Wie lässt sich der Inhalt von Emotionswörter und mithin von Gefühlen semantisch erfassen und definieren? Wie kann man also einem anderen Menschen verständlich machen, was man selbst fühlt?
Eines der auftretenden Probleme ist, dass wir alle in irgendeiner Weise Experten für Gefühle und Emotionen sind. Jeder von uns weiß, was Gefühle sind, wie sie sich anfühlen und was sie mit uns machen. Emotionen sind tief in unserem Körper und in unserem Sein verwurzelt. Sie sind wohl das Persönlichste, was wir Menschen haben. Und eben weil sie so persönlich sind, ist die Kommunikation über sie schwierig.
Doch wie kommen diese Wörter zu ihrem Inhalt? Bei Begriffen wie "Baum" ist dies relativ simpel, doch bei "Scham" und "Reue"? Es gibt zwar äußerlich Messbares, z.B. starkes Herzklopfen bei Angst, aber diese körperlichen Reaktionen können schwerlich als Inhalt für diese Wörter dienen, denn schließlich kann man nicht wie im Falle "Baum" einfach darauf zeigen, es benennen und so eine Konvention über das Wort aufstellen.
Diese Arbeit versucht sich mittels philosophischer und sprachwissenschaftlicher Theorien einer Definition von Emotionswörtern zu nähern und liefert eine interdisziplinäre und schlüsse These, die die Grundlage für ein neues Verständnis der Emotionswörter "Stolz", "Selbstzufriedenheit", "Scham" und "Reue" im Besonderen und der Emotionswörter im Allgemeinen liefert und somit Joseph Nahlowskys sprichwörtlichen Eingang zum Hades hell erleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Einleitung
1. Philosophische Untersuchungen
1.1. Emotionale Dinge - Die aristotelische Theorie
1.2. Leidenschaften und Lebensgeister - De Theorie Descartes ‘
1.3. Spinozas Theorie der Affekte
1.4. Eindrücke und Vorstellungen - De Hume‘sche Emotionstheorie
1.5. Zusammenfassung
2. Linguistische Untersuchungen
2.1. Emotionen as intentionale Zustände
2.2. Emotionen as kulturelle Artefakte - de „Wierzbicka-Hypothese“
2.3. Kövecses, Harré und Bamberg - De „Wierzbicka-Hypothese“ in der Kritik
2.4. Zusammenfassung S
3. Emotionen und Bewertungen
3.1. Einführung
3.2. Exkurs: Auslösung und Entstehung von Emotionen
3.3. Bedeutung des Exkurses für eine linguistische Analyse S
3.4. Probleme der Inhaltsdefinition S
3.5. Die Definitionen der Emotionswörter „Solz“, „Selbstzufriedenheit“, „Scham“ und „Reue“
Schluss
Literaturverzeichnis
Danksagung
Ich möchte mich bei Herrn Prof. Dr. Eckard Rolf für die Hilfe bei der Themenwahl bedanken. Des Weiteren geht mein Dank an Andreas Krumpel und Kristina Petry für de ausführlichen Diskussionen zu diesem Thema und natürlich danke ich meinen Korrekturlesern für ihre kritischen Anmerkungen.
Einleitung*
„Gefühlsleben! Welch ein Zauber webt über dem Worte, das die ganze Seeligkeit, aber auch alle Pein unseres Erdendaseins in sich faßt! Es ist eine eigene, geheimnisvolle Welt, und der Eingang zu ihr ist, we der zum Hades der Alten, dunkel.
In der Tat gibt es kaum ein Gebiet seelischer Erscheinungen, das der Untersuchung größere Schwerigkeiten beredet, als gerade de Gefühle. Haben wr Umschau bei den Psychologen älterer und neuerer Zeit, so finden wr nirgends so vel Abweichung, ja sogar Widerstreit der Sandpunkte und Erklärungen, we gerade Mer“1.
Was Nahlowsky schon damals beschrieben hat, ist heute aktueller denn je, nicht allein in Bezug auf die Psychologie der Emotionen, sondern ebenso was die linguistische Aufarbeitung der Emotionswörter betrifft. So wie es unterschiedliche psychologische Ansätze gibt, um Emotionen und Gefühle zu erklären, so gibt es diverse sprachwissenschaftliche Theorien, de Sprache und Emotionen in einen Zusammenhang setzen wollen, insbesondere bezüglich des semantischen Gehalts der Emotionswörter.
Eines der hier auftretenden Probleme ist, dass wir alle in irgendeiner Wese Experten für Gefühle und Emotionen sind. Jeder von uns weiß, was Gefühle sind, wie sie šch anfühlen und was sie mit uns machen. Emotionen sind tief in unserem Körper und in unserem Sein verwurzelt. Se sind wohl das Persönlichste, was wir Menschen haben. Und eben weil sie so persönlich sind, ist de Kommunikation über sie schwierig.
Wie kann man einem anderen Menschen verständich machen, was man selbst fühlt bzw. wie man šch fühlt? Es gibt teilweise äußerliche Anzeichen für ein Gefühl, wie das Verziehen der Mundwinkel o.ä., aber diese sind keine eindeutigen Indikatoren für das, was in einem Menschen emotional vorgeht. Das einzige Mittel, das uns daher Webt, um jemanden über unsere Gefühlsage zu informieren, ist de Sprache. In jeder Sprache gibt es Emotionswörter. Wittgenstein hat in seinen „PhilosopWschen Untersuchungen“ gezeigt, dass es keine private Sprache geben kann.2 Aus der Existenz der Emotionswörter kann man daher schließen, dass wir Menschen das Bedürfnis haben, unsere Gefühle anderen mitzuteilen und dass wir dies auch können. Obwohl Emotionen also absolut intim und individuell sind, gibt es dennoch Wörter, mit deren Hilfe es uns möglich ist, uns gegenseitig über unsere Gefühle zu informieren.
