Diese Arbeit beschäftigt sich mit Hegels System: Welterklärung oder Mystifikation?
Woraus und worin besteht Hegels Lehrgebäude? Sein Ziel scheint zunächst evident und relativ einfach zu sein: Es will Möglichkeiten der Erkenntnis der Wahrheit, der Erkenntnis der Entwicklung der Wahrheit vermitteln. Philosophie ist für Hegel u.a. "ihre Zeit, Gedanken erfasst"; wobei sich dieses Erfassen auf das Ganze der Geschichte bezieht, also keineswegs auf das Zeitgenössische beschränkt ist. Demgemäß geht es im Ersten Teil der vorliegenden Arbeit um einen Überblick über Hegels System, im Zweiten Teil um die Ansichten seiner Kritiker und Kritikerinnen, und im Dritten Teil erfolgt eine Auswertung der Kontroversen, wodurch – in einer neuen Zukunftsvision – ein Kompromiss zum Vorschein kommt.
Inhalt
Einleitung
ERSTER TEIL
Hegels System
Zur Dialektik
Folgerungen
Von Zwecken und Endzwecken der Weltgeschichte
„Macht und List der Vernunft“
Endzwecke
Überblick über das Gesamtwerk
Phänomenologie des Geistes
„Herr und Knecht“
Zur Empirie
Erneut zur Dialektik, ergänzend
Zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
Zur Philosophie der Natur
Zur Geschichtsphilosophie
Zur Rechtsphilosophie
zur Ästhetik
Zur Religionsphilosophie
Zum ,Abschluß des Systems’
ZWEITER TEIL
Antworten von Kritikern und Kritikerinnen des Hegelschen Systems
a) das System als Ganzes betreffend (s.o. S. 5-14)
zu Adorno
zu Schnädelbach (geb. 1936)
b) zu den einzelnen Themenbereichen:
1. Phänomenologie des Geistes (s.o. S. 14-16)
2. zu Empirie und Empirismus (s.o. S. 17 f.)
3.zur Dialektik(s.o. S. 19 f.)
4. zur Wissenschaft der Logik (s.o. S. 20 f.)
5. zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (s.o. S. 21-24)
6. zurPhilosophie der Natur(s.o. S. 24-28)
7. zur Geschichtsphilosophie (s.o. S. 28-34)
„Macht und List der Vernunft
8. zur Rechtsphilosophie (s.o. S. 34-37)
9. zur Ästhetik (s.o. S. 37-46)
10. zur Religionsphilosophie (s.o. S. 46-50)
Zum ,Abschluß des Systems’ (s.o. S. 50-53)
Zusatz:
Hegel-Kritik
Hegels Setzungen
DRITTER TEIL
Kritische Würdigung, Folgerungen, Ausblick
Kritische Würdigung der Hegel-Kritiken
a) das System als Ganzes betreffend
ZuSchnädelbach(s.o. S. 74)
Zu den einzelnen Themenbereichen
Zur Empirie
Zur Dialektik
Zur Wissenschaft der Logik
zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
zur Geschichtsphilosophie
46. zu Hegels „Macht und List der Vernunft“
Zur Rechtsphilosophie
zur Ästhetik
zur Religionsphilosophie
Zum ,Abschluß des Systems’
Folgerungen
Negative Kritik
positive Kritik
Ausblick: von der Veränderungsethik zum Demokratischen Ökosozialismus
Literaturhinweise
Personen-Register
Einleitung
Der Begriff Mystifikation’ (wörtlich: ,Umwandlung in Geheimnisvolles’) stammt aus Marxens Hegel-Kritik, in der von den „Mystifikationen des absoluten Wissens“ die Rede ist. Die alter-native Vermutung lautet also, Hegel biete in seinem System keine Welterklärung, sondern eine Verschleierung der Tatsachen. Dass Hegel (1770-1831) seine Philosophie als System begriff, kann nicht bezweifelt werden. In derPhänomenologie des Geistes(von 1807) schreibt er:
„Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme - dem Ziele, ihren Namen derLiebezumWissenablegen zu können undwirkliches Wissenzu sein -, ist es, was ich mir vorgesetzt.“1
Philosophie soll also nicht mehr nur, dem Wortsinn gemäß, „Liebe zur Weisheit“ (bzw. zum Wissen) sein, sondern - als „Ziel“ - „wirkliches Wissen“ bzw. Wissenschaft, die ihrerseits nur als das „wissenschaftliche System“ der Wahrheit dienen könne. Hegel will diesem Ziel „näherkommen“. Das griechische Wort ,systema‘ bedeutet so viel wie ,Vereinigung, Zusammen-setzung, Zusammenschluss, das Zusammengesetzte’. Im deutschen Sprachgebrauch wurde daraus im Laufe der Zeit außerdem ein Synonym für „allgemein: Gliederung, Aufbau, Ordnungsprinzip, einheitlich geordnetes Ganzes“.23In der Philosophie schließlich:
„Zusammenschluss eines Mannigfaltigen zu einem wohlgeordneten Ganzen, in dem das Einzelne im Verhältnis zum Ganzen und zu den übrigen Teilen die ihm angemessene Stelle einnimmt. Ein philosophisches System ist die Vereinigung grundsätzlicher bzw. grundlegender Erkenntnisse zu einer organischen Ganzheit, zu einer Doktrin, einem „Lehrgebäude“; ...“.3 -
Genauer auf Hegel zugeschnitten:
„Ein System ist zunächst nichts anderes als eine Ableitung. Eine Ableitung ist insofern die rationelle Form der Darstellung von Wissen, als in ihr die logische Reihenfolge von Grund und Begründetem zum Prinzip der Darstellung einer Sache gemacht wird: Das jeweils vorher Gesagte gibt den Grund für das folgende her. Hegel war deswegen auf ein Gedankensystem aus, das die Wirklichkeit auf letzte, für den Verstand nicht mehr weiter hintergehbare und deswegen auch nicht zu relativierende Gründe zurückführt.“4
Woraus und worin besteht nun Hegels Lehrgebäude? Sein Ziel scheint zunächst evident und relativ einfach zu sein: Es will Möglichkeiten derErkenntnis der Wahrheit, genauer: derErkenntnis der Entwicklung der Wahrheitvermitteln. Philosophie ist für Hegel u.a. „ihre Zeit, Gedanken erfasst“5; wobei sich dieses Erfassen auf das Ganze der Geschichte bezieht, also keineswegs auf das Zeitgenössische beschränkt ist.
Demgemäß geht es im Ersten Teil der vorliegenden Arbeit um einen Überblick über Hegels System, im Zweiten Teil um die Ansichten seiner Kritiker und Kritikerinnen, und im Dritten Teil erfolgt eine Auswertung der Kontroversen, wodurch - in einer neuen Zukunftsvision - ein Kompromiss zum Vorschein kommt.
ERSTER TEIL
Hegels System
In Kurzform habe ich es wie folgt zusammengefasst:
Durchgangsstadien bzw. Steigerungsformen des „Absoluten Geistes“ sieht Hegel in der aufsteigenden Stufenfolge Kunst < Religion < Philosophie. Der Philosoph übertreffe den Künstler, weil er sich nicht mit der Aktualisierung des Schöpferischen begnügt, sondern darüber nach-denkt. Religion übertreffe die Kunst, weil in ihr Schöpfertum und Geschöpflichkeit zusam-menkommen, so dass weitere, die gesamte Wirklichkeit umgreifende Horizonte entstehen.
Philosophie aber entwickele sichdialektischaus Kunst und Religion, und zwar schon als Kunstphilosophie (Ästhetik) und Religionsphilosophie. (In seinerÄsthetikstellt Hegel übrigens eine weitere Hierarchie dar, und zwar eine Rangfolge der Künste, in der er der Dichtkunst den obersten Platz zuweist.) - Philosophie aber übertrage außerdem Glauben in Wissen, nämlich in „absolutes Wissen“ und „absoluten Geist“.
Zur Dialektik
Der erste Grundsatz der Logik, der Satz der Identität, lautet: A=A, A nicht gleich B; woraus natürlich folgt: B=B, C=C usw. Was man damit nicht erklären kann, istVeränderung, denn Veränderung bedeutet, dass A nicht immer gleich A, B nicht stets gleich B bleibt, sondern zu etwas Anderem wird. Veränderung ist Werden; und das Werden kann als ein Vorgang, ein Prozess, angesehen werden, der jeglicher Wirklichkeit zu Grunde liegt.
Hegel erklärt diesen Prozess, indem er behauptet, dass A darin in B übergehen kann, so dass etwas Neues, nämlich C entsteht. Den Satz der Identität setzt er damit nicht außer Kraft, zumal A und B in C „aufgehoben“, d.h. immer noch erkennbar sind.
Den Prozess des Werdens als eines Übergangs nennt Hegel auchDialektik, für die er zwei Grundformen angibt: 1. Aus dem Gegeneinander von These (A) und Antithese (B) entsteht die Synthese (C). 2. Die Position (A) wird „aufgehoben“ durch die Negation (B); und aus der Negation dieser Negation entsteht (C). Aufhebung bedeutet bei Hegel dreierlei: a) etwas von unten nach oben, z.B. vom Boden, aufheben; b) etwas annullieren, „beseitigen“, c) auf höherer Stufeaufbewahren.
Damit erklärt Hegel Gegensätze und „Widersprüche“ aller Art, d.h. nicht nur in der Entwicklung des Denkens (bzw. der Ideen und Begriffe), sondern auch im Ganzen von Natur und Geschichte. Er behauptet also nicht nur eine „Denkdialektik“, sondern auch eine „Real-dialektik“ (bzw. Seinsdialektik), wobei er annimmt, dass die „allgemeine Vernunft in uns“ die Realität der Erscheinungen (von Personen, Dingen und Ereignissen) in dialektischen Subjekt-ObjektBeziehungenideell, nämlich in einer „Einheit von Identität und Nicht-Identität“ und somit in einer Einheit von Vernunft und Wirklichkeit erfassen und erkennen kann; daher seine kühne These: „Das Vernünftige ist wirklich, und das Wirkliche ist vernünftig.“ (s.u.)
Schellingäußert sich ähnlich, unterscheidet aber zwischen Dialektik in der Natur und im Menschen dadurch, dass er von einem - nurtheologischbegründbaren - „objektiven Subjekt-Objekt“ in der Natur und einem „subjektiven Subjekt-Objekt“ im Menschen ausgeht.
Folgerungen
Und was steht nun tatsächlich „über allem“? Die Kunst, die Religion oder die Philosophie? Welcher Werte-Hierarchie sollen wir zustimmen? Darüber zu befinden, überlasse ich gern dem verehrten Publikum! Wobei ich allerdings hinzufügen muss, dass ich bei den Deutschen Idealisten zumPerson-Seindes Menschen - und damit möglicherweise zu seinem eigentlichen Wert und Wesen - nur wenig, allzu wenig gefunden habe. (Vgl. K. Robra:Und weil der Mensch Person ist..., Essen 2003, S. 54-61.) Was mich allerdings keineswegs veranlasst, eine „Absolute Person“ an die Stelle des „Absoluten Geistes“ zu setzen. .6
In einer längeren Fassung ergibt sich Folgendes:
Hegel hat sich in seinen Hauptschriften u.a. mit der Teleologie beschäftigt. Nachzulesen in derPhänomenologie des Geistes(von 1807), derWissenschaft der Logik(1812-16), derEnzyklo-pädie der philosophischen Wissenschaften(1817) und den in den Jahren 1822 bis 1831 gehal-tenen Vorlesungen zur Geschichtsphilosophie, die unter dem TitelDie Vernunft in der Geschichteerschienen sind. Ausgangspunkt ist für ihn - wie für Fichte und Schelling - KantsKritik der Urteilskraft. Deren „reflektierende“ Momente, die logischen Überlegungen zum Zweckbegriff, führt Hegel weiter in eigenen, durchweg hoch abstrakten Interpretationen, wobei er betont, der Zweckbegriff erfordere eine „spekulative Auffassung“.6Zu beachten ist hier, dass Hegel unter philosophischer Spekulation nicht etwas X-beliebiges, sondernvernünftige Überlegungversteht.
Deutlich erkennbar ist auch hier das Bemühen, den Zweckbegriff in ein neues, eigenes System einzugliedern. Hegel bemerkt nämlich, der Zweckbegriff sei eigentlich „überflüssig“, da man ihn „mit RechtVernunftbegriffgenannt“ habe. Und diesen Vernunftbegriff habe man - ebenso berechtigter Weise - dem „Abstrakt-Allgemeinen des Verstandes gegenübergestellt“.7Hegel relativiert allerdings diese Gegenüberstellung, da er annimmt, dass die Vernunft in der Lage sei, sich sämtlicher Mittel des Verstandes zu ihren Zwecken zu bedienen. Das Wesentliche des Verstandes sieht er im Abstrahieren und Erkennen von Gesetzmäßigkeiten durch begriffliches und urteilendes Denken89, während die Vernunft dies aufgreife und in weitergehendem Urteilen, Schließen und Begreifen zur„Vollendung“führe, denn das„Ziel“sei die„sich wissende Wahrheit,diesich selbst erkennende Vernunft“.10 Wohl nicht zufällig verwendet Hegel mit ,Ziel‘ und ,Vollendung‘ hier Grundbedeutungen des ursprünglich aristotelischen Telos-Begriffs!
