Laut zahlreichen Expertenmeinungen gilt es, Marketingkonzepte auf Grund steigender wirtschaftlicher Bedeutung von Frauen spezifischer auf deren Bedürfnisse auszurichten. Für Anbieter von Finanzdienstleistungen allgemein und speziell Versicherungen sind Frauen auf Grund zunehmender finanzieller Eigenkraft und vor allem im Bereich der Altersvorsorge eine besonders wichtige Anspruchsgruppe. Eine Schlüsselfunktion im kommunikativen Zugang zur finanziellen Vorsorgeberatung mit Versicherungen hat die Beratung.
Die Arbeit beschäftigt sich im theoretischen Teil mit der Aufarbeitung des Nutzens einer Zielgruppenfokussierung auf Frauen aus der Anbieter- und Kundinnenperspektive und einer Standortbestimmung diesbezüglicher Aktivitäten österreichischer Versicherungen. Im empirischen Teil wird der Frage nachgegangen, ob und in welcher Form Beraterinnen und Berater in Österreich frauenspezifische Ansprachestrategien in der Vorsorgeberatung anwenden. Aus den Ergebnissen lassen sich neu gewonnene Erkenntnisse über die Notwendigkeit bzw. Bedarfseinschätzung einer genderspezifischen Ausrichtung aus der Anbieter- und Beratungsperspektive ableiten und Schlussfolgerungen mit Bezug auf die theoretische Betrachtung ziehen.
Inhalts Verzeichnis
1 Einleitung
1.1 Themenrelevanz
1.2 Zielsetzung und Forschungsaufgabe
1.3 Aufbau der Master Thesis
1.4 Methodik der Master Thesis
2 Die neue kundenorientierte Fokussierung im Dienstleistungsmarketing
2.1 Der Wandel vom Transaktions- zum Beziehungsmarketing
2.2 Besondere Faktoren für das Dienstleistungsmarketing von Versicherungen
2.3 Der neue Stellenwert von Dienstleistungsqualität und Kundenbindung
2.4 Kundenbindung und Zielgruppensegmentierung
3 Die Zielgruppe Frau im Fokus der Marketingstrategien
3.1 Die Rahmenbedingungen in Österreich
3.2 Die Frau als bestimmender Wirtschaftsfaktor
3.3 Gender- Marketing als Instrument für frauenspezifische Ansprache
3.3.1 Begriffsdefinitionen von Gender und Gender-Marketing
3.3.2 Einsatz von Gender-Marketing
3.3.3 Frauen als Faktor für die Kundenbindung und als Werbeträger
4 Anspracherelevante Thesen zum unterschiedlichen Entscheidungsverhalten
4.1 Annahmen zum unterschiedlich verlaufenden Entscheidungsprozess
4.2 Informationsverarbeitung
4.3 Sensorik für Emotionen und nonverbale Signale
5 Das Finanzverhalten von Frauen und deren Relevanz für Vorsorgekonzepte
5.1 Die junge Entwicklung der ökonomischen Autonomie der Frauen
5.2 Erkenntnisse über das Finanz- und Vorsorgeverhalten von Frauen
5.2.1 Finanzielle Unabhängigkeit als primäres Lebensziel
5.2.2 Zuständigkeiten bei Geldangelegenheiten
5.2.3 Wissensdefizite und hoher Informationsbedarf
5.3 Beweggründe von Finanzanbietern zur Zielgruppenorientierung an Frauen
5.4 Verhaltensweisen von Frauen bei der finanziellen Vorsorge
5.5 Beratung als Schlüsselfaktor bei der Ansprache von Frauen
5.6 Frauenfinanzberatung im Studienvergleich
5.6.1 Genderspezifische Finanzberatung mit Fokus auf Altersvorsorge
5.6.2 Finanzdienstleistung als Unzufriedenheitskategorie
6 Die Zielgruppe Frau im Fokus der österreichischen Versicherungsbranche
6.1 Versicherungen - eine männerdominierte Branche
6.2 Frauenspezifische Aktivitäten österreichischer Versicherungen
6.2.1 Analysebasis
6.2.2 Beweggründe und Überblick der Aktivitäten zur Frauenfokussierung
6.2.2.1 Ansprache mittels frauenspezifischer Produktvorteile
6.2.2.2 visuelle und emotionale Ansprache durch Werbung
6.2.2.3 Vorsorgeveranstaltungen und Informationsabende für Kundinnen
6.2.2.4 Beratungsspezifische Aktivitäten und Beraterinnennetzwerke
7 Zusammenfassung der theoretischen Erkenntnisse und Hypothesenbildung
8 Der Beratungsansatz in der Vorsorgeberatung
8.1 Zielsetzung der Forschungserhebung
8.2 Wahl der Forschungsmethode
8.3 Die Parameter zur Auswahl der Befragungsgruppe
8.4 Befragungskonzept und Durchführung
8.5 Methode der Datenauswertung
9 Empirische Ergebnisse zum geschlechtsspezifischen Beratungsansatz
9.1 Allgemeine Faktoren zur Beratungsstrategie
9.2 Einschätzungen zur geschlechtsspezifischen Beratungsstrategie
9.3 Geschlechtsrelevante Faktoren für die Vorsorgeberatung
9.4 Zielgruppenmarketing für Frauen
10 Schlussfolgerungen und Perspektiven
10.1 Gegenüberstellung der Ergebnisse mit den Annahmen aus der Theorie
10.2 Die Beantwortung der Forschungsfrage
10.3 Perspektiven und weitere Ansätze
11 Literaturverzeichnis
12 Abbildungsverzeichnis
13 Tabellenverzeichnis
14 Anhang
14.1 Leitfaden Experteninterviews
„There are important inflection points in a woman’s life when money is in motion and when she most needs help and is open to change.”
„Key opportunities: providing women with information, respect and rewards.“[1]
Michael J. Silverstein & Kate Sayre
1 Einleitung
1.1 Themenrelevanz
Die demografischen und gesellschaftspolitischen Veränderungen führen zu einer steten Zunahme der beruflichen Eigenständigkeit, neuen Lebensformen, veränderten Lebenszyklen und einer wachsenden finanziellen Unabhängigkeit von Frauen.
In Österreich repräsentieren Frauen 51,6 % der österreichischen Bevölkerung[2]. In zahlreichen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Publikationen werden Frauen daher als immer stärker bestimmender Wirtschaftsfaktor für die nächsten Jahre und Jahrzehnte gesehen. Die stärkere Orientierung an Frauenbedürfnissen wird in der modernen Zukunftsforschung als einer der Megatrends des 21. Jahrhunderts bezeichnet.[3]
Die Zielgruppe Frau rückt deshalb immer stärker in das Interesse der Marketingstrategien. Um im Wettbewerb um diese wichtige Zielgruppe bestehen zu können, sprechen Marketingexpertinnen und -experten, wie beispielsweise Diana Jaffe, Faith Popcorn, Martha Barletta oder Tom Peters von einer notwendigen Fokussierung auf die besonderen Bedürfnisse der Frauen. Dazu zählt beispielsweise der Einsatz von strategischem Gender-Marketing. Branchen, die aus ihrer Historie heraus stärker männerorientiert sind, beginnen erst zögerlich ihre Konzepte nach dem unterschiedlichen Verhalten von Männern und Frauen bei Konsum- und Dienstleistungsentscheidungen auszurichten.
Dazu gehört auch der Finanzdienstleistungsbereich, dem basierend auf Studien und Analysen von Expertinnen und Experten sowie Konsumentinnenbefragungen eine eher unbefriedigende Widmung der weiblichen Zielgruppe attestiert wird. Gleichzeitig werden Frauen jedoch auf Grund zunehmender finanzieller Eigenkraft und Entscheidungsträger in Finanzangelegenheiten als besonders interessante und wichtige Zielgruppe für Anbieter von Finanzdienstleistungen gesehen. Die demografischen Veränderungen und die höhere Lebenserwartung von Frauen, aus der sich finanzielle Absicherungspotentiale für das Alter ergeben, machen Frauen für die Vorsorgeberatung speziell im Versicherungsbereich zu einer bedeutenden Anspruchsgruppe.
