Der Neubeginn an der Technischen Hochschule nach 1945 ist geprägt von den Demontagen durch die sowjetische Besatzungsmacht und der Entnazifizierung des Lehrkörpers. Er würde sich nicht nachvollziehen lassen, wenn man die Jahre des Nationalsozialismus nicht in die Betrachtung einbeziehen würde. Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden soll nach einem allgemeinen Teil zur Geschichte der TH Dresden zwischen Kriegsende und Wiedereröffnung im Herbst 1946 versucht werden, die Entwicklungen, die für die Hochschulen in Deutschland insgesamt zutrafen, durch zwei biographische Skizzen zu verdeutlichen. Dazu sollen die Werdegänge von Kurt Beyer und Willy Gehler betrachtet werden. Beide waren während mehrerer Epochen deutscher Zeitgeschichte als ordentliche Professoren an der Bauingenieurabteilung bzw. der Fakultät für Bauwesen der TH tätig. Beide hatten auffällige Parallelen in ihren Karrieren und doch verliefen diese im „Dritten Reich“ und in der SBZ/DDR verschieden. Es soll untersucht werden, ob sich an diesen Lebensläufen das Verhältnis von Kontinuität und Umbruch in der deutschen Wissenschaft nach 1945 erkennen läßt. Eine entscheidende Frage dabei wird sein: Waren deutsche Wissenschaftler und Ingenieure „politisch“ oder „unpolitisch“? Es wird auf diese Frage keine befriedigende Antwort geben können, zumal der Begriff politisch in diesem Zusammenhang anders definiert werden soll, als das in der Auseinandersetzung mit der Funktion von Wissenschaft und Technik im allgemeinen geschieht. „Politisch“ soll hier als Indikator für politische Betätigung, die Zugehörigkeit zu politischen Organisationen und das Vorhandensein von politischen Überzeugungen verstanden werden. Nach dieser Definition kann ein Forscher also durchaus als unpolitisch gelten, auch wenn er in einer Diktatur seiner Arbeit nachgeht und diese durch sein Handeln stützt.
Das Bild des unpolitischen Wissenschaftlers ist ein Selbstbild dieses Berufsstandes. Es diente zum Teil der eigenen Rechtfertigung für das Arrangieren der deutschen Bildungseliten mit dem Nationalsozialismus. Die Annahme, daß genau dieses Anpassen politisches Handeln gewesen ist, bezieht sich jedoch auf die Funktion der Wissenschaft in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation, nicht auf die Einstellung und weltanschauliche Gesinnung des einzelnen. Es steht außer Zweifel, daß sich die deutsche Intelligenz vom nationalsozialistischen Staat vereinnahmen ließ und dies nicht ohne die Vereinnahmung des einzelnen funktionieren konnte.
Inhalt
Einleitung
Gegenstand und Zielstellung der Arbeit
Forschungsstand
Der Wiederbeginn an der Technischen Hochschule Dresden
Ausgangspunkt: Die TH am Ende des Zweiten Weltkrieges
Die TH Dresden nach dem 8. Mai 1945
Zusammenfassung
Kurt Beyer
Curriculum vitae Friedrich August Kurt Beyer
Kindheit, Studium, Assistenz und Arbeit im Ausland (1881-1919)
Kurt Beyer als Dresdner Hochschullehrer und Ingenieur (1919-1945)
Kontinuität im neuen System – Kurt Beyer im „Dritten Reich“
Kurt Beyer und der Neubeginn an der TH Dresden nach
Resümee
Willy Gehler
Das Wirken Gehlers bis zu seiner Berufung an die TH Dresden
Willy Gehler in der Zeit des Nationalsozialismus
Gehler nach 1945: Entlassung und Bemühen um Rehabilitation
Der „Persil-Schein“ vom 9. Mai 1946: Gehler ein Antifaschist?
Zwei Facetten des unpolitischen Wissenschaftlers? – Der Versuch eines Vergleiches
Exkurs: Entnazifizierung von Hochschullehrern in Ost und West
Hochschulentnazifizierung in der SBZ
Der Umgang mit NSDAP-Mitgliedern in den westlichen Besatzungszonen
Schlussbetrachtung
Bibliographie
I. Quellen
Nicht veröffentlichte Quellen
Veröffentlichte Quellen
II. Literatur
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
Einleitung
Gegenstand und Zielstellung der Arbeit
Die Technische Universität Dresden begeht im Jahr 2003 den 175. Jahrestag ihrer Gründung. Eine wesentliche Zäsur in ihrer Geschichte, wie in der deutschen und Weltgeschichte überhaupt, stellt das Jahr 1945 dar. Mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und der sich abzeichnenden Teilung Deutschlands waren tiefe Umbrüche verbunden, die auch das Hochschulwesen rudimentär veränderten. Trotzdem gab es für einige Zeit noch erstaunliche Kontinuitäten in der Forschung, aber auch bei den akademischen Eliten. In dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, dieses Spannungsfeld zwischen radikaler Erneuerung und dem Überleben alter Strukturen am Beispiel der Technischen Hochschule Dresden (so der Name der Einrichtung bis 1961) zu betrachten. Die Arbeit fügt sich damit in eine Reihe von Untersuchungen zur TU ein, die universitätsintern in letzter Zeit entstanden sind, respektive entstehen.
Der Neubeginn an der Technischen Hochschule nach 1945 ist geprägt von den Demontagen durch die sowjetische Besatzungsmacht und der Entnazifizierung des Lehrkörpers. Er würde sich nicht nachvollziehen lassen, wenn man die Jahre des Nationalsozialismus nicht in die Betrachtung einbeziehen würde. Gerade die Verstrickung von Teilen der Dresdner Akademiker in das NS-System prägte die erste Periode nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch wie wurde damit umgegangen? Wurde dabei nach einheitlichen Richtlinien vorgegangen oder gab es unterschiedliche Maßstäbe für einzelne Personen? War die formelle Mitgliedschaft in der NSDAP Grund genug, um von einer Wiederberufung auf einen Lehrstuhl ausgeschlossen zu werden?
Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden soll nach einem allgemeinen Teil zur Geschichte der TH Dresden zwischen Kriegsende und Wiedereröffnung im Herbst 1946 versucht werden, die Entwicklungen, die für die Hochschulen in Deutschland insgesamt zutrafen, durch zwei biographische Skizzen zu verdeutlichen. Dazu sollen die Werdegänge von Kurt Beyer und Willy Gehler betrachtet werden. Beide waren während mehrerer Epochen deutscher Zeitgeschichte als ordentliche Professoren an der Bauingenieurabteilung bzw. der Fakultät für Bauwesen der Technischen Hochschule tätig. Beide hatten auffällige Parallelen in ihren Karrieren und doch verliefen diese im „Dritten Reich“ und in der SBZ/DDR dann verschieden. Es soll untersucht werden, ob sich an diesen Lebensläufen das Verhältnis von Kontinuität und Umbruch in der deutschen Wissenschaft nach 1945 erkennen läßt. Eine entscheidende Frage dabei wird sein: Waren deutsche Wissenschaftler und Ingenieure „politisch“ oder „unpolitisch“? Es wird auf diese Frage keine befriedigende Antwort geben können, zumal der Begriff politisch in diesem Zusammenhang anders definiert werden soll, als das in der Auseinandersetzung mit der Funktion von Wissenschaft und Technik im allgemeinen geschieht. „Politisch“ soll hier als Indikator für politische Betätigung, die Zugehörigkeit zu politischen Organisationen und das Vorhandensein von politischen Überzeugungen verstanden werden. Nach dieser Definition kann ein Forscher also durchaus als unpolitisch gelten, auch wenn er in einer Diktatur seiner Arbeit nachgeht und diese durch sein Handeln stützt.
Das Bild des unpolitischen Wissenschaftlers ist ein Selbstbild dieses Berufsstandes. Es diente zum Teil der eigenen Rechtfertigung für das Arrangieren der deutschen Bildungseliten mit dem Nationalsozialismus. Die Annahme, daß genau dieses Anpassen politisches Handeln gewesen ist, bezieht sich jedoch auf die Funktion der Wissenschaft in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation, nicht auf die Einstellung und weltanschauliche Gesinnung des einzelnen. Es steht außer Zweifel, daß sich die deutsche Intelligenz vom nationalsozialistischen Staat vereinnahmen ließ und dies nicht ohne die Vereinnahmung des einzelnen funktionieren konnte. Dennoch sollte genau diese „Kollaboration mit der Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus“[1] an den persönlichen Verstrickungen gemessen und individuelle Motivation und individuelles Handeln untersucht werden. Ich unterstelle, daß ein Wissenschaftler, der ohne Zögern seine Dienste nach dem Zusammenbruch den neuen Machthabern anbot, per se unpolitisch ist. In diesem Sinn sollten die Begriffe politisch und unpolitisch hier verstanden werden.
Forschungsstand
Die Geschichte der TH/TU Dresden ist in Abschnitten, nach Fachbereichen, aber auch in einigen Gesamtdarstellungen geschrieben worden[2]. Dabei ist der größte zugängliche Teil in der DDR verfaßt worden. Dementsprechend wird die NS-Zeit meist einseitig als Werk des Monopolkapitals, die Periode nach 1945 als Phase der Befreiung der Arbeiterklasse dargestellt[3]. Neben einzelnen Aufsätzen an verschiedenen Orten erschienen in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der TU anläßlich von Jahrestagen mehrere Würdigungen und Nachrufe einzelner Wissenschaftler. Für das Universitätsjubiläum 2003 ist eine neue Gesamtgeschichte geplant.
Die Hochschulpolitik der Alliierten, insbesondere der Sowjetunion, die Entnazifizierung des wissenschaftlichen Personals, die Demontagen an Bildungseinrichtungen und die Bewertung der NS-Vergangenheit deutscher Wissenschaftler sowie der Umgang nach dem Zweiten Weltkrieg damit sind in letzter Zeit in zahlreichen Studien untersucht worden[4]. Dabei besteht Konsens in der Auffassung, daß es eine Differenz zwischen dem antifaschistischen Anspruch der Alliierten und der praktischen Durchsetzung der Entfernung von Nationalsozialisten aus öffentlichen Ämtern gab. Im immer inkonsequenteren Vorgehen folgte die sowjetische Besatzungsmacht dabei den westlichen Zonen. Die in der DDR-Historiographie[5] verschwiegene Rückführung von Nationalsozialisten wurde dabei in den Mittelpunkt einiger Arbeiten gestellt und mit dem Vorgehen im Westen verglichen. Dabei wurde übereinstimmend der Widerspruch zwischen dem antifaschistischen Gründungsmythos der DDR und der realen Entnazifizierung aufgedeckt. Auf den Diskurs über das apolitische Selbstverständnis von Wissenschaftlern und Technikern in Deutschland soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Bei der Betrachtung der akademischen Karriere Kurt Beyers wurden neben den Veröffentlichungen zu seinem Leben vor allem auch Briefe von Schülern und ehemaligen Kollegen[6] herangezogen, um ihn genauer fassen können. Der Umgang mit dieser Quellengattung ist schwierig, da diese Erinnerungen (die meisten sind über zwanzig Jahre nach Beyers Tod verfaßt) immer subjektive Standpunkte vermitteln. Trotzdem waren sie zu den Dokumenten im Universitätsarchiv und den publizierten Beyer-Schriften eine wertvolle Ergänzung und standen nie im Widerspruch zu diesen. Durch Zufall wurde ich auf das Gemeindearchiv in Dresden-Loschwitz aufmerksam. Doch die für Kurt Beyer relevanten Dokumente sind nicht erhalten, ebenso wie ein Teil seiner Personalakten im Universitätsarchiv 1945 verbrannte[7].
Für die Beschreibung von Wirken und Leben Willy Gehlers fehlen solche ergänzenden Quellen. Seine Verwandtschaft wurde durch den Krieg hart getroffen, er verlor Sohn und Schwiegersohn. Die letzte Notiz über seine Tochter besagt, daß sich diese in der Schweiz in einem Sanatorium aufhielt. Bei Gehlers Dresdner Personalakte muß man vermuten, daß „brisante“ Teile fehlen. Seine fördernde Mitgliedschaft in der SS wird nirgends erwähnt. Dokumente, die diese bestätigen befinden sich im Bundesarchiv in Berlin, das im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht konsultiert wurde. Die Darstellung Gehlers folgt neben den vorhandenen Personalunterlagen den Untersuchungen des Betreuers dieser Arbeit, der sich in mehreren Schriften mit dem Schaffen Gehlers, aber vor allem auch mit dessen politischem Hintergrund beschäftigt hat[8]. Dabei wurden aber vor allem die Abschnitte über dessen Leben und sein Wirken als anerkannter Wissenschaftler und Ingenieur genutzt, die über seine politisch-ideologische Vergangenheit weniger.
