Mit meiner Diplomarbeit möchte ich die Entwicklung des veränderten Selbstverständnisses der Jugendhilfe, mit dem KJHG als rechtlichem Ausdruck, in seinen Schwerpunkten nachvollziehen und die sich daraus ergebende Beteiligungsphilosophie in ihrer Wichtigkeit unterstreichen.
Dies mit dem Ziel, die durch die Verpflichtung zur Hilfeplanung entstandene Chance der aktiven Betroffenenbeteiligung in ihrer Bedeutung aufzuzeigen und sie in der Umsetzung auf ihre Grenzen und Hemmnisse zu beleuchten.
Im Rahmen dieser Arbeit wird die Trennung der Begriffe Sozialpädagogik und Sozialarbeit aufgehoben und unter dem Begriff Sozialer Arbeit vereint. (vgl. Schilling, 1997, S. 176 mwN.) Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die maskuline Form der Anrede gewählt und beinhaltet gleichzeitig die feminine Form.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
0. Einleitung und Aufbau der Arbeit
1. Kapitel: Neuorientierung in der Jugendhilfe
1.1 Von der Fursorge zur dienstleistungs- und lebensweltorientierten Jugendhilfe
1.1.1 Zur Einfuhrung des KJHG und der Ablosung des JWG
1.1.2 Das JWG als Grundlage der Fursorge
1.1.3 Reform und Grundgedanken zur Anderung
1.1.4 Das KJHG als Grundlage einer zeitgemaBen Jugendhilfe
1.2 Die gesetzgeberische Neuordnung des Kinder- und Jugendrechtes
1.2.1 Ziele und Schwerpunkte
1.2.2 Leistungsfelder
1.2.3 Hilfe im Schatten von Kontrolle
1.2.4 Die Hilfen zur Erziehung
1.2.4.1 Anspruch auf Erziehungshilfen
1.2.4.2 Leistungsprofil der Erziehungshilfen
1.3 Zusammenfassung
2. Kapitel: Hilfeplanung im Anspruch der Beteiligung
2.1 Der partizipatorische Grundsatz
2.1.1 Zum Begriff der Partizipation in der Jugendhilfe
2.1.1.1 Partizipation als Merkmal der Dienstleistungstheorie
2.1.1.2 Partizipation als Maxime der Lebensweltorientierung
2.1.1.3 Partizipation als rechtlicher Ausdruck des KJHG
2.1.1.3.1 Das Wunsch- und Wahlrecht
2.1.1.3.2 Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
2.1.1.3.3 Gleichberechtigung von Madchen und Jungen
2.1.1.3.4 Inobhutnahme
2.2 Hilfeplanung als aktive Chance der Betroffenenbeteiligung
2.2.1 Hilfeplanung im Kontext des KJHG
2.2.1.1 Mitwirkung, Hilfeplan
2.2.1.2 Hilfeplanung als Verfahren
2.2.2 Hilfeplanung im Ablauf
2.2.2.1 Problemsichtung und Beratung
2.2.2.2 Klarung der individuellen Situation und Entscheidung uber die Hilfe
2.2.2.3 Umsetzung der Hilfe und Ruckmeldung uber den Hilfeverlauf
2.2.3 Hilfeplanung als Aushandlungsprozess
2.3 Zusammenfassung
3. Kapitel: Die Chance oder Inszenierung?
3.1 Erwartungen und Hoffnungen
3.2. Soziale Arbeit und Gesetzesinterpretationen
3.2.1 Die unbestimmten Rechtsbegriffe
3.2.2 Das Kindeswohl
3.2.3 Der Leistungskatalog
3.2.4 Die Muss - Kann - Soll - Vorschriften
3.3 Soziale Arbeit und Ermessensgrundlagen
3.3.1 Finanzielle Einflusse
3.3.2 Der Verfahrenscharakter
3.4 Das Zusammenspiel von Beteiligung und Fachlichkeit
3.4.1 Der Beteiligungsgrundsatz
3.4.2 Das Profil der Sozialen Arbeit
3.4.3 Das Selbstverstandnis aller Beteiligten
3.4.4 Information und Transparenz
3.4.5 Die fachliche Entscheidung
3.4.6 Der Hilfeverlauf
3.5 Spannungsfelder der strukturellen Art
3.5.1 Die gesetzlichen Vorgaben im Widerspruch
3.5.1.1 Die Beteiligungsphilosophie
3.5.1.2 Gleichberechtigung und Freiwilligkeit
3.5.1.3 Der Rechtsanspruch
3.5.2 Die institutionellen Rahmenbedingungen
3.5.3 Die Spezifika der Erziehungshilfeprozesse
3.5.3.1 Der offene Dialog
3.5.3.2 Der gemeinsame Konsens
3.5.3.3 Die Kommunikation
3.5.3.4 Die Vereinbarung
Fazit: Der Weg ist das Ziel!
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Vorwort
Im Rahmen meiner beruflichen Tatigkeit, seit 1978 in ambulanten und stationaren Bereichen der Jugendhilfe, war es mir moglich, einen differenzierten Einblick in die verschiedenen Formen der Hilfeerbringung zu nehmen und diese auch noch in ihrer traditionellen Ausrichtung fursorgerischer Aufgabenwahrnehmung zu erleben.
Anfanglich war meine Arbeit gepragt durch den Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die offentliche Erziehung als Ausfallburge - im Sinne eines einseitigen Nothilfedenkens - fur das Versagen oder den Verlust ihrer 'Normalitat' erlebt haben.
Sie erfuhren institutionelle Hilfe, verstanden als Angebot, das sie als diejenigen erschienen lieB, die es zu 'reparieren' galt; betrieben als eingreifende Intervention, die ihnen und ihren Familien im Sinne einer expertokratischen Denkweise, soziale Hilfe verordnete.
Als Hilfeempfanger wurden sie zu bedurftigen Personen mit Defiziten und geringen Problemlosungsfahigkeiten stigmatisiert. Ihre soziale Begunstigung bestand darin, eine Ausrichtung von Hilfe zu erfahren, in der sich eigene Vorstellungen und Wertigkeiten oft nicht wiederfanden.
