Der Cecchini-Bericht, eine Studie der EG-Kommission aus dem Jahre 1988, kam zu dem
Ergebnis, dass bei einem weiteren Abbau der Binnengrenzen der EG-Staaten nur wirtschaftliche
Vorteile entspringen würden. Es „wurden stimulierende Wirkungen auf Wachstum und
Beschäftigung im EG-Raum in Höhe von mindestens 4,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts
für wahrscheinlich gehalten.“1 Die negativen Folgen bei weiterem Ausbau des gemeinsamen
Marktes der EG wurden in diesem Bericht nicht in Betracht gezogen, die Verwirklichung des
Binnenmarkts wurde als Umsetzung des perfekten Marktes gesehen, weil sich die Marktkräfte,
nach neoklassischem Wirtschaftsliberalismus, selbst regulieren.
Im Widerspruch dazu wurden seit den ersten Anfängen einer europäischen Gemeinschaft,
regulative Instrumente geschaffen, um die negativen Auswirkungen der Zusammenführung
der europäischen Märkte abzufedern. „Denn die Argumentationen ordnungspolitisch-regulativ
geprägter Ökonomen kommen regelmäßig zu dem Ergebnis, daß die Vollendung des Binnenmarktes,
... eine regionale Strukturpolitik auf europäischer Ebene notwendig machen, weil
die räumliche Verteilung der Gewinne ungleich erfolgt.“2 Diese Theorie findet zwar keinen
Eintrag in den Verträgen zwischen den europäischen Staaten, zeigt aber die Problematik auf,
die mit einer Vergemeinschaftung der Märkte einhergeht.
Die Verpflichtung zu einem wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich ist heute Ziel der Europäischen
Union, „um eine harmonische Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes zu fördern.“
3 Das Politikfeld der Regional- und Strukturpolitik hat sich innerhalb der ersten Säule
der EU etabliert, welches mittlerweile über 1/3 des Budgets des EU-Haushaltes verfügt.
Im Folgenden soll die Entwicklung der Regionalpolitik auf europäischer Ebene kritisch betrachtet
werden. Diese Arbeit verfolgt nicht das Ziel jegliche Kritik bis ins Letzte zu erfassen,
vielmehr wird die Ausgestaltung der Regionalpolitik dargestellt und dabei punktuell an der
Konzeption Kritik geübt. Dennoch wird versucht, anhand einer Hauptthese durch die Arbeit
zu führen, die sich aus folgendem Zusammenhang ergibt: [...]
1 Dicke, Hugo: Der europäische Binnenmarkt, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Europa-Handbuch, Bonn 2002,
S. 439-454. S. 441.
2 Eckstein, Gerd: Regionale Strukturpolitik als europäischer Kooperations- und Entscheidungsprozeß, Frankfurt
am Main 2001. S. 52.
3 Läufer, Thomas (Hrsg.): Vertrag von Amsterdam, 3. Auflage, Bonn 1999. Artikel 158.
Inhaltsverzeichnis
A: Einleitung
B: Die Entwicklung der Struktur- und Regionalpolitik bis zur Agenda 2000
1. Der Beginn des „wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“
a. Die Struktur- und Regionalpolitik bis 1975
b. Die Anfänge der europäischen Regionalpolitik 1975 – 1979: Beteiligung der europäischen Ebene
c. Reformbemühungen 1979 und 1985: Abkoppelung der Europäischen Ebene
2. Die EEA: Eine grundlegende Reform der Strukturpolitik - das Delors-Paket I
a. Der Verhandlungsprozess zur Einführung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts
b. Die vertragliche Verankerung der Regionalpolitik
c. Die Ausgestaltung einer eigenständigen Regionalpolitik - Delors I
i. Konzentration
ii. Additionalität
iii. Partnerschaft und Programmplanung
iv. Gemeinschaftsinitiativen
d. Fazit
3. Vertrag von Maastricht: Förderperiode 1994-1999
a. Institutionelle Veränderungen: Der Kohäsionsfond
b. Änderung der Grundprinzipien
i. Konzentration
ii. Das Subsidiaritätsprinzip: Verbesserung der Prinzipien Partnerschaft und Programmplanung
c. Fazit
4. Agenda 2000
a. Die Neustrukturierung der Ziele
b. Finanzplanung 2000 - 2006 der Strukturpolitik
c. Gemeinschaftsinitiativen
d. Übergangsregelungen
e. Kohäsionsfonds
f. Fazit
C. Ausblick
Literaturverzeichnis
A: Einleitung
Der Cecchini-Bericht, eine Studie der EG-Kommission aus dem Jahre 1988, kam zu dem Ergebnis, dass bei einem weiteren Abbau der Binnengrenzen der EG-Staaten nur wirtschaftliche Vorteile entspringen würden. Es „wurden stimulierende Wirkungen auf Wachstum und Beschäftigung im EG-Raum in Höhe von mindestens 4,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für wahrscheinlich gehalten.“[1] Die negativen Folgen bei weiterem Ausbau des gemeinsamen Marktes der EG wurden in diesem Bericht nicht in Betracht gezogen, die Verwirklichung des Binnenmarkts wurde als Umsetzung des perfekten Marktes gesehen, weil sich die Marktkräfte, nach neoklassischem Wirtschaftsliberalismus, selbst regulieren.