Doch wie kommen dese Ausdrücke zu ihrem Inhalt? Bei Begriffen wie „Baum“ ist des relativ simpel - lax gesagt: Man kann auf das weiche Objekt Baum zeigen und šch darauf einigen, dass ihm der Lautkörper Baum als Bezeichnung zugewiesen wird. Doch „[e]ine Schwierigkeit der Emotionsdefiniton entsteht dadurch, daß das subjektive Gefühlserleben [...] nicht mit Bezug auf Außenweltsachverhalte beschrieben werden kann.“3 Es „st ein persönlich erfahrbarer Zustand, der šch einer Fremdbeobachtung entzieht.“4 Es gibt zwar äußerlich Messbares, z.B. starkes Herzkloppen bei Angst, aber dese körperlichen Reaktionen können schwerlich als Inhalt für dese Wörter dienen, denn schließlich kann man nicht wie im Falle „Baum“ einfach darauf zeigen, es benennen und so eine Konvention über das Wort aufstellen. Aso, wie kommt der Ausdruck eines Emotionswortes zu seinem Inhalt, oder besser gesagt, was ist der Inhalt eines Emotionswortes? Für eine intensive Beantwortung dieser Frage werde ich mich der auf ver dementare Emotionen, nämlich „Solz“, „Selbstzu- ffiedenheit“, „Scham“ und „Reue“, beschränken.
Der Duden5 gibt als alltagssprachliche Definitionen für diese vier Wörter Folgendes an:
„Stolz, der; -es: a) ausgeprägtes Selbstwertgefühl [...] b) Selbstbewußtsein u. Freude über einen Besitz, eine [eigene] Leistung“ (S. 1474)
„Scham, de; - [...] urspr. = Beschämung, Schande [...]: 1. durch das Bewußtsein, (bes. in moralischer Hinsicht) versagt zu haben, durch das Geßühl sch eine Blöße gegeben zu haben, ausgelöste quälende Empfindung [...] 2. Schamgefühl“ (S. 1302)
„Reue, de; - [mhd. riuwe, ahd. (h)riuwa, urspr. = seelischer Schmerz, H. u.]: tirfes Bedauern über etw., was man getan hat od. zu tun unterlassen hat u. von dem man wünschte, man könnte es ungeschehen machen, weil man es nachträglich as Unrecht, als falsch o.ä. empfindet“ (S. 1250)
„selbstzufrieden <Adj.>: (häufig abwertend): auf eine unkritische [leicht sslbstgefällige] Weiss mit sich u. ssinen Leistungen zufrieden und ohne Ehrgeiz“ (S. 1388)6
Reichen dese Erläuterungen aus, um de Emotionen zufrieden stellend zu beschreiben? Auf den ersten Blick wirken sie erklärungsmächtig, zumal wir ja durchaus verstehen, was gemeint ist. Doch, wenn man genauer hinschaut, erkennt man das Problem: Es entsteht ein Zirkel. De Emotionswörter werden mithilfe anderer Emotionswörter erklärt. Soll und kann man daraus schließen, dass es zugrunde liegende Basisemotionen gibt, auf die man alle Emotionswörter zurückfuhren kann? Des ist eher unwahrscheinlich, denn verfolgt man de in den obigen Definitionen zur Erklärung verwendeten Begriffe weiter, so lässt sich kein einheitliches Muster daraus erkennen. Wie kann man nun aber den Inhalt dieser Emotionswörter beschreiben? De vorhegende Arbeit versucht für diese Frage eine Lösung zu bieten. Dazu möchte ich wie folgt vorgehen:
In den „Philosophischen Untersuchungen“ werden de Emotionstheorien von Aristoteles, Descares, Spinoza und Hume ausführlich dargesteht, und auf Basis der jeweiligen Theorie werden Definitionen für unsere ver Emotionswörter aufgesteht. Dabei werden vele Unterschiede zu Tage treten, aber auch Gemeinsamkeiten in den Analysen werden festzustehen sein, die ich am Ende des ersten Kapitels zusammenfassen werde.
Von den unzähligen sprachwissenschaftlichen Theorien werden in den „Linguistischen Untersuchungen“ Searles Gedanke der emotionalen Intentionalität und Wierzbickas Theorie der kulturellen Arefakte genauer beschrieben. Letztere wird seit ca. 30 Jahren intensiv erarbeitet und auch kritisiert, sodass im Anschluss an de so genannte Wierzbicka-Hypothese Kritiker zu Wort kommen werden, deren jeweiliger Ansatz ebenfalls skizzier wird.
Im dritten Teil werden de Ergebnisse aus den vorherigen Untersuchungen zusammengeführt und in einen größeren Rahmen, der emotionspsychologisch unterfüttert ist, eingebettet, um eine effiziente Beschreibungsmethode vorzustehen. Abschließend werden de aus den gesamten Untersuchungen resultierenden Definitionen der Emotionswörter „Solz“, „Selbstzufriedenheit“, „Scham“ und „Reue“ präsentiert.
1. Philosophische Untersuchungen
1.1. Emotionale Dinge - Die aristotelische Theorie
a) Vorbemerkungen
Im Gesamtwerk Aristoteles‘ sind nur wenige Ausführungen zu einer Theorie der Emotionen zu finden. Eine konsistente und ausformulierte Theorie zur Definition von Emotionen existiert wahrscheinlich nicht, auch wenn über die Existenz einer Schrift mit dem Titel „&rpi &a+rnv“ spekuliert wird.1 Die ausführlichsten Darstellungen zu den Emotionen befinden sich im zweiten Buch der Rhetorik. “The discussion ofi the Rhetorics specifically limited set ofi emotions cannot be regarded as based upon or providing us with Aristotle‘s final, ‘scientific theory“2. Die Beschreibungen sind somit eher „auf einen praktischen Zweck abgestellt“3, wobei der Akzent auf moralphilosophischen Fragestellungen liegt. Dadurch will Aristoteles dem Redner Mittel an die Hand geben, „damit er sich ihrer für seinen Zweck bedienen kann“4.
Ein Grund für die Nichtexistenz einer schriftlich festgehaltenen Emotionstheorie mag darin liegen, dass Aristoteles eine sehr komplexe Auffassung von Emotionen gehabt hat,5 zumal die Beschreibungen in der Rhetorik auch „nicht dem Erkenntnisstand der reifen psychologischen Schriften“6 entsprechen müssen.
