Die Autorin schreibt diese Arbeit im Rahmen des Studienabschlusses in Religionspädagogik/ Gemeindediakonie. Auf die Thematik der Kindertheologie ist sie während einer Vorlesung zur Religionspsychologie gestoßen.
Die Autorin wird in dieser Arbeit die Bedeutung der Kindertheologie für den Kindergottesdienst herausarbeiten und Kriterien und Konsequenzen für einen subjektorientierten Kindergottesdienst definieren.
Die Grundfrage ist, ob Kindergottesdienstmitarbeiter Kindern den Raum für ihre religiöse Entwicklung geben. Steht das Kind mit seinen eigenen religiösen Vorstellungen und Denkweisen im Mittelpunkt dieser Arbeit? Desweiteren stellt sich der Autorin die Frage, welche Rolle die Kindergottesdienst-Konzepte in diesem Zusammenhang spielen.
In diesem Kontext wird ein religionspädagogisches Konzept vorgestellt, dass das Kind als Subjekt seines Glaubens in den Mittelpunkt stellt.
Welche Bedeutung dieses Konzept im Rahmen der Kindertheologie haben kann, wird die Autorin erläutern.
Die Entwicklung der Pädagogik und Didaktik führte zu einer veränderten Haltung gegenüber Kindern im Sinne eigenständig denkender Menschen mit ganz eigenen, ernstzunehmenden Gedanken. In der Konsequenz ergeben sich neue Ideen und Methoden, die Kinder darin unterstützen möchten, sich aktiv am eigenen Lernen, beteiligen zu können. Dabei bezieht sich das religionspädagogische Lernen nicht nur auf das Lernen in der Schule, sondern auch auf ein Lernen im Kindergottesdienst.
Im Sinne einer Didaktik, die auf den Konstruktivismus aufbaut, ist Lernen nicht durch Lehren, sondern durch das Bereitstellen einer geeigneten Lehrkultur möglich, in der sich die Kindergottesdienstkinder selbstständig mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen können. Diese Erkenntnis hat sich im Religionsunterricht an einer immer größer werdenden Anzahl an Schulen als nützlich erwiesen.
Haupt- und ehrenamtliche Kindergottesdienstmitarbeiter entdecken nun auch das Potenzial der Kindertheologie für den Kindergottesdienst. Wie dieses Potential, aber auch die Grenzen der Kindertheologie im Kontext des Kindergottesdienstes aussehen können, möchte die Autorin in dieser Arbeit herausarbeiten.
Zusätzlich wird die Funktion der Mitarbeiter in diesem Kontext der Kindertheologie untersucht. Es werden Kompetenzen und Qualifikationen der Mitarbeiter herausgearbeitet, die förderlich für den Prozess des Theologisierens sein können.
Die Arbeit schließt mit einem eigenen Entwurf für einen subjektorientierten Kindergottesdienst.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Erkenntnistheoretisches Interesse
1.2 Relevanz des Themas
1.3 Aktueller Forschungsstand
1.4 Aufbau der Arbeit
TEIL I: Einfuhrung in das Thema aus entwicklungspsychologischer und kindertheologischer Perspektive
2 Begriffserklarungen
2. 1 Kindheit
2.2 Theologie
3 Lebenssituation und Entwicklung der Kinder
3.1 Aufwachsen in pluralen postmodernen Zusammenhangen
3.2 Entwicklungspsychologische Aspekte
3.2.1 Die Bedeutung fruhkindlicher Wurzeln der religiosen Entwicklung des Menschen nach Erik H. Erikson
3.2.2 Die kognitive Entwicklung des Kindes nach Jean Piaget
3.2.3 Die Entwicklung des moralischen Urteils nach Lawrence Kohlberg ..
3.3 Religionspsychologische Aspekte
3.3.1 Die Entwicklung des Glaubens nach James Fowler
3.3.2 Die Entwicklung der Stufen des religiosen Urteils nach Fritz Oser und Paul Gmunder
3.4 Das Recht des Kindes auf Religion
3.5 Konsequenzen fur den Kindergottesdienst aus den verschiedenen entwicklungs- und religionspsychologischen Modellen
3.5.1 Jean Piagets Theorie bezogen auf den Kindergottesdienst
3.5.2 Lawrence Kohlbergs Modell bezogen auf den Kindergottesdienst
3.5.3 James Fowlers Modell bezogen auf den Kindergottesdienst
3.5.4 Fritz Osers und Paul Gmunders Modell bezogen auf den Kindergottesdienst
3.6 Zwischenfazit
4 Kinderkirche
4.1 Was ist Kindergottesdienst?
4.2 Geschichtliche Entwicklung des Kindergottesdienstes
4.2.1 Das diakonisch und elementar-padagogische Konzept der Sonntagsschule in England und seine Anfange in Deutschland
4.2.2 Das gemeindemissionarische Konzept der Sonntagsschule aus den USA und seine Verbreitung in Deutschland
4.2.3 Die Entwicklung von der Sonntagschule zum Kindergottesdienst
4.2.4 Die Konzeptionsdebatte um den evangelischen Kindergottesdienst seit 1961
4.3 Leitziele in der Arbeit mit Kindern
4.4 Entwicklungen und Herausforderungen des 21. Jahrhundert im Kindergottesdienstes der badischen Landeskirche
4.4.1 Entwicklung der Zahlen
4.4.2 Formen und Rhythmen der Kindergottesdienste
4.5 Kinder im Kindergottesdienst
4.6 Mitarbeiter im Kindergottesdienst
4.6.1 Entwicklungen in der Landeskirche Baden
4.6.2 Schulungskonzepte
4.7 Exkurs: Stellung des Kindes in der Gemeinde
4.8 Zwischenfazit
5 Kindertheologie
5.1 Definition
5.2 Entstehung der Kindertheologie
5.2.1 Vorausgegangene Impulse der Kindertheologie
5.2.2 Entwicklungspsychologie
5.2.3 Kinderphilosophie
5.3 Theologieverstandnis in der Kindertheologie
5.4 Legitimation der Kindertheologie
5.4.1 Padagogische Legitimation
5.4.2 Theologische Legitimation
5.5 Grundsatze und Standards
5.5.1 Kinder als Subjekte des Glaubens
5.5.2 Kinder als Exegeten- kindertheologische Bibeldidaktik
5.6 Zwischenfazit
TEIL II: Praxisbezogene Folgerungen und Konsequenzen fur die Arbeit mit Kindern
6 Kindertheologie im Kindergottesdienst
6.1 Kindertheologische Kriterien fur einen subjektorientierten Kindergottesdienst
6.1.1 Theologie der Kinder wahrnehmen
6.1.2 Kindern Moglichkeiten verschaffen zu theologisieren
6.1.3 Mut Gewohntes zu verlassen
6.2 Konsequenzen fur die Arbeit mit Kindern
6.2.1 Methoden der Kindertheologie
6.2.2 Kompetenzen der Mitarbeitenden
6.3 Exkurs: Kommunikationsprozesse
6.4 Grenzen der Kindertheologie im Kindergottesdienst
6.5 Zwischenfazit
7 Godly Play- ein religionspadagogisches Konzept zum Theologisieren mit Kindern?
7 .1 Ablauf des Konzepts
7. 2 Ziel des Konzepts
7. 3 Konzeptionelle Besonderheiten
7. 4 Chancen und Grenzen des "Godly Play”- Ansatzes
7. 5 "Godly Play" bezogen auf die Kindertheologie
7. 6 Zwischenfazit
8 Rolle der Mitarbeiter im Kindergottesdienst
8.1 Die Bedeutung Kindergottesdienstmitarbeiter zu sein
8.2 Qualifikationen der Mitarbeiter
8.3 Zwischenfazit
TEIL III: Theorie- und Praxisverknupfung am Beispiel eines Materialentwurfes
9 Materialentwurf fur einen subjektorientierten Kindergottesdienst
9.1 Thema des Kindergottesdienstes
9.2 Sachanalyse
9.2.1 Kursexegese
9.2.2 Die Bedeutung der Parabel fur die Lebenswelt der Kinder
9.2.3 Die Bedeutung der Parabel in Bezug auf die Mitarbeiter und die Relevanz des Themas fur den Kindergottesdienst
9.3 Didaktisch-methodische Analyse
9.3.1 Bezug auf den "Plan fur den Kindergottesdienst”
9.3.2 Einordnung der Kindergottesdienststunde in die Kindergottesdienst- einheit
9.3.3 Lernziel fur die Kindergottesdienststunde
9.4 Materialverlauf und liturgische Phasen- didaktisch und methodisch analysiert
9.4.1 Zusammenkommen und Eroffnen
9.4.2 Horen und Antworten
9.4.3 Feiern
9.4.4 Sendung und Segen
9.5 Theologisieren mit Kindern am Beispiel der Parabel vom verlorenen Sohn
9.5.1 Das fiktive Theologisieren mit Kindern
9.5.2 Raum zur Vertiefung
9.6 Altemativen
9.7 Zwischenfazit
10 Fazit und Ausblick
Verzeichnisse und Anlagen
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Abbildungsverzeichnis
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.