Im Widerspruch dazu wurden seit den ersten Anfängen einer europäischen Gemeinschaft, regulative Instrumente geschaffen, um die negativen Auswirkungen der Zusammenführung der europäischen Märkte abzufedern. „Denn die Argumentationen ordnungspolitisch-regulativ geprägter Ökonomen kommen regelmäßig zu dem Ergebnis, daß die Vollendung des Binnenmarktes, ... eine regionale Strukturpolitik auf europäischer Ebene notwendig machen, weil die räumliche Verteilung der Gewinne ungleich erfolgt.“[2] Diese Theorie findet zwar keinen Eintrag in den Verträgen zwischen den europäischen Staaten, zeigt aber die Problematik auf, die mit einer Vergemeinschaftung der Märkte einhergeht.
Die Verpflichtung zu einem wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich ist heute Ziel der Europäischen Union, „um eine harmonische Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes zu fördern.“[3] Das Politikfeld der Regional- und Strukturpolitik hat sich innerhalb der ersten Säule der EU etabliert, welches mittlerweile über 1/3 des Budgets des EU-Haushaltes verfügt.
Im Folgenden soll die Entwicklung der Regionalpolitik auf europäischer Ebene kritisch betrachtet werden. Diese Arbeit verfolgt nicht das Ziel jegliche Kritik bis ins Letzte zu erfassen, vielmehr wird die Ausgestaltung der Regionalpolitik dargestellt und dabei punktuell an der Konzeption Kritik geübt. Dennoch wird versucht, anhand einer Hauptthese durch die Arbeit zu führen, die sich aus folgendem Zusammenhang ergibt:
Bei der Entwicklung wird deutlich, dass „die Strukturpolitik der EU ... ein Musterbeispiel für den integrationspolitischen Inkrementalismus“[4] ist, d.h., dass die europäische Strukturpolitik erst nach und nach mit der Erweiterung der europäischen Integration gewachsen ist. Es soll geklärt werden, warum die Strukturpolitik ohne wirkliche vertragliche Verankerung in den Römischen Verträgen, mittlerweile zu einem zentralen Politikfeld der EU geworden ist, das sich zum zweit größten Haushaltsposten nach der Agrarpolitik entwickelt hat. Dabei steht die Behauptung im Mittelpunkt, dass die integrative Triebkraft dieses Politikfeldes weniger aus dem Bedürfnis wirtschaftlicher Kohäsion entspringt, sondern vielmehr Kompensationsmasse für eine engere wirtschaftliche Integration ist.