Das Problem der Unbestimmtheit weitet sich noch einmal dadurch aus, dass die Liste der Emotionen, die Aristoteles bearbeitet, für ihn keine Verbindlichkeit besitzt. In der Nikomachischen Ethik z.B. zählt Aristoteles die in der Rhetorik fehlende „Begierde“ zu den Emotionen, während dort die „Sanftmut“ als Tugend, aber nicht als Emotion behandelt wird.7 Die Emotionsliste in der Rhetorik enthält folglich nur solche Emotionen, die für einen Redner interessant sein und ihm dienen könnten. Die Reue (oder auch das Bedauern) scheine Aristoteles jedoch vergessen zu haben, obwohl diese Emotion, nach Ansicht Coopers, für einen Redner damaliger Schule wichtig gewesen sein müsse.8
Möchte man also aus den Darstellungen eine grundsätzliche aristotelische Theorie der Emotionen ableiten, müssen die definitorischen Merkmale der Emotionen indirekt aus den Verwendungsbeschreibungen der Einzelemotionen herausgelesen werden.
b) Die Definition der Emotionen nach Aristoteles
„Die Emotionen sind die Dinge“ (Rh 73)9, die den Menschen durch ihre passive Art verändern. Sie sind deswegen passiv, weil Emotionen für Aristoteles Widerfahrnisse darstellen, d.h. Dinge, die jemandem passieren und worauf der Empfindende keinerlei Einfluss hat.10
Grundsätzlich korrelieren Emotionen mit Schmerz (Лшг|) und Lust (röovr)11, wenn man nicht sogar davon ausgehen muss, dass Schmerz und Lust konstituierende Bestandteile der Emotionen sind.12 Folglich lässt sich jede Emotion auf Lust und Schmerz zurückführen, nur ihre jeweilige Ausprägung und ihr Anteil an den verschiedenen Emotionen ist unterschiedlich.13
Diesen Gedanken aber hat schon Platon vertreten, der in den Affekten unterschiedliche Mischungsverhältnisse von Lust und Unlust bzw. Schmerz gesehen hat,14 und es gilt als wahrscheinlich, dass Aristoteles diesen Gedanken von ihm übernommen hat: “That Aristotle is indeed following Plato‘s model will be confirmed when we take a closer look at his treatment of the individual emotions.“15 Ein weiterer Hinweis hierfür lässt sich in Abschnitt 11 des ersten Buches der Rhetorik finden (vgl. Rh 53-58, insbes. 54fi): Aristoteles spricht dort von „Begierde“, „Hunger“, „Durst“, „Erinnerung der Seele“ und „Fieber“ und bringt diese Begriffe mit „Lust“ und „Unlust“ in Zusammenhang. Mit denselben Begriffen lässt Platon Sokrates und Protarchos über dieselbe Thematik diskutieren,16 sodass die Vermutung, dass Aristoteles sich mit seinen Gedanken an Platon anlehnt, durchaus nahe liegt.
Die von Aristoteles dargestellten Affekte lassen sich also anhand der Kriterien von Schmerz und Lust beschreiben. Auch wenn er selbst das Wort „Lust“ in diesem Zusammenhang nicht verwendet, sondern es eher als „Abwesenheit von Schmerz“ oder als „schmerzlos“ beschreibt, kann man es „als den Übergang von der schmerzvollen Emotion in einen schmerzlosen Zustand, was [...] als lustvoll angesehen werden kann“17, verstehen.
Die Korrelation mit Schmerz und Lust aber reiche allein nicht aus, um Emotionen zu empfinden bzw. hervorzurufen, sondern bei jeder Emotion muss man „in dreierlei Hinsicht unterscheiden“ (Rh 73):
1. in welchem Zustand sich der die Emotion Empfindende befindet,
2. gegenüber welcher Person dies geschieht und
3. aufgrund welches Gegenstandes.18
Wichtig hierbei ist, dass der Gegenstand, auf den sich die Emotion richtet, nicht in der Realität existieren muss. Nur der die Emotion empfindende Mensch muss davon überzeugt sein, dass es sich um einen realen Gegenstand handelt.19
Die drei vorgenannten Voraussetzungen gelten für alle Emotionen. Falls eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist, ist es nicht möglich, eine Emotion zu empfinden (vgl. Rh 73).
c) Die Definition von „Scham“ (aioxúvri)
Aristoteles zählt in seinem zweiten Buch der Rhetorik etwa 15 Emotionen auf und beschreibt sie bzw. ihre Verwendungsweisen. Von den uns in dieser Arbeit betreffenden vier Emotionen analysiert er lediglich die „Scham“.
Bevor Aristoteles zur eigentlichen Definition kommt, setzt er in seinen Bemerkungen zur Liebe die Scham zu jener in Kontrast, und sagt, dass „der Schämende nicht liebt“ (Rh 81) bzw. dass „der, der sich nicht schämt, einem Liebenden“ (Rh 81) gleiche, denn man schämt sich nicht vor seinen Freunden und wegen seiner Freunde, da man sie liebt. Die Scham selbst sei „eine Art von Schmerz und Beunruhigung über diejenigen Übel, die einem ein schlechtes Ansehen einzubringen scheinen, seien sie gegenwärtig, vergangen oder zukünftig.“20 (Rh 85)
Aus diesem Zitat lassen sich bereits wichtige definitorische Merkmale herauslesen: Scham ist eine mit Schmerzverbundene Emotion. Doch der Schmerzalleine macht die Scham nicht aus. Die Konjunktion aus Schmerz und der Beunruhigung21 über soziale Missachtung (auch zukünftige22 ) legt den Grundstein für diese Empfindung.
Aus der schon gegebenen Grunddefinition Aristoteles‘ können wir ablesen, dass der Gegenstand, über den wir uns schämen, ein „Übel“ ist, eine „Schande“, die Gedoch nicht zwangsweise vom Empfindenden selbst begangen worden sein muss, sondern dies kann durchaus ebenso durch einen Angehörigen oder einen Freund geschehen sein, also durch Personen, „um die man sich kümmert“ (Rh 86). Was zur von Aristoteles beschriebenen Schande gehört, sind vor allem Taten, die in der Antike der Ehrlosigkeit zugerechnet wurden, so z.B. „Feigheit“, „Zügellosigkeit“, „Geiz“, „Verweichlichung“, „Angeberei“ und „Kleingesinntheit“ (vgl. Rh 86f ).
Die Personen, auf die sich diese Emotion richtet, sind diejenigen, „denen man Bedeutung beimisst [...], die einen bewundern oder die man selbst bewundert oder von welchen man bewundert werden will [...], gegenüber denen man Ehrgeiz empfindet und deren Meinung man nicht verachtet.“ (Rh 87) Kurz gesagt, es sind all diejenigen, zu denen man in einer Beziehung steht, in der Ehre und soziales Ansehen involviert sind.