Die Beratungsstrategie der Versicherungsanbieter entwickelt sich zunehmend weg vom reinen Einzelproduktverkauf hin zu einer ganzheitlichen und lebensphasenbezogenen Gesamtbedarfsberatung. Dahinter steckt auch die Fokussierung auf das Beziehungsmarketing und der Strategie der Kundenbindung, der seit vielen Jahren auf Grund geänderter Rahmenbedingungen und einer verstärkten Wettbewerbssituation besondere Aufmerksamkeit in den Marketingkonzepten der Anbieter geschenkt wird. Daraus lässt sich die Verfolgung von Gender-Marketing als zielgruppenstrategischer Ansatz ableiten.
Einen wesentlichen Stellenwert haben hierbei der kommunikative Zugang und die direkte Ansprache speziell in der Beratungssituation im Umgang mit dem Thema Finanzen und Vorsorge. Die Betrachtung des Stellenwertes und die Gewinnung neuer Erkenntnisse über den Einsatz und der Einschätzung frauenspezifischer Ansprache in der Beratung von Finanzdienstleistungen, sowie der generelle Zugang von Frauen zur finanziellen Vorsorgethematik bilden den Schwerpunkt dieser Master Thesis.
Das Thema wurde mit dem persönlichen Hintergrund gewählt, zum Zeitpunkt der Erstellung der Master Thesis für den Kommunikationsbereich des österreichischen Bankversicherers Raiffeisen Versicherung zuständig gewesen zu sein. Zu dieser Funktion gehörte die kommunikative Unterstützung der 2003 gestarteten Fraueninitiative „Womanlife“. Obwohl sich diese Initiative sehr erfolgreich entwickelt hat und belegbare Verkaufserfolge damit verbunden sind, wird vereinzelt die Notwendigkeit, Frauen spezifisch anzusprechen, in Frage gestellt. Diese Arbeit soll daher neue belegbare und empirisch aufgearbeitete Ergebnisse dieser Thematik für den österreichischen Vorsorgemarkt mit Fokus auf die direkte Ansprache bringen.
1.2 Zielsetzung und Forschungsaufgabe
Zur Thematik frauenspezifischer Konzepte von Finanzdienstleistungsanbietern in Österreich sind derzeit nur wenige Beispiele zu finden. In Österreich hat 2006 die Raiffeisenbank Gastein begonnen sich als erste Frauenbank Österreichs mit eigenem Frauenberatungsbereich und spezifischen Beratungskonzept zu etablieren und stellt bis dato die einzige Ausprägung von Spezialisierung auf die Zielgruppe Frau in Österreich dar.[4] Es gibt in der Bankenbranche Österreichs ein paar weitere frauenorientierte Ansätze. In der österreichischen Versicherungsbranche lassen sich nach Eigenrecherche wenige Beispiele frauenorientierter Marketingkonzepte finden, die sich schwerpunktmäßig auf Produktvorteile konzentrieren.
Aus Studien, wie beispielsweise von Prognos AG, sehen Anbieter von Finanzdienstleistungen durchaus die Notwendigkeit, sich den Frauen und ihren spezifischen finanziellen Bedürfnissen zu widmen. Als Grund wird dafür vorwiegend der unterschiedliche Lebenszyklus der Frauen im Vergleich zu Männern genannt. Konkrete Konzepte werden jedoch erst spärlich umgesetzt.[5] Am zweiten internationalen Gender Marketing Kongress 2007 in Berlin bestätigte Thomas Pleines, Vorstandsmitglied der Allianz Deutschland AG, die stark gestiegene Bereitschaft in der Finanzdienstleistung, sich mit geschlechtsspezifischen Lebensläufen und der Fokussierung auf die Frauen auseinander zu setzen.[6]
Da es sich bei Versicherungen um Dienstleistungen und somit immaterielle Güter handelt, kommt dem direkten Kontakt mit der Kundin bzw. dem Kunden und somit der Beratung ein besonderer Stellenwert zu. Ob und in welcher Form sich die Beraterinnen und Berater in Österreich zielgruppenspezifisch Frauen in der Vorsorgeberatung widmen, ist noch nicht wissenschaftlich erarbeitet worden. Die Arbeit verfolgt daher die Forschungsfrage:
Inwieweit werden genderspezifische Faktoren für Frauen in Österreich im Rahmen der Vorsorgeberatung mit Versicherungen wahrgenommen und in der Ansprachestrategie berücksichtigt?
Die Master Thesis beschäftigt sich mit der Aufarbeitung relevanter Faktoren für eine frauenspezifische Ansprache im Vorsorgebereich mit Fokus auf die Beratung mit Versicherungen. Es geht um eine Standortbestimmung des Zuganges der Branche zu dieser Thematik. Annahmen über die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Entscheidungsverhalten von Frauen und Männern und der differenzierte weibliche Zugang zur finanziellen Absicherung sollen mittels einer empirischen Erhebung neue Ergebnisse für die Vorsorgeberatung in Österreich bringen.
Es gilt in dieser Arbeit der Frage nachzugehen, wie effizient eine spezifische Widmung der Frauen von den Anbietern mit Fokus auf die Beratung gesehen wird. Erfolgt seitens der weiblichen und männlichen Berater ein differenzierter Beratungszugang für weibliche Kundinnen und lässt sich daraus ein geschlechtsspezifisch relevanter Zugang zur finanziellen Absicherung von Frauen ableiten?
Eine weitere Zielsetzung der Arbeit ist die Gewinnung von Erkenntnissen, welche Faktoren für eine erfolgreiche Beratung ausschlaggebend sind und ob diese geschlechtsspezifisch relevant sind.
Die Ergebnisse und wichtigsten Aussagen aus der empirischen Erhebung werden in Folge den Erkenntnissen und Annahmen aus der Literatur gegenübergestellt.
Daraus werden Schlussfolgerungen und Empfehlungen über den Einsatz frauenspezifischer Ansprachestrategien in der Beratung und der Fokussierung auf die Zielgruppe Frau aus der Anbieterperspektive abgeleitet.
1.3 Aufbau der Master Thesis
Zur Erarbeitung der Forschungsfrage werden im theoretischen Teil in Kapitel 2 die besonderen Anforderungen für das Dienstleistungsmarketing mit Versicherungen erläutert. Was sind die wesentlichsten Faktoren, die zu einer stärkeren Ausrichtung der Versicherungsbranche auf das Beziehungsmarketing und zielgruppenorientierter Marketingkonzepte führen und beispielsweise die Frauen als besondere Zielgruppe definieren?
In Kapitel 3 werden die Begriffe Gender und Gender Marketing definiert und auf deren Verbreitung, ausgehend von den Vereinigten Staaten von Amerika hingewiesen. Unter Bezugnahme auf Gender Marketingstrategien sowie wirtschaftliche Faktoren und soziodemografische Rahmenbedingungen wird die Relevanz und der Nutzen einer Zielgruppenorientierung an Frauen beleuchtet.
Annahmen aus Studien und der Verhaltensforschung über die unterschiedlichen Entscheidungsprozesse von Frauen und Männern und sich daraus ergebende Anforderungen an eine frauenspezifische Ansprache sind Thema in Kapitel 4. Es wird nur auf einige Annahmen Bezug genommen, die für den empirischen Teil relevant sein könnten.
Kapitel 5 analysiert den Bedarf an frauenspezifischen Kommunikationskonzepten für Anbieter von Finanzdienstleistungen, basierend auf dem Finanz- und Vorsorgeverhalten von Frauen an Hand von Studien. Ebenso wird untersucht, welche Anforderungen und Präferenzen Frauen an die Finanzberatung stellen. Im Gegenzug dazu wird analysiert, welche Beweggründe Anbieter sehen, sich an der Zielgruppe Frau zu orientieren. Besondere Aufarbeitung wird einer Studie von Univ.Prof. Dr. Klaus Streek (Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin) zukommen. Er hat 2006 eine Studie zu genderspezifischen kommunikativen Aspekten in der Beratung zur Altersvorsorge durchgeführt.
Eine Analyse der gezielten Ansprache von Frauen österreichischer Versicherungen bildet den Inhalt des Kapitels 6. Dazu wurden die frauenspezifischen Aktivitäten der 20 größten Versicherungen Österreichs mit einem Marktanteil von knapp 90 % analysiert, wobei sich die Analyse auf Aktivitäten konzentriert, die im direkten Zusammenhang mit der Zielgruppe Frau als Konsumentin stehen (spezielle Verkaufsunterlagen, Internetbewerbung, Werbung, Kundinnenveranstaltungen und frauenspezifische Aktivitäten für die Beratung).
