechnet. Bei den bedarfsdeckenden bilanzierten Diäten wird unterschieden zwischen nährstoffdefinierten Diäten und chemisch definierten Diäten. Nährstoff definierte Diäten (= NDD, Synonym: hochmolekulare Diäten) sind hochmolekulare Nahrungen und enthalten Nährstoffe (Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße) in komplexer Form. Dies setzt bei der Verwendung von nährstoffdefinierten Diäten voraus, dass die Verdauungs- und Resorptionsleistung des Gastrointestinaltraktes weitgehend normal und intakt ist. Die Nährstoffrelation dieser so- genannten Standardnahrungen entspricht in Anlehnung an die DGE- Empfehlungen denen der üblichen oralen Ernährung. Wird ein Patient über einen längeren Zeitraum (> 7 bis 10 Tage) per Sonde ernährt oder allmählich von flüssiger auf feste Kost umgestellt, empfiehlt sich die Verwendung von ballaststoffreichen Diäten,12 sofern die Funktionalität des Magen-Darm-Traktes dies zulässt. Die Nährstoffrelation von NDD kann verändert sein, wenn neben der optimalen Deckung des Energie-, Nähr- und Wirkstoffbedarfs zusätzlich spezielle therapeutische Ziele verfolgt werden oder Stoffwechselstörungen beim Patienten vorliegen. Für diese Fälle gibt es modifizierte NDD. Zu solchen Spezialdiäten zählen beispielsweise eiweiß(reduzierte)modifizierte Diäten bei chronischer Niereninsuffizienz, kohlenhydrat-/fettmodifizierte Diäten bei Diabetes mellitus und fettmodifizierte Diäten, die bei Patienten mit Fettmalabsorption, onkologischen Erkrankungen oder Erkrankungen der Lunge und Atemwege (Herabsenkung des respiratorischen Quotienten) eingesetzt werden.9,13 Nährstoffdefinierte Diäten und modifizierte NDD's (Spezialdiäten) sind sowohl für die Applikation per Sonde als auch als Trinknahrung geeignet. Als Sondenkost sind die Nährlösungen in der Regel geschmacksneutral. Chemisch definierte Diäten (= CDD, Synonym: niedermolekulare Diäten, Oligopeptiddiäten, Peptiddiäten) enthalten Nährstoffe in niedermolekularer Form: Oligopeptide (vorrangig Di-/Tripeptide), teilhydrolysierte Proteine, Mono-, Di- und Oligosaccharide sowie mittelkettige Triglyceride. Chemisch definierte Diäten können bei gestörter Digestions- und/oder Resorptionsleistung eingesetzt werden, da die Notwendigkeit zur enzymatischen Aufspaltung hochmolekularer Nährstoffe weitgehend entfällt. Bislang wurden die meisten Oligopeptiddiäten als Sondennahrung eingesetzt, da aufgrund der Eiweißhydrolysate der Geschmack vielfach nicht akzeptabel ist. Mittlerweile sind auch Peptidnahrungen erhältlich, bei denen die bittere Geschmackskomponente reduziert wurde und die im Gegensatz zu herkömmlichen Elementar- und Oligopeptiddiäten einen angenehmen Geschmack aufweisen. Um die Compliance bei den Patienten zu fördern, können geschmackliche Variationen durch die Zugabe von Aroma-Mischungen erzielt werden.
2.2 Ergänzende bilanzierte Diäten
Ergänzende bilanzierte Diäten (Synonyme: Supplemente, orale Aufbau- und Zusatznahrungen) dienen der Nahrungssupplementierung. Da sie in der Regel nicht zur ausschließlichen Ernährung eingesetzt werden, müssen sie nicht alle in der Diätverordnung vorgesehenen Nährstoffe in den dort angegebenen Mengen enthalten. Die ergänzende bilanzierte Diät soll ein Energie- oder Nährstoffdefizit ausgleichen oder einem Mehrbedarf gerecht werden. Mögliche Indikationen sind Mangel- und Unterernährung, Appetitlosigkeit, mangelnde Nahrungszufuhr infolge von Kau- und Schluckstörungen sowie konsumierende Erkrankungen wie beispielsweise Krebs und HIV-Infektion (insbesondere HIV-Stadium AIDS). Für den Erfolg der Ernährungstherapie mit Supplementen ist deren Geschmack, Konsistenz (Viskosität), Geruch und Aussehen von entscheidender Bedeutung. Heute werden eine Vielzahl von verschiedenen Nahrungstypen angeboten: Süßer oder pikanter Geschmack, unterschiedliche Serviermöglichkeiten, Serviertemperaturen, Abwandlungsmöglichkeiten und Konsistenzen (flüssig, breiförmig) fördern die Akzeptanz der Supplemente.
3 Parenterale Ernährung
Nur in den Fällen, in denen sich eine enterale Ernährung nicht realisieren lässt, ist eine Indikation zur totalen parenteralen Ernährung (TPN) gegeben. Die Notwendigkeit zur parenteralen Ernährung besteht, wenn eine gastrointestinale Nahrungszufuhr unmöglich ist. Dies ist etwa bei Ileus, hochgradigen Stenosen im Bereich des Magen-Darm-Kanals, unstillbarem Erbrechen, akuter Pankrea- tits (akute Pancreatitis ist nach aktuellen Erkenntnissen keine absolute Kontraindikation für eine enterale Ernährung mehr) oder schweren Stoffwechselentgleisungen der Fall.7,14 Heute ist prä-, post- und intraoperativ eine enterale Ernährung mit Spezialnahrungen möglich.15 So zeigt beispielsweise eine Metaanalyse von acht prospektiven Studien, dass die Häufigkeit postoperativer septischer Komplikationen unter enteraler Ernährung signifikant geringer ist als unter parenteraler Ernährung.16
Im Gegensatz zur enteralen Ernährung gibt es bei der parenteralen Ernährung keine voll bilanzierten, den Bedarf der Patienten vollständig deckenden Infusionslösungen. Handelsübliche Komplettlösungen enthalten neben Aminosäuren und Kohlenhydraten auch Mineralstoffe. Lipide, Vitamine und Spurenelemente müssen je nach Bedarf zusätzlich gegeben bzw. der sogenannten Komplettlösung hinzugefügt werden. Individuell auf jeden einzelnen Patienten abgestimmte Ernährungskonzepte müssen aus Einzelkomponenten, die Kohlenhydrate, Fette, Aminosäuren, Vitamine, Spurenelemente bzw. Elektrolyte enthalten, zusammengesetzt werden. Da es sich bei diesen Lösungen um Arzneimittel und nicht um Lebensmittel handelt, unterliegt die parenterale Ernährung dem Arzneimittelgesetz. Die Mischung der Einzelkomponenten ist in einer Rezeptur festgelegt. Bei korrekter Berechnung ergeben die verschiedenen Infusionslösungen und Zusätze eine vollständige, den Energie-, Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarf des Patienten deckende parenterale Nährlösung. In ihrer konventionellen Form entspricht die Nährstoffzusammensetzung der parenteralen Ernährung den Empfehlungen, die auch für die Ernährung Gesunder bekannt sind. Die Applikation der parenteralen Nährlösung erfolgt über zentrale oder periphere Venenkatheter unter Umgehung des Verdauungstraktes.
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- M.Sc. Sven-David Müller (Author), 2010, Die Grundlagen der Enteralen Ernährung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158217
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