Seit nunmehr über 60 Jahren gehört der Nationalsozialismus in Deutschland der Vergangenheit an. Nichtsdestotrotz ist das damals transportierte Gedankengut keineswegs verschwunden. Es ist anzunehmen, dass nahezu keine moderne Gesellschaft auf der Welt existiert, in der Erscheinungen wie Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit absolut nicht auffindbar sind. Jedoch schien es lange gerade in Deutschland so, als ob man sich des Umstands, dass es auch nach 1945 noch rechtsextremes Gedankengut gibt, von höchst unterschiedlichen Standpunkten her nähern würde. Zum einen gab es zu jeder Zeit Gruppierungen, die stets darum bemüht waren, dem Thema in der Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit zu vermitteln. Zum anderen wollte jedoch das bürgerliche bis rechts-konservative Spektrum lange nichts von der These einer erneut erstarkenden, rechtsextremen Bewegung in Deutschland wissen.
Gegenstand dieser Arbeit ist es, ein umfangreiches und modernes Bild des Rechtsextremus in Deutschland zu zeichenen. Behandelt werden: Theorien zu seiner Entstehung, Stereotype und veraltete Vorstellungen bezüglich der Thematik, moderner Rechtsextremismus und sein Erscheinungsbild, Zusammenhänge mit aktuellen ökonomischen Entwicklungen sowie kriminologische Aspekte.
Inhalt
1. Bedenkliche Entwicklungen – Akzeptanz rechter Ansichten und die zunehmende Brisanz
2. Die „neue“ Rechte in Deutschland
2.1. Das Durchschnittsbild in Deutschland: Stereotype und ihre Überholtheit
2.1.1. Begriffsbestimmungen
2.1.1.1. Neonazismus
2.1.1.2. Rechtsradikalismus
2.1.1.3. Rechtsextremismus
2.1.2. Skinheads, Neonazisein Teil des Phänomens
2.2. Erklärungsansätze
2.2.1. Autoritärer Charakter
2.2.2. Unzufriedenheit als Folge persönlicher Betroffenheit
2.2.3. Konservatismus und Geschichtsrevisionismus
2.2.4. Politische Unzufriedenheit
2.2.5. Psychologische Aspekte
2.3. Rechtsextremismus heute
2.3.1. Turnschuhe statt Springerstiefel - das neue Auftreten rechtsextremer Akteure
2.3.2. Symboliken und Codes
2.3.3. Die Bedeutung von Marken
2.3.4. Autonome Nationalisten – beispielhaft für den Wandel innerhalb der rechtsextremen Szene?
2.3.5. Zahlenmäßige Entwicklung des Rechtsextremismus: Potenziale, Delinquenz und Vergleich zum Linksextremismus in den letzten 5 Jahren
2.3.6. Rechtsextremismus als Erscheinung aus der Mitte
2.3.7. Globalisierung, Neoliberalismus, Entstaatlichung – Nationalismus, Rechtsextremismus
2.4. Kriminologische Aspekte rechtsextremer Strömungen
2.4.1. Robert K. Mertons Anomietheorie
2.4.2. Subkulturtheorien
3. Zusammenfassende Thesen und Konsequenzen für Soziale Arbeit
1. Bedenkliche Entwicklungen – Akzeptanz rechter Ansichten und die zunehmende Brisanz
Seit nunmehr über 60 Jahren gehört der Nationalsozialismus in Deutschland der Vergangenheit an. Nichtsdestotrotz ist das damals transportierte Gedankengut keineswegs verschwunden. Es ist anzunehmen, dass nahezu keine moderne Gesellschaft auf der Welt existiert, in der Erscheinungen wie Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit absolut nicht auffindbar sind. Jedoch schien es lange gerade in Deutschland so, als ob man sich des Umstands, dass es auch nach 1945 noch rechtsextremes Gedankengut gibt, von höchst unterschiedlichen Standpunkten her nähern würde. Zum einen gab es zu jeder Zeit Gruppierungen, die stets darum bemüht waren, dem Thema in der Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit zu vermitteln. Zum anderen wollte jedoch das bürgerliche bis rechts-konservative Spektrum lange nichts von der These einer erneut erstarkenden, rechtsextremen Bewegung in Deutschland wissen. Van Hüllen (2008, S.7) spricht beispielsweise von einer „Renaissance eines extremistischen Phänomens“. Implizit wird damit bejaht, dass eine neue Dimension einer alten Problematik vorliegt. Der Begriff „Renaissance“ (franz. Wiedergeburt) kann jedoch auch anders interpretiert werden. Er beschreibt einen Zeitpunkt der Geschichte, an dem sich auf Früheres rückbesonnen wurde, das vorher lange ausgeblendet war und als nicht salonfähig galt. Gleichzeitig ist die Idee einer „Wiedergeburt“ jedoch nicht zutreffend. Sie vereinfacht den relativ komplexen Sachverhalt des modernen Rechtsextremismus, mehr dazu jedoch an späterer Stelle.
Traumatisiert durch die eigene Geschichte wurde Rechtsextremismus häufig als Randerscheinung in der Gesellschaft dargestellt (Klönne, 2000, S.1). Öffentlichkeitswirksam und somit politisch bedeutend wurde das Thema lediglich dann, wenn konkrete - meist strafbewährte - Handlungen einzelner Akteure Anlass zu öffentlichem Interesse gaben und die Medien eine entsprechende Brisanz vermittelten. „Wenn übersteigerte Befürchtungen einer ‚Wiederkehr der Vergangenheit’ sich nicht bestätigen, erlahmt die Aufmerksamkeit rasch, und die veröffentlichte Meinung geht zur routinedemokratischen Tagesordnung über – oder wendet sich anderen Sensationen zu“ (Klönne, 2000, S.1).