Vielfach erlebte ich in der Praxis, dass die Kinder und Jugendlichen aus ihren subjektiven Empfindungen und Bedurfnissen heraus die erbrachte Hilfe nicht als Unterstutzung ihrer 'problematischen' Lebenssituation, sondern vielmehr als zusatzliche Erschwernis oder als Bestrafung empfanden.
Aus diesem Unverstandnis heraus und dem Zustand des sich 'Alleingelassenfuhlens' forcierte sich oftmals eine Entwicklung, die Verweigerungstendenzen provozierte und die einseitig, allein von Fachkraften entschiedene Hilfe zur Wirkungslosigkeit verurteilte.
Die professionelle Hilfe als 'staatliche Daseinsvorsorge' war gepragt durch Fremdbestimmung. Dies fand sich sowohl in der Ausubung ihres sozialen Handelns, als auch in der Deutung und Bewertung von Lebenslagen der Betroffenen wieder.
Aufgrund sich verandernder Aufgaben innerhalb der Jugendhilfe sowie eines sich entwickelnden demokratischen Anspruchshandelns sozialer Arbeit wurde deutlich, dass es einer notwendigen Neubestimmung im Hilfeverstandnis und Hilfeverhaltnis bedurfte.
Vor dem Hintergrund eines jahrzehntelang andauernden Reformprozesses erfolgte mit der Ablosung des Jugendwohlfahrtsgesetzes zum Kinder- und Jugendhilfegesetz dann die endgultige Abkehr traditioneller Ausrichtungen der Jugendhilfe.
Eingebunden in das Achte Sozialgesetzbuch versteht sich das Kinder- und Jugendhilferecht als ein sozialstaatliches Leistungsgesetz, dessen Auswirkungen insbesondere im Bereich der Erzieherischen Hilfen, dem klassischen Aufgabenfeld der ehemaligen Fursorge, zum Ausdruck kommen.
In der fachlichen Qualifizierung von Hilfeleistung zur beteiligungsorientierten Hilfeplanung gilt der Grundsatz, dass es keinen objektiven MaBstab fur die richtige Hilfe gibt, aber einen rechtsstaatlichen MaBstab fur das richtige Verfahren, in dem bedarfsgerechte Hilfe ausgehandelt werden muss.
Hier vereinen sich Recht und fachlicher Anspruch Sozialer Arbeit zu einem neuen Verstandnis von Hilfeerbringung, getragen von der Erkenntnis, dass soziale Hilfe um so erfolgreicher ist, je nachvollziehbarer und transparenter sich ihr Weg gestaltet, je mehr sie den unterschiedlichen Bedurfnis- und Interessenlagen entspricht und je mehr sie von allen Beteiligten getragen und gewollt wird.
Soziale Arbeit, die von einem solchen Verstandnis ausgeht, erkennt in ihrem professionellen Handeln die Fahigkeiten und Fertigkeiten ihrer Adressaten an und setzt deren Selbstandigkeit und Selbstbestimmung voraus.
Aufgrund meiner eigenen beruflichen Erfahrungen und gestarkt durch die vermittelten Inhalte meines Studiums ist dieses Hilfeverstandnis fur mich die grundlegende Voraussetzung fur die Erfullung sozialer Aufgaben.
Soziale Hilfe darf nicht als Instrument der (staatlichen) Verordnung verstanden und missbraucht werden. Diejenigen, die Hilfe in Anspruch nehmen oder durch ihre Lebensumstande gezwungen sind, Hilfe zuzulassen, durfen von uns Helfern nicht zur Hilflosigkeit geleitet werden, indem sie zu 'Objekten' einer uber ihre Kopfe hinweg entwickelten Hilfe- und Erziehungsplanung werden.
Hilfesuchende oder Hilfebetroffene sind mundige Menschen, dies nicht nur nach dem Gesetz, sondern weil dieser Anspruch demokratischem und verantwortungsbewusstem Handeln in der Sozialen Arbeit entspricht.
Einleitung und Aufbau der Arbeit
Mit meiner Diplomarbeit mochte ich die Entwicklung des veranderten Selbstverstandnisses der Jugendhilfe, mit dem KJHG als rechtlichem Ausdruck, in seinen Schwerpunkten nachvollziehen und die sich daraus ergebende Beteiligungsphilosophie in ihrer Wichtigkeit unterstreichen.
Dies mit dem Ziel, die durch die Verpflichtung zur Hilfeplanung entstandene Chance der aktiven Betroffenenbeteiligung in ihrer Bedeutung aufzuzeigen und sie in der Umsetzung auf ihre Grenzen und Hemmnisse zu beleuchten.
Im Rahmen dieser Arbeit wird die Trennung der Begriffe Sozialpadagogik und Sozialarbeit aufgehoben und unter dem Begriff Sozialer Arbeit vereint. (vgl. Schilling, 1997, S. 176 mwN.)
Aus Grunden der besseren Lesbarkeit wird die maskuline Form der Anrede gewahlt und beinhaltet gleichzeitig die feminine Form.
1. Kapitel: Neuorientierung in der Jugendhilfe
Ausgehend von der Einfuhrung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes erlautert die Arbeit den vollzogenen Wandel im Selbstverstandnis (Paradigmenwechsel) der Jugendhilfe.
In der Betrachtung des ehemaligen fursorgerischen Handelns wird der weitreichende Paradigmenwechsel mit seinen grundlegenden Aspekten bis zur dienstleistungs- und lebensweltorientierten Jugendhilfe aufgezeigt.
2. Kapitel: Hilfeplanung im Anspruch der Beteiligung
In Orientierung am rechtlichen und sozialpadagogischen Ausdruck des veranderten Selbstverstandnisses werden die adressatenbezogenen Motive mit ihrem wesentlichen Merkmal der Betroffenenorientierung und -beteiligung herausgestellt.