B: Die Entwicklung der Struktur- und Regionalpolitik bis zur Agenda 2000
1. Der Beginn des „wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“
a. Die Struktur- und Regionalpolitik bis 1975
Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951, nahm die Europäische Union ihren Anfang. In den Gründungsverträgen der EGKS ist keine Verpflichtung auf ein Kohärenzgebot zu finden, trotz der Zusammenführung zentraler Wirtschaftszweige. Erste Ansätze einer Kohäsionspolitik wurden im Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft festgelegt. In der Präambel des EWG-Vertrags bekräftigen die Unterzeichnerstaaten ihren Willen, „ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen den einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern“[5]. Somit lag es im Aufgabenbereich der EWG für Instrumente, zur Ausgestaltung einer harmonischen Entwicklung zwischen den Mitgliedsstaaten, zu sorgen. Der Europäische Sozialfonds wurde im EWG-Vertrag in Artikel 123 verankert. Artikel 123 (Art. 146 EG-Vertrag) verpflichtet die Mitgliedsstaaten für die Entwicklung der Humanressourcen und die Verbesserung der Funktion des Arbeitsmarktes sorge zu tragen, um „die Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse und an Veränderungen der Produktionssysteme ... zu erleichtern.“[6]. Bereits in diesem frühen Stadium des Gemeinsamen Marktes wurde den aus ihm resultierenden Negativfolgen, gemäß der ordnungspolitische regulativen Theorie, Rechnung getragen.
Noch ein weiteres Instrument der Kohäsion wurde durch die Römischen Verträge ins Leben gerufen: Die Europäische Investitionsbank. Diese Bank wurde am 1.1.1958 in Luxemburg gegründet und fand ihren Ursprung in den Artikeln 198d und e EWG-Vertrag. „Sie gewährt Darlehen und Bürgschaften für die Finanzierung von Investitionsvorhaben, die zu einer ausgewogenen Entwicklung der EU beitragen“[7]. Im Gegensatz zu konventionellen Banken verfolgt sie keinen Erwerbszweck. „Aufgabe der Europäischen Investitionsbank ist es, zu einer ausgewogenen und reibungslosen Entwicklung des Gemeinsamen Marktes im Interesse der Gemeinschaft beizutragen“[8].
Beide Instrumente sind heute Bestandteile der Strukturpolitik. Die EIB wurde verpflichtet „Vorhaben zur Erschließung der weniger entwickelten Gebiete“[9] zu finanzieren. „Die regionale Wirkung des ESF ergab sich aus der räumlichen Konzentration der Arbeitsmarktprobleme, die in aller Regel gerade in den wirtschaftsschwachen Gebieten der Gemeinschaft besonders ausgeprägt waren.“[10], dennoch kann hier eingeräumt werden, dass der ESF „eher ein Instrument neoklassischer Beschäftigungspolitik war“[11], da er über Umschulungs- und Mobilitätsbeihilfen die Selbstregulierung des Marktes unterstützte.
Daher dürfen diese ersten regionalpolitischen Schritte nicht überbewertet werden, besonders auch, weil sie von den Mitgliedsstaaten nicht gewollt wurden. „Alle Mitgliedsstaaten beriefen sich auf die im nationalen Rahmen funktionierende und somit ausreichende Regionalpolitik. Sie befürchteten mit einer europäischen Regelung eine Einschränkung von nationalen Kompetenzen.“[12]
Mit der Vereinbarung über die gemeinsame Agrarpolitik durch den Ministerrat wurde 1962 der Europäische Ausrichtungs- und Garantie Fonds für die Landwirtschaft errichtet, der auch heute noch die landwirtschaftliche Produktion in der Gemeinschaft unterstützt und fördert. 1964 wurde der EAGFL in eine Abteilung "Garantie" und eine Abteilung "Ausrichtung" unterteilt. Die Abteilung "Ausrichtung" beteiligt sich an den Aufwendungen für die Strukturreform der Landwirtschaft und für die Einbeziehung einer anderen Form der ländlichen Entwicklung.