1. Korinther 13, 11
Die Bibel nach Martin Luther
Mein Dank gilt denen,
fur die ich diese Arbeit geschrieben habe.
1 Einleitung
In dieser Arbeit beschaftige ich mich mit der Frage, welche Bedeutung die Kindertheologie fur den Kindergottesdienst hat. Zuerst werde ich in diesem Kapitel mein erkenntnistheoretisches Interesse, die Relevanz des Themas und den aktuellen Forschungsstand der Kindertheologie darstellen. AbschlieBend werde ich den Aufbau der Arbeit erlautern.
1.1 Erkenntnistheoretisches Interesse
Ich schreibe diese Arbeit im Rahmen meines Studienabschlusses in Religionspadagogik/ Gemeindediakonie. Auf die Thematik der Kindertheologie bin ich wahrend einer Vorlesung zur Religionspsychologie gestoBen. Ich werde in dieser Arbeit die Bedeutung der Kindertheologie fur den Kindergottesdienst herausarbeiten und Kriterien und Konsequenzen fur einen subjektorientierten Kindergottesdienst definieren. Die Grundfrage ist, ob Kindergottesdienstmitarbeiter1 Kindern den Raum fur ihre religiose Entwicklung geben. Steht das Kind mit seinen eigenen religiosen Vorstellungen und Denkweisen im Mittelpunkt dieser Arbeit? Desweiteren stellt sich mir die Frage, welche Rolle die Kindergottesdienst-Konzepte in diesem Zusammenhang spielen? Das Prinzip der Kindertheologie stellt in der Fragestellung, ob das Kind Subjekt der Kindergottesdienst-Arbeit ist, interessante Inhalte zur Verfugung. Welche Inhalte das sind, werde ich in dieser Arbeit herausarbeiten.
1.2 Relevanz des Themas
Die Entwicklung der Padagogik und Didaktik fuhrte zu einer veranderten Haltung gegenuber Kindern im Sinne eigenstandig denkender Menschen mit ganz eigenen, ernstzunehmenden Gedanken. In der Konsequenz ergeben sich neue Ideen und Methoden, die Kinder darin unterstutzen mochten, sich aktiv am eigenen Lernen, beteiligen zu konnen. Dabei bezieht sich das religionspadagogische Lernen nicht nur auf das Lernen in der Schule, sondern auch auf ein Lernen im Kindergottesdienst. Im Sinne einer Didaktik, die auf den Konstruktivismus2 aufbaut, ist Lernen nicht durch Lehren, sondern durch das Bereitstellen einer geeigneten Lehrkultur moglich, in der sich die Kindergottesdienstkinder selbststandig mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen konnen. Diese Erkenntnis hat sich im Religionsunterricht an einer immer groBer werdenden Anzahl an Schulen als nutzlich erwiesen. Haupt- und ehrenamtliche Kindergottesdienstmitarbeiter entdecken nun auch das Potenzial der Kindertheologie fur den Kindergottesdienst. Wie dieses Potential, aber auch die Grenzen der Kindertheologie im Kontext des Kindergottesdienstes aussehen konnen, mochte ich in dieser Arbeit herausarbeiten.
Bevor ich mich im Rahmen dieser Arbeit mit dem Thema der Kindertheologie im Kindergottesdienst auseinandersetzte, war ich fest der Annahme, dass es allein von den jeweiligen Konzepten des Kindergottesdienstes abhinge, wie viel Raum den Kindern fur sich und ihre Fragen und religiosen Deutungen gegeben wird. Doch bin ich nach der Auseinandersetzung mit allerlei Literatur zu der Erkenntnis gekommen, dass nicht vordergrundig das Konzept den Freiraum gibt, sondern dass die Mitarbeiter der Schlussel zu einer subjektorientierten Arbeit mit Kindern sind. An ihnen liegt es, wie der Kindergottesdienst gestaltet wird. Das Konzept bietet den auBeren Rahmen, aber die Mitarbeiter sind diejenigen, die das Kind als Subjekt oder Objekt des Glaubens wahr- und ernst nehmen.
1.3 Aktueller Forschungsstand
WILFRIED HARLE schreibt in seinem Artikel „Was haben die Kinder in der Theologie verloren?“3, von einer Sitzung des interdisziplinaren Graduiertenkollegs. Er beschreibt, wie von beteiligten Hochschullehrern Aussagen aufkamen, „wie jemand nur auf eine solche abwegige Idee kommen konne“4, Kinder als Subjekte von Glauben zu sehen. Auch in der heutigen Zeit finden sich AuBerungen, die deutlich machen, dass viele Personen, ob nun Theologe oder Laie, Kinder als Objekte und nicht als Subjekte von Glauben sehen.
In einigen Gemeinden kann man diese Art des Denkens auch vorfinden. Dennoch tragen die zahlreichen Jahrbucher der Kindertheologie dazu bei, die Stellung des Kindes in Schule (und Gemeinde) zu verbessern und sie als aktive Konstrukteure ihrer Wirklichkeit wahrzunehmen und sie in religiosen Fragen und AuBerungen zu unterstutzen und zu begleiten. Der Religionsunterricht hat die Kindertheologie und im Besonderen das Theologisieren mit Kindern als einen methodisch- didaktischen Baustein erkannt. Die auBerschulische Arbeit mit Kindern, wie der Kindergottesdienst, ist auf dem Weg die Kindertheologie in ihrer Arbeit zu berucksichtigen.
1.4 Aufbau der Arbeit
Es ist wichtig in der Arbeit mit Kindern einen bestimmten Kenntnisstand uber padagogische und methodische Aspekte zu haben, daher beschaftige ich mich in dieser Arbeit zuerst mit der Entwicklung und der Lebenswelt der Kinder. Diese werde ich darstellen und auf den Kindergottesdienst beziehen, viel mehr auf die Kinder, die zum Kindergottesdienst kommen. In dem darauf folgenden Kapitel werden die Entwicklung und der Gegenstand des Kindergottesdienstes beschrieben. Um die Bedeutung der Kindertheologie fur den Kindergottesdienst heraus zuarbeiten, werde ich die Kindertheologie zuerst vorstellen.
In einem weiteren Schritt werden praxisbezogene Kriterien und Konsequenzen fur einen subjektorientierten Kindergottesdienst definiert, die ich dann versuche in einem Materialentwurf zum Gleichnis vom verlorenen Sohn anzuwenden. Zusatzlich beschaftige ich mich in einem Kapitel mit der Funktion der Mitarbeiter in diesem Kontext der Kindertheologie und arbeite Kompetenzen und Qualifikationen der Mitarbeiter heraus, die forderlich fur den Prozess des Theologisierens sein konnen.
Zum Anderen werde ich auBerdem ein religionspadagogisches Konzept vorstellen, dass das Kind als Subjekt seines Glaubens in den Mittelpunkt stellt. Welche Bedeutung dieses Konzept im Rahmen der Kindertheologie haben kann, werde ich erlautern. Zunachst definiere ich die Begriffe „Kindheit“ und „Theologie“, dessen Verstandnis grundlegend fur diese Arbeit ist.
TEIL I:
EINFUHRUNG IN DAS THEMA AUS
ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHER
UND KINDERTHEOLOGISCHER
PERSPEKTIVE
2 Begriffserklarungen
In diesem Kapitel werde ich zuerst zwei in dieser Arbeit immer wiederkehrende Begriffe definieren: „Kindheit“ und „Theologie“. Das funfte Kapitel dieser Arbeit beschaftigt sich abschlieBend mit der Thematik der „Kindertheologie“ und der Frage, was dieser Begriff beinhaltet.