Daraus ergebend und insbesondere durch die gesetzliche Verpflichtung zur Erstellung eines Hilfeplanes fur die Ausgestaltung der Hilfen zur Erziehung, wird die Betroffenenbeteiligung in der Umsetzung sozialpadagogischen Handelns als Aushandlungsprozess verstanden und aufgegriffen.
3. Kapitel: Die Chance oder Inszenierung?
Gemessen am Handlungsalltag der Jugendhilfepraxis erscheint die Beteiligung der Betroffenen im Aushandlungsprozess noch immer nicht den Stellenwert und die genugende Ausschopfung der Moglichkeiten zu erfahren, um als aktive Chance begriffen werden zu konnen.
In Betrachtung des Selbstverstandnisses aller Beteiligten, aber auch der methodischen, gesetzlichen und strukturellen Hemmnisse, wird versucht, die wesentlichen Ursachen dieser Diskrepanz aufzuzeigen.
Neuorientierung in der Jugendhilfe
1.1 Von der Fursorge zur dienstleistungs- und lebensweltorientierten Jugendhilfe
1.1.1 Zur Einfuhrung des KJHG und der Ablosung des JWG
Das am 28.03.1990 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) ist vor dem Hintergrund eines jahrzehntelangen Diskussionsprozesses uber Aufgaben, Standards und Anspruchsprofil der Jugendhilfe zu sehen.
Im Kontext des Suchens nach neuen Wegen der Planung und Durchsetzung fortschrittlicher Ansatze in der Jugendhilfe, stellte das in der Regierungserklarung 1969 ausgesprochene Vorhaben - die Ablosung des Gesetzes fur Jugendwohlfahrt (JWG) durch ein Reformgesetz - ein zentrales jugendpolitisches Thema dar und leitete die 1970 erneut beginnende Reform des Jugendhilferechtes ein.
Am 11.05.1990 stimmt der Bundesrat dem verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechtes zu. (vgl. Schilling 1997, S. 313)
Zum 01.01.1991 tritt das KJHG in der Bundesrepublik in Kraft und lost das bis dahin gultige und noch an das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) gebundene JWG ab.
(vgl. Fieseler/Herborth 2001, S. 90-93)
Die mit der Novellierung des RJWG im Jahre 1961 zum JWG eingeleitete Entwicklung - von einem Ordnungsgesetz hin zu einem modernen Leistungsgesetz - wurde damit zementiert
Der Gesetzgeber verabschiedete sich endgultig von der Jugendhilfe mit Kontroll-, Aufsichts- und Eingriffsaufgaben des ehemaligen JWG zugunsten einer mit dem KJHG verbundenen 'Jugendhilfe mit klarem Dienstleistungscharakter' (vgl. Spath 1994, S. 55/ Schilling 1997, S. 313) und umfassenden verankerten Beteiligungsrechten fur Kinder, Jugendliche und ihre Familien. ( vgl. Becker 1999, S. 9 )
Etwa zeitgleich mit der Verabschiedung des KJHG wird der Achte Jugendbericht, BMJFFG 1990, veroffentlicht.
Verstanden als fachliche Weiterentwicklung der Jugendhilfe und als eine seiner zentralen theoretischen Grundlagen vertritt er das Konzept der ' Lebensweltorientierten Jugendhilfe. '
(vgl. AFET 1993, S. 37)
1.1.2 Das JWG als Grundlage der Fursorge
Das aus dem Jahre 1961 stammende Gesetz fur Jugendwohlfahrt, dessen Kern noch immer das am 01.04.1924 in Kraft getretene RJWG bildete, war bestimmt durch seine Herkunft aus dem Polizei- und Strafrecht und von obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen einer eingreifenden Verwaltung durch Zwangs- und Fursorgeerziehung gepragt. (vgl. Oberloskamp/Adams 2001, S. 6)
Die offentliche Jugendhilfe umfasste nach dem alten § 2 Abs. 2 JWG alle behordlichen MaBnahmen zur Forderung der Jugendwohlfahrt. Diese unterteilte sich als Einheit der Jugendhilfe in Jugendpflege und Jugendfursorge.
Hierbei bezog sich Jugendpflege auf die Zielgruppe 'gesunde Jugend' und sollte das korperliche, geistige, seelische und gesellschaftliche Wohl aller Jugendlichen fordern, ohne dass eine Gefahrdung im Einzelfall vorlag.
Jugendfursorge mit der Zielgruppe ' gefahrdete, verwahrloste, kriminelle Jugendliche' umfasste diejenigen MaBnahmen, die sich auf gefahrdete oder bereits geschadigte Jugendliche bezogen.
(vgl. Schilling 1997, S. 88)
Das Gesetz verpflichtete die Jugendhilfe nicht zu aktivem Verhalten gegenuber den in seinem Bereich auftretenden Problemen, sondern zu Reaktionen bei bestimmten vom Gesetz festgelegten Tat bestanden. (vgl. bmjfg 1972, S. 31).
Um auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen einzuwirken, war dem Staat neben der schulischen Erziehung dort ein breites Betatigungsfeld eroffnet, wo Storungen in der Beziehung zwischen dem Kind/Jugendlichen zu seinen Eltern auftraten, wo die familiaren Verhaltnisse als nicht 'intakt' galten und eine Erziehung des Kindes durch die Eltern nicht gewahrleistet schien.
Hier ermachtigten spezielle Regelungen des Familien- und Jugendhilferechtes den Staat, auf das Erziehungsgeschehen in der Familie Einfluss zu nehmen.
Das Vormundschaftsgericht konnte gemaB §§ 55, 57 Abs. 1 S. 1 JWG Erziehungsbeistandschaft und gemaB § 64 JWG Fursorgeerziehung anordnen.
Hierbei stellte die Fursorgeerziehung im Katalog der Moglichkeiten zur zwangsweisen Durchsetzung von JugendhilfemaBnahmen den gravierendsten staatlichen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht dar.
Die offentliche Erziehung war weitgehend auf diese staatlichen Ordnungseingriffe beschrankt, denn familienunterstutzende und -begleitende MaBnahmen wurden im JWG nicht erwahnt.