Auch die häufig von Seiten politisch sehr weit links orientierter Gruppen vertretene Meinung, es habe sich seit dem Dritten Reich in Deutschlands rechter Szene und der gesellschaftlichen Akzeptanz rechtsextremen Gedankenguts qualitativ nichts geändert, stimmt nicht. Der Kontinuumsthese steht entgegen, dass die Akteure der neu aufkeimenden Neonaziszene zum größten Teil erst nach Kriegsende geboren wurden, den Nationalsozialismus also nie „live“ erlebt haben. Pfahl-Traughber (2000, S. 52) nennt zwar einzelne Führungspositionen der rechten Szene, die sich in den Nachkriegsrechtsextremismus und seiner öffentlichen Präsenz wieder einbrachten. Das Gros der Rechtsextremen die ab den 70er Jahren aufzutreten begannen, wurde jedoch in der Bundesrepublik Deutschland sozialisiert. Zwischen dem Ende des Nationalsozialismus und dem Beginn des Neonazismus liegen ca. 25 Jahre, was die Kontinuumsthese somit klar widerlegt (Pfahl-Traughber, 2000, S. 52). Durch das seit der Wende scheinbar überproportionale Auftreten des Neonazismus im Osten der Republik hielt sich vor allem in Westdeutschland relativ lange eine Art Idylle bzw. das Bild von ihr, welches große Teile der Bevölkerung - teils verständlicherweise - kaum aufzugeben bereit waren. Seit einigen Jahren jedoch verändert sich die Aufmerksamkeit, mit der vor allem der organisierte Teil der rechtsextremen Szene auch in Westdeutschland wahrgenommen wird.
Grund war nicht zuletzt die wiedererstarkte Nationaldemokratische Partei Deutschlands [NPD]. Neben der NPD existieren zwar zwei weitere, rechtsextreme Parteien, die phasenweise bundesweit Aufmerksamkeit auf sich zogen und aktiv sind: Die Deutsche Volksunion [DVU] und die Republikaner [REP]. Vor allem aber aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre und der damit verbundenen Präsenz in der deutschen Öffentlichkeit scheint es geboten, das Hauptaugenmerk bei den folgenden Ausführungen auf die NDP zu richten.
Nachdem die rechtsextreme Partei bei den Bundestagswahlen 1969 knapp den Einzug in das höchste deutsche Parlament verpasste, stürzte sie in eine tiefe Krise (Pfal-Traugbher, 2000, S. 24-27), aus der sie lange nicht herauskam. Erst seit Mitte der 1990er Jahre gelang es der NPD, vor allem durch die Jungen Nationaldemokraten [JN] und die neue Ausrichtung - weniger auf Geschichtsrevisionismus und offensichtlich ausländerfeindliche Politik hin zu sozialpolitischen Themen - erneut eine Vormachtsstellung im Bereich der organisierten Rechten zu gewinnen. Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren und die daran anschließende, endlose Debatte über einen zweiten Anlauf zeugen von dem ihr zugerechneten Gefahrenpotenzial. Dass es gerade junge Menschen zur NPD zieht, scheint dabei am problematischsten. 2004 zog die NPD mit einem Ergebnis von 9,4 % in den sächsischen Landtag ein (NDR, 2006). Zwei Jahre später gelang ihr der Einzug in den Schweriner Landtag mit 7,3 % der Wählerstimmen. Wahlanalysen sahen vor allem zwei Gruppen als Hauptwähler der NDP: Arbeitslose und Erstwähler. Wunderte sich zunächst niemand über erstere Gruppe der NPD-Unterstützer – schließlich bedienten diese das Klischee des Protestwählers -, so sorgte der Umstand, dass die NPD unter den Erstwählerstimmen nach den Sozialdemokraten [SPD] und Christdemokraten [CDU] die drittstärkste Kraft wurde für eine neue Dimension an öffentlicher Besorgnis. Die etablierten demokratischen Parteien reagierten geschockt. Spätestens seitdem ist die NPD stets Zentrum aller Debatten in Deutschland zum Thema Rechtsextremismus. Vergessen werden dabei die oft parteiunabhängig agierenden Kameradschaften und Organisationen sowie der offensichtliche Zuspruch für rechtsextremes Gedankengut von Jugendlichen, die primär nicht in der rechten Szene verankert sind oder gar als Neonazis auftreten.
Kaum jedoch wurde das Ausmaß der Problematik in den letzten Jahren so deutlich und erregte – ohne Straftaten und deren Präsenz in den Medien – mehr Besorgnis, als nach Veröffentlichung der Studie „Jugendliche in Deutschland als Täter und Opfer von Gewalt“ durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. [KFN] im Jahr 2009. Etwa ein Drittel der dort befragten deutschen Jugendlichen (n = 20.604) stimmte ausländerfeindlichen Aussagen in mehr oder minder hoch ausgeprägtem Ausmaß zu. Lediglich 14,2 % finden es „schrecklich“ (KFN, 2009, S. 115), was den Juden im Dritten Reich angetan wurde. 53,5 % stimmen dem hingegen überhaupt nicht zu.
Die Wahlerfolge und Politik der NPD sowie die Ergebnisse der Studie scheinen darauf hinzudeuten, dass die Wahrnehmung des Rechtsextremismus in öffentlichen Debatten als (lediglich) „der rechte Rand“ nicht mehr zeitgemäß ist und dem Problem durchaus mehr Bedeutung beigemessen werden sollte/muss. Das Bild der rechtsextremen Szene in Deutschland bedarf einer gewissen Überarbeitung. Manche Stereotype muten veraltet an. Die These des Rechtsextremismus als eine Erscheinung, die aus der gesellschaftlichen Mitte kommt, ist vor allem der Politik immer noch weitgehend ein Gräuel. Gerade jedoch die aktuelle Studie des KFN scheint diese These mehr und mehr ins Wahrscheinlichere zu rücken.
Auch die Zahlen des Bundesinnenministeriums, was die politisch motivierte Kriminalität anbelangt, sprechen eine deutliche Sprache. Politisch motivierte Straftaten von Rechts stiegen im Jahr 2008 um 16 % auf ein Rekordniveau (Bundesministerium des Innern, 2009). In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das, es gab 2008 20.422 registrierte, politisch motivierte Straftaten mit rechtem Hintergrund, 2007 noch 17.607. Rechte Straftäter waren außerdem mehr als dreimal so aktiv als jene, die durch politisch motivierte Taten im linken Spektrum auffielen (2008: 6.724 registrierte Delikte). In Anbetracht dieser Zahlen und der Überlegung, dass es hier einen wohl sehr großen Dunkelzifferbereich gibt, da Delikte aus Angst vor den Tätern oder Scheu vor den Behörden nicht zur Anzeige gebracht werden, liegt die Folgerung einer massiven Verschärfung der Problematik nahe. Wer sind also die Täter? Eine Frage die nicht mehr alleine durch den Verweis auf Randgruppen der Gesellschaft erklärt werden kann. Auch die Überlegung wieso ausgerechnet 2008 ein solcher Anstieg zu verzeichnen war, mutet interessant an. Gibt es einen Zusammenhang mit der schwierigen, ökonomischen Situation?