Der Zustand, in dem sich der Betreffende befinden muss, lässt sich aus den schon beschriebenen Tatsachen ableiten. Der Sich-Schämende muss davon überzeugt sein, dass sein soziales Ansehen von den ihn umgebenden Personen aufgrund einer Schande bedroht ist. Er befindet sich also in Gesellschafit derer, auf die die Scham gerichtet ist und glaubt, dass ein solcher Gegenstand, dessen er sich schämen sollte, existiert (vgl. Rh 88fi). Aristoteles betont aber ausdrücklich, dass die Scham im Endeffekt „die Vorstellung von schlechtem Ansehen ist und zwar wegen des schlechten Ansehens selbst und nicht der Dinge wegen, die sich daraus ergeben“ (Rh 87). Wenn man an dieser Stelle etwas genauer hinschaut, erkennt man, dass der anfiänglich beschriebene Schmerz bzw. die Beunruhigung als zukünfitiger Schmerz und der Zustand der Erwartung von sozialer Missachtung durch bedeutsame Personen eine sich ergänzende Einheit bilden, wenn man nicht sogar sagen möchte, dass der Zustand der Erwartung der eigentliche Schmerz ist.
Die Scham nach Aristoteles lässt sich somit durch die folgende Kurzdarstellung definieren:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
d) Die Definitionen von „Reue“, „Stolz“ und „Selbstzufriedenheit“
Wie schon erwähnt, analysiert Aristoteles Reue, Stolz und Selbstzufriedenheit in seiner Rhetorik nicht. Da aber die oben genannten Bedingungen (Korrelation mit Schmerz/Lust; Zustand des Empfindenden; Objekt, weswegen die Emotion empfunden wird; Person, auf die das Gefühl gerichtet ist) für alle Emotionen gelten, muss es auch möglich sein, Definitionen für diese drei Emotionswörter nach aristotelischem Muster aufzustellen.
Reue
Über die Reue macht Aristoteles in seiner Rhetorik lediglich eine Bemerkung im Rahmen seiner Analyse der „Sanftmut“. Diese spielt jedoch eine wichtig Rolle für die Beschreibung, die ich hier geben möchte. Er sagt: „Auch denen gegenüber (ist man sanftmütig), die geständig sind und Reue zeigen; denn, weil man den Schmerz, den sie über das Getane empfinden, als gerechte Vergeltung ansieht, hört man auf zu zürnen. [...] Wir bestrafen nämlich diejenigen um so mehr, die widersprechen und absprechen, gegenüber denen, die gestehen, dass sie zu Recht bestraft werden, hören wir auf zu zürnen.“ (Rh 77f.) Aus diesem kurzen Zitat kann man bereits wertvolle Erkenntnisse für eine Definition der Reue gewinnen: Reue ist zunächst eine Emotion, die mit Schmerz in Verbindung steht.
Die Person, gegenüber der man Reue empfindet, ist ein Mensch, der die Macht hat und dazu berechtigt ist, den Reuenden (physisch) zu bestrafen.
Das Objekt, das Reue erzeugt, ist ein Übel oder eine Schande. Scham und Reue sind sich also in dieser Hinsicht ähnlich, denn bei beiden liegt die Verletzung einer Norm vor, doch die Reue will und muss öffentlich sein, um die mögliche Strafe zu mildern oder zu verhindern. Die Scham hingegen spielt sich im Innern des Körpers ab, da so wenige Personen wie möglich vom Übel und von der Schande erfahren sollen,23 mit der Absicht schlechtes Ansehen weitestgehend zu verhindern.
Um Reue zu empfinden, muss der Betreffende in einer Situation sein, in der seine Normverletzung entdeckt worden ist und er in Erwartung einer Strafe steht.
Als Kurzdarstellung folgt also:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Stolz
Zunächst möchte ich einige Situationen nennen, in denen man Stolz fühlt: Ein Mann, der eine großartige Leistung vollbracht hat, empfindet Stolz. Ein Vater kann voller Stolz auf seinen Sohn blicken oder man ist stolz auf seine Singstimme, vielleicht auch auf die Schönheit seiner Ehefrau, sofern man glaubt, dass man auf Eigenschaften stolz sein kann. Auch kann man mit Stolz auf die Leistungen seines Lebens zurückschauen.
Stolz ist also ein positiv besetztes Gefühl, eine schmerzfreie Emotion. Sie steht daher mit „Lust“ in Verbindung. Stolz ist man auf Leistungen, die man vollbracht hat und für gut befindet und eben manchmal auch auf Eigenschaften. Das Objekt ist somit eine positive und/oder bewundernswerte Handlung, Leistung oder Eigenschaft.
Diese Emotion empfindet man denjenigen gegenüber, von denen man bewundert werden will und die man selbst bewundert, also gegenüber Menschen, denen man Bedeutung beimisst.
Man erwartet eine positive Auswirkung aufsein Ansehen, weil man glaubt, dadurch in der Gunst der anderen, also derer, denen man Bedeutung beimisst, steigen zu können - soziale Anerkennung soll gewonnen werden. Deswegen beinhaltet der Stolz ebenso wie die Reue das Streben nach Öffentlichkeit, denn nur wenn andere darum wissen, kann man sein soziales Ansehen vergrößern.
Damit sind alle notwendigen Kriterien für eine Definition des Stolzes nach aristotelischem Muster gegeben:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Selbstzufriedenheit
Die Selbstzufriedenheit ist in gewissem Sinne eine schwächere Version des Stolzes. Man erbringt solange eine Leistung, bis man mit dem Ergebnis zufrieden ist. Jedoch fehlt im Vergleich zum Stolz der Ehrgeiz, die Leistung so gut zu erbringen, dass sie einem soziale Anerkennung einbringt. Man betrachtet die Leistung unkritisch als po sitiv und man ist zufrieden mit sich selbst und dem Erreichten. Da keine soziale Aner kennung erworben werden soll, gibt es keine Tendenz zur Öffentlichkeit.
Die Selbstzufriedenheit korreliert folglich ebenfalls mit Lust. Da jedoch niemand beeindruckt werden soll, empfindet man diese Emotion nur gegenüber sich selbst.