(vgl. Oberloskamp/Adams 2001, S. 5-6)
Zwar fuhrte die erfolgte Novelle vom RJWG zum JWG die sogenannte 'Freiwillige Erziehungshilfe' neben der Fursorgeerziehung ein, dies anderte aber an der ordnungsrechtlichen Sichtweise wenig.
Es wurden nicht nur die veralteten Bezeichnungen beibehalten, sondern auch der diskriminierende Begriff ' Verwahrlosung' als deren Voraussetzung. (Schilling 1997, S. 95-97 mwN)
Da auch die 'Freiwillige Erziehungshilfe' jedoch keine rechtzeitige familienunterstutzende Hilfe leistete, sondern nur die Moglichkeit auBerfamiliarer Unterbringung von Kindern und Jugendlichen vorverlagerte, erfullte sie nicht ihren beabsichtigten Zweck, namlich die Fursorgeerziehung durch eine weniger schwere MaBnahme teilweise zu ersetzen. (vgl. Erichsen 1985, S.11-13 mwN).
Allerdings schopfte die Jugendhilfepraxis zunehmend die gesetzlich durchaus ausgelegte Moglichkeit von ' Offenen Hilfen' und Unterstutzungen der Familien aus.
Zumal die Reform des elterlichen Sorgerechtes von 1980, mit der Einfuhrung des § 1666a BGB, die Nachrangigkeit der Herausnahme von Kindern betonte. (vgl. Oberloskamp/Adams 2001, S. 7)
In der Entwicklung zeigt sich, dass soziale Kontrolle und Disziplinierung als Grundlage der fursorgerischen Tatigkeit, die Qualitat und Ausrichtung der Jugendhilfe vorrangig durch direkte Hilfe bestimmte.
„Die Geschichte der Fursorge ist nicht zuletzt eine Geschichte der Menschen, die im Wandel der Anschauung und durchaus nicht unbeeinfluBt von ihnen, stets ihr fursorgliches Engagement fur andere als personliche Hilfe verstanden haben."
(Fachlexikon der sozialen Arbeit 1997, S. 371)
Das Handeln der Sozialen Arbeit war weitgehend mit seinen Menschenbildern und Erziehungskonzepten durch weltanschauliche Interessen gepragt und von helfender Profession gekennzeichnet.
1.1.3 Reform und Grundgedanken zur Anderung
Im Unterschied zur traditionellen Jugendhilfe, die sich mit der Aufarbeitung gesellschaftlich definierter Notlagen beschied, war einer der Grundgedanken der Gesetzesanderung, nicht erst zu warten, bis nur noch durch Androhung oder Anwendung der Eingriffsmoglichkeiten des Staates das Schlimmste zu verhindern ist, sondern die potentiellen Ursachen fur eine spatere Problematik praventiv zu thematisieren (vgl. Becker, 1999, S. 7).
Schon 1973 wurde im Diskussionsentwurf des Bundesministeriums zum Erziehungsauftrag der Jugendhilfe ausgefuhrt, dass „...eine moderne Jugendhilfe weit mehr [leisten muss], als nur die Rolle eines Ausfallburgen im Sinne eines staatlichen Wachteramtes uber die Erziehung oder im Sinne eines einseitigen Nothilfedenkens impliziert ..." (bmjfg 1973, S. 65).
Notwendig wurde die Gesetzesanderung auch aufgrund neuer durch gesellschaftliche Entwicklung entstandener Problemlagen wie Trend zur Einzelkindsituation, Zunahme von Trennungen und Scheidungen, vermehrte Erziehungsprobleme, Oberforderung und Verunsicherung der Eltern, Anwachsen von Verhaltensstorungen bei Kindern und Jugendlichen, denen der klassische MaBnahmenkatalog des JWG nicht mehr gerecht werden konnte.(vgl. Fieseler/Herborth 2001, S.91)
Viele Familien sind, verstarkt durch die gesellschaftspolitischen Probleme wie Dauerarbeitslosigkeit, wachsende Armut, steigender Mobilitat, reduzierter Spielraume fur Kinder, oft nicht in der Lage, ihre vorgesehene (Erziehungs-) Funktion alleine zu erfullen (vgl. Becker 1999, S. 8).
Diese gesellschaftlich veranderten Verhaltnisse, verbunden mit privaten Lebensschicksalen, provozierten zunehmend unabweisbare soziale und politische Aufgaben, zu deren Losung die Jugendhilfe gefragt war.
Weitere Impulse fur eine Gesetzesanderung gingen von der um 1970 beginnenden neueren Diskussion, getragen von den Ideen der Studentenbewegung, aus. Hierbei ging es darum, neue Wege zu einer repressonsfreien, antikapitalistischen und antiautoritaren Gesellschaft zu finden.
Dies war verbunden mit dem Reformdruck der sozialen Bewegungen im Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit, bis hin zur Notwendigkeit einer offensiven Jugendhilfe, die sich im Kern als Anwalt kindlicher Sozialisationsbedurfnisse verstand.
(vgl. Kreft 1993, S. 27)
In Zusammenhang mit diesem Problematisierungsdruck von auOen und dem damit einhergehenden Professionalisierungsprozess im Verstandnis Sozialer Arbeit fand eine programmatische Diskussion um Standards, Aufgaben und Anspruchsprofil statt.
Diese bildete bereits zu Beginn der 80er Jahre mit den Begriffen - ' Leistung statt Eingriff, Prevention statt Reaktion, Flexibilitat statt Burokratisierung und Demokratisierung statt Bevormundung' - Zielbestimmungen und Prinzipien fur die sozialen Aufgaben heraus. (vgl. ebenda, S. 54-55)
Heute werden diese aktuellen Beurteilungskriterien fur eine zeitgemaOe Jugendhilfepraxis unter den Oberbegriffen ' Strukturmaxime und Handlungsprinzipien' benannt und diese „...markieren zugleich auch die Grenzlinie zwischen traditionellem und neuem Handeln" (Kreft, 1993, S. 55)
Zuletzt hat der Achte Jugendbericht der Bundesregierung sie unter dem Begriff der 'Lebensweltorientierung ' gefasst.