Klar ist jedoch, es muss ein neues Bild der rechtsextremen Szene gezeichnet werden. Jede präventive, sozialpädagogische Maßnahme ist nutzlos, solange die Akteure nicht wissen, mit welcher Zielgruppe sie es zu tun haben. Die Sozialpädagogik hingegen wird sich stets in ihrer Arbeit gehemmt sehen, wenn sie nicht auch aufklärt und die veralteten Klischees anprangert. Eine Gesellschaft die kaum darüber Bescheid weiß, wie die rechte Szene auftritt, strukturiert ist, sich an neue sozioökonomische Anforderungen anpasst und agiert, wird sich vermutlich zunächst wundern, wenn sich Sozialpädagogen - die mit rechtsextremen Jugendlichen arbeiten - eben nicht nur mit Skinheads oder anderen Subkulturen, die schnell der rechten Szene zugeordnet werden, befassen müssen.
2. Die „neue“ Rechte in Deutschland
2.1 Das Durchschnittsbild in Deutschland: Stereotype und ihre Überholtheit
In unserer Gesellschaft galt die Skinhead Bewegung lange als eine besonders stark von Rechtsextremen unterwanderte Subkultur, zumindest was die Bundesrepublik Deutschland angeht. Rechtsextreme Skinheads werden innerhalb der relativ heterogenen Skinheadszene meist als „Fascho-Skins“ bezeichnet (Bredel, 2002, S.87-88). Natürlich sind viele Bilder, die man von Rechtsextremen in weiten Teilen der Bevölkerung hat, nicht grundsätzlich falsch. Der Verfassungsschutz (Bredel, 2002, S.87) geht zwar immer noch davon aus, dass ein erheblicher Teil der Skinheads in Deutschland eher dem Rechtsextremismus nahe steht. Allerdings gilt ebenso, dass die Skinheadszene insgesamt als äußerst heterogen anzusehen ist, in der es auch linke bis linksextreme Gruppen gibt. Mit einem ähnlichen Blick im Bezug auf Heterogenität muss auch die gesamte rechtsextreme Szene betrachtet werden. In Deutschland hielten sich relativ lange bestimmte Stereotypien bezüglich Rechtsextremismus, die dieser Betrachtung hinderlich sind und sich somit als nicht mehr zeitgemäß erweisen.
Folgende These scheint geboten und ihre Bearbeitung ist für einen modernen, zweckmäßigeren Umgang mit der Rechtsextremismusthematik unerlässlich: Die beiden Begriffe „Neonazismus“ und „Rechtsextremismus“ werden häufig synonym verwendet. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich jedoch deutliche Unterschiede in Inhalt und Umfang der von ihnen beschriebenen Ideologien. Schließlich lohnt es sich auch noch, einen Blick auf typische Klischees zu werfen, die mit der rechtsextremen Szene in Verbindung gebracht werden, was z.B. den Sozialstatus, Erscheinungsbild, Sozialisationsfragen…etc. anbelangt.
2.1.1 Begriffsbestimmungen
Der Terminus „Rechtsextremismus“ wird in Deutschland also wie besagt häufig synonym mit „Neonazismus“ verwendet, sei es vom Begriff oder vom inhaltlichen Sinn her. Um ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, weshalb viele Stereotype die mit Rechtsextremen in Verbindung gebracht werden, unzulänglich sind, ist eine Definition des Begriffes Rechtsextremismus unerlässlich.
Die häufige Vermischung dieser zwar verwandten, jedoch nicht gleichbedeutenden Begriffe entstammt in Deutschland vor allem dem historischen Kontext und den bevölkerungsweiten Traumata, die das Dritte Reich hinterlassen hatte. Nach Ende des Nationalsozialismus entstand in Deutschland ein klarer kategorischer Imperativ: „nie wieder!“ ( … Nationalsozialismus) (Klärner & Kohlstruck, 2006, S.7). Rechtsextremismus wird folglich in Deutschland bisher immer mit dem Nationalsozialismus verbunden. Im Wesentlichen sind damit zwei Grundängste assoziiert. Zum einen die nach Innen gerichtete Angst, eine neue rechtsradikale Welle könnte die Demokratie beseitigen und Wegbereiter für eine neue Nazidiktatur sein. Zum anderen hat die Thematik eine außenpolitische Bedeutung. Wann immer gerade in Deutschland rechtsextreme Straftaten für Aufsehen sorgten, war die Politik stets bemüht, vor allem im Ausland das Gesicht zu wahren. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mahnte im Sommer 2000 beispielsweise „’einen Aufstand der Anständigen’“ (Schröder, 2000, zitiert nach Klärner & Kohlstruck, 2006, S.10) an. Elemente dieser Aussage beinhalten das Anwenden nicht rechtsstaatlicher Mittel im Kampf gegen Neonazis zumindest subtil (Klärner & Kohlstruck, 2006, S.10). Wie genau der von Schröder geforderte Aufstand nun aussehen hätte sollen, kann nicht eindeutig festgestellt werden. Zwischen den Begriffen „Zivilcourage“ und „Aufstand“ besteht jedoch ein erheblicher Unterschied und verdeutlicht die teilweise wahrnehmbare Dramatik, mit der Politiker gegebenenfalls reagieren. Gleichzeitig wird außerdem dadurch verdeutlicht: Von Seiten der Politik wird das Phänomen Rechtsextremismus nach wie vor häufig als eine Form des politischen Extremismus am Rande der Gesellschaft klassifiziert – das Handeln einer politisch verirrten Minderheit. Aufrufe nach Zivilcourage deuten jedoch auch an, dass die Annahme besteht, die Mehrheit der Bevölkerung würde diese lediglich aus Angst selbst Opfer eines Übergriffes durch Rechtsextremisten zu werden, nicht zeigen.
Zivilcourage bedeutet demnach ein Eingreifen durch Zivilpersonen, wenn sie zum Beispiel Beobachter rechtsextremer Straftaten werden oder erkennen, dass jemand verfassungsfeindliche Symboliken zur Schau trägt…etc. (von Schmude, 2009). Voraussetzung für öffentliches Anprangern von Rechtsextremisten ist jedoch stets, die Akteure eindeutig anhand ihres Auftretens zuordnen zu können, z.B. durch (neo-) nationalsozialistische Symboliken.