2. 1 Kindheit
ROLF OERTER ordnet den Lebensabschnitt der Kindheit dem Alter von vier bis elf/zwolf Jahren zu. Auch Dieter Baacke kann dieser groBen Altersspanne zustimmen. Trotz Schwierigkeiten bei dieser Abgrenzung zeigt sich in der Entwicklungspsychologie, dass sich diese mittlere Kindheit von der fruhen Kindheit bei Klein- und Vorschulkindern und von der Phase der Teenager und Jugendlichen unterscheidet.5
ROLF OERTER bezeichnet Kindheit als „(...) einen klar umschriebenen Lebensabschnitt, in dem das Kind bestimmte Aufgaben zu bewaltigen hat, aber von der Verantwortung der Erwachsenen frei bleibt.“6 Das Kind befindet sich hinsichtlich von Lebensfragen und zu treffenden Entscheidungen noch in starker Abhangigkeit von Erwachsenen. Der hauptsachliche Fortschritt im Alter von neun bis zwolf Jahren besteht darin, einzelne Selbstreprasentationen zu koordinieren.7 Kinder in diesem Alter entwickeln z.B. mit Hilfe von Leistungsruckmeldungen in der Schule, dem Umgang mit Anderen und dem Erleben von eigenen Geschicklichkeiten auch auBerhalb der Schule ein differenzierteres, realistischeres und hierarchisch komplexeres Selbstbild.8
Dieses Bild der Kindheit hat es nicht von Anfang an gegeben. Im Mittelalter war den Kindern kein eigener Lebensabschnitt zugeordnet, sie galten als kleine Erwachsene. Soziologisch gesehen wird Kindheit nicht als eine biologische Tatsache angesehen, die an das Lebensalter gekoppelt ist, sondern als gesellschaftliches Phanomen. Dem Kind wird, zumindest in den industrialisierten Landern, Bildung ermoglicht. Jedoch ist „gegenwartig (...) die Kindheit auf mannigfaltige Weise durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse bedroht“9. Wie sich die Kindheit im Laufe der Geschichte entwickelt hat und welche weiteren Aspekte im Bezug auf dieses Alter zu beachten sind, werde ich im Kapitel 3 naher berucksichtigen.
Da entwicklungspsychologisch zwischen 0-6 Jahrigen und 6-12 Jahrigen zu unterscheiden ist, differenziere ich auch in meiner Arbeit und lege den Fokus auf die mittlere Kindheit.
2.2 Theologie
Um diese Arbeit nicht falsch zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, welcher Theologiebegriff dieser Arbeit zugrunde liegt.
Nach WILFRIED HARLE ist Theologie „(...) eine spezifische Funktion des christlichen Glaubens, namlich diejenige, die der gedanklichen Durchdringung, Reflexion und UberprUfung, also der denkenden Rechenschaft Uber den christlichen Glauben dient. Theologie ist nicht die einzige Funktion des christlichen Glaubens, sondern anderen Funktionen, wie z.B. den gottesdienstlichen, seelsorglichen, diakonischen, padagogischen etc. Funktionen zugeordnet, wo all diese Funktionen sich gegenseitig voraussetzen und bedingen.“10
KARL RAHNER pragte schon lange vor dem Entwurf der Kindertheologie ein Verstandnis von Theologie mit dem, unter anderen, die Kindertheologie legitimiert wird, siehe in Kapitel 5. Fur KARL RAHNER ist jeder Mensch und Christ Theologe. „Denn Theologie ist schliefilich nur die umfassende und oberste BemUhung um das reflexe Verstandnis unserer selbst, dessen, was wir als Menschen und Christen notwendig sind. Und darum gibt es eigentlich in der Theologie keine saubere Grenze zwischen Fachleuten und Dilettanten. Jeder ist in gewissem Mafi aufgerufen, Theologe zu sein. “11
Nimmt man diese beiden Definitionen von Theologie, kann man daraus folgern, dass man Kinder auch als Theologen verstehen kann. Kinder reflektieren die biblischen Texte und den Glauben nicht auf dieselbe Art wie es die wissenschaftliche Theologie macht, aber sie sind in der Lage ihren Glauben zu reflektieren. Theologie umfasst also die wissenschaftliche Theologie und die Gemeinde- oder Laientheologie. Unter dem Aspekt des „Priestertums aller Glaubigen“ sind sie berechtigt, gleichwertig anerkannt zu werden. Eine Facette der Laientheologie ist die Kindertheologie, die in dieser Arbeit noch ausfuhrlich erlautert wird.
Der Theologiebegriff, der dieser Arbeit zugrunde liegt, ist die Rede von Gott im Sinne eines reflektierenden Nachdenkens uber Gott, wonach m.E. Kinder, wie Erwachsene im Stand zu sein konnen.12
3 Lebenssituation und Entwicklung der Kinder
Im Kindergottesdienst stehen die Kinder im Mittelpunkt. Um Kinder besser verstehen zu konnen und um besser mit ihren Wunschen und Bedurfnissen umgehen zu konnen, ist es wichtig, dass Mitarbeiter in die Lebenswelt der Kinder eintauchen. Das heiBt, dass die Mitarbeiter wissen, was bei den Kindern gerade „angesagt ist“: was sie lesen, horen und spielen. Die Lebenssituation der Kinder andert sich von Generation zu Generation und der Wandel in der Lebenswelt der Kinder geschieht schneller, als sich Menschen, die ihr gerade entwachsen sind, vorstellen konnen.13 Oft vollzieht sich ein Wandel ohne offensichtliche Zeichen und wird nur von denen wahrgenommen, die noch dicht an dem jeweiligen Altersstadium dran sind.
3.1 Aufwachsen in pluralen postmodernen Zusammenhangen
Schlagworter der heutigen Zeit, die oft mit Kindern verbunden werden, sind beispielsweise „Konsum“, „Medien“, „Gewalt“, „Leistung“, oder „verplante Kindheit“. Kinder wachsen heute unter anderen Umstanden auf, als fruher. Die Rahmenbedingungen haben sich geandert. Allein die traditionelle Familienform mit Vater, Mutter und zwei Kindern gibt es immer seltener. „Gut die Halfte der Familien hat ein Kind, ein weiteres Drittel hat zwei Kinder."14 Aktuellen Zahlen zufolge bekam im Jahr 2007 eine Frau durchschnittlich 1,47 Kinder.15
Kinder wachsen heute in kultureller und religioser Vielfalt auf. Bereits im Kindergarten werden Kinder mit dieser Pluralitat konfrontiert. Dort treffen die unterschiedlichen Lebenswelten der Kinder aufeinander. Eine ahnliche Entwicklung ist in der religios gelebten Praxis erkennbar. Eine traditionelle Glaubens- und Moralerziehung in der Familie findet nur noch selten statt. Anstelle der Beheimatung in der Tradition tritt der individuelle Glaube- haufig korrelierend mit einem kritischen Bewusstsein. Ein Wandel des Religionsverstandnisses, weg von den traditionellen Religionen hin zur so genannten „Patchworkreligion“, ist zu bemerken. Hinzu kommt die im Alltag erforderliche Offenheit in der Konfrontation mit anderen Religionen. Kinder gehen jedoch oft spielerisch mit dieser Herausforderung. In dem Abschnitt 4.5 „Die Kinder im Kindergottesdienst" gehe ich noch detaillierter darauf ein, was im Allgemeinen fur Kinder den Kindergottesdienst besuchen und wie ihre Lebenssituation aussieht.
Zunachst lasst sich sagen, dass Kinder in dieser Zeit eine „verplante Kindheit" haben. Die Schule ist zum Lebensraum geworden und nimmt einen groBen Teil ihrer Lebenswelt ein. Durch die Ganztagsschulen haben die Kinder oft nur noch wenig Zeit fur spontane Treffen mit Freunden. Kinder haben oft einen ahnlich vollen Terminkalender wie ihre Eltern und haben mehrere feste Termine in der Woche, sei es Sport- oder Musikangebote. Die Zeiten des freien Spielens der Kinder werden immer weniger, zumal Kinder ihre freie Zeit oft vor dem Computer mit Computer- und Konsolenspielen, im Internet verbringen oder fernsehen. „Die Freizeit der Kinder ist durch Medienkonsum dominiert und umfafit (sic!) weitaus mehr als die Halfte der mit Medien verbrachten freien Zeit.“16 Dabei sind Kinder interessiert an sozialen Kontakten und halten sich viel in Chats auf. Dennoch finden diese Kontakte virtuell und nicht real statt. Die Medien nehmen den Kindern die Chance Erfahrungen aus erster Hand zu machen. Sie erleben vieles in der kunstlichen Computerwelt nur aus zweiter Hand. Daher kann es, zum Beispiel, fur den Kindergottesdienst eine Aufgabe sein neue Erfahrungsraume fur Kinder zu schaffen in denen Erfahrungen mit Kopf, Herz und Hand gemacht werden konnen.
