Die Arbeit behandelt das Verhältnis der World Trade Organisation zur Europäischen Union und ist im Rahmen eines Seminars zum Internationalen Wirtschaftsrecht an der Universität Heidelberg entstanden. Zunächst wird die Kompetenz der EG für den Abschluss der WTO-Verträge untersucht. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass zwar der klassische Anwendungsbereich des GATT-Abkommens, der Warenhandel, in die ausschließliche Außenkompetenz der EG nach Art. 133 EGV fällt, es für die Gegenstände des GATS und des TRIPS aber keine umfassende Außenkompetenz der EG gibt. Das WTO-Übereinkommen wird als „gemischtes Abkommen“ qualifiziert und es wird dargestellt welche Konsequenzen daraus folgen.
Den zweiten Schwerpunkt der Arbeit bildet die Untersuchung des WTO-Rechts als Bestandteil des EG-Rechts. Das ebenso praxisrelevante wie umstrittene Problem der unmittelbaren Anwendbarkeit von WTO-Recht wird dabei ausführlich behandelt. Nach einer Klärung, was unter unmittelbarer Anwendbarkeit exakt zu verstehen ist, werden die Argumente für und wider die unmittelbare Anwendbarkeit aufbereitet. Besonderes Augenmerk wird auf die Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage gelegt, die einer Kritik unterzogen wird. Der Autor plädiert mit rechtlichen und ökonomischen Gründen für eine weitergehende Anwendbarkeit des WTO-Rechts. Dabei arbeitet er die Änderungen des WTO-Abkommens gegenüber dem „alten“ GATT heraus und zeigt, dass damit ein deutlicher Schritt von einer eher politisch-diplomatisch orientierten Außenhandelspolitik hin zu einer stärkeren Durchsetzung der „rule of law“ im internationalen Wirtschaftsrecht verbunden ist. Diese Konstitutionalisierung sollte durch eine unmittelbare Anwendbarkeit etwa des Meistbegünstigungsprinzips oder des Grundsatzes der Inländergleichbehandlung effektiv vorangetrieben werden.
Abschließend wird die Frage nach der Wirkung der Entscheidungen des „Dispute Settlement Body“ der WTO im EG-Recht behandelt. Die Arbeit zeigt, dass diese in einem rechtsförmigen Verfahren getroffenen Urteile von den Gerichten der Mitglieder, einschließlich dem EuGH, beachtet werden müssen, um das Risiko sich gegenseitig widersprechender Auslegungen des WTO-Rechts zu vermeiden.
Die Arbeit bietet einen kompakten Überblick zu den grundlegenden Fragen, die sich aus der Mitgliedschaft der EG und der EG-Mitgliedstaaten in der WTO ergeben, und stellt eine ausführliche Analyse der Problematik der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts dar.
G L I E D E R U N G
Teil 1 Die EU als Mitglied in GATT und WTO
A. Die Europäische Gemeinschaft und GATT 1947
B. Die Europäische Gemeinschaft in der WTO
I. Mitgliedschaft der EG in der WTO
II. Außenkompetenzen der EG im Verhältnis zur WTO
1. Erste Säule: WTO 1994
2. Zweite Säule: GATS
3. Dritte Säule: TRIPS
4. Zusammenfassung – Gemischte Verträge
III. Verhandlungs- und Abstimmungskompetenzen
Teil 2 Das WTO-Recht als Bestandteil des EG-Rechts
A. Überblick: Völkerrechtliche Verträge im Gemeinschaftsrecht
B. Wirkung des WTO-Übereinkommens im Gemeinschaftsrecht
Teil 3 Unmittelbare Anwendbarkeit von WTO-Recht
A. Unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Primärrechts
I. EuGH-Rechtsprechung
1. Grundsätze der Rechtsprechung zum GATT-Recht
2. Ausnahmen
a) Fediol III-Urteil
b) Nakajima-Urteil
3. Bananen-Urteil
4. WTO-Recht: Rechtssache Portugal/ Rat
II. Stellungnahme und Diskussion
1. Unmittelbare Anwendbarkeit
a) Reziprozitätsgrundsatz
b) Verrechtlichung
2. Berufungsmöglichkeit des Mitgliedstaaten auf WTO-Recht
B. WTO-Sekundärrecht: Wirkung der WTO-Streitbeilegungs-Entscheidungen
Teil 1
Teil 1 Die EU als Mitglied in GATT und WTO
A. Die Europäische Gemeinschaft und GATT 1947
Welchen Status die EG im GATT 1947 eingenommen hat, war sehr umstritten.