Durch die Auswertung dieser Materialien sind so zwei biographische Skizzen entstanden, die die Geschichte der Technischen Hochschule Dresden in der Phase des Wideraufbaus und des Neubeginns nach dem Zweiten Weltkrieg abrunden sollen. Es wird versucht, beide Lebensläufe zu vergleichen und in einem Exkurs auf die Entnazifizierung an den Hochschulen in Ost und West eingegangen.
Wenn man die Geschichte von einzelnen Wissenschaftlern oder die einer gesamten Hochschule im und nach dem „Dritten Reich“ betrachtet, kommt man nicht an den Kontroversen über die Rolle von Wissenschaft und Technik im Nationalsozialismus vorbei. Diese insbesondere in technik- und wissenschaftshistorischen Zusammenhängen geführten Debatten sollen hier nur am Rande einfließen, da sie nicht Teil der ursprünglichen Thematik waren. Der momentan dabei auftretende Konsens, der den deutschen Akademikern eine zwar nicht individuelle, aber mindestens kollektive Schuld am Funktionieren des NS-Staates gibt, ist mit Sicherheit nicht der Abschluß dieser Diskurse. Gerade durch die Erfahrungen im Umgang mit dem Umbruch in der DDR 1989/90 sollten hier neue Ansätze gefunden werden, die die jeweiligen Gegebenheiten der Zeit stärker berücksichtigen. Die Parallelen von 1945 und 1989/90[9] sollen hier keine Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem „linkstotalitären fremdbeherrschten“[10] System der DDR bedeuten. Der Umgang mit der jeweils jüngsten Vergangenheit nach diesen fundamentalen Veränderungen läßt sich aber durchaus vergleichen.
Der Wiederbeginn an der Technischen Hochschule Dresden 1945
Ausgangspunkt: Die TH am Ende des Zweiten Weltkrieges
Der im Jahre 1828 als Königlich-Technische Bildungsanstalt gegründeten, in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zum Polytechnikum avancierten, Dresdner Bildungseinrichtung war 1890 der Status einer Technischen Hochschule zuerkannt worden[11]. Dieser Schritt ging einher mit der rasanten Entwicklung der technischen Wissenschaften und zunehmender Professionalisierung des Ingenieurberufs. Unter den Abteilungen, die sie beherbergte, war eine der bedeutendsten die Ingenieurabteilung, an der auch verschiedene Fachrichtungen des Bauingenieurwesens gelehrt wurden.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich die Dresdner Alma mater durch ihre Forschung und Lehre Weltruf errungen, was zum Teil an einzelnen Wissenschaftlern lag, die an ihr arbeiteten. Es wurden insbesondere noch vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche neue Lehrstühle eingerichtet, darunter 1905 der für Statik der Baukonstruktionen, an dem Gehler und Beyer lehrten.
Während der zwanziger und dreißiger Jahre wurden an der TH Dresden Patente entwickelt, die international Anerkennung hervorriefen, wie zum Beispiel die Vakuumöhre durch Heinrich Barkhausen[12] oder der frühhochfeste Portlandzement durch Willy Gehler[13].
Im „Dritten Reich“ war die Technische Hochschule ebenso in die militärische Forschung involviert wie andere Einrichtungen mit vorwiegend technischer Ausrichtung. Die Dresdner TH hatte beispielsweise durch ihre Forschungen zur Raketentechnik[14] eine besondere Bedeutung für die Kriegsvorbereitung und –führung der Nationalsozialisten. Darüber hinaus waren aber auch andere Fachbereiche und Institute für die Aufrüstung tätig: so die Gebiete Maschinenbau (Panzer- und Kfz-Entwicklung, „Maschinenwaffen“)[15] und Bauwesen, neben den Versuchen Gehlers zu schußfestem Eisenbeton auch an der Entwicklung von (Militär-) Flughäfen und Straßen[16]. Im Versuchs- und Materialprüfungsamt wurde ebenfalls an Experimenten gearbeitet, die direkt der Wehrmacht nutzten. So führte Gehler in einer eigens dafür konzipierten Anlage Schießversuche im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums und des Heereswaffenamtes durch[17]. In diesen Sektoren vollzog sich also eine Militarisierung der wissenschaftlichen Inhalte, während es im allgemeinen eher eine Kontinuität in der Forschung des „Dritten Reiches“ gegenüber jener zur Zeit der Weimarer Republik gab. Der oft unterstellte Niedergang der Wissenschaft[18] hat nur partiell stattgefunden. Statt dessen gab es in den meisten Bereichen einen erstaunlich nahtlosen Übergang in die neue Mächtekonstellation. Auch wenn die NS-Wissenschaftspolitik vorsah, eine politische Universität zu schaffen, „Technik und Wissenschaft in rassistische und völkisch-nationale Zusammenhänge“[19] zu stellen, blieben die Inhalte in den mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Fächern, die nicht direkt mit der NS-Rassen- und Lebensraumideologie in Verbindung zu bringen waren, weitgehend unberührt, auch wenn es eine „Deutsche Physik“ und eine „Deutsche Mathematik“ gab[20]. Sie wurden zunehmend der Diktatur angepaßt durch die Selbstmobilisierung weiter Teile der deutschen Hochschullehrerschaft. Als Beweggründe dafür kamen verschiedene Faktoren zum tragen: erstens gab es einen latent vorhandenen Druck der Nationalsozialisten, dem sich viele aus Angst vor Verfolgung oder Verlust des Status beugten. Zweitens waren Teile der Professorenschaft schon vor der „Machtergreifung“ 1933 Anhänger der NS-Ideologie, selbst wenn sie nicht in der „Bewegung“ organisiert waren[21]. Schließlich kam als drittes hinzu, daß viele in einer gewissen Nähe zum Unrechtsstaat verbesserte Möglichkeiten sahen, ihre Arbeiten durchzuführen und fortzusetzen[22], eine andere Form des Opportunismus also. Für das Zutreffen des drittgenannten Faktors spricht auch, daß es im Frühjahr 1933 eine riesige Eintrittswelle in die Partei gegeben hatte[23]. Er war aus meiner Sicht auch der alleinige Beweggrund für Willy Gehler, schon im Mai 1933 der NSDAP beizutreten, doch darauf soll an anderer Stelle eingegangen werden.