Kinder sind ein Teil der Gesellschaft, die in weiten Teilen von Leistungs- und Erfolgsdenken gepragt ist. Dieses Denken bereitet sich bereits auf die Kinder aus. In Kindergarten und Schule werden Leistungen von Kindern eingefordert, um eine Vergleichbarkeit gerade zwischen den verschiedenen Schulen aufzuzeigen. Nicht alle Kinder konnen die geforderten Anspruche erfullen. Einige Kinder konnen dem schulischen Druck nicht standhalten. Daher ist es wichtig, dass Kinder einen ausgleichenden Pol finden, zum Beispiel im Sport. Finden die Kinder kein solches Ventil, um ihre Anspannungen oder sogar Aggressionen freien Lauf lassen zu konnen, endet dies oft in Gewalt untereinander. Zum Einen kommt es durch die intensive Mediennutzung bei Kindern zu einer fruheren Beruhrung mit Gewalt und gewaltorientierten MaBstaben. So passiert es, dass ihr16 gesellschaftliches Handeln dadurch unbewusst beeinflusst wird. In dem Zehnten Kinder- und Jugendbericht wird berichtet, dass die Gewalt unter Schulern und gegen Lehrer so stark zugenommen hat, dass das Risiko fur Kinder und Jugendliche auBerhalb der Familie korperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein, sich in den letzten zwanzig Jahren verachtfacht habe.17
Die Struktur der Familien und das Familienleben haben sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verandert, wie oben beschrieben. Die Familie kann ein Ruckzugsraum sein. Im Angesicht der Tatsache, dass jedoch nicht jedes Kind eine Familie hat, bei der es sich gerne zuruckzieht, spielen die Freunde und die Clique einen enorm hohen Stellenwert. „In der Kindheit wird der Gleichaltrige („peer“) zur wichtigsten Bezugsperson“.18 Die Erziehungsaufgabe, die fruher die Familie innehatte, ubernehmen heute die Schule und die Peergroup19. Kinder lernen somit eher Verhaltensweisen ihrer Freunde zu ubernehmen, als die ihrer Eltern. Die Peergroup kann forderlich auf die Entwicklung des Sozialverhaltens einwirken und zum Selbstverstandnis der Kinder beitragen, die in ihren Gleichaltrigen oft gespiegelt werden.
Mit der Peergroup und auch allein geben Kinder zu heutigen Zeit viel mehr Geld fur SuBigkeiten oder Zeitschriften aus, als noch fruher. 23,30 Euro haben Kinder im Alter von sechs bis dreizehn Jahren durchschnittlich im Monat zur Verfugung, so wie die KidsVerbraucherAnalyse 2008 berichtet.20 Das bedeutet, dass Kinder im Jahr uber 279 Euro verfugen. Dies war im Jahr 2006 noch um 43Euro geringer. 63% der Kinder sparen einen Teil vom Geld, so dass sich pro Jahr 662 Euro Sparguthaben verzeichnen lassen.21 59% der Kinder kaufen sich von dem Geld SuBigkeiten und Kekse, wahrend sich 46% der Kinder Zeitschriften, Comics und Magazine kauft. Kinder sind zu einer Kaufkraft geworden. Sie werden gezielt als Zielgruppe geworben. Viele Kinder gehen zusammen mit ihren Freunden einkaufen oder verbringen ihre Mittagspause bei Mc Donalds. Das Medium Fernsehen wirbt fur zahlreiche mediale Angebote, wie MP3- Player, Dvd-Player oder einen eigenen Femseher. 33% der Kinder besitzen einen eigenen Fernseher. Es ist nicht verwunderlich, dass Kinder immer weniger Erfahrungen aus erster Hand machen, wenn sie diese auch aus zweiter Hand aus dem Fernseher bekommen.
Kinder sind auf ein entsprechendes Umfeld angewiesen, dass ihnen hilft ihr Potential zu entfalten. Wenn Mitarbeiter Kenntnisse uber die Lebenswelt der Kinder haben, dann kann dementsprechend lebensweltorientierter der Kindergottesdienst gestaltet werden. Kinder werden dadurch gezielter angesprochen und dadurch kann Kirche auch relevanter fur Kinder (und Eltern) werden. Sie merken, dass die Mitarbeiter einen Einblick in ihre Lebenswelt haben. „Anregende und strukturierte Umweltangebote sind Voraussetzung fur eine optimale Nutzung der Entwicklungschancen der Kindheit.“22 Eine Kirche kann versuchen mit ihren Angeboten, Kindern diese Moglichkeiten zu eroffnen.
3.2 Entwicklungspsychologische Aspekte
Seit vielen Jahren nimmt die Religionspadagogik Elemente der entwicklungspsychologischen Forschung wahr und versucht daraufhin, Kinder in ihren Entwicklungsprozessen besser verstehen und unterstutzen zu konnen. Die Beobachtungen von ERIK H. ERIKSON bieten einen wichtigen Einstieg in das Thema der religiosen Entwicklung des Menschen. JEAN PIAGET beschaftigt sich durch seinen strukturgenetischen Ansatz mit der Entwicklung des Denkens, jedoch nicht explizit mit der religiosen Entwicklung. LAWRENCE KOHLBERG stutzt sich in seiner Stufentheorie23 auf die Untersuchungen JEAN PIAGETs zum moralischen Urteil und entwickelt sie weiter. Auch LAWRENCE KOHLBERG setzt sich in seiner Theorie nicht ausdrucklich mit Religion auseinander, „(...) weil diese fur ihn nur ein Frage nach dem Sinn bedeutet und so keines moralischen Urteils bedarf“24. Seine und JEAN PlAGETs Ergebnisse beeinflussten die Theorie des religiosen Urteils von FRITZ OSER und PAUL GMUNDER. Um die einzelnen Theorien richtig aufzufassen, werde ich sie der Reihe nach vorstellen und bei ERIK ERIKSON anfangen, der mit seiner Theorie des menschlichen Lebenszyklus, gegliedert in acht psychosoziale Krisen, bzw. Entwicklungsaufgaben, die Theorien LAWRENCE KOHLBERGs, FRITZ OSERs und PAUL GMUNDERs beeinflusst hat.25 JEAN PlAGETs Theorie uber die kognitive Entwicklung des Kindes werde ich ebenso kurz vorstellen, damit die sich darauf beziehende Theorien besser zu verstehen sind.
Die vorgestellten Theorien fordern zwar das Verstandnis fur den Denkhorizont von Kindern und Jugendlichen und helfen, die eigene religiose und moralische Entwicklung zu reflektieren.26 Dennoch konnen sie nur als Orientierungshilfe dienen und nicht als Moglichkeit, um Personen zu vorschnell in bestimmte Kategorien und Stufen einzuordnen.
Bei den vorgestellten Theorie und Stufenmodellen wurde die jeweilige Denkleistung beachtet, ohne emotionale Faktoren einzubeziehen. Wie sehr gerade die Gefuhle unsere Entscheidungen beeinflussen konnen, kann jeder Mensch nachvollziehen. JAMES FOLWER betrachtete den Menschen als Einheit von kognitiven und emotionalen Aspekten und entwickelte ein Stufenkonzept, das einheitlicher und umfassender als das von JEAN PIAGET und LAWRENCE KOHLBERG sein sollte.
Ich werde die verschiedenen Theorien nicht in aller Ausfuhrlichkeit behandeln.27 Die wichtigsten Ergebnisse der verschiedenen Theorien werden hier dargestellt. Ich behandele die Ergebnisse, die fur die Altersprozesse der den Kindergottesdienst besuchenden Kinder relevant sind.
3.2,1 Die Bedeutung fruhkindlicher Wurzeln der religiosen Entwicklung des Menschen nach Erik H. Erikson
In seinem Konzept28 von der Ich-Identitat deutet ERIK H. ERIKSON das Urvertrauen als eine Grundhaltung des Menschen. „Es ist die Quelle von Glauben und Hoffnung."29 Fur ERIK H. ERIKSON ist die Religion die alteste Institution, „um der rituellen Wiederherstellung eines Vertrauensgefuhls in der Form des Glaubens zu dienen“ 30 . Er begrundet dies damit, dass schon Sauglinge die Fahigkeit besaBen Vertrauen auszubilden. Dieses Vertrauen ausbilden, impliziert zu glauben. Kinder sollten danach in ihrer religiosen Entwicklung gefordert werden.
Er vergleicht die zugewandete Haltung einer Mutter zu ihrem Saugling mit der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Vertrauen in die Welt aufzubauen und sich als wertgeschatzter und angenommener Mensch zu fuhlen, sind Anforderungen an die Entwicklung eines Kindes. Nicht immer erreicht ein Mensch diese Anerkennung der Anderen. „Darum konnen sich Menschen, in der Familie oder Schule vor Gott zusammenkommen, gemeinsam unter die Zusage Gottes stellen undaus dieserZusage Kraftschopfen.“31
ERIK H. ERIKSON unterscheidet das Urvertrauen vom Vertrauen auf Gott. „Zwar bedingt das frtihkindlich erworbene Urvertrauen auch die Einstellung, aber nur im Interesse des Urvertrauens, so dafi (sic!) durch die religiose Einstellung ein Vertrauen in das Vertrauen, nicht jedoch durch das Urvertrauen ein Vertrauen in die Religion gefordert wird.“32 Man kann daher sagen, dass Religion Vertrauen in das Urvertrauen schafft.