In der Literatur wurden ein „de-facto-Status“ ebenso angenommen wie ein „de-jure-Status“ sui generis[1].
Der EuGH konstatierte eine Bindung der EG an das GATT 1947 und begründet dies damit, dass die Gemeinschaft hinsichtlich der Erfüllung der GATT-Verpflichtungen an die Stelle der Mitgliedstaaten getreten sei[2]. Dementsprechend wird auch in der Literatur von einer Sukzession oder einer faktischen Funktionsnachfolge[3] gesprochen. Angesichts der eindeutigen Rechtslage nach dem WTO-Ü soll dieser Streit nicht näher ausgeführt werden.
B. Die Europäische Gemeinschaft in der WTO
I. Mitgliedschaft der EG in der WTO
Die Europäische Gemeinschaft hat das WTO-Übereinkommen abgeschlossen und ist damit formelles Mitglied der Welthandelsorganisation, die selbst eine internationale Organisation darstellt.
Art. XI Abs. 1 WTO-Ü geht von der Mitgliedschaft der (drei) Europäischen Gemeinschaften aus. Allerdings hat der Rat der EG beschlossen, dass nur die EG das WTO-Ü ratifiziert, nicht dagegen EURATOM und EGKS[4]. Die Europäische Union ist nicht Mitglied der WTO.
Neben der EG sind aber auch die einzelnen Mitgliedsstaaten originäres Mitglied
der WTO, es gibt eine Doppelmitgliedschaft.
Der EG-Vertrag, dessen Grundlage eine Zollunion ist, Art. 23 I EGV, entspricht den Voraussetzungen des Art. XXIV GATT für die Errichtung von Zollunionen[5].
II. Außenkompetenzen der EG im Verhältnis zur WTO
Die EG ist die einzige völkerrechtliche Organisation, die Mitglied der WTO ist.
Es stellt sich die Frage nach der Außenkompetenz der EG zum Abschluss des
WTO-Abkommens.
Aus der in Art. 281 EGV normierten Völkerrechtsfähigkeit allein kann sich eine solche Kompetenz nicht ergeben, denn ebenso wie bei der Verbandskompetenz innerhalb der Gemeinschaft im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten besteht auch im Außenverhältnis das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 5 I EGV (keine Kompetenz-Kompetenz). Der Wortlaut des Art. 300 I EGV „soweit dieser Vertag den Abschluss von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und ... [anderen] Staaten ... vorsieht“ bestätigt diese Annahme. Dieser Artikel regelt nur die kompetenzrechtlichen Fragen unter den Gemeinschaftsorganen, aber nicht zwischen Mitgliedsstaaten und Gemeinschaft[6]. Somit bedarf es einer speziellen Ermächtigungsgrundlage.
Hierfür kommt vor allem Art. 133 EGV in Betracht. Dieser verleiht der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik (GHP) eine ausschließliche Kompetenz[7]. Zur Frage der EG-Kompetenzen bei Abschluss des WTO-Ü erstattete der EuGH auf Antrag der Kommission im Jahre 1994 ein Gutachten nach Art. 300 Abs. VI EGV[8].
1. Erste Säule: WTO 1994
Allgemein anerkannt ist, dass unter den Begriff der GHP jedenfalls der Warenverkehr mit Drittstaaten fällt[9]. Der EuGH dehnt diese Kompetenz aus dem EGV auch auf solche Produkte aus, die in die Bereiche von Euratom oder EGKS[10] fallen. Art. 133 EGV verleiht der EG somit eine Außenkompetenz für die Abkommen des Anhangs 1A zum WTO-Ü, insbesondere also dem GATT 1994[11].