Für eine „automatische“ Einbindung in die Politik nicht nur während der Zeit des deutschen Faschismus spricht auch die generelle Abhängigkeit von Forschung und Lehre vom Staat oder öffentlichen Institutionen. Die nötigen Ressourcen – finanzieller und personeller Art oder die Infrastruktur betreffend – kennzeichnen, diese Abhängigkeit von der einen Seite. Auf der anderen Seite ist der Staat beziehungsweise dessen Organe auf die Entwicklung der Wissenschaft und aus ihr hervorgehender Resultate bei der Umsetzung politischer Ziele angewiesen. Diese „ ,Indienstnahme- oder Mißbrauchsverhältnisse’ “[24] bestanden aber nicht nur im Nationalsozialismus, die zunehmende Finanzierung von Forschungsprojekten durch die Wirtschaft oder andere Drittmittel stellt nur eine differente Form dieser Abhängigkeit dar.
Einen tiefen Einschnitt erfuhr die deutsche Wissenschaft nach 1933 aber durch die rassistische und politische Verfolgung und Verdrängung der Nationalsozialisten an den Hochschulen. Durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums“[25] wurde ein nicht unerheblicher Teil namhafter Wissenschaftler aus dem Hochschuldienst entlassen. Als eine Zäsur der wissenschaftlichen Entwicklung in Deutschland wird die Emigration Albert Einsteins in die USA angesehen[26]. Das prominenteste Beispiel für die rassistische Kaderpolitik an der TH Dresden dürfte der Romanist Viktor Klemperer sein. Von den Entlassungen besonders betroffen war die kulturwissenschaftliche Abteilung[27].
Insgesamt dürften etwa 15% der deutschen Professoren entlassen worden sein[28]. Dem steht diametral gegenüber, daß zwischen vierzig und sechzig Prozent der Hochschullehrer Parteigenossen waren[29].
1944/45 gab es an der Technischen Hochschule Dresden zwischen 63 und 74 Professoren[30]. In der Bauingenieurabteilung war die Zahl der Lehrenden von 1932 an fast konstant geblieben, es waren 1945 noch sieben Lehrstuhlinhaber[31]. Seit dem 8. September 1944 war die TH für Erstimmatrikulationen gesperrt, wenn die Bewerber wehr- oder arbeitsdiensttauglich waren[32]. Bei Kriegsende hatte die Hochschule noch 3022 eingeschriebene Studenten[33].
Die TH Dresden nach dem 8. Mai 1945
Das deutsche Hochschulwesen war schon vor der Kapitulation des Deutschen Reiches gegenüber den Alliierten nicht mehr funktionsfähig gewesen[34]. Durch Zerstörung, Einberufung zu Wehrmacht oder Volkssturm und Flucht waren sowohl die Einrichtungen als auch das Personal nicht mehr in der Lage, den Lehrbetrieb fortzusetzen[35]. Damit waren sie ein Pendant zur gesamten Gesellschaft, die das Ende des Krieges als „Zusammenbruch“ erlebte und nicht nur als „Befreiung“, wie dies in der DDR etwas einseitig dargestellt wurde[36]. Es war natürlich trotzdem eine Befreiung, auch wenn dieser Umstand vielen erst mit der Zeit bewußt wurde.
Schon während des Krieges hatte es in der Sowjetunion unter Einbeziehung deutscher Kommunisten konkrete Pläne für die Gestaltung des besetzten Nachkriegsdeutschland gegeben. Im Bildungssektor lag dabei der Schwerpunkt zwar im Schulwesen, doch auch die Universitäten sollten im Sinne von KPdSU und KPD umgestaltet werden[37]. Diese vorhandenen Konzepte machten es den kommunistischen Wissenschaftspolitikern nach Kriegsende einfacher, ihre Vorstellungen bei der Gestaltung des Hochschulwesens einzubringen. Die Politik der Alliierten im Bereich der Hochschulen war in der ersten Phase nach dem Krieg von zwei wesentlichen Faktoren geprägt. Der Demontage von Forschungseinrichtungen, was mit dem Abzug von Wissenschaftlern als „intellektuelle Reparation“ verbunden war und der Entnazifizierung in verschiedenen Ausmaßen je nach Besatzungszone. Die Demontagen nahmen dabei zum Teil kuriose Züge an, wurden oft planlos und ohne Verknüpfung mit den eigenen Interessen durchgeführt. So wurden zum Beispiel 1946 etwa 1990 deutsche Naturwissenschaftler und Techniker in die UdSSR gebracht, zum Teil ganze Forschungsanlagen samt technischem Personal[38]. Ähnliche Beispiele, wie das des massiven Abbaus deutscher Gleisanlagen, die für die sowjetische Eisenbahn nutzlos waren, oder die Demontage von ganzen Fabrikhallen, die in der SU dann verrotteten, sind überliefert. Die von den „Trophäenkommandos“[39] abtransportierten Einrichtungen schadeten dem Wiederaufbau in Deutschland wesentlich mehr, als sie den Siegermächten genutzt hätten. Erst später erkannte man, daß bei vielen Projekten eine wirkliche Effizienz eher zu erreichen war, wenn man Forschungsaufträge an deutsche Institutionen übergab. Dies geschah dann auch in allen vier Zonen. Auf die Entnazifizierung der deutschen Hochschullehrerschaft soll am Ende der Arbeit eingegangen werden.
Die Technische Hochschule Dresden war die einzige Bildungs- und Forschungseinrichtung dieser Art auf von der Roten Armee besetztem Gebiet. Sie stand dadurch im Mittelpunkt des Interesses sowjetischer Nachkriegsplanungen[40]. Sie war durch die Bombenangriffe des Februar 1945 stark zerstört, Teile des Inventars evakuiert worden. Bereits am 9. Mai 1945 begannen die Enttrümmerungsarbeiten auf dem Gelände der TH, für die vom Befehlshaber der Streitkräfte ein Verbindungsoffizier eingesetzt worden war[41]. Daran waren neben Hochschulangehörigen auch Soldaten der Besatzungsarmee beteiligt, was deren Interesse an dieser Institution unterstreichen dürfte. In den Jahren 1946 bis 1948 wurden für Enttrümmerung und Wiederaufbau 3,2 Millionen Reichsmark ausgegeben[42]. Später wurden dem entgegenstehend allerdings Dresdner entlassene Wissenschaftler zur Demontage an andere Hochschulen der SBZ verpflichtet. Erste Entnahmen und Abtransporte begannen auch an der Technischen Hochschule mit Beginn des Einmarsches der Roten Armeen in Dresden, was mit einer Wiedereingliederung des evakuierten Forschungsinventars verbunden war[43].