(vgl. Stadt Dormagen 2001, S.33)
1.1.4 Das KJHG als Grundlage einer zeitgemaBen Jugendhilfe
Das KJHG als Endprodukt der Reformgeschichte markiert als Gesetz eine Sozialpadagogisierung des Jugendhilferechtes, insofern ihre Kategorien und Begrifflichkeiten unubersehbar darin Eingang gefunden haben.(vgl. Hornsteinl997, S. 27)
Damit sollen traditionelle Ausrichtungen uberwunden und eine Entwicklung nachvollzogen bzw. forciert werden zu einem sozialpadagogischen Verstandnis von Jugendhilfe.
(vgl. Jordan/Schrapper 1994, S. 5)
Hier finden die zwei sozialwissenschaftlich anerkannten Konzept >Dienstleistungstheorie und Lebensweltorientierung ihren Ausdruck.
Konzept wird verstanden als ein Handlungsmodell, in welchem die Ziele, die Inhalte, die Methoden und Verfahren in einen sinnhaften Zusammenhang gebracht sind..."
(GeiBler/Hege 1992, S. 23 mwN.)
Die beiden Handlungsmodelle nehmen jeweils fur sich in Anspruch mit ihrem Verstandnis fur einen Umbau der Jugendhilfe beizutragen, durch den die Adressaten an der Jugendhilfe als Sozialle istung partizipieren. (vgl. Kriener/Petersen 1999, S. 22)
Ausgehend von dem Leitgedanken in Abkehr des reaktiven Handelns und um den neuen gesellschaftlichen Entwicklungen und Problemlagen gerecht zu werden, geht es heute um ein Selbstverstandnis von Jugendhilfe als praventive und angebotsorientierte Hilfeleistung, durch die Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern bedarfsgerechte, alltagsnahe Unterstutzung erfahren konnen. (vgl. ebenda 1999, S. 20)
Unter der Aufgabe praventiven Denken und Handelns wird verstanden: „...Leistungen der Jugendhilfe so zu gestalten, daB sie von Familien erreicht werden konnen, ehe Krisen, Belastungen und Entwicklungsprobleme ein schwerwiegendes und schwer zu beeinflussendes AusmaB angenommen haben."
(BMJFFG 1986, S. XII)
Fruhe und praventive Hilfen, verstanden als Forderung eigener Kompetenzen zur Lebensbewaltigung, mussen hierbei an den Starken und Ressourcen von Kinder, Jugendlichen und deren Familien ansetzen und nicht an ihren Defiziten.
Dieses Verstandnis ist darauf ausgerichtet 'Hilfe zur Selbsthilfe' zu leisten und Betroffene in ihren Absichten, Wunschen und Vorstellungen ernst zu nehmen. (vgl. Stadt Dormagen 2001, S. 31)
Denn Adressaten sind nicht langer 'Objekte' sozialfursorglichen Handelns, sondern eigenverantwortliche Personen, fur die die Jugendhilfe sozialpadagogische und deren eigene Vorstellungen respektierende Unterstutzung anzubieten hat.
(vgl. Kriener/Petersen 1999, S. 21)
Dienstleistungstheorie und Lebensweltorientierung, umrissen von den Normen des KJHG, gehen somit in Richtung einer Jugendhilfe, die in ihrem Handeln, in den Deutungen und Definitionen von Problemen sowie in der Festlegung von MaBnahmen nicht nach den Eigenlogiken der Verwaltung oder helfender Profession in die Lebenszusammenhange von Familien interveniert.
Vielmehr geht es um eine Ausrichtung, die gegenuber den Lebenswelten (verstanden als strukturierendes Gefuge von ortlichen, zeitlichen und sozialen Bezugen) und Formen der Lebensfuhrung von Betroffenen offen bleibt und diese nicht stigmatisiert. (vgl. Deutscher Verein, 1998, S.13)
„Da die Familie als konstituierender Teil der Gesellschaft (...) von den gesellschaftlichen Bedingungen, wie etwa der Wohnungs- und Arbeitsmarktsituation abhangig ist, hangt auch ihre
Leistungsfahigkeit zu weiten Teilen von diesen Rahmenbedingungen ab. Es kann daher der einzelnen Familie nicht als Untuchtigkeit oder Versagen angelastet werden, wenn sie nicht alle Leistungen allein erbringen kann, sondern die Unterstutzung (...) auch aus dem offiziellen Netzwerk bedarf. Die
Inanspruchnahme von Beratung und Hilfe darf nicht zum AnlaB genommen werden, die Familie negativ zu bewerten. Sich-helfen-lassen-konnen muB deshalb vielmehr zur positiven Normalitat der Familiensituation gerechnet werden." (BMJFFG 1986, S. V)
Gleichzeitig betonen Lebensweltorientierung und Dienstleistungstheorie in ihren Konzepten, dass ohne Realisierung von Partizipation Hilfe und Unterstutzung nicht effektiv ist, zu kurz greift oder gar an den Adressaten vorbeigeht.
(vgl. Kriener/Petersen 1999, S. 1)
Wahrend man zu Zeiten des JWG zu wissen glaubte, was fur die Betroffenen als angemessene Intervention in Frage kam, lasst sich auch im KJHG ohne deren Mitbestimmung keine Hilfe realisieren.
Sowohl vor dem Hintergrund des fachlichen Anspruchs als auch der gesetzlichen Vorgaben sind Partizipationsrechte und - moglichkeiten Teil eines umfassenden Hilfe- und Unterstutzungssystem mit demokratischen Grundverstandnis.
Denn „...eine Jugendhilfe, die in erster Linie die Eigenschaften der Familie unterstutzen und starken will, muB diese in die Lage versetzen, in moglichst weitem Umfang uber Inhalt und Ausgestaltung der Leistung als gleichberechtigter Partner mitbestimmen zu konnen." (bmjffg 1986, S. xii)
1.2 Die gesetzgeberische Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechtes
1.2.1 Ziele und Schwerpunkte
Mit der Neuordnung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes will der Gesetzgeber eine zeitgemaBe Rechtsgrundlage fur die Tatigkeit der Jugendhilfe schaffen.