2. Zweite Säule: GATS
Schwieriger ist die Frage im Bereich der Dienstleistungen. Während die Kommission auch das GATS von der Außenkompetenz der EG umfasst sah, reklamierten vor allem Frankreich, Großbritannien und Dänemark eine mitgliedsstaatliche Kompetenz. Der EuGH differenziert in seinem Gutachten:
Grenzüberschreitende Dienstleistungen, die keine Grenzüberschreitung von Personen erfordern, also insbesondere solche des Art. I Abs. II lit. a) GATS werden vom Anwendungsbereich des Art. 133 umfasst. Beispiele hierfür sind etwa der überwiegende Anteil der Telekommunikations- und Finanzdienstleistungen. Diese Art Dienstleistung unterscheide sich vom klassischen Warenhandel nur durch die fehlende Körperlichkeit der ausgetauschten Güter und sei ihm deshalb gleichzustellen[12]. Etwas anderes gilt aber für
a) die Auslandserbringung, bei sich dem der Dienstleistungsempfänger in das Land des Dienstleistungserbringers begibt,
b) die gewerbliche Niederlassung, also die Gründung einer Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung in einem anderen WTO-Staat, um dort Dienstleistungen zu erbringen, und
c) die Niederlassung von natürlichen Personen eines WTO-Mitglieds, durch die ein Dienstleister Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedsstaat erbringt.
Diese Differenzierung wird auf Art. 3 EGV gestützt, der unter d) einen besonderen Verweis auf Fragen der Einreise enthält. Der gesamte Titel III des EGV enthält Besonderheiten über Fragen von Freizügigkeit und Niederlassung, die dem Warenverkehr nicht gleichgestellt werden können, so dass auch Art. 133 diese nicht erfasse.
Durch die Einfügung des Abs. 5 in Art. 133 EGV durch den Amsterdamer Vertrag ist diese Unterscheidung primärrechtlich anerkannt worden. Die neue Regelung geht davon aus, dass nur ein Teil aller Dienstleistungen zum Bereich der GHP gehören[13].
Bezüglich des GATS sind die Kompetenzen zwischen EG und Mitgliedsstaaten also geteilt, es liegt ein gemischtes Abkommen vor.
3. Dritte Säule: TRIPS
In seinem Gutachten stellt der EuGH fest, dass Fragen des Immaterialgüterrechts grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der GHP fallen[14].
Etwas anderes gilt nur für solche Regelungen des Rechts am geistigen Eigentum, die besondere Regelungen für den Warenverkehr enthalten, wie die Art. 51 ff. TRIPS. Dort werden die Erfordernisse für Grenzmaßnahmen bei der Einfuhr von nachgeahmten Markenwaren geregelt.
Im übrigen gibt es aber keinen hinreichenden Zusammenhang zwischen Warenverkehr und dem Recht des geistigen Eigentums, dass dieses auch von
Art. 133 EGV erfasst sei. Damit fällt auch das TRIPS nur zum Teil in den Bereich der Außenkompetenz der EG.
4. Zusammenfassung – Gemischte Verträge
Sinn des Abschlusses des WTO-Ü als gemischter Vertrag, also von EG und Mitgliedsstaaten zugleich, ist es mögliche Kompetenzkonflikte zu vermeiden, bzw. nicht nach außen zu tragen. Unabhängig von internen Zuständigkeitsstreitigkeiten sind sowohl EG als auch alle Mitgliedsstaaten nach außen im vollen Umfang an den Vertrag gebunden[15], völkerrechtlich besteht eine gesamtschuldnerische Haftung[16].
Damit werden auch die Drittstaaten geschützt, die sich nicht mit dem komplizierten Kompetenzgefüge der EG beschäftigen müssen.
III. Verhandlungs- und Abstimmungskompetenzen
Kompetenzrechtliche Streitigkeiten können sich auch bei Abstimmungen und zukünftigen Verhandlungen ergeben. Das WTO-Ü bestimmt dazu lediglich, dass nach Art. IX Abs. 1 die EG, wenn sie ihr Stimmrecht ausübt, die Stimmenzahl hat, die der Anzahl ihrer Mitgliedsstaaten entspricht, die der WTO angehören.