Die genannten Fonds zur Eindämmung der negativen Folgen der Integration im sozialen Bereich und in der Landwirtschaft waren finanziell unbedeutende Einzelvorschriften. Erst mit der Einführung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung 1975 begann sich eine eigenständige Regionalpolitik, mit eigenen Richtlinien, herauszubilden. Der Umstand der Norderweiterung, um die Länder Dänemark, Irland und Großbritannien 1973 führte zu einem ersten regionalpolitischen Engagement der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Die Norderweiterung wurde begleitet von zähen Verhandlungen. Großbritannien wäre nach dem agrarpolitischen Finanzierungsmechanismus[13] in eine Nettozahlerposition hineingedrängt worden, daher bestand es auf einen finanziellen Ausgleich. Im Gegensatz zu den anderen EWG-Staaten zeichnete sich England durch einen hohen Industrialisierungsgrad und wenig Landwirtschaft aus. Einen großen Teil ihrer Lebensmittel bezogen die Briten aus ihren ehemaligen Kolonien, deshalb hätte es auch überdurchschnittlich zur Finanzierung des Haushalts beigetragen. Umgekehrt hätten die bisherigen Instrumente der EAGFL-Ausrichtung und der ESF wenig Subventionsgrundlage gehabt. Neben Italien und Irland, welche sich durch wirtschaftsschwache Regionen auszeichneten, forderte Großbritannien einen Ausgleich über einen neu zu schaffenden Fonds für regionale Entwicklung. „Demnach war der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Preis den die Mitgliedsstaaten ... zu zahlen hatten. Die Mittel konnten somit als Kompensationsmasse verwendet werden, um die Nachteile Großbritanniens auf der Zahlungsbilanzebene auszugleichen.“[14] Es zeigt sich, dass die Regionalpolitik nicht durch das Bestreben der Mitgliedsstaaten entstanden ist, sondern von Beginn an ein Kompensationsinstrument war, um die Interessen anderer Mitglieder einzubeziehen. Es kann aber eingeräumt werden, dass eine Erweiterung des Gemeinsamen Marktes auch einen Zuwachs an wirtschaftlicher Heterogenität mit sich bringt. In diesem Sinne muss auch reagiert werden, damit die neu hinzukommenden Staaten, in diesem Fall besonders Großbritannien, ebenso einen offensichtlichen Nutzen innerhalb des Ausgleichsystems der EWG ziehen können, unabhängig von den langfristigen positiven Folgen einer Zollunion. Nicht umsonst betonen einige Autoren, dass der Beitritt Großbritanniens, gekoppelt an einen Ausgleichsfond, zur Überwindung der innenpolitischen Widerstände dienen sollte.[15] In diesem Stadium ist die Regionalpolitik zwar Kompensationsmasse für eine Vergrößerung des Wirtschaftsraums und zurückzuführen auf nationalstaatliche Interessen, aber es geschah im Einklang europäischer Interessen. Denn die Kommission wollte bereits 1969 regionalpolitische Vorschläge gegen den Widerstand der Mitgliedsstaaten durchsetzen, um einerseits den regionalen Disparitäten entgegenzuwirken, aber andererseits sicherlich auch, um ihre Position zu stärken.
b. Die Anfänge der europäischen Regionalpolitik 1975 – 1979: Beteiligung der europäischen Ebene
Die Einführung des EFRE war begleitet von harten Auseinandersetzungen zwischen dem Ministerrat und der Kommission. Der bereits für 1973 geplante Fonds, wurde erst auf Drängen Großbritanniens 1975 eingeführt. Der Streitpunkt zwischen den europäischen Institutionen drehte sich um das Widerstreben der Mitgliedsstaaten, Souveränitätsrechte an die europäische Ebene abzugeben. Die Kommission wollte eigene Förderquoten für die Zuteilung der EFRE-Gelder, gemessen an gemeinschaftlichen Durchschnitten, durchsetzen. Dennoch verordnete der Rat im März 1975, dass die Zuteilung der EFRE-Mittel nach festen Länderquoten erfolgen sollte. Diese Quoten wurden im Ministerrat ausgehandelt, ohne, dass die Kommission Einfluss gehabt hätte. „Ursache dieser closed-shop-Mentalität im Rat war die Sorge der Mitgliedsstaaten, die Kommission könnte zu großen Einfluss auf die nationalen Fördersysteme bekommen.“[16]
Die Kommission wurde in dieser Phase rein exekutiv tätig. Die Mittel aus diesem Fonds wurden aufgrund von nationalen Regionalen Entwicklungspläne (REP) zugeteilt. Als Maßstab dienten nicht die regionalen Disparitäten des Gemeinschaftsraums, sondern die nationalen Maßstäbe. Folglich wurde im Rahmen der europäischen Regionalpolitik nur gefördert, was national gefördert wurde. Insofern „konnte eine Region nur im Hinblick auf ihre relative nationale Wohlfahrtsposition gefördert werden, ... „[17], und nicht im Hinblick auf die Situation des Gemeinsamen Marktes. Diese Förderpraxis wurde noch unterstützt, durch den Umstand, dass die europäische Förderung nur ergänzenden Charakter zu der nationalen Förderpolitik hatte.