Der Begriff „Rechtsextremismus“ bezeichnet Weltanschauungen und Ideologien, die anhand bestimmter inhaltlicher Merkmale klassifizierbar sind. Handlungen sind dann rechtsextrem, wenn sie der Verwirklichung dieser Konzepte dienlich sind (Kohlstruck, 2002, S.19). Kohlstruck nennt als wesentliche Merkmale eine „unbedingte Autorität von „Natur““, sowie eine „verabsolutierte Vorstellung von „Volk““ (Kohlstruck, 2002 S. 19). Rechtsextremismus ist also als durchaus weit gefasster Begriff einzuordnen. Neonazismus bezeichnet demgegenüber im Wesentlichen einen neuaufkeimenden Nationalsozialismus. Im nationalsozialistischen Weltbild sind die beiden oben genannten, wesentlichen Merkmale des Rechtsextremismus klar vorhanden. Jedoch ist nicht jede Gesinnung, die als rechtsextrem klassifiziert werden muss, zwangsläufig nationalsozialistisch. Folglich gilt es über Rechtsextremismus zu sagen: Er bezeichnet mehr als nur den Neonazismus in Deutschland. Wenn die Rede von rechtsextremem Gedankengut ist, bezeichnet das nicht zwangsläufig die „Ewiggestrigen“, die sich als überzeugte Nazis betrachten (Klärner & Kohlstruck, 2006, S. 7-8).
Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Neonazismus sind keine Synonyme. Sie sind verwandt, teilweise beinhaltet das Eine das Andere, bzw. setzt es voraus. Sie unterscheiden sich dennoch sowohl inhaltlich als mitunter auch durch das Auftreten ihrer Anhänger. Darum soll im Folgenden eine kurze Abgrenzung der drei Begriffe vorgenommen werden. Vorweg ist bereits zu sagen: Rechtsextremismus ist ein weitaus umfangreicherer Begriff als der des Neonazismus oder des Rechtsradikalismus.
2.1.1.1 Neonazismus
Neonazismus ist ein weit gefasster Begriff, der jedoch im Wesentlichen alle Strömungen umfasst, die ein idealisiertes Bild des Dritten Reiches auszeichnet und auf die Wiedereinsetzung eines nationalsozialistischen Regimes in Deutschland oder darüber hinaus hinarbeiten. Es existieren heute in entsprechenden Kreisen modernisierte Synonyme wie z.B. Sozialer Nationalismus, die jedoch inhaltlich auf den gleichen Ideologien beruhen. Eine Organisation aus dem neonazistischen Spektrum war beispielsweise die 1949 gegründete „Sozialistische Reichspartei“ [SRP], deren Programm dem der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ [NSDAP] in weiten Teilen entsprach. Weiter setzte sie sich aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP zusammen (Bredel, 2002, S. 168-182). Die Partei wurde 1952 vom Bundesverfassungsgericht aufgrund der Parallelen zur NSDAP verboten. Pfahl-Traughber wiederum definiert Neonazismus ähnlich den anderen Autoren - im Hinblick auf die dort agierenden Gruppen - als „politische Organisationen, die sich dezidiert ideologisch an den Nationalsozialismus der NSDAP anlehnen“ (Pfahl-Traughber, 2000, S. 51).
Bredel (2002, S. 172-177) weist weiter auf die Gewaltbereitschaft im Neonazismus hin. Dadurch wird auch deutlich, weshalb er die öffentlich am stärksten wahrgenommene Form des Rechtsextremismus ist, obwohl er nicht alle Facetten des Rechtsextremismus abdeckt. Aufsehenerregende Straftaten werden oft diesem Teil der Szene zugeschrieben. Neonazismus ist nicht unbedingt die einzige Breitenerscheinung in der rechten Szene, die alle dortigen Akteure vereint und deren Bekämpfung – z.B. mittels Aufklärung über das Dritte Reich - somit die Problematik des Rechtsextremismus löst. Zunächst ist Neonazismus lediglich bestimmt durch nationalsozialistische Ideologien. Charakterisierend ist zudem die häufig überaus ausgeprägte Gewaltbereitschaft seiner Akteure. Die Abspaltung der neonazistischen Flügel innerhalb der NPD von der Partei in den 70er Jahren war eine der Ursachen ihrer innerparteilichen und politischen Krise. Jene ehemaligen Mitglieder empfanden sie als zu bürgerlich und moderat. Die Ausgetretenen fanden sich anschließend häufig in Neonazigruppen wieder, die keinerlei demokratischen Anspruch hatten bzw. vorgaben, zu haben. Als ein besonders bekanntes Beispiel wäre die Blood & Honour Division Deutschland zu nennen, die jedoch – wie eine Vielzahl anderer Gruppen dieser Art – in Deutschland verboten wurde (Bredel, 2002, S. 169-177).
Neonazistische Gruppen sind darüber hinaus als sehr weit aktivistischer einzuschätzen als viele der parteilich organisierten Rechtsextremen. Im Gegensatz zu jenen Akteuren der rechten Szene, die noch vor 1945 geboren und anschließend Mitglieder rechter Parteien wurden, hatten diese Neonazis den Nationalsozialismus in der Regel nie am eigenen Leibe erlebt. Aufgrund dessen entwickelten viele ihrer Mitglieder ein naives und historisch entrücktes Idealbild der Nazizeit in Deutschland und einen verstärkten Wunsch, ein solches System zu (re-) aktivieren. Neonazismus ist daher auch seit den 70er Jahren als wesentlich risikobereiter und fanatischer anzusehen, als manch andere Teile der rechtsextremen Szene (Bredel, 2002, S. 171).
Zusammenfassend ist also zu sagen: Neonazismus ist eine rechtsextreme Strömung. Er ist sozusagen durchaus eine besonders radikale Form des Rechtsextremismus. Neonazistische Ideologien setzen zwingend einen Bezug auf den Nationalsozialismus der NSDAP voraus. Seine Akteure haben ein idealisiertes Bild hiervon und wünschen in der Regel - in Grundzügen - eine Wiedereinsetzung des damaligen Systems. Neonazismus beinhaltet folglich stets einen mehr oder minder ausgeprägten Führergedanken, also eines starken Herrschers der Nation nach dem Vorbild Adolf Hitlers. Neonazis sind häufig wesentlich aktivistischer und gewaltbereiter als andere Rechtsextreme.
