Diese Arbeit schließt sich an das Proseminar „Denis Diderot und die französische
Aufklärung“ an und behandelt La Religieuse, welche im Jahre 1760 entstanden ist.
Bereits beim Betrachten der ‚Veröffentlichungsgeschichte’ bzw. der
‚Bearbeitungsgeschichte’ wird erkennbar, wie lange dieses Werk seinen Autor
beschäftigt hat.
Aus gegebenem Anlass, auf den ich im ersten Teil der Arbeit noch gesondert eingehen
werde, begann Diderot im November des Jahres 1760 mit dem Niederschreiben der
Religieuse. In einem Brief an Mme d’Epinay1 schrieb er wie folgt: « Je me suis mis à
faire la Religieuse et j’y étais encore à trois heures du matin. Je vais à tire-d’aile. Ce
n’est plus une lettre, c’est un livre. » (Diderot zitiert nach Desné 1968: 9)
Die erste Veröffentlichung sollte dann aber erst in den Jahren von 1780 bis 1783
erfolgen - und dies auch ‘nur’ als Feuilletonausgabe in der „Correspondance
littéraire“2.
Im Jahre 1781 war dann bereits eine zweite Überarbeitung des Buches durch Diderot
erfolgt, die er schließlich im Jahre 1783 nochmals zur Hand nahm.
Diese letzte Bearbeitung wurde dann im Jahre 1796 als Ganzfassung und posthum (im
Übrigen zur selben Zeit und vom selben Verleger wie „Jacques le Fataliste“)
veröffentlicht.
In dieser Arbeit sollen nun folgende Aspekte näher betrachtet werden, die bei der
Interpretation der Religieuse von Bedeutung sind.
Nach einer kurzen Inhaltsangabe werden im ersten Teil die Hintergründe bzw. die
Entstehungsgeschichte der Religieuse aufgedeckt. Wie kam es zur Wahl dieser
Thematik? Welche Aspekte der Biographie Diderots sind hier eventuell mit
eingeflossen?
Der zweite Teil beschäftigt sich folgend mit der Gattungsproblematik dieses Werkes,
wobei gesondert auf die Gattungen Memoiren- und Briefroman eingegangen werden
soll. Im letzten Teil soll schließlich die Zielstellung Diderots, in Anknüpfung an die
Diskussion des Begriffs der „sensibilité“ (einerseits als wirkungsästhetische Kategorie
des Romans und andererseits als normativer Bezugspunkt der Darstellung),
herausgearbeitet werden. Was genau ist gemeint, wenn man in Zusammenhang mit der
Religieuse von der ‚Pervertierung’ der sensibilité spricht?
1 Sie wird bei Desné (1968: 17) als Besitzerin des Salons vorgestellt, in dem Diderot und seine Freunde in
Paris regelmäßig verkehrten.
2 Eine handschriftlich verbreitete ‚Geheimrevue’, die ‚am europäischen Hof’ kursierte und nur
„Privilegierten“ zugänglich war. (vgl. Fontius 1978: 310)
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Inhaltsangabe von La Religieuse.
1. Hintergründe
1.1 Der »charmante Marquis«
1.2 Die Nonne(n)
2. Auf der Suche nach der Gattung
2.1 Form: Memoiren- oder Briefroman?
2.1.1 Memoirenroman
2.1.2 Briefroman
3. Die Religieuse und die „sensibilité“
3.1 Die „sensibilité“ als wirkungsästhetisches Ziel
3.2 Die „sensibilité“ als Normbezug im Roman: ‚Pervertierung’
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang
Einleitung
Diese Arbeit schließt sich an das Proseminar „Denis Diderot und die französische Aufklärung“ an und behandelt La Religieuse, welche im Jahre 1760 entstanden ist.
Bereits beim Betrachten der ‚Veröffentlichungsgeschichte’ bzw. der ‚Bearbeitungsgeschichte’ wird erkennbar, wie lange dieses Werk seinen Autor beschäftigt hat.
Aus gegebenem Anlass, auf den ich im ersten Teil der Arbeit noch gesondert eingehen werde, begann Diderot im November des Jahres 1760 mit dem Niederschreiben der Religieuse. In einem Brief an Mme d’Epinay[1] schrieb er wie folgt: « Je me suis mis à faire la Religieuse et j’y étais encore à trois heures du matin. Je vais à tire-d’aile. Ce n’est plus une lettre, c’est un livre. » (Diderot zitiert nach Desné 1968: 9)
Die erste Veröffentlichung sollte dann aber erst in den Jahren von 1780 bis 1783 erfolgen - und dies auch ‘nur’ als Feuilletonausgabe in der „Correspondance littéraire“[2].
