Otto IV., der um 1175 oder 1176 geborene Sohn Heinrichs des Löwen (1129/30-1195), Herzogs von Sachsen und Bayern, sowie der englischen Königstochter Mathilde (♱ 1189) ließ für wenige Jahre den Traum eines welfischen Kaisers Wirklichkeit werden. Die Geschichte Ottos, die geprägt ist von Schlachten und Intrigen, beginnt und endet in Braunschweig und Umgebung. Der staufisch - welfische Konflikt blickt auf eine Vergangenheit zurück, die mit dem Thronstreit zwischen Lothar von Süpplingenburg (1075-1137) und Friedrich von Schwaben (1090-1147) seinen Beginn darstellt Jener Lothar stand 1125 auf dem Höhepunkt seines politischen Lebens. Nach Beendigung der Jahrzehnte andauernden Konflikte mit den Saliern, eröffnete sich den Welfen der Weg in den Norden des Reiches, nach Sachsen. Die Wahl des neuen Königs in Mainz am 24. August, die im römisch-deutschen Königtum durch die Reichsfürsten bestimmt wurde und nicht durch erbrechtliche Legitimation, brachte unter heftigen Debatten Lothar von Süpplingenburg als neuen König hervor. Das Jahr 1125 stellt eine einschneidende Zäsur in der Reichsgeschichte dar, die weniger mit der personellen Wahl Lothars zusammenhing, sondern vielmehr mit dem fürstlichen Wahlprinzip, das die Abhängigkeit von Fürsten und Königtum unterstreicht. Mit der Wahl Lothars haben die Fürsten gewissermaßen die Weichen für ein zukünftiges Mitwirken am Königtum gestellt, ein Prozess, der vor allem im 12. Jh. den Weg zum späteren Kurfürstentum vorzeichnete. Mit der Wahl Lothars im August 1125 wurden sowohl die Weichen für ein welfisches Kaisertum gestellt, als auch ein aus der Rückschau tragisch anmutendes halbes Jahrhundert des salischen Kaisertums beendet, was einen typischen Schwerpunktwechsel deutscher Geschichte markiert und neue Konflikte von weitreichender Dynamik hervorbrachte. Diesen Schwerpunktwechsel können wir mit dem Jahrzehnte andauernden Konflikt zwischen staufischen und welfischen Herrschern verorten. Welche Rolle spielt nun aber Otto von Poitou, der weithin als „Fußnotenkönig“ bezeichnete erste und einzige welfische Kaiser?
Otto IV., der um 1175 oder 11761 geborene Sohn Heinrichs des L¨owen (1129/30-1195), Her- zogs von Sachsen und Bayern, sowie der englischen K¨onigstochter Mathilde († 1189) ließ fu¨r wenige Jahre den Traum eines welfischen Kaisers Wirklichkeit werden. Die Geschichte Ottos, die gepr¨agt ist von Schlachten2 und Intrigen3, beginnt und endet in Braunschweig und Umgebung. Der staufisch - welfische Konflikt blickt auf eine Vergangenheit zuru¨ck, die mit dem Thronstreit zwischen Lothar von Su¨pplingenburg (1075-1137) und Friedrich von Schwaben (1090-1147) seinen Beginn darstellt.4 Jener Lothar stand 1125 auf dem H¨ohepunkt seines politischen Lebens. Nach Beendigung der Jahrzehnte andauernden Konflikte mit den Saliern, er¨offnete sich den Welfen der Weg in den Norden des Reiches, nach Sachsen.5 Die Wahl des neuen K¨onigs in Mainz am 24. August, die im r¨omisch-deutschen K¨onigtum durch die Reichsfu¨rsten bestimmt wurde6 und nicht durch erbrechtliche Legitimation, brachte un- ter heftigen Debatten Lothar von Su¨pplingenburg als neuen K¨onig hervor. Das Jahr 1125 stellt eine einschneidende Z¨asur in der Reichsgeschichte dar, die weniger mit der personellen Wahl Lothars zusammenhing, sondern vielmehr mit dem fu¨rstlichen Wahlprinzip, das die Abh¨angigkeit von Fu¨rsten und K¨onigtum unterstreicht.7 Mit der Wahl Lothars haben die Fu¨rsten gewissermaßen die Weichen fu¨r ein zuku¨nftiges Mitwirken am K¨onigtum gestellt, ein Prozess, der vor allem im 12. Jh. den Weg zum sp¨ateren Kurfu¨rstentum vorzeichnete. Mit der Wahl Lothars im August 1125 wurden sowohl die Weichen fu¨r ein welfisches Kai sertum gestellt, als auch ein aus der Ru¨ckschau tragisch anmutendes halbes Jahrhundert des salischen Kaisertums beendet, was einen typischen Schwerpunktwechsel deutscher Ge- schichte markiert und neue Konflikte von weitreichender Dynamik hervorbrachte.8 Diesen Schwerpunktwechsel k¨onnen wir mit dem Jahrzehnte andauernden Konflikt zwischen stau fischen und welfischen Herrschern verorten. Welche Rolle spielt nun aber Otto von Poitou, der weithin als Fußnotenk¨onig“ bezeichnete erste und einzige welfische Kaiser? ”
” Uns sagen so dhe mere, we sin sconer lip were dannoch an kintlichen jaren.“9
Schon zu einem fru¨hen Zeitpunkt (1182) kommt Otto an den englischen K¨onigshof, da sein Vater, Heinrich der L¨owe, seine Reichslehen, die Herzogtu¨mer Bayern und Sachsen, verloren hatte und der besagte Heinrich seine beiden ju¨ngsten S¨ohne Otto und Wilhelm mitnimmt und auch in der Obhut Richard I. L¨owenherz’ (1157-1199) bel¨asst.10 Schon fru¨h wird Otto von der Herzogin Mathilde gottesfu¨rchtig erzogen.11 Somit ist seine sp¨atere Fr¨ommigkeit nicht verwunderlich, auch wenn er den weiblichen Reizen nicht abgeneigt war. Otto hatte eine besondere Verbindung zu seinem Onkel Richard L¨owenherz, welcher ihn in vielerlei ” Tugend unterwies, Otto, der stolze Ju¨ngling.“12 So ist es auch nicht verwunderlich, dass Otto auch bald darauf im angevinischen Reich bedeutsam wird, als ihn sein Onkel zum Ritter schlug und mit der Grafschaft Poitou belehnte, welche zuvor im Besitz Richards war. Gelehrt in vielerlei ritterlicher Tugend schindet Otto auch fru¨h Eindruck auf einschl¨agigen Turnieren.
” Eynes tages gevel, daz der koninc von Engelant solte komen uph eynen tach, dher was genommen widher dhen von Vrancriche. dha scone und vil herliche ir islich mit grozen eren quam, als iz dhen koninghen beyden gezam, und menich barun mit in gerieten. nu hatte eyn ors bestrieten von Poytowe Otte der junge- linc, daz an vil mengem sprunghe ginc und leyph durch sporen vlucht. daz rante her so wol mit zucht, daz iz al dhen moste hagen, dhe iz mit ougen sagen. dho dher von Vrancriche daz gesach zo dhem von Enghelant her sprach: ’ we is dher scone junghelinc, dher hi sus rennet durch dhen rinc’ ? dho antworte im dher uz Enghelant; her sprach: ’ daz ist mir wol bekant; her is dher noch an kurzen tagen, sol des riches kronen tragen, sol her leben und ouch ich.’ [...]“13
Otto sticht also schon fru¨h als hervorragendster Krieger aller Waffengattungen“14 heraus.15
” Selbiges erfahren wir auch von Innozenz III. (1160-1216), dem diese Eigenschaft Ottos un heimlich war.16
Obowhl nicht an erster Stelle der offiziellen Thronfolge rangierend17, wurde Otto am 9. Juni des Jahres 1198 zum r¨omisch-deutschen K¨onig gew¨ahlt. Nachdem Otto IV. in der Aachener Mu¨nsterkirche von Erzbischof Adolf von K¨oln (1157-1220) zum K¨onig gekr¨ont worden war, verlobte er sich mit Maria, Erbin Herzog Heinrichs I. von Brabant (1165-1235).18 Im Mit- telalter und auch in der fru¨hen Neuzeit spielt die Heiratspolitik eine hochbedeutende Rolle.
Ehen begru¨ndeten Allianzen, sicherten vertragliche Bindungen, dienten der Vermehrung ” von Besitz und Verm¨ogen, best¨atigten und symbolisierten Weichenstellungen im Kampf um Macht und Einfluss.“19 Auch bei Ottos Heiratspolitik k¨onnen wir ein politisches Kalku¨l erkennen und insbesondere von beispielhafter Bu¨ndnispolitik sprechen. So war die Verlo- bung mit Maria von Brabant (1190/91-1260) fu¨r Otto IV. eine realistische Chance auf die Nachfolge im Brabanter Herzogshaus. Die Eheabsprache Ottos und Marias Mutter, Mathil de von Boulogne (1170-1210), besiegelte schließlich das Bu¨ndnis zwischen dem Welfen und dem Brabanter Herzogshaus.20 Das Problem war, dass Maria mit einem Alter von sieben oder neun Jahren fu¨r eine Heirat zu jung war. Aufgrund der stetig steigenden U¨ bermacht des Staufers Philipp von Schwaben (1177-1208) wendet sich Marias Vater, Heinrich I. von Niederlothringen-Brabant von Otto ab und wechselte zum staufischen Lager.21 Hier sieht man, dass Bu¨ndnisse reine machtpolitische Interessen wiederspiegeln. Obwohl Otto IV. der bis dato offiziell von den Reichsfu¨rsten gew¨ahlte deutsch-r¨omische Kaiser ist, wendet sich ein Großteil von Otto ab. Um eine Beilegung des Thronstreits zwischen Otto und Philipp zu er- reichen, die vom Papst gefordert worden war, bot Philipp seinem Kontrahenten seine ¨alteste Tochter Beatrix als Ehefrau sowie die Belehnung mit dem Herzogtum Schwaben an. Mit Emp¨orung lehnte Otto IV. dieses Angebot ab.22 Ein unerwartetes Ereignis sollte die Geschi cke des Reiches aber wieder zugunsten Ottos IV. wenden. Am 21. Juli 1208 war es Otto von Wittelsbach (1180-1209), der Philipp von Schwaben um dessen Leben brachte und dem jah- relangen Konflikt ein j¨ahes Ende setzte. Der Thronstreit zwischen Philipp und Otto schu¨rte nicht zuletzt den staufisch-welfischen Konflikt. Die aus dem heiligen Land zuru¨ckkehrenden Fu¨rsten entschieden sich wechselseitig entweder fu¨r Otto IV. oder Philipp von Schwaben, was die Situation offen hielt.23 Nebst der Unterstu¨tzung der su¨ddeutschen und s¨achsischen Fu¨rsten standen Philipp ausreichend finanzielle und auch milit¨arische Mittel zur Verfu¨gung.
Ottos Unterstu¨tzung fand sich insbesondere im niederrheinischen, brabantischen Einflussge- biet genauso wie in der finanziellen Unterstu¨tzung durch seinen Onkel Richard L¨owenherz, der ihm bis zu seinem Tod 1199 zur Seite stand.24 Erinnern wir uns an die obigen Darstel lungen Ottos als hervorragenden Kriegsherrn, so stellt sich die Frage, weshalb ein angeblich herausragender Taktiker25 und K¨ampfer aus der Vielzahl seiner Schlachten als Unterlegener hervorging? So sei beispielsweise die Schlacht an der Mosel 1198 erw¨ahnt, in der Otto als Verlierer hervorging.26 Aber noch bezeichnender wird die U¨ bermacht Philipps, wenn wir die Ereignisse des Julis anno 1200 ansehen. Im besagten Jahr ru¨ckte Philipp von Schwaben mit vielen Reichsfu¨rsten gegen Braunschweig vor. Anfang August war der Belagerungsring geschlossen, Pfalzgraf Heinrich (1173/74-1227), Bruder Ottos, stand sogar kurz vor dem U¨ bertritt zu den Staufern. Verhindert wurde dies aber durch den Einspruch Bernhards von Sachsen (1140-1212) und Adolfs von Holstein (1160-1225).27 So kam es, dass die Ritterschaft Philipps und seiner Verbu¨ndeten in die Altstadt eindrangen.28 Ein angebliches Wunder ha- be es verhindert, dass Philipp die Stadt einnehmen konnte. Dabei sei dem Erzbischof von Trier der Hl. Auctor erschienen und dieser habe ihm befohlen, den K¨onig zum Abzug seiner Truppen zu bewegen.29 Dies sei dann auch geschehen. Inwieweit die Legende der Wahrheit entspricht, ist fraglich. Vielmehr waren es die Konflikte zwischen Fu¨rsten des Belagerungs heeres, die die Einnahme unm¨oglich machten. So waren es beispielsweise die Fu¨rsten wie Herzog Bernhard und Graf Adolf, die eine Unterwerfung des Pfalzgrafen Heinrichs anstreb- ten, andere, wie die Markgrafen aus Ostsachsen wollten nicht weiter Krieg gegen Heinrich fu¨hren.30 Was w¨are gewesen, wenn die Uneinigkeit unter den Kriegsfu¨rsten nicht bestanden h¨atte? Vermutlich h¨atte Otto IV. mit dem Verlust“ seines Bruders einen herben Ru¨ckschlag ” erlitten. M¨oglicherweise w¨are es Phillip gewesen, der endgu¨ltig die Oberhand im Thronstreit gewonnen h¨atte. Weshalb hat der Staufer Philipp nicht mit den Verbu¨ndeten, die fu¨r die Unterwerfung Heinrichs stimmten, Braunschweig erobert und somit Otto den Garaus ge- macht? Schwer vorzustellen, dass sich Philipp hat vom Erzbischof von Trier derartig stark beeinflussen lassen, dass er von der Eroberung absah. Eher vorstellbar w¨are, dass Innozenz III. seine Finger im Spiel hatte. Denn wir wissen auch, dass sich Otto IV. hat vom Papst leiten lassen31, zumindest vor seiner Kaiserkr¨onung. Es w¨are also eventuell vorstellbar, dass Innozenz Philipp dazu bewog, von der Eroberung abzusehen. Vermutlich sah Innozenz in dem Staufer einen zu starken weltlichen Herrscher, da Philipp bekanntlich die U¨ berhand im Konflikt um die Krone mit Otto hatte. Belege dafu¨r finden sich jedoch in schriftlicher Form bisher nicht. Wir k¨onnen dies nur vermuten, da Philipp bis 1207 mit dem Kirchen- bann belegt war. Dies k¨onnte fu¨r Philipp Grund genug gew¨aßen sein, von der Unterwerfung Braunschweigs im Jahre 1200 abzusehen. In den Folgejahren verlor Otto mehr und mehr Anh¨anger32. Lediglich die K¨olner standen stets standhaft an Ottos Seite. Aus der Schlacht am 27. Juli 1206 bei Wassenberg konnte Otto nur knapp der Gefangennahme entkommen.
Nach der Inhaftierung des Erzbischof Bruno IV. von Sayn (um 1165-1208) in Folge selbiger Schlacht, begann auch die Unterstu¨tzung der K¨olner zu schwinden. Otto IV. stand kurz vor der Ohnmacht. Philipp, der sein Heer bereits zum letzten Schlag gegen Otto gesammelt hat te33, kam jedoch nicht dazu, eine Entscheidungsschlacht gegen den Welfen zu fu¨hren, da der Thronstreit durch den K¨onigsmord von Bamberg“ am 21. Juni 1208 sein Ende fand.34 Die ” Umst¨ande dieses K¨onigsmordes35 wurden vielfach diskutiert, sollen hier aber nicht bewertet werden. Nach dem Tode des Stauferk¨onigs kam es im Jahr darauf (1209) tats¨achlich zu ei- ner Verlobung zwischen Otto IV. und Beatrix von Schwaben, die er noch im Jahr zuvor als Ehefrau emp¨ort ablehnte.36 Dies trug allgemein zur Anerkennung Ottos im Reich bei. Die Verlobung wurde sicher nicht aus Liebe geschlossen, sondern vielmehr als Symbolcharakter und um die erw¨ahnte Anerkennung im Reich zu erlangen. Die Eheschließung fand schließlich 1212 statt, als Beatrix das erforderliche Alter von 14 Jahre erreicht hatte. Auch dieses Jahr stellte erneut ein zweckm¨aßiges ausgerichtetes Jahr dar, denn nach der Kaiserkr¨onung Ottos in St. Peter am 4. Oktober 1209 folgte schon 13 Monate sp¨ater die Exkommunikation des Kaisers durch Innozenz III. Somit war durch die Heirat von Otto IV. und Beatrix erneut etwas mehr Stabilit¨at in seine Herrschaftsgrundlage gelangt.37 Aber schon drei Wochen nach der Verm¨ahlung des Kaisers mit der jungen Beatrix mussten Otto und seine Anh¨anger den tragischen Tod Beatrix’ hinnehmen. Dieses Ereignis stellt vermutlich den Wendepunkt der Herrschaft Ottos IV. dar. Mit dem Tod der jungen Kaiserin br¨ockelt der Ru¨ckhalt unter den Stauferanh¨angern, was schon fast einer Vorentscheidung in einem neu entbrannten Thron streit zwischen dem 1211 von einer Fu¨rstengruppe gew¨ahlten Friedrich II. (1194-1250)38 und Otto IV. gleichkam. Wiederum schu¨rte auch Papst Innozenz III. mit seiner antiwelfischen Gessinung den erneuten Thronstreit.39 Mit der Niederlage des Koalitionsheeres um Otto IV. gegen K¨onig Philipp von Frankreich (1165-1223) in der Schlacht an der Marcq-Bru¨cke bei Bouvines am 27. Juli 1214 stand die Herrschaft des ersten und einzigen Welfenkaisers vor dem Ende.40 Auf dem vierten Laterankonzil, welches 1215 abgehalten wurde, versuchte Otto IV. vergeblich durch eine Absolution seine letzten Machtfetzen zu konservieren und unternahm einen seiner letzten Versuche zur Ru¨ckgewinnung seiner fru¨heren Unterstu¨tzer.
Doch der Papst lehnte mit den Worten, dass der Reichtum der St¨adte in keinerlei Weise” ausreiche, die von jenem Otto der r¨omischen Kirche zugefu¨gten Sch¨aden zu heilen“, die Bitte Ottos IV. ab.41 Die K¨onigswu¨rde Friedrichs II. wurde auf dem Laterankonzil anerkannt.42 Mit dem Tode Ottos IV. im Jahre 1218 endet die Herrschaft des einzigen Welfischen Kaisers.
Otto IV. war aber nicht ausschließlich auf den Kriegsschaupl¨atzen aktiv, sondern galt auch als F¨orderer von Kultur, Literatur und des Klosterlebens. So wissen wir beispielsweise einiges u¨ber Erz¨ahlstoffe aus dem h¨ofischen Leben Ottos IV. Ein bekannter Schreiber ist Gervasius von Tilbury (1150-1235), der in seiner ” Otia Imperialia“ eine Handschrift Ot- to IV. und dessen Hof gewidmet hat.43 Auch wurde der Minnesang und die Dichtung von Sangspru¨chen gef¨ordert, wie wir sie in den Dichtungen Walters von der Vogelweide wieder- finden.44 Neben der Literaturf¨orderung waren es aber insbesondere die Zisterzienser, denen Otto seine Unterstu¨tzung schenkte. Vielfach wurde daru¨ber diskutiert, weshalb Otto IV. besonders die Kl¨oster gef¨ordert habe. Ganz einfach, seit Friedrich I. (1122-1190) wurden die Zisterzienserkl¨oster zu einem innovativen Instrument der Territorialpolitik des K¨onigtums und zu einem erheblichen Bestandteil der finanziellen Grundlage.45 Sicherlich spielen auch die fru¨hkindlichen Erfahrungen am englischen Hof eine Rolle, wenn auch eine untergeordne- te.46 Im wesentlichen unterschied sich die Beziehung zu den Zisterziensern nicht von anderen Territorialherren.47 Mit den ausreichend geschilderten Ereignissen des Jahres 1208 wird auch Otto, wie schon Friedrich I., advocatus spe cialis einer jeden Zisterzienserniederlassung. Das bedeutet insbesondere, dass die A¨ bte des Generalkapitels ihn als r¨omisch-deutschen K¨onig und als zuku¨nftiges weltliches Oberhaupt der Christenheit anerkennen, sowie ihn in die Bru¨derschaft aufnehmen.48 Im Umkehrschluss bedeutete dies fu¨r Otto, dass [ alle ] Ordens- ” leute mit ihren ¨okonomischen, finanztechnischen, diplomatischen, agrarischen, montan- und bautechnischen F¨ahigkeiten sowie [ alle ] Kl¨oster mit ihren R¨aumen, Ressourcen, Stadth¨ofen [und] Mitteln“49 in seinen Dienst traten. Dies war generell fu¨r Otto wichtig, insbesondere auf seinem Kreuzzug nach Italien musste er sich der Unterstu¨tzung gewiss sein, da ein derart großes Vorhaben im Mittelalter einer logistischen Meisterleistung gleichkam. Man bedenke die Notwendigkeit von Nahrungsmitteln, Unterkunft und Pharmazie. Durch die weite Ver- breitung der Zisterzienserkl¨oster war somit eine grundlegende Versorgung und Unterstu¨tzung gew¨ahrleistet.
Als Fazit sollten wir festhalten, dass Otto IV. sowohl milit¨artechnisc50 als auch kulturell engagiert war. Betrachtet man Ottos Leben in der Ru¨ckschau, so vermag man seine Vita als einerseits von Zufall51(?) gepr¨agt und andererseits von Schicksalsschl¨agen52 u¨berschattet zu beurteilen. Letztendlich stellt die Herrschaftszeit Ottos IV. ein aus staufischer Sicht un- passendes Bindeglied zwischen zwei sehr einflussreichen Kaisern, n¨amlich Heinrich VI. und Friedrich II. Barbarossa, dar. Aus welfischer Sicht k¨onnte man Otto IV. als hoffnungsvoll be ginnenden aber tragisch gescheiterten Kaiser betrachten, der letzlich nicht dazu in der Lage war, die staufische U¨ bermacht zu brechen und eine neue welfische Großmacht zu etablieren.
[...]
1 Hucker, B.U., Kaiser Otto IV., Monumenta Germaniae Historica (Schriften), Bd. 34, Hannover 1990, S. 4.
2 Hier seien nur wenige Schlachten aufgez¨ahlt: Kreuzzug nach Italien, die Schlacht von Bouvines 1214, Kampf um die Normandie 1195 und 1197, U¨ berfall von Wassenberg etc.
3Hier sei die Exkommunizierung Ottos durch Innozenz, dem wohl m¨achtigsten Papst des Mittelalters erw¨ahnt, die am 30. November 1215 durch einen Verfahrenstrick ohne Verhandlung rechtskr¨aftig gemacht wurde. Außerdem gilt der Verrat des Kaisers Otto durch die Fu¨rsten als Intrigant.
4 Biegel, G., K¨onig Lothars III. ” raum vom welfischen K¨onigtum“ und der Weg der Welfen nach Sachsen, T in: Hucker, B.U., Hahn, S., Derda, H.-J., Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweig 2009, S. 34.
5 Schneidermu¨ller, B., 1125 - Unruhe als politische Kraft im mittelalterlichen Reich, in: Hechberger, W. und Schuller, F. (Hg.), Staufer und Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter, Regensburg 2009, S. 149 ff.
6Die Wurzeln dieser Traditionen liegen in der Merowingerzeit, als K¨onige durch das Volk ” ¨ahlt“ wur gewonnen. den. Man kann sagen, fu¨r den Kandidaten, fu¨r den am lautesten geschrien wurde war die K¨onigswahl Heerschaft setzt Akzeptanz voraus.“ ”
7Vgl. Althoff, G., Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; Schnei dermu¨ller, 2009.
8 Schneidermu¨ller, 2009, S. 31.
9 In der U¨ bersetzung: Uns berichten die Erz¨ahlungen, wie sch¨on sein Leben sei, obgleich noch im Kindesalter, in: Braunschweigische Reimchronik, in: Monumenta Germaniae Historica Deutsche Chroniken, Bd. 2, S. 519, V. 4767 ff.
10 Hucker, B.U., Otto IV. - Ein Leben zwischen dem englischen K¨onigshof und der Braunschweiger Pfalz (1175/76-1218), in: Hucker, B.U., Hahn, S., Derda, H.-J., Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweig 2009, S. 20.
11 Hucker, 2009, S. 20.
12 Im Original: ” anwisete/ vil menge tugent, dha sich an prisete Otte, dher stolze jungelinc.“ In: Braun- schweigische Reimchronik, S. 519, V. 4777 ff.
13 Braunschweigische Reimchronik, S. 519, V. 4780 ff.
14 Es lautet: ” inter omnes coevos suos prosapia preclarus [...]“ (1211), in: Chronicon Mailrosensis, in: Mo- numenta Germaniae Historica SS, Bd. 27, S. 437, V. 6.
15 Vgl. auch: ” [... ] si welten dem rˆıche/ ainen tiurlˆıchen helt,/ der doch ze den besten was gezelt/ lˆıbes unde guotes,/ noch mˆer het er muotes./ Otte von Brunswic er hiez.“, in: Deutsche Kaiserchronik (Kaiserchro nik, Anhang I.), in: Monumenta Germaniae Historica Deutsche Chroniken, S. 403, V. 372 ff.
16 Im original: ” persone tue sollicite studeas precavere necusque adeo sis prodigus vite tue, ut quasi victoriam velis morte mercari.“ (1201), in: Regestum Innocentii, Nr. 57, S. 155, Z. 18 f.
17 An oberster Stelle standen Gottfried von Bretagne (1158-1186) und Johann Ohneland (1167-1216).
18 Hucker, 2009, S. 21.
19 F¨oßel, A., Beatrix von Schwaben und Maria von Brabant - Die Frauen Ottos IV., in: Hucker, B.U., Hahn, S., Derda, H.-J., Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweig 2009, S. 229.
20 F¨oßel, 2009, S. 229.
21 F¨oßel, 2009, S. 229.
22 Es lautet: ” [...] A d he c Otto, quamvis iam desperatus, indigne ferens aliqua sibi pro regno offerri, se r egnum non nisi cum morte depositurum protestatus, Philippo, ut sibi cederet, multo maiora obtulit [...]“, in: Ottonis De St. Blasio, Ottonis De St. Blasio Chronica, in: Hofmeister, A. (ed.), Scriptores Rerum Germanicarum, Hannover 1912, S. 80.
23 Mamsch, S., Der deutsche Thronstreit (1198-1208). Konkurrenz - Konflikt - L¨osungsversuche, in: Hucker, B.U., Hahn, S., Derda, H.-J., Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweig 2009, S. 51.
24 Mamsch, 2009, S. 52. Es waren aber auch die Kl¨oster, die Otto unterstu¨tzten (siehe Fußnote 44).
25 Honorius III., Nachfolger Innozenz’ III., bescheinigt: ” viribus corporis et industria militari precellens.“ (1225), in: Annales ecclesiae, § 31.
26 Dort liest man: ” [...] koninc Philippus ritterscapht/ quam mit gewalt und mit krapht/ ober Mosele in zem lande./ daz herete her unte brande/ allenthalben sundher were/ durch sin ummezige here [...]“, in: Braunschweigische Reimchronik, S. 522 f., V. 5072 ff.
27 Hucker, B.U., Otto IV.. Der wiederentdeckte Kaiser, Frankfurt am Main/ Leipzig 2003, S. 85.
28 Im Original: ” [... ] ˆe sente Johannes tage vor Bruneswich/ svoren zo varende vil kreftich/ an ritterscaph eyne hervart,/ dhe danarch geleystet wart. [...] Eyn bote an der selben zit/ quam gerant. her seyte mere,/ we dher Ostervursten here/ und koninc Philippus so kreftich/ queme getrecket vor Bruneswich/ mit so grozer ritterscaph [...]“, in: Braunschweigische Reimchronik, S. 525 f., V. 5332-5335, 5399 ff.
29 Im Original: ” [...] Sente Autor dher heylige man/ irsceyn an dher selben zit/ dem erzebiscophe, so men git,/ von Tryere, dher mit dem koninge lach/ und der hervart vil scone plach./ her sprach zo im an eyner nacht/ an susgethaner worte acht:/ ’ich bin iz, Autor, der vil mengen tach/ zo Tryere dhes biscophtomes plach/ itteswenne hi bevoren./ nu han ich mich irkoren/ Bruneswich dhe vesten,/ dha will ich rowen unten resten/ und wil ir nimber abgehen/ noch an noten lazen besten./ se wirt von mir geweret [...] saghe ouch dem koninghe hohemut/ Philippo, daz her kere/ von dher stat mit sime here/ vil scere an kurzer stunt,/ of her und dhe sine gesunt/ willen bliben von dhes todes macht’. [...]“, in: Braunschweigische Reimchronik, S. 528, V. 5518 ff.
30 Hucker, 2003, S. 86.
31 In einem Brief von Innozenz III. an Otto IV. lautet es: ” ar wir an dir deine kriegerische Tu¨chtigkeit Obzw hochpreisen, so bemuhe dich doch, deine Person sorgf¨altig zu hu¨ten, weil Ku¨hnheit bei dem Herrscher manchmal verderblich sein kann, wenn er seine Person unbedacht Gefahren und dem Zufall aussetzt, wie du es ku¨rzlich erfahren haben wu¨rdest, wenn nicht die Hand Gottes mit dir gewesen w¨are, und gehe nicht so leichtsinnig mit deinem Leben um, las wolltest du den Sieg mit dem Tod erkaufen.“ Der Kriegszug kam im folgenden nicht zustande, in: Regestum Innocentii, Nr. 52, S. 155, Z. 14 ff.
32 1204 unterwarf sich Landgraf Hermann von Thu¨ringen. Im selben Jahr leisteten Erzbischof Adolf von K¨oln und Herzog Heinrich I. Philipp von Schwaben den Treueid, in: Mamsch, 2009, S. 53.
33 Es lautet: ” Philippus rex [...] persequi deliberat contractoque valido exercitu contra Brunswic ire disponens in civitatem Babinbergensem divertit, exercitu iam in procinctu constituto [...]“, in: Ottonis De St. Blasio Chronica, S. 82.
34 Es lautet: ” [...] gladio sub veste latente. Intromissus igitur continuo exerto gladio regem invasit unoque ictu c apite letaliter vulner atum o ccidit, vulner ato etiam Heinrico dapifero de Walpurg, qui eum comprehensum retiner e voluit [...], in: Ottonis De St. Blasio Chronica, S. 82 f.
35 U.a. in: Csendes, P., Philipp von Schwaben. Ein Staufer im Kampf um die Macht, Darmstadt 2003.
36 siehe Fußnote 20.
37 F¨oßel, 2009, S. 230.
38 Hucker, 1990, S. 297.
39 Z.B. Exkommunikation.
40 Hucker, 1990, S. 303.
41 Vgl. Hucker, 1990, S. 324.
42 Hucker, 1990, S. 325.
43 Rothmann, M., Adelige Kaminabende - Erz¨ahlstoffe am Hofe Kaiser Ottos IV. am Beispiel der h¨ofischen Enzyklop¨adie des Gervasius von Tilbury, in: Hucker, B.U., Hahn, S., Derda, H.-J., Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweig 2009, S. 173.
44 Vgl. u.a. Behr, H.-J., Der Hof Ottos IV. als literarisches Zentrum, in: Hucker, B.U., Hahn, S., Derda, H. J., Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweig 2009; Hucker, 1990.
45 Vgl. insbesondere Schulz, K., Die Zisterzienser in der Reichspolitik w¨ahrend der Stauferzeit, in: Elm, K. (Hg.), Die Zisterzienser. Erg¨anzungsband, 1982, S. 165-193.
46 Mehrfach im Plenum diskutiert.
47 Hucker, 1990, S. 249.
48 Hucker, 1990, S. 249.
49 Hucker, 1990, S. 249.
50 Otto brachte den Tribok ins deutsche Reich, dazu: Feuerle, M., Europ¨aischer Wissenstransfer im Zeichen kaiserlicher Machtpolitik, in: Hucker, B.U., Hahn, S., Derda, H.-J., Braunschweigisches Landesmuseum (Hg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweig 2009, S. 263-274.
51 K¨onigsmord von Bamberg.
52 Tod von Beatrix nach drei Wochen der Ehe.
- Quote paper
- Michael Fiedler (Author), 2010, Leben und Bedeutung von Otto IV. unter den Vorzeichen eines staufischen Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151381