Es gilt noch anzumerken, dass Neonazismus als eine neofaschistische Bewegung zu verstehen ist. Auf eine ausführliche Erläuterung von Faschismustheorien soll an dieser Stelle verzichtet werden. Um dennoch eine kurze Definition zu geben: Der Begriff Faschismus bezieht sich im engeren Sinne auf die ultrarechte Bewegung Mussolinis in Italien nach dem ersten Weltkrieg. Als „neofaschistisch“ werden Gruppierungen bezeichnet, wenn sie der Ideologie Mussolinis nahe stehen, bzw. artverwandt sind und sie nach 1945 gegründet wurden. Verschiedene Faschismustheorien - wie etwa die Führertheorie, die Totalitarismustheorie, die Mittelstandstheorie oder die Bündnistheorie - beschreiben den Begriff Faschismus zwar jeweils unterschiedlich (Bredel, 2002, S. 201-202). Die wesentlichen Elemente faschistischer Staaten - ultraautoritärer Nationalstaat, Aggression gegen Minderheiten, Freund-Feind-Denken…etc. - (Bredel, 2002, S.208-209) können jedoch in dieser Hinsicht als Konsens angesehen werden. Sie sind ebenfalls elementare Bestandteile des Neonazismus.
Nun stellt sich die Frage, gibt es Rechtsextremismus ohne Nationalsozialismus, bzw. gibt es Rechtsextreme, die sich nicht als „Nazis“ bezeichnen oder die nicht als solche etikettiert werden können?
2.1.1.2 Rechtsradikalismus
Der Begriff „radikal“ leitet sich aus dem lateinischen Begriff „radix (lat. für „Wurzel“) ab. Er bezeichnet folglich alle Bestrebungen, an die Wurzel einer Fragestellung zu gelangen (Bredel, 2002, S. 152). Als politisch radikal können demnach alle politischen Zielsetzungen bezeichnet werden, die sich auf einem Kontinuum zwischen im weitesten Sinne liberal und ultrafundamentalistisch an letzterem Pol ansiedeln.
In Deutschland wurde verhältnismäßig lange von „Rechtsradikalismus“ anstatt von „Rechtsextremismus“ gesprochen und wird es im alltäglichen Jargon teilweise immer noch. Der Begriff „Extremismus“ konnte sich hier erst ab Mitte der 1960er Jahre beginnen durchzusetzen. Im anglikanischen Raum wurden bereits im 19. Jahrhundert erste Stimmen laut, die von Extremismus anstatt von Radikalismus sprachen (Bredel, 2002, S. 152).
Obwohl nun die Vermutung nahe liegt, die beiden Begriffe würden ein und dieselbe Sache bezeichnen und seien lediglich mehr oder weniger modern, gibt es höchst unterschiedliche Auffassungen wie auch Definitionsansätze hierfür. Seit 1974 besteht der Verfassungsschutz in Deutschland darauf, beide Bezeichnungen in ihrer Bedeutung deutlich voneinander zu trennen (Bredel, 2002, S. 152; Kohlstruck, 2002, S.19). Zugrunde liegt die Vorstellung, Radikale würden den Spielraum des Grundgesetzes voll ausnutzen, es selbst jedoch nicht in Frage stellen. Rechtsradikale wären nach dieser Auffassung also Angehörige der rechten Szene mit ultrarechten Ansichten, die jedoch keine umstürzlerischen Absichten haben, bzw. die Grenzen des Gesetzes nicht überschreiten. Der Extremismus hingegen lehnt tragende Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates ab und bekämpft diesen auch mit illegitimen Mitteln. Folgt man dieser Vorstellung, wäre der Begriff des Rechtsradikalismus also eher vom Konservatismus abzugrenzen, als in der Debatte um Rechtsextremismus weiterzuverfolgen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abbildung 1: Rechtsradikalismus / Rechtsextremismus / Neonazismus laut Auffassung des Verfassungsschutzes. Eigene Grafik)
Einen Versuch hierzu startete Fetscher (1967, S. 13). Dieser formulierte die These, Rechtsradikalismus sei eher bestrebt, eine Gesellschaft von einem erreichten Status Quo zurück zu führen, also hin zu den Wurzeln und Entwicklungen rückgängig zu machen. Der Konservatismus hingegen wünscht, den Status Quo zu erhalten.
Alles in Allem kristallisieren sich zwei Sachverhalte als bedeutend heraus. Zum einen scheint die vom Verfassungsschutz getroffene Abgrenzung schwierig bis praktisch unanwendbar. Bredel (2002, S. 153 - 154) beschreibt als Beispiel den Umgang mit der Partei REP. Diese wurde lange - und wird mittlerweile wieder – vom Verfassungsschutz als lediglich „rechtsradikal“ eingestuft. Dass sie bereits zu frühen Zeitpunkten in ihrer Geschichte durch zahlreiche Mitglieder rechtsextremistischer Parteien unterwandert wurde, die auch in der Führungsebene der REP angesiedelt waren, sowie der Umstand, dass bereits 1989 Wahlabsprachen mit der NPD stattfanden, legen Zweifel nahe, ob es sich bei REP nicht doch um eine klar antidemokratische Vereinigung handeln könnte. Weiter wird der Begriff rechtsradikal umgangssprachlich kaum für Gruppen verwendet, die demokratische Zielsetzungen verfolgen. Er wird heute vor allem für „diffus rechte Phänomene jenseits des etablierten Konservatismus“ verwendet (Bredel, 2002, S.154). Wissenschaftlich findet der Begriff darüber hinaus kaum mehr Verwendung und wurde seit Mitte der 1970er Jahre auch in Deutschland flächendeckend durch den modernen Begriff des Rechtsextremismus ersetzt.