ERIK H. ERIKSON teilt die Identitat und den Lebenszyklus in acht psychosoziale Krisen ein. Interessant fur das Alter der Kindergottesdienstkinder ist die vierte Phase, die gepragt ist von einem Werksinn, der dem Minderwertigkeitsgefuhl gegenuber steht.33 Das Kind ist gewollt, etwas herzustellen. Es will beschaftigt sein, vor allem auch mit Anderen zusammen tatig sein. In dieser Phase entwickelt sich entweder ein Leistungsbewusstsein oder ein Gefuhl der Minderwertigkeit und Unzulanglichkeit. Das Kind ist in der Lage, eine Arbeit erfolgreich abzuschlieBen. Haufiges Misslingen hingegen kann das Kind in seinem Selbstwertgefuhl schadigen. Daher ist es wichtig, Aktionen und Aussagen der Kinder nicht als unsinnig oder storend hinzustellen. Die Kindertheologie baut auf ein Menschenbild, in dem das Kind als Subjekt des Glaubens und somit dem Erwachsenen gleichgestellt ist. Der Erwachsene kann uber mehr Fachwissen verfugen, dennoch konnen Kinder, wie Erwachsene in der Lage sein ihr Dasein zu reflektieren. Daher ist die Phase religionspadagogisch relevant fur die Kindertheologie. Sie nimmt diesen Werksinn des Kindes wahr und nimmt das Kind mit seinen Fragen und Deutungen ernst.
3.2.2 Die kognitive Entwicklung des Kindes nach Jean Piaget
JEAN PIAGET erarbeitete die strukturell-kognitive Psychologie, in dessen Vordergrund die Entwicklung des Verstehens steht. Die kognitive Entwicklung ist fur den Menschen entscheidend, da kognitive, affektive und soziale Aspekte zusammenwirken und somit die Entwicklung beeinflussen.34 Der Mensch konstruiert Wirklichkeit, so wie sie ihm vermittelt wird, er sie durch Sinneseindrucke aufnimmt, ordnet und interpretiert. Die geistige Entwicklung vollzieht sich daher als ein Prozess der aktiven Konstruktion von Wissen in der Interaktion des Menschen mit der Umwelt.35 Dieses Wechselspiel wird von zwei komplementaren adaptiven Prozessen vorangetrieben. Die Assimilation „(...) ist die Integration von Neuem in bestehende mentale Strukturen und [die] Akkommodation [ist] die Anpassung bestehender mentaler Strukturen als Reaktion auf Umweltanforderungen“36 Ziel ist ein Gleichgewichtszustand von Assimilation und Akkommodation, den Piaget als Aquilibration bezeichnet. Ist eine erlebte Erfahrung nicht in die vorhandenden Schemata einzuordnen, kommt es durch einen kognitiven Konflikt zu einer Strukturtransformation. „Solche Strukturtransformationen sind nach JEAN PIAGET als bereichsUbergreifende Veranderung von inhaltsunabhangigen Denkstrukturen zu begreifen.“37
Die aus seiner Theorie entstandenen GesetzmaBigkeiten lassen sich in vier Stufen gliedern. JEAN PIAGET redet in diesem Zusammenhang von „Hauptstrukturen“, die in Form von „kognitiven Stadien eine sequenzielle Eigenschaft besitzen, d.h., weil jede von ihnen notwendig fUr die Bildung der folgenden ist".38 Fur den objektiven Umgang mit dem Stufenmodell von JEAN PIAGET ist es von groBer Wichtigkeit, die am Alter orientierten Axiome als Richtwerte zu beurteilen.
Konkret bedeutet dies, dass die jeweilige Entwicklungsphase aufgrund unterschiedlich gesehener Umstande durchaus Zeit versetzt eintreten kann.39
Die vier verschiedenen Stadien gliedern sich wie folgt auf40 :
1. sensomotorisches Stadium: Kinder von der Geburt bis zum zweiten Jahr
2. praoperationales Stadium: Kinder vom Alter von zwei bis sieben Jahren
3. konkret-operationales Stadium: Kinder von sieben bis elf/zwolf Jahren
4. formal-operationales Stadium: Kinder ab zwolf Jahren
Fur diese Arbeit stehen die zweite und die dritte Phase im Vordergrund, da die Kindergottesdienstkinder in einem solchen Alter sein konnen. Die erste und die letzte Phase werden nur kurz erlautert.
Das sensomotorische Stadium besteht aus sechs aufeinander aufbauenden Unterstadien. Der Saugling kann sich sprachlich noch nicht auBern, sondern kommuniziert mit seiner Umwelt durch Sinnesreaktionen. Sensomotorische Schemata41 sind die angeborenen Reflexhandlungen, wie das Saugen und das Greifen. Durch Assimilation und Akkommodation erarbeitet sich das Kleinkind „(...) die vier Grundschemata der Objektpermanenz, des Raumes, der Kausalitat und der Zeit, mit denen es seine Umwelt zwar noch ganz selbstzentriert, aber doch auch als von ihm unabhangige Wirklichkeit begreift“42.
In dem praoperationalen Stadium kann man zwei Stufen unterscheiden. Die erste Stufe umfasst das zweite bis das vierte Lebensjahr. Hierfur ist besonders die Sprache kennzeichnend, die noch stark egozentrisch ist. Die zweite Stufe, die das funfte bis das siebte Lebensjahr umfasst, kennzeichnet sich durch den sozialen und kommunikativen Sprachgebrauch und durch ein intuitives Denken.43 Gerade dieses Alter entspricht dem Alter der jungsten Kindergottesdienstkinder.
Die Sprache wird fur diese Kinder nun zu einem Medium mit dem sie sich mehr oder weniger verstandlich ausdrucken konnen. Durch die Interaktion und besonders im Spiel erlernen Kinder sprachliche Fahigkeiten. Jedoch kommentiert das Kind im Alter von zwei bis vier Jahren uberwiegend seine eigenen Handlungen. Das Kind ist noch sehr auf sich bezogen und es fallt ihm schwer die Perspektive eines Anderen einzunehmen. JEAN PIAGET spricht hier vom Egozentrismus.44 Das Kind kann jetzt klassifizieren, GroBen vergleichen und Sachen einer Reihe nach anordnen. Jedoch gelingt dies dem Kind nur, wenn es an die eigene Handlung und Anschauung gebunden ist. Das Kind befindet sich somit auf einer Vorstufe der Operationen, die durch Zentrierung, Irreversibilitat und Synkretismus gekennzeichnet ist.45 Das Kind kann, zum Beispiel Tiere klassifizieren, aber diese nicht in Unterklassen einer ubergeordneten Klasse einteilen. Zum Anderen sind Handlungen noch so stark auf ihr Ziel fokussiert, dass sie nicht umgekehrt und uberprufbar gemacht werden konnen. Mit Synkretismus meint JEAN PIAGET ein sprung- und analogiehaftes Schlussfolgern. Die Problemlosungsstrategien in diesem Alter basieren auf direkt Gesehenem oder Gehortem. „So sind die Schlussfolgerungen gepragt durch Objektwahrnehmungen und nicht durch Erinnerungen von diesen Objekten. “46
Kinder, die sich in der konkret-operationalen Phase befinden, sind erstmals in der Lage Denkschemata so zu koordinieren, dass sie mehrere Dinge gleichzeitig berucksichtigen konnen. Dies versteht JEAN PIAGET unter Dezentrierung.47 Dazu konnen sie den Standpunkt eines Anderen mit einbeziehen. Sie konnen sich selber vom Standpunkt des Anderen aus sehen und Handlungen in beide Durchlaufrichtungen ausfuhren. Das heiBt, Denk- und Erkenntnisprozesse konnen innerlich zu ihrem Ausgangspunkt zurucklaufen und von dort aus wieder hergestellt werden. Dies bedeutet Handlungen sind reversibel.48 Des Weiteren ist diese Phase gekennzeichnet von einer immer besser werdenden Auspragung der Fahigkeit Dinge zu systematisieren. Dinge gleicher Art konnen miteinander verknupft und ubergreifende Strukturen konnen gruppiert werden.49 Alle diese Leistungen sind in der dritten Phase jedoch noch an gewisse Bedingungen geknupft, denn das Denken schafft gewisse abstrakte Leistungen noch nicht ohne Hilfe. So mussen sich die Aufgaben, die an das Kind gestellt werden, stets auf etwas Konkretes beziehen, wie z.B. auf Gegenstande oder Handlungen, die fur die Kinder durch eine anschauliche Prasentation vorstellbar sind. Die Bewaltigung eines Problems, das z.B. nur sprachlich abstrakt geschildert wird, ist fur die Kinder nicht oder nur sehr eingeschrankt moglich. Das heiBt jedoch nicht, dass es noch eine Abhangigkeit des Kindes von einem augenblicklichen Vorstellungsablauf gibt. Es kann sehr wohl geistige Vorstellungen entwickeln, auch wenn diese immer noch auf die eigenen Erfahrungen beschrankt sind.