Nicht mehr die reaktive Aufrechterhaltung der offentlichen Sicherheit und Ordnung, die Ausgrenzung problematischer Minderjahriger durch auBerfamiliare Unterbringung sind der zentrale Auftrag der Jugendhilfe. Im Mittelpunkt steht nun die generelle Ausrichtung, durch Hilfeangebote jungen Menschen das Hineinwachsen in die Gesellschaft zu erleichtern und Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben zu unterstutzen.
(vgl. Stadt Dormagen 2001, S. 33-34)
Dieser neu entstandene Erziehungsgedanke der Jugendhilfe gem. § 1 KJHG (§§ ohne Gesetzesangabe sind im Folgenden immer Bestimmungen des KJHG in der geltenden Fassung) wurde verkoppelt mit Leistungsanspruchen.
Durch die Festlegung der (rechtlichen) Anspruche von jungen Menschen und ihren Eltern sowie des Umfanges der zu gewahrenden Hilfeleistungen ist das heutige Jugendhilferecht zwischen Sozialpadagogik und Sozialrecht verortet. Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass das KJHG als achtes Buch in das Sozialgesetzbuch aufgenommen wurde (vgl. Kreft 1993, S. 29)
Allerdings findet sich im weitesten Sinne Kinder- und Jugendhilferecht in alien Gesetzen, die zum Ziel haben, Kinder und Jugendliche zu schutzen und zu fordern. Im engeren Sinne ist es aber das Recht, das im Achten Buch des SGB VIII geregelt ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden KJHG und SGB VIII vielfach synonym benutzt. Genaugenommen ist jedoch das KJHG das gesamte Kinder- und Jugendhilferecht, das reformiert worden ist. Das SGB VIII ist nur ein - wenn auch sehr grower - Teilbereich davon. (vgl. Oberloskamp/Adams.2001, S. 6)
Mit der Erweiterung des Aufgabenkataloges und seiner Handlungsspielraume konnte das KJHG auf traditionelle Trennungen und Begriffe verzichten; an die Stelle von Jugendfursorge traten die Bezeichnungen Erziehungshilfen und Offene Hilfen, an die Stelle von Jugendpflege die Begriffe Jugendarbeit und Jugendbildung. (vgl. Fieseler/Herborth 2001, S. 102)
Weitergehend macht der Gesetzgeber mit der Klarung in § 69 III deutlich, dass alle Angebote der Jugendhilfe dem Jugendamt als kommunaler Organisation zugeordnet werden.
1.2.2 Leistungsfelder
Die Leistungen der Jugendhilfe sind unverzichtbare Elemente, damit das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen, ihre gesellschaftliche Integration, ihr Erwerb von Wissen und sozialen Fahigkeiten und die Vorbereitung auf ihre zukunftige Verantwortung als Entscheidungstrager in einer demokratischen Gesellschaft gelingen. Familien konnen diese komplexen Aufgaben heute nicht mehr aus eigener Kraft leisten.
Sie brauchen mehr denn je die von der Jugendhilfe bereitzustellenden erganzenden, unterstutzenden und notigenfalls auch ersetzenden Leistungen und Hilfen. (vgl. bmfsfj 2002, S. 15) .
„Der Begriff 'Leistungen' steht in der Konsequenz von § 11 SGB I, wo die personliche und die erzieherische Hilfe zu den Dienstleistungen gezahlt wird" (Oberloskamp / Adams 2001, S. 21).
Hierbei legt das KJHG hauptsachlich funf Leistungsfelder der Jugendhilfe fest:
? Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz (§§ 11-14):
Schwerpunkt ist die auBerschulische Bildung von Jugendlichen (in allgemeinen, fachlichen, gesundheitlichen, kulturellen, sozialen, politischen und sportlichen Bereichen) durch Verbande, Gruppen und Initiativen der Jugendarbeit und offentlichen Trager der Jugendhilfe.
? Forderung der Erziehung in der Familie (§§ 16-21):
Es werden Unterstutzung und Beratung von Familien bei der verantwortungsbewussten Wahrnehmung ihrer Erziehung angeboten. Dieses Angebot reicht von Familienfreizeitgestaltung uber Beratung in Fragen der Partnerschaft bis hin zu unterstutzenden Institutionen (z. B. Mutter-Kind-Einrichtungen)
? Forderung von Kindern in Tageseinrichtung und Tagespflege (§§ 22-26):
Es werden Richtlinien fur die Arbeit in Tageseinrichtungen (Kindergarten, Horte und anderen Einrichtungen, in denen sich Kinder halb- oder ganztags aufhalten) und fur die Arbeit von Tagespflegepersonen (Personen, die das Kind halb- oder ganztags im eigenen oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten betreuen) vorgegeben.
Wahrend die oben genannten Bereiche als generelle Leistungen der Jugendhilfe zu verstehen sind und in erster Linie Forderungsangebote enthalten, gehoren die zwei nachfolgenden Leistungsfelder zu den individuellen Hilfen.
(vgl. Oberloskamp/Adams 2001, S. 21-22)
? Hilfen zur Erziehung und erganzende Leistungen (§§ 27-40), hierunter ist die gesetzliche Regelung zu verstehen bezuglich:
- Rechtsanspruch auf Erziehungshilfe (§ 27)
- detaillierte Hilfeangebote der Erziehungshilfen (§§ 28 - 35)
- Eingliederungshilfe (§ 35a)
Die Eingliederungshilfe bildet seit 01.04.1993 einen neuen Leistungstatbestand bei den Hilfen zur Erziehung (vorher der Sozialhilfe zugehorig). Kinder und Jugendliche, die entweder seelisch behindert oder von einer solchen
Behinderung bedroht sind, haben Anspruch auf Eingliederungshilfe und werden hiermit in die Jugendhilfe einbezogen. Da eine seelische Behinderung nicht in jedem Fall auch ein Bedarf an Erziehungshilfe beinhaltet, gilt der Leistungsanspruch gesondert und unabhangig von den Hilfen zur Erziehung. (vgl. Fieseler/Herborth 2001, S. 95).