Die Vernunft bezeichnet Hegel auch als „das Vernehmen des göttlichen Werkes.“10Und dieses Werk sei in Natur und Geschichte allenthalben erkennbar. Gott oder das Absolute offenbare sich der Vernunft in den Erscheinungsformen des Geistes bis hin zum absoluten Wissen. Die gesamte Wirklichkeit werde von der Vernunft durchdrungen und geleitet:
„Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.“11
Da dies auch für den Zweckbegriff zutreffen müsste, kann angenommen werden, dass er auf allen Gebieten von Natur und Geschichte anwendbar ist. Jedenfalls lässt sich demgemäß vielleicht die Tatsache erklären, dass Hegel es nicht für nötig gehalten hat, die Problematik einer „Zweckmäßigkeit der Natur“ neu aufzurollen oder gar eine neue Natur-Teleologie zu entwickeln. Die Wirklichkeit - und damit auch die Natur - gilt ihm per se als vernünftig und daher zweckvoll.
Immerhin bemüht er sich dennoch um allgemein gültige Präzisierungen des Begriffs Zweck. Schon Kant habe das teleologische Prinzip als Mittel- und Verbindungsglied zwischen„dem Allgemeinen der Vernunftunddem Einzelnen der Anschauung“ aufgefasst.12Den Zweck definiert Hegel daher als „daskonkrete Allgemeine, das in ihm selbst das Moment der Besonderheit und Äußerlichkeit hat, daher tätig und der Trieb ist, sich von sich selbst abzustoßen.“ Insofern sei der Zweck auch die Quintessenz, die Wahrheit von „Mechanismus“ und „Chemismus“.13
Um dieser Wahrheit gerecht zu werden, reiche bloß verstandesmäßiges Urteilen nicht aus. Vielmehr gehe es um das „anundfürsichseiende Wahre“, also um nur der Vernunft zugängliche Wahrheit, wobeiobjektives Urteilenundabsolutes Bestimmenzu erwarten sei. Daraus sei zu folgern: „Die Zweckbeziehung ist dadurch mehr alsUrteil; sie ist derSchlußdes selbständigen freien Begriffs, der sich durch die Objektivität mit sich selbst zusammenschließt.“14Zweifellos lassen sich solche Bestimmungen der „Großen Logik“ nicht ohne weiteres auf konkrete Naturforschung anwenden. (Was übrigens auch für die in derPhänomenologie des Geistesauftauchenden Bemerkungen zur Teleologie gilt, bei denen sich fast alles um das schon von Kant besprochene „Organische“ dreht.)
In derWissenschaft der Logik(von 1812, der „Großen Logik“, die in Wahrheit eineOntologie, eine Seinslehre, ist) bleibt Hegel die zu erwartende Konkretion größtenteils schuldig, obwohl er Kapitel über den „subjektiven Zweck“, „das Mittel“ und den „ausgeführten Zweck“ anschließt. Der Zweck sei subjektiv, enthalte aber „Streben und Trieb, sich äußerlich zu setzen“ und daher - als Begriff - Objektivität zu erlangen; er sei „der an der Objektivität zu sich selbst gekommene Begriff“.1516Dies gelinge nicht zuletzt auf dem Wege über „das Mittel“. Dies sei ein Objekt, das sich dem Zweck nicht widersetzen könne. Umgekehrt brauche der Zweck - in Folge seiner Endlichkeit - ein Mittel, um sich verwirklichen zu können.
Konkreter geht es erst im Kapitel über den „ausgeführten Zweck“ zu. Kennzeichnend für die Endlichkeit der Zwecke ist u.a. die Endlichkeit ihrer Inhalte. Für die endlichen Zwecke der„äußerenZweckmäßigkeit“ bedeute das Mittel sogar etwas „Höheres“, was sich an bestimmtenWerkzeugendemonstrieren lasse: „ ... derPflugist ehrenvoller, als unmittelbar die Genüsse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind“, d.h. was auch immer mit dem Pflug hergestellt wird, es überdauert nicht das Mittel seiner Herstellung. Demgemäß fährt Hegel fort: „DasWerkzeugerhält sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und vergessen werden.“ Und er schließt den Absatz mit einer Bemerkung, die man als Relativierung des Zweckbegriffs interpretieren könnte: „An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht über die äußerliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist.“[17] In bestimmten Fällen gewinnt das Mittel anscheinend höheren Wert als der Zweck, dem es zu dienen hat. Dies veranlasst Hegel jedoch nicht, den Zweckbegriff abzuwerten, im Gegenteil, er stellt fest: „Der Zweck hält sich aber nicht nur außerhalb des mechanischen Prozesses, sondern erhält sich in demselben und ist dessen Bestimmung“.17Zwecke sind also nur begrifflich erfassbar, als solche auch wiederholbar, während Mittel - z.B. in Form von Werkzeugen als materielle Teile des „mechanischen Prozesses“ - sich abnutzen. Als Vernunftbegriff umgreift die Zweckmäßigkeit Subjektives und Objektives, wie Hegel an typischen Merkmalen des Teleologischen - wie dem Zusammenfallen, der Synthese von Ursache und Wirkung - nachweist. Dabei gelingt ihm auch eine weitere Präzisierung des Teleologie-Begriffs, wenn er definiert:
„Man kann daher von der teleologischen Tätigkeit sagen, daß in ihr das Ende der Anfang, die Folge der Grund, die Wirkung die Ursache sei, daß sie ein Werden des Gewordenen sei, daß in ihr nur das schon Existierende in die Existenz komme usf. .“18
Das wäre vielleicht ein eher negativer „Abschluss“, wenn nicht im weiteren Verlauf der Abhandlung klar würde, dass Hegel den Zweckbegriff weiterhin als Vernunftbegriff würdigt und dementsprechend in sein System einordnet.
Von Zwecken und Endzwecken der Weltgeschichte
An dieser Stelle möchte ich kurz daran erinnern, worin HegelsSystembesteht. Wie er es in seiner Geschichtsphilosophie mehrfach darlegt, ist die Grundlage dieses Systems eindeutig religiös, nämlich die christliche Auffassung vom Ganzen der Welt.19Hegel rechtfertigt dies mit dem Hinweis, dass zwischen religiöser und wissenschaftlicher Wahrheit kein wesentlicher Unterschied bestehe, so dass er behauptet: „ ... was ich glaube, das weiß ich auch, dessen bin ich gewiß.“20Gewiss ist für ihn, dass Gott, das Absolute, die Welt geschaffen und sich daher in der Natur entäußert hat und in der Weltgeschichte Mensch („wahrer Gott und wahrer Mensch“) geworden ist. Als solcher offenbare er sich in ständig sich höher entwickelnden Formen des Geistes bis hin zum absoluten Wissen (Hegels!), wo er mithin ins Absolute, also in sich selbst zurückkehre. - Um dies zu erkennen, bedarf der Philosoph allerdings des Überblicks über dasGanze, das Hegel auch als „das Wahre“ bezeichnet. Erst auf dem Standpunkt der „Totalität aller Gesichtspunkte“ sei philosophische Weltgeschichte möglich, und zwar „mit einem allgemeinen Gedanken, der sich durch das Ganze hindurchzieht“, wobei das „Individuum“ der Weltgeschichte „der Weltgeist“ sei.21-
In einem so verstandenen Zug des Weltgeistes vom Absoluten durch die Weltgeschichte hindurch hin wiederum zum Absoluten, unter Führung des Absoluten, fallen Ursache und Wirkung offensichtlich zusammen, was ich für eine ganz und gar teleologische Weltanschauung halte.
„Macht und List der Vernunft“
Dass es in der Weltgeschichte vernünftig zugeht, steht für Hegel fest. Dennoch leugnet er nicht die Macht des Irrationalen, Unvernünftigen, dem in der Geschichte nicht wenige Menschen zum Opfer gefallen sind. Im Gegenteil, er erkennt sehr wohl die Gefahr, die von dieser Seite seinem teleologischen System des unaufhaltsamen Fortschritts der Weltgeschichte droht. Er hält es nämlich für erforderlich, Umwege und Rückschläge der Geschichte als „List der Vernunft“ zu erklären. Trotz aller Widrigkeiten und Enttäuschungen gelinge es der Vernunft immer wieder, „nurihrenZweck zur Ausführung“ zu bringen. Und Hegel scheut sich nicht, hier sogar „die göttliche Vorsehung“ heranzuziehen, die sich „als die absolute List“ verhalte:
„Gott läßt die Menschen mit ihren besonderen Leidenschaften und Interessen gewähren, und was dadurch zustande kommt, das ist die VollführungseinerAbsichten, welche ein anderes sind als dasjenige, um was es denjenigen, deren er sich dabei bedient, zunächst zu tun war.“22
Die individuellen Zwecke und Absichten haben sich demnach also stets den allgemeinen („höheren“, weil göttlichen) Zwecken unterzuordnen. Was der Einzelne, erst recht angesichts des Scheiterns seiner vordergründigen Interessen, nicht zu erkennen vermag, erscheint der „vernünftigen Intelligenz“ in einem anderen, quasi göttlichen Licht.
In seiner Geschichtsphilosophie verdeutlicht Hegel diese listige Macht der Vernunft nicht zuletzt am Beispiel der „Heroen“, der heldenhaften weltgeschichtlichen Individuen wie Cäsar oder Alexander dem Großen. Diesen könne es sogar gelingen, in den allgemeinen Zwecken auch individuelle zu erfüllen. Dafür seien sie in der Lage, ihre ganze Leidenschaft einzusetzen. Sie hätten „es verstanden, sich zu befriedigen, ihren Zweck, den allgemeinen Zweck hervorzu-bringen.“23
Das Vernünftige - und damit auch das Zweckmäßige - bezeichnet Hegel als „das an und für sich Seiende, wodurch alles seinen Wert hat.“24Eine höhere „Sinnerfüllung“ist kaum vorstellbar, zumal sie sich angeblich auf Grund einer Einsicht in den Willen Gottes vollzieht.
Mit bedenklichen Folgen u.a. auch für HegelsErziehungs-Konzept. Dessen fragwürdigste Maxime lautet: „Der Wille des Zöglings muss gebrochen werden.“ In leicht abgeschwächter Form: „Ein Hauptmoment der Erziehung ist die Zucht, welche den Sinn hat, den Eigenwillen des Kindes zu brechen, damit das bloß Sinnliche und Natürliche ausgereutet werde.“ (In:Grundlinien der Philosophie des Rechts,Dritter Teil, C). So, als käme es vor allem darauf an, den „Zögling“ an die bestehende „Vernunft“-Ordnung anzupassen, und zwar unter Missachtung seiner Indi-vidualität.
Endzwecke
„Daß in den Begebenheiten der Völker ein letzter Zweck das Herrschende, daß Vernunft in der Weltgeschichte ist, - nicht die Vernunft eines besondern Subjekts, sondern die göttliche, absolute Vernunft, - ist eine Wahrheit, die wir voraussetzen; ...“, sagt Hegel schon in einer seiner ersten Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte.2526Ausdrücklich verbindet er hier erneut Zweck und Vernunft, und zwar sogar im Hinblick auf einen „letzten Zweck“. Diesen Gedanken erläutert er mehrfach an Hand seiner Lehre von denEndzwecken- womit er ein ursprünglich Kantisches Konzept ins Geschichtsphilosophische wendet. Dabei steigert er diese Lehre bis hin zu dem Begriff eines „absoluten Endzwecks“, den er ebenfalls in den Rang der „Wahrheit an und für sich“ erhebt.[27] Dieser Zweck sei zugleich der Endzweck des Absoluten und somit jeglicher Form des Geistes einschließlich des Weltgeistes, der Volksgeister und des absoluten Wissens. Zugleich verwirklicht sich darin die höchste Stufe der Vernunft, in der auch jegliche Ethik ihren letzten Sinn finde, denn der Endzweck ziele stets auch auf „das Gute“ (das ja schon bei Platon eine hervorragende Rolle bei der Erörterung der Teleologie gespielt hatte). Dass solche Ziele nicht ohne Leiden, Leidenschaften, Konflikte und Opfer zu erreichen sind, belegt ein Zusatz Hegels zu seiner Behauptung, „das Recht des Weltgeistes“ stehe höher als „alle besondern Berech-tigungen“.27Daraus erhellt ebenfalls, dass Hegel dieFreiheit des Einzelmenschen wie auch der Gesellschaft im Ganzen(und nicht nur den vielzitierten „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“) durchaus zu den Endzwecken der Geschichte zählt:
„Der Endzweck dessen, was der Weltgeist will, kann bestimmt so angesprochen werden: Das Subjekt als solches hat persönliche Freiheit, hat Gewissen in sich, ebenso sein besonderes Interesse, aus seinem sittlichen Zustande sich zu befriedigen. Das Subjekt als solches hat unendlichen Wert; es werde als frei betrachtet, so daß die Subjektivität zum Bewußtsein dieser Extremität komme. Die Subjektivität bringt den einen substanziellen Zweck hervor; er wird durch die unendliche Unabhängigkeit aller hervorgebracht. Diese Substanz ist der Grund und Boden, auf dem das Individuum zu dieser formellen Freiheit in der Subjektivität gelangen kann. Die Tiefe des Geistes hat zu ihrem Zwecke die Einheit des absoluten Gegensatzes.“2829
Damit wiederholt Hegel einen Grundgedanken seiner Dialektik der Geschichte, in der die Gegensätze schließlich (im „Absoluten“) „versöhnt“ werden. Jedenfalls sind Teleologie und Freiheit substanzielle Faktoren; d.h. historische Determinierung (als Teilaspekt von „Substanz“) einerseits und Freiheitswert des Individuums und der Gesellschaft andererseits sind angesichts des
Endzwecks derWeltgeschichte keine unüberwindbaren Gegensätze mehr, auch wenn Hegel gelegentlich zwischen „persönlicher Freiheit“ und „formeller Freiheit“ zu schwanken scheint.[30]
Überblick über das Gesamtwerk
Ein annähernder Überblick über Hegels System lässt sich erst dann gewinnen, wenn man seinGesamtwerkins Blickfeld rückt; was bisher nur Wenigen gelungen ist, darunterErnst Bloch(18851977) in:Subjekt-Objekt. Erläuterungen zu Hegel(1951/1962). Wobei es sich nicht einfach um ein Hegel-Buch wie tausend andere handelt, wozu Bloch selbst in seinem Vorwort des Jahres 1951 anmerkt:
„Vorliegende Schrift erhebt nicht den Anspruch, ein Buch über Hegel zu sein, sie ist eher eines zu ihm, mit ihm und durch ihn hindurch. Sie intendiert die durch Hegel und die Folgen bezeichnete Erhellung unseres geschichtlichen Woher, Wohin, auch Wozu. Solche Erkenntnis ist allemal eine des tendenzhaften Zusammenhangs, des werdend Ganzen.“30
Das Bloch auch als „Totum ... im Prozeß“ bezeichnet (ebd.). Dieser Schrift entnehme ich wesentliche Ergänzungen zur
Phänomenologie des Geistes.