Je alter das Kind wird und je weiter es in der Sprachentwicklung voranschreitet, desto mehr minimiert sich der Egozentrismus. Das zeigt sich auch darin, dass es jetzt eine objektivere Sichtweise der Umwelt bekommt. Im Alter von zehn Jahren fangt das Kind an, Ursachen nach dem Kausalitatsprinzip zu erfassen und Probleme auf der Grundlage von Hypothesen und Feststellungen zu losen.50
In der formal-operatorischen Phase ist das Denken gekennzeichnet durch eine hypothetische bzw. theoretische Herangehensweise an Problemstellungen. Kinder ab ca. zwolf Jahren losen vergangene, gegenwartige und zukunftige Probleme mit dieser Methode. Zudem ist das Kind in der Lage, Schlussfolgerungen zu ziehen.
3.2.3 Die Entwicklung des moralischen Urteils nach Lawrence Kohlberg
Seine Veroffentlichungen zur Entwicklung des moralischen Urteils haben in den 1960er Jahren in der Forschung und in der Padagogik groBe Aufmerksamkeit erfahren. Er untersuchte die Reaktionen auf moralische Dilemmata. Hier war ihm besonders die Argumentation der Entscheidung wichtig, nicht die Entscheidung an sich. LAWRENCE KOHLBERG ging vom moralpsychologischen Drei-Stufen- Konzept jean PiAGETs aus, aber er verfeinerte es spater, so dass die Stufen jean PIAGETs als prakonventionelles, konventionelles und postkonventioneles Argumentationsniveau nahm, aber sie dazu in wieder rum zwei Stufen gliederte.
Es entstand ein Modell mit sechs Stufen.51
Die moralische Entwicklung wird im Allgemeinen der Sozialisation zugeordnet. Ein Kind verinnerlicht moralische Werte seiner Kultur. LAWRENCE KOHLBERG geht davon aus, dass die Erziehung und die Vererbung die Urteilsentwicklung beeinflussen. Hierbei orientiert er sich an JEAN PIAGET in dem er sagt, dass eine bestimmte kognitive Stufe erreicht werden sein muss, um moralisch zu urteilen. Besonders betont LAWRENCE KOHLBERG die Gerechtigkeitsstruktur. Er misst sie an der Starke der Ausbildung von Gleichheit und Bestrafung/Belohung.52 „Kinder, die sozialen Gruppen mit hohem Gleichheits- und Reziprozitatsniveau [Bestrafung/Belohnung] angehoren, werden nach [LAWRENCE] KOHLBERG hohere moralische Entwicklungsstufen erreichen als Kinder, die Uberwiegend Mitglieder in Gruppe mit niedrigen Gerechtigkeitsstrukturen sind.“53
Hier nun die einzelnen Stufen und ihre Bedeutung:54 I: Prakonventionelles Niveau
1. Stufe: Orientierung an Strafe und Gehorsam
Eine Handlung wird nach ihren Folgen, d.h. nach Bestrafung oder Belohnung, beurteilt. „ Moralisch gut sein heifit, gut zu gehorchen, andernfalls wird die Strafe als unmittelbare Konsequenz der begangenen Abweichung akzeptiert oder im Falle richtigen Handelns ein Automatismus der Belohnung erwartet.“55 Wert und Bedeutung der Handlung werden nicht beurteilt.
2. Stufe: Orientierung an naiv-instrumentellen Zwecken
Eine Handlung richtet sich hier, nach dem, was sie einer Person bringt. Die Interessen der Anderen werden nur unter diesem Gesichtspunkt wahrgenommen, nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“56.
II: Konventionelles Niveau
3. Stufe: Orientierung an Beziehungen
In dieser Stufe geht die Person aktiv auf die Mitmenschen zu, mit dem Ziel anderen zu helfen oder sie zu erfreuen. Als Bezugsgruppe sind hier die Familie und die Peergroup zu nennen. Das Individuum erhofft sich durch diese personenzentrierten Handlungen Anerkennung zu erlangen.
4. Stufe: Orientierung an Recht, Ordnung und sozialen Systemen
Die Vorstellung System-subjektorientierte Moral wird von dem Verhaltnis Subjekt-System abgelost. Autoritaten werden respektiert und die herrschenden sozialen Ordnungen sind von enormer Wichtigkeit. Regeln und Gesetze werden befolgt.
III: Postkonventionelles Niveau
5. Stufe: Orientierung an Sozialvertrag
Das bestehende Rechtssystem wird nicht mehr fraglos anerkannt, sondern als Gesellschaftsvertrag verstanden. Eine Person gibt ihre Rechte an einen Vertragspartner ab, z.B. den Staat, und verlangt als Gegenleistung die Einhaltung der vereinbarten Regelungen. Im Einvernehmen beider Partner konnen diese Regelungen verandert werden.
6. Stufe: Orientierung an allgemeingultigen ethischen Prinzipien
Hier wird bei der Beurteilung von moralischen Konflikten auf universale ethische Prinzipien zuruckgegriffen. „Diese Prinzipien sind abstrakt wie die Goldene Regel oder Kants Fassung des kategorischen Imperativs.“57 Eine Person entscheidet mit Hilfe seines Gewissens im Einklang mit allgemeingultigen ethischen Prinzipien.
Diese Stufe wurde jedoch in empirische Studien hochst selten nachgewiesen. LAWRENCE kohlberg war uberzeugt, dass seine Dilemma-Methode dafur ungeeignet war.58
Er kam zu der Uberzeugung, dass die Abfolge der Stufen ein festes Muster darstellt, welches nicht ubersprungen oder beliebig verandert werden darf. Demnach steht eine hohere Stufe gleichzeitig fur ein „besseres“ Urteil.
In den Studien von Lind, Reuss und Becker59 fiel auf, dass die Befragten niemals konsequent eine Stufe beibehielten. Es gab Mischformen. Das zeigt an, dass sich weiche Strukturen zwischen den verschiedenen Stufen befinden. BERNHARD GROM stellt sich daraufhin die Frage, ob es uberhaupt noch sinnvoll sei, von moralischen Stufen zu sprechen.60
LAWRENCE KOHLBERG sieht die Entwicklung des moralischen Urteils in Anlehnung an JEAN PlAGETs Theorie der Denkstrukturen. „Wer geistig noch auf konkret-operatorische Operationen beschrankt sein, komme im moralischen Urteil nicht weiter als bis zu den vormoralischen Stufen 1 und 2.“61 In dem praoperationalen oder in dem konkret-operationalen Stadium befinden sich die Kinder, die den Kindergottesdienst besuchen. Das bedeutet fur das Modell von LAWRENCE KOLBERG, dass sich die Kinder in der moralischen Entwicklung auf Stufe 1 oder 2 befinden. Die jeweilige kognitive Stufe ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung fur die parallele moralische Stufe. Der soziale Aspekt spielt in der Entwicklung eines Kindes eine groBe Rolle und kann durch Partizipation gefordert werden.62
3.3 Religionspsychologische Aspekte
Die hier beschriebene Religionspsychologie ist strukturgenetisch zu verstehen, da sie sich auf JEAN PIAGETs strukturgenetische Theorie der kognitiven Entwicklung und deren Anwendung auf das moralische Urteil durch LAWRENCE KOHLBERG bezieht und somit das Verhalten des Menschen in einer Stufentheorie erklart. Im Sinne dieser Stufentheorie bauen JAMES FOWLER, FRITZ OSER und PAUL GMUNDER Theorien der Entwicklung des religiosen Denkens auf.
3.3.1 Die Entwicklung des Glaubens nach James Fowler
JAMES FOWLER entwickelte eine religiose Stufenentwicklung, die sich auf den Lebensglauben (faith) bezieht und nicht auf Glaubensannahmen (beliefs). Den Glaube (faith) definiert er in Bezug auf den Theologen PAUL TILLICH und H.
RICHARD NIEBUHR als das, was uns unbedingt angeht.63 Fur JAMES FOWLER ist der Glaube ein Sinnglaube, der von Geburt an zum Menschen gehort. Er „(...) hielt die Glaubensentwicklung, die er sehr weit als sich entfaltende Sinnbejahung verstand, fur die Grundlage moralischen Denkens, wahrend [LAWRENCE] kohlberg gerade umgekehrt in der moralischen Entwicklung die notwendige Voraussetzung fur die religiose Entwicklung sah“64.
