Einführung: Romantische Rückbesinnung. In der geistes- und stilgeschichtlichen Epoche „Romantik", die etwa von 1790 bis etwa Mitte des 19. Jhdts. andauerte, zogen dich die zeitgenössischen Dichter auf die Vergangenheit, insbesondere auf das Mittelalter zurück. Als romantisches Ziel galt die Begründung einer dichtenden Volksseele, die das niedere und gebildete Volk vereinen sollte. Die Romantiker befürchteten nämlich eine Entzweiung der Intellektuellen und ihrer Dichtungen vom Volk und der Volkskultur. So richtete man sich fortan an die zeitgenössischen Leser aller Schichten. In diesem Sinne griffen sie alte, traditionelle Formen der Volkspoesie, vor allem das Volkslied, wieder auf. Ebenso gewannen Volksbuch, Sage und Märchen erneut an Bedeutung. Während die frühen Romantiker das Märchen als literarische Gattung etablierten und ihrer Fantasie in der Neugestaltung freien Lauf ließen, setzte sich der hochromantische Literaturkreis im deutschen Heidelberg und Berlin, dem Schriftsteller wie Clemens Brentano (1778-1842) und Joseph von Eichendorff (1788-1857) unter anderen angehörten, mit dem Volkslied auseinander.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Allgemeine Einführung
1.1. Romantische Rückbesinnung
1.2. Heidelberger Literaturkreis: Geschmack und Ideen der Dichter
1.3. Romanzen: Gedichte im Ton von Volksliedern
2. Hauptteil I: Folklorisierte Kunstlieder
2.1. Brentanos romantische Verklärung
2.2. Kunstlied versus „authentisches“ Volkslied: Variationen
2.2.1. O Tannenbaum: beliebige Volksweise
2.2.2. O Tannebaum! o Tannebaum!: Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter
2.2.3. C. Brentano/Achim v. Arnim: Des Knaben Wunderhorn
2.2.3.1. O Tannenbaum: Kinderlieder im Anhang
2.2.3.2. Der Tannenbaum. : Quelle nach Büsching/von der Hagen
2.2.3.3. Westfalische Klänge
2.3. Wirkungsgeschichtliche Aspekte: Epochale Bedeutung Brentanos Kunstlyrik
3. Hauptteil II: Der Brentanosche Ton als Inspirationsquelle
3.1. J. v. Eichendorff: Vertreter und Vollender der deutschen Romantik
3.2. Brentanos Einfluss auf Eichendorff:
3.2.1. C. Brentano: Laß rauschen lieb, laß rauschen
3.2.2. J. v. Eichendorff: In der Fremde
3.3. Wilhelm Müllers Wanderlieder
4. Résumé: Auf Spurensuche
4.1. Geburtsstunde einer neuen, literarischen Gattung
4.2. Zukunftsperspektive
5. Literaturverzeichnis
5.1. Primärliteratur
5.2. Sekundärliteratur
1. Allgemeine Einführung
1.1. Romantische Rückbesinnung
In der geistes- und stilgeschichtlichen Epoche „Romantik", die etwa von 1790 bis etwa Mitte des 19. Jhdts. andauerte, zogen dich die zeitgenössischen Dichter auf die Vergangenheit, insbesondere auf das Mittelalter zurück. Als romantisches Ziel galt die Begründung einer dichtenden Volksseele, die das niedere und gebildete Volk vereinen sollte. Die Romantiker befürchteten nämlich eine Entzweiung der Intellektuellen und ihrer Dichtungen vom Volk und der Volkskultur. So richtete man sich fortan an die zeitgenössischen Leser aller Schichten.
In diesem Sinne griffen sie alte, traditionelle Formen der Volkspoesie, vor allem das Volkslied, wieder auf. Ebenso gewannen Volksbuch, Sage und Märchen erneut an Bedeutung. Während die frühen Romantiker das Märchen als literarische Gattung etablierten und ihrer Fantasie in der Neugestaltung freien Lauf ließen, setzte sich der hochromantische Literaturkreis im deutschen Heidelberg und Berlin, dem Schriftsteller wie Clemens Brentano (1778-1842) und Joseph von Eichendorff (1788-1857) unter anderen angehörten, mit dem Volkslied auseinander.
1.2. Heidelberger Literaturkreis (1805-1808): Geschmack und Ideen der Dichter
Dem ursprünglich schlichten Volkston wurde ein kunstvoller verliehen. Dieser findet sich in den Liedern der Sammlung Des Knaben Wunderhorn (1806-1808) von Clemens Brentano und Achim v. Arnim wieder. Ihre Zeitgenossen fassten die enthaltenen Dichtungen fälschlicherweise als alte deutsche Lieder auf. Die Sammlung Des Knaben Wunderhorn sollte eigentlich den Untertitel Kunstlieder im Volksliedton anstatt Alte deutsche Lieder tragen. Anfangs kam Brentano dem Wunsch seines Münchner Freundes Johann Friedrich Böhmer, eine Sammelausgabe seiner bisherigen Märchen- und Romanmanuskripte zu erstellen, nur ungern nach. Mit Widerwillen ließ er es zu, dass einige seiner Romanzen aus Werken wie Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter, Ponce de Leon, Die lustigen Musikanten oder Die Gründung Prags herausgeschrieben werden durften, wie zum Beispiel St.Meinrad und die Lureley-Dichtung. Diese frühe Schaffenszeit gab Brentano seinem Freund „als Fundstelle seiner Lieder" an. Seine Sammlung Des Knaben Wunderhorn lag ihm dafür im Besonderen am Herzen. Die Lieder wurden nämlich meist umgestaltet, fantasievoll kombiniert, um- und weitergedichtet oder neu zusammengesetzt. Laß rauschen Lieb, laß rauschen und St. Meinrad beispielsweise beweisen vorbildlich jene moderne Künstlichkeit. Insbesondere das altbekannte Lorelei-Motiv wurde von Brentano in
Zu Bacharach am Rheine erstmals eingeflochten und später von Eichendorff und Heinrich Heine adaptiert.
1.3. Romanzen: Gedichte im Ton von Volksliedern
Brentano orientierte sich in jungen Jahren an den frühromantischen Dichtern Goethe, Tieck, den Gebrüdern Schlegel und Novalis. Eine selbstauferlegte Herausforderung, die der junge Medizinstudent mit seiner Vorliebe für das Versmaß der Romanzen, den Trochäus, mit Bravour meisterte. Die Inspiration zu seiner kreativen Schaffensphase fand Brentano in seiner liebevollen Beziehung zu Sophie Mereau. Caroline Schlegel zeigte sich als Erste von seinen balladesken oder empfindsamen Liedern begeistert. Brentanos Wagnis Altem, Traditionellem einen neuen, gefühlsvollen Akzent zu verleihen, war geglückt. Die Geburtsstunde seiner künstlichen Volksliedlyrik findet sich beispielsweise mit O Tannebaum! o Tannebaum! in dem sehr frühen Werk Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter wieder. Die am meisten bekannten Lieder daraus lauten Ein Fischer saß im Kahne, Ein Ritter an dem Rheine und Zu Bacharach am Rheine.
2. Folklorisierte Kunstlieder
2.1. Brentanos romantische Verklärung
Aufgrund seiner Raffinesse, mit welcher er an die zumeist mündlich übertragenen, volkstümlichen Materialien heranging, kann Brentano gerechterweise als großer Geist der Romantik, im Sinne einer genieästhetischen Betrachtung, tituliert werden. Gleich einem Magier der Künste verzauberte er die profane und derbe Volksdichtung in eine traumhafte, ja regelrecht anmutige Lyrik, die, wenn sie gesungen wird, melodisch schön klingt. Sie reimt regelmäßig und ohne zu holpern, während beim „authentischen" Volkslied nicht auf die Formschönheit geachtet wurde. Das Streben nach Anmut ist ein Synonym für eine ausgeglichene und harmonische Dichtung. Brentano legt auf formaler und inhaltlicher Ebene größten Wert auf ästhetische Vollkommenheit, sodass die Werke den Anschein haben, sie hätten sich „von selbst“ gedichtet. So fügt er zwischen den vorhandenen Zeilen geschickt Neues hinzu, ohne das Traditionelle zu zerstören. Diese gelungene Verbindung von Altem und Neuem und die Einbettung des lyrischen Ich in eine romantische und sensible Stimmung, die nach einer Vereinigung von Natur und Mensch strebt, sind typisch für Brentanos Kunstlyrik.
Harmonie ist wohl das beste Schlagwort in Bezug auf diese Art von verzaubernder, ja magischer Dichtung. Der Vorwurf, dass sie kindisch und naiv sei, ist völlig unbegründet. Es handelt sich keineswegs um eine lockere, „aus dem Ärmel geschüttelte“ Technik, sondern um eine bewusst durchgeführte, künstliche Tätigkeit, die sich in einer Gegenüberstellung zwischen einem Lied, das Brentanos neuem Ton folgt, und einem „authentischen" Volkslied, beweisen lässt. Eine genauere Analyse der zur Umgestaltung angewendeten Mittel, macht den Kontrast dazwischen sichtbar bzw. zeigt, dass es sich bei weitem nicht um alte deutsche Lieder handelt. Um die starke Umarbeitung und gravierenden Veränderungen zu vertuschen, gab Brentano keine, wage oder nur mündlich überlieferte Quellen an. Die starke Bearbeitung der ursprünglichen Fassung blieb für lange Zeit undurchschaubar – selbst Germanisten des 20. Jhdts. tappten noch im Dunkeln. Literaturwissenschaftler wie Hans Magnus Enzensberger, Walter Müller-Seidel und Heinrich Henel setzten sich dann erfolgreich mit Brenatos Poetik auseinander. Er wendete sich in seinen späteren Werken von der romantischen Naturlyrik ab, hin zu einer Liebeslyrik mit religiösem Charakter.
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- Quote paper
- Monika Slunsky (Author), 2005, Der Volkston in der romantischen Lyrik bei Clemens Brentano und Joseph von Eichendorff, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149633
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