Im Kapitel 7 werden die wichtigsten Erkenntnisse der theoretischen Aufarbeitung zusammengefasst. Daraus werden Annahmen formuliert, die eine Basis für die Überlegungen zur Durchführung der empirischen Erhebung bilden.
Die Vorgangsweise und Begründung zur Wahl der Forschungsmethode, der Befragungsgruppe und der Methode zur Datenauswertung sind Thema des Kapitels 8.
Die aus der empirischen Erhebung gewonnenen Erkenntnisse werden im Kapitel 9 nach Kategorien zur Forschungsthematik dokumentiert.
Im Kapitel 10 erfolgt eine Zusammenfassung und eine Gegenüberstellung der empirischen Ergebnisse zu den Erkenntnissen aus der Literatur und die konkrete Beantwortung der Forschungsfrage. Es werden Schlussfolgerungen und Empfehlungen für den Einsatz frauenspezifischer Ansprache gegeben und weitere Untersuchungsmöglichkeiten in Betracht gezogen. Zum Abschluss erfolgt eine kritische Reflexion zu den Eindrücken der Erhebung und den Ergebnissen bzw. zu auffallenden Besonderheiten.
1.4 Methodik der Master Thesis
Die Basismethode für den theoretischen Teil ist die Literaturanalyse. Bei der empirischen Untersuchung geht es um authentische Informationsgewinnung zur Beantwortung der Forschungsfrage die durch die Befragten repräsentiert wird. Als Forschungsmethode zur Datenerhebung wird die qualitative Befragung gewählt.
Für die empirische Erhebung wird eine Fallstudie mit Beraterinnen und Beratern österreichischer Raiffeisenbanken gewählt. Zur Untersuchung wird eine Stichprobe mit 15 weiblichen Beraterinnen und 15 männlichen Beratern der österreichischen Raiffeisenbanken durchgeführt, die seit mindestens drei Jahren in der Versicherungsberatung tätig sind und sowohl Männer als auch Frauen beraten.
Die Befragung wird in Form eines leitfadenorientierten und persönlichen (face to face) Experteninterviews durchgeführt. Damit wird dem Interview eine Gesprächsstruktur in Richtung des Forschungsinteresses gegeben. Mittels möglichst offener Beantwortungsmöglichkeit ist eine Tiefenperspektive durch den Befragten für den neu zu erforschenden Bereich gegeben.
Die Form als Experteninterview wird gewählt, da die Befragten über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Kundinnen und Kunden verfügen. Sie sind durch die aktive Beratungstätigkeit im Prozess der gezielten kommunikativen Ansprache von Frauen, die im Fokus der Forschung liegt, entscheidend eingebunden und verantwortlich.
Die Befragten stellen eine exemplarische Zielgruppe für verallgemeinerbare Aussagen zum kommunikativen Beratungsansatz in Versicherungsangelegenheiten dar.
Zur Befragungsunterstützung wird ein Leitfaden erstellt, der sich in die Themenbereiche, kommunikative und strategische Ansätze in der Beratung, in frauenspezifische Ansprüche in der Beratung und in frauenspezifische Marketingkonzepte für Frauen unterteilt.
Zur Datenauswertung wird das Modell von Meuser und Nagel einer interpretativen Auswertungsstrategie für leitfadenorientierte Expertinneninterviews verwendet.[7] Die Datenaufbereitung und in Folge Ergebnisdarstellung erfolgt in einem sechsteiligen Prozess.
2 Die neue kundenorientierte Fokussierung im Dienstleistungsmarketing
2.1 Der Wandel vom Transaktions- zum Beziehungsmarketing
Die wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft hat in den letzten Jahren zu neuen Entwicklungen im differenzierten Einsatz von Marketinginstrumenten geführt. Eine Konzeption aus den klassischen Marketinginstrumenten Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Vertriebspolitik zur Marktbearbeitung aus der Sicht der Anbieter berücksichtigt in dieser transaktionsorientierten Sichtweise vielfach nicht die Erwartungen und Ansprüche der Kundinnen und Kunden. Der primäre Ansatzpunkt in der Marktbearbeitung wird daher im Dialog und der Beziehungsart des Unternehmens zu seinen Kundinnen und Kunden gesehen. In der Marketingwissenschaft wird von einem Paradigmenwechsel vom Transaktions- zum Beziehungsmarketing gesprochen, welches als Relationship Marketing bzw. Customer Relationship Management (CRM) bezeichnet wird.[8] Das Relationship Marketing befasst sich mit der Steuerung von Kundenbeziehungen:
„Relationship Marketing umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Intensivierung und Wiederaufnahme sowie gegebenenfalls der Beendigung von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen - insbesondere zu den Kunden - des Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen. “[9]
Einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des Beziehungsmarketings hat der Dienstleistungsbereich, da Beziehungspflege in diesem Segment ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist. Im Beziehungsmarketing erfolgt daher der Einsatz der Marketinginstrumente unter einer stärkeren Berücksichtigung der unterschiedlichen Phasen einer Geschäftsbeziehung zu den Kundinnen und Kunden.[10]
Aus der Fokussierung auf den Kunden und seinen Bedürfnissen als Ausgangspunkt der Marketingstrategien resultiert letztlich eine eventuell verfolgte geschlechtsspezifische Kundensegmentierung.
2.2 Besondere Faktoren für das Dienstleistungsmarketing von Versicherungen
Bei Dienstleistungen handelt es sich in der Regel um immaterielle Güter, die eigentliche Kernleistung ist im Prinzip nicht greifbar.[11]
Versicherungen sind dem Dienstleistungsbereich zuzuordnen. Durch den Abschluss einer Versicherung überträgt der Versicherungsnehmer ein ungewisses, aber eventuell einzutretendes und mit Geldwert definierbares Risiko an den Versicherer.
Bei Versicherungen vereinbart man vertraglich einen Versicherungsschutz bzw. ein Leistungsversprechen. Dieses Leistungsversprechen ist während der gesamten Vertragslaufzeit aufrecht und wird in der Regel erst greifbar, wenn der vertraglich definierte Versicherungsfall eintritt und die dafür vorgesehene Leistung erbracht wird. Versicherungen haben einerseits den Zweck Vermögensvorsorge zu treffen (z.B. Kapitallebensversicherungen, Pensionsvorsorgepläne, Kindervorsorge, Pflegevorsorge etc.). Andererseits sichert man sich finanziell gegen eventuell eintretende Risiken ab (z.B. Freizeitunfall mit Dauerinvalidität, Autounfälle mit Sach- und Personenschaden, Einbruch und Diebstahl, Ablebens- und Hinterbliebenenvorsorge etc.). Die Versicherungsleistung ist in diesen Fällen mit einem unangenehmen Erlebnis des Versicherten bzw. der Hinterbliebenen (Schmerzen, Todesfall, Verlust von Vermögenswerten etc.) und der Neigung der persönlichen Verdrängung verbunden. Dies erschwert die Attraktivität des Dienstleistungsprodukts Versicherung. Auch das Bedürfnis nach notwendiger finanzieller Absicherung mag objektiv bei der Kundin bzw. dem Kunden vorhanden sein, subjektiv ist der Bedarf jedoch nur unterschwellig vorhanden bzw. wird wie erwähnt verdrängt.[12]
Weitere Besonderheiten für die Versicherung als Dienstleistung ergeben sich aus der grundsätzlich langfristigen Bindung und dem hohen Erklärungsbedarf von Versicherungsinhalten. Versicherungsverträge werden beispielsweise in der Lebensversicherung oft für zehn, zwanzig oder mehr Jahre hinaus abgeschlossen. Die Bestimmungen und Leistungsbedingungen versicherter und nicht versicherter Risiken in Versicherungsverträgen sind oft juristisch geprägt und für den Kunden nicht einfach verständlich.[13]
Das Marketing im Dienstleistungsbereich wird daher allgemein und speziell im Versicherungsbereich von besonderen Faktoren beeinflusst. Es gilt die Leistungsfähigkeit des Dienstleistungsanbieters ebenso zu dokumentieren, wie auch eine konstante Dienstleistungsqualität sicherzustellen. Dies ist insbesondere bei persönlichen und individuellen Dienstleistungen, wie beispielsweise der Beratung für Versicherungen, eine zentrale Herausforderung für das Marketing. Die Qualität der Dienstleistung ist wiederum wesentlich von der Qualifikation, Schulung und Motivation der Mitarbeiter abhängig.