Grundlage seiner Theorie waren Ergebnisse von JEAN PIAGET, LAWRENCE KOHLBERG und ERIK H. ERIKSON. JAMES FOWLER entwickelte ein Modell mit sechs verschiedenen Stadien. Diese versuchte er ganzheitlicher und umfassender zu gestalten als jean piaget oder LAWRENCE kohlberg. Jede Stufe des Glaubens besteht nach JAMES fowler aus sieben Aspekten:65
1. Die Form der Logik (JEAN PIAGET)
2. Die Rollenubernahme (ROBERT SELMAN)
3. Die Form des moralischen Urteils (LAWRENCE KOHLBERG)
4. Die Grenze des sozialen Bewusstsein
5. Die Lokalisierung der Autoritat
6. Die Form der Welt-Koharenz
7. Das Funktionieren der Symbole
JAMES FOWLER beschreibt, wie sich ein Glaubensdenken im Laufe eines Lebens entwickelt. Die Ubergange zwischen den einzelnen Stadien unterscheiden sich aufgrund kultureller, sozialer und individueller Faktoren. Im Folgenden nun die sechs Stadien, wobei die ersten beiden Stadien fur Kindergottesdienstmitarbeiter von Bedeutung sind, da sie das Alter der Kindergottesdienstkinder umfassen. Da die weiteren Stadien der religiosen Entwicklung in Bezug auf die Kindergottesdienstkinder keine Relevanz spielen, werde ich sie nur kurz skizzieren.
1. Der intuitiv- projektive Glaube
Kinder im Alter von etwa drei bis sieben Jahren erleben Erfahrungen in phantasievoller Art. „Dies ist die phantasieerfullte, imitative Phase, in der das Kind von Beispielen, Stimmungen, Handlungen und Geschichten des sichtbaren Glaubens der Erwachsenen, mit denen es am engsten verbunden ist, stark und anhaltend beeinflusst (sic!) werden kann.“66 Diese Phase ist gekennzeichnet durch praoperationales und egozentrisches Denken, wie JEAN PIAGET es beobachtete. Das Kind lernt Rituale und Symbole kennen. Die Sozialisation ist pragend fur die Entwicklung des Glaubens der Kinder. Leben die Eltern intensiv den Glauben durch sichtbare Zeichen wie Beten, Segnen und Gottesdienstbesuche, wird das Kind dies ohne groB zu hinterfragen ubernehmen. Die Entwicklung des konkret-operationalen Denkens, mit dem Wunsch zwischen Wirklichkeit und Schein zu unterscheiden, fordert den Ubergang zur nachsten Stufe.67
2. Der mythisch-wortliche Glaube
Dieses Stadium des Glaubens findet man bei Kindern im Alter zwischen sieben und zwolf Jahren. Das Denken der Kinder ist gepragt durch konkrete Vorstellungen. Das Kind versteht nun Ursache-Wirkungs-Zusammenhange und begreift Glaubensinhalte und Regeln.68 Dies geschieht jedoch noch auf einer eindimensionalen und wortlichen Art. Gott wird oft in antropomorphen Metaphern beschrieben und das Verhaltnis zu Gott ist von Fairness und Gerechtigkeit gepragt. Kinder in diesem Alter lieben Geschichten mit Heldenfiguren oder Mythen. „Durch das formal-operationale Denken, das sich in der Phase entwickelt, sind die Kinder in der Lage, Widersprtiche in den Geschichten zu entdecken, die sie sodann kritisch reflektieren mochten. “69 Diese Reflexion markiert den Ubergang zum synthetisch-konventionellen Glauben.
3. Der synthetisch-konventionelle Glaube
Diese Art des Glaubens findet man bei Jugendlichen ab der Pubertat. Jedoch verbleiben auch einige Erwachsene in diesem Stadium. Es entwickelt sich eine Glaubensidentitat, orientiert an bestimmte Personen oder Glaubensgemeinschaften.70
4. Per individuativ-reflexive Glaube
Die Identitat, der Glaube und die Weltanschauung konnen im Erwachsenalter kritisch reflektiert werden. Diese Art des Glaubens setzen eigenes kritischen Denken voraus, welches nicht mehr von Anderen abhangig gemacht wird.
5. Der verbindende Glaube
Das Verhaltnis zu Gott, Mensch und der Schopfung kann als verbindend gesehen werden, da der Mensch der diese Stufe erreicht hat, Gott in allen Situationen und in allen Dingen des Lebens sieht.71 Zudem entwickelt die Person eine zweite Naivitat, in der die symbolische Kraft erneut mit Bedeutungen verknupft ist.72 Diese Art des Glaubens konnen Menschen in der Lebensmitte erreichen.
6. Der universalisierende Glaube
Diese Stufe wird nur selten erreicht und JAMES FOWLER schreibt sie nur besonderen Menschen zu, wie Mutter Theresa oder Ghandi. Fur sie war das Selbst nicht die Achse des Glaubenswissens, „(...) sondern es ist Teil einer Seinsgemeinschaft “73.
3.3.2 Die Entwicklung der Stufen des religiosen Urteils nach Fritz Oser und Paul Gmunder
FRITZ OSER und PAUL GMUNDER nutzten fur ihre Forschung, wie JEAN PIAGET und LAWRENCE KOHLBERG die klinische Methode74. FRITZ OSER und PAUL GMUNDER ging es um das religiose Urteil, dass ihrer Meinung nach, als Tiefenstruktur allem religiosen Denken voraus geht.75 „Sie wollten nachweisen, dafi (sic!) religioses Denken von den Regeln des Urteilens bestimmt ist.“76 Sie sind uberzeugt, dass die religiose Entwicklung nicht auf die kognitiven Denkstrukturen (JEAN PIAGET) beschrankt sei, da sie sich auf eine Subjekt-Objekt- Beziehung beruft. Auch sei die religiose Entwicklung nicht, wie bei LAWRENCE KOHLBERG, nur auf die Moralentwicklung und deren Subjekt-Subjekt-Beziehung zu beschranken.77 Vielmehr ist die religiose Entwicklung durch „die Entwicklung der Beziehung Mensch-LetztgUltiges-Mensch und deren Gleichgewicht“78 definiert. Der der Untersuchungsmethode zugrundeliegende Religionsbegriff definiert Religion als „Auseinandersetzung des Menschen mit der Wirklichkeit angesichts eines LetztgUltigen, das die gegebene Weise transzendiert“ 79.
FRITZ OSER sieht in der Kontingenzbewaltigung80 die wichtigste Aufgabe des religiosen Urteils. Ausgangspunkt der Forschung war eine Dilemma-Geschichte eines jungen Arztes, der sich in einem absturzenden Flugzeug befand und Gott um Rettung bat. Wenn er diesen Absturz uberlebe, dann wolle er Entwicklungshelfer werden. Er uberlebte. Sollte er sich nun an das Versprechen, dass er Gott gegeben hatte, halten?
FRITZ OSER und PAUL GMUNDER entwickelten funf Stufen des religiosen Urteils. Ein Mensch entwickelt sich gemaB der Stufen weiter, wenn die Freiheit zunimmt und „(...) religiose relevante Polaritaten wie Heiliges versus Profanes, Vertrauen versus Angst, Immanenz versus Transzendenz, Ewigkeit versus Verganglichkeit, Zufall versus Bestimmung in ein je komplexeres und verflochteneres Gleichgewicht gebracht werden“.81
Die funf Stufen teilen sich auf in:82
1. Stufe: Orientierung an absoluter Heteronomie (Deus ex Machina)
Der Mensch ist dem Letztgultigen ausgeliefert. Das Letztgultige kann wider rum auf den Menschen einwirken.
2. Stufe: Orientierung an relativer Autonomie (Do ut des)
Der Mensch kann auf da Letztgultige einwirken und versucht mogliche Strafen durch wohl stimmendes Verhalten zu minimieren. Das Do-ut-des- Verhalten meint ein Verhalten nach dem Prinzip „Ich gebe, damit du gibst.“
3. Stufe: Orientierung an absoluter Autonomie (Deismus)
Der Mensch sieht sich unabhangig von Gott und trennt Transzendenz und Immanenz. Im Mittelpunkt steht die Selbstbestimmung und - Verantwortlichkeit des Menschen fur sein Leben und die Welt. Gott wird auBen vor gelassen.
4. Stufe: Orientierung an vermittelter Autonomie und Heilsplan (Aprioritat)
Der Mensch orientiert sich nicht nur an seiner Eigenverantwortung und Freiheit, „(...) sondern er sieht darUber hinaus das Letztgultige als transzendentalen Grund, der a priori die Bedingungen der Moglichkeit fUr menschliche Begegnungen, fUr die Freiheit und fUr die menschliche Soziabilitat schafft“83. Die Person erkennt sich als Teil eines universellen Plans.
5. Stufe: Orientierung an religioser Autonomie durch unbedingte Intersubjektivitat
Das Leben und der Glaube bilden eine Symbiose und das Letztgultige wird im befreienden zwischenmenschlichen Handeln zum Ereignis.84 Der Mensch fuhlt sich unbedingt angenommen durch Gott. Die Religiositat ist nicht mehr abhangig von Personen oder Glaubensgemeinschaften, sondern vielmehr universal gedacht. Andere Kulturen und Religionen werden unter diesem universalen Aspekt mit eingeschlossen.