Der Zustand besteht demnach darin, dass man mit Wohlbefinden auf sich selbst und seine Leistungen schaut und von außen keine größere Anerkennung erwartet. Dieses Wohlbefinden ist Belohnung genug, sodass kein Ehrgeiz nach Größerem und Mehr entsteht.
e) Bemerkungen
Wie man an den Definitionen der Emotionswörter sieht, liegen Scham und Reue sowie Stolz und Selbstzufriedenheit jeweils dicht beieinander. Erstere sind mit Schmerz verbunden und unterscheiden sich hauptsächlich in der Intention nach Öffentlichkeit: Reue soll öffentlich bekannt sein, damit sie eine mögliche Strafe mildern kann; die Scham ist eher ein inneres Phänomen.24 Letztere sind mit Lust verbunden, und hier ist ebenfalls die Öffentlichkeit ein bedeutungsunterscheidendes Kriterium, denn beim Stolz soll jeder von der guten Tat wissen, während die Selbstzufriedenheit sich im Inneren des Körpers abspielt.
1.2. Leidenschaften und Lebensgeister- Descartes* Theorie
a) Vorbemerkungen
„Es ist die aristotelische Bestimmung von Tun und Leiden [...], actio und passio, mit der es Descartes gelingt, den Bereich der menschlichen Emotionen in den Griff zu bekommen“ (Lei IL; Hervorhebung im Original)25, so Klaus Hammacher in seiner Einleitung zu Descartes* „Die Leidenschaften der Seele“. Descartes unterscheidet dabei zwischen Körper und Seele und glaubt, dass eine Erkenntnis von unseren Leidenschaften die Erkenntnis der Trennung von Körper und Seele beinhaltet.26 Dabei entspricht jedem Zustand der Seele ein Körperzustand und umgekehrt, denn „was in ihr [der Seele] ein Leiden ist, gewöhnlich in ihm [dem Körper] ein Tun ist.“ (Lei 5) Die Tätigkeiten des Körpers werden, seiner Ansicht nach, durch im Blut enthaltene Lebensgeister27 verursacht, die u.a. durch die Nervenbahnen im Körper verteilt werden.
Schnittpunkt zwischen Körper und Seele ist die Zirbeldrüse, die für Descartes den „Hauptsitz der Seele“ (Lei 53) darstellt.28 Gelangen Lebensgeister in die Zirbeldrüse, so können diese dort verschiedenartige Seelentätigkeiten oder Seelenleiden hervorrufen und ebenso kann die Seele die Lebensgeister über die Zirbeldrüse im Körper steuern und leiten (vgl. Lei 51-55).
Alle Vorkommnisse der Seele bezeichnet Descartes als Gedanken, wobei diese in Tätigkeiten und Leiden eingeteilt werden können. Tätigkeiten der Seele sind vornehmlich Willensakte, die den Körper betreffen (z.B. der Wille zu gehen erzeugt die Bewegung der Beine), aber ebenso Akte, deren Ziel in der Seele zu finden ist (z.B.
Gottesliebe oder Reflektionen über nicht materielle Gegenstände) (vgl. Lei 33/35).
Zu den Leiden der Seele zählen u.a. die Wahrnehmungen, welche entweder die Seele oder den Körper als Ursache haben können. Zu Letzteren gehören Hunger und Durst, deren Ursache im Körper zu finden ist, oder auch das Schmerz- und Wärme- empflnden aufl der Haut (vgl. Lei 41/43). „Die Wahrnehmungen, die man allein aufldie Seele bezieht, sind diejenigen, deren Wirkung man als in der Seele selbst gegeben fühlt und von denen man gewöhnlich keinerlei nächste [Haupt-]Ursache, aufl die man sie beziehen könnte, kennt.“ (Lei 43) Hierzu zählen z.B. Freude, Zorn, Scham und Liebe. Vor allem diese werden als Leidenschaften bezeichnet, obwohl, grundsätzlich betrachtet, jegliche Wahrnehmung zu den Leiden zählt.29
Die Lebensgeister können die Stärke der Leidenschaflten erhalten oder erhöhen. Empfindungen, die durch die zufällige Bahn der Lebensgeister hervorgerufen werden, sind in der Regel weniger heflig, können aber, wie z.B. in Träumen, Täuschungen her- vorruflen.
Allgemein lassen sich die Leidenschaften definieren „als Wahrnehmungen oder Empflindungen oder Emotionen der Seele, die ihr in besonderer Weise zugehören und die durch die Bewegung der Lebensgeister veranlaßt, unterstützt und verstärkt werden“ (Lei 47). Descartes jedoch zieht den Begriff „Emotionen“ vor, da sie die Seele wie keine anderen Gedanken aufwühlen und erregen (vgl. Lei 49).
Auch wenn es verschiedene Möglichkeiten gibt, wie Leidenschaften in der Seele ausgelöst werden können, sind es doch meistens äußerliche Objekte, die als mittelbare Ursache ür die Leidenschaflten angesehen werden können. Mit ihrer Hilfle lassen sich die verschiedenen Leidenschaften auch unterscheiden (vgl. Lei 91/93). Welche Leidenschaft durch eine bestimmte Ursache ausgelöst werde, sei aber individuell verschieden, da die Gehirne aller Menschen nicht in gleicher Weise ausgestattet seien. Was bei „einigen Menschen Furcht veranlaßt, rufl bei anderen Mut und Kühnheit hervor.“ (Lei 65) Es ist aber immer ein Gut oder ein Böse beteiligt, aus dem dann die Emotion geboren wird (vgl. Lei 97).
Der Stellenwert der einzelnen Leidenschaften ist jedoch unterschiedlich. Es gebe eine Vielzahl von Emotionen, doch „die Zahl derGenigen, welche einflach und ursprünglich sind, ist nicht sehr groß.“ (Lei 109) Nur sechs Emotionen könne man als grundlegend betrachten, „nämlich die Verwunderung, die Liebe, der Haß, das Begehren, die Freude und die Traurigkeit“ (Lei 109). Descartes folgert daraus, „daß alle anderen aus diesen sechs zusammengesetzt sind oder Spezifizierungen von ihnen sind.“ (Lei 109)
b) Die Definitionen der sechs Grundleidenschaften
Die Verwunderung (fiz. ľadmiration)
„Seit man sich erneut mit Descartes* Lehre [...] beschäftigt hat, ist es als eine seiner bedeutendsten Einsichten angesehen worden, daß er als grundlegenden Affekt die Verwunderung (,admiration) annimmt.“ (Lei LI) Die Verwunderung ist „die erste aller Leidenschaften“ (Lei 95), denn sie tritt auf, sobald man einem unbekanntem Objekt begegnet. Bevor das Objekt überhaupt nach Gut und Schlecht bewertet werde, bewirke die Verwunderung, dass man das Objekt mit Aufmerksamkeit betrachtet (vgl. Lei 95 u. 109).