Zwar wurde die europäische Ebene durch eine weitere Institutionalisierung eines Politikfeldes gestärkt, dennoch wurde „eine wirkliche Umverteilung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, ..., abgelehnt.“[18] Generell kann aber festgestellt werden, dass die Einführung des EFRE den Integrationsprozess gestärkt hat, weil die neuen Staaten bereit waren originäre nationalstaatliche Angelegenheiten in einen supranationalen Rahmen zu tragen.
c. Reformbemühungen 1979 und 1985: Abkoppelung der Europäischen Ebene
Der Anstoß für weitere Reformbemühungen auf dem Gebiet der Regionalpolitik ist nicht direkt im Zusammenhang mit Ausgleichsbestrebungen der Mitgliedsstaaten oder Neumitglieder zu sehen. Die Initiative geht auf einen Kommissionsvorschlag zurück, der „mit Hinweis auf den bislang nicht erreichten Abbau der Disparitäten in der Gemeinschaft, trotz des Einsatzes der strukturpolitischen Instrumente“[19], eine weitere Koordinierung der Regionalpolitik forderte. Die Kommission, als „Motor der Integration“[20], „wollte eine partielle Abkoppelung der EU-Regionalpolitik von den Politiken der Mitgliedsstaaten“[21] durchsetzen, somit der Europäisierung in diesem Politikfeld Vorschub leisten. Dennoch ist die These, von der Regionalpolitik als Kompensationsinstrument, nicht völlig von der Hand zu weisen. „Diese Reformen fielen zeitlich überein mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Portugal (17.10.1978), mit Spanien (5.2.1979) und mit der Unterzeichnung der Beitrittsakte Griechenlands (28.5.1979), das am 1.1.1981 zehntes Mitglied der Gemeinschaft wurde.“[22] Der Schluss liegt nahe, dass die Regionalpolitik auf die neuen Umstände, den Zuwachs von sehr strukturschwachen Mitgliedsstaaten, vorbereitet werden sollte. Dahingehend hatten die Mitgliedsstaaten das Bedürfnis nicht zuviel von ihren Förderungen abzugeben, die Beitrittsaspiranten wollten möglichst viele Gelder von den Förderinstrumenten der EWG abschöpfen, und die Kommission wollte einen Verhandlungsstillstand vermeiden, indem sie versuchte ihre Stellung auf dem regionalen Feld auszuweiten, und deswegen ein Reformvorhaben einleitete. Es musste ein Kompromiss bei den schwierigen finanziellen Forderungen gefunden werden. Die Interessenlage der Akteure wird an den Reformumsetzungen deutlich.
Bei der Reform 1979 kam der Ministerrat den Kommissionsvorschlägen sehr wenig entgegen. Ursprünglich forderte die Kommission die Auflösung des Quotensystems und eine Zuteilung der Mittel nach gemeinschaftlichen Vorgaben. Der Rat willigte einer Neuaufteilung des EFRE zu. Es wurde eine quotierte Abteilung, die über 95 % der EFRE-Mittel verfügte und nach den starren Länderquoten verteilt werden sollte, und zwischen einer quotenfreien Abteilung unterschieden, welche der Kommission zur Verfügung gestellt wurde. Dies bedeutete eine Stärkung einer nach europäischen Maßstäben ausgerichteten Regionalpolitik, denn „in Form von Programmen konnte die Kommission diese Mittel zur Behebung spezifischer Probleme geographisch ungebunden einsetzen“[23]. Im Zuge der Reform wurden sogenannte Periodische Berichte eingerichtet, die über sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen informieren sollten und auf deren Grundlage zukünftige regionalpolitische Entscheidungen gefällt werden sollten.
Von einem Machtgewinn auf Seiten der Kommission kann hier nicht gesprochen werden, weil der Rat die Entwicklungsprogramme einstimmig genehmigen musste, dennoch bedeuteten die Reformen eine verstärkt gemeinschaftlich ausgerichtete Regionalpolitik.