Zusammenfassend ist also zu sagen: Rechtsradikalismus ist ein Begriff, der im Wesentlichen das Phänomen des Rechtsextremismus beschrieb, bevor er Mitte der 1970er Jahre endgültig durch den moderneren Extremismusbegriff ersetzt wurde. Verschiedene Definitionen zeigen eher Verwandtschaften mit ultrarechtem Konservatismus als mit dem, was heute als Rechtsextremismus bezeichnet wird. So wurde er beispielsweise als im Rahmen legaler Mittel definiert, wohingegen der Extremismus diese Grenzen überschreitet. Wissenschaft und umgangssprachlicher Gebrauch unterscheiden sich hier deutlich voneinander. Wissenschaftlich wird der Begriff Rechtsradikalismus daher kaum mehr verwendet. Im Folgenden wird also nur noch von Rechtsextremismus gesprochen.
2.1.1.3 Rechtsextremismus
Aus den obigen Ausführungen wird bereits deutlich: Rechtsextremismus muss als Sammelbegriff verstanden werden. Sinnbildlich ist er also zunächst eine Art Fonds, in dem alle möglichen politisch konkretisierbaren, ultrarechten Ideologien zusammengefasst werden können. Gleichzeitig gibt es selbstverständlich häufig verschiedenste Nebenerscheinungen, die im Zusammenhang eine Rolle spielen wie Antisemitismus, Sexismus, Rassismus … etc. Gemeinsam haben rechtsextreme Einstellungen – wie oben bereits genannt – am häufigsten die beiden Merkmale einer verabsolutierten Vorstellung von Volk und einer unbedingten Autorität von Natur (Kohlstruck, 2002, S.20-22). Innerhalb dieses Fonds wäre also beispielsweise klar der oben beschriebene Neonazismus einzuordnen.
Der Extremismusbegriff ist seit den 1970er Jahren der populärste Begriff dieser Art und wird auch vom Verfassungsschutz verwendet. Auch Politik- und Sozialwissenschaften reden heute von Rechtsextremismus anstatt von Rechtsradikalismus (Bredel, 2002, S. 154-155). Bredel beschreibt jedoch auch, dass teilweise unterschiedliche Verständnisse von Rechtsextremismus innerhalb der mit der Thematik Beschäftigten existieren. So fasst der Verfassungsschutz Rechts- wie auch Linksextremismus unter dem Sammelbegriff des „politischen Extremismus“ zusammen. Beide Richtungen seien antidemokratisch, totalitär und mehr oder weniger in gleichem Maße gefährlich. Im Wesentlichen folgt der Verfassungsschutz dabei dem Anliegen vor allem konservativer Politiker und Wissenschaftler, linkes Gedankengut und zugrunde liegende Ideologien - wie etwa Kommunismus oder Sozialismus - als ideologisch verwandter mit faschistischen, extremistischen Bestrebungen darzustellen, als beispielsweise das Verhältnis des Konservatismus zum Rechtsextremismus. Argumentationsgrundlage ist die bereits genannte (Totalitarismus-) Extremismustheorie (Bredel, 2002, S. 154 - 155).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abbildung 2: Extremismus- /Totalitarismusthese. Eigene Grafik)
Dass der Konservatismus ein berechtigtes Interesse hat, sich vom Rechtsextremismus zu distanzieren, muss nicht näher erläutert werden. Dass jedoch Überschneidungen mit rechts-konservativen Weltbildern vorhanden sind, geht aus den bereits genannten Argumenten (siehe: 2.1.1.2 Rechtsradikalismus) durchaus hervor.
Pfahl-Traughber (2000, S. 13 - 15) nennt einige ideologische Besonderheiten des Rechtsextremismus, die ihn klar vom Linksextremismus unterscheiden und die Totalitarismusthese zumindest teilweise als nicht haltbar klassifizieren. Eines dieser besonderen Elemente ist die Einstellung gegenüber zwischenmenschlicher Ungleichheit. Auch in den etablierten demokratischen Systemen - wie der Sozialdemokratie, dem Liberalismus und dem Konservatismus - bestehen hier selbstverständlich unterschiedliche Vorstellungen über Ursachen und Zweck von Ungleichheiten in der Gesellschaft. Der Rechtsextremismus leitet jedoch anhand bestimmter Merkmalsausprägungen - wie Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe…etc. - auch eine unterschiedliche Wertigkeit betroffener Individuen und Personengruppen ab. Diese unterschiedliche Wertschätzung tritt nicht unbedingt in Form eines massiven Rassismus zutage. Bereits die Idee des Beschneidens von Alltagsrechten hin zu Exklusivitäten für beispielsweise „die Deutschen“ ist Ausdruck dieser Ideologie und unterscheidet den Rechtsextremismus fundamental von allen linken Ideologien und Weltbildern.
Im Zuge der Ungleichheitsideologie existiert eine weitere ideologische Besonderheit des Rechtsextremismus, die ihn fundamental vom Linksextremismus unterscheidet: „die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit im Politikverständnis“ (Pfahl-Traughber, 2000, S. 14). Damit sind insbesondere die beiden Komponenten Nationalismus und im stärker ausgeprägten Sinne auch ein aggressiver Rassismus gemeint. Beide stellen die bereits erwähnte Komponente der verabsolutierten Vorstellung von Volk bzw. Nation in einer mehr oder minder entwickelten Form dar. Die eigene Nation - bzw. im rassistischen Weltbild die eigene Rasse - wird ideologisch zu einem fundamental wichtigen Kriterium für Identität gemacht. Von dieser Identität leitet sich - gemäß chauvinistischer Überzeugung - der höhere Status der eigenen Nation oder Rasse gegenüber anderen ab. Selbstverständlich zieht dies automatisch eine Geringerschätzung anderer Menschen - die nicht zur eigenen Nation oder Rasse gehören - nach sich. Diese Wertigkeit ist Ausdruck der zweiten Komponente des Rechtsextremismus, der unbedingten Autorität von Natur. Durch die natürliche Geburt in die jeweilige Rasse leitet sich - dieser Ideologie folgend - deterministisch eine höhere oder mindere Wertigkeit des Menschen ab.
Pfahl-Traughber (2000, S. 15) betont jedoch auch: Nationalismus beginnt nicht erst an jener Stelle, an der die eigene Nation über alle anderen gestellt wird. Nationalismus im rechtsextremistischen Sinne setzt dort an, wo Zugehörigkeit zur Nation einen besonders hohen Stellenwert im politischen Denken eingeräumt wird. Denn bereits an diesem Punkt ist es ideologisch möglich, demokratische Prinzipien „zum Wohle der Nation“ etwaig (auszugsweise) zu ignorieren und damit nichtdemokratische Handlungsweisen zu legitimieren, also zum Beispiel das Zurückstellen von Menschenrechten hinter nationale Interessen.