Die Verwunderung ist die einzige Leidenschafit, die von keiner „Veränderung im Herzen oder im Blut begleitet ist“ (Lei 111), da sie „weder ein Gutes noch ein Übel zum Gegenstand hat, sondern nur die Erkenntnis der Sache, die man bewundert.“ (Lei 111F
Die Liebe (fiz. ľamour)
Wird eine Sache, die verwundert betrachtet wird, als gut und uns zuträglich bewertet, „bewirkt das, daß wir für sie Liebe empfinden“ (Lei 97). Dies soll den Anreiz dazu geben, „sich willentlich mit dem Objekt zu verbinden“ (Lei 123), was bedeutet, dass das Selbst mit der Sache ein Ganzes bilden möchte. „Die Liebe ist also der Grundaffekt oder die Leidenschaft, mit der wir uns den Anlässen zuwenden, welche unsere Verwunderung und Aufmerksamkeit erregen.“ (Lei LIV)
Man kann jedoch zwischen Liebe zu guten Dingen und Liebe zu schönen Dingen unterscheiden. „Der letzteren kann man die Bezeichnung Wohlgefiallen geben“ (Lei 133), um sie von der Liebe zu guten Dingen und von der Begierde trennen.
Der Hass (frz, la haine)
Der Hass ist das Gegenteil von Liebe. Werde eine Sache negativ bewertet, stelle sich, laut Descartes, Hass ein (vgl. Lei 97). Der Hass veranlasse, dass man sich nicht mit dem Objekt verbinden möchte, sondern dass nach Möglichkeit eine Trennung davon vollzogen werden soll. „So betrachtet man sich im Haß [...] allein als ein Ganzes, gänzlich abgetrennt von der Sache, gegen die man eine Aversion hegt.“ (Lei 123)
Aber auch hier könnten zwei Arten von Hass unterschieden werden. Die eine beziehe sich auf schlechte, die andere auf hässliche Dinge. „Die letztere sollte Schauder oder Aversion genannt werden, um sie zu unterscheiden.“ (Lei 133)
Die Begierde Erz. le desir)
Diese Leidenschaft ist immer auf etwas Zukünftiges, das man für sich als angemessen betrachtet, gerichtet. Entweder man wünscht sich etwas bisher nicht vorhandenes Gutes, den Fortbestand eines schon bestehenden Gutes oder die Abwesenheit eines gegenwärtigen Übels (vgl. Lei 97/99 u. Lei 133). Das Handeln entstehe erst mit dem Affekt der Begierde, die vorher genannten Leidenschaften seien handlungsfrei (vgl. Lei LVII).
Die Freude Erz. la iove)
„Die Betrachtung eines gegenwärtigen Gutes erregt in uns Freude“ (Lei 101). Sie ist der Genuss eines als gut bewerteten Objektes, das man als der Seele zugehörig ansieht und entsteht „aus der Meinung, daß man ein Gut besitzt“ (Lei 145).
Da on zuunterscheiden sei die intellektuelle Freude, die keine Leidenschaft, sondern einen Genuss der Vernunft an seiner eigenen Tätigkeit darstelle ( gl. Lei 141/143). Trotzdem werde diese intellektuelle Freude aber immer von der Freude begleitet, die eine Leidenschaft ist.
Die Trauer (firz. la tristesse)
Die Trauer entsteht aus der Betrachtung eines Übels, dass der Seele teilhaftig ist (vgl. Lei 101 u. 143), also „aus der Meinung, daß man ein bestimmtes Übel oder einen bestimmten Fehler hat.“30 (Lei 145) Sie „ist eine unangenehme Mattigkeit31 und besteht in dem Unbequemen, das der Seele durch ein Übel oder einen Fehler zustößt“
(Lei 143).
Außerdem gebe es eine intellektuelle Trauer, die keine Leidenschaft sei. Diese werde aber immer von der Trauer begleitet, die die oben definierte Leidenschaft ist (vgl. Lei 143).
c) Die Definitionen von „Stolz“, „Selbstzufriedenheit“, „Scham“ und „Reue“
Der Stolz (auch: Hochmut; fz, ľorgeuiľ)32
Für Descartes ist der Begriff Hochmut negativ konnotiert. Wenn man stolz ist, schätze man sich selbst als sehr positiv ein, obwohl es eigentlich ungerechtfertigt sei. „Am ungerechtfertigsten ist er vor allem jedoch dann, wenn man hochmütig ohne den geringsten Anlaß ist“ (Lei 245). Der Hochmut wird dadurch vom Edelmut, der eine Tugend ist, unterschieden. Und obwohl der Stolz und der Edelmut gegensätzlich zueinander stehen, glaubt Descartes, „daß man sie auf eine und dieselbe Leidenschaft beziehen kann [...] die aus der Verwunderung und der Freude und der Liebe zusammengesetzt ist“ (Lei 251).
Um aber den Unterschied zwischen Edelmut und Hochmut erklären zu können, werden bei der Verwunderung zwei Eigenschaften angenommen. „[D]ie erste besteht darin, daß die Überraschung sie [die Verwunderung] von Beginn an stark bewegt, die andere, daß sie im weiteren Verlauf gleichbleibt, d.h., daß die Lebensgeister sich mit der gleichen Stärke im Hirn weiterbewegen.“ (Lei 253) Die erste der beiden Eigenschaften wird eher dem Hochmut zugeschrieben, während die zweite Eigenschaft Teil des Edelmutes sein soll. Daraus resultiert, dass der Stolz eine kurze und aufbrausende Emotion ist, während der Edelmut eine dauerhafte Tugend ist, da dieser aufeiner gerechtfertigten positiven Ursache beruht.