Eine weitere Reform wurde 1984 im Ministerrat entschieden. Der Kommissionsvorschlag, „der u.a. einen Übergang von der Projekt- zur Programmfinanzierung, die Ausweitung des quotenfreien Sektors sowie die Koordination der nationalen Politiken vorsah“[24], erfolgte bereits 1981. Die langjährigen Verhandlungen und deren Ergebnisse zeigen, dass die Regionalpolitik als Tauschinstrument für eine tiefergehende wirtschaftliche Integration eingesetzt wurde. Als Nebeneffekt stellte sich eine Stärkung der Strukturfondspolitik auf europäischer Ebene ein. Die Reform soll kurz betrachtet werden.
Beim Vergabeprozess der EFRE-Mittel wurde das starre Quotensystem zugunsten eines Spannensystems aufgelöst. „Die Mittelzuteilung erfolgte über einen Zeitraum von drei Jahren und lag zwischen gewissen Ober- und Untergrenzen. Danach wurde festgelegt, wie viele EFRE-Mittel jedem Mitgliedstaat zustanden.“[25] Dies bedeutete einen weiteren Ausbau der Eigenständigkeit der Kommission, denn innerhalb dieser Grenzen konnte sie frei über die Mittelzuteilung verfügen. „Überstieg die Zahl der Förderanträge, die ein Land einreichte, die ihm zugewiesene Untergrenze, lag die Auswahlentscheidung bei der Kommission.“[26]
Das Anrecht der Kommission auf 5% der EFRE-Mittel für spezifische Gemeinschaftsmaßnahmen wurde aufgelöst. Dagegen wurden weitreichende Veränderungen innerhalb der Projektfinanzierung durchgeführt, anstatt, wie bisher die EFRE-Mittel als Ergänzung für nationale Projekte einzusetzen, sollte nun vermehrt die Programmfinanzierung stattfinden. Es wurde fortan zwischen zwei Programmarten des EFRE unterschieden.
Als Äquivalent zu den Mitteln, welche die Kommission einbüßte, wurden die Gemeinschaftsprogramme gesetzt. Diese „beinhalteten ein Bündel kohärenter mehrjähriger Maßnahmen zur Lösung sozio-ökonomischer Probleme“[27], welche nicht zwingend auf einzelne Regionen oder Mitgliedsstaaten festgelegt waren, und somit gemeinschaftlichen Interessen genügen konnten. Die Kommission stellte in Zusammenarbeit mit den betroffenen Mitgliedsstaaten diese Programme zusammen. Anschließend musste der Rat über die Mittelaufwendung und die Programme abstimmen.
Die zweite Programmart waren die Nationalen Programme von Gemeinschaftlichen Interesse (NPGI). Diese Programmart umfasste ebenfalls auf mehrere Jahre konzipierte Maßnahmen, die jedoch von den betroffenen Mitgliedstaaten festgelegt wurden, und deshalb in erster Linie einzelstaatliche Interessen verfolgten. Dennoch oblag es der Kommission, innerhalb der Spannenwerte, über eine Finanzierungsbeteiligung durch den EFRE zu entscheiden, somit wuchs die gemeinschaftliche Ausrichtung der Fondspolitik, denn die Kommission konnte eigene Zielvorstellungen verfolgen.
Eine Sonderform innerhalb der NPGI stellten die Integrierten Entwicklungsmaßnahmen dar. „Bei ihnen wurden verschiedene gemeinschaftliche und nationale Finanzinstrumente zugleich eingesetzt.“[28], d.h., dass dabei Gelder aus dem EFRE, dem ESF und dem EAGFL-Ausrichtung verwendet wurden. Hierzu sollen, als Beispiel, die Integrierten Mittelmeerprogramme herangezogen werden, an welchen sich auch die Verwendung des EFRE als Kompensationsinstrument veranschaulichen lässt.