- Mitwirkung und Mitgestaltung dieser Hilfen (§ 36)
- Zusammenarbeit aller an der Hilfe beteiligten Personen (§ 37)
- Ausubung der Personensorge (§ 38)
- Verpflichtung des Staates zu Unterhaltsleistungen fur das Kind oder den Jugendlichen (§ 39) im Falle einer Erziehung auBerhalb des Elternhauses und zur Krankenhilfe
? Hilfe fur junge Volljahrige und Nachbetreuung (§ 41):
In Zusammenhang mit Herabsetzung der Volljahrigkeit wird der Hilfebedarf von diesen jungen Menschen berucksichtigt. Bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres besteht ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, solange dies fur die eigenstandige Person- lichkeitsentwicklung notwendig ist. Daruber hinaus muss auch nach deren Beendigung mit einer Fortsetzungshilfe (langstens jedoch bis zum 27. Lebensjahr) die Verselbstandigung durch Beratung und Unterstutzung gewahrleistet werden. (vgl. Becker 1999, S. 10-12)
1.2.3 Hilfe im Schatten von Kontrolle
Anders als in der ehemaligen Fursorgekonzeption des JWG sind die Betroffenen nicht mehr Bittsteller, sondern Berechtigte, die in Verbindung mit dem neu entstandenen Erziehungsgedanken, entsprechend ihrer Bedurfnislage, die Jugendhilfe in Anspruch nehmen.
Was die Gesetzgebung in § 1 Abs. 3 scheinbar bruchlos und widerspruchsfrei aneinanderreiht, erweist sich bei naherem Hinsehen als ein anspruchsvoller, hochkomplexer und widerspruchlicher Auftrag." (Wiesner 1997, S. 211)
Durch das gesetzlich festgeschriebene und an unterschiedlichen Lebenslagen und Familiensituationen orientierte Leistungs- und Forderangebot soil das ' naturiiche Recht der Eltern', fur die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu sorgen und dieser Verpflichtung nach eigenen Vorstellungen und Moglichkeiten gerecht zu werden, Beachtung finden. (vgl. Fieseler/Herborth 2001, S. 93-94)
Das grundsatzlich verankerte Erziehungsrecht schafft aber keinen rechtsfreien oder willkurlichen Raum.
Im Mittelpunkt steht das Kindeswohl. Dieses bedeutet das Recht des Minderjahrigen auf Forderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenstandigen und gemeinschaftsfahigen Personlichkeit. Das Recht der Eltern ist somit in erster Linie eine Pflicht, die elterliche Verantwortung zum Wohle des Minderjahrigen wahrzunehmen. (vgl. Krieger 1994, S. 83)
Laut Artikel 6 II 2 GG / § 1 II schuldet die staatliche Gemeinschaft den Kindern und Jugendlichen - auch gegenuber deren Eltern - Schutz.
Der Auftrag, das Wohl (die Pflege) und das Aufwachsen (die Erziehung) von Minderjahrigen zu uberwachen, behalt somit fur die Jugendhilfe seine Gultigkeit. (vgl. Stadt Dormagen 2001, S. 33-34)
Die Oberwachung des Kindeswohles als Aufgabe des staatlichen Wachteramtes umfasst dabei die Ausubung von Hilfe im Schatten der Kontrolle. (vgl. Fieseler/Herborth, 2001, S. 62):
Der Staat, d. h. die Jugendhilfe, ist verpflichtet, die Eltern auf ihre Erziehungsverantwortung hinzuweisen und gegebenenfalls die erforderlichen Hilfen zu gewahren, bevor sie in das Elternrecht eingreifen darf. Unabhangig von der jeweils wahrzunehmenden Aufgabe, besteht der Auftrag der Jugendhilfe darin, das staatliche Wachteramt in erster Linie praventiv und in enger Kooperation mit Eltern und Minderjahrigen auszuuben. (vgl. Krieger 1994, S. 83-84)
Das Bundesverfassungsgericht hat 1988 ausgehend von Artikel 6 GG, der die Erziehung als Verpflichtung der Eltern bezeichnet, festgestellt, dass das dort ebenfalls normierte Wachteramt keinesfalls als Grundlage fur ein Eingriffsrecht, sondern als Verpflichtung zur Hilfestellung des Staates zu sehen ist. Dies bedeutet, dass gegenuber dem Eingriff in das Erziehungsrecht die unterstutzenden Erziehungshilfen in der Jugendhilfe vorrangig zu erfolgen haben. (vgl. Onnasch 1992, S. 82)
Aber wo gegen das Kindeswohl in schwerwiegender Weise verstoBen wird, muss Jugendhilfe zum Schutz von Kindern und Jugendlichen eingreifen und im Falle andauernder Gefahrdungen beim Familiengericht die notwendigen MaBnahmen erwirken. Die Anrufung des Vormundschaftsgerichtes gem. § 50 III geschieht mit dem Ziel, die rechtlichen Voraussetzungen dafur zu schaffen, dem Kind auch ohne Elternmitwirkung zu helfen, was faktisch in der Regel die Trennung des Kindes von seinen Eltern und seiner vertrauten Umgebung zur Folge haben wird - mit allen Konsequenzen. (vgl. Sozialreferat Munchen, 1997, S. 215)
Nach § 1666a BGB sind aber MaBnahmen, mit denen eine Trennung der Minderjahrigen von den elterlichen Familien verbunden ist, nur zulassig wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch offentliche Hilfe begegnet werden kann." (Krieger 1994, S. 180) „Ein Staat der die elterliche Erziehungsverantwortung ernst nimmt, kann nicht die Garantie dafur bieten, dass Kinder und Jugendliche in jeder Lebenslage vor Gefahren fur ihr Wohl geschutzt werden. Ein Staat, der einen uneingeschrankten Schutz des Minderjahrigen verspricht, kann dies nur um den Preis einer luckenlosen Oberwachung individueller Privatheit.(...).