Im Jahre 1781 war dann bereits eine zweite Überarbeitung des Buches durch Diderot erfolgt, die er schließlich im Jahre 1783 nochmals zur Hand nahm.
Diese letzte Bearbeitung wurde dann im Jahre 1796 als Ganzfassung und posthum (im Übrigen zur selben Zeit und vom selben Verleger wie „Jacques le Fataliste“) veröffentlicht.
In dieser Arbeit sollen nun folgende Aspekte näher betrachtet werden, die bei der Interpretation der Religieuse von Bedeutung sind.
Nach einer kurzen Inhaltsangabe werden im ersten Teil die Hintergründe bzw. die Entstehungsgeschichte der Religieuse aufgedeckt. Wie kam es zur Wahl dieser Thematik? Welche Aspekte der Biographie Diderots sind hier eventuell mit eingeflossen?
Der zweite Teil beschäftigt sich folgend mit der Gattungsproblematik dieses Werkes, wobei gesondert auf die Gattungen Memoiren- und Briefroman eingegangen werden soll.
Im letzten Teil soll schließlich die Zielstellung Diderots, in Anknüpfung an die Diskussion des Begriffs der „sensibilité“ (einerseits als wirkungsästhetische Kategorie des Romans und andererseits als normativer Bezugspunkt der Darstellung), herausgearbeitet werden. Was genau ist gemeint, wenn man in Zusammenhang mit der Religieuse von der ‚Pervertierung’ der sensibilité spricht?
Inhalt sangabe von La Religieuse
Suzanne , eine von drei Töchtern der Familie Simonin , wird von ihren Eltern in ein Kloster geschickt, nachdem offensichtlich wird, dass sich der Werber einer ihrer Schwestern vielmehr für sie, die jüngste Schwester, interessiert.
Nachdem nun die beiden älteren Schwestern verheiratet sind, hofft Suzanne, das Kloster wieder verlassen zu dürfen, muss jedoch erfahren, dass sie die ‚Frucht einer Verfehlung’ ihrer Mutter ist, weshalb jene ihr sämtliche Rechte auf eine Gleichbehandlung mit ihren Schwestern verwehrt und sie (gemeinsam mit Suzannes vermeintlichem Vater) zu überzeugen versucht, dem Nonnenstand ganz beizutreten. Trotz all ihrer Zweifel und inneren Ablehnung gegen diesen Stand, willigt Suzanne ein.
Doch am Tag ihrer Weihe (im Kloster Sainte-Marie ) kommt es zum ‚Skandal’: Suzanne weigert sich mitten in der Zeremonie die Gelübde abzulegen.
Wieder im Haus ihrer Eltern, wird sie mit Kälte gestraft. Sie führt ein erneutes Gespräch mit ihrer Mutter und willigt schließlich nochmals ein in ein Kloster zu gehen. Sie tritt dem Orden in Longchamp bei. (An die Zeremonie erinnert sie sich nur wie in Trance.)
Jedoch erschwert sich ihr Aufenthalt nach dem Tod der ihr vertrauten Oberin und der Ankunft ihrer zänkischen Nachfolgerin. Suzanne wird schlecht behandelt und entschließt sich nun, die Befreiung von ihren Gelübden vor Gericht einzuklagen, was ihr eine noch schlechtere Behandlung einträgt. Sie verliert letzendlich ihren Prozess und wird nach langen Quälereien (durch die Oberin sowie die anderen Nonnen) in ein anderes Kloster in Arpajon (Sainte-Eutrope ) versetzt.
Dort verliebt sich dann die Oberin in Suzanne und verfällt, in ständigem Konflikt mit sich und den ihr auferlegten Geboten, nach und nach dem Wahn. Nach dem Tod dieser Oberin verschlimmern sich die Umstände abermals für Suzanne. Sie kann mit Hilfe des Paters Dom Morel aus dem Kloster fliehen.
Nach einer anstrengenden und auch gefährlichen Reise kommt sie nach Paris, wo sie eine Unterkunft findet und mit dem Marquis de Croismare Kontakt aufnimmt, von dem sie sich Hilfe in ihrer misslichen Lage erhofft. [3] Jedoch stirbt sie schließlich an den Folgen einer sich bei der Flucht zugezogenen Verletzung, bevor der Marquis sie zu sich holen kann.
„ Am Anfang dieses Meisterwerks steht in der Tat – ein Scherz.“
(Fontius 1978: 311)
1. Hintergründe
Der Hintergrund, vor dem La Religieuse entstand, ist durchaus interessant und bedeutsam für das Verständnis dieses Werks.