Wie eingangs erwähnt, fanden die Reformen der regionalen Förderpolitik im Kontext der Süderweiterung statt. Griechenland war bereits 1981 der Gemeinschaft beigetreten und befürchtete, dass, durch den Beitritt Portugals und Spaniens, welcher 1986 erfolgte, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Agrar- und Industrieprodukte noch mehr sinken würde, als es durch Öffnung und Liberalisierung ihrer Märkte, durch den EWG-Beitritt, schon geschehen war. Deshalb forderte Griechenland als Ausgleich ein regionales Förderprogramm zur Verringerung seines Einkommensgefälles zu den übrigen Mitgliedsstaaten.[29] „Der Interessenkonflikt spitzte sich derart zu, dass Griechenland seine Zustimmung zum Beitritt Spaniens und Portugals von finanziellen Kompensationsleistungen abhängig machte.“[30] Das Nein hätte die ganzen Erweiterungsbestrebungen vorerst scheitern lassen können, weil in diesem Fall ein einstimmiger Beschluss des Rates vorliegen musste. Deshalb konnte Griechenland ein Programm erzwingen, welches besonders die rückständigen Regionen im Mittelmeerraum fördern sollte, wobei dieses Programm von Italien und Frankreich, als potentielle Nutznießer, unterstützt wurde. Es wurden die Integrierten Mittelmeerprogramme, als Sonderform der Nationalen Programme von Gemeinschaftlichen Interesse, 1985 eingeführt. „Die IMP-Programme, an denen sich der EFRE beteiligte, liefen 1985 mit einem Finanzvolumen von 6,6 Mrd. ECU an und endeten 1992.“[31] Es zeigt sich, dass neue Mittel im Rahmen der Strukturfonds bereitgestellt worden waren, um den Integrationsprozess weiter zu vertiefen.
[...]
[1] Dicke, Hugo: Der europäische Binnenmarkt, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Europa-Handbuch, Bonn 2002, S. 439-454. S. 441.
[2] Eckstein, Gerd: Regionale Strukturpolitik als europäischer Kooperations- und Entscheidungsprozeß, Frankfurt am Main 2001. S. 52.
[3] Läufer, Thomas (Hrsg.): Vertrag von Amsterdam, 3. Auflage, Bonn 1999. Artikel 158.
[4] Axt, Heinz-Jürgen: Die Strukturpolitik der Europäischen Union vor und nach der „Agenda 2000“-Reform, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung: Jahrbuch des Föderalismus 2000, Tübingen, Baden-Baden 2000, S. 532-542. S. 532.
[5] http://europa.eu.int/eur-lex/de/treaties/dat/treaties_de.pdf. S.75.
[6] EG-Vertrag Art 146.
[7] Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg): Europa von A bis Z, Bonn 2002. S.140.
[8] EG-Vertrag Art 267.
[9] Ebenda.
[10] Eckstein S. 136.
[11] Rolle, Carsten: Europäische Regionalpolitik zwischen ökonomischer Rationalität und politischer Macht, Münster 2000. S. 135.
[12] Zeitel, Natascha: Europäische Regionalpolitik im Spannungsfeld zwischen ökonomischer Zielsetzung und Interessenausgleich, Frankfurt am Main etc. 1997. S. 40. In diesem Zusammenhag ist besonders Frankreichs „Politik des leeren Stuhls“ hervorzuheben.
[13] vgl. Rolle S. 136.
[14] Vgl. Zeitel S. 45.
[15] ebenda S. 44 f.
[16] Eckstein S. 140.
[17] Rolle S. 30.
[18] Zeitel S. 47.
[19] Zeitel S. 48.
[20] Die Wendung zur Bezeichnung der Kommission, wird aufgrund ihres Initiativrechts für Rechtsakte verwendet.
[21] Rolle S. 30.
[22] Zeitel S. 48.
[23] Zeitel S. 50.
[24] Eckstein S. 142.
[25] Zeitel S. 54.
[26] Rolle. S. 31. In diesem Zusammenhang verweist der Autor auf Beckmann, K.: Probleme der Regionalpolitik im Zuge der Vollendung des europäischen Binnenmarktes: eine ökonomische Analyse, Frankfurt 1995. S. 94 ff.: Insgesamt waren auf diese Weise rund 12% der EFRE-Mittel in das Ermessen der Europäischen Kommission gestellt.
[27] Zeitel S. 53.
[28] Rolle S. 31.
[29] Vgl. Rolle S. 138.
[30] Zeitel S. 56.
[31] Zeitel S. 56.
- Arbeit zitieren
- Michael Fliehr (Autor:in), 2003, Europäische Struktur und Regionalpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14920
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