Vom Stolz getrennt sieht Descartes die Ruhmsucht bzw. das Ruhmgefühl, das eine eigene Leidenschaft darstellt.33 Er verneint aber nicht, dass eine stolze Person den Wunsch nach Anerkennung bzw. Ruhm hat, nur seien stolze Personen fehlgeleitet, da sie glaubten, „daß diejenigen, die sich am meisten davon zuerteilen, auch am meisten davon besitzen.“ (Lei 247)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Selbstzufriedenheit (frz. la satisfaction de sov-mesme)
Die Ursache der Selbstzufriedenheit ist ein vergangenes oder gegenwärtiges Gut, „das durch uns selbst geschehen ist“ (Lei 103). Es handelt sich dabei um „eine Art Freude, die ich für die süßeste von allen halte, da ihr Grund allein von uns abhängt.“ (Lei 291) Ist der Grund der Selbstzufriedenheit unangemessen, „d.h., wenn die Handlungen, aus denen man so viel Befriedigung entnimmt, ohne große Bedeutung oder selbst lasterhaft sind“ (Lei 291/293), dann entsteht Hochmut. Selbstzufriedenheit ist also gewissermaßen ein positiver Stolz, während der Hochmut negativ belegt ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Ursache der Scham ist ein Übel, „das in uns ist oder war, wenn es auf die Meinungen bezogen wird, die die anderen davon haben können“ (Lei 105). Sie „ist eine Art Traurigkeit, die auch auf Selbstliebe gegründet ist, die von der Meinung oder Furcht herrührt, beschämt worden zu sein.“34 (Lei 313) Scham beinhalte zusätzlich ein gewisses Misstrauen gegen sich selbst.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
* Bibliographische Angaben in den Fußnoten we folgt: Bei erster Nennung des Titels wrd de Literatur vollständig ausgewesen, bei weheren Verweisen werden nur noch Name und Stichwörter aus dem Tel als Kurztitel genannt. Abweichungen hiervon werden entsprechend gekennzeichnet.
1 Nahlowsky, Joseph W.: Das Gefühlseben in seinen wesentlichsten Erscheinungen und Beziehungen. 3., überarbeitete Auflage. Hrsg. v. Chr. Ufer. Leipzig 1907. S. 3.
2 Vgl. Wittgenstein, Ludwg: Tractatus logico-phfiosphicus. Tagebücher 1914-1916. PMloso- phische Untersuchungen. Frankfürt am Man 1984. S. 356-367.
3 Battacchi, Marco W., Suslow, Thomas und Renna, Margherita: Emotion und Sprache. Zur Definition der Emotion und ihren Beziehungen zu kognitiven Prozessen, dem Gedächtnis und der Sprache. Frankfurt am Man 1996. S. 15.
4 Battacchi u.a.: Emotion und Sprache. S. 15.
5 Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Mannheim 1989.
6 Hier wurde das Adjektiv zur Selbstzufriedenheit ziert, da das Wörterbuch zum Substantiv „Selbstzufriedenheit“ nur den Ertrag „(häufig abwertend): selbstzufriedene Art“ (S. 1388) enthält.
1 Vgl. Moraux, Paul: Les Listes anciennes des ouvrages d‘Aristote. Préface par Augustin Mansion. Louvain 1951. S. 74-80.
2 Cooper, John M.: An Aristotelian Theory of the Emotions. In: Rorty, Amélie O. (Hrsg.): Essays on Aristotle‘s Rhetoric. Berkley, Los Angeles, London 1996. S. 238fi
3 König, Josef: Einführung in das Studium des Aristoteles an Hand einer Interpretation seiner Schrifi über die Rhetorik. Hrsg. v. Nicolas Braun. Freiburg, München 2002. S. 142.
4 König: Einführung in das Studium. S. 142.
5 Vgl. Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und erläutert von Christof Rapp. Zweiter Halbband. Berlin 2002. (rAristoteles: Werke in deutscher Übersetzung. Bd. 4.2.) (Künftig zitiert: Aristoteles: Kommentarband.) S. 546.
6 Aristoteles: Kommentarband. S. 546.
7 Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik. Griechisch-deutsch. Übersetzt von Olof Gigon, neu herausgegeben von Rainer Nickel. Düsseldorf, Zürich 2001. S. 59-77 und S. 169-173.
8 Vgl. Cooper: An Aristotelian Theory. S. 251.
9 Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und erläutert von Christof Rapp. Erster Halbband. Berlin 2002. (rAristoteles: Werke in deutscher Übersetzung. Bd. 4.1.) Im Text zitiert als: Rh. Nachgestellte Ziffern bezeichnen Seitenangaben.
10 Das griechische Wort für Emotion „гах+oç“ meint in seiner ursprünglichen Bedeutung „etwas, das einem widerfährt“.
11 König bevorzugt die Übersetzungen „Bedrücktheit“ und „Gehobenheit“.
12 Vgl. Aristoteles: Kommentarband. S. 546. und vgl. Leighton, Stephen R.: Aristotle and the Emotions. In: Rorty, Amélie O. (Hrsg.): Essays on Aristotle1 s Rhetoric. Berkley, Los Angeles, London 1996. S. 218fi Striker hingegen ist nicht davon überzeugt, dass Schmerz und Lust als definitorische Bestandteile der Emotionen angesehen werden können (vgl. Striker, Gisela: Emotions in Context. Aristotle‘s Treatment of the Passions in the Rhetoric and His Moral Psychology. In: Rorty, Amélie O. (Hrsg.): Essays on Aristotle‘s Rhetoric. Berkley, Los Angeles, London 1996. S. 291fi).
13 Vgl. Leighton: Aristotle and the Emotions. S. 220.
14 Vgl. PlatonI Philebos. Übersetzung und Kommentar von Dorothea Frede. Göttingen 1997. (=Platon: Werke. Bd. III2.) S. 60-66.
15 Frede, Dorothea: Mixed Feelings in Aristotle‘s Rhetoric. In: Rorty, Amélie O. (Hrsg.): Essays on Aristotle‘s Rhetoric. Berkley, Los Angeles, London 1996. S. 268. u. vgl. auch den Abschnitt „The Platonism of the Rhetoric“ S. 274-279.