Welche Stufen kommen im welchem Alter vor?
Kinder in dem Alter von acht bis neun Jahren haben Antworten gemaB der Stufe 1 oder 2 gegeben, wobei Stufe 2 hier mit ca. 55% der Antworten uberwiegt. Bei Kindern im Alter von elf bis zwolf Jahren gab es Antworten gemaB der Stufe 1, 2 und 3, wobei Stufe 1 den geringsten und Stufe 2 den groBten Anteil ausmachte.85
Die meisten Erwachsenen gaben Antworten gemaB der Stufe 3. Nur wenige Menschen erreichen eine hohere Stufe im religiosen Urteil. Im Gegenteil, es zeigt sich eine Tendenz, dass im hoheren Alter bevorzugt Stufe 2 des religiosen Urteils zu verzeichnen ist.
Religiositat ist jedoch mehr als das religiose Urteil, auch sind das religiose Wissen und religiose Erfahrungen zu berucksichtigen. Die Stufen des religiosen Urteils stehen in Wechselwirkung mit vielen relevanten Variablen, wie das Bibelverstandnis, die eigene Pragung oder der Konservatismus.86 Dies verdeutlicht, dass man Personen in der religiosen Entwicklung unterstutzend begleiten kann.
[...]
1 Im Folgenden werde ich auf die zusatzliche Bezeichnung der weiblichen Form verzichten. Frauen sind jedoch in allen Formulierungen integriert. Wenn ich daher in der mannlichen Form schreibe, sind damit Frauen und Manner gemeint.
2 Der Konstruktivismus ist eine erkenntniskritische Theorie aus der sich eine Lerntheorie ableitet. Sie sagt aus, dass Lernende im Prozess des Lernens eine individuelle Welt konstruieren. Was jemand unter bestimmten Bedingungen lernt, hangt vor allem von dem Lernenden selbst und semen Erfahrungen ab; vgl. online im Internet: URL:
http://wiki.bildungsserver.de/index.php/Konstruktivismus (Lernpsychologie) [10.12.2008].
3 HARLE, WILFRIED in BUCHER, ANTON A.; BUTTNER, GERHARD; FREUNDENBERGER-LOTZ, PETRA; SCHREINER, MARTIN; 2004; S. 11ff.
4 a.a.O.S.11.
5 vgl. BAACKE, DIETER; 1998; S.59.
6 OERTER ROLF in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.225.
7 vgl. OERTER ROLF in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.231.
8 vgl. ebd.
9 FRANKE, HEIKO; HANISCH, HELMUT; 2000; S.72.
10 HARLE, WILFRIED in BUCHER, ANTON A.; BUTTNER, GERHARD; FREUNDENBERGER-LOTZ, PETRA; SCHREINER, MARTIN; 2004; S.23.
11 RAHNER, KARL in JORES, ARTHUR; 1949; S.87.
12 vgl. HARLE, WILFRIED in BUCHER, ANTON A.; BUTTNER, GERHARD; FREUNDENBERGER-LOTZ, PETRA; SCHREINER, MARTIN; 2004; S.23.
13 vgl. HAUS, CHRISTOPH; 2007; S.15.
14 Kirchenamt der EKD;1995; S.13.
15 vgl. Online im Internet: URL: http://www.wiwo.de/politik/baby-boom-in-deutschland- geburtenrate-liegt-bei-knapp-1 -5-267885/ [Stand 13.11.2008].
16 BAACKE, DIETER; 1998; S.98.
17 vgl. BUNDESMINISTERIUM FUR FSFJ; 1998; S.122. online im Internet: URL: http://www.bmfsfi.de/doku/kib/data/archiv.html [Stand 17.11.2008].
18 OERTER, ROLF in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.257.
19 ubersetzt: Gruppe von Gleichaltrigen, abgeleitet nach OETER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008.
20 vgl. KidsVerbraucherAnalyse 2008, online im Internet: URL: http://www.ehapamedia.de/index2.php [Stand 21.11.2008].
21 vgl. ebd.
22 OERTER, ROLF in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.270.
23 Stufe heiBt in diesem Zusammenhang: aufeinander aufbauende Niveaus, vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.42.
24 DICHTL, JOHANNA; 1997; S.52.
25 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.41.
26 vgl. BOSOLD, IRIS; KLIEMANN, PETER; 2003; S. 135f.
27 Da verweise ich auf Nachschlagewerke, wie von OERTER, ROLF; MONATADA, LEO; 2008 oder BAACKE, DIETER, 1999.
28 FREUNDENBERGER-LOTZ, PETRA; 2003; S.224.
29 DICHTL, JOHANNA; 1997; S.48.
30 ERIKSON, H. ERIK; 1981; S.107.
31 a.a.O.S.225.
32 WAGNER, FALK; 1986; S.293. zitiert nach DICHTL, JOHANNA; 1997; S.48.
33 vgl. BAACKE, DIETER; 1998; S.162.
34 vgl. DICHTL, JOHANNA; 1997; S.51.
35 vgl. SODIAN, BEATE in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.437.
36
37 FREUNDENBERGER-LOTZ, PETRA; 2003; S.176.
38 PIAGET, JEAN; 2003; S.65.
39 vgl. BUGGLE, FRANZ; 1997; S.49.
40 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.42f.
41 Das Schema enthalt alles Wiederholbare und Generalisierbare einer Handlung, vgl. OERTER, ROLF;MONTADA, LEO; 2008; S. 438.
42 GROM, BERNHARD; 2000; S.43.
43 vgl. MURRAY THOMAS, ROBERT; FELDMANN, BIRGITT; 1986; S.131 zitiert nach MANOW, SABINE; 1998; S.178.
44 vgl. SODIAN, BEATE in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.441.
45 vgl. GROM, BERNHARD; 1997; S.44.
46 MURRAY THOMAS, ROBERT; FELDMANN, BIRGITT; 1986; S.132 zitiert nach MANOW, SABINE; 1998; S.178.
47 vgl. BUGGLE, FRANZ; 1997; S.80.
48 vgl. a.a.O. S.81.
49 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.45f.
50 vgl. MURRAY THOMAS, ROBERT; FELDMANN, BIRGITT; 1986; S.135 zitiert nach MANOW, SABINE; 1998; S.179.
51 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.50.
52 vgl. KOHLBERG, LAWRENCE; 1974; S.101.
53 MURRAY THOMAS, ROBERT; FELDMANN, BIRGITT; 1986; S.178 zitiert nach MANOW, SABINE; 1998; S.185.
54 vgl. GARZ, DETLEF; 2006; S.102ff.
55
56 a.a.O. S.103.
57 MONTADA, LEO in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.595.
58 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.52.
59 vgl. a.a.O.S.54.
60 GROM, BERNHARD; 2000; S.55.
61 a.a.O.S.52.
62
63 Vgl. TILLICH, PAUL; 1956; S.61f. zitiert nach MANOW, SABINE; 1998; S.188.
64 GROM, BERNHARD; 2000; S.57.
65 MANOW, SABINE; 2000; S.194.
66 FOLWER, JAMES; 1991; S.150.
67 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.58.
68 vgl. a.a.O.S.59.
69 MANOW, SABINE; 1998; S.192.
70 vgl. KRUMME, CAROLA; 2006; S.50.
71 vgl. BUCHER, ANTON; 1992; S.148.
72 vgl. FOWLER, JAMES; 1991; S.216.
73 MANOW, SABINE; 1998; S.193.
74 JEAN PIAGET entwickelte die klinische Methode zusammen mit ALFRED BINET: Kinder werden mit Problemen konfrontiert und dabei beobachtet, wie sie diese Probleme losen, vgl. MURRAY THOMAS, ROBERT; FELDMANN, BIRGITT; 1986; S.119 zitiert nach MANOW, SABINE; 1998; S.175.
75 vgl. DICHTL, JOHANNA; 1997; S.52.
76 ebd.
77 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.65.
78 ebd.
79 DICHTL; JOHANNA; 1997; S.52.
80 „Kontingenzbewaltigung ist die Einschrankung des Risikos, enttauscht zu werden. Das Risiko der Enttauschung entsteht durch Ungewissheiten, fUr die man keine Erklarung hat (Kontingenz) ‘ online im Internet: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Kontingenz (Soziologie) [19.11.2008.]
81 BUCHER, ANTON; OSER, FRITZ in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.610.
82 vgl. a.a.O. S.610f.
83 GROM, BERNHARD; 2000; S.68f.
84 vgl. BUCHER, ANTON; OSER, FRITZ in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.611.
85 vgl. GROM, BERNHARD; 2000; S.72.
86 vgl. BUCHER, ANTON; OSER, FRITZ in OERTER, ROLF; MONTADA, LEO; 2008; S.612.
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