Wurden nun einige Elemente genannt, die ausschließlich rechtsextremen Weltbildern zuordenbar sind, so handelt es sich beim nächsten Punkt um ein Element, das auch in vielen linksextremen Strukturen vorzufinden ist, allerdings natürlich in einer ideologisch vollkommen unterschiedlichen Form, mit anderem theoretischen Hintergrund. Pfahl Traughber (2000, S. 15-16) definiert es als Antipluralismus und ein Verständnis von der Gesellschaft als identitär. Dies umfasst zwei Aspekte, zum einen die Ablehnung des Nebeneinanderwirkens mehrerer politischer Interessengruppen in ein und demselben System. Hierunter versteht sich die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates mit seinem Parteienpluralismus und verschiedenen politischen Ideologien, wie etwa der Sozialdemokratie, dem Liberalismus, dem Konservatismus … etc. Anarchistische oder kommunistische Ideologien in Reinform stehen dem pluralistischen System meist feindselig gegenüber, da ihr Funktionieren bzw. Zustandekommen als politisches Konstrukt, eine Teilnahme aller Systemmitglieder als Anarchisten bzw. Kommunisten voraussetzt. Dies hat eine gewisse Ähnlichkeit zu rechtsextremen Anschauungen, die einen Führerstaat oder eine nationalistische, zentralisierte Ideologie favorisieren und ebenfalls davon abhängig sind, oppositionsfrei agieren zu können. Jedoch zeigt sich hier auch wieder ein Unterschied. Linksextreme Gruppen streben einen schwachen Staat mit möglichst viel Autonomie an. Dies wiederum wird im rechtsextremen Spektrum in der Regel kategorisch abgelehnt.
Zweitens streben allerdings auch die meisten rechtsextremen Modelle eine Art Einheit von Regierenden und Regierten an – ähnlich kommunistischer Ideale -, wie etwa in der nationalsozialistischen Theorie. Die Rede ist dort von „Gemeinschaft“ oder auch „Volksgemeinschaft“. Der demokratische Verfassungsstaat mit seinem Pluralismus, der Existenz von Oppositionspolitik, seiner Meinungsfreiheit … etc. gilt hier als ein die Homogenität der Gemeinschaft zersetzendes und damit abzulehnendes Phänomen (Pfahl-Traughber, 2000, S. 15-16).
Auch im Vergleich mit anderen Autoren - wie z.B. Kohlstruck (2002) - lässt sich so wie eben beschrieben, das rechtsextreme Weltbild skalieren. Rechtsextremismus beinhaltet folglich immer einen ausgeprägten Nationalismus und die damit verbundenen Vorstellung einer „Volksgemeinschaft“. Rechtsextreme Ideologien haben einige Gemeinsamkeiten mit politischen Extremen aus dem linken Spektrum, unterscheiden sich aber in den meisten Teilen grundsätzlich von ihnen. Größter - und ein den Rechtsextremismus prägender - Unterschied ist die Ablehnung von Gleichheitsvorstellungen. Kohlstruck (2002, S.20) beschreibt als Beginn rechtsextremer Ideologien die Auseinandersetzungen während der Französischen Revolution und damit eine Gemeinsamkeit mit dem Konservatismus: Die (teilweise für den Konservatismus) Ablehnung der Ideen Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Im Unterschied zu allen anderen politischen Richtungen erklären Rechtsextreme Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus mehr als nur zu politischen Gegnern. Sie betrachten sie als Feinde, was eine durchwegs aggressive Grundhaltung andeutet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abbildung 3: Rechtsextremismus aus moderner, wissenschaftlicher Sicht. Eigene Grafik)
2.1.2 Skinheads, Neonazis…ein Teil des Phänomens
Wie oben bereits angedeutet, ist die rechtsextreme Bewegung ein Phänomen, das mit vielerlei Stereotypen in Verbindung gebracht wird. Bei den Erläuterungen zum Thema Neonazismus wurde schon erwähnt, dass sich in Deutschland immer noch hartnäckig eine Vorstellung von Neonazismus als einziges rechtsextremes Phänomen hält. Grundsätzlich spielt dabei auch eine Rolle, Neonazis anhand gewisser Symboliken oder dem äußerlichen Erscheinungsbild nach als solche erkennen zu können. Der Volksmund spricht hier häufig von „Glatzen“. Gemeint ist dabei eine Anspielung auf die Skinheadbewegung. Diese Subkultur steht im Ruf, in besonderem Maße von Neonazis dominiert zu sein. Im Folgenden soll dies genauer beleuchtet werden.
Zunächst stellt sich die Frage nach den Ursprüngen der Skinheads. Diese finden sich in den Armenvierteln Londons der 1960er Jahre (Bredel, 2002, S. 21-23). Die dominierende Bevölkerungsgruppe hier waren vor allem Arbeiter mit niedrigem sozioökonomischen Status, die dem zunehmenden Rationalisierungsdruck der Ökonomie kaum standhalten konnten. Dazu kamen städtebauliche Maßnahmen, die dem Stadtbild von Vierteln wie dem Londoner East-End einen zunehmend sterilen Ausdruck verliehen. Bredel (2002, S. 21) bezeichnet sie als „Wohnsilos“. Auf engem Raum lebten so zahlreiche Jugendliche, die einerseits den sozialen Abstieg der eigenen Eltern hautnah miterlebten, andererseits Tür an Tür mit besser gestellten, mittelständischen Angestelltenfamilien lebten. Einige der jungen Leute reagierten darauf, dass sie den Lebensstil ihrer Eltern – das Arbeiterleben – gefährdet sahen, indem sie typische Arbeiterwerte in besonderem Maße betonten und neu belebten wie etwa Männlichkeit, Kameradschaft, Ordnung, Disziplin…etc.
Daher stammt der für Skinheads typische Stil: polierte Stiefel, karierte Hemden in der Hose getragen, Hosenträger … etc. Der Name Skinheads entstand durch sehr kurz (sauber) geschnittenes Haar, das für die Bewegung typisch war und durch das man die Kopfhaut sehen konnte. Glatzen - also kahlrasierte Köpfe - kamen unter den Skinheads erst Mitte der 1970er Jahre verstärkt in Mode.