Besonderer Stellenwert ist daher der persönlichen Kommunikation als expliziter Teil der Dienstleistungserstellung zuzusprechen. Eine zentrale Rolle im Dienstleistungsmarketing spielt der Kunde selbst, da er sich direkt in den Dienstleistungsprozess einbringt und somit aktiv oder passiv das Ergebnis beeinflusst. Imagemerkmale und die Mundpropaganda haben für die Kaufentscheidung aufgrund meist objektiv nicht überprüfbarer Qualität einen wesentlichen Einfluss.[14]
2.3 Der neue Stellenwert von Dienstleistungsqualität und Kundenbindung
Der hohe Stellenwert des Beziehungsmarketings und der verstärkten Auseinandersetzung mit zielgruppenspezifischen Marketingkonzepten resultiert aus den in den letzten Jahrzehnten geänderten Rahmenbedingungen für die Finanzdienstleistungsbranche und deren spezifischen Auswirkungen auf das Dienstleistungsmarketing.
Speziell im Finanzdienstleistungsbereich stellt die Beratung, mit der wesentliche kommunikative Aspekte verbunden sind, einen zentralen Faktor der Dienstleistungsqualität dar. Als strategischer Erfolgsfaktor von Dienstleistungsanbietern wird die Dienstleistungsqualität auf Grund geänderter Rahmenbedingungen eine weiter wachsende Bedeutung erhalten.
Als wesentliche Einflussfaktoren zur Neuorientierung im Marketingprozess der Finanzdienstleistungsbranche allgemein und der Versicherungswirtschaft im speziellen können diesbezüglich die sich zum Teil auch gleichenden Szenarien von Bruhn, Puschmann, Trumpfheller, Duttenhöfer und Keller zusammengefasst werden:
- Zunahme des Wettbewerbes: Große international tätige Unternehmen, und neue innovative Anbieter treten in den Markt ein. Die Intensivierung des Wettbewerbs im Finanzdienstleistungsgewerbe schreitet kontinuierlich weiter voran.[15] Durch das niedrige Zinsniveau auf den Kapitalmärkten verstärkt sich der Wettbewerbsdruck der Versicherungen im Anlagebereich.[16]
- Konzentrationsprozess im Anbieterbereich: Die Zusammenschlüsse im Anbieterbereich von Versicherungen haben bereits zu größeren Mitbewerbern und einer stärkeren Marktdurchdringung mit weiter anhaltender Tendenz geführt. Damit sind Kosteneinsparungen im Verwaltungsbereich verbunden. Ebenso kostensenkend wirkt sich der Konzentrationsprozess der Anbieter auf den Schadensverlauf aus, da eine Schadenswahrscheinlichkeit besser einschätzbar ist. Allerdings sind in diesen Bereichen Kostendegressionen nur bis zu einem gewissen Grad möglich.[17] Die letzten Jahre der Finanzanbieter waren stark von der Konzentration auf interne Abläufe und Prozesse, vorwiegend Kostenoptimierungsprozesse geprägt. Die Aspekte Kunde und Vertrieb traten in den Hintergrund. Als wichtige Wettbewerbsfaktoren werden künftig Vertriebskosten und Vertriebsleistungen inklusive Serviceleistungen gesehen.[18]
- Kooperationsprozess im Finanzdienstleistungsbereich: Am Finanzdienstleistungssektor sind seit Jahren verstärkt Kooperationen zwischen Versicherungen und anderen Finanzdienstleistungsanbietern, vorwiegend Banken („Bankassurance“) zu verzeichnen. Durch diese Verbindungen ergeben sich neue branchenübergreifende Produktangebote und eine verstärkte Nutzung der Vertriebskapazitäten.[19] Eine zunehmende Verflechtung der Finanzdienstleistungsbranche und die Forcierung von Allfinanzangeboten (Kunde kann von einem Anbieter in allen finanziellen Angelegenheiten Angebote annehmen) ist die Folge.[20]
- Marktsättigung: Die in den 1980er und 1990er Jahren im Vergleich zum Bruttosozialprodukt hohen Wachstumsraten der Versicherungswirtschaft gehören der Vergangenheit an. Wenngleich der Altervorsorge noch ein entsprechendes Marktpotential zugesprochen wird, ist in den übrigen Sparten eine weitgehende Marktsättigung gegeben.[21]
- Homogenisierung des Dienstleistungsangebots: Dienstleistungen sind wegen der Nichtgreifbarkeit und immateriellen Beschaffenheit relativ einfach kopierbar und stellen somit kein sicheres Unterscheidungsmerkmal zum Mitbewerb dar.[22] Versicherungen sind demnach von den Marktmitbewerbern und vom Anbieter selbst in vielfacher Form kopierbar.[23]
- Verstärkte Markttransparenz: Die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologien ermöglicht Kundinnen und Kunden einen raschen und unkomplizierten Informations- und Erfahrungsaustausch im Dienstleistungsangebot. Diese Markttransparenz und negative Erfahrungen mit der Dienstleistungsqualität erschweren zunehmend die Kundenbindung.[24] Verbraucherschutzorganisationen tragen zudem durch eine verstärkte Sensibilisierung der Kunden auf bestimmte Problembereiche, Vertragsbedingungen und Veranlagungsrisiken zur besseren Aufklärung der Kundinnen und Kunden bei.[25]
- Deregulierung: Vor Realisierung des EU-Binnenmarktes unterlagen Versicherungsprodukte und Preise der Kontrolle und Genehmigung durch die Versicherungsaufsichtsbehörde. Durch die Deregulierung auf Grund des erweiterten EU-Binnenmarktes und des Entfalls der Genehmigung von Tarifen und Bedingungen ist es zu einer Fülle von Versicherungsangeboten und Tarifen gekommen, die sich wiederum erschwerend auf die Markttransparenz auswirken.[26]
- Wertewandel: Die demografische Entwicklung und die Tendenz der Überalterung der Bevölkerung führen zu einer weiteren Zunahme der Bedeutung von Altersvorsorgeprodukten und neuen Herausforderungen, speziell für Banken, die sich in diesem Segment mit anderen Vorsorgespezialisten - vorwiegend Versicherungen - in einem stärkeren Wettbewerb als in der Vergangenheit befinden.[27] Zudem müssen die Gelder für die Altersvorsorge von den Kundinnen und Kunden künftig systematischer und zielgerichteter gespart werden.[28] Veränderte Lebensformen führen zu einer Veränderung in der Nachfrage und Ansprache für Versicherungsleistungen.[29]
- Trend zum Individualismus: Nicht nur das Konsum- und Freizeitverhalten ist vom zunehmenden gesellschaftlichen Wandel und Trend nach Individualisierung geprägt, sondern ebenso die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden. Die Wechselbereitschaft trotz hoher Zufriedenheit mit dem Anbieter ist vor allem im Kfz-Versicherungsbereich zu bemerken. Die sinkende Bereitschaft, langfristige Bindungen einzugehen, wirkt sich ebenfalls auf den Versicherungsbereich aus.[30]
- Höhere Kundenerwartungen: Eine konstant hohe Produktqualität wird von den Kundinnen und Kunden als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Die Differenzierung vom Mitbewerb erfolgt durch zusätzliche Serviceleistungen. In diesem Bereich sind die Ansprüche und Erwartungen seitens der Kundinnen und Kunden erheblich gestiegen.[31]
- Hoher Stellenwert der Lebensqualität: Gesamtgesellschaftlich streben Konsumentinnen und Konsumenten nach besserer Lebensqualität. Dienstleistungsunternehmen, die einen Beitrag in Form von Leistungsangeboten zur Verbesserung des Komforts oder der Zeitersparnis bieten, weisen überdurchschnittliches Wachstum auf.[32]
Auf Grund dieser geänderten Rahmenbedingungen nimmt neben der Neukundengewinnung, die langfristige Kundenbindung einen zentralen Stellenwert der Marketingpolitik im Dienstleistungsgewerbe ein:
„Erfahrungen haben gezeigt, dass letztlich nur durch eine in diesem Sinne konsequente Kundenorientierung Chancen zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen bestehen. Dienstleistungen tragen demnach nur dann zum ökonomischen Erfolg bei, wenn hierdurch tatsächlich Wettbewerbsvorteile erlangt werden können. ‘[33]
2.4 Kundenbindung und Zielgruppensegmentierung
Für die Anbieter von Vorsorge- und Versicherungslösungen hat die Kundenorientierung und vor allem die Kundenbindung aus den oben genannten Rahmenbedingungen und aus den Gründen einer höheren Rentabilität (es sind im Durchschnitt etwa um das fünffache höhere Kosten für die Neukundengewinnung als für die Pflege von bestehenden Kunden aufzuwenden[34] ) einen strategisch besonderen Stellenwert eingenommen.