Für Bloch ist sie Hegels „dunkelstes und tiefsinnigstes“ Werk (S. 59), das dabei, laut Hegel, „die Darstellung des erscheinenden Wissens“ sein wolle, genauer:
„Das Individuum soll von seinem natürlichen Standpunkt zum wissenschaftlichen hingeführt werden, zu dem sich wisssenden Geist. Auf dem Weg des werdenden Wissens selbst, das von einem unmittelbaren sinnlichen Eindruck immer begreifender, immer vermittelter zur Erkenntnis aufsteigt.“ (Bloch ebd.)
In historischer Sicht sei mit diesem Individuum zunächst „dastätige Ich“ gemeint, und zwar „das bürgerlich sich setzende, sich befreiende“. Und dieses Ich verhalte sich „zweifelnd zum Gegebenen, durchaus kritisch zu den vorhandenen Resten der feudalen Gesellschaft und zu ihren Überzeugungen.“ Dies sei auch „dasersteMotiv der Phänomenologie“ (S. 61). Deren nächstes Motiv schließe sich „an das tätige Ich alserzeugendesan, an denhomo faber“:
„Er ist der beginnend kapitalistische, näher der kapitalistisch-rationale. Dem versuchten Kalkül des Warenumlaufs entsprach das wissenschaftliche Ziel: reinmathematische Erzeugungdes Erkenntnisinhaltes, - bei Hegel freilich nicht mehr als mathematische.“ (Bloch S. 61 f.)
Denn Hegels Aufgabe sei eine andere, nicht mehr mit den Mitteln einer Universalmathematik bzw. mit Descartes‘Mathesis universalislösbare gewesen. Hierzu Bloch:
„Er hatte das Problem vor sich, aus der Vernunft nicht abstrakte Gesetze zu gewinnen, die über einem Haufen von Zufällen schweben, sondern einen immanenten Zusammenhang konkreter Inhalte. Das geeignete Mittel hierzu wurde die Geschichte oder die Darstellung des konkreten Gangs und Werdens selber, woraus die Spezifikationen der Welt der Reihe nach hervorspringen. ... Erzeugung also wirdhistorische Genesisoder Konstruktion als die der bildenden Geschichte, der sich entwickelnden Geschichts-Vernunft selbst.“ (64)
Drittes Motiv: „das derromantisch-historischen Schule, der Besinnung auf das geschichtlich Wachsende und Erwachsene“ (66). Wobei die Bewegung des bürgerlichen ,Sturm und Drang’ am Anfang gestanden hätte, also in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Erklärter Gegner war dabei das Bündnis von Bürokratie und Despotismus mit seinen stattlichen Willkürmaßnahmen und Übergriffen. Mit dem Ergebnis:
„Die frühe Romantik suchte in Deutschland stattdessen den Volksboden, die organisch waltenden Zusammenhänge, kurz, jene ganz besondere Art von >Natur<, welche nicht die des mathematisch-gesetzlichen Verstands ist, sondern die eines fast unbewußten, jedenfalls nicht künstlichen Lebens und Webens. Es ist folglich nicht die Natur der Aufklärung und des mathematischen Rationalismus, sondern die idyllhafte Natur Rousseaus, die schöpferische im Sinn der Weltseele Shaftesburys, die allwaltende im Sinn eines vitalistischen Mißverständnisses Spinozas.“ (66 f.)
Was Hegel daraus macht, ist jedoch nicht erneuter Sturm und Drang und auch nicht das Raunen der romantischen Poesie, sondern ein„historisch-prozessualer Rationalismus“ (69), und zwar ein durchausdialektischer, denn:
„Die Bewußtseinsgestalten sind die Weltgestalten und umgekehrt; Einheit beider ist der Logos, mit allem Schmerz des Widerspruchs oder der Negation in sich, aus dem die Wirklichkeit besteht. Die Selbstentwicklung des Begriffs ist bei Hegel die Selbstentwicklung des Weltgeistes; eine bewegte Erkenntnis der bewegten Wahrheit.“ (ebd.)
Bei Hegel geht also nichts ohne Logos und Dialektik, aber auch nichts ohne den„Weltgeist“, der angeblich die „bewegte Erkenntnis der bewegten Wahrheit“ bewirkt! Eine Bewegung von Erscheinungen, die sich in der berühmten Stufenleiter von HegelsPhänomenologieempor-windet. Beginnend bei dem bloßen Hier und Jetzt, angesprochen in dem „Dieses“ und dem „Meinen“, „aufgehoben“ durch Wahrnehmung und sinnliche Gewissheit, durch Täuschung, welcher derVerstandauf die Spur kommt, und zwar in Bewusstsein und Selbstbewusstsein (incl. dem „unglücklichen Bewusstsein“), erweitert und gestützt durch Vernunft und Geist, bis hin zum„absoluten Begriff“,„Absoluten Geist“ und „Absoluten Wissen“. Wobei Hegel mit genialischstrikter Konsequenz aufscheinen lässt, warum die jeweils höhere Stufe die darunter liegende ablöst und doch in sich aufnimmt, „aufhebt“ und fruchtbringend weiterträgt.
„Herr und Knecht“
In der Stufenleiter der Erscheinungen sollen sich mindestens zwei verschiedene, aber miteinander verbundene Seinsebenen widerspiegeln und repräsentiert sein: a) die gesamte Entwicklungsgeschichte der Menschheit und b) die je individuelle Lebensgeschichte der Einzelpersonen von der Wiege bis zur Bahre. Wobei Hegel durchaus auch auf spezielle Probleme der Gesellschaft eingeht, wie z.B. das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis von „Herr und Knecht“. Bloch schreibt dazu:
„Das fortschreitende Bewußtsein ist nicht mehr verschwiegen subjektiv und haupt-sächlich gegenständlich wie das anfangende, sondern es richtet sich auf sich selbst, wirdSelbstbewußtsein. Als dieses fällt es mit seinem Gegenstand zum ersten Mal einheimisch zusammen; Wahrheit ist hier, auf dieserviertenStufe, Gewißheit seiner selbst. Eine der wesentlichsten, alle bisherige Geschichte erfüllenden dialektischen Verhältnisse, in denen dieses Selbstbewußtsein in sich und zugleich am Anderen erscheint und sich hochbewegt, ist das Verhältnis von Herr und Knecht:
>Der Herr bezieht sich unmittelbar durch den Knecht auf das Ding. Dem Herrn dagegen wird durch diese Vermittlung die unmittelbare Beziehung (auf das Ding) als die reine Negation desselben oder der Genuß; was der Begierde nicht gelang, gelingt ihm, damit fertig zu werden und im Genüsse sich zu befriedigen. ... Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist . das knechtische Bewußtsein. Dieses erscheint zwar zunächst außer sich und nicht als die Wahrheit des Selbstbewußtseins. Aber wie die Herrschaft zeigte, daß sie das Verkehrte dessen ist, was sie sein will, so wird auch wohl die Knechtschaft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegenteil dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtsein in sich gehen und zur wahren Selbständigkeit sich umkehren< (II, S. 146 f.).“ (Hegel a.a.O. S. 85 f.)
Bloch: „Allerdings ist das Bewußtsein seiner selbst, wozu sich der Knecht erhebt, bei Hegel vor allem ein Bewußtsein der Zucht. Doch wie der Knecht, indem er durch sein eigenes Tun die Dinge bildet, sich selber bildet, während der Herr des arbeitslosen Einkommens nur noch im Genuß, bestenfalls im Machtgenuß vorkommt, so wird durch Arbeit, durch dieses Formieren dasBewußtsein eigener Kraft und Tätigkeitseiner selbst inne, zunächst wenigstens als freies Denken: >Es wird also durch dies Wiederfinden seiner durch sich selbst eigener Sinn, gerade in der Arbeit, worin es nur fremder Sinn zu sein schien< (II, S. 149).“ Und, einschränkend differenziert:
„Das Selbstbewußtsein ist im Verhältnis von Herr und Knecht immer noch ein gedoppeltes, es kommt nicht anders zu sich. Die Doppelheit Herr und Knecht wird sogar dualistisch in der Gestalt, die Hegel >das unglückliche Bewußtsein< nennt, diese Un- vereintheit von Jenseits und Diesseits, in der Hegel, wie bemerkt, das christliche Mittelalter gesehen hat, die subjektive Eitelkeit der Askese und die objektive Leerheit des heiligen Grabs (der unmenschlichen Transzendenz).“ (a.a.O. S. 86)
Erst auf den höchsten Stufen des Geistes werde dann „die Substanz, die aus der unmittelbaren Subjekt-Objekt-Identität sich durch die historische Dialektik der Subjekt-Objekt-Beziehungen hindurchbegeben hat, . nun total mit sich vermittelte Subjekt-Objekt-Identität . , ja Einsturz des Objekts ins Subjekt.“SubstanzundSubjektwerden also identisch, oder, wie Bloch es ausdrückt: „ - die Höhe scheint erreicht, der Idealismus kulminiert, Hegels Vorhaben wirkt wie erfüllt, die Substanz ist ihm Subjekt geworden.“ (S. 99)
Zur Empirie
Hegel:
„Die Empirie ist nicht bloßes Beobachten, Hören, Fühlen, das Einzelne Wahrnehmen, sondern geht wesentlich darauf, Gattungen, Allgemeines, Gesetze zu finden. Und indem sie diese hervorbringt, so trifft sie mit dem Boden des Begriffs zusammen, sie präpariert den empirischen Stoff für denselben, daß dieser ihn dann so recht aufnehmen kann... Und ohne die Ausbildung der Erfahrungswissenschaften für sich hätte die Philosophie nicht weiter kommen können als bei den Alten. Wir dürfen nicht übersehen, daß die Philo-sophie ohne diesen Gang nicht zur Existenz gekommen wäre; Geist ist wesentlich Verarbeitung als eines Anderen.“ (a.a.O. S. 119)
Bloch:
„Auch dem dialektischen Denker, der bei Hegel gelernt hat, ist es selbstverständlich, daß von Tatsachen ausgegangen werden muß. Aber nicht, um bei ihnen, als bei bloßen Empfindungsinhalten, stehenzubleiben. Auch nicht, um sie endlos weiter zu addieren, ohne Fähigkeit, den wirkenden Zusammenhang zu entdecken. Den Zusammenhang, der nun eben nicht Tatsache ist, auch nicht deren Beschreibung, sondern der erst aus jener Denkfunktion aufgeht, dieErkenntnisder Tatsachen heißt. Es ist wissenschaftlich hoff-nungslos, die Erkenntnis als bloßes >statement< anzusehen, hinter dem man nun des Pudels Kern als >facts< oder Konglomerat von >facts< zu folgen hätte; die Reihe läuft vielmehr umgekehrt. Die Tatsachen sind selber nichts als die Dünung, welche von einem Meer dialektischer Zusammenhänge an die sinnliche Oberfläche ausläuft. Dieses Meer mit seinen Strömungen ist Gegenstand der wissenschaftlichenErkenntnis, nicht die bloße Unmittelbarkeit der Tatsachen; letztere sind lediglich Fingerzeige der Erkenntnis. Wobei als wichtig festzuhalten ist, daß bei Hegel >Sinnlichkeit< und >Verstand<, diese alten erkenntnistheoretischen Ladenhüter, durchaus nicht verdinglicht voneinander getrennt und abgehalten werden. Hegels >sinnliche Gewißheit< ist ab ovo bereits voll logischer Allgemeinheit, umgekehrt erscheint der Begriff ebenso anschaulich-einzeln. Hegels Begriff unterscheidet sich von dem der Abstraktionstheorie gerade dadurch, daß er die >Einheit des Allgemeinen und des Besonderen< sein will. Das erst ist bei HegelTotalität: wahrer Umfang und wahrer Inhalt eines Begriffs verhalten sich nicht umgekehrt, sondern direkt proportional. Im konkreten Urteil sind folglich Begriff und Anschauung, Allgemeines und Einzelnes geeint: >Alles Konkrete ist tatsächlich, also individuell und empirisch, sowie es auch andererseits Allgemeinheit und Begriff an sich hat. Das rein Empirisch-Individuelle ist eine bloße Fiktion, so wenig belegbar wie ein reiner Begriff.< Die sinnlichen Fingerzeige gehen so in Hegels Dialektik allemal auf die logischen Zusammenhänge, mit denen sie selber verbunden sind. Wissenschaft wird daher ein völlig anderes sein als faktisches Beschreiben oder Erzählen: >Die Philosophie soll keine Erzählung dessen sein, was geschieht, sondern eine Erkenntnis dessen, was wahr darin ist, und aus dem Wahren soll sie ferner das begreifen, was in der Erzählung als ein bloßes Geschehen erscheint< (...).“ (a.a.O. S. 111 f.)