16 Vgl. Platon: Philebos. S. 39-59, insbes. S. 40-45 u. S. 58f.
17 Aristoteles: Kommentarband. S. 549.
18 Vgl. Rh 73, Aristoteles: Kommentarband. S. 547. u. König: Einführung in das Studium. S. 144.
19 Vgl. Striker: Emotions in Context. S. 291. Rapp glaubt sogar, da Emotionen sich auf einen bestimmten Gegenstand richten, so z. B. der „Zorn“ auf eine erfahrene Herabsetzung durch eine (unbefugte) Person, seien die von Aristoteles dargestellten Emotionen bzw. die Emotionen als solche „ ,intentionale1 Zustände, die über einen ,Gehalt1 verfügen.“ (Aristoteles: Kommentarband. S. 547.)
20 König zitiert diese Stelle wie folgt: „Scham ist eine Art von Schmerz (Ab&r) oder Verwirrung (тарах') über diejenigen Schlechtigkeiten und Minderwertigkeiten, die gerade dabei sind Verachtung oder Schande über uns zu bringen (&£pí -tá £iç aôobíav Caivópeva Cépav twv как,) und zwar über gegenwärtige oder vergangene oder zukünftige Schlechtigkeiten (' &apóvtwv ' YEyovÓTwv ' peAAóvtwv).“ (König: Einführung in das Studium. S. 160.)
21 Für Rapp handelt es sich dabei um keine direkte Konjunktion von „Schmerz“ und „Beunruhigung“, da man „die Beunruhigung ihrerseits als eine bestimmte Art von Schmerz [...] [verstehen kann], wobei diese Modifikation möglicherweise damit zu tun haben könnte, dass ,Beunruhigung1 die Form von Schmerz sein könnte, die in Anbetracht eines künftigen Schmerzes empfunden wird“ (Aristoteles: Kommentarband. S. 549.).
22 „Einer wird auch dann schon von Scham überwältigt, wenn er bloß daran denkt, daß morgen oder übermorgen dieser oder jener dies und das von uns erfahren wird.“ (König: Einführung in das Studium. S. 160. Hervorhebung im Original)
23 Man schämt sich daher vor allem für etwas, „was in der Öffentlichkeit und vor aller Augen geschieht“ (Rh 87) und „vor denen, die es vielen ausplaudern [...] wie zum Beispiel den Satirikern und Komödiendichtern“ (Rh 88).
24 Falls das Übel der Scham bekannt werden sollte, d.h., falls viele bedeutungsvolle Personen davon erfahren sollten und eventuell eine soziale oder juristische Bestrafung droht, kann die Scham in Reue umschlagen, oder vielleicht muss sie sogar in Reue umschlagen, um den Schaden zu minimieren.
25 Descartes, René: Die Leidenschaften der Seele. Hrsg. u. übersetzt v. Klaus Hammacher. Französisch-deutsch. Hamburg 1984. Im Text zitiert als: Lei. Nachgestellte Ziffern bezeichnen Seitenangaben; römische Zahlen geben Seiten in der Einleitung Hammachers an.
26 Diese Trennung zur Erklärung der Emotionen sieht Damasio als Descartes1 größten Fehler an (vgl. Damasio, Antonio R.: Descartes1 Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Neuausgabe. München 2004. S. 328-333.).
27 Lebensgeister sind, laut Descartes, kleine im Blut enthaltene Körper, subtile und lebhafte Teile, die zwar im Blut verdünnt, aber ebenso über die Nervenbahnen an ihre Zielpositionen im Körper verteilt werden können, wo sie dann ihre Wirkung entfalten (z.B. Muskelkontraktionen) (vgl. Lei 19). Ludwig Schützgibt Gedoch zubedenken, dass dies keineswegs ein neuer Gedanke ist, weil schon die Stoiker glaubten, dass die Emotionen durch Lebensgeister (Pneumata) hervorgerufen würden (vgl. Schütz, Ludwig H.: Die Lehre von den Leidenschaften bei Hobbes und Descartes. Göttingen. Phil. Diss. 1901. S. 90f.).
28 Den Beweis für diese Annahme sieht Descartes „darin, daß alle anderen Teile unseres Gehirns doppelt vorhanden sind“ (Lei 53/55) und die Zirbeldrüse sei die einzige Stelle im Körper, in der Informationen der beiden Gehirnhälften, aber auch der beiden Körperhälften zur Erkenntnis zusammengeführt werden könnten (vgl. Lei 55).
Die Auffassung, die Zirbeldrüse als den Sitz der Seele anzusehen, ist ebenso wenig neu, weil sie schon in der Antike von Claudius Galenus vertreten worden ist (vgl. Schütz: Die Lehre von den Leidenschaften. S. 10, 62 u. 91.).
29 An dieser Stelle sei auf die doppelte Bedeutung des Wortes „passions“ im Französischen hingewiesen, welches Descartes hier verwendet und von Hammacher je nach Kontext mit „Leidenschaft“ oder „Leiden“ übersetzt worden ist.
30 Beide, Freude und Trauer, scheinen Propositionen als Ursache zu haben, denn sie entstehen „aus der Meinung, dass“ ein bestimmter Umstand gegeben sei. Die propositionale Einstellung „meinen“ (oder „annehmen“) ist hier also wesentlich.
31 Die Mattigkeit (la langeur) derweil „ist ein Zustand der Erschlaffung und der Unbeweglichkeit, der in allen Gliedern gefühlt wird.“ (Lei 181) Hervorgerufen werde die Mattigkeit durch einen Mangel an Lebensgeistern (vgl. Lei 181).
32 Hammacher übersetzt den französischen Begriff mit „Hochmut“, jedoch wird „ľorgeuil“ in modernen Wörterbüchern vor allem mit deutschen Wort „Stolz“ übersetzt.
33 Der Ruhm „ist eine Art Freude, gegründet auf Liebe, die man zu sich selbst hat und die aus der Meinung oder Erwartung von anderen, [sic!] gelobt zu werden, sich ergibt.“ (Lei 313)
34 An der Definition der Scham erkennt man, dass der propositionale Charakter der Trauer auch in die von dieser Emotion abgeleiteten Leidenschaften hineinstrahlt, denn man schämt sich, wenn man der Meinung ist, dass ein bestimmter Umstand gegeben sei. Dasselbe gilt natürlich auch für die auf Freude basierenden Leidenschaften, doch ist die ausdrückliche Referenz auf Überzeugungen nicht expressis verbis realisiert.
- Quote paper
- Markus Böckmann (Author), 2005, Untersuchungen zur Semantik der Emotionswörter "Stolz" "Selbstzufriedenheit", "Scham" und "Reue", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156872
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