Grundsätzlich statuiert der EuGH eine Pflicht zur Zusammenarbeit von Gemeinschaft und Mitgliedsstaaten, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, dass die EG völkerrechtlich geschlossen auftrete[17].
Das konkrete Verhältnis von EG und Mitgliedsstaaten bei Verhandlungen und Abstimmungen ist – soweit ersichtlich – bisher rechtlich kaum erörtert worden.
Der EuGH konkretisiert die Kooperationspflicht nicht näher und die Vereinbarung eines Verhaltenskodex, der Fragen der Zusammenarbeit klären sollte, ist gescheitert[18].
Allerdings scheint sich eine Praxis entwickelt zu haben, die mögliche Konflikte vermeidet. Bei Abstimmungen bei Ausnahmegenehmigungen nach Art. XXV Nr.5 GATT oder Beitrittsanträge nach Art. XXIII GATT stimmt jeder Mitgliedsstaat einzeln ab[19]. Bei den meisten Verhandlungen tritt eine einheitliche „EG-Delegation“ auf. Konflikte zwischen EG-Staaten werden zumeist vorher intern gelöst. Beispielsweise wurden die GATS-Protokolle über Finanz- und Telekommunikationsdienstleistungen von 1995/1997 von der EG-Kommission ausgehandelt, und von EG und EG-Mitgliedsstaaten als gemischte Abkommen ratifiziert. Diese vorherige interne Regelung mit anschließender „Ermächtigung“ der Kommission zur Außenvertretung vermeidet, dass für jeden Verhandlungsschritt erneut die Zustimmung sämtlicher Mitgliedsstaaten eingeholt werden muss.
Nur mit einer solchen Kooperation lässt sich auch verhindern, dass die Mitgliedsstaaten bei den Verhandlungen gegeneinander ausgespielt werden.
Auch im Bereich der Streitbeilegungsverfahren scheint sich eine pragmatische Sicht durchzusetzen. Einzelne Fälle, bei denen ein TRIPS-Streitbeilegungsverfahren anfangs gegen einzelne Mitgliedsstaaten eingeleitet wurde, wurden einvernehmlich in Verfahren gegen die EG umgewandelt[20].
Teil 2 Das WTO-Recht als Bestandteil des EG-Rechts
A. Überblick: Völkerrechtliche Verträge im Gemeinschaftsrecht
Der EuGH spricht in ständiger Rechtsprechung davon, dass völkerrechtliche Verträge einen „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ darstellen[21]. Art. 300 Abs. VII EGV legt die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge für Gemeinschaftsorgane ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens fest. Ein besonderer Umsetzungsakt ist nicht erforderlich[22].
B. Wirkung des WTO-Übereinkommens im Gemeinschaftsrecht
Auch das WTO-Übereinkommen ist als völkerrechtlicher Vertrag integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts.
Für die Frage nach dem Rang des WTO-Ü ergibt sich daraus folgendes:
Gegenüber dem Primärrecht der Gemeinschaft ist das WTO-Recht nachrangig[23].
Dies folgt aus der in Art. 300 Abs. 5 niedergelegten Erforderlichkeit der vorherigen EG-Vertragsänderung. Auch Art. 300 Abs. 6 geht von einem Vorrang des Primärrechts aus.
Das WTO-Recht ist allerdings vorrangig gegenüber sekundärem Gemeinschaftsrecht. Dies ergibt sich aus Art. 300 Abs. 7 EGV, nachdem Gemeinschaftsabkommen für Organhandlungen, also auch Rechtsetzung, verbindlich sind.
Damit nimmt das WTO-Recht einen Zwischenrang zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht ein[24].
Teil 3 Unmittelbare Anwendbarkeit von WTO-Recht
Sehr umstritten ist die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts.
Unter unmittelbarer Anwendbarkeit wird die Möglichkeit verstanden, dass der einzelne sich auf Bestimmungen eines Abkommens berufen und diese vor Gericht geltend machen kann. Bei der besonderen Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Abkommen der Gemeinschaft vor dem EuGH muss unterschieden werden, zwischen der Frage, ob sich ein einzelner Bürger, oder aber ein Mitgliedsstaat sich auf eine Regelung berufen kann.