Nach Homburg/Bruhn wird Kundenbindung wie folgt definiert:
„Kundenbindung umfasst sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens, die darauf abzielen, sowohl die Verhaltensabsichten als auch das tatsächliche Verhalten eines Kunden gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistungen positiv zu gestalten, um die Beziehung zu diesem Kunden für die Zukunft zu stabilisieren bzw. auszuweiten. ‘[35]
Die Bedeutung der Kundenorientierung zeigt sich ebenso in einer 2003 vom deutschen Managementberatungsunternehmen Mummert Consulting durchgeführten Studie unter Versicherungsunternehmen. 79 % der Befragten gaben an, dass Kundenbindung und Kundenwertentwicklung für das Unternehmen sehr bedeutende Strategien sind.[36]
Die Verfolgung eines Kundenbindungsmanagements mit dem Ziel einer intensivierten Auseinandersetzung mit seinen Kernzielgruppen, führt zu einer Differenzierung im Sinne eines Zielgruppenmarketings:
„Durch die sich ändernden Rahmenbedingungen erhalten Zielgruppenmanagement, CRM und Vertriebscontrolling eine deutlich herausragende Rolle.[37]
Zielgruppenmarketing bedeutet im Prinzip eine Verfeinerung der Marktsegmente. Werden beispielsweise vom Versicherungsanbieter die Kunden in die Segmente Privat- und Firmenkunden eingeteilt, so kann eine weitere Differenzierung der Privatkunden nach beispielsweise soziodemografischen Daten wie Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildung, Beruf etc. erfolgen.[38]
Eine Segmentierung der Kunden im Finanzanbieterbereich wie am Beispiel der Banken in Privat- und Firmenkunden ist auf Grund der geänderten Rahmenbedingungen nicht ausreichend. Innerhalb der Segmentierung Privat- und Firmenkunden ist eine weitere Segmentierung und Orientierung an den einzelnen Themenfeldern der Kundinnen und Kunden notwendig. Diese weitere Spezifizierung ist in den Vertriebsprozess zu integrieren.
Für die Segmentierung nach spezifischen Kundenbedürfnissen im Vertriebsprozess sind Möglichkeiten des Kundenzugangs nach Hol-, Bring-, oder initiiertes Bringgeschäft zu berücksichtigen. Die Beratung in der Vermögensbildung und ganz speziell der Altersvorsorge, um die es schwerpunktmäßig in dieser Arbeit geht, ist als klares Holgeschäft zu bezeichnen (siehe Tabelle 1).[39]
Der Berater muss aktiv auf die Kundin bzw. den Kunden zugehen, selbst wenn diesen bewusst ist, dass sie Maßnahmen zur Altersvorsorge treffen müssen bzw. selbst initiativ werden sollten. Das Thema wird meist verdrängt und hinausgeschoben.
Daher ist es die Aufgabe der Beraterin bzw. des Beraters, hier die Initiative zu ergreifen, für die Vorsorgethematik zu sensibilisieren und den Kunden mit Konzepten dort abzuholen, wo sich der Kunde in seinem jeweiligen Bedürfnisfeld befindet.[40]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Nachfragefelder eines typischen Privatkunden und dazugehörender Vertriebsprozess
Quelle: Schraudner, 2004, S. 319.
Der direkte Kontakt und somit die direkte Kommunikation mit der Kundin bzw. dem Kunden spielt bei immateriellen Gütern, wie es Versicherungen mit oft langfristigen Anlagehorizonten und weit in der Zukunft liegenden prognostizierbaren Leistungen sind, eine Schlüsselfunktion. Die „Materialisierung“ der Versicherung erfolgt daher primär durch den konkreten Ansprechpartner, der Beraterin bzw. den Berater. Nicht Produkte sind vorwiegend ausschlaggebend in der Kundenbeziehung, da die Kundin bzw. der Kunde von deren Qualität als Selbstverständlichkeit ausgeht, sondern spezifische Bedarfsorientierung am Kunden und emotionale Aspekte.
In den folgenden Kapiteln werden Faktoren beleuchtet, die für oder gegen eine zielgruppenspezifische Segmentierung der Finanzvorsorgeanbieter nach Geschlecht relevant sein können.
3 Die Zielgruppe Frau im Fokus der Marketingstrategien
3.1 Die Rahmenbedingungen in Österreich
Frauen bilden mit 51,6 % knapp die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung. Die Lebenserwartung von Frauen und Männern steigt weiter kontinuierlich an. Sie lag 2006 für Frauen bei 82,7 Jahre und liegt derzeit 5,6 Jahre über jener der Männer.
Das Durchschnittsalter der Frauen wird im Jahr 2030 bei 47 Jahren liegen (im Vergleich dazu lag dieser Wert 2004 bei 42 Jahren).
Neue Lebensformen wie unverheiratete Partnerschaften, Single-Haushalte, Alleinerzieherinnen sind stark im Anstieg. 2006 waren nur 63 % beider Partner bei der Ersteheschließung ledig (1965 lag dieser Wert noch bei 80 %). Das mittlere Erstheiratsalter bei Frauen liegt derzeit bei 28,6 Jahren. Die Zahl der Scheidungen hat sich seit 1960 mehr als verdoppelt. Jede zweite Ehe wird bereits geschieden. Jede neunte Frau von 40 bis 49 Jahre ist alleinerziehende Mutter (bei Männern sind dies nur 2 %). Singlehaushalte steigen altersbedingt bei Frauen stark an.[41]
Die stärkere Verbreitung neuer Lebensformen und späterer Eheschließungen sind eine Folge zunehmender Bildung und Erwerbstätigkeit österreichischer Frauen.
Das Bildungsniveau der Frauen ist stark angestiegen, der Anteil von Frauen und Männern die Matura haben ist nahezu gleich hoch. Frauen weisen einen erfolgreicheren Bildungsweg auf als Männer. 56 % der Matura- und 54,4 % der Universitätsabschlüsse werden bereits von Frauen absolviert.
Der Anteil von Hausfrauen ohne Erwerbstätigkeit ist drastisch von 27 % im Jahr 1951 auf 9 % im Jahr 2006 gesunken (unter 1.000 Männern finden sich im Vergleich lediglich 2 Hausmänner). Seit 50 Jahren ist in Österreich eine deutliche Zunahme der Erwerbsbeteiligung von Frauen, die über eigenes Einkommen verfügen, zu verzeichnen. Die Erwerbsquote der Frauen betrug 2006 45 % (im Vergleich zu 35 % im Jahr 1951), obwohl Frauen genauso länger in Ausbildung sind und früher in den Ruhestand treten als in früheren Jahren. Die Erwerbstätigenquote betrug 2006 bei den 15- bis 64jährigen Frauen 64 % (bei Männern 77%).
Markant ist vor allem die erhöhte Erwerbsbeteiligung der Frauen im mittleren Alter. 1961 standen fünf von zehn Frauen im Alter von 25 bis 50 Jahren im Erwerbsprozess, 2006 waren es bereits acht von zehn Frauen. Die Tatsache, dass 76 % der berufstätigen Frauen im Alter von 15 bis 59 Jahre Kinder haben, verdeutlicht die starke Erwerbsbeteiligung von Müttern in Österreich. 1971 lag dieser Wert bei 44 %. 82 % der Alleinerzieherinnen sind vorwiegend aus ökonomischen Gründen erwerbstätig. Die Teilzeitarbeit hat unter Frauen stark zugenommen, 2006 waren 40 % teilzeitbeschäftigt (nur 7 % Männer).