Die Demontagen verliefen an der TH ebenso wie überhaupt in Deutschland in vier Phasen[44], wogegen die Entnazifizierung in der Forschung in drei grobe Abschnitte unterteilt wird.. Dabei wurde nach der beschriebenen willkürlichen Trophäenjagd und spontanen Plünderungen zunehmend systematischer vorgegangen, die ökonomischen und strategischen Bedürfnisse der jeweiligen Besatzungsmacht berücksichtigt. Der erste Abschnitt dauerte etwa von der Eroberung des betreffenden Territoriums bis Ende Sommer 1945.
An der Technischen Hochschule ordnete deren Kommandant, der besagte Verbindungsoffizier Oberstleutnant Koslowitsch, im Juni eine komplette Inventur der erhalten gebliebenen Einrichtungen an. Zur Erfassung des Inventars und zur Entscheidungsfindung für demontagewürdige Gegenstände wurde eine eigene Kommission eingesetzt, der neben Militärs der Sowjetischen Militäradministration in Sachsen (SMAS) sowjetische Fachleute aus Wissenschaft und Technik angehörten. Dieses Gremium stellte eine Liste für den Abtransport adäquater Ausrüstungen zusammen, die neben dem bedeutsamen technisch-materiellen Hochschulinventar einen Großteil der Bibliothek enthielt[45]. Es scheint fraglich, ob die sowjetischen Kollegen eine so umfassenden Fundus an Fachliteratur, der im wesentlichen deutsche Titel enthielt, effizient nutzen konnten. Für den Wiederbeginn des Betriebes an der THD stellte diese Lücke einen erheblichen Verlust dar. Nach Angaben des damaligen Leiters der Hochschulbibliothek, Hofmann, wurde vom ursprünglichen Bestand lediglich ein Anteil von 10% in Dresden belassen, der vor allem unwesentliche Inhalte wie Gesetzblätter, Volkskunde usw. hatte.[46] Verhandlungen mit der sächsischen Landesregierung mit der SMAD in Berlin führten schließlich zu einer Rückgabe eines geringen Teils der schon verpackten Bücher. Betroffen von dieser Beschlagnahmung war auch die Sächsische Landesbibliothek gewesen.
Später wurde Forschungsliteratur kontingentiert, die Dozenten mußten den Bezug von Publikationen und Fachzeitschriften beantragen. Auf einer Liste wissenschaftlich relevanter Bücher, die für die Aufnahme der Lehrtätigkeit unabdingbar seien, erscheinen die Werke von Gehler und Beyer[47].
Vom Abtransport in die UdSSR, der im August 1945 begann, waren vor allem Einrichtungen betroffen, die für die Schwerindustrie dort nutzbar schienen. Ein besonderes Interesse hatte man an den für militärische Forschungszwecke eingerichteten Institutionen innerhalb der Dresdner Hochschule. Dagegen blieben andere Bereiche von den Demontagen dieser ersten Phase kaum betroffen[48]. Aus den Unterlagen des Universitätsarchivs geht nicht hervor, ob auch das Versuchs- und Materialprüfungsamt von Zerlegung und Transport betroffen war. Hier waren, vor allem unter der Aufsicht Professor Gehlers, gleichfalls „kriegsentscheidende“ Experimente durchgeführt worden.
Die Demontagen wurden nach außen mit den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz begründet. Im Abschnitt zu den Reparationen Deutschlands heißt es dort: „Die Reparationsansprüche der UdSSR sollen durch Entnahmen aus der von der UdSSR besetzten Zone in Deutschland und durch angemessene deutsche Auslandsguthaben befriedigt werden.“[49] Begonnen hatten diese jedoch schon vor den Sitzungen der Alliierten im Schloß Cäcilienhof. Es läßt sich daraus schließen, daß die Frage der Reparationen ebenso wie die Aufteilung des Deutschen Reiches bereits auf der Konferenz von Jalta geregelt worden war. Zudem enthielt das Potsdamer Dokument keine genauen Angaben darüber, was unter die „Entnahmen“ fallen würde. Diese hätten durch Erlasse der Siegermächte für ihre Zonen geregelt werden sollen, zunächst konnten diese jedoch nach Belieben entscheiden. Die verbliebenen Mitarbeiter der TH waren zunächst neben den Arbeiten zur Trümmerbeseitigung und provisorischem Wiederaufbau damit beschäftigt, das von der Demontagekommission bestimmte Material zu verpacken und auf Züge zu verladen[50]. Damit verschob sich das Ende der Aufräumarbeiten, das die sowjetische Seite für Oktober in Aussicht gestellt hatte, so daß diese noch 1946 andauerten. An eine Neuaufnahme des Lehrbetriebes war bei solchen Konstellationen nicht zu denken.
Ein Ende der Demontage ist nicht festzusetzen, da diese in vermindertem Umfang weiterlief. Die späteren Auftragsarbeiten an der Technischen Hochschule für Projekte in der und für die Sowjetunion machen eine solche Datierung zudem unmöglich. Auch der Umfang dieser Maßnahme läßt sich nicht belegen, zumal die verschieden Fachbereiche mit unterschiedlicher Intensität davon betroffen waren. Fest steht jedoch, daß die TH von Abbau und Abtransport nicht nur tangiert wurde, sondern daß dadurch Lücken entstanden, die sich noch jahrelang in der Hochschulpraxis bemerkbar machten. Wesentliche Teile des ehemaligen Bibliotheksbestandes befinden sich bis heute in Rußland, wahrscheinlich in St. Petersburg (damals Leningrad) und Moskau, wohin der größte Teil der Demontagegüter gebracht worden war[51].
Das Agieren an der Dresdner Hochschule wurde also von den materiellen und intellektuellen Reparationen wesentlich beeinflußt. Aber der interne Betrieb begann ebenfalls. Schon am 9. Mai 1945 wurde ein durch den Hochschulkommandanten Koslowitsch ein Vertrauensrat eingesetzt, sechs Arbeiter, ein Wissenschaftler und zwei wissenschaftliche Mitarbeiter angehörten[52]. Dieser sollte als Gremium der Belegschaft personelle und organisatorische Probleme behandeln, die Kompetenz aller Entscheidungen lag weiterhin aber bei den sowjetischen Behörden. Als Nachfolger des verhafteten Rektors Jost wurde im Juni Enno Heidebroek gewählt[53]. Dies geschah offensichtlich durch Wahl des Senats, was nicht an allen Universitäten der SBZ Praxis war[54].