Das WTO-Recht selbst legt eine unmittelbare Anwendbarkeit nicht fest.
Ein entsprechender Vorschlag der Schweiz hat in der Uruguay-Runde keine Mehrheit gefunden[25]. Insbesondere hatte sich auch die EU-Kommission mit dem Hinweis, dass es sich um ein Übereinkommen „zwischen Regierungen“ handele gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit ausgesprochen[26].
A. Unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Primärrechts
I. EuGH-Rechtsprechung
1. Grundsätze der Rechtsprechung zum GATT-Recht
Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung ist ein völkerrechtliches Abkommen unmittelbar anwendbar, wenn es „unter Berücksichtigung seines Wortlautes und im Hinblick auf Sinn und Zweck des Abkommens eine ... klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen“[27]. Damit lehnt sich der EuGH an die Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht in der „van Gend & Loos“-Rechtsprechung an[28]. Entscheidend ist bei völkerrechtlichen Verträgen jedoch auch Rechtsnatur und Systematik des gesamten Abkommens.
Seit dem wegweisenden „International Fruit Company“ – Urteil aus dem Jahre 1972 hat der EuGH diese Eindeutigkeit und Unbedingtheit für das GATT 1947 stets verneint, und damit auch die unmittelbare Anwendbarkeit abgelehnt[29]. Der EuGH verzichtet auf eine Prüfung einzelner Bestimmungen und stellt auf das Gesamtsystem der GATT-Ordnung ab.
Diese Ansicht wird mit der „großen Geschmeidigkeit“ und Flexibilität des GATT-Rechts begründet. Insbesondere weist der EuGH auf die vielfältigen Ausnahmen nach Art. XX GATT 1947 sowie die Notstandsmaßnahmen nach Art. XIX GATT 1947 hin. Auch aus der besonderen Bedeutung von Konsultationen (Art. XXII GATT 1947) und dem auf Konsensfindung ausgerichteten Streitschlichtungsverfahren (Art. XXIII GATT 1947) schließt der EuGH, dass das GATT-System so flexibel ausgestaltet sei, dass eine unmittelbare Anwendbarkeit nicht in Betracht komme. Das GATT sei politisch diplomatisch dominiert[30].
2. Ausnahmen
In bestimmten Ausnahmefällen hat jedoch auch der EuGH eine direkte Wirkung des GATT-Rechts anerkannt:
a) Fediol III-Urteil
In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Fall ging es um die Auslegung des Begriffs „unerlaubte Handelspraktiken“ im Rahmen der EG-Antisubventionsverordnung
Nr. 2641/84. Die Verordnung enthielt auch einen ausdrücklichen Verweis auf Bestimmungen des „Völkerrechts“, welches unstreitig eine Verweisung auf das GATT bedeutete[32]. Hier entschied der EuGH, dass sich auch private auf das GATT berufen können. Diese Möglichkeit folge aber nur aus dem ausdrücklichen Verweis in der Verordnung selbst.[31]
b)Nakajima-Urteil
In diesem Verfahren machte die japanische Firma Nakajima, die Rechtswidrigkeit der EG-Antidumping-Grundverordnung Nr. 3651/88 wegen einer Verletzung des GATT-Antidumping-Kodex aus dem Jahre 1979 geltend.[33]
Ohne explizit auf die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit einzugehen, prüft der EuGH hier, ob durch die EG-Verordnung GATT-Recht verletzt wurde.
Die Besonderheit in diesem Fall liegt darin, dass die Antidumping-Verordnung gerade zur Umsetzung der Verpflichtungen, die sich aus dem GATT ergeben, erlassen wurde. Daher nimmt der EuGH eine GATT-konforme Auslegung vor[34], in Bezug auf den Antidumping-Code, auf den sich ein einzelnes Privatunternehmen beruft.