In der französischen Ausgabe der Religieuse[4] gibt es hierzu ein einleitendes Kapitel von Roland Desné, in dem der Verfasser verschiedene Aspekte der Biographie Diderots bzw. reale Personen und Ereignisse vorstellt, die Einfluss auf dieses Werk gehabt haben bzw. gehabt haben könnten.
Als erstes wird dort die Geschichte des Marquis de Croismare[5] angeführt: « Il était une fois un charmant marquis, retiré de son château de Normandie, et regretté par des amis parisiens qui cherchaient les moyens de le faire revenir parmi eux » (Desné 1968: 17)
Dieser Marquis war der Anlass, aus dem heraus diese Geschichte überhaupt entstand – und es gab ihn wirklich.
Dies geht aus dem nachgestellten Vorwort zur Nonne (entnommen aus Grimms Correspondance littéraire von 1760) hervor. Genauere Informationen hierzu soll der folgende Abschnitt geben.
1.1 Der »charmante Marquis«
Die bereits oben angesprochenen Auszüge aus der « Correspondance littéraire de M. Grimm[7] », die sich im Anhang der Religieuse finden, verweisen auf folgenden Sachverhalt: [6]
Der Marquis de Croismare war ein Freund Diderots und der anderen Mitglieder des Salon d’Epinay. Er war in die Provinz (in die Nähe von Caen in der Normandie) gezogen, um dort verschiedene Angelegenheiten zu regeln. Jedoch, so heißt es bei Grimm, war seine versprochene Rückkehr mit der Zeit immer unwahrscheinlicher geworden:
(...) mais son séjour s’y prolongea insensiblement; il y avait réuni ses enfants; il aimait beaucoup son curé (...); vraisemblablement nous ne l’aurions jamais revu à Paris; (Grimm 1760: 210)
Man suchte nun also nach einem Mittel, den guten Freund zur Rückkehr nach Paris zu bewegen und entsann sich des Falls einer Nonne, die das Interesse des Marquis geweckt hatte, als sie im Jahre 1758 in einem Gerichtsprozess die Zurücknahme ihrer unfreiwillig abgelegten Gelübde gefordert und (wie wir aus dem folgenden Textausschnitt erfahren) diesen Prozess verloren hatte:
L’auteur [Diderot] (...) se rappela que, quelque temps avant son [Marquis] départ, on avait parlé (...)d’une jeune religieuse de Longchamp qui réclamait juridiquement contre ses vœux , auxquels elle avait été forcée par ses parents. Cette pauvre recluse intéressa tellement notre marquis, que, sans l’avoir vue, sans savoir son nom, sans même s’assurer de la vérité des faits, il alla solliciter en sa faveur tous les conseillers de grand’chambre du parlement de Paris. Malgré cette intercession (...) la sœur Suzanne Simonin perdit son procès; (Grimm 1760: 209f.)
Und genau an dieser Stelle setzen nun Diderot und die Mitglieder des Salons an:
Sie inszenieren eine Korrespondenz zwischen Suzanne und dem Marquis, indem sie ‚falsche’ Briefe verfassen, die den Marquis glauben machen, die junge Frau habe aus dem Kloster fliehen können und suche nun in äußerster Bedrängnis die Hilfe jenes Mannes, der sich bereits während ihres Prozesses für sie eingesetzt hatte.
Es entsteht ein Briefwechsel, der von Januar bis Mai des Jahres 1760 dauert (vgl. Fontius 1978: 312) und nicht wenig zum Amüsement der Freunde des Salon beiträgt:
Nous passions alors nos soupers à lire, au milieu des éclats de rire, des lettres, qui devaient faire pleurer notre bon marquis; et nous y lisions avec ces mêmes éclats de rire, les réponses honnêtes que ce digne et généreux ami lui faisait. (Grimm 1760: 210)
Der Appell an den Marquis bleibt nicht ohne Reaktion – auch wenn sich die Hoffnung auf seine Rückkehr nicht erfüllen soll...
Anstatt der Nonne nach Paris ‚zu Hilfe zu eilen’, trifft dieser vielmehr alle Vorbereitungen, um Suzanne zu sich auf sein Schloss in der Normandie zu holen.[8]
Um Zeit zu gewinnen, lässt Diderot Suzanne daraufhin erkranken (was ihr die schwere Reise in die Normandie unmöglich macht) und geht zu einem Briefwechsel zwischen dem Marquis und der Beschützerin[9] Suzannes über.