Die Frau als Unternehmerin weist steigende Tendenz auf. 2003 waren 34 % aller selbstständig erwerbstätigen Personen weiblich. Dem gegenüber stehen wegen des hohen Teilzeitanteils und nach wie vor geringerer Bezahlung im Vergleich zu Männern finanzielle Benachteiligungen, die sich in der Absicherung und Altersvorsorge auswirken. Frauen erreichen im Durchschnitt nur rund 60 % jenes Einkommen der Männer. 2005 lag das mittlere Bruttojahreseinkommen (Median) von unselbstständig erwerbstätigen Frauen bei EUR 16.296,-- (Männer EUR 27.375,--). Alleinerziehende Mütter zählen in Österreich zur größten Armutsrisikogruppe. Die Pension von Frauen liegt um ca. 41 % unter jener der Männer.[42]
Laut EU-Genderbericht 2009 verdienten Frauen 2007 in Österreich im Vergleich zu Männern um 25,5 % weniger. Dies ist der zweithöchste Gehaltsunterschied innerhalb der EU-27 Staaten, der EU-Durchschnitt liegt bei 17,4 %.[43]
Die in diesem Kapitel aufgezeigten geänderten Rahmenbedingungen verdeutlichen die wachsende Eigenständigkeit der Frauen im finanziellen und gesellschaftlichen Bereich und deren gesamtwirtschaftlichen Einfluss. Die höhere Lebenserwartung, die einkommensspezifischen Benachteiligungen und Absicherungsdefizite infolge Scheidung, Kinderbetreuung, Teilzeit und Pensionsansprüche, machen Frauen für die Vorsorgeberatung zu einer wichtigen Zielgruppe.
3.2 Die Frau als bestimmender Wirtschaftsfaktor
Frauen sind wegen ihrer wirtschaftlich steigenden Bedeutung und den Kaufentscheidungen, die in vielen Bereichen primär von Frauen getroffen werden, zu einer besonders wichtigen Zielgruppe von Marketingstrateginnen und -strategen geworden.
„A quiet economic and social revolution is taking place. Worldwide 1 billion women work (...). This economy represents the most important commercial opportunity in our lifetime. ’[44]
Frauen kontrollieren weltweit Konsumausgaben von 20 Billionen USD. Keinem regionalen Markt und keinem anderen Kundensegment wird ein derart hohes Marktpotential eingeräumt wie den rund 3,3 Milliarden Frauen weltweit. Das Einkommen der Frauen weltweit ist mehr als doppelt so groß wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von China und Indien zusammen und wird weiter steigen (siehe Abb. 1).[45]
„We believe that the 1 billion working women across the globe will continue to gain economically, will drive fundamental changes in markets, and, worldwide, will spend an incremental $5 trillion or more on goods and services of all kinds.”[46]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Fraueneinkommen und BIP im Vergleich
Quelle: Vgl. Silverstein/Sayre, 2009b, S. 43.
Amerikanische Studien, wie beispielsweise die “Association for Women’s Business Owners“ sind zu der Erkenntnis gelangt, dass Frauen mit bis zu 80 % weit höher für die Konsumentscheidungen im Haushalt zuständig sind als Männer.[47] Diana Jaffe verweist in ihrem Buch „Der Kunde ist weiblich“auf eine Studie des Meinungsforschungsinstituts „GfK‘ aus Deutschland, wonach Frauen 90 % der Kaufentscheidungen über alle Güter des täglichen Bedarfs treffen.[48]
Der deutsche Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx spricht vom 21. Jahrhundert als Jahrhundert der Frauen, da die zentrale Ressource Bildung in den letzten 30 Jahren von den Männern zu den Frauen umverteilt worden ist. Die Bildungsoffensive der Frauen wird in Folge in die eigene Berufskarriere investiert. Durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und der vermehrten Verfügbarkeit von eigenem Einkommen wird die wirtschaftliche Bedeutung zusätzlich erhöht.[49]
Da es zu einem Wechsel in den Berufsbildern kommt und klassische Industrieberufe wegfallen, wird auf andere Qualifikationen wie Organisationstalent, emotionale Intelligenz und Kooperationsfähigkeit mehr Wert gelegt. Diese Faktoren werden Frauen verstärkt zugesprochen.[50]
„Frauen sind keine Minderheit, sondern die eigentlichen Konsum-Pioniere. Ihre wachsende Kaufkraft sowie das massiv steigende Heiratsalter machen sie zu den neuen „KernKonsumentinnen“, die in immer mehr Branchen den Ton angeben.“[51]
Das Bewusstsein über die steigende wirtschaftliche Bedeutung der Frauen hat einen Umdenkprozess bei Anbietern von Produkt- und Dienstleistungen in Gang gesetzt. Unternehmen setzen sich verstärkt mit den spezifischen Bedürfnissen und Wünschen dieser Zielgruppe auseinander und haben zum Teil begonnen, ihre Marketingkonzepte genderspezifisch auszurichten.
3.3 Gender- Marketing als Instrument für frauenspezifische Ansprache
3.3.1 Begriffsdefinitionen von Gender und Gender-Marketing
Der Begriff „Gender“ kommt aus dem angloamerikanischen Raum und hat sich erst in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum als Kategorie eingebürgert. Eine gleichbedeutende Übersetzung von „Gender“ und die angloamerikanische Unterscheidungsmöglichkeit zwischen „sex“ und „Gender“ im Sinne von biologischem und sozialem Geschlecht gibt es im Deutschen nicht.[52]
Im englischen Sprachraum steht „Gender“ für die kulturelle Definition von Geschlecht. Das soziale Geschlecht und die Geschlechterkultur und ist vom biologischen Geschlecht „sex“ grundlegend zu unterscheiden. Durch die Loslösung der biologischen Betrachtung des Geschlechts und Berücksichtigung der sozialen Komponente erfolgt mit „Gender“ ein fließenderer Übergang zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit im Gegensatz zu dem was früher klischeehaft und klar kategorisiert als „männlich“ und „weiblich“ galt.[53]
Die Veränderungen in den Geschlechterrollen und in den gesellschaftlichen Verhaltensweisen spiegeln sich in den wirtschaftlichen Handlungen wider. Dies hat Auswirkungen auf das Konsum- und Entscheidungsverhalten von Männern und Frauen und führt zur Ausrichtung neuer Marketingstrategien. Dazu ist auch das Gender-Marketing zu zählen:
„Gender-Marketing ist die Verbindung zwischen einem aufgebrochenen Geschlechterbild mit den daraus resultierenden Chancen und Herausforderungen marktseitig und dem Dialog mit den Kunden und Kundinnen sowie den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen unternehmensseitig. Diese Verknüpfung ermöglicht die Entwicklung, die Produktion und den Vertrieb von geschlechtssensiblen Produkten und Dienstleistungen.[54]
3.3.2 Einsatz von Gender-Marketing
Gender-Marketing ist zu einem neuen Trend geworden, der unter sehr unterschiedlichen Ansätzen von den Unternehmen verfolgt wird. Vorreiter der Gender-Marketingbewegung sind die Vereinigten Staaten von Amerika, die diesbezüglich dem europäischen Raum um viele Jahre voraus sind. Die meisten Beispiele eines erfolgreichen Einsatzes von frauenspezifischen Marketingkonzepten sind in diesem Kontinent zu finden. Die etablierten Expertinnen und Experten in diesem Bereich, wie beispielsweise die Trendforscherin Faith Popcorn oder der Management-Vordenker Tom Peters agieren in Amerika. Tom Peters hat bereits Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in seinen Büchern „The Circle of Innovation“ die Frauen als „Chance Nr. 1“ bezeichnet und auf deren Kaufkraft (Frauen sind für gut die Hälfte des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts der Handels- und Konsumwaren verantwortlich) und eines frauenbedarfsgerechten Umdenkens hingewiesen.[55]
Gender-Marketing verfolgt eine grundsätzliche Marktbetrachtung aus der Sicht von weiblichen und männlichen Kunden. Wesentlicher Unterschied ist somit die Betrachtungsweise aus der Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten und nicht aus jener des Unternehmens. Gender-Marketing erforscht in welcher Weise und unter welchen Kaufentscheidungseinflüssen Produkte oder Dienstleistungen von Frauen und Männern bevorzugt genutzt, welche Ansprachen bevorzugt und welche Anforderungen an das Preis- Leistungsverhältnis gestellt werden. Somit wird der gesamte Marketing-Mix umfasst.[56]
Die Herausforderung des Gender-Marketings ist nicht in der einfachen Etikettierung der Produkte nach „Frauen- oder Männerprodukt“ zu sehen, sondern im Kundinnen- und Kundendialog, um bereits im Entwicklungsstadium Vorstellungen und Wünsche an Produkte und Dienstleistungen und somit die veränderten gesellschaftlichen Rollenzuweisungen zu berücksichtigen.[57]
Branchen, deren Produkte oder Dienstleistungen eng mit dem biologischen Geschlecht in Verbindung stehen, wie beispielsweise die Modebranche, Kosmetik, Friseure oder Fitness-Center, haben ihre Marketingstrategien zum Teil bereits gendergerecht ausgerichtet. Branchen die aus ihrer Historie heraus stark männlich geprägt sind, wie beispielsweise die Automobilindustrie, die Computer- und Softwareindustrie und ganz speziell die Finanzdienstleistungsanbieter (auf die im Kapitel 5 ausführlicher eingegangen wird) haben größere Schwierigkeiten, den Blickwinkel der Frau einzunehmen.[58]
Viele Unternehmen sehen nach wie vor keinen Bedarf an der spezifischen Orientierung an Frauen. Dies begründet die Marketingexpertin Diana Jaffe damit, dass sich diese Unternehmen über das reale Potenzial der Frau als Unternehmenskapital schlicht und einfach nicht bewusst sind. Wenn die Kundenstruktur aus 80 % Männern besteht, wird leicht der Entschluss gezogen, dass Männer daher die primäre und beste Zielgruppe sind:
„Dabei ignorieren sie die Tatsache, dass sie sich in der Vergangenheit nie ernsthaft um andere Märkte gekümmert haben. Ihr Verhalten mündet automatisch in einer selbst erfüllenden Prophezeiung[59]
Während in den Vereinigten Staaten und in den skandinavischen Ländern Gender Marketing bereits erfolgreich eingesetzt wird, ist dieser Ansatz im deutschsprachigen Raum noch in den Anfängen.