Neben der Entfernung von aktiven Nationalsozialisten aus den Hochschulen sollte des gesamte Bildungswesen nach 1945 erneuert und umgestaltet werden. Die schon im Krieg ausgearbeiteten Programme der KPD dazu wurden bereits erwähnt. Doch es gab auch andere Pläne, die jedoch alle zum Kontext hatten, daß mit der akademischen Ausbildung der Jahre 1933 bis 1945 gebrochen werden müßte. Ein Beleg für solche Ansichten ist die nicht datierte „Erklärung des Ausschusses zur Erneuerung des deutschen Hochschulwesens“[55]. Darin heißt es über die zukünftige höhere Bildungseinrichtung: „Es sollen nur Menschen in ihr tätig sein, die dem Nationalsozialismus nicht gedient haben, so daß Forschung und Lehre von nicht faschistischen Kräften getragen werden.“ Ein Problem der Universitäten und TH bestand jedoch genau darin, kompetentes Personal zu finden, daß die durch Flucht, anderweitige Verpflichtungen und Entlassungen entstandenen Lücken im Kader schließen konnte. Da auch an der TH Dresden mindestens 19 der noch anwesenden Professoren aufgrund ihrer NSDAP-Mitgliedschaft entlassen worden waren[56], wurde dieses Dilemma auch hier spürbar. Der Rektor beklagt diesen Umstand in einem Rundschreiben von Anfang November 1945 und verlangt Neueinstellungen[57]. Durch personellen Mangel sei ein Wiederbeginn nicht möglich. Dabei muß konstatiert werden, daß die NS-bedingten Entlassungen in einem wesentlich größeren Umfang geschahen als beispielsweise an der Leipziger Universität[58].
Die Professoren der Technischen Hochschule waren aber, soweit sie in ihren Ämtern verbleiben durften, auch unabhängig vom Lehrbetrieb in den Aufbau der zerstörten Stadt und/oder die Arbeit in Fachgremien und Behörden involviert. Kurt Beyer war für die Landesregierung Sachsen als Gutachter und Leiter Hauptabteilung Bauwesen tätig[59]. Zudem hatte er kommissarisch die Leitung des VMA übernommen, da Gehler zwar weiterhin dort tätig war, aber nur im Auftrag externer Körperschaften arbeiten durfte und nicht in seine vormaligen Funktionen zurückkehren konnte.
Der ersten Entlassungswelle von Ende Oktober 1945, zu der auch Gehler gehört hatte, folgte eine zweite Mitte November. Damit waren aufgrund ihrer Verstrickung mit dem NS-Staat insgesamt 35 Professoren nicht mehr verfügbar[60]. Dies war eine Folge der verschiedenen Erlasse der sächsischen SMA, die nur die formelle Mitgliedschaft in der NSDAP als Kriterium ansah. Die damit verbundene Kaderpolitik an den sächsischen Hochschulen und die dadurch entstandenen Mängel dürften den Ausschlag dafür gegeben haben, daß die rigorose Entnazifizierung im Sinne des Ausschlusses aller ehemaligen Parteigenossen schließlich revidiert wurde. Davon betroffen waren gerade auch solche Institute, die an Projekten in sowjetischem Auftrag arbeiteten[61]. Diesen Status konnte die Militäradministration nicht akzeptieren, wenn zudem an eine Aufnahme des Studienbetriebes gedacht werden sollte. Außerdem sollten die „Ehemaligen“ als Angestellte an der Demontage beteiligt werden und dies nicht nur an der Technischen Hochschule Dresden sondern auch an anderen Orten der SBZ[62]. Für diese Einsätze hatte der Rektor der THD im Dezember 1945 der Landesverwaltung Sachsen explizit ehemalige Parteigenossen vorgeschlagen[63].
Ein Jahr nach Kriegsende war durch den Erlaß des Gesetzes zur Regelung und Überwachung der wissenschaftlichen Forschung (Gesetz Nr.25)[64] eine Einstellung von nominellen Parteimitgliedern möglich geworden. Die erste Phase der „Säuberungen“, die sich noch klar von beiden anderen abgrenzen läßt, während die Abgrenzung der beiden anderen nicht so eindeutig erscheint.
Die Monate zwischen dem Spätherbst 1945 und dem Sommer 1946 waren vom Bemühen gekennzeichnet, die Voraussetzungen für die Wiedereröffnung der Dresdner Alma mater zu treffen. Dabei mußte die das Rektorat mit dem sächsischen Volksbildungsministeriums, der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin und natürlich der den sowjetischen Militäradministrationen ringen. Kühne Vorstellungen von einer Eröffnung zum Wintersemester 1945/46 wurden durch die andauernde Demontage, mehr aber noch durch den Personalmangel ad absurdum gestellt. Mit dem Befehl Nr. 50 der SMAD vom 4. September 1945 war allerdings eine formelle Basis für die Aufnahme des Lehrbetriebes an den Hochschulen der SBZ geschaffen worden[65]. Darin wurde unter anderem bestimmt, daß dem Leiter der Abteilung Volksbildung der Sowjetischen Militäradministration, General Solotuchin, detailliert über den Stand des Personals zum 1. September sowie mögliche Kapazitäten zur Immatrikulation von Studenten zu berichten sei[66]. Es wurde also nach dem akademischen Kader gefragt, als die Entnazifizierung gerade in der „heißen Phase“ war, die erste Welle noch nicht begonnen hatte und z.B. Willy Gehler noch Ordinarius der TH war. Ein solcher Umstand läßt aber erkennen, daß die sowjetische Seite durchaus großes Interesse an einer Wiederaufnahme des Lehrbetriebes hatte, was für die Technische Hochschule in Dresden durch ihre Einzigartigkeit in Ostdeutschland besonders gelten dürfte. Im Zuge der formellen Vorbereitungen, die diesem Befehl folgten, auf den die ostdeutschen Wissenschaftler gewartet hatten, wurden an den Hochschulen Immatrikulationskommissionen eingesetzt. Die DZVV, offenbar immer noch von einer Eröffnung im Herbst 1945 ausgehend, eventuell weil am 1.Oktober der Schulbetrieb wieder begann[67], erließ am 30. September die „Verordnung über die Zulassung zum Studium an Universitäten und Hochschulen“. Von der Möglichkeit, sich für ein Studium einzuschreiben, waren alle ehemaligen Nationalsozialisten, aber auch Personen, die „aktiv oder als Reserveoffizier im Heer, der Luftwaffe, der Marine oder der Polizei gedient haben.“[68] Dagegen wurde die Möglichkeit geschaffen, bei entsprechender Begabung auch ohne Reifezeugnis immatrikuliert zu werden, eine Vorform der später gegründeten Vorstudienanstalten, die dann in die Arbeiter- und Bauer-Fakultäten integriert wurden. Vor Beginn des regulären Studiums sollte ein 20stündiger Kurs zur demokratischen Erziehung absolviert werden[69]. Die unter dem Schlagwort Brechung des Bildungsprivilegs angestrebte Öffnung einer akademischen Ausbildung für alle Teile der Gesellschaft ist grundsätzlich positiv zu bewerten, allerdings wurde diese durch die Reduzierung auf die Formell Student = bürgerlich - muß durch Arbeiter ersetzt werden und die Einführung von Quoten kaum und nur wenig sinnvoll erreicht, auch wenn die in der DDR erschienenen Publikationen, die sich mit der Umstrukturierung des Hochschulwesens befassen, unisono mit Stolz von genau dieser Quotierung und der damit verbundenen Umschichtung der sozialen Herkunft der Studierenden berichten[70].