Als dann der „Scherz“ (vgl. Fontius 1978: 312) immer ernster und die Vorbereitungen des Marquis immer definitiver werden, ‚muss’ die Nonne sterben, ohne dass der Plan ihrer ‚Schöpfer’ aufgegangen ist.
Cependant, dès que nous nous aperçûmes que le sort de notre infortunée commençait à trop intéresser son tendre bienfaiteur, M. Diderot prit le partie de la faire mourir, préférant de causer quelque chagrin au marquis au danger évident de le tourmenter plus cruellement peut-être en la laissant vivre plus longtemps. (Grimm 1760:210)
Erst an die zehn Jahre später, bei seiner Rückkehr nach Paris, wird der Marquis, ausgelöst durch einen Zufall, die Wahrheit erfahren. Er trifft die vermeintliche Beschützerin Suzannes, Madame Madin, eines Tages bei einer Dame, die damals auch bei dem ‚Komplott’ dabei gewesen ist. Und wie er sich nun anschickt, diese nach der Nonne zu befragen, weiß diese von nichts.
Ce fut (…) le moment de notre confession générale et celui de notre absolution; (Grimm 1760 : 215)
(...) nous lui avons avoué ce complot d’iniquité; il en a ri, comme vous pouvez penser; le malheur de la pauvre religieuse n’a fait que resserrer les liens de l’amitié entre ceux qui lui ont survécu. Cependant il n’en a jamais parlé à Monsieur Diderot. (Grimm 1760 : 210)
1.2 Die Nonne(n)
Der charmante Marquis, wie ihn seine Freunde nannten, ist also eine authentische Figur. Und wie ist es mit der Nonne?
Aus Grimms Correspondance (1760: 209ff) erfahren wir, dass sich der Marquis für das Schicksal einer jungen Nonne interessiert hat, deren Namen er nicht einmal kannte und die Diderot kurze Zeit später als Anlass für die Mystifikation der Religieuse gedient haben soll. Ebenfalls ist uns nun bekannt, dass die junge Frau ihren Prozess damals verloren hat. Es gab also offensichtlich ein historisches ‚Vorbild’. Doch wer war das?
Der Name Suzanne Simonin wird von Grimm als ‚richtiger’ Name dieser Nonne gebraucht. Er schreibt, dass die Schwester „Suzanne Simonin“ damals trotz der Fürsprache des Marquis ihren Prozess verloren hatte: „(…) la sœur Suzanne Simonin perdit son procès“ (Grimm 1760: 210). Dies könnte daran liegen, dass er selbst nichts über die ‚historische Nonne’ wusste.
In sämtlichen aktuelleren Kommentaren zur Religieuse findet sich jedenfalls, der Name einer bestimmten Nonne, die im Jahre 1758 ihren Prozess verloren hatte. Sie hieß Marguerite Delamarre.[10]
[...]
[1] Sie wird bei Desné (1968: 17) als Besitzerin des Salons vorgestellt, in dem Diderot und seine Freunde in Paris regelmäßig verkehrten.
[2] Eine handschriftlich verbreitete ‚Geheimrevue’, die ‚am europäischen Hof’ kursierte und nur „Privilegierten“ zugänglich war. (vgl. Fontius 1978: 310)
[3] Dies ist auch die Ausgangserzählsituation des Romans: Die Nonne Suzanne schreibt an den Marquis de Croismare.
[4] Siehe Bibliographie zur Primärliteratur.
[5] Er ist der Adressat im Roman, an den der Brief der Suzanne gerichtet ist.
[6] Siehe Fontius 1978: 311.
[7] In der französischen Ausgabe wird dieser Anhang auf das Jahr 1760 datiert, in der deutschen auf 1770, was aber nichts an seinem Inhalt ändert.
[8] Es wird teilweise deutlich, dass Diderot (vielleicht als Folge der Verstrickung in die Mystifikation) Skepsis an der Echtheit der Briefe des Marquis äußerte, was aber in keiner Weise bestätigt wurde.
[9] Madame Madin in Versailles, die nichts von all dem wusste und deshalb später auch der Schlüssel zur Auflösung des „Komplotts“ wird.
[10] Diese Arbeit hat nicht zum Ziel, das Schicksal der Marguerite Delamarre zu erzählen, jedoch sei erwähnt, dass ihre Geschichte erst im letzten Jahrhundert von einem Forscher namens Georges May in Archiven entdeckt wurde, und diese nach Aussagen von Fontius (1978: 316ff) die Fiktion noch zu ‚übertreffen’ vermag.
- Quote paper
- Katharina Brehmer (Author), 2003, Denis Diderot - LA RELIGIEUSE, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15601
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