3. Bananen-Urteil
In dem Verfahren zum Bananen-Urteil 1994 hatte erstmals ein Mitgliedsstaat nach Art. 230 (Ex-Artikel 173) EGV die Nichtigkeit eines EG-Rechtsakts beantragt, während sich in den bisherigen Fällen um Vorlageverfahren nationaler Gerichte handelte, bei denen ein einzelner Bürger klagte.[35]
Die Bundesrepublik Deutschland brachte vor, dass die Verordnung 404/93 über den Bananenmarkt gegen Verpflichtungen aus dem GATT, insbesondere Art. II Abs. 1 GATT, verstoße. Dennoch verneinte der EuGH die Möglichkeit, dass die Verordnung am Prüfungsmaßstab GATT-Recht auf seine Rechtmäßigkeit untersucht werden könne. Die Argumente, die gegen eine unmittelbare Wirkung sprechen, würden auch eine Berufung von Mitgliedstaaten auf das GATT ausschließen[36].
Dieses Urteil sieht sich deshalb besonders scharfer Kritik ausgesetzt, weil es in diesem Fall nicht einmal der unmittelbaren Anwendbarkeit bedurft hätte, die EG-Verordnung am GATT-Recht zu überprüfen. Eine solche Überprüfungskompetenz kann schon allein der rechtlichen Geltung, die sich aus Art. 300 VII EGV ergibt, entnommen werden. Dementsprechend wird dem EuGH in der Literatur vorgeworfen er leugne überhaupt die Verbindlichkeit von GATT-Regeln für die EG und spiele sie mit diesem Urteil zu „Soft Law“[37] herunter.
[...]
[1] Siehe dazu Ott, S. 111 f.
[2] EuGH, Slg. 1975, 1439ff. ; EuGH, Slg. 1983, 801 ff.
[3] Streinz, Rz. 598.
[4] Beschluß des Rates vom 22.12.1994, Abl. 1994 L 336/1
[5] Müller-Graff/Petersmann, S. 82.
[6] Ott, S. 191.
[7] EuGH, Gutachten 1/75, Slg. 1975, S. 1355 ff; Schweitzer/Hummer, Rz. 1492.
[8] EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994 I-5267 ff.
[9] EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994 I-5267; Ott, S. 199.
[10] EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994 I-5267.
[11] Lorenz, S. 69.
[12] EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994 I-5267, Rn. 44.
[13] Lorenz, S. 75.
[14] EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994 I – 5267.
[15] Ott, S. 212.
[16] Müller-Graff/Petersmann, S. 82.
[17] EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1996-I, 5420.
[18] Lorenz, S. 103.
[19] Kuschel, EuZW 1995, 691.
[20] Müller-Graff/Petersmann, S. 84.
[21] EuGH, Slg. 1982, 3641 – Kupferberg ; EuGH, Slg. 1989, 3733 – Griechenland/ Kommission.
[22] EuGH, Slg. 1974, 460 – Haegeman; EuGH, Slg. 1990, I-3500 – Sevince.
[23] Cheyne, ECR 581, 586.
[24] Lorenz, S. 141.
[25] GATT-Doc. MTN.GNG/NG 8/ W/ 67, 24.01.1990.
[26] KOM (94), 143, S. 6a, 15.04.1994
[27] EuGH, Slg. 1972, 1219 – International Fruit Company; EuGH, Slg. 1982, 3641 – Kupferberg; EuGH, Slg. 1987, 3719 – Demirel.
[28] EuGH, Slg. 1963, 1 ff.
[29] grundlegend EuGH, Slg. 1972, 1219 – International Fruit Company; vlg. auch EuGH,
Slg. 1983, 731 – SIOT; EuGH, Slg. 1973, 4135 – Schlüter.
[30] EuGH, Generalanwalt, Slg. 1983, 741.
[31] EuGH, Slg. 1989, S. 1781 ff.
[32] EuGH, Slg. 1989, 1805.
[33] EuGH, Slg. 1991-I, S. 2069 ff.
[34] Ott, S. 149.
[35] EuGH, Slg. 1994-I, S. 4973 ff. – Bundesrepublik Deutschland/ Rat
[36] EuGH, Slg. 1994, I-4973, 5072 f.
[37] Oppermann 1995, S. 47.
- Quote paper
- Thomas Traub (Author), 2002, Die Welthandelsorganisation (WTO) im Verhältnis zur Europäischen Union, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15760
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