Erneut zur Dialektik, ergänzend
Bloch:
„Die Welt ist feuriger Natur, voll von treibendem Widerspruch in allen ihren Gebieten, eruptiv wie Frühling: >Die Knospe<, lehrt die Vorrede zur Phänomenologie,>ver- schwindet in dem Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird; ebenso wird durch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unverträglich miteinander< (II, S. 4). Und in der erreichten Gewordenheit selber reift ihr Widerspruch, reift die Negation des Gewordenen, die es aufhebt. So produziert, wie Hegel bereits klar erkennt, der Reichtum selber das Elend, jede bisherige Gesellschaft überhaupt die Elemente der nächsten, die den Widerspruch zu dieser Gesellschaft darstellen, und die die Kruste, an der keine Wahrheit und Wirklichkeit mehr ist, sprengen.“ (S. 123 f.)
„Alle endlichen Dinge verzehren sich, und ihre Bestimmung ist, verzehrt zu werden: [Hegel:] >Alles Endliche ist dies, sich selbst aufzuheben. Das Dialektische macht daher die bewegende Seele des wissenschaftlichen Fortgehens aus und ist das Prinzip, wodurch allein immanenter Zusammenhang und Notwendigkeit in den Inhalt der Wissenschaft kommt, so wie in ihm überhaupt die wahrhafte, nicht äußerlicheErhebungüber das Endliche liegt< (Enz. § 81).“ (S. 139)
Bloch:
„Hegels Dialektik hat nichts für die Bequemen übrig, das ist klar. Aber sie kann gelernt werden, es ist höchste Zeit, aus dem sturen Ja, Ja, Nein, Nein herauszukommen. Höchste
Zeit, den abstrakten Glauben an feste Tatsachen und angeblich unveränderliche Gesetze über ihnen zu korrigieren. Ebensowenig wie die Lehre vom Fluß hat die darin einbegriffene Lehre von der Mündung, also die dialektische Totalität, etwas für die Bequemen übrig; sie ist deshalb nicht bloß lehrreich, sondern mahnend.“ (S. 145)
„Sein, das in Nichts übergeht, ist Vergehen. Nichts, das in Sein übergeht, ist Entstehen; beides, auch das Vergehen, macht für Hegel das Werden aus, den sich verbrennenden, auferstehenden, sich wieder verbrennenden Phönix: >Wer verlangt, daß nichts existiere, was in sich einen Widerspruch, als Identität Entgegengesetzter, trägt, der fordert zugleich, daß nichts Lebendiges existiere. Denn die Kraft des Lebens und mehr noch die Macht des Geistes besteht eben darin, den Widerspruch in sich zu setzen, zu ertragen und zu überwinden. Dieses Setzen und Auflösen des Widerspruchs von ideeller Einheit und realem Außereinander der Glieder macht den steten Prozeß des Lebens aus, und das Leben ist nur alsProzeß<... .“ (S. 154)
Postuliert wird also letztlich „die Einheit von Identität und Nicht-Identität“.
ZurWissenschaft der Logik
Bloch:
„Das Denken will hier alles sein, was wert ist, zu sein. Das erste Ansich, das zugrunde liegt, ist nach Hegel der Begriff. Er gilt ihm durchaus als lebendig, ja als das Nackte an allen Dingen. Hegels Logik ist unternommen als Darstellung des reinen, stofflosen, hüllenlosen Gedankens. Dieser Gedanke besteht an sich, das ist vorausgesetzt, er findet sich zwar auch in sinnlichen Wahrnehmungen, doch noch unentwickelt. .
Nur der sich selbst entwickelnde Begriff ist scharf und notwendig, nur er macht Aussagen erweisbar, statt nur belegbar.“ (S. 155)
„Hegel duldet, wie zu sehen war, nichts Getrenntes, keinen Begriff, der dem anderen unverwandt wäre. . Auch die Kategorien will Hegel vielmehr als Gestalten einer einheitlich zusammenhängenden dialektischen Bewegung fassen, und ihre Aufeinanderfolge wird durch die Bedeutsamkeit, durch die sich mehrende Gewichtigkeit bestimmt, welche sie in dieser Entwicklung einnehmen. Deshalb ist in Hegels Kategoriensystem die später entspringende Kategorie immer auch die höhere, immer auch die reicher bestimmende und bestimmte.“ (S. 159 f.)
„Christlicher und neuplatonischer Logos klingt so in Hegels Logik zusammen; im Anfang war das Wort, nicht die Tat, und die Lehre vom Wort ist schlechthin präexistente Ontologie. . Jedoch trotz dieser Vorgänger gibt seine Logik die ungeheuerste, auch ungeheuerlichste Theologisierung an, die das Apriori je erfunden hat;der Mensch denkt in der Dialektik der reinen Vernunftbegriffe die fließenden Gedanken Gottes vor der Erschaffung der Welt.“ (S. 161)
„Hegels Logik hat die Denkformen ihrer Zeit in drei Teilen gedacht: im Buch vom Sein, im Buch vom Wesen, im Buch vom Begriff. Diese drei Teile entsprechen den drei Hauptgliedern der Dialektik: dem unmittelbaren Ansich, dem Außersich (der Beziehung auf Anderes), dem Fürsich (dem im Anderen mit sich selbst Identischen). Die drei Teile sind wieder dialektisch untergliedert, bis in die letzten Einheiten oder Verästelungen der Bestimmung.“ (S. 163 f.)
„DieWirklichkeitist die Einheit des Wesens und der Erscheinung, ihre >absoluten< Verhältnisse sind Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung: >Der Regen ist Ur-sache der Feuchtigkeit, welche seine Wirkung ist; der Regen macht naß, dies ist ein analytischer Satz; dasselbe Wasser, was der Regen ist, ist die Feuchtigkeit. Wenn die Bewegung eines Körpers als Wirkung betrachtet wird, so ist die Ursache derselben eine stoßende Kraft; aber es ist dasselbe Quantum der Bewegung, das vor und nach dem Stoß vorhanden ist.<“ (Hegel, in: Bloch S. 175)
„Das Ansich der Idee, als das Hegels Logik insgesamt dasteht, hat derart den Weltplan beendet, ihn im Kreislauf beschrieben und zurückgelegt. Die Kategoriensammlung der geschichtlich entwickelten menschlichen Vernunft ist damit auf das Unvordenkliche eines Welt-Alpha zurückdatiert; hierin haben sie freilich, in einem ganzen Vor-Kosmos aus Apriori, ungestörten Platz.“ (Bloch S. 128)
Merke: HegelsWissenschaft der Logikist im Grunde keine Logik, sondern eine Ontologie, eine Lehre vom Sein.
Zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
Hegel:
„Die Erkenntnis des Geistes ist die konkreteste, darum höchste und schwerste.Erkenne dich selbst, dies absolute Gebot hat weder an sich noch da, wo es geschichtlich als ausgesprochen vorkommt, die Bedeutung nur einerSelbsterkenntnisnach denpartikulärenFähigkeiten, Charakter, Neigungen und Schwächen des Individuums, sondern die Bedeu- deutung der Erkenntnis des Wahrhaften des Menschen wie des Wahrhaften an und für sich, - desWesensselbst als Geistes. Ebensowenig hat die Philosophie des Geistes die Bedeutung der sogenanntenMenschenkenntnis, welche von anderen Menschen gleichfalls dieBesonderheiten, Leidenschaften, Schwächen, diese sogenannten Falten des mensch-lichen Herzens zu erforschen bemüht ist - eine Kenntnis, die teils nur unter Vorausset-zung der Erkenntnis desAllgemeinen, desMenschen und damit wesentlich des Geistes Sinn hat, teils sich mit den zufälligen, unbedeutenden,unwahrenExistenzen des Geistigen beschäftigt, aber zumSubstantiellen', dem Geiste selbst, nicht dringt.“ ('Enzyklopädie...' § 377)
„Nur wenn wir den Geist in dem geschilderten Prozeß der Selbstverwirklichung seines Begriffs betrachten, erkennen wir ihn in seiner Wahrheit (denn Wahrheit heißt eben Übereinstimmung des Begriffs mit seiner Wirklichkeit).“ (a.a.O. § 379, Zusatz)
Bloch:
„Von Haus aus war Hegels Denken mit großer Welt geladen. Und sie war ihm, wie sehr es auch jagend darin herging, nie eine offene. Sie rundet sich vielmehr logisch, indem >das rückwärts gehende Begründen des Anfangs und das vorwärts gehende Weiterbestimmen desselben ineinanderfällt und dasselbe ist.< (V, S. 350). Das Ganze der Logik und Realphilosophie zusammen bildet derart ein aus lauter Rückannäherungen bestehendes und sie haltendes, formendes System. Seine Darstellung gibt die >Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundriß<. Es ist eine komprimierte Darstellung, auch streckenweise allzu komprimierte: >Als Enzyklopädie wird die Wissenschaft nicht in der ausführlichen Entwicklung ihrer Besonderung dargestellt, sondern ist auf die Anfänge und Grundbegriffe der besonderen Wissenschaften zu beschränken< (Enz. § 16).“ (a.a.O. S. 183)
„Hegel ging überall zäh und breit, gründlich entwickelnd, lehrhaft vor. Er war kein Denker der raschen Einfälle, ... . Der eigentlicherkenntnistheoretischeStachel, der durch Hume und Kant nicht erst ausgebildete, aber außerordentlich geschärfte, war Hegel fremd. Jeder durch Hume, gar Kant geprüfte Leser wird darüber erstaunt sein, wie erst der durch die Finessen des verflossenen Neukantianismus hindurchgegangene.“ (S. 187)
„Die Welt hat in sich gar keinen Standpunkt, von dem aus sie sich gegen den erken-nenden Geist stellen könnte, gar kein Material, das ein Anderes wäre als >verwirklichter, manifest gewordener Begriff<. Daher eben jener allerhöchste erkenntnistheoretische Optimismus, dieObjektseitebetreffend, mit dem Hegels Berliner Antrittsvorlesung schließt, mit der seine Enzyklopädie eröffnet wird.“ (S. 195)
„Die Wurzel des Cogito ergo sum, schließlich der Kantischen synthetischen Formkraft a priori blieb zwar, doch so, daß außer dem Konstruierten immer das Gegenständliche gegenwärtig blieb, ja besonders gegenwärtig wurde. Das ergibt nun, an diesem Punkt, eine äußerst wichtige Berührung der Hegelschen Realphilosophie mit einer Lehre, die weit vor Kant liegt, und die vom transzendentalen Idealismus in Grund und Boden verachtet wurde. Es ist die Lehre der Abbildtheorie, dergestalt daß ein Gedanke dann als wahr bezeichnet wird, wenn er seinen Gegenstand und das in ihm bezeichnete Objekt möglichst treu abbildet, oder, in begrifflich kultivierterer Fassung: wenn eine wissen-schaftlich durchbestimmte, auf ihren Begriff geschärfte Vorstellung mit ihrem Gegenstand übereinstimmt. Thomas hatte so das Kriterium der Wahrheit als >adaequatio ad rem< bezeichnet, . .“ (S. 197)
Hegel:
„Wie von einer Philosophie nicht eine vorläufige allgemeine Vorstellung gegeben werden kann, denn nur dasGanzeder Wissenschaft ist die Darstellung der Idee, so kann ihreEinstellungnur erst aus dieser begriffen werden; sie ist, wie diese, aus der sie zu nehmen ist, etwas Antizipiertes. Die Idee aber erweist sich als das schlechthin mit sich identische
Denken und dies zugleich als die Tätigkeit, sich selbst, um für sich zu sein, sich gegenüber zu stellen und in diesem anderen nur bei sich selbst zu sein.“ (S. 202)
An den Schluss derEnzyklopädie... setzt Hegel ein Zitat ausAristoteles Metaphysik XII7, wonach die Vernunft und das Gedachte identisch seien, wobei in ihnen „Göttliches“ enthalten sei, und zwar in solchem Maße, dass „die Spekulation ... das angenehmste und Beste“ sei, während dieTätigkeitder Gottheit „ihr bestes und ewiges Leben“ sei.