Die Ursprünge der Skinheads liegen also vor allem in der Arbeiterschaft. Aus ihr leitet sich das Erscheinungsbild hauptsächlich ab. Das oft als militant wahrgenommene Aussehen der Skinheads hat ursprünglich zunächst nichts mit Anlehnungen an Vereinigungen des Nationalsozialismus - wie z.B. die SA oder die SS - zu tun, sondern spiegelt die extreme Überdarstellung von Werten der Arbeiterschicht wieder. Später übernahm die Skinheadbewegung vor allem Elemente aus dem Bereich des Punk, wie zum Beispiel das Bleichen von Jeans, musikalische Einflüsse … etc. (Bredel, 2002, S. 29-36).
Die Skinheadbewegung bot für rechtsextremes Gedankengut ein besonderes Unterwanderungspotenzial, da es sich meist ausschließlich um unzufriedene Jugendliche aus Arbeiterfamilien handelte, die mit linken Idealen jedoch kaum etwas anzufangen wussten. Grund war vor allem eine weitere Art „Modeerscheinung“. Zu jener Zeit war es in großen Teilen der Arbeiterschaft weit verbreitet, mit rechtsextremen bis faschistischen Ideologien zu sympathisieren. Hier ist beispielsweise die rechtsextreme „National Front“ zu nennen - eine politische Vereinigung, mit der auch die Skinheadbewegung mehr und mehr im Rufe stand, sich zu solidarisieren. Zementiert wurde das rechtsextreme Bild der Bewegung 1981 durch Southall. Der West-Londoner Vorort, der als ziemlich ruhig gilt und einen hohen Anteil an asiatischen Migranten aufweist, wurde Schauplatz massiv gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Skinheads und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ausgangspunkt war ein Skinkonzert in einem örtlichen Pub. Bereits zu Beginn der Veranstaltung standen die Bewohner des Viertels dem Konzert mehr als unwohlwollend gegenüber, da sie es als eine ausländerfeindliche Provokation ansahen. Nicht zuletzt trugen Konzertbesucher mit Naziemblemen auf ihrer Kleidung dazu bei, dass die Zahl der Gegner vor der Tür des Pubs bis Ende der Veranstaltung auf ca. 2.000 Jugendliche anwuchs. Bereits vor dem Konzert kam es zu einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechten Skinheads und asiatischen Jugendlichen. Gegen Ende flogen Steine und Flaschen durch die Fenster der Gaststätte und die ca. 500 Konzertbesucher mussten unter Polizeischutz evakuiert werden. Den Höhepunkt markierte ein in Brand gesteckter Polizeiwagen, der in den Pub gefahren wurde, worauf dieser vollständig ausbrannte. Obwohl nur etwa die Hälfte der Konzertbesucher aus Skinheads bestand und nur einige unter ihnen Anhänger rechtsextremer Gruppen - wie der National Front oder dem British Movement – waren, wurde die Verantwortung für die Krawalle von Seiten der englischen Medien ausschließlich den Skinheads zugeschrieben und das rechtsextreme Image der Subkultur daraufhin zementiert (Bredel, 2002, S. 42-49). Als Folge zogen sich Plattenfirmen aus dem Bereich der Skinheadmusik zurück, Konzertveranstalter weigerten sich, Bands aus diesem Bereich Bühnen zur Verfügung zu stellen und ein Großteil der Szene wandte sich von ihr ab. Dass die Bewegung insgesamt nicht kleiner wurde, lag an folgendem Umstand: Die nun entstandene Lücke wurde vor allem von rechtsextremen Jugendlichen aufgefüllt, die nun verstärkt die Skinheadszene unterwanderten. Infolge dessen kam es zu Änderungen im Auftreten der Skinheads und zu einem zunehmenden Export von Skinheadmusik in andere Länder, z.B auch nach Deutschland, da in Großbritannien die Bedingungen für Veröffentlichungen von Platten erheblich erschwert waren. Viele der neonazistischen Skinheadgruppen - wie z.B. die Gruppe Combat 18 - gründeten sich daraufhin.
Jedoch ist die Szene bis heute nicht als homogen anzusehen. Unterschiedliche Strömungen innerhalb der Szene bezeichnen sich zum Beispiel als Oi-Skins, Sharp-Skins, Red-Skins und Fascho-Skins. Oi Skins sind größtenteils unpolitisch, wobei sich dies eher auf die Nichtzugehörigkeit zu politischen Vereinigungen beschränkt. Nationalistische und rechte Einstellungen sind auch in weiten Teilen der Oi Szene auffindbar und gehören zur Normalität. Sharp-Skins hingegen bezeichnen sich als antirassistisch und fühlen sich der S.H.A.R.P. Bewegung zugehörig, deren Vorläufer die „Skins against Nazis“ waren. S.H.A.R.P. bedeutet ins Deutsche übersetzt: Skinheads gegen rassistische Vorurteile. Redskins sind im Gegensatz zu den bereits beschriebenen Strömungen meistens weitergehend politisch engagiert. Sie unterhalten häufig Beziehungen zu linksorientierten politischen Parteien oder anderen linken Aktivisten, wie etwa Antifa-Gruppen (Antifa: Antifaschistische Aktion). Äußerliche Erkennungsmerkmale unterscheiden sie vor allem von den Faschoskins. Im Gegensatz zu jenen tragen Redskins betont rote Kleidung und wirken weniger martialisch. Fascho-Skins bezeichnet folglich jenen Teil der Skinheadszene, der ultrarechts eingestellt ist. Hier sind rechtsextreme und am häufigsten neonazistische Ideologien weit verbreitet. Als Vorbilder für Kleidungsstil und Auftreten fungieren Gruppierungen aus dem Nationalsozialismus, vor allem die SA. Verbindungen bestehen vor allem zu freien (teils verbotenen) Kameradschaften wie auch rechtsextremen Parteien, in Deutschland beispielsweise zur NPD. Als Beispiele wären die in Deutschland verbotenen Gruppen „Combat 18“ oder die „Blood and Honour (deutsch: Blut und Ehre) Division Deutschland“ zu nennen (Bredel, 2002, S. 85-93).
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- Philipp Rösel (Author), 2009, Die "Neue" Rechte. Moderner Rechtsetxremismus aus der gesellschaftlichen Mitte in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149072
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