Den Hochschulen wurde zu diesem Zeitpunkt noch eine gesamtnationale Bedeutung zugesprochen, da auch die Kommunisten noch von der „Reichseinheitlichkeit des Bildungswesens“[71] ausgingen.
Am 15. Oktober 1945 eröffnete die Friedrich-Schiller-Universität Jena als erste Hochschule im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands wieder den Lehrbetrieb, die Universitäten in Berlin und Halle folgten am 20. Januar und 1. Februar 1946, Leipzig als erste sächsische Hochschule am 5. Februar, gefolgt von der Bergakademie Freiberg am 8. des gleichen Monats. Was summa causa dies in Dresden noch verzögerte, ist mit Sicherheit nicht zu klären, die beschriebenen Beeinträchtigungen durch Abbau des Inventars und fehlendes Lehrpersonal dürften aber den Ausschlag gegeben haben. Der Rektor, Prof. Heidebroek, hatte im März bei der SMAD sowie der sächsischen Landesregierung wiederholt die Wiederaufnahme des Studienbetriebs beantragt[72].
Die Technische Hochschule Dresden eröffnete erst zum Wintersemester am 1. Oktober 1946 wieder. Dem vorausgegangen war der Befehl Nr. 237 der Sowjetischen Militäradministration vom 2. August, der nach einem Antrag des sächsischen Ministeriums für Volksbildung die erneute Öffnung vorsah[73].
Das Wintersemester begannen 453 Studenten, eine mit dem Stand vor dem Zusammenbruch (3022) vergleichsweise geringe Zahl[74]. Dieser Wert stieg jedoch in den ersten zehn Jahren nach dem Neubeginn auf das zwanzigfache[75].
Unter den Lehrenden befanden sich 21 Professoren, die schon vor Kriegsende dieses Amt begleiteten[76]. Bis Sommer 1948 wurden 27 Wissenschaftler neu auf einen Lehrstuhl berufen[77]. Lehrpläne und Vorlesungsverzeichnisse mußten von der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung genehmigt werden, ein Umstand, den die Professoren, die schon länger an der Einrichtung waren offensichtlich nur schwer akzeptieren konnten, waren sie doch relative Freiheit bei der Gestaltung der Lehrinhalte gewöhnt. Der Rektor sah sich jedenfalls veranlaßt, wiederholt darauf hinzuweisen[78]. Mit den Professoren Beyer, Neuffer und Reingruber waren auch in der Bauingenieurabteilung diejenigen auf ihre Lehrstühle zurückgekehrt[79], die sie im Mai 1945 innegehabt hatten. Willy Gehler war im November 1945 entlassen worden und konnte nicht wieder als Ordinarius arbeiten. Seine und die Karriere Kurt Beyers sollen besonders betrachtet werden.
Zusammenfassung
Die Technische Hochschule Dresden, die traditionell einen Schwerpunkt ihrer Lehre auf die Ingenieursausbildung legte, hatte bis Kriegsende 1945 keine wesentlichen Differenzen in der Entwicklung und im universitären Leben zu anderen deutschen Hochschulen.
Dadurch, daß sie die einzige TH auf von der Roten Armee besetztem Gebiet war, kam ihr nach der deutschen Kapitulation und der Einführung der alliierten Verwaltung eine Sonderrolle zu. Da hier während an besonders militärischen Projekten geforscht worden war[80], hatte die Siegermacht Sowjetunion besonderes Interesse an den daran Beteiligten und den Instituten und Laboren. Dementsprechend erfolgte die Demontage von wesentliche Teilen des Hochschulinventars relativ zeitig und in erheblichem Umfang. Dies geschah keineswegs einheitlich und zeitlich different. Später wurde an der THD verstärkt an Forschungsaufgaben für die UdSSR gearbeitet. Ein durch die „Entnahmen“ außerordentlicher Verlust für das wissenschaftliche Leben war durch den Abtransport erheblicher Teile der Bibliothek entstanden.
Es gab in Dresden keine institutionseigene Entnazifizierungskommission, wodurch die Entscheidungen über Verbleib oder Entlassung beim zentralen sächsischen Gremium blieb. Die unter anderem dadurch entstandenen Verzögerungen in Personalfragen führten dazu, daß die Technische Hochschule erst vergleichsweise spät[81] den Studienbetrieb wieder aufnehmen konnte.
[...]
[1] Hänseroth: Fachleute für alle Fälle?, S.S.3.
[2] Einen Überblick bis 1960 bietet: Literatur zur Geschichte der TUD.
[3] vgl. 125 Jahre TUD; Sonnemann: Geschichte der TUD.
[4] Ash: Wissenschaftswandel; ders.: Verordnete Umbrüche; Hänseroth: Fachleute für alle Fälle?;
Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik;
[5] Köhler: Zusammenarbeit; Köhler/Schulz: Erinnerungen; Jenak: Wiederaufbau.
[6] Ich danke Klaus Beyer für die Bereitstellung dieser Sammlung.
[7] Dies wurde Beyer von Rektor Heidebroek am 27.10.1945 mitgeteilt. UA TUD, Fakultät Bauingenieurwe-
sen, Personalakte II/62 Beyer, Kurt.
[8] Hänseroth: Willy Gehler; ders.: Willy Gehler (1876-1953); ders.: Fachmann; ders.: Fachleute für alle
Fälle?.
[9] Ash: Wissenschaftswandel, S. 2.