Zur Philosophie der Natur
Hegel:
„Die Natur tritt nur in dem Verhältnis zum Menschen, nicht für sich in das Verhältnis
zu Gott, denn die Natur ist nicht Wissen.
Gott ist der Geist; die Natur weiß nicht vom Geist.
Sie ist von Gott geschaffen, aber sie tritt nicht von sich aus in das Verhältnis zu Gott, in dem Sinne, daß sie nicht wissend ist.
Sie ist nur im Verhältnis zum Menschen; in diesem Verhältnis des Menschen ist sie das, was die Seite seiner Abhängigkeit heißt.
Insofern sie vom Denken erkannt wird, daß sie von Gott geschaffen, Verstand, Vernunft in ihr ist, wird sie vom denkenden Menschen gewußt; insofern wird sie in Verhältnis zum Göttlichen gesetzt, indem ihre Wahrheit erkannt wird.“31
Bloch:
„Es ist gewiß unmöglich, die Natur, die dem Geist seine Basis ist, von der Spitze her aufzubauen und das Dach zur Basis zu machen. Aber es ist ebenso unmöglich, bei einer mechanischen Basis mechanistisch-undialektisch zu verharren, so dass man Haus, aufsteigende Treppen, Dach überhaupt nicht mehr sehen will noch begreift. Solche aufsteigende Baubewegung gibt es auch in der Natur, es ist nicht wahr, daß sie ohne qualifizierende Verwandlung und ohne Bildwerk steht. Die mechanistisch-quantitative
Erstarrung, woran die Natur bei den undialektischen Materialisten leidet, findet also in Hegels Naturphilosophie einen Feind und eine Sonne.“ (207)
„Auch Dialektik der Natur beginnt mechanisch, aber sie friert diesen Beginn nicht ein, sie verabsolutiert ihn nicht; auch Dialektik setzt keine qualitativen Naturbestimmun-gen voraus, aber nur deshalb nicht, weil sie diese Bestimmungen in ihrem Fortgang setzt und sich den qualitativen Natursektor durch totale Betriebsmechanik nicht versperren läßt. Insgesamt also fällt Hegels dialektisch-qualitative Naturphilosophie in ihren skurrilen
Ausführungen ebenso weit hinter den Gewinn der Mechanik: die großartige Partialität der bisherigen mathematischen Naturwissenschaft, zurück, wie sie in ihrem Prinzip über diese hinausgeht.“ (215)
„Die Dinge denken nicht, also müssen sie gedacht werden: [Hegel:] >Dies ist nun die Bestimmung und der Zweck der Naturphilosophie, daß der Geist sein eigenes Wesen, das ist, den Begriff, in der Natur, sein Gegenbild in ihr finde. Es ist dies ebenso die Befreiung der Natur; sie ist an sich die Vernunft, aber erst durch den Geist tritt diese als solche aus sich heraus in die Existenz. Der Geist hat die Gewißheit, die Adam hatte, als er Eva erblickte: >Dies ist Fleisch von meinem Fleisch; dies ist Gebein von meinem Gebein.< So ist die Natur die Braut, mit der der Geist sich vermählt< (Enz. § 246 Zusatz .).“ (S. 216)
„Die Zeit ist keine Form der Anschauung, ebensowenig wie der Raum, sondern sie ist das objektive Werden selbst. Die Zeit hat bei dem Philosophen der Bewegung den Primat vor dem Raum; auch bei ankommender Bewegung gilt nicht, wie es im Parsifal und vor Gralsburgen heißt: zum Raum ward hier die Zeit, sondern stets geht der Raum dialektisch in die Zeit über:
[Hegel:] >In der Zeit, sagt man, entsteht und vergeht alles; wenn von allem, nämlich der Erfüllung der Zeit, ebenso von der Erfüllung des Raums, abstrahiert wird, so bleibt die leere Zeit, wie der leere Raum übrig: das ist, es sind dann diese Abstraktionen der Äußer-lichkeit gesetzt und vorgestellt, als ob sie für sich wären. Aber nicht in der Zeit entsteht und vergeht alles, sondern die Zeit selbst ist dies Werden, Entstehen und Vergehen, das seiende
Abstrahieren, der alles gebärende und seine Geburten zerstörende Chronos< (Enz. § 258, ...). (S. 219)
>Der Raum ist die unmittelbar da seiende Quantität, worin alles bestehen bleibt, selbst die Grenze die Weise eines Bestehens hat; das ist der Mangel des Raums. Da der Raum also nur diese innere Negation seiner selbst ist, so ist das Sich-Aufheben seiner Momente seine Wahrheit; die Zeit ist nun aber das Dasein dieses beständigen Sich-Aufhebens; ... sie ist die Negation der Negation, die sich auf sich beziehende Negation ... Die Wahrheit des Raums ist die Zeit, so wird der Raum zur Zeit, . der Raum selbst geht über< (Enz. § 257 .). (S. 219)
Bloch: „Hegel lehnte zwar die Atomistik ab, weil mit ihr nur Zusammensetzung (mechanische Einigung äußerlicher Art), nicht Verbindung begriffen werden könne: [Hegel:] >Alles Leben-dige, Geistige usf. ist so nur zusammengesetzt, und die Veränderung, Erzeugung, Schaffung ist daher bloß Vereinigung ., die Vereinigten bleiben einander äußerlich, das Band ist äußerlich.< Aber er preist die Atomistik insofern, als sie dieEntstehung der Welt aus der Welt selbsthabe ergreifen lassen und nicht aus einem der Welt fremden Wesen.“ (S. 221)
Bloch: „Das Leben ist nicht nach Analogie einer Maschine denkbar; denn es hebt an als Selbstbewegung und partielle Selbstbestimmung. Blut ist >das Subjekt, das, so gut als der Wille, eine Bewegung anfängt<. Die Ursache dazu ist das Leben selbst, in seinem besonderen Saft: >Das Blut, als die achsendrehende, sich um sich selbst jagende Bewegung, dies absolute In-Sich-Erzittern, ist das individuelle Leben des Ganzen, - die animalische Zeit . Dies ist der große innere Kreislauf der Individualität, dessen Mitte das Blut ist, das irritable Zusammenfassen von allem in die innere Einheit . Dies Pulsieren des Bluts bleibt die Hauptbestimmung; dieser Kreislauf ist der Lebenspunkt, wo keine mechanischen Erklärungen des Verstands helfen< (Enz. § 354 Zusatz .).“ (S. 223)
>Die Natur als solche kommt in ihrer Selbstverinnerlichung nicht zu diesem Fürsichsein, zum Bewußtsein ihrer selbst .< (Enz. § 381 Zusatz .) (S. 224)
>Der Geist ist als die Wahrheit der Natur geworden . Der gewordene Geist hat daher den Sinn, daß die Natur an ihr selbst als das Unwahre sich aufhebt . Der Geist ist die existierende Wahrheit der Materie, daß die Materie selbst keine Wahrheit hat< (Enz. §§ 388, 389 ...). (S. 224))
Bloch: „Hegel will, wie alle verfestigten Gegensätze, so auch die zwischen Leib und Seele aufheben. Mit Aristoteles, dem er in der Psychologie überhaupt eng nachfolgt, ist ihm die Seele die Entelechie des Leibs. Als solche ist sie alle leiblichen Funktionen übergreifend: [Hegel:] >Das Auseinander-Bestehen der Räumlichkeit hat für die Seele keine Wahrheit; sie ist einfach, feiner als ein Punkt. Man hat sich Mühe gegeben, die Seele zu finden; dies ist aber ein Widerspruch. Es sind Millionen Punkte, in denen überall die Seele gegenwärtig ist; aber doch ist sie nicht an einem Punkte, weil das Auseinander des Raums eben keine Wahrheit für sie hat. Dieser Punkt der Subjektivität ist festzuhalten; die anderen sind nur Prädikate des Lebens< (Enz. § 350 Zusatz.)
Bloch: „Erst das Ich ist ein gediehenes psychisches Subjekt, ist >der durch die Natur-seele schlagende und ihre Natürlichkeit verzehrende Blitz<. Der Durchgang von der Seele zum >freien Geist< geschieht durch das Bewußtsein des Ich, durch Selbst-bewußtsein; der Geist ist die Einheit der Seele und des Bewußtseins.“ (S. 225)
In seinerJenenser Naturphilosophie(ca. 1804) schreibt Hegel zu Beginn:
„Die Natur ist der sich auf sich selbst beziehende absolute Geist. Da die Idee des absoluten Geistes erkannt worden ist, so wird auch dies Aufsichselbst als eine Bestimmt-heit, und der so auf sichselbstbeziehende Geist als ein Moment des realen absoluten Geistes erkannt.“32
Dass hier Dialektik im Spiel ist, steht außer Zweifel; denn Natur und „absoluter Geist“, zwei scheinbar sich ausschließende Faktoren, erscheinen hier in wechselseitiger Abhängigkeit. Ähnlich im Folgenden:
„Die Natur, bestimmt als das Andere, hat ihr Leben an einem andern als am Leben selbst, und dies andere, als das Leben selbst ist, sind seine idealen Momente, seine Analyse gegen seine Totalität; seine Momente sind selbst lebendig, . .“ (a.a.O. S. 189)
Die Natur lebt, aber „als das Andere“, d.h. in ihrer Analyse als Leben und zugleich als „Totalität“ in den „idealen Momenten“ des Anderen, die selbst dennoch das Lebendige der Natur ausmachen.
Auch dies ist zweifellos eine raffinierte Dialektik, deren Hintergrund in der folgenden Feststellung erst recht deutlich wird, wo Hegel bemerkt:
„Der metaphysische Prozeß des Lebens ist zuerst das sich selbsterhaltende Leben, (die Güte Gottes), es ist seine eigene Idee, oder vielmehr es ist nur als Begriff des Lebens, und seine Realität ist diese, daß es, das die Totalität ist, an einem Andern ist, und dieses sind seine ideellen Momente.“ (a.a.O. S. 189 f.)
Genauer: „Das formale Leben, was man die Güte Gottes nennt, ist überhaupt es als ein sichselbstgleiches, das gleichgültig gegen die Bestimmtheit ist, das Allgemeine, und es ist dies gleichgültige, gemeinschaftliche in Beziehung auf die Vielheit. Als sichselbst-gleiches ist es Qualität überhaupt; die Beziehung auf Vieles, das ihm ein anderes überhaupt ist, ist eine ihm absolut fremde, ihm völlig gleichgültige. Es ist Qualität überhaupt, die wie die reine Qualität unbeschränkbar, positive Einheit, ... .“ (a.a.O. S. 190)
Hier verbindet sichDialektikeindeutig mitQualitätund bestätigt insofern Blochs Bezeichnung ,dialektisch-qualitativ‘ für Hegels Naturphilosophie. Darüber hinaus gibt Hegel zu erkennen, was er mit dem Absoluten in Bezug auf das Leben und die Natur meint: „die Güte Gottes“, durch die das Leben sich erhält, und zwar - gemäß christlichem Glauben - nur in Gott sogar über den Tod hinaus! Dies wohl als „Konkretion“ dessen, was Hegel unter den „ideellen Momenten“ der Natur versteht. So auch, wenn er erklärt:
„Die Natur ist gesetzt nur als Begriff, indem die idealen Momente der Idee als wesentlich, und das Leben nur als ideales Moment dieser Wesentlichkeiten, und nur das gemeinschaftliche derselben ist.“ (S. 194)
Durch all dies erklärt sich auch die „Ungeschichtlichkeit“ von Hegels Naturbegriff.
Zur Geschichtsphilosophie
Hegel:
„Erstens sehen wir in der Geschichte Ingredienzien, Naturbedingungen, die von dem Begriff entfernt liegen, mannigfache menschliche Willkür, äußerliche Notwendigkeit. Andererseits stellen wir alledem den Gedanken einer höheren Notwendigkeit, einer ewigen Gerechtigkeit und Liebe gegenüber, den absoluten Endzweck, der Wahrheit an und für sich ist. Dieses Entgegengesetzte beruht auf den abstrakten Elementen im Ge-gensatze des
natürlichen Seins, auf der Freiheit und Notwendigkeit des Begriffs. Es ist ein Gegensatz, der uns in vielfacher Gestalt interessiert, und der auch in der Idee der Weltgeschichte unser Interesse beschäftigt. Ihn in der Weltgeschichte als an und für sich gelöst aufzuzeigen, ist unser Zweck.“ (Hegel 1955, S. 26 f.)