Auch wenn im Konfliktfall die Interessen des Kindes vor den Interessen der Eltern Vorrang haben, so ergibt sich noch nicht zweifelsfrei, welche MaBnahme auch mittel- und langfristig dem Kindeswohl forderlich ist." (Sozialreferat Munchen 1997, S.212)
Der Angebotscharakter von Leistungen der Jugendhilfe ist jedoch nicht unverbindlich und verpflichtet das Jugendamt nicht zum Abwarten oder Nichtstun:
„Auch Leistungen haben Schutzfunktion. So wie Arzte ihren Patienten ins Gewissen redeten, ihnen klare Anweisungen fur ihr Verhalten gaben, auf Risiken und Nebenwirkungen hinwiesen, gehore es auch zum methodischen Vorgehen der Sozialarbeit, Forderungen zu stellen, Vereinbarungen zu treffen und die Folgen aufzuzeigen, die bei Nichtbeachtung drohten”. (Wiesner 1997, S. 215)
Der Begriff der Methode wird verstanden als „...das planmaBige Vorgehen zur Erreichung eines Ziel, eine spezifische Art und Weise zu handeln." (Schilling 1995, S. 65)
Die auf das gesamte KJHG bezogene Zielsetzung - das dominierende und eingreifende MaBnahmeninstrumentarium durch ein modernes und praventiv orientiertes Leistungsgesetz zu ersetzen - gilt in besonderer Weise fur den Bereich der Hilfen zur Erziehung (HzE).
Denn hier sind die klassischen Aufgaben der Jugendhilfe angesiedelt, die nun zum Auftrag haben, die Erziehungs- verantwortung der Personensorgeberechtigten zu starken, damit diese befahigt werden, ihren Erziehungsaufgaben wieder selbstandig nachkommen zu konnen.
(vgl. Stadt Dormagen 2001, S. 33-34)
„Im Spannungsfeld zwischen moglichst geringem Eingreifen in die Familie, bis an die Grenze der Kindeswohlgefahrdung § 1666 BGB, und der staatlichen Verpflichtung zum Schutz und zur Hilfe fur das Kind..." (Becker 1999, S. 12), ergeben sich aus dem KJHG laut § 27, der die Bestimmungen des Abschnittes uber die Hilfen zur Erziehung einleitet, folgende Regelungsschwerpunkte fur das Angebot der individuellen Hilfeleistungen.
1.2.4.1 Anspruch auf Erziehungshilfen
Erziehungshilfen werden in § 27 I definiert als Leistungsangebote fur solche Situationen, in denen eine Familie ohne eine soziale Hilfe von auBen, eine 'dem Wohl des Kindes angemessene Erziehung nicht gewahrleisten kann '.
Weitere Tatbestandsvoraussetzungen sind, dass die Hilfe fur die Entwicklung 'geeignet und notwendig ' sein muss.
Die ausschlaggebenden Grunde, dass eine Familie zur Sicherstellung des Wohls des Kindes oder Jugendlichen Hilfe benotigt, sind fur die Konstituierung des Rechtsanspruchs zunachst nicht von Belang. (vgl. Kunkel 1998, S. 1)
Bei der Kennzeichnung von Anspruchs- und Leistungs- voraussetzungen verzichtet das KJHG auf eine Defizitorientierung (Gefahrdung, Schadigung, Verwahrlosung), es wird eine Orientierung gefordert zugunsten der Definition konkreter Entlastungswunsche:
Dies als eine „... subjektiv empfundene ... Form des Angewiesen- Seins auf eine padagogische Hilfe ..." (Merchel 1998, S. 27-28) der betroffenen Eltern, Kinder und Jugendlichen.
Anspruchsberechtigt im Sinne des bestehenden Rechtsanspruches auf HzE sind aber nicht die Kinder und Jugendlichen selbst sondern ausschlieBlich die Personensorgeberechtigten.
„Dies sind i.d.R. die Eltern, da sie auch wahrend der Dauer einer Unterbringung im Rahmen einer HzE ungeschmalert das volle Personensorgerecht uber ihr Kind behalten."
(Landschaftsverband Westfalen-Lippe 1994, S. 195)
Auch wenn eine Gefahrdung schon oberhalb der Schwelle zur Kindeswohlgefahrdung liegt, ist die HzE nicht ausgeschlossen. Nur wenn Eltern nicht bereit oder fahig sind, an der Beseitigung der 'Mangeiiage' mitzuwirken, muss das Jugendamt einen Eingriff des Familiengerichtes herbeifuhren. Durch Anordnung des Vormundschaftsgerichts konnen sie zur Inanspruchnahme der Hilfe verpflichtet oder in ihrem Personensorgerecht beschrankt werden. (vgl. Kunkel 1998, S. 2-5)
Bei teilweisem oder vollstandigem Entzug des Personensorgerechtes, gem. § 50,3 i.V. mit § 1666 BGB, tritt an die Stelle der Eltern der Vormund oder Pfleger.
(vgl. Landschaftsverband Westfalen-Lippe 1994, S. 195)
Auf eine ' geeignete und notwendige Hiife' - nicht unbedingt die gewunschte - besteht ein einklagbarer Rechtsanspruch. Dies gilt im gleichen MaBe fur die Hilfe fur junge Volljahrige, gem. § 41 und die Eingliederungshilfe, gem. § 35a.
(vgl. Oberloskamp/Adams 2001, S.39)
Zwar erfolgt die Erfullung der HzE-Leistungen durch die Trager der offentlichen Jugendhilfe in Form der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den nicht staatlichen Leistungserbringern, den Tragern der freien Jugendhilfe. Allerdings richten sich gem. § 3 II Leistungsverpflichtungen, ergebend aus dem Rechtsanspruch, nur gegen den Trager der offentlichen Jugendhilfe, also dem Jugendamt. (vgl. BGH-Urteil 1991, S. 203)
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- Arbeit zitieren
- Ute Steinmetz (Autor:in), 2002, Hilfeplanung in der Jugendhilfe als Chance der aktiven Mitbestimmung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15632
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