[10] Schroeder: Der SED-Staat, S. 644..
[11] Sonnemann: Geschichte der TUD, S. 87.
[12] Lunze: Heinrich Barkhausen, S. 19.
[13] UA TUD, Fakultät Bauingenieurwesen, Personalakte II/245 Willy Gehler, Ausführlicher Lebenslauf vom
17.8.1945.
[14] Pulla: Großraketenforschung, S. 95ff.
[15] Jenak: Wiederaufbau, S. 282/283; Ley: Geschichte der TUD, S. 63.
[16] Sonnemann: Geschichte der TUD, S. 161.
[17] SächsHStA DD, Ministerium für Volksbildung, Nr.15764, Bl. 171/2.
[18] Jenak: Mißbrauch der Wissenschaft, S. 107; Sonnemann: Geschichte der TUD, S. 115ff; Köhler:
Zusammenarbeit, S. 65; Ley: Geschichte der TUD, S. 62.
[19] Hänseroth: Fachleute für alle Fälle?, S. 2.
[20] Renneberg/Walker: Naturwissenschaftler, S.20.
[21] Es waren vor dem 30.1.1933 immerhin schon 4% der Beamten Mitglieder der NSDAP. Vgl. Hummel:
Deutsche Geschichte 1933-1945, S. 321.
[22] Jessen: Akademische Elite, S. 34.
[23] Renneberg/Walker: Naturwissenschaftler, S. 20.
[24] Hänseroth: Fachleute für alle Fälle?, S. 3.
[25] Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 4.7.1933, RGBl. I, Nr.34 vom 4.7.1933,
S. 175-177.
[26] Renneberg/Walker: Naturwissenschaftler, S. 20.
[27] Ley: Geschichte der TUD, S. 62.
[28] Ash: Wissenschaftswandel, S. 7.
[29] Jessen: Akademische Elite, S. 34.
[30] Die Zahl 74 entstammt einer Liste „Stand der Professoren im Rechnungsjahr 1944“, die allerdings
nicht vollständig sein kann, da z.B. der Name Gehler fehlt. Bei 19 von ihnen ist vermerkt „als Pg.
entlassen“. UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/5, Bl. 13. Der Wert 63 findet sich bei Haritonow, der sich
auf das russische Staatsarchiv bezieht. Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 174.
[31] UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/5, Bl. 7: 8 (1932), 7 (1939), 7 (1944/45).
[32] UA TUD, Bauingenieurabteilung 1939-1944, A/265, Bl. 9.
[33] davon 785 an der Bauingenieurabteilung. UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/5, Bl. 5.
[34] SächsHStA DD, Ministerium für Volksbildung, Nr. 15923, Bl.10b.
[35] außer im relativ verschonten Greifswald - Krönig/Müller: Anpassung, S. 20.
[36] vgl. z.B. Stern: Der 8.Mai, S. 4.
[37] Krönig/Müller: Anpassung, S. 18.
[38] Ash: Wissenschaftswandel, S. 13.
[39] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 91.
[40] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S., S. 109.
[41] Chronik 1945-1949, S. 3.
[42] Ley: Geschichte der TUD, S. 65.
[43] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 110.
[44] Ash: Verordnete Umbrüche, S. 906/907.
[45] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 110.
[46] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S., S. 114.
[47] UA TUD, Fakultät Bauingenieurwesen, Rektorat I/199b, Bl. 42.
[48] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 111.
[49] Mitteilungen über die Dreimächtekonferenz von Berlin, 2.August 1945, Art.IV,1., veröffentlicht in:
Potsdamer Abkommen, S. 182-196.
[50] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 120.
[51] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 112/113.
[52] Chronik 1945-1949, S. 3.
[53] Sonnemann: Geschichte der TUD, S. 176.
[54] Krönig/Müller: Anpassung, S. 20.
[55] UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/199a, Bl. 2.
[56] diese Anzahl nach „Stand der Professoren im Rechnungsjahr 1944“; UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/5,
Bl. 13. Dagegen sind es 21 bei Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 174.
[57] UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/199a, Bl. 31/32.
[58] Dies gilt zumindest für die zweite Phase, das Fehlen einer hochschuleigenen Entnazifizierungskommission
hatte dazu geführt, daß man an der TH zunächst „wesentlich ruhiger und termingemäßer“ als in Leipzig
mit dieser Thematik umging. Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 176 und 179.
[59] UA TUD, Fakultät Bauingenieurwesen, Personalakte I/62 Kurt Beyer.
[60] Hänseroth: Fachleute für alle Fälle?, S. 11; Dort finden sich auch Zahlen für das nichtwissenschaftliche
Personal.
[61] Haritonow: Sowjetische Hochschulpolitik, S. 178.
[62] UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/199b, Bl. 7, Liste der Mitglieder des Lehrkörpers, die zur Demontage an
anderen Hochschulen zur Verfügung stehen.
[63] UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/199c, Bl.
[64] ebenda, Bl. 7/8.
[65] Chronik 1945-1949, S. 5.
[66] Krönig/Müller: Anpassung, S. 23.
[67] Schroeder: Der SED-Staat, S. 25.
[68] zit. nach Chronik 1945-1949, S. 6.
[69] Krönig/Müller: Anpassung, S. 23.
[70] So z.B. Sonnemann: Geschichte der TUD, S. 177; Ley: Geschichte der TUD, S. 66; Köhler:
Zusammenarbeit, S. 75.
[71] Köhler, Zusammenarbeit, S. 79.
[72] Chronik 1945-1949, S. 8.
[73] Sonnemann: Geschichte der TUD, S. 176.
[74] UA TUD, Rektorat 1945-1968, Bl. 6/7.
[75] Technische Hochschule, S. 18.
[76] Hänseroth: Fachleute für alle Fälle?, S. 11.
[77] UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/5, Bl. 14.
[78] UA TUD, Rektorat 1945-1968, I/5, Bl. 1, 29, 30, 35, 79
[79] Sonnemann: Geschichte der TUD, S. 183.
[80] Am „Vorhaben Peenemünde“ - der Großraketenforschung – arbeiteten 45 Mitarbeiter und Professoren.
Hänseroth: Fachleute für alle Fälle?, S. 11.
[81] Auch Greifswald und Rostock hatten noch im Februar 1946 wiedereröffnet. Chronik 1945-1949, S. 8.
- Arbeit zitieren
- M. A. Falk Hensel (Autor:in), 2001, Der Wiederbeginn an der Technischen Hochschule Dresden 1945, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/152696
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