„Das Vernünftige ist das an und für sich Seiende, wodurch alles seinen Wert hat. ... Daß in den Begebenheiten der Völker ein letzter Zweck das Herrschende, daß Vernunft in der Weltgeschichte ist, - nicht die Vernunft eines besondern Subjekt, sondern die göttliche, absolute Vernunft, - ist eine Wahrheit, die wir voraussetzen; ihr Beweis ist die Abhandlung der Weltgeschichte selbst: sie ist das Bild und die Tat der Vernunft.“ (a.a.O. S. 29)
„Die Geschichte hat vor sich den konkretesten Gegenstand, der alle verschiedenen Seiten der Existenz in sich zusammenfaßt; ihr Individuum ist der Weltgeist.“ (a.a.O. S. 33)
„Der W e l t g e i s t ist der Geist der Welt, wie er sich im menschlichen Bewußtsein expliziert; die Menschen verhalten sich zu diesem als Einzelne zu dem Ganzen, das ihre Substanz ist. Und dieser Weltgeist ist gemäß dem göttlichen Geiste, welcher der absolute Geist ist. Insofern Gott allgegenwärtig ist, ist er bei jedem Menschen, erscheint im Bewußtsein eines jeden; und dies ist der Weltgeist. Der besondere Geist eines besonderen Volkes kann untergehen; aber er ist ein Glied in der Kette des Ganges des Weltgeistes, und dieser allgemeine Geist kann nicht untergehen.“ (a.a.O. S. 60)
Bloch:
„Hegel spricht einmal vom >Siebenmeilenstiefel des Begriffs<, wodurch die Gedankenreise besonders rasch vorankomme, zum Unterschied von der Reise der Wirklichkeit: >Wozu der Weltgeist hundert und tausend Jahre braucht, das machen wir schneller, weil wir den Vorteil haben, daß es eine Vergangenheit und in der Abstraktion geschieht< (XV, S. 96). Mit erhabener Eile, mit einer, die völlig verwandt an Cäsars Gewaltmärsche und Eroberungen erinnert, wird in Hegels Geschichtsphilosophie der Weg von China, Indien, Persien, Ägypten zur griechischen Welt, zum Römerreich, zu den germanisch- 29 europäischen Staaten des Mittelalters und der Neuzeit durchfahren, der Lauf der Geschichtssonne von Ost nach West.“ (Bloch 1962, S. 230)
„Die Geschichte fällt selber das letzte Urteil über die Staaten, als deren >höherer Prae-tor<, wie Hegel sagt, aber dieses Urteil ist ebenso längst ergangen, es steht nicht etwa aus. So kann Geschichte, als die dialektische Synthesis des inneren und äußeren Staatsrechts, die Rechtsphilosophie abschließen, sie füllt den Raum, der der Disposition nach vom Völkerrecht oder Staatenbund bewohnt sein sollte, das nach Hegel selber nichts als ein machtloses Sollen ist. Eine künftige Geschichte, als wahrhaft >höherer Praetor<, ein noch unverwirklichtes Weltgericht kommt deshalb nicht vor; ... .“ (a.a.O. S. 233)
„Viel dialektischer, also auch folgenreicher als die Volksgeister ist ein anderer Grundbegriff der Hegelschen Geschichte, obzwar er ebenfalls vom >Weltgeist< herkommt: dieList der Vernunft. Unter ihr versteht Hegel, daß die großen, das heißt, geschichts-bildenden Individuen zwar jeweils ihre eigenen Absichten zu verfolgen scheinen, in Wahrheit aber weit allgemeinere durchführen. Individuelle Leidenschaft ist unum-gänglich, >nichts Großes in der Welt ist ohne Leidenschaft vollbracht worden<, sagt Hegel mit Diderot, doch diese Leidenschaft führt mit ihren besonderen Zwecken nur durch, was jeweils auf der Tagesordnung der Geschichte steht: >Die Individuen holen dem Weltgeist die Kastanien aus dem Feuer.<“ (S. 234)
Bloch betont, auch in der „List der Vernunft“ gehe es letztlich um die Durchsetzung vonFreiheit: „Das wahre Thema von Hegels Flußlehre steckt nicht in dem >Glanze der Idee, die sich in der Weltgeschichte spiegelt<; ist doch die wirkliche Geschichte, auch die wirkliche bei Hegel, viel zu kataraktisch, um Spiegelbilder zu gewähren, und viel zu interessehaft für eine Geschichte von reinen Ideen. Es sei denn, daß die eine Idee hindurch-gehe, die zugleich das menschenähnlichste Interesse ist, und die Hegel eben zum Leit-gedanken seiner geschichtlichen Dialektik macht: >Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit.< Hegel ist hierbei in den Partien, wo seine Geschichtsphilosophie das Werden denkt und nicht die Erinnerung oder bloße Gewordenheit des Werdens, selber der erste Philosoph (mit Vico und Herder als Vorläufern), dem Geschichte sein Organ und nicht eine Verlegenheit ist. So gab sein >Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit< die historische Handhabe gegen das Nichtbewußtsein der vorhandenen Unfreiheit oder Selbst-entfremdung. Dergestalt daß Geschichte als Dialektik doch um 1830 nicht anhält, vielmehr nach Hegels Tod, in der 30
Marxschen Dialektik erst praktisch wird und statt des Endes der Geschichte wirklichen Anfang mit ihr macht.“ Der >Fortschritt<ist auch für Hegel nicht Weitergleiten, sondern vermittelter Abbruch und Sprung.“ (S. 236 f.)
Dem entspricht voll und ganz HegelsUnterscheidung zwischen Natur und Geschichte, deren bereits zitierten Anfang ich hier wiederhole:
>Die Veränderungen in der Natur, so unendlich mannigfaltig sie sind, zeigen nur einen Kreislauf, der sich immer wiederholt; in der Natur geschieht nichts Neues unter der Sonne...< Und Hegel fährt hier fort: >Nur in den Veränderungen, die auf dem geistigen Boden vorgehen, kommt Neues hervor. Diese Erscheinungen am Geistigen ließen in dem Menschen eine andere Bestimmung überhaupt sehen, . eine Bestimmung, die die Veränderungsfähigkeit, den Trieb der Perfektibilität einschließt. Dieses Prinzip, welches die Veränderung selbst zu einer gesetzlichen macht, ist von den Religionen wie der katholischen, ingleichen von den Staaten, als welche statarisch oder wenigstens stabil zu sein als ihr wehrhaftes Recht behaupten, übel aufgenommen worden.<
(a.a.O. S. 238)
(Eine Stelle, von der Bloch sich übrigens überrascht zeigt: Der „sonst so zyklische Denker“ lehne hier „den Kreis als der Geschichte unwürdig“ ab; es sei „eine Stelle voll des echtesten historischen (nicht antiquarischen) Bewußtseins“.) (ebd.) Dabei trifft Ähnliches auf die folgenden enthusiastischen Äußerungen Hegels zurFranzösischen Revolutionzu, die Bloch einleitet mit der Ankündigung: „Hegel, der sogenannte preußische Staatsphilosoph, und die Französische Revolution“:
>Der Gedanke, der Begriff des Rechts machte sich nun aber mit einem Male geltend, und dagegen konnte das alte Gerüste des Unrechts keinen Widerstand leisten. Im Gedanken des Rechts ist also jetzt eine Verfassung errichtet worden, und auf diesem Grunde sollte nunmehr alles basiert sein. Solange die Sonne am Firmament steht und die Planeten um sie kreisen, war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, das ist, auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem erbaut. Anaxagoras hatte zuerst gesagt, daß der Nus die Welt regiert; nun aber erst ist der Mensch dazu gekommen, dass der Gedanke die geistige Wirklichkeit regieren solle. Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Eine erhabene Rührung hat in jener Zeit geherrscht, ein Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durchschauert, als sei es zur wirklichen Versöhnung des Göttlichen mit der Welt nun erst gekommen.< (a.a.O. S. 241 f.)
Bloch beendet wenig später das Kapitel über Hegels Philosophie der Geschichte, nicht ohne zuvor dessen Bedenken hinsichtlich des stets möglichenMissbrauchs von Freiheitzu referieren: >Man muß, wenn von Freiheit gesprochen wird, immer wohl achtgeben, ob es nicht eigentlich Privatinteressen sind, von denen gesprochen wird.< (S. 243) Und als Plädoyer „für vermitteltes Handeln, aber ohne historische Maskerade des Neuen“ zitiert Bloch Hegel:
>Was die Erfahrung und die Geschichte lehren, ist dieses, daß Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus denselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt hätten. Jede Zeit hat so eigentümliche Umstände, ist ein so individueller Zustand, daß in ihm aus ihm allein entschieden werden kann. Im Gedränge der Weltbegebenheiten hilft nicht ein allgemeiner Grundsatz, nicht das Erinnern an ähnliche Verhältnisse, denn so etwas wie eine fahle Erinnerung hat keine Kraft gegen die Lebendigkeit und Freiheit der Gegenwart.< (S. 243)
Wobei nicht zu vergessen ist, dass Hegel andernorts Freiheit und Notwendigkeit gleichsetzt:
„ ... die absolute Notwendigkeit ist und enthält an ihr selbst dieFreiheit“, erklärt er in seinenVorlesungen über die Philosophie der Religion.3334Mit anderen Worten:Freiwillig tun die Menschen, was sie für notwendig halten, oder auch: Sie tun das, was sie glauben, tun zu können und zu müssen.
Im letzten Abschnitt des Kapitels schreibt Bloch:
„Das Wissen, das über die Stockungen in der Geschichte hinaussieht:
>Nur der Unwissende ist beschränkt, denn er weiß nicht von seiner Schranke; wer dagegen von der Schranke weiß, der weiß von ihr nicht als von einer Schranke seines Wissens, sondern als von einem Gewußten, als von einem zu seinem Wissen Gehörenden .; von seiner Schranke wissen heißt daher, von seiner Unbeschränktheit wissen< (Enz. § 386 Zusatz .). -
Die Schranke in der Geschichte (Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit) ist vor allem die Klassenschranke und die ihr entsprechende Ideologie. In Übergangszeiten von einer Gesellschaft zur anderen ist diese Schranke in jenem Teil der Gesellschaft, der beendet ist und von dem übergegangen wird, formidabel und borniert zugleich. >Aber der Verstand<, fährt Hegel bei
Gelegenheit der Schranke wahrhaft historisch, wahrhaft prozeßhaft fort, >der Verstand hat Unrecht, diese Endlichkeit als eine starre zu betrachten.<“ (S. 244)
Umso mehr gilt es, sich auch überHegels Ansichten zum Thema ,Krieg und Frieden ‘Klarheit zu verschaffen. In einer Verlautbarung der Uni Tübingen heißt es hierzu:
„Für HEGEL ist die Geschichte, wie sie sich tatsächlich ereignet hat, ein bevorzugter Gegenstand philosophischen Denkens. >Die Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken ge- fasst.< In dieser Sicht entwickelte HEGEL eine Philosophie des Krieges, die wir heute, nach den Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts, als erschreckend bezeichnen müssen. Der Krieg hat für HEGEL, in einem oft zitierten Text, „die höhere Bedeutung,
dass durch ihn ... die sittliche Gesundheit der Völker ... erhalten wird, wie die Bewegung der Winde die See vor der Fäulnis bewahrt, in welche sie die dauernde Ruhe, wie die Völker ein dauernder oder gar ewiger Friede versetzen würde“35. .Im Zusatz zu diesem Paragraphen bezeichnet HEGEL den Frieden als ein „Versumpfen der Menschen“ (Werke, Bd. 8 [Berlin 1833], 419).“
Der Krieg befördert demzufolge „die sittliche Gesundheit der Völker“, wohingegen dauernder Frieden zu „Fäulnis“ und „Versumpfen der Menschen“ führe. - Ein kaum noch erträgliches Statement, das Bloch anscheinendnichtthematisiert oder auch nur erwähnt.
Dagegen erwähnt er durchaus auch Hegels Begriff derVersöhnung, so im folgenden Zitat aus § 360 der HegelschenRechtsphilosophie:
„(Hegel:) > . Die Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Willkür, und die Wahrheit hat ihr Jenseits und ihre zufällige Gestalt abgestreift, so daß die wahrhafteVersöhnungobjektiv geworden, welche den Staat zum Bild und zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet.<“ (Bloch a.a.O. S. 271, Hervorhebung KR.)
Die „Liste der Vernunft“ verkommt also nicht zum Selbstzweck, denn in der Geschichte gibt es auch die ,Versöhnung‘, einen Begriff, den Hegel sogar mit dem des „absoluten Geistes“ ver-bindet, indem er feststellt:
>Das Wort der Versöhnung ist derdaseiendeGeist, der das reine Wissen seiner selbst alsallgemeinenWesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen seiner als der absolut sich seiendenEinzelheitanschaut, - ein gegenseitiges Anerkennen, welches derabsoluteGeist ist.< (Hegel 1970, S. 493)
Konkret und als Aufhebung der durch brutales Vorgehen verursachten „Entzweiung“:
>In der Verzeihung sahen wir aber, wie diese Härte von sich selbst abläßt und sich entäußert. ...
Diese Versöhnung des Bewußtseins mit dem Selbstbewußtsein zeigt sich hiermit von der gedoppelten Seite zustande gebracht: das eine Mal im religiösen Geiste, das andere Mal im Bewußtsein selbst als solchem. Sie unterscheiden sich beide so voneinander, dass jene diese Versöhnung in der Form desAnsichseins, diese in der Form desFürsichseins ist.< (Hegel 1970, S. 478 f.)
Wobei dieses Fürsichsein schließlich in das „absolute Wissen“ einmündet, zu dem die Versöhnung gehört.
Zur Rechtsphilosophie
Hegel:
„Wie es ein berühmtes Wort geworden ist, daß eine halbe Philosophie von Gott abführe - und es ist dieselbe Halbheit, die das Erkennen in eine Annäherung zur Wahrheit setzt -, die wahre Philosophie aber zu Gott führe, so ist es dasselbe mit dem Staate.“36
Bloch:
„1. Hegel hält zwar die Geschichte um 1830 an, als geschehende, aber nicht als gesammelte. Er stellt gewisse Schalen auf, in die sie sich ergießt, ja in denen sie aus Most Wein zu werden hat. Den ersten, freilich saueren oder herben Wein geben die Bildungen von Recht und Staat, sie machen die Ordnung des Willens aus. Durch das Recht und seinen sittlichen Bau werden >die Triebe von ihrer subjektiven Willkür befreit<, es entsteht >das vernünftige System der Willensbestimmung<. Der Wille erscheint zuerst als ein individueller an sich oder als noch völlig unbestimmtes Können. Sodann erscheint er als einer der Besonderung, dem ein Anderes auffordernd gegenübertritt, wodurch Neigung, Zweck, Grundsatz entstehen. Sodann erscheint er in der Einheit jener beiden Momente, als bestimmtes Können oder als Entschluß. Dem entspricht der Bau der rechtlich-sittlichen
Ordnung, sie entfaltet sich wieder in drei Momenten. Das erste ist das abstrakteRecht, in ihm bringt Hegel das Privatrecht unter, also Eigentum und Vertrag. Das zweite Moment ist dieMoralität, das ist, das Ganze der moralischen Anforderungen an den einzelnen Menschen oder das Leben der an Anderen reflektierten und beschränkten Privatheit; es ist das Reich der moralischen Handlung. Das dritte Moment ist die Einheit beider oder dieSittlichkeit, das Dasein in Amt, Ehe, Polis. Hierunter versteht Hegel die substantiell gewordene Freiheit des Willens, die konkreten Institute der menschlichen Gemeinschaft: Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat und den gesetzmäßigen Gang der Weltgeschichte.“ (S. 244 f.)
Hegel:
>Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestim-mung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit ... ist.- Die Freiheit ist nämlich ebenso eine Grundbestimmung des Willens, wie die Schwere eine Grundbestimmung der Körper ist< (Rph. § 4 und Zusatz, VIII, S. 34). (S. 260)
>DieSelbstbestimmungdes Willens ist zugleich Moment seines Begriffs, und die Subjektivität nicht nur die Seite seines Daseins, sondern seine eigene Bestimmung. Der moralische Standpunkt ist daher in seiner Gestalt das Recht des subjektiven Willens. Nach diesem Recht anerkennt und ist der Wille nur etwas, insofern es das Seinige, er darin sich als Subjektives ist< (Rph. § 107, VIII, S. 149 f.). (a.a.O. S. 262)
>Was das Subjekt ist, ist dieReihe seiner Handlungen. Sind diese eine Reihe wertloser Produktionen, so ist die Subjektivität des Wollens ebenso eine wertlose; ist dagegen die Reihe seiner Taten substantieller Natur, so ist es auch der innere Wille des Individuums< (Rph. § 124, VIII, S. 166). (a.a.O. ebd.)
>Im Moralischen verhält sich der Wille noch zu dem, was an sich ist . Das Sollen, welches daher noch in der Moralität ist, ist daher erst in der Sittlichkeit erreicht . Wenn das Gute auch im subjektiven Willen gesetzt wäre, so wäre es damit noch nicht ausgeführt. - Die Subjektivität, welche den Boden der Existenz für den Freiheitsbegriff ausmacht und auf dem moralischen Standpunkt noch im Unterschiede von diesem ihrem Begriff ist, ist im Sittlichen die ihm adäquate Existenz desselben< (Rph. §§ 108 Zusatz ...). (S. 263 f.)
Bloch:
„Zum Unterschied von der bürgerlichen Gesellschaft wird derStaatvon Hegel dargestellt als >die Wirklichkeit dessubstantiellenWillens, die er in dem zu seinerAllgemeinheiterhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat< (Rph. § 258). Sozusagen Träger des Staats ist der aus der höchsten Spitze der Hegelschen Psychologie (.) bekannte >freie Geist<, aber als einer, der gänzlich weiß, was er will, folglich aus dem subjektiven zum objektiven Geist übergegangen ist. Und nicht >das Interesse der Einzelnen als solcher< ist der Staatszweck, folglich auch nicht >die Sicherheit und der Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit< (Rph. § 258). Sondern die Bestimmung (bei Hegel definitio wie destinatio) des Staates ist das >allgemeine Interesse als solches< (Rph. § 270), folglich:
>Diese substantielle Einheit ist absoluter unbewegter Endzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, sowie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staates zu sein. - Bei der Freiheit muß man nicht von der Einzelheit, vom einzelnen Selbstbewußtsein ausgehen, sondern nur vom Wesen des Selbstbewußtseins; denn der Mensch mag es wissen oder nicht, dies Wesen realisiert sich als selbständige Gestalt, in der die einzelnen Individuen nur Momente sind . Sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirk-lichenden Vernunft< (Rph. § 258 und Zusatz .)“ (a.a.O. S. 267)
Bloch:
Es müsse „immer wieder festgehalten werden, daß bei Hegel, von seiner Hölderlinzeit her, die Idee des Staats sich mit der >griechischen Staatsidee< berührt. Diese hatte die hauptsächliche Ideologie für die bürgerliche Emanzipation von 1789, für den Citoyen, abgegeben; sie machte sich unter der deutschen reaktionären Decke, auch unter der Hegels, weiter geltend. Die Polis des Aristides und des Perikles war also Hegels letzt-hinniges Vorbild, mit der Deckung von Mensch-Sein und Bürger-Sein, von privater und öffentlicher Existenz: . .“ (S. 268)
Dennoch: „Der Staat darf nicht mir der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt werden, das ist, mit den bloßen Anstalten zum Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit. Sondern als die Wirklichkeit des substantiell, des allgemein gewordenen Willens erhebt er sich über das laissez faire, laissez aller, worin das losgelassene bürgerliche Individuum seine Geschäfte betreibt. Er wird definiert als >objektiver Geist<; darin verhält sich das Selbstbewußtsein zum Anderen nicht mehr negativ selbstisch, sondern wird allgemeines oder vernünftiges Selbstbewußtsein. So kommt Hegel zu der reichhaltigst einpackenden Definition: >Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vemünftige< (...). Das staatshaft Vernünftige ist zugleich dasselbe wie die höchste politische Freiheit, in Hegels Auffassung. Es ist dasselbe wie die nicht mehr freche, nicht mehr einsame, wie die substantiell gewordene Freiheit: >Darin, daß es Bürger eines guten (!) Staates ist, kommt erst das Individuum zu seinem Recht< (.).“ (S. 245)
zur Ästhetik
Bloch:
„Das Sein fängt hier anschauend damit an, für sich zu werden. Leben jenseits der Arbeit heißt Muße. In ihr wohnen die Musen, die ersten Trösterinnen des bei Hegel nun beginnenden Fürsichsein des Geistes. Das Tor zum >absoluten Geist<, das der Heimkehrende zuerst erreicht, führt die Aufschrift: Schönheit. Das Schöne ist die Idee in der Schicht der Anschauung, das Scheinen der Idee durch ein sinnliches Medium (Stein, Farbe, Ton, Wort), in der Form begrenzter Erscheinung.“ (S. 274)
„Die sinnliche Erscheinung ist aufs Endliche bezogen. Also hat die durch diese Anschauung gesehene Idee für Hegel nur in Endlichkeiten ihren Boden. Sie ist nicht mehr ins Endliche verstrickt, wie Recht, Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat, aber sie ist des Endlichen auch nicht ledig. Die Schönheit erscheint vielmehr nur in ihm, das geformte Sinnliche ist für das geistige Licht durchlässig. Dieser dem farbigen Abglanz, Durchglanz zugewandte Bezug verbindet Hegel mit dem Neuplatoniker Plotin, bei dem der Terminus sinnliches Scheinen der Idee zuerst Platz griff. In der Ästhetik wurde Plotin und nicht der die sinnliche Erscheinung verachtende Platon Hegels Lehrer.“ (S. 277)
„So lehrt Hegel keine Form-, sondern eine Inhalts-Ästhetik; . .“ (S. 275)
„So ist die Naturschwärmerei des achtzehnten Jahrhunderts vorüber, Hegel zeigt sich auch in diesem Punkt als Lokalpatriot der Kultur. Ästhetisch liegt ihm das Naturschöne oft als nur läppisch, noch öfter als unheimlich da; der bacchantische Gott, der vor den Toren der Stadt haust, ängstigt den Sucher Apollos verstärkt. So sieht Hegel weite Strecken ums Naturschöne, ja auch in ihm mehr, wie es Hieronymus Bosch als wie es Raffael sah; und auch das Häßliche wird erstaunlicherweise erst bei einem Hegelianer wie Rosenkranz, nicht bei dem Meister selbst eine ästhetische, sich gerade durch Dissonanz empfehlende Kategorie. Weiter ist das Naturschöne bei Hegel nicht symbolisch, wie bei Novalis, nicht eine Chiffre für ein auch in der Kultur noch nicht Hellgewordenes. Symbolisch ist für Hegel einzig die Architektur, und in den Kunstwerken der Kultur ist ihm jeder Kristall, jede Pflanze, jeder weibliche Leib bereits völlig hell geworden, besser als an der natürlichen Stelle.“ (S. 278)
„Derselbe Philosoph, der als Logiker zäh und bleich das Schattenleben der Begriffe mitmachte, gibt sich in seiner Ästhetik als die konkreteste künstlerische Erfahrung, als lauter Vermählung mit diesem Inhalt. Hier spricht kein Denker, der nebenbei für Bilder, Statuen, Schauspiele empfänglich ist; er spricht nicht, von diesem Parkettsitz oder auch Kanapee her,überKunst. Sondern nahezu ein latenter Maler, Plastiker, Dramatiker tritt selber unter seinesgleichen auf,mitten in der Kunst, in ihr vorhanden und lebendig. Spricht ihre Sprache, spricht Kunst im Medium des Begriffs, aber, wohlverstanden, Kunst alsErscheinung, nicht als Begriff. Daß das Kunstwerk sinnliches Scheinen ist, ist für Hegel ebenso wichtig wie die spezifische Idee, die darin erscheint. Jede Trennung dieser beiden Momente macht beide zu einer Äußerlichkeit. >Denn das Kunstwerk soll einen Inhalt nicht in seiner Allgemeinheit als solcher, sondern diese Allgemeinheit schlechthin individualisiert, sinnlich vereinzelt vor die Anschauung stellen. .. .< ...“ (S. 279 f.)
Hegel:
>Die Dichtkunst ist die allgemeine Kunst des in sich freigewordenen, nicht in das äußerlich sinnlich Material gebundenen Geistes, der nur im inneren Raume und der inneren Zeit der Vorstellungen und Empfindungen sich ergeht< (.). (a.a.O. S. 281)
Bloch:
„Hegels Ästhetik ist derart wesentlich nach der Poesie hin ausgerichtet, während bei Winckelmann die bildende Kunst, bei Schopenhauer die Musik den Vorrang hat. Alle anderen Künste haben hier gleichsam noch eine schwere Zunge, zuviel Stoff hängt ihnen an. Erst im Wort bricht diese Rinde, das Scheinen des Geistes wird vernehmbar- vernünftig, Form-Inhalt triumphiert über den Stoff. Poesie ist deshalb die reinste romanti-sche Kunst, vielmehr sie wäre es, hätte sie sich nicht insgesamt von den Stoff-Form-Beziehungen: Symbolisch-Klassisch-Romantisch befreit.“ (ebd.)
„Für wen und von woher wird gesprochen, wenn Kunst zu denken versucht wird? Meistens wird der Ausgang von denZuschauernher gewählt, notgedrungen, weil der Betrachtende selber zu ihnen gehört. Er ist >empfänglich<; versteht er seine Empfäng-lichkeit, so ist er Kenner, Kritiker, Kunstdenker vom Parkett her. Es gibt auch Kritiker, die verhinderte Künstler sind, diese aber sind die schlechtesten. Sehr viel seltener ist der Fall, daß vom Künstler, von derProduktionher Kunst gedacht wird. Dazu gehört eine in der Kunst selbst befindliche, den Künstlern brüderlich verbundene Weise; solche ist nur bei eigener Produktivität möglich. Hegel nun war einesteils ein sehr eifriger Zuschauer, dann stand auch er draußen, er genoß. Dort am liebsten, wo ihm die Darbietung fremd und reizend war; so schwelgte er in italienischen Stimmen und in Rossinis Arien. Aber spricht erPhilosophieder Kunst, dann in eben in anderer Weise, in zugehöriger.“ (S. 283)
„Der substantielle Halt der Schönheit ist in der Hegelschen Lehre und Hineinpassung das anschauliche Weltgefüge selbst, das Unendliche in diesen plastischen Grenzen als Gestalten; Kunst ist absolut Endlichkeit, auch dort, wo sie, wie in allen ihren bedeu-tenden Äußerungen, transparent ist. Die Inhalts-Ästhetik Hegels ist eine des weltlichen Inhalts, wenn auch idealisch vergoldet, so wie die Sonne Wolken vergoldet oder mit einem Lichtreif umgibt. Aus dieser Inhaltlichkeit fällt, wie zu sehen war, einzig die Musik heraus; denn sie hat bei Hegel keinen Gegenstand, an dem das Scheinen der Idee sich konkretisiert.“ (S. 291)
„An einem überraschenden Punkt bricht Hegels diesseitiger Blick, und zwar ohne pfäffisch zu werden. Der Bruch kommt bei ihm zwar nur in der christlichen Kunst vor, doch hier heiter durchaus; denn sein Name istHumor. Hegel gibt ihm, durch die Komik vermittelt, den Platz an der Spitze, und das heißt bei ihm allemal den am meisten berechtigten, wahren. Es ist nicht der >subjektive Humor<, den er dermaßen auszeichnet, weder bei Jean Paul noch bei dem von Hegel höher bewerteten Sterne. Erst recht meint Hegel nicht die romantische Ironie, am wenigsten in der schlechthin verwirrenden, kalt-geistreichen Gestalt, die Friedrich Schlegel ihr verliehen hat. Hegel liebt beide Subjek-tivitäten nicht, weder >die Hin- und Herzüge des Humors, der jeden Inhalt nur gebraucht, um seinen subjektiven Witz daran geltend zu machen<, noch >die ironische Virtuosität, für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schaffen kann. Aber diese Reaktionen stammen aus der höchsten Verehrung des Humors selber, aus dem Willen, diese Flüssigkeit vor fälschendem Zusatz zu retten.“ (S. 291 f.)
Hegel:
>Wahrhaft wirklich ist nur das An- und Fürsichseiende, das Substantielle der Natur und des Geistes. Das Walten dieser allgemeinen Mächte ist es gerade, was die Kunst hervorhebt und erscheinen läßt. In der gewöhnlichen äußeren Welt erscheint die Wesenheit wohl auch, jedoch in der Gestalt eines Chaos von Zufälligkeiten, verkümmert durch die Unmittelbarkeit des Sinnlichen und durch die Willkür in Zuständen, Begebenheiten, Charakteren usf. Den Schein und die Täuschung dieser schlechten, verfänglichen Welt nimmt die Kunst von jenem wahrhaften Gehalt der Erscheinungen fort und gibt ihnen eine höhere geistgeborene Wirklichkeit. Weit entfernt also bloßer Schein zu sein, ist den Erscheinungen der Kunst, der gewöhnlichen Wirklichkeit gegenüber, die höhere Realität und das wahrhaftigere Dasein zuzuschreiben.< (S. 299)
>Es ist zu sagen, daß bei bloßer Nachahmung die Kunst im Wettstreit mit der Natur nicht wird bestehen können und das Ansehen eines Wurms erhält, der es unternimmt, einem Elefanten nachzukriechen ... Denn die Kunst ist beschränkt in ihren Darstellungsmitteln und kann nur einseitige Täuschungen, zum Beispiel nur füreinenSinn den Schein der Wirklichkeit hervorbringen und gibt in der Tat, wenn sie nur den formellen Zweck bloßer Nachahmung hat, statt wirklicher Lebendigkeit überhaupt nur die Heuchelei des Lebens< (.).
>Dagegen hat zum Beispiel die holländische Malerei die vorhandenen flüchtigen Scheine der Natur als vom Menschen neu erzeugte zu tausend und abertausend Effekten umzuschaffen gewußt. Samt, Metallglanz, Licht, Pferde, Knechte, alte Weiber, Bauern, aus Pfeifenstummeln den Rauch herausblasend, das Blinken des Weins im durchsichtigen Glase, Kerle in schmutzigen Jacken mit alten Karten spielend, solche und hunderterlei andere Gegenstände, um welche wir uns im täglichen Leben kaum bekümmern, werden uns in diesen Gemälden vors Auge gebracht. Was uns nun aber bei dergleichen Inhalt, insofern ihn die Kunst uns darbietet, sogleich in Anspruch nimmt, ist eben dies Scheinen und Erscheinen der Gegenstände als durch den Geist produziert, welcher das Äußere und Sinnliche der ganzen Materiatur im Innersten verwandelt ... Gegen die vorhandene prosaische Realität ist daher dieser durch den Geist produzierte Schein das Wunder der Idealität, ein Spott, wenn man will, und eine Ironie über das äußere natürliche Dasein .
Der Mensch als künstlerisch schaffend ist eine ganze Welt von Inhalt, den er der Natur entwendet und in dem umfassenden Bereich der Vorstellung und Anschauung zu einem Schatze zusammengehäuft hat, welchen er nun auf einfache Weise ohne die weltläufigen Bedingungen und Veranstaltungen der Realität frei aus sich herausgibt< (.). (a.a.O. S. 301 f.)
Bloch:
„Die einzelnen Kunstwerke selbst und ihre Gruppen, die Säulen, Tempel, Figuren, die
Bilder und das Musikstück, das lyrische und das epische Gedicht, Komödie, Tragödie:
Sie führen allesamt wieder auf die Sinnlichkeit, Sinnfälligkeit zurück, in der Hegel das Scheinen der Idee vor sich gehen läßt. So ist die bildende Kunst aufs Gesicht und Licht, die Musik auf Gehör und Ton, die Dichtung auf die sinnlichen Vorstellungen und den Ton als Sprachlaut bezogen. Doch von der erscheinenden Idee her gesehen sind die Künste, auf dem angegebenen sinnlichen Boden, als Teile eines Gotteshauses gegliedert, gleichsam eines profanen: bildende Kunst ist der Tempel mit Bildsäulen, Musik und Poesie sind die darin versammelte Gemeinde. In diesen einzelnen Künsten entwickeln und erwirklichen sich die Kunstformen (die symbolische, klassische, romantische), wie in den Kunstformen sich das allgemeine ästhetische Ideal entwickelt und verwirklicht hat.
Aber die Einheit des Schönen bleibt als die beglückende,wie bei Frauen: [Hegel:]
>Das Schöne ist also die Ineinsbildung des Vernünftigen und Sinnlichen und diese In einsbildung als das wahrhaft Wirkliche ausgesprochen. Im Allgemeinen ist diese Schil- lersche Ansicht darin zu erkennen, daß er das Lob der Frauen besonders zu seinem Gegenstand macht, als er in deren Charakter eben die von selbst vorhandene Vereinigung des Geistigen und Natürlichen erkannte und hervorhob< (...)“ (304)
„Dantes Göttliche Komödie, inihrer tiefsten Formulierung: [Hegel:] >Hier verschwindet alles Einzelne und Besondere menschlicher Interessen und Zwecke vor der absoluten Größe des Endzwecks und Ziels aller Dinge, zugleich aber steht das sonst Vergänglichste und Flüchtigste der lebendigen Welt, objektiv in seinem Innersten ergründet, in seinem Wert und Unwert durch den höchsten Begriff, durch Gott gerichtet, vollständig episch da. Denn wie die Individuen in ihrem Treiben und Leiden, ihren Absichten und ihrem Vollbringen waren, so sind sie hier, für immer, als eherne Bilder versteinert hingestellt. In dieser Weise umfaßt das Gedicht die Totalität des objektivsten Lebens: den ewigen Zustand der Hölle, der Läuterung, des Paradieses, und auf diesen unzerstörbaren Grundlagen bewegen sich die Figuren der wirklichen Welt oder vielmehr, siehabensich bewegt, und sind nun mit ihrem Handeln und Sein in der ewigen Gerechtigkeit erstarrt und selber ewig.
Wie die homerischen Helden fürunsereErinnerung durch die Muse dauernd sind, so haben diese Charaktere ihren Zustand fürsich, für ihre Individualität hervorgebracht und sind nicht in unserer Vorstellung, sondern ansich selberewig. Die Verewigung durch die Memnosyne des Dichters gilt hier objektiv als das eigene Urteil Gottes, in dessen Namen der kühnste Geist seiner Zeit die ganze Gegenwart und Vergangenheit verdammt oder selig spricht.< (.)...“(S. 306)
Hegel:
>Als Meister in Darstellung menschlich voller Individuen und Charaktere steht vor allen Anderen Shakespeare fast unerreichbar da. Denn selbst wenn irgendeine bloß formelle Leidenschaft, wie zum Beispiel im Macbeth die Herrschsucht, im Othello die Eifersucht, das ganze Pathos seiner tragischen Helden in Anspruch nimmt, verzehrt dennoch eine solche Abstraktion nicht etwa die weiterreichende Individualität, sondern in dieser Bestimmtheit bleiben die Individuen immer noch ganze Menschen. ... Von ähnlicher Art ist auch die Äußerungsweise seiner tragischen Charaktere; individuell, real, unmittelbar lebendig, höchst mannigfaltig und doch (!) von einer Erhabenheit und schlagenden Gewalt des Ausdrucks, von einer Innigkeit und Erfindungs- dungsgabe in augenblicklich sich erzeugenden Bildern und Gleichnissen, von einer Rhetorik - nicht der Schule, sondern der wirklichen Empfindung und Durchgängigkeit des Charakters, daß ihm, in Rücksicht auf diesen Verein unmittelbarer Lebendigkeit und und innerer Größe, nicht leicht ein anderer dramatischer Dichter unter den neueren kann zur Seite gestellt werden. Denn Goethe hat zwar in seiner Jugend einer ähnlichen chen Naturtreue und Partikularität, doch ohne die innere Gewalt und Höhe der Leidenschaft, nachgestrebt, und Schiller wieder ist in eine Gewaltsamkeit verfallen, für deren hinausstürmende Expansion es an dem eigentlichen Kern fehlt< (..). (S. 310 f.)
(M.E ist Hegel demnach kein Lokalpatriot und wohl auch kein Deutschnationaler oder Nationalist!)
Bloch:
„Ganz ohnegleichen, wie bemerkt, geht Hegels Doppelblick auf dasKomischeund seine höchste Stufe - denHumor. Das Komische zeigt einmal das leere Aufspreizen einer in sich nichtigen, sich übernehmenden Subjektivität und läßt diese in ihrem Nichts zugrunde gehen; über dies Aufspreizen wie dies Verpuffen (es ist eigentlich dasselbe) lacht man. Aber das Komische enthält nicht bloß dieses Lachen als bloßes Auslachen, mit Eitelkeit und Bosheit darin, sondern echte, tiefe Heiterkeit - aus dem Bewußtsein echter, unzerstörbarer Subjektivität. Die aufgespreizte war gar keine, also ist auch dem komi-schen Helden in seinem Kern gar nichts geschehen. Hegel hat als erster Philosoph dem Humor nicht den Rang eines Heftpflasters, sondern eines Souverains gegeben; er gab ihm metaphysische Schönheit und Gewalt:
[Hegel:] >Komisch ist überhaupt die Subjektivität, die ihr Handeln durch sich selber in Widerspruch bringt und auflöst, dabei aber ebenso ruhig und ihrer selbst gewiß bleibt. Die Komödie hat daher das zu ihrer Grundlage,womit die Tragödie schließen kann, das in sich absolut versöhnte heitere Gemüt, das, wenn es auch sein Wollen durch seine eigenen Mittel zerstört und an sich selber zuschanden wird, weil es aus sich selbst das Gegenteil seines Zwecks hervorgebracht hat, darum doch nicht seine Wohlgemutheit verliert. Es ist die lachende Seligkeit der olympischen Götter, ihr unbekümmerter Gleichmut, der in die Menschen heimgekehrt und mit allem fertig ist< (.).
>Das Verwachsensein mit spezifischer Beschränkung des Inhalts hob derHumor, der alle Bestimmtheit wankend zu machen und zu lösen wußte, wieder auf und ließ die Kunst dadurch über sich selbst hinausgehen. In diesem Hinausgehen jedoch der Kunst über sich selber ist sie ebensosehr ein Zurückgehen des Menschen in sich selbst, wodurch die Kunst alle feste Beschränkung auf einen bestimmten Kreis des Inhalts und der Auffassung von sich abstreift und zu ihrem neuen Heiligen denHumanusmacht< (.).“ (S. 312)
Willi Oelmüller:
„Das auch gegenwärtig notwendige und legitime Bedürfnis nach Kunst ist für Hegel darin begründet, daß die Kunst als wahre, d. h. durch den menschlichen Geist hervorgebrachte Kunst ebenso wie die Religion und die Philosophieihren Ursprung in der Verwunderung und im Staunen hat. Wo sich der Mensch, in der „Stumpfheit und Dumpfheit“ dahinlebend, noch nicht wundert, und wo er sich, vermeintlich aufgeklärt, nicht mehr wundert, kann es nach Hegel keine wahre Kunst und kein wahres Bedürfnis nach ihr geben. Die Verwunderung ist sachlich und geschichtlich dort möglich, wo der Mensch, befreit von den Sorgen der äußeren Existenz und herrschend über die Natur (.), sich seiner selbst bewußt wird: „Die Verwunderung . kommt nur da zum Vorschein, wo der Mensch, losgerissen von dem unmittelbarsten, ersten Zusammenhänge mit der Natur und der nächsten, bloß praktischen Beziehung der Begierde, geistig zurücktritt von der Natur und seiner eigenen singulären Existenz und in den Dingen nun ein Allgemeines, Ansichseiendes und Bleibendes sucht und sieht“ (.). Das allgemeine Bedürfnis nach Kunst besteht also darin, daß sich der Mensch als geistiges Wesen verdoppelt, d. h. sich als das, „was er ist und was überhaupt ist“, vorstellt: „