Im April 2006 fand in Berlin der erste internationale Gender-Marketing Kongress statt, um die Chancen und Sinnhaftigkeit dieser neuen Marketingbewegung an Hand von „Best Practice“ Beispielen und Expertenvorträgen zu diskutieren.[60] Beim darauffolgenden zweiten internationalen Gender Marketing Kongress 2007 wurde der wirtschaftliche Nutzen dieses zielgruppenspezifischen Marketings für die Finanzdienstleistungsbranche betont. Nach Marktanalysen des deutschen Versicherers Allianz sind Versicherungen in einem gemeinsamen Haushalt eher auf den Mann abgeschlossen und Frauen oft deshalb nicht ausreichend abgesichert. Vorhandene Produkte dürften nicht einfach mit einer Etikettierung für Frauen oder Männer versehen werden, sondern sollten sich nach den Bedürfnissen der jeweiligen Lebensphasen ausrichten.[61]
3.3.3 Frauen als Faktor für die Kundenbindung und als Werbeträger
Gerade für das Beziehungsmarketing und die vielfach verfolgten Strategien zur Kundenbindung werden Frauen als wichtige Zielgruppe gesehen. Für die Marketingexpertin Diana Jaffe ist nicht nur der Treuegrad, sondern auch der Weiterempfehlungsgrad von Frauen höher als bei Männern, wenn Frauen mit einem Produkt bzw. einer Dienstleistung zufrieden sind. Frauen bleiben einem Anbieter solange treu, solange das Produkt oder die Dienstleistung ihrer Zuneigung entspricht. Sie werden den Anbieter an Bekannte und Freundinnen weiterempfehlen, da Frauen ihre Zufriedenheit gerne mit anderen teilen und andere an positiven Erlebnissen Teil haben lassen wollen. Sie werden optimale Argumente für das Produkt bzw. die Dienstleistung in ihrer Weiterempfehlung anbringen, da sie die Bedürfnisse ihrer Bekannten gut kennen:[62]
„Diese Weiterempfehlung ist die denkbar überzeugendste und günstigste Werbung, die ein Unternehmen sich nur wünschen kann.[63]
Bei Frauen ist die Weiterempfehlungswahrscheinlichkeit dreimal so hoch, wie bei Männern. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage, des internationalen Marktforschungsinstitut Yankelovich. 70 % der Frauen glauben, die besten Informationen über ein neues Produkt von jemandem zu erhalten, der es bereits besitzt.[64]
Für die Zufriedenheit und Treue von Kundinnen und Kunden ist die Erfüllung oder Übererfüllung von deren Erwartungen ein wesentliches Kriterium. Es werden nicht Produkte oder Dienstleistungen gekauft, sondern Ergebnisse und Lösungen für deren Bedürfnisse oder Wünsche und deren erlebte Leistungserbringung.[65]
Die Rentabilität einer Fokussierung auf die Zielgruppe Frau könnte nicht nur aus wirtschaftlichen Belangen, sondern ebenso aus der Sicht der Kundenbindung und einer damit verbundenen stärkeren Bedarfsorientierung begründet werden.
4 Anspracherelevante Thesen zum unterschiedlichen Entscheidungsverhalten
Die genetischen Informationen von Frauen und Männern sind zu über 99 % identisch. Im Prinzip besteht nur eine geringe Abweichung von weniger als 1 % in den Genen von Frauen und Männern. Dieses winzige Prozent zeigt laut der amerikanischen Hirnforscherin Louann Brizendine sehr wesentliche unterschiedliche Verhaltensweisen in der Wahrnehmung, im Gefühlsausdruck und in den gedanklichen Prozessen von Frauen und Männern auf.[66]
Im Rahmen von Gender-Marketing weisen Marketingexpertinnen und -experten in ihren Publikationen mit Bezug auf Ergebnissen aus wissenschaftlichen Forschungen darauf hin, dass Bedürfnisse von Männern und Frauen ähnlich oder gleich sein können, aber Unterschiede im Kauf- und Entscheidungsverhalten zwischen den Geschlechtern zu verzeichnen sind. Auf einige häufig genannte Hypothesen wird in diesem Kapitel eingegangen, da sie im direkten kommunikativen Kontakt in der Beratung, mit der sich der empirische Teil beschäftigt, relevant sein können.
4.1 Annahmen zum unterschiedlich verlaufenden Entscheidungsprozess
Gender-Consumer-Forscher haben gegen Ende der 1990er begonnen, männliche und weibliche Kaufentscheidungen näher zu untersuchen und sind zu der Annahme gelangt, dass Männer und Frauen einen anderen Zugang zur Gewinnung von Informationen und in Folge deren Verarbeitung haben. Laut den Untersuchungsergebnissen verlaufen weibliche Entscheidungsprozesse, im Gegensatz zur vorwiegend linear verlaufenden männlichen Denkweise, eher zirkulär oder spiralförmig (siehe Abb. 2, Darstellung übernommen von Eva Kreienkamp, angelehnt an Martha Barletta und Philipp Kotler).
Nach Eva Kreienkamp formulieren Frauen demnach weniger konkrete Annahmen über ihre Wünsche. Sie fragen generell häufiger um Rat als Männer. Im Vordergrund stehen Fragenstellung und genaues Zuhören, gefolgt von kritischer Hinterfragung.
Sie verbinden Informationen, die aus technischer Sicht nicht unbedingt zusammengehören zu scheinen und wechseln im Gespräch die Position.[67]
Dies führt häufig dazu, dass vor allem männliche Berater und Kundinnen miteinander kommunizieren ohne sich zu verstehen. Beraterinnen treten hingegen beim Gesprächsbeginn eher in die Beziehungsebene als gleichrangige Gesprächspartnerin ein. Der Austausch persönlicher Erfahrungen hat hier ebenso eine wichtige Bedeutung wie der fachliche Inhalt.[68]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Annahme über den unterschiedlich verlaufenden Entscheidungsprozess bei Männern (angelehnt an Barletta und Kotler) und Frauen (angelehnt an Barletta)
Quelle: Kreienkamp, 2007, S. 99ff.
Die amerikanische Anthropologin Helen Fisher nennt in ihrer Theorie für das von ihr bezeichnete „Netzwerkdenken“ der Frauen und das „Treppendenken“ der Männer evolutionsbedingte Gründe. Männer beschäftigten sich in Fishers Annahme ursprünglich mit der Jagd und der Verteidigung gegenüber anderen Stämmen, wofür ein konzentriertes und zielgerichtetes Vorgehen notwendig war. Frauen erlernten laut Fisher mehrere Tätigkeiten (z.B. Essen kochen, Feuerstelle bewachen, Kinder betreuen, auf Gefahren und Schutz der Kinder achten) gleichzeitig zu absolvieren und ebenso parallel mehrere Signale aufzunehmen.[69]
Nach Meinung von Faith Popcorn benötigen Frauen das Sammeln vieler Detailinformationen, um daraus Zusammenhänge zu erstellen. Die gesammelten Informationen werden gegeneinander abgewogen. Dies bewirkt, dass Frauen weniger impulsiv und rasch Entscheidungen treffen als Männer.[70]
4.2 Informationsverarbeitung
Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden auch in der Verarbeitung von Informationen angenommen. Helen Fisher vertritt die Hypothese, dass Frauen in erweiterten, gesamtheitlich zu betrachtenden Zusammenhängen denken. Frauen ziehen dadurch weit verstärkter als Männer detaillierte Einzelheiten aus der unmittelbaren Umgebung in diese Gesamtsicht mit ein.[71] Ein Zusammenhang besteht für Louann Brizandine in der unterschiedlichen Verarbeitung von Reizen. Ihrer Ansicht nach aktivieren Frauen andere Gehirnschaltkreise und nehmen sich mehr Zeit als Männer die gesammelten Eindrücke zu verbildlichen, um zu einer Antwort zu kommen.[72]
4.3 Sensorik für Emotionen und nonverbale Signale
Der Hippocampus, jener Teil des Gehirns, der für die Verarbeitung von Emotionen und die Entstehung von Erinnerungen und Gefühlen verantwortlich ist, weist nach Aussagen von Louann Brizendine bei Frauen eine stärkere Ausprägung auf. Das gilt ebenso für die Beobachtung von Emotionen bei anderen Personen. Frauen haben für die Hirnforscherin daher eine hohe Fähigkeit Emotionen und Gefühle zu äußern und auszudrücken.[73] Für Diana Jaffe verfügen Frauen über ein breiteres Wahrnehmungsspektrum für nonverbale Signale wie Mimik, Gestik, Atmosphäre der Umgebung und Stimmung des Gesprächspartners. Deshalb sind nach Annahme von Jaffe Frauen wesentlich feinfühliger und nehmen Unstimmigkeiten und nonverbale Informationen, beispielsweise in einer Beratung, häufiger wahr als Männer. Bereits bei Betreten eines Raumes wird alles darin Befindliche wahrgenommen und einer gleichzeitigen Analyse unterzogen.[74]
Unterschiedliche Wahrnehmungssensibilität und Abläufe im Entscheidungsprozess könnten nicht nur wichtige Kriterien für den kommunikativen Ansatz im Beratungsprozess sein, sondern ebenso Auswirkungen auf das Finanzverhalten und den Zugang zur finanziellen Vorsorgethematik zeigen, mit dem sich das nächste Kapitel beschäftigt.
[...]
[1] Silverstein/Sayre, 2009a, S. 180.
[2] Vgl. Statistik Austria, 2010.
[3] Vgl. Horx, 2009.
[4] Vgl. Aigner/Kremser, 2009, S. 125ff.
[5] Vgl. Prognos AG, 2006, 63ff.
[6] Presseinformation 2. Internationaler Gender Marketing Kongress, 13.9.2007, Berlin, http://www.gendermarektingkongress.de/presse.html (8.3.2010)
[7] Meuser/Nagel, 2005, S. 80.
[8] Vgl. Bruhn, 2009a, S. 30f.
[9] Bruhn, 2009b, S. 10.
[10] Vgl. Bruhn, 2009a, S. 31.
[11] Vgl. Bruhn, 2008, S. 20 f.
[12] Vgl. Puschmann, 2003, S. 14.
[13] Vgl. ebenda
[14] Vgl. Bruhn, 2009a, S. 34 f.
[15] Vgl. Bruhn, 2008, S. 4f.
[16] Vgl. Trumpfheller, 2005, S. 3f.
[17] Vgl. Puschmann, 2003, S 11.
[18] Vgl. Duttenhöfer/Keller, 2004, S. 2f.
[19] Vgl. Puschmann, 2003, S. 12.
[20] Vgl. Trumpfheller, 2005, S. 4.
[21] 1 Vgl. Puschmann, 2003, S. 9.
[22] Vgl. Bruhn, 2008, S. 4f.
[23] Vgl. Puschmann, 2003, S. 14.
[24] Vgl. Bruhn, 2008, S. 4f.
[25] Vgl. Duttenhöfer/Keller, 2004, S. 3.
[26] Vgl. Trumpfheller, 2005, S. 2.
[27] Vgl. Trumpfheller, 2005, S. 6.
[28] Vgl. Duttenhöfer/Keller, 2004, S. 4.
[29] Vgl. Puschmann, 2003, S. 9.
[30] Vgl. Trumpfheller, 2005, S. 7.
[31] Vgl. Bruhn, 2008, S. 4f.
[32] Vgl. Bruhn, 2008, S. 5.
[33] Bruhn, 2008, S. 5.
[34] Vgl. Meffert, 2008, S. 160.
[35] Homburg/Bruhn, 2008, S. 8.
[36] Vgl. Trumpfheller, 2005, S. 11f.
[37] Duttenhöfer/Keller, 2004, S. 4.
[38] Vgl. Puschmann, 2003, S.
[39] 35f. Vgl. Schraudner, 2004, S. 314ff.
[40] Vgl. Schraudner, 2004, S. 314ff.
[41] Vgl. Statistik Austria, 2007, S. 4ff.
[42] Vgl. Statistik Austria, 2007, S. 9ff.
[43] Vgl. European Commission, 2009, S. 36.
[44] Silverstein/Sayre, 2009a, S. 5.
[45] Vgl. Silverstein/Sayre, 2009b, S. 43.
[46] Silverstein/Sayre, 2009a, S. 3.
[47] Vgl. Kreienkamp, 2007, S. 44.
[48] Vgl. Jaffe, 2005, S. 103f.
[49] Vgl. Horx, 2002, S. 1f.
[50] Vgl. ebenda
[51] Horx, (zit. nach: Muthers, 2009, S. 100).
[52] Vgl. Stephan, 2006, S.
[53] Vgl. Kreienkamp, 2007, S. 12.
[54] Kreienkamp, 2007, S. 15.
[55] Vgl. Peters, 2002, S. 395ff.
[56] Vgl. Jaffe, 2005, S. 17ff.
[57] Vgl. Jaffe, 2005, S. 16.
[58] Vgl. Kreienkamp, 2007, S. 61.
[59] Jaffe, 2005, S. 53.
[60] Presseinformation 1. Internationaler Gender Marketing Kongress, 27.4.2006, Berlin, http://www.gendermarektingkongress.de/presse.html (8.3.2010)
[61] Presseinformation 2. Internationaler Gender Marketing Kongress, 13.9.2007, Berlin, http://www.gendermarektingkongress.de/presse.html (8.3.2010)
[62] Vgl. Jaffe, 2005, S. 62.
[63] Jaffe, 2005, S. 62.
[64] Vgl. Popcorn, 2001, S. 35.
[65] Vgl. Emberger/Kromer, 1999, S. 25.
[66] Vgl. Brizendine, 2007, S. 11.
[67] Vgl. Kreienkamp, 2007, S. 99ff.
[68] Vgl. Kreienkamp, 2007, S. 99ff.
[69] Vgl. Fisher, 2000, S. 32f.
[70] Vgl. Popcorn, 2001, S. 137, 243.
[71] Vgl. Fisher, 2000, S. 23.
[72] Vgl. Brizendine, 2007, S. 16f.
[73] Vgl. Brizendine, 2007, S. 17.
[74] Vgl. Jaffe, 2005, S. 33., 125.
- Quote paper
- MSc Wolfgang Haas (Author), 2010, Genderspezifische Ansprache von Frauen in der finanziellen Vorsorgeberatung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153717
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