In dieser Hausarbeit wird zu zeigen versucht, wie wichtig es ist, den Text der Perikope aus Jesaja gleichsam für sich selbst sprechen zu lassen und in seinem Eigenwert ernst zu nehmen. Dafür ist es notwendig, bestimmte vereinnahmende und enteignende christologischen Interpretationen einzuklammern, die im Text zumeist nur Präfigurationen für die Messianität Jesu sehen wollen. Im Einzelnen bedeutete das vor allem, die Isolierung des ersten »Gottesknechtsliedes« vom übrigen Textbestand, wie sie sich seit den Forschungen Bernhard Duhms Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hat, zu hinterfragen. Hilfreich für einen anderen Zugang zum Text ist die Einsicht in den Gesamtaufbau der hebräischen Bibel und in die Stellung der prophetischen Texte in der Systematik ihrer Gliederung, also gleichsam ihr ›Sitz im Buch‹. Daraus ergibt sich, dass die Propheten, die in der Kanongestalt des Tanach direkt nach der Tora folgen, als aktualisierende Auslegungen der Tora zu verstehen sind. Der Text der Perikope spricht hinein in eine Situation der sich ankündigenden und schon vollziehenden Rückkehr der Gola aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem / Zion. Er sieht darin einen welthistorisch wichtigen Schritt sowie gewissermaßen einen zweiten Exodus, der die Geschichtsmächtigkeit des Schöpfergottes JHWH sowie seinen Sieg über die Fremdgötter unmissverständlich erweist. In einer prophetischen Subkultur, und nicht an einem Königshaus, konnte sich so der nicht mehr nur monolatrische, sondern strikte und reflektierte Monotheismus durchsetzen und zur Geltung kommen. Das Besondere und Neue der jetzt ergehenden Heilszusage ist ihrer Erweiterung vom Gottesvolk Israel aus auf alle Völker und die geradezu universelle Durchsetzung der Weisungen der Tora.
Inhaltsverzeichnis
I. Erstzugang und Vorverständnis 2
II. Übersetzungsvergleich 3
III. Inhalt, Struktur, Kontext 5
IV. Gattungskritik 10
V. Motiv- und Traditionskritik 13
VI. Literarkritik 15
VII. Theologie, Hermeneutik, Auslegungsgeschichte 19
VIII. Zusammenfassung 22
Literaturverzeichnis 24
I. Erstzugang und Vorverständnis
Die hier zu besprechende Perikope enthält in ihrem ersten Teil das seit gut 100 Jahren so genannte erste »Gottesknechtslied«, das zu einem »eratischen Block« (Klaus Koch) von insgesamt vier »Gottesknechtsliedern« gezählt wird. Schon diese Zuordnung und Bezeichnung trägt, wie ich im Laufe dieser Arbeit zu zeigen versuchen werde, in mehrerlei Hinsicht einen christozentrischen Index in sich. Mir sind diese »Lieder« zuerst in Kontexten (katholische Messe und katholischer Religionsunterricht) begegnet, in denen sie christologisch gedeutet und genauer noch messianisch hin auf Jesu und seinen Kreuzestod ausgelegt wurden. So erinnere ich mich gut an die Lesung und Beschäftigung mit der Geschichte vom äthiopischen Minister oder Kämmerer in der Apostelgeschichte (Apg 8,26-40). Dieser befindet sich bekanntlich in der lukanischen Erzählung auf dem Weg von Jerusalem nach Gaza und »und las im Buch des Propheten Jesaja« (Apg 8,28). [1] Philippus, der am Wegrand sitzt, hört, wie er die Verse aus dem »vierten Gottesknechtslied« (Jes 52,13-53, 12) laut vor sich hinspricht und fragt ihn: »Verstehst du, was du da liest?« (Apg 8,30) Der Kämmerer antwortet: »Wie könnte ich, wenn niemand mich anleitet?« (Apg 8,31). Philippus erläutert ihm daraufhin, dass der Prophet nicht von sich selbst spricht, predigt ihm von Jesus und tauft ihn. Diese hermeneutische Szene habe ich gleichsam auch an mir selbst erlebt; die Antwort, wie die »Gottesknechtslieder« zu verstehen seien, war eindeutig: Sie künden in einer Art Vorschau vom Leiden und vom Kreuzestod Christi. Ausgehend davon wurde uns vermittelt, dass der Prophet Jesaja der »Evangelist des Alten Testaments« sei. Überhaupt schien es mir in der Folge wie selbstverständlich, dass die prophetischen Texte, neben ihrer scharfen Kritik an den vorfindlichen politischen Verhältnissen, in erster Linie messianische Texte seien, und ich habe auch nie hinterfragt, ob es sich bei den »Gottesknechtsliedern« tatsächlich um zusammenhängende und zugleich von ihrer Textumgebung isolierbare Perikopen handelt, die einer eigenen Gattung oder Textsorte angehören.
Bestätigt wurde mir diese Sichtweise auf Jesaja und »die Propheten« durch ein Hörerlebnis. In Georg Friedrich Händels (1665-1759) Oratorium »Der Messias« von 1741/42, das ich oft, früh und gerne gehört habe, ist die Verbindung zwischen dem Prophetenwort und » dem Messias« für die gesamte kompositorische Struktur wesentlich und geradezu titelgebend. Nach dem symphonischen Beginn hat der Trostaufruf aus Jes 40,1ff für das ganze Werk einen tonangebenden Charakter. Vor allem ist es dann der zweite, mit dem Leiden des Knechtes gefüllte Teil, der ganz bestimmt ist von Zeilen des dritten und vierten »Gottesknechtsliedes«. Am Ende steht das »Halleluja«, mit dem zum dritten Teil übergeleitet wird, der dann ganz im Zeichen der endlichen und triumphalen Ankunft des Messias steht. Auch für Händel war unhinterfragbar gültig, dass dieses Geschehens in Jesus Christus, seinem Sterben und seiner Auferstehung seine Erfüllung finde, und in mir verfestigte sich diese Annahme auch im ästhetischen Erlebnis.
Obwohl ich mich schon länger mit der jüdischen Schrifttradition beschäftigt habe, [2] habe ich bis zur gegenwärtigen Auseinandersetzung mit Jesaja diese christliche Sichtweise auf die prophetischen Bücher nicht ausreichend hinterfragt. Für meinen eigenen exegetischen Zugang ist es mir deshalb wichtig, das christliche Vorverständnis zwar nicht aus-, aber doch einzuklammern, und mich offen zu halten für die Bedeutung(en) des Textes. Erst wenn der biblische Text in seinem Eigenwert möglichst unvoreingenommen betrachtet werden kann, stellt sich die Frage nach seiner Relevanz für den christlichen Glauben – und zwar neu und anders.
II. Übersetzungsvergleich
Für den Übersetzungsvergleich habe ich mich für die Lutherbibel in der Fassung von 2017, die Elberfelder Bibel in der Fassung von 2006 sowie die Übersetzung von Martin Buber (1878-1965) und Franz Rosenzweig (1886-1929) entschieden. [3] Zuerst sollen diese Übersetzungen in ihren Grundzügen und in ihren Unterschieden charakterisiert werden:
- Die Lutherbibel ist die im deutschsprachigen Raum verbreitetste Bibelübersetzung, gilt im Protestantismus geradezu als eine Gründungsurkunde und wurde dort zur Haus- und Volksbibel. Während Martin Luther (1483-1546) das Neue Testament innerhalb kürzester Zeit im Winter 1521/22 übersetzte, benötigte er für die Übersetzung des Ersten und Alten Testaments mehr als 10 Jahre. Das hat nicht nur mit der Umfangverschiedenheit der beiden Testamente zu tun, sondern auch damit, dass Luther mit der hebräischen Sprache und der jüdischen Schrifttradition weitaus weniger vertraut war (und mit ihr auch haderte), als mit dem Griechischen und Lateinischen. Die Lutherbibel, die mehrfach revidiert wurde, strebt weniger eine Worttreue an, sondern verwendet ein allgemein verständliches Deutsch.
- Die Elberfelder Bibel entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts. In einem Übersetzerkreis um Carl Brockhaus (1822-1899) versuchte man, sich von der damals vorherrschenden Lutherbibel abzugrenzen und im Unterschied zu dieser eine möglichst den hebräischen und griechischen Grundtexten entsprechende Übersetzung zu schaffen. Einerseits ist hier also das Bemühen um eine philologisch möglichst exakte Übersetzung maßgeblich, andererseits aber soll dieses Prinzip erklärtermaßen nicht überstrapaziert werden (»gemäßigt konkordante Übersetzung«).
- Der Zusammenarbeit von Martin Buber und Franz Rosenzweig verdanken wir eine einzigartige Bibelübersetzung (Die Schrift), die sich ebenfalls gegen die dominierende Luther-Übersetzung richtet und versucht, der Sprach- und Lautgestalt der weitgehend Hebräisch geschriebenen jüdischen Bibel Rechnung zu tragen. Sie entstand zwischen 1926 und 1938; bis zu Rosenzweigs frühem Tod 1929 arbeiteten beide Gelehrte gemeinsam daran, danach wurde sie von Buber allein weitergeführt und vollendet (und zwischen 1954 und 1962 erneut überarbeitet). Die Schrift ist nicht » gemäßigt konkordant«, sondern bemüht sich um eine möglichst konsequent konkordante Übersetzung, was bedeutet, dass Buber und Rosenzweig versucht haben, die Worte, die Gliederung und die Sinneinheiten des Grundtextes genau wiederzugeben (deswegen finden sich dort auch keine Kapitel- und Verseinteilungen). Sie wollten die jüdische Bibel aber nicht bloß übersetzen, sondern zugleich auch » verdeutschen«, was eine enorme sprachschöpferischeLeistung erforderlich gemacht hat. [4]
Ich habe mich in dieser Hausarbeit aus gleich mehreren Gründen für die Übersetzung von Buber und Rosenzweig entschieden. Dies hat zunächst nichts unmittelbar mit dem Text selbst zu tun, sondern mit seiner Stellung im jeweiligen Kanon. Während in der jüdischen Kanongestalt (Tanach) auf die Tora die Prophetenbücher und dann die Weisheits-Schriften folgen, findet sich in den christlichen Bibel eine andere, nämlich zumeist vierteilige Anordnung: Auf die Tora folgen hier zunächst die Geschichtsbücher, dann die Weisheitsbücher und am Ende die Propheten. Diese Abfolge impliziert eine geschichtstheologische Struktur, denn es wird davon ausgegangen, dass die Geschichtsbücher die Vergangenheit, die Weisheitsbücher die Gegenwart und die Prophetenbücher die Zukunft repräsentieren. Die israelitische Prophetie wird damit an die Schwelle zu den Evangelien des Neuen Testaments gerückt, in denen sich nach einer bestimmten christlichen Vorstellung zuallererst ihr wahrer Sinn erfüllt. Schon in der formalen Kanongestaltung, in der Ersetzung der »Toraperspektive« durch die »Prophetenperspektive«[5], zeigt sich mithin das später noch zu diskutierende Überbietungsschema von Verheißung und Erfüllung, und es ist bereits diese Stellung im Kanon, wie ich zu zeigen versuchen werde, die den Sinn der prophetischen Rede verstellt. Zu dem Versuch, den christozentrischen Missdeutungen einen sprachlichen Widerstand entgegenzusetzen, kommt hinzu, dass mir diese Übersetzung aufgrund ihrer Treue zum Original meine mangelnden Hebräischkenntnisse zu kompensieren helfen soll.
Mehr auf den Text bezogen ist es gerade die Wiedergabe des Tetragrammatons JHWH in der Übersetzung von Buber und Rosenzweig im zweiten Teil der Perikope durch pronominale Ausdrücke (ER in V 5a, ICH in V 6a) und die Wiedergabe des Namens Gottes in Anlehnung an Ex 3,14 durch ICH BIN DA in V 8a (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Namenswiedergabe »Ich werde dasein, als der ich dasein werde« in Ex 3,14), die mir sinnvoll und sachgerecht erscheint. Die beiden Übersetzer haben sich damit nämlich gegen das in der Septuaginta, in der Vulgata, bei Luther und auch in der Elberfelder Bibel verwendete »HERR« (adonaj) ausgesprochen. Diese Verwendung von »HERR« verkennt gewissermaßen, dass es sich nicht um einen Titel, sondern um eine spezielle Form des Eigennamens handelt und dass das persönliche Verhältnis zwischen Gott und Mensch gerade nicht als ein Herrschaftsverhältnis verstanden werden darf. Gegen die übliche Transkription des Gottesnamens durch JHWH spreche, so Buber, dass dadurch »mitten in der Schrift der seine Botschaft sprechende Gottesname den stummen Eigennamen der Götter gleichgestellt« werden würde. [6] Im Verständnis der beiden jüdischen Übersetzer können nur die gewählten Personalpronomen in ihrer dialogischen Einbindung das »Immer wieder neu« sowie das »Bei-ihnen-« und das »Bei-uns-Sein« Gottes ausdrücken. Auch in der Namenswiedergabe durch »ICH BIN DA« kommt dieser dialogische Charakter, die Offenheit, Unverfügbarkeit und das Dynamische in Gottes Beziehung zu seinem Volk Israel treffend zum Ausdruck. Wenn in diesem Zusammenhang von »dasein« gesprochen wird, dann ist damit gerade keine ontologische Aussage, sondern vielmehr ein »Da-Sein« und »Mit-Sein« gemeint, das sich in der Beziehungsgeschichte zwischen Gott und seinem Volk zeigt und in sie eingebunden ist.
Auch die Verwendung von »Weltstämmen« in V 1d und V 6e bei Buber und Rosenzweig anstatt »Heiden« und »Nationen« in der Lutherübersetzung und in der Elberfelder Bibel kommt mir passender vor. Die letztgenannten Formeln scheinen mir in anachronistischer Form etwa auf die paulinische Vorstellung einer »Heiden«mission anzuspielen.
III. Inhalt, Kontext, Struktur
Um die Perikope in ihrer Textur besser kenntlich zu machen, sollen die Verse in einem ersten Schritt sowohl in einer bestimmten Segmentierung als auch durch die Hervorhebung bestimmter Begriffe und Schlagworte präsentiert werden. Die Verssegmentierung orientiert sich an der üblichen Verseinteilung und richtet sich nach folgenden grammatikalischen Regeln: Jeder Teilvers muss für sich alleine stehen und einen vollständigen Satz ergeben können. Um die Sinnrichtung und Sinneinteilung deutlich werden zu lassen, werden Nebensätze, also hypotaktisch verknüpfte Sätze unter Umständen aufgelöst. Hauptsätze, also parataktisch verbundene Sätze werden grundsätzlich getrennt. Wichtige im Text zu findende Stichworte, die ich in dieser Exegese aufgreifen werde, stellen erklärungsbedürftige Sachverhalte und Problemanzeigen dar; ich habe sie im Text unterstrichen. Unter Anwendung dieser Vorgaben und Regeln stellt sich der segmentierte und markierte Text in der Übersetzung von Buber und Rosenzweig wie folgt dar:
42,1 a Mein Knecht hier, an dem ich halte, b mein Erwählter, dem eine Seele gnadet, c auf ihn gebe ich meinen Geisthauch, d den Weltstämmen führe er Recht hin. 2 a Nicht schreit er, nicht erhebt, b nicht läßt auf der Gasse seine Stimme er hören, 3 a ein geknicktes Rohr bricht er nicht, b einen glimmenden Docht, den löscht er nicht ab, c Recht führt hinaus er in Treuen. 4 a Er selber verglimmt nicht und knickt nicht ein, b bis das Recht er setzte auf Erden c und seine Weisung die Ozeanküsten erwarten. 5 a So hat der Gottherr, ER, gesprochen. b der die Himmel schuf und sie spannte, c der die Erde breitete zusamt den aus ihr Gesproßnen , d der dem Volk auf ihr Odem gab, e Hauch den sie Begehenden: 6 a ICH rief dich an in Bewährung, b ich fasse dich an der Hand, c ich will dich verwahren, d ich will dich begeben zu einem Volksbund, e zu einem Weltstämme-Licht, 7 a blinde Augen zu erhellen, b aus dem Kerker Gefangne zu führen, c aus dem Hafthaus, die in Finsternis sitzen. 8 a ICH BIN DA: das ist mein Name, b meinen Ehrenschein gebe ich nicht einem andern, c noch den Meißeldocken meinen Lobpreis: 9 a das Frühre, hier, es kam, b Neues melde ich an, c eh es wächst, lasse ich euch es erhorchen. |
Bevor die Perikope mit ihren beiden Strophen (V 1-4 und V 5-9) im Einzelnen untersucht werden soll, ist es hilfreich, sie vorab in ihrer Einbettung in den übergreifenden Textzusammenhang zu betrachten. Der Text steht nahe am Beginn des zweiten Großteils des Buches Jesaja, der gewöhnlich und seit den Forschungen von Bernhard Duhm (1847 – 1928) »Deuterojesaja« genannt wird (siehe zur forschungsgeschichtlichen Einordnung und Problematik dieser Bezeichnung Punkt VI.) und die Kapitel 40 bis 55 umfasst. In Jes 39 war letztmalig der Prophet Jesaja als Person erwähnt worden, und ab Kapitel 40, was wohl als das deutlichste textliche Signal für einen inhaltlich neuen Teil genommen werden kann, wird dieser als Person gänzlich durch die prophetische Rede ersetzt.
Berges und Beuken weisen zudem darauf hin, dass sich im Jesajabuch, anders etwa als im Buch Jeremia (siehe Jer 52), keine Darstellung der Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie der Exilierung von Teilen der Bevölkerung nach Babylonien findet. Im Mittelpunkt stehe mithin auch nicht der Sieg des babylonischen Königs Nebukadnezzar II. (um 640 BC – 562 BC) über das Südreich Juda im Jahre 597 BC, sondern der Sieg über Babylonien durch den Perserkönig Kyros II. (um 590 bis 580 BC – August 530 BC) 539 BC, der die Rückkehr Israels nach Jerusalem sowie den Wiederaufbau des Tempels möglich gemacht hat. [7] Da sich nach und durch die Exilsereignisse die Gerichtsankündigung Jesajas erfüllt haben, konnte man jetzt darauf vertrauen, dass auch seine Heilsworte Wirklichkeit werden. Ganz entsprechend wird der Perser Kyros – und nicht, wie im Buch Jeremia, Nebukadnezzar (Jer 25,9) – als »Hirt« (Jes 44,28) und sogar als »Gesalbter« Gottes (Jes 45,1) vorgestellt. Hatte Gott zuerst den babylonischen König zur Bestrafung seines Volkes eingesetzt (Gerichtshandeln), so tut er dies wenige Jahrzehnte später mit dem Perserkönig zur Restauration seines Volkes in Jerusalem / Zion (Heilshandeln).
Zuerst erfolgt ganz zu Beginn des 40. Kapitels ein Trostaufruf, mit dem die Jahre des Exils und der Knechtschaft von Gottes Volk für beendet und dessen Schuld für vergeben erklärt wird. Gott erneuert jetzt seine Heilszusage an Jakob / Israel. [8] Diese Heilszusage wird mit der Ohnmacht der Völker und ihrer Götter kontrastiert, die zuerst für nichtig erklärt, dann aber im 41. Kapitel zu einem (fiktiven) Rechtsstreit herausgefordert werden. Das zentrale Argument in den beiden Gerichtsreden Gottes (Jes 41,1-4.5-7 und 41,21-24.25-28) lautet: Nur derjenige Gott ist mächtig und der einzig wahre Gott, der den Sieg des Kyros vorhergesagt und auch herbeigeführt hat. Er allein ist es, der sein Volk siegreich als königlicher Hirt nach Jerusalem / Zion zurückführt. Nachdem dieser siegreiche Gott den Rechtsstreit für abgeschlossen und gewonnen sowie die Nichtigkeit und das Schweigen seiner Gegner erklärt hat (Jes 41,28-29), lässt er seinen »Knecht« in der ersten Strophe unserer Perikope (V 1-4) auftreten, der nicht mehr in den Rechtsstreit involviert ist. Anders als in Jes 41,8.9 wird der Knecht nun auch nicht mehr direkt angesprochen, was ebenfalls für den Beginn einer neuen Texteinheit genommen werden kann. [9]
Eine solche Abgrenzung bedeutet aber keineswegs, dass das nun folgende Knecht-Gottes-Poem [10] als von seinem literarischen Kontext isoliert und abgehoben betrachtet werden sollte, wie dies Duhm angenommen und wirkmächtig propagiert hatte (siehe auch dazu die Ausführungen unter Punkt VI.). Schon in Jes 41,8.9 wird »Jifsarel, mein Knecht«, der Erwählte »Jaakob« aufgerufen, für JHWH Zeugnis abzulegen. Ganz analog dazu wird in den V 1a.b der Knecht angesprochen, der Gottes »Erwählter« ist. Die Präsenz von JHWH und seine besondere Zuwendung wird bei der Vorstellung des Knechts durch eine fünffache Nennung pronominaler Ausdrücke in den V 1a-c (»ich«, »mein« und »meine«) betont. Danach taucht JHWH nicht mehr auf, denn nun ist die Beauftragung abgeschlossen und sein Knecht erfüllt seine Aufgabe »in Treuen« (V 3c), also verbindlich und verlässlich. Die ihm zugedachte zentrale Aufgabe besteht darin, den »Weltstämmen« das »Recht« zu bringen (V 1d; wiederholt in V 3c und variiert in V 4c). Und auch jetzt muss gelten: Dieses Recht wird nur verständlich im Zusammenhang mit dem in Kap. 41 ergangenen Rechtsentscheid, der eindeutig zugunsten des wahren und einzigen Gottes und gegen alle Fremdgötter ausgegangen war. Eine Erweiterung liegt aber darin, dass zuerst noch von einem »Glücksmärbringer« (Jes 41,27) die Rede ist, der Jerusalem gegeben wird, nun aber in Kap. 42 von einem Knecht, der allen Stämmen der Welt das Recht JHWHs bringt und damit zum Instrument der Durchsetzung seines universalen Geschichtsplans wird (siehe dazu auch Jes 51,4)[11].
Berges hat auf folgende inhaltliche und formale Besonderheiten der ersten Strophe aufmerksam gemacht, die auch er immer noch das erste »Gottesknechtlied« nennt: [12] Auf die initiale Präsentation des Knechtes (V 1a) und seine Befähigung in den V 1b-d (»mein Erwählter, dem meine Seele gnadet, auf ihn gebe ich meinen Geisthauch«) folgt die Form seines Auftretens (V 2.3) sowie die Mitteilung des endgültigen Gelingens (V 4b.c). Diese drei Glieder werden durch das Leitwort »Recht« miteinander verbunden (V 1d.3c.4b). Umschlossen wird die Strophe durch den anfänglichen Hinweis auf die »Weltstämme« in V 1d, denen das Recht gegeben wird, sowie dem abschließenden Verweis in Vers 4d auf die »Ozeanküsten«, die auf seine »Weisung« (Tora) warten. Diese beiden positiven Schlusskola rahmen und unterbrechen eine siebenfache Negation (»nicht«) in den V 2a bis 4a. Daraus lässt sich folgern, dass da, wo vom Recht die Rede ist, Negationen nicht mehr passend sind. Diesen Negationen lässt sich weiterhin entnehmen, dass der Knecht in stiller und friedlicher Weise auftritt und die Schwachen achtet (»ein geknicktes Rohr bricht er nicht, einen glimmenden Docht, den löscht er nicht ab«, V 3a.b). Alles Bemühen zielt mithin darauf ab, dass JHWH durch seinen Knecht das Recht zu den »Weltstämmen« bringt und eine gerechte Ordnung schaffen will, die nur durch die Tora vermittelt werden kann. Dass mit »Weisung« in Vers 4d die Tora gemeint ist, ergibt sich schon dadurch, dass Buber und Rosenzweig sie in ihrer Übersetzung Die Fünf Bücher der Weisung genannt haben.
Die V 5 bis 9 bilden eine zweite Strophe bzw. einen eigenen zweiten Abschnitt, [13] der mit einer neuen göttlichen Rede einsetzt und der als Erweiterung der ersten Strophe verstanden werden kann und sollte. Ungewöhnlich ist, dass ganz zu Beginn, noch bevor von dem Gottesnamen (»ICH«) in der sogenannte Botenspruchformel die Rede ist, der Ausdruck »Gottherr« (V 5a) auftaucht. Diese Wendung ist nahezu einmalig im gesamten Text der hebräischen Bibel – sie findet sich nur noch in Psalm 85,9 – und kann wohl als Hinweis auf den strikten Monotheismus in Deuterojesaja verstanden werden. [14] Nun spricht JHWH nicht mehr über den Knecht, sondern diesen in den V 5-7 direktan (»ICH rief dich an in Bewährung«, V 6a). Doch es gilt, dass der Bote bereits literarisch in Szene gesetzt worden sein musste, bevor diese direkte Ansprache und die darauf folgende Erweiterung (s.u.) umgesetzt werden konnte. [15] Durch diesen Umstand wird vielleicht auch verständlicher, warum das Tetragramm in den V 1-4 kein einziges Mal, im zweiten Teil aber gleich drei Mal sowie an herausgehobener Stelle in den V 5a.6a.8a vorkommt. Erst jetzt, nach der keinen Adressaten kennenden sogenannten Botenformel, macht JHWH deutlich, dass er hinter seinem Knecht und dessen Botschaft steht. Und mehr noch: In einer signifikanten Erweiterung und Verallgemeinerung soll nun nicht nur der Knecht zur wahren Gotteserkenntnis kommen, sondern mit ihm und durch ihn alle »Weltstämme«. Ja, der Knecht / Bote Gottes wird dadurch zum »Weltstämme-Licht« (V 6e). Diese auf Erweiterung abzielende Aussage wird aufgeteilt auf zwei mit Autorität versehenen Ankündigungen JHWHs, die mit »ICH« in V 6a und mit »ICH BIN DA« in V 8a beginnen (42:6, 8). Die erste Ankündigung wendet sich direkt und betont an den Knecht als sein Gegenüber (viermal »Dich« in den V 6a.b.c.d). Die zweite Rede (V 8-9) hingegen wendet sich eher an die Zuhörer:innen, und JHWH demonstriert mit ihr seine Macht, die Zukunft für alle bestimmen zu können. [16]
Erneut wird im zweiten Teil betont, dass JHWH der einzige ist, dem der Titel Gott zukommt (»meinen Ehrenschein gebe ich nicht einem andern«, V 8b). Er wird in zwei parallel aufgebauten Kola [17] hymnisch bekennend sowie in deutlicher Anspielung besonders auf die erste Schöpfungserzählung in Gen 1 als Schöpfer des Himmels und der Erde und des »Gesprossenen« (V 5c) vorgestellt und gefeiert. Er allein ist es, wie schon zuvor in V 1c, der dem Gottesvolk in einer Art Selbstverpflichtung und Bundeszusage (»Volksbund«, V 6d) seinen »Odem gab« (V 5d). So begabt mit dem Geist Gottes, wird der Knecht zum Befreier, der die Gefangenen in dessen Namen aus dem »Kerker«, dem »Hafthaus« sowie aus der »Finsternis« (V 7b.c) führt, damit verfinsterte und »blinde Augen« (V 7a) wieder sehend werden können.
Die beiden letzten Verse 8 und 9 greifen auf den Beginn der Strophe (»ER« und »ICH« in den V 5a.6a) sowie auf die Namensoffenbarung in Ex 3,14b zurück und zeigen einen Gott, der nicht nur früher (V 9a) in der Geschichte, sondern auch jetzt, in der Zeit des Siegeszuges des Perserkönigs Kyros, für sein Volk und für alle Völker da ist und diesen etwas grundlegend »Neues« (V 9b) ankündigt. Dieses Neue meint nach dem Exil die Heilsankündigung eines radikalen Neuanfangs, der jetzt globalen Befreiung aus Versklavung und Ungerechtigkeit sowie des Empfangs seiner Weisung / Tora. In den darauf folgenden, an die Perikope anschließenden Zeilen wird JHWH für diese Erneuerung hymnisch und als der eigentliche Sieger in der Geschichte gefeiert, die zur Überwindung von Götzendienst und zur Herstellung von Gerechtigkeit führt. Und auch hier gilt, dass all dies dazu dient, »daß die Weisung man vergrößre, verherrliche« (V 21). Beide Strophen enden also mit dem direkten oder indirekten Verweis auf die Tora und stehen im Kontext ihrer Aktualisierung und Erneuerung.
IV. Gattungskritik
Wir hatten zuletzt darauf hingewiesen, dass beide Strophen der Perikope auf die zentrale Bedeutung der »Weisung« / Tora in einer veränderten und neuen Situation hinweisen und auf darauf zulaufen. Dies spricht gegen ihre Aufspaltung bzw. kann umgekehrt als starker Hinweis für ihre Zusammengehörigkeit genommen werden. Mithin ist auch schon deshalb die Abtrennung und die Isolierung einer Gattung »Gottesknechtslied« in der Perikope problematisch. Jede gattungskritische Einordnung muss diesem Umstand ausreichend Rechnung tragen. In der Literatur findet sich außerdem die Nennung bestimmter weiterer literarischer Sorten, wie etwa »Botenspruchformel«, »Heilsorakel« oder »Heilsankündigung«, die wenig aussagekräftig bleiben, solange nicht der (inter-)textuelle Zusammenhang sowie die textpragmatisch entfaltete Absicht berücksichtigt werden. Alle näheren Bestimmungen müssen davon ausgehen, dass es sich um eine göttliche Rede handelt, die Elemente einer prophetischen Berufung oder Erwählung enthält, in intensiv poetischer sowie zum Teil hymnischer Form umgesetzt wird und ihren Höhepunkt in einer Heilsankündigung findet. Diese Elemente dienen dem einen Ziel, die Größe und Souveränität JHWHs und seiner »Weisung« / Tora, die er Mose übergeben hat, in einer veränderten historischen Situation zu rühmen und aktualisiert vom Knecht an die ganze Völkerwelt weiterzugeben. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss erneut die Stellung des Buches sowie der Prophetie überhaupt im Kanon bedacht werden, bevor dann auf die einzelnen Elemente eingegangen werden kann.
Wir haben bereits in Kap. 2 erwähnt, dass im im jüdischen Kanon auf die Tora die Propheten folgen, und, gänzlich anders als im christlichen Kanon des Alten Testaments, die Gruppe der prophetischen Schriften mit dem Buch Josua beginnt. Dies hat, wie Zenger überzeugend herausgestellt hat, [18] einen systematischen Grund, der hier knapp und unter Weglassung bestimmter weiterer Elemente referiert werden soll. Am Ende von Deuteronomium (Dtn 34,10-12) heißt es im »Mose-Epitaph«, dass niemals wieder ein Prophet wie Mose aufgetreten sei, und zudem wird die ihm am Sinai / Horeb geoffenbarte Tora zur unüberbietbaren und endgültigen Offenbarung erklärt. Diese Unvergleichbarkeit bezieht auch das Exodus-Geschehen mit ein, das als gründend für die gesamte Geschichte Israels gilt. Nach Mose Tod folgt Josua, der die Tora Moshe hält und ins gelobte Land trägt. Am Ende des prophetischen Teils der hebräischen Bibel (der nach dem Buch Josua das Buch Richter, die Samuel- und Königsbücher, die Schriftpropheten Jesaja, Jeremia und Ezechiel sowie schließlich die zwölf »kleinen« Propheten enthält), zum Abschluss des Buches Maleachi (Mal 3,22), ist zu lesen: »Gedenket der Weisung Moshes meines Knechts, die ich ihm am Choreb für Jisrael allesamt entbot, Gesetze und Rechtsgeheiße«. Anfang und Ende der Prophetie werden so miteinander verbunden. Die zentrale Aufgabe aller Prophetie, die Mose nach- und untergeordnet ist, besteht in dieser hermeneutischen Systematik stets darin, an die Tora Moshe, die JHWH-Tora und seine Heilsgabe ist, zu erinnern sowie sie auszulegen und zu aktualisieren, also für die Gegenwart und die Zukunft zu bewahren. Die Propheten sind somit Hermeneutiker der Tora. In diesem Verständnis haben die Prophetenbücher nichts (mehr) mit Vorhersage oder gar mit einer messianischen Vorhersage oder Verheißung zu tun. [19]
Die Perikope ist in eine bestimmte historische Situation hinein formuliert worden. Vermutlich spätexilisch und frühnachexilisch entstanden, erhebt sie den Anspruch, dass JHWH der siegreiche Gott ist. Der Perserkönig Kyrus sorgt für den Fall Babylons sowie die Befreiung Israels, und der »Knecht« gibt diesem historischen Geschehen die rechte Ausdeutung. Kyrus folgt ohne jede Kenntnis dem Plan JHWHs, den »Knecht« aber hat er mit seinem »Geisthauch« (V 1c) begabt, damit er Recht und seine »Weisung« / Tora nicht nur vor Israel, sondern jetzt vor der ganzen Welt und vor allen Völkern als sein Bote bezeugt.
Der Knecht wird zu diesem Zweck auserwählt und berufen, zuerst in einer Rede über ihn und dann in direkter Ansprache. Die Reden Gottes folgen jedenfalls in Teilen dem Schema einer Erwählung oder prophetischen Berufungsrede : [20] Wie auch andere Propheten zuvor und danach (Ex, 3,7-10; Jer 1,7; Ez 2,3f; siehe auch Jes 6,8) wird der »Knecht« von JHWH mit einem Auftrag versehen. Dieses Mal wird er zur heimkehrwilligen Gola sowie zu allen Völkern gesandt, um ihnen von Befreiung und Gerechtigkeit zu künden, die im Zeichen seiner »Weisung« / Tora steht. Dazu passt auch, dass der Text mit der Nennung des Gottesnamens »ICH BIN DA« (V 8a) auf die Dornbuschperikope (Ex 3,7-10) anspielt. Wie damals JHWH Mose beauftragt hat, sein Volk aus dem Sklavenhaus Ägypten herauszuführen, so hat der Knecht in der Kontinuität des Exodus-Geschehens jetzt die Aufgabe, die Rückkehr des Volkes nach Zion / Jerusalem mit dem richtigen Verständnis zu begleiten.
Weil das Volk Gottes am Ende des Exils beginnt, seine Identität im Geist JHWHs und seiner Tora Moshe zu erneuern, ist, wie Berges wohl zu recht annimmt, [21] die tonangebende Gattung in Jes 40ff das Heilsorakel und abgeleitet die Heilsankündigung. Entsprechend findet sich in unserer Perikope eine Anrede (»dich«), ein Heilszuspruch, der nun allen Völkern gilt (»blinde Augen zu erhellen, aus dem Kerker Gefangne zu führen«), einem begründenden Zuspruch (»ich fasse dich an der Hand, ich will dich verwahren») sowie schließlich der Nennung eines Ziels (»Neues melde ich an«). Bezogen auf den Unterschied zwischen Heilsorakel und Heilsankündigung könnte man noch ergänzend vermuten, dass die erste Strophe der Perikope eine Heilsankündigung ist, da in ihr die direkte Ansprache fehlt. In der zweiten Strophe findet sich hingegen eine solche direkte Ansprache und auch ein Zuspruch, so dass hier von einem Heilsorakel gesprochen werden kann.
Hinzugefügt werden kann noch, dass der hymnische Abschluss der zweiten Strophe eine Nähe zu den Psalmen aufweist: dies gilt vornehmlich für die JHWH-König-Tradition (Ps 96 und 98) und das direkt auf die Perikope (in V 10) folgende Motiv vom »neuen Lied«, das auch im Psalter erscheint (Ps 33,3; 40,4; 96,1; 98,1; 144,9; 149,1). [22]
V. Motiv- und Traditionskritik
Auch für die Motivkritik ist der (inter-)textuelle Zusammenhang entscheidend, und der Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist erneut die grundlegende Einsicht, dass die Prophetenbücher als innerbiblische, midraschförmige Auslegungen und Aktualisierungen der Tora Moshe zu gelten haben. [23] Ich werde mich in diesem Abschnitt insbesondere auf die Gestalt des »Knechtes« konzentrieren (ein weiteres »Motiv« werde ich später, im VII. Kapitel abhandeln, nämlich den Gottesnamen (»ICH BIN DA«). Ich greife im folgenden Absatz, ohne dies immer im Einzelnen kenntlich zu machen, im Wesentlichen auf Informationen aus dem (Wibilex-)Aufsatz von Hermissen [24] über den Gottesknecht zurück und werde diese auf den hier verfolgten Gedankengang, das Prophetenbücher Auslegungen der Tora sind, hin auswählen und konzentrieren.
Mit dem Wort »Knecht« wird die hebräische Wurzel ‘bd und speziell das Substantiv ‘ævæd wiedergegeben. Im Unterschied zur üblichen Verwendung im Deutschen (mit den Anklängen vor allem an die Landwirtschaft) wird das Wort »Knecht« biblisch als ein Ehrentitel verwendet. Zum einen kann damit ein hoher Beamter, Minister oder Heerführer gemeint sein, der als »Knecht des Königs« bezeichnet wird. Zum anderen aber und viel wichtiger ist für unseren Zusammenhang, dass mit »Knecht« auch bedeutende Figuren der hebräischen Bibel bezeichnet werden, die in einem dienstbaren Verhältnis zu Gott stehen – hier findet gleichsam eine Umbuchung vom weltlichen in den göttlichen Herrschaftsbereich statt (s.u.). Gott hat den »Knechten« gegenüber eine Fürsorgepflicht und diese ihm gegenüber eine Treueverpflichtung.
Der Titel »Knecht« taucht schon bei Abraham (Gen 18,3; 19,9), Isaak (Gen 24,14) und für Jakob (Ez 28,25; 37,25) auf, er gilt aber in aller erster Hinsicht für Mose, als dem vor allen anderen ausgezeichneten prophetischen Vermittler der Tora (s.o.). So erklärt Gott gegenüber Aaron und Miriam, die sich über Mose beschweren: »Nicht so mein Knecht Mosche, in all meinem Haus ist er vertraut, Mund zu Mund rede ich in ihn, ansichtig, nicht in Rätseln, MEINE Abgestaltung erblickt er. Weshalb scheutet ihr nicht, wider meinen Knecht, wider Mosche zu reden!« (Num 12,7-8) Eingeschlossen in diese Bezeichnung ist sicherlich, dass Mose das Volk Israel im Exodus aus Ägypten herausgeführt hat (siehe dazu Ex 14,31; Jos 14,7; Ps 105,26f). Betrachtet man zudem noch die quantitative Verteilung seiner Titel, so fällt auf, dass die Nennung »Mann Gottes« (Dtn 33,1; Jos 14,6; 1. Chr 23,14; 2. Chr 30,16; Esra 3,2; Ps 90,1) sechsmal, die Bezeichnung Mose als »Knecht Gottes«, »sein Knecht« oder »mein Knecht« aber exakt 40 mal vorkommt (in der Tora wird er sechsmal so genannt). Mose ist also noch vor den Erzvätern der erste und herausgehobene »Knecht Gottes« und Prophet, und alle späteren Figuren stehen in seiner Nachfolge. [25] Hermissen schreibt in diesem Sinne zusammenfassend:
»›Knechte Gottes‹ im eigentlichen Sinn sind die Menschen, die einen Auftrag Jahwes auszuführen haben. Das sind im deuteronomistischen Sprachgebrauch pauschal ›seine Knechte, die Propheten ‹ in der Sukzession Moses als des Vornehmsten unter ihnen; sie haben wie Mose Jahwes Wort und Willen zu verkünden. Einzelne Propheten im DtrGW sollen Jahwes geschichtliche Vorhaben ansagen.« [26]
Doch kommen wir nun genauer auf Jesaja zu sprechen. Es ist schon lange aufgefallen, dass es im zweiten Jesaja-Buch Stellen gibt, in denen eindeutig in einer Doppelbezeichnung »Jakob / Israel« als Knecht Gottes benannt wird, so etwa im Heilsorakel (Jes 41,8f), im Mahnwort (Jes 44,21) oder auch im Kyrus-Orakel (Jes 45,4). Daneben gibt es aber Texte (Jes 42,1-4; Jes 49,1-6; Jes 52,13-53,12), zu denen auch unsere Perikope gehört, in denen der Knecht Gottes anonym bleibt.
In dem Versuch, diese Eigenart zu verstehen, haben sich verschiedene Erklärungsmodelle herausgebildet: 1. eine kollektive Deutung, die ganz Israel entweder als empirisch vorfindliches, als besseres oder auch als ideales Israel im Gottesknecht verkörpert sieht; 2. eine individuelle Deutung, die in ihm einen einzelnen Amtsträger (»königliches«, »mosaisches« oder »prophetisches Amt«) erkennt. Die sehr verzweigte und kontroverse Diskussion über diese Differenz kann hier nicht nachvollzogen werden, aber insgesamt betrachtet scheinen die Argumente eher gegen eine kollektive Deutung zu sprechen. Der wohl wichtigste Einwand lautet, dass der Knecht eine Aufgabe an Jakob / Israel zu erfüllen hat und deshalb nicht mit ihm in eins zu setzen ist. Interessant für den Kontext unserer Argumentation sind die Überlegungen zu den mosaischen Traditionselementen: Gerade in der Erteilung der Tora an alle Völker in V 4 und in der Ankündigung eines neuen Exodus am Ende der Perikope sind auf Mose zurückführende Traditionselemente deutlich erkennbar, die in das Bild vom Knecht Gottes eingegangen sein könnten und in diesem aktualisiert wurden. Der »Knecht« beerbt Mose und tritt demnach im Text in einer eigenen Gestalt auf (die aber nicht mit einer Autorenpersönlickeit verwechselt werden darf – sieh dazu das nächste Kap.). Seine Aufgabe ist es, den Völkern zu vermitteln, dass es JHWH mit der erneuten Errettung Jakobs / Israels nicht um die Durchsetzung von Herrschaft, sondern mit seiner Weisung / Tora um die Herstellung von Recht und Gerechtigkeit sowie um die Aufrichtung der Schwachen zu tun ist – der Untergang des babylonischen Reiches und der Sieg des Kyrus hat dafür lediglich den Weg bereitet.
VI. Literarkritik
Die quellenkritische Rekonstruktion der literarischen Entwicklung eines Textes geschieht nicht voraussetzungslos, sondern es spielen immer und notwendig bestimmte paradigmatisch geprägte Grund- und Vorentscheidungen eine ausschlaggebende Rolle. Ich möchte im Folgenden grob zeigen, wie sich die Perikope sowohl im Rahmen älterer Vorstellungen, die auf Bernhard Duhm zurückgehen, als auch und letztlich sehr viel schlüssiger durch neuere Zugänge historisch-diachron erklären lassen, für die hier die Forschungen von Ulrich Berges stehen sollen.
Duhm hat zwei für unseren Zusammenhang wichtige Hypothesen formuliert. Zum einen ist er erstmalig, nach den Vorarbeiten von Johann Christoph Döderlein (1746-1792), von einer Dreiteilung des Buches Jesaja ausgegangen. Er hat dadurch versucht, dem erklärungsbedürftigen Umstand Rechnung zu tragen, dass in dem Zeitraum zwischen dem Auftreten des historischen Jesaja am Ende des 8. Jahrhunderts BC und dem Ende des babylonischen Exils im 6. Jahrhundert BC, der im Buch ebenfalls thematisiert wird, ganze 150 Jahre liegen und deswegen nicht ein Autor unterstellt werden kann. Duhm geht genauer davon aus, dass Jes 1-39 ein eigenes prophetisches Werk sei, das er »Protojesaja« genannt hat; nur Teile dieses Buches seien auf den Jerusalemer Propheten aus dem 8. Jahrhundert zurückzuführen. Jes 40-55 müsse aufgrund von anderen Inhalten – Heilsbotschaft statt Gerichtsbotschaft, Babylon statt Assur, Kyros als persischer König – davon unterschieden werden und gehe auf einen anonymen Exilspropheten zurück, den Duhm »Deuterojesaja« genannt hat. Er habe diese Schrift »um rund 540 a. Chr., wahrscheinlich in einem am Libanon, etwa in Phönizien gelegenen Ort« geschrieben. [27] Die Kapitel 56-66 hat Duhm schließlich noch einem dritten, ebenfalls anonymen Propheten und »einzigen Schriftsteller« [28] zugeschrieben, den er »Tritojesaja« genannt hat.
Im Hintergrund dieser Annahmen steht, wie ich vermute, die zeitgleich verbreitete und gerade in der Wellhausen-Schule vertretene Ansicht, dass die israelitische Überlieferung nicht ohne die Propheten, sehr wohl aber ohne das »Gesetz«, also ohne die in der Priesterschrift enthaltene vornehmlich exilisch und nachexilisch entstandene Tora begriffen werden könne. Die Priesterschrift wurde für Wellhausen zur Gründungsurkunde des Judentums, und er hat sie gegen die altisraelitische Religion mit ihren Schriftropheten (Jesaja, Jeremia und Ezechiel) abgegrenzt und ausgespielt; zwischen beiden nahm er keine Kontinuität mehr an, sondern behauptete einen fundamentalen Bruch, der zu einem Verfall geführt habe. Diese Hypothese von einem nachexilischen religiös-nationalen Verfallsprozess Israels zum Judentum hin ist bekannt geworden unter der Formel »lex post prophetas«. [29] Dieselbe Dissoziation von Tora und Propheten und die frühere Datierung der prophetischen Schriften findet sich auch bei Duhm und betrifft besonders »Deuterojesaja«.
Aus dem Komplex von Deuterojesaja, und damit sind wir bei Duhms zweiter Hypothese angelangt, hat er zusätzlich die »Ebed-Jahve-Lieder« isoliert; sie seien als ein eigenes Stratum im Text zu verstehen und auszulegen. Deuterojesaja habe diese Lieder nicht gekannt, sie seien später, nämlich deutlich nachexilisch entstanden. Schon 1875 hatte Dohm entsprechend formuliert:
»Dem Knecht Jahves sind eine Reihe von Pericopen gewidmet, die sich auch äusserlich nach Stil und Sprache so scharf gegen den übrigen Text abheben, daß man die Vermuthung nicht sogleich von der Hand weisen kann, dieselben gehörten nicht ursprünglich zu dem Plan des ganzen Werkes oder seien wohl gar anderswoher entlehnt. Es ist nicht unmöglich, dass die Stellen c. 42, 1-7 [sic!]; 49, 1-6; 50, 4-9; 52, 13-53, 12 aus einer besonderen Schrift herstammen, denn es ist nicht zu leugnen, dass die Ausführungen über den Knecht Jahves sich mit den übrigen Gedanken nicht auf’s Innigste durchdringen und dass man die Schrift immer noch verstehen könnte, wenn sie fehlten.« [30]
Die deutlichste Kritik an dieser Position hat Berges in mehreren Schriften formuliert, die ich hier zusammenfassen möchte. Duhm sei einer christlich bestimmten Vorstellung vom Wesen der alttestamentlichen Propheten gefolgt, die als einzelne Personen und Autoren verbal- und personalinspiriert das Kommen des Messias Jesus Christus als Gottes letztgültiger Offenbarung vorhergesagt hätten. Dies schien Duhm umso dringender, weil mit »Deuterojesaja« das Heilsversprechen vom Volk Israel auf alle Völker übergegangen ist. Um den Propheten nicht der Anonymität zu überlassen, habe er deshalb eine Kunstgestalt geschaffen. [31] Duhm sei zudem der romantischen Idee einer prophetischen Autorenpersönlichkeit gefolgt und habe »ein lebendiges Bild von ›Deuterojesaja‹ [entworfen – W.H.], den er aber wegen der Vorliebe für Baumsorten und Küstenstreifen weder in Babylonien noch in Juda, sondern im Libanon lokalisiert« habe. [32] Die exegetische Wissenschaft sei über viele Jahrzehnte von diesen Vorstellungen eingenommen gewesen, habe aus einem Kunstnamen den Eigennamen eines Verfassers gemacht und in diesem Anonymus den Höhepunkt der Prophetie Israels erblickt. All dies sei radikal zur Disposition zu stellen.
Auch die Duhmsche Trennung der Gottesknechtslieder von ihrer literarischen Umgebung und ihre Isolierung als versprengte Texte ohne kontextuelle Verbindung haben Berges und Beuken scharf kritisiert und sogar als einen »Irrweg der Forschung« bezeichnet. [33] Insgesamt richtet sich diese Kritik gegen die Annahme, dass Textteile – seien es nun größere Teile, wie »Proto-«, »Deuero-« und »Tritojesaja«, oder eben kleinere Einheiten, wie die Gottesknechtslieder – von jeweils einzelnen Schriftstellern geschrieben worden seien. Dagegen wird angeführt, »dass das Großjesajabuch nicht einfach die Summe disparater Einzelteile ist, sondern eine dynamische Komposition darstellt«[34], deren Entstehung nun anders, nämlich im exilisch-nachexilischen Raum anzusiedeln sei. In der Komposition der Kapitel 40-66 wurden, so Berges weiter, verschiedene Traditionslinien kreativ miteinander vernetzt: dazu gehören die Väter- und Exodustraditionen, die prophetische Gerichtsverkündigung, Anleihen bei den Prophetenbüchern von Jeremia und Ezechiel, die deuteronomistische Worttheologie, Psalmen, die priesterschriftliche Verknüpfung von Schöpfung und Geschichte sowie Jerusalemer Topoi wie Zion und David. Anders als Duhm, verortet Berges den Beginn dieser intensiven Traditionspflege im babylonischen Exil durch literarisch geschulte Tradenten. [35]
Für die Kapitel 40-55, darauf wurde bereits verwiesen, sei kennzeichnend, dass sie nicht auf den Tempel fokussiert seien, sondern auf Jerusalem und Zion, also auf die Gottesstadt sowie den Gottesberg mit JHWH als König für die Gerechten aus dem Volk Israel und allen Völkern. Für diese breite Vernetzung und Ausgestaltung, so lautet genauerhin die These von Berges, könne keinesfalls ein einzelner Autor verantwortlich sein, sondern sie setze eine Traditionspflege von geschulten Kreisen voraus. [36] Es sei »an deportierte Tempelsänger zu denken«, [37] die, beginnend mit dem Siegeszug von Kyrus ab 550 BC, ein Oratorium der Hoffnung entworfen hätten. Die Nachfahren dieser nach Babel exilierten levitischer Tempelsänger hätten im Zuge der ersten größeren Rückkehrbewegung um 520 BC der Bevölkerung Judas und Jerusalems die Trostbotschaft verkündet. Dort hätte die Verfassergruppe ihre Komposition an die vorgängige Jesaja-Tradition angeschlossen, um sich ihrer bereits bestehenden Autorität zu unterstellen, und die verschiedenen Teile seien schließlich in einem längeren Prozess redaktionell immer enger verknüpft und zu einem Großbuch verbunden worden. [38]
Wenn somit die Anfänge der Kapitel 40-55 im Raum und in der Zeit des babylonischen Exils liegen, so kann jetzt auch der religionspolitische Zusammenhang ihrer Entstehung besser verstanden werden, der sehr viel enger zu stecken ist, als der für die Entstehung von Jes 1-39. Anhaltspunkte für eine Verortung liefern dabei bestimmte Stichworte im Text, wie »Chaldäa« (Jes 43,14) bzw. »Babel« (Jes 48,14.20), »Cyrus« (Jes 44,28; 45,1) sowie die Fremgötterpolemiken, die sich am besten aus der Zeit der neubabylonischen Herrschaft heraus verstehen lassen. Im Hintergrund stand ein innerbabylonischer Religionskonflikt zwischen den Anhängern Marduks und denen des Mondgottes Sin. Der Tempel des Marduks war für den Mondgott Sin usurpiert worden, und die gesamte bisherige babylonische Religion sollte ihm untergeordnet werden. Die Marduk-Priesterschaft sympathisierte schon vor dem Einzug von Kyrus mit den Persern, erhoffte man sich doch eine Restauration des ursprünglichen Kults. Für die Verfasser der Kapitel 40-48 des Jesajabuches war der Konflikt einerseits durchaus ähnlich, andererseits war es für sie aber nicht Marduk, der siegreich war, sondern JHWH und er allein. Er stand für die größtmögliche Kontinuität von Ankündigung und Bewahrheitung (vgl. Jes 41,1-4.25; 45,9-13; 46,9-11; 48,12-16). [39] Es ist davon auszugehen, dass diese Auseinandersetzungen und Klärungen wesentlich dazu beigetragen haben, dass der strikte und reflektierte Monotheismus (siehe Kap. VII), von dem insbesondere »Deuterojesaja« und auch unsere Perikope kündet, zum Durchbruch kommen konnte.
Wie immer man die Ergebnisse dieser historischen Rekonstruktion im Einzelnen beurteilen mag [40] – und mein Urteilsvermögen ist in dieser Hinsicht mangels fachlicher Expertise sehr begrenzt –, kann aber sicher grundsätzlich gelten: Mit diesem Ansatz wird der Einsicht Rechnung getragen, dass die hebräische Bibel nicht als Autoren-, sondern als Traditionsliteratur zu verstehen ist. In der konsequent literarkritischen Umsetzung dieser Einsicht entsteht so das Bild eines lebendigen und vielstufigen Fortschreibungsprozesses der Auseinandersetzung mit dem jeweils vorgegebenen Textbestand. [41] Die Textentstehung folgt in diesem Verständnis dem Prinzip einer Selbstauslegung der werdenden Schrift (rewritten bible) und wird damit auch in der diachronen Analyse dem bereits reflektierten Umstand sehr viel besser gerecht, dass die Prophetenliteratur ein vielschichtiger Auslegungs- und Aktualisierungsprozess der Tora ist, es sich also um innerbiblische Midrashim handelt. [42]
VII. Theologie, Hermeneutik, Auslegungsgeschichte
In diesem Abschnitt möchte ich mich auf die Frage des Monotheismus, wie er gerade im zweiten Teil des Jesaja-Buches und auch in unserer Perikope aufscheint (V 5a,6a,8a.b), konzentrieren und mir wichtig erscheinende Grundzüge herausarbeiten. Danach werde ich mich ausgewählten Aspekten der Rezeptionsgeschichte zuwenden.
Hilfreich für das Verständnis des entwickelten biblischen Monotheismus ist ein Vergleich mit der »Gegenreligion« des Echnaton, die als die erste historisch fassbare Form des Monotheismus gilt, da dieser ägyptische König in einer Art religiösen Revolution die Kulte und Bilder des bisher gültigen Polytheismus zerstört und den monolatrischen Kult des einen neuen Gottes des Lichts gestiftet hat, den er »Aton« genannt hat. [43] Doch bei genauerer Betrachtung handelt es sich hier eher um einen Henotheismus oder, noch konkreter gesprochen, um einen Heliotheismus, denn sie vereint die bisherigen Gottheiten in einem Sonnenkult und erklärt den Himmelskörper Sonne zu einem Gott. Für den radikalen Monotheismus der Bibel und deren Verständnis von Schöpfung ist diese Vorstellung gänzlich fremd und verpönt, da für sie die Sonne, was in der ersten Schöpfungserzählung (Genesis, 1, 14-16) ausdrücklich betont wird, nichts anderes ist als ein Beleuchtungskörper, aus dem sich ein Kalender ableiten lässt. Die Sonne gehört damit in den Bereich der Schöpfung und ihre Vergöttlichung und ihre Verbindung mit einem Gottkönigtum, wie es auch in Babylon üblich war, wo auch dieser priesterschriftliche Text entstanden ist, wird strikt abgelehnt. Eine solche Vergöttlichung würde zu einer Gleichsetzung von Schöpfung und Schöpfer führen und widerspräche damit dem Grundzug des entwickelten biblischen Monotheismus.
Hinzu kommt noch, dass Echnatons »Monotheismus« an einem Königshaus entstanden ist, während der biblische Monotheismus im Wesentlichen das Produkt einer prophetischen und explizit herrschaftskritischen Subkultur ist, die sich von den oben erwähnten in Babel praktizierten Kulten bewusst abgesetzt hat und sich mit dem priesterschriftlichen Verständnis von Schöpfung verbunden hat (so auch in V 5b.c unserer Perikope). Der Ort seiner Herausbildung ist eben gerade nicht das Königshaus von Saul, David oder Salomo, sondern verdankt sich der Verarbeitung der mehrfachen und insbesondere der Erfahrung des Exils in Babylonien, die ihren Niederschlag in den prophetischen Texten, und hier speziell im zweiten Jesaja-Buch gefunden hat (siehe dazu vor allem Jes 44,6; 45,5.6.21; 46,9).
Wichtig ist zudem der auch in unserer Perikope zu findende Hinweis auf die besondere Form von Gottes Namen. In der hier gewählten Übersetzung heißt er »ICH BIN DA« (V 8a). Bis heute darf der Name JHWHs im Judentum nicht ausgesprochen werden, wird durch Adonai (אֲדֹנָי, ădonāy) ersetzt oder auch schlicht Ha Schem (der Name) genannt und bleibt dadurch der menschlichen Verfügbarkeit entzogen. Ein solcher Gott, der nicht identisch ist mit (s)einem unausprechlichen Namen, entzieht sich dem Kult, wie überhaupt der Aneignung und findet nur Raum in einer stimm- und präsenzlosen (Konsonanten-)Schrift, die sich stets nur aus ihrer offenen Interpretation heraus erschließt. [44] Der Gott des Volkes Israel kann in gewisser Weise gar keinen (Eigen-)Namen haben, weil es nichts gibt, was sein Wesen gegenüber irgendetwas Existierendem auszeichnen könnte. [45] Götternamen ergeben nur im Polytheismus einen Sinn, denn sie dienen der Unterscheidung und Kenntlichmachung der einzelnen Götter.
Doch die Differenz zwischen Polytheismus und Monotheismus ist, wie Yehezkel Kaufmann gezeigt hat, kein bloß numerischer. [46] Der strikte biblische Monotheismus, wie er exilisch und postexilisch ausformuliert wurde, bricht radikal mit einer heidnischen und mythologischen Vorstellungswelt, in der es ein »metadivine realm« gibt, das die Welt der Götter oder möglicherweise eines nur einzelnen Gottes (Henotheismus) transzendiert und in dem sie oder er von diesem abhängig ist.
Im biblischen Monotheismus ist der Schöpfergott die Transzendenz selbst, und Gott ist souverän und unabhängig in seinem Willen. Es existiert nun eine für den Menschen unüberschreitbare Grenze zwischen ihm und der Natur auf der einen sowie Gott auf der anderen Seite. Diese Bereiche sind nicht mehr miteinander vermischt, so dass, wie bereits gesehen, die Sonne nur ein Belichtungskörper und keine Repräsentanz Gottes mehr ist, aber auch kein Mensch eine Apotheose erfahren und selbst seine »Seele« nicht unsterblich oder göttlich sein kann. Gott wendet sich aus eigenem Antrieb dem Menschen zu und kann durch keinerlei Magie beeinflusst werden. Auch Mythologie und Theogonie haben nun keinen Platz mehr: Gott hat keine Geschichte, er wird nicht als Mann oder Frau geboren, er stirbt nicht, und er hat und kann folglich keinen (Eigen-)Namen haben. Dadurch dass Gott auf diese Weise grundsätzlich von der menschlichen und natürlichen Welt unterschieden ist, erhält der Mensch ein echtes Gegen-über, und zugleich wird er, weil Gott nicht mehr für beliebige menschliche Zwecke eingesetzt werden kann, in seiner angemaßten Allmacht klar begrenzt. Das Gegenüber, das Gott darstellt, vermittelt sich den Menschen durch die Offenbarung seiner Tora, die zwar selbst unveränderbar ist, aber einer stetigen Auslegung und Aktualisierung bedarf, um sie erhalten zu können.
Im letzten Abschnitt dieses Kapitels möchte ich mich schlaglichtartig mit einem Rezeptions muster beschäftigen, das charakteristisch für größere Teile des christlichen Verständnisses der als »Gotteknechtslieder« ausgelegten Texte war und manchmal noch immer ist. Wir haben bereits in der Einleitung gehört, dass diese Texte schon im Urchristentum zum hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis der Passion Christi sowie zur Matrize der Christologie wurden. Hier ging es um die Frage, wie sich die »Schrift« als lebendiges Wort in der Gegenwart auslegen lässt, und es bestand noch kein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer jüdischen und einer christlichen Rezeption. [47] In den späteren Jahrhunderten seit der Patristik erhielt dieses Verfahren, das das Christusgeschehen in die Kontinuität des Schriftzusammenhangs einordnet, eine andere Ausrichtung. Man versuchte nun mittels allegorischer, vor allem aber typologischer Exegese nachträglich, dem biblischen Schriftwort einen christlichen Sinn zu unterlegen. Man wollte so zeigen, dass die Hebräische Bibel in ihrer Verheißung auf die personale Mitte allen kommenden Geschehens hinweise und eine christusbestimmte Gesamtstruktur in sich trage. Diese »Christianisierung« der Hebräischen Bibel folgte dem Schema: Verheißung (» Altes Testament«) und Erfüllung (» Neues Testament«) sowie regelmäßig den Vorgaben einer Substitutionstheologie. In den sogenannten typologischen Auslegungstechniken der Patristik konkretisierte sich diese Logik auf eine besondere Weise: In einem mehrstufigen Verfahren wurde zuerst ein Typus oder eine Präfiguration aus der alten Zeit des »Alten Testaments« ausgemacht, der dann in einem zweiten Schritt mit einem Antitypus bzw. einer Postfiguration aus der neuen Zeit des »Neuen Testaments« in ein bestimmtes Korrespondenzverhältnis zueinander gebracht wurde. Dieses Verhältnis richtete sich nach dem verfolgten Zweck: Nach dem Schema Schatten-Wirklichkeit sollte demonstriert werden, dass das »Alte« im »Neuen Testament« aufgehoben und überwunden ist. In der nicht wort-, sondern bildbezogenen Sprache der Patristik wurden damit der Typus zum schattenhaften und defizitären Vorbild und der Antitypus zum erfüllten Vollbild, und es kam zu einer »Herabstufung des Alten Testaments zu einer Galerie überholter Typen«. [48]
In dieser Sicht darf das Alte Testament zwar nicht entkanonisiert werden, erfüllt im Kanon aber nur eine bestimmte Funktion für den Glauben, die Rudolf Bultmann noch nach der Shoah so formuliert hat: »Ebenso bedarf der Glaube des Rückblicks in die alttestamentliche Geschichte als eine Geschichte des Scheiterns und damit der Verheißung, um zu wissen, dass sich die Situation des Gerechtfertigten nur auf dem Grunde des Scheiterns erhebt.« [49] So gesehen, wäre der »Knecht« unserer Perikope das defizitäre und zum Scheitern verurteilte Vorbild bzw. der Typus, der sich im Vollbild bzw. dem Antitypus Jesus Christus sowie im Glauben an ihn erfüllt und dann durch diesen abgetan ist. Noch heute finden sich Nachklänge eines solchen Textzugangs und einer messianisch-christologischen Deutung des Jesaja-Textes, wenn etwa ein neuerer (evangelikaler) Kommentar schon den Beginn von Jesaja 42,1-9 wie folgt autoritativ erklärt:
»Mit dem Ausruf ›Siehe‹ [der in der Übersetzung von Buber und Rosenzweig fehlt – W.H.] wird unser Blick auf Christus, den Knecht des HERRN, gelenkt. Weder das an anderen Stellen ebenfalls ›Knecht‹ des HERRN genannte Volk Israel noch der persische König Kores (der überhaupt nicht ›Knecht‹ Gottes genannt wird) können hier gemeint sein, sondern einzig und allein der Messias.« [50]
Dieses Deutungsschema stand und steht nicht selten, wie Ulrich Berges in seinem Jesaja-Kommentar zu Recht vermerkt, »unter dem Vorzeichen anti-jüdischer Enteignung durch christologische Überbietung« [51] und hat dazu geführt, dass Jes 53 bis zum heutigen Tage nicht im Synagogengottesdienst gelesen wird.
VIII. Zusammenfassung
In dieser Hausarbeit habe ich zu zeigen versucht, wie wichtig es ist, den Text der Perikope gleichsam für sich selbst sprechen zu lassen und in seinem Eigenwert ernst zu nehmen. Dafür war es notwendig, bestimmte vereinnahmende und enteignende christologischen Interpretationen einzuklammern, die im Text zumeist nur Präfigurationen für die Messianität Jesu sehen wollen. Im Einzelnen bedeutete das vor allem, die Isolierung des ersten »Gottesknechtsliedes« vom übrigen Textbestand, wie sie sich seit den Forschungen Duhms durchgesetzt hat, zu hinterfragen. Hilfreich für einen anderen Zugang zum Text wurde die Einsicht in den Gesamtaufbau der hebräischen Bibel und in die Stellung der prophetischen Texte in der Systematik ihrer Gliederung, also gleichsam ihr ›Sitz im Buch‹. Daraus ergab sich, dass die Propheten, die in der Kanongestalt des Tanach direkt nach der Tora folgen, als aktualisierende Auslegungen der Tora zu verstehen sind. Der Text unserer Perikope spricht hinein in eine Situation der sich ankündigenden und schon vollziehenden Rückkehr der Gola aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem / Zion. Er sieht darin einen welthistorisch wichtigen Schritt sowie gewissermaßen einen zweiten Exodus, der die Geschichtsmächtigkeit des Schöpfergottes JHWH sowie seinen Sieg über die Fremdgötter unmissverständlich erweist. In einer prophetischen Subkultur, und nicht an einem Königshaus, konnte sich so der nicht mehr nur monolatrische, sondern strikte und reflektierte Monotheismus durchsetzen und zur Geltung kommen.
Das Besondere und Neue der jetzt ergehenden Heilszusage ist ihrer Erweiterung vom Gottesvolk Israel aus auf alle Völker und die geradezu universelle Durchsetzung der Weisungen der Tora. Auch Christen dürfen deshalb hoffen, teilhaben zu können an der Heilszusage Gottes und seiner Verheißung an Israel. Sie können dies durch den Juden Jesus, für den das (zweite) Buch Jesaja eine leitende Bedeutung hatte und ohne das sein Wirken und seine Lehre vielleicht anders ausgesehen hätte. Im Lukasevangelium wird im 4. Kapitel berichtet, wie Jesus in seine Heimatstadt Nazareth kommt und dort als Jude »nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge« (Lk 4,16) geht. Dort geschieht nun ein andere hermeneutische Szene als die zu Beginn in der Einleitung geschilderte. »Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht« (Lk 4,17), und er las daraus Jes 61,1-2. Wie auch in unserer Perikope geht es in diesen, eine Heilsankündigung enthalten Versen darum, »die Glücksmär zu bringen den Demütigen, zu verbinden die gebrochenen Herzens, zuzurufen Gefangenen: Loskauf! Eingekerkerten: Auferhellung! auszurufen ein Jahr SEINER Gnade, einen Tag der Ahndung unseres Gottes, alle Trauernden zu trösten«. Jesus stellt sich durch seine deutende Lesung in die Kontinuität dieser Schriftworte und erneuert damit in seinem Wirken die Bedeutung der Tora als einem universellen Heilsschlüssel. Und auch die christliche Gemeinde kann sich in dieser Kontinuität auf den Gott des Exodus sowie auf den Gott Abraham, Isaaks, Jakobs und Jesu beziehen.
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Wellhausen, Julius (1878). Prolegomena zur Geschichte Israels. Berlin: De Gruyter 2001.
Zenger, Erich (2006). Heilige Schrift der Juden und der Christen. In Zenger, Erich et al.. Einleitung in das Alte Testament. Sechste, durchgesehene Auflage (S. 11-35). München: Kohlhammer Verlag.
[1] Ich zitiere das Neue Testament aus der Übersetzung der Zürcher Bibel , die sich um wissenschaftliche und sprachliche Sorgfalt sowie um Nähe zum Urtext bemüht.
[2] Siehe Hegener, Heilige Texte.
[3] Die bibliografischen Angaben zu den einzelnen Bibelausgaben finden sich im Literaturverzeichnis; die Zusammenfassungen entnehme ich den jeweiligen Einleitungen bzw. den einführenden Texten.
[4] Man kann mit Scholem die Übersetzung von Buber und Rosenzweig als ein »Gastgeschenk« an die Deutschen ansehen, das jedoch durch die Shoah zu einem »Grabmal« geworden ist: »Historisch gesehen ist sie nicht mehr ein Gastgeschenk der Juden an die Deutschen, sondern – und es fällt mir nicht leicht, das zu sagen – das Grabmal einer in unsagbarem Grauen erloschenen Beziehung. Juden, für die Sie [Herr Buber – W.H.] übersetzt haben, gibt es nicht mehr. Die Kinder derer, die diesem Grauen entronnen sind, werden nicht mehr Deutsch lesen. Die deutsche Sprache selber hat sich in dieser Generation tief verwandelt, wie alle wissen, die in den letzten Jahren mit der neuen deutschen Sprache zu tun hatten – und nicht in der Richtung jener Sprachutopie, von der Ihr Unternehmen so eindrucksvolles Zeugnis ablegt« – Scholem, An einem denkwürdigen Tage, S. 215.
[5] Siehe dazu Zenger, Heilige Schrift der Juden und der Christen.
[6] Buber, Verdeutschung der Schrift, S. 30. Ich werde auf diesen Punkt in Kap. VI noch genauer zu sprechen kommen.
[7] Berges & Beuken, Das Buch Jesaja, S. 119-120. Siehe auch Berges, Jesaja, S. 94-97.
[8] Der Trostaufruf in Jes 40,1 sollte nicht als die Berufung eines weiteren, zweiten Exilspropheten (»Deutero-Jesaja«) verstanden werden. Vielmehr richten sich diese Zeilen »an die schriftprophetischen Kreise in exilisch-nachexilischer Zeit«, Berges & Beuken, Das Buch Jesaja, S. 120 (siehe s.u. Kap. V.).
[9] Ellinger, Deuterojesaja, S. 199.
[10] Schon diesen Abschnitt ein Gottesknechts lied zu nennen, ist verfehlt, da es sich sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um einen gesungenen, sondern um einen poetischen Text handelt (siehe dazu Kap. IV).
[11] Dort heißt es: »Merket auf mich, du mein Volk! meine Nation du, auf mich lauschet! denn Weisung, von mir fährt sie aus, und meine Gerechtigkeit, zum Licht der Völker winke ich sie heran.«
[12] Berges, Jesaja 40-48, S. 224.
[13] In der masoretischen Texttradition wird hier eine deutliche Zäsur durch eine Nachdenkzeichen (פ für Petucha) eingesetzt wird; siehe dazu Baltzer, Deutero-Isaiah, S. 130.
[14] Siehe dazu Zeilmann, Gotteknechtslieder, S. 54.
[15] Siehe dazu Berges, Jesaja 40-48, S. 233.
[16] Siehe dazu Smith, Isaiah 40-66, S. 165.
[17] Siehe dazu Berges, Jesaja 40-48, S. 235.
[18] Zenger, Heilige Schrift der Juden und der Christen.
[19] Man muss darauf hinweisen, dass der Knecht in unserer Perikope (und auch in den anderen »Gottesknechtliedern«) nicht der »Gesalbte«, nicht der König, sondern gleichsam eine niedrige Figur ist. Und überhaupt gilt, dass für »Deuterojesaja« der Messias in erster Linie Kyrus ist: »So hat ER gesprochen zu Cyrus, zu seinem Gesalbten: Den ich faßte an seiner Rechten, Stämme vor ihm niederzustrecken, öffnend der Könige Hüftgurt, Türen vor ihm zu öffnen, Pforten, daß sie sich nicht mehr schließen.« (Jes 45,1) Die messianische Dignität ist von den Königen Israels auf ihn übergegangen. In den Kapiteln 7, 9 und 11 von »Protojesaja«, darauf sei hier auch kurz verwiesen, ist der Messias keine königliche, sondern eine ideale, zukünftige und geistinspirierte Gestalt. Dabei muss beachtet werden, wie Hoppe zusammenfassend für die Hebräische Bibel festhält: » Māschȋah bezeichnet in der Hebräischen Bibel weder eine eschatologische Figur noch eine Heilsgestalt am Ende der Tage.«; Hoppe, Messiasvorstellungen im antiken Judentum, S. 32.
[20] Das »prophetische Berufungsschema« besteht in der Regel aus sechs Teilen: 1. einer Erscheinung, 2. einem göttlichen Auftrag, 3. einem Einwand, 4. einem zweiten Auftrag, 5. einer Wunderhandlung und 6. einem Zeichen. Dieses Schema findet sich in der Dornbuschperikope (Ex 3,7-10), aber auch im Buch Jeremia (Jer 1,1ff) und bei Jesaja (Jes 6,8). In unserer Perikope ist es ganz entschlackt, ganz auf das Wort ausgerichtet und von allen mythischen Elementen befreit.
[21] Berges, Jesaja 40-48, S. 48.
[22] A.a.O., S. 47 sowie Berges, Jesaja, S. 91-92.
[23] Wenn Stemberger über die späteren Midraschim im engeren Sinne schreibt, dass sie »Antwort auf die brennenden Probleme der Zeit ist [sind], die man aus der Bibel als dem Wort Gottes zu lösen hofft«, dann gilt diese auch und allemal für die innerbiblische Schriftauslegung in den Prophetenbüchern; Stemberger, Midrasch , S. 40.
[24] Hermissen, Gottesknecht.
[25] Unter den Königen ist es vor allem David, den Gott »meinen Knecht« nennt (2Sam 3,18; 7,5.8; siehe auch Ps 89,4). Ihm kommt dieser Ehrentitel aufgrund seiner besonderen Tora-Frömmigkeit zu und weil er deswegen als Beispiel für alle Könige gilt.
[26] Hermissen, Gottesknecht.
[27] Duhm, Buch Jesaja, S. XIII.
[28] A.a.O.
[29] Wellhausens Abneigung gegen »das Gesetz«, das für ihn für die Tora insgesamt stand und zu einem entwerteten »störenden Geist« wurde, hat er in der Einleitung zu seinem Buch Prolegomena zur Geschichte Israels eindrücklich formuliert: »Endlich faßte ich mir Mut und arbeitete mich hindurch durch Exodus, Leviticus und Numeri […]. Aber vergebens wartete ich auf das Licht, welches von hier aus auf die geschichtlichen und prophetischen Bücher sich ergießen sollte . Vielmehr verdarb mir das Gesetz den Genuß jener Schriften; es brachte sie mir nicht näher, sondern drängte sich nur störend ein, wie ein Gespenst, das zwar rumort, aber nicht sichtbar, nicht wirksam wird. […] Da erfuhr ich gelegentlich im Sommer 1867, daß Karl Heinrich Graf dem Gesetze seine Stelle hinter den Propheten anweise, und beinah ohne noch die Begründung seiner Hypothese zu kennen, war ich für sie gewonnen: ich durfte mir gestehn, daß das hebräische Altertum ohne das Buch der Thora verstanden werden könne «; Wellhausen, Prolegommena zur Geschichte Israels, S. 3-4; Hervorheb. W.H..
[30] Duhm, Theologie, S. 288f.
[31] Berges, Jesaja, S. 38f.
[32] Berges & Beuken, Das Buch Jesaja, S. 12.
[33] A.a.O., S. 123.
[34] A.a.O., S. 24.
[35] A.a.O., S. 14-15.
[36] Es ist interessant festzustellen, dass der (Babylonische) Talmud bereits von mindestens zwei Verfassern des Jesaja-Buches auszugehen scheint. So heißt es im Traktat Baba Barhra (14b) einerseits, dass Hosea, Jesaja, Amos und Micha zu einer Zeit geweissagt hätten. Wenig später jedoch wird festgehalten: »Jirmeja enthält nur Zerstörung, Jehezqel beginnt mit Zerstörung und schließt mit Trostverheißung, und Jesaja enthält nur Trostverheißungen«. Es liegt nahe, bei der ersten Aussage an »Protjesaja« und bei der letzten Aussage an das zweite (und dritte) Jesaja-Buch zu denken.
[37] Berges, Jesaja, S. 40.
[38] Siehe Berges, Jesaja 40-48,S. 42.
[39] Siehe dazu a.a.O., S. 44 sowie Albani, Deuterojesaja, Monotheismus.
[40] Ein summarischer Überblick der verschiedenen Forschungsansätze findet sich in Jüngling, Das Buch Jesaja.
[41] Dieser Ansatz ist auch in der Pentateuchforschung nun verbreitet. Wie weit die neuere Forschung in ihrer Kritik zu gehen bereit ist, zeigt Christoph Berner in seiner 2010 erschienenen instruktiven Studie Die Exoduserzählung. Das literarische Werden einer Ursprungslegende Israels . Berner möchte in diesem Werk das Paradigma der Neueren Urkundenhypothese, eine weitere Variante der Idee einer Autorenliteratur, vollständig verabschieden und setzt dies in seinem Buch konsequent und überzeugend um.
[42] Siehe dazu Stemberger, Midrasch, S. 11-13.
[43] Siehe dazu Assmann, Moses der Ägypter, speziell S. 47-54.
[44] Vgl. dazu Etgeton, Inkarnation, 28-30 und Benk, Gott, 27-29.
[45] Siehe dazu Assmann, Exodus, 167-174.
[46] Kaufmann, Religion of Israel.
[47] Schmid & Schröter, Die Entstehung der Bibel, insbesondere S. 276-286.
[48] Krochmalnik, Im Garten der Schrift, S. 51. Nietzsche hielt es für ein »unerhörtes philologisches Possenspiel«, »das Alte Testament den Juden unter dem Leibe wegzuziehen, mit der Behauptung, es enthalte nichts als christliche Lehren und gehöre den Christen als dem wahren Volke Israel: während die Juden es sich nur angemaßt hätten«. Nietzsche, Morgenröthe, S. 1068; Hervorheb. i.O.
[49] Bultumann, Weissagung und Erfüllung, S. 50.
[50] Remmers, Der Herr ist Rettung, S. 74.
[51] Berges, Jesaja 49 – 54, S. 228.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Thema dieser Textvorschau?
Diese Textvorschau bietet einen umfassenden Einblick in eine akademische Analyse eines biblischen Textes aus dem Buch Jesaja (Jes 42,1-9), insbesondere im Hinblick auf theologische, hermeneutische und literarkritische Aspekte.
Was sind die Hauptziele der Analyse?
Die Analyse zielt darauf ab, den Text in seinem ursprünglichen Kontext zu verstehen, christozentrische Interpretationen zu hinterfragen, verschiedene Übersetzungen zu vergleichen und die Bedeutung des Textes innerhalb des jüdischen Kanons hervorzuheben.
Welche Übersetzungen werden im Übersetzungsvergleich verwendet?
Die Analyse vergleicht die Lutherbibel (2017), die Elberfelder Bibel (2006) und die Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig.
Warum wird die Übersetzung von Buber und Rosenzweig bevorzugt?
Die Übersetzung von Buber und Rosenzweig wird bevorzugt, weil sie versucht, der Sprach- und Lautgestalt des hebräischen Originals treu zu bleiben und christozentrischen Missdeutungen sprachlichen Widerstand entgegenzusetzen. Sie legt Wert auf die Wiedergabe des Tetragrammatons JHWH durch pronominale Ausdrücke und "ICH BIN DA".
Wie wird die Perikope strukturiert und analysiert?
Die Perikope wird in zwei Strophen (V. 1-4 und V. 5-9) unterteilt und segmentiert. Schlüsselwörter und -begriffe werden hervorgehoben, um die Textur und Bedeutung zu verdeutlichen. Die Analyse berücksichtigt den literarischen Kontext und die Einbettung in den übergreifenden Textzusammenhang des Buches Jesaja.
Welche gattungskritischen Überlegungen werden angestellt?
Die gattungskritische Analyse hinterfragt die Isolierung einer Gattung "Gottesknechtslied" und betont, dass es sich um eine göttliche Rede handelt, die Elemente einer prophetischen Berufung oder Erwählung enthält, in poetischer Form umgesetzt wird und ihren Höhepunkt in einer Heilsankündigung findet. Der Fokus liegt darauf, die Größe JHWHs und seiner Tora zu rühmen.
Welche Rolle spielt die Tora in der Analyse?
Die Analyse betont, dass die Prophetenbücher als innerbiblische Auslegungen und Aktualisierungen der Tora Moshe zu gelten haben. Die Propheten sind Hermeneutiker der Tora. Die Perikope zielt darauf ab, die Bedeutung der Tora in einer veränderten historischen Situation hervorzuheben.
Wie wird die literarkritische Perspektive auf Bernhard Duhm und Ulrich Berges eingeordnet?
Die Analyse stellt die quellenkritische Rekonstruktion von Duhm, die die Dreiteilung des Buches Jesaja und die Isolierung der "Ebed-Jahve-Lieder" beinhaltet, der neueren Forschung von Ulrich Berges gegenüber. Berges' Ansatz betont die dynamische Komposition des Jesaja-Buches und die Traditionspflege durch geschulte Kreise im exilisch-nachexilischen Raum.
Was sind die theologischen Schwerpunkte der Analyse?
Die theologische Analyse konzentriert sich auf den entwickelten biblischen Monotheismus, wie er im zweiten Teil des Jesaja-Buches erscheint, und vergleicht ihn mit dem Monotheismus des Echnaton. Der biblische Monotheismus wird als Produkt einer prophetischen und herrschaftskritischen Subkultur dargestellt, die sich von babylonischen Kulten abgrenzt.
Wie wird die Rezeptionsgeschichte des Textes betrachtet?
Die Analyse betrachtet, wie die Perikope im Laufe der Geschichte gelesen wurde, und stellt christliche Interpretationen, die in der Tradition von Verheißung und Erfüllung und Typologie stehen, infrage. Sie betont die Bedeutung des Textes innerhalb des jüdischen Kanons und vermeidet anti-jüdische Enteignung.
Was ist die zentrale Schlussfolgerung der Analyse?
Die zentrale Schlussfolgerung ist, dass es wichtig ist, den Text in seinem Eigenwert zu verstehen und vereinnahmende christologische Interpretationen einzuklammern. Die Perikope spricht in eine Situation der Rückkehr aus dem babylonischen Exil und erweist die Geschichtsmächtigkeit des Schöpfergottes JHWH. Sie betont die universelle Bedeutung der Weisungen der Tora.
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- Wolfgang Hegener (Author), 2024, Gottesknechtslied? Eine Exegese von Jesaja 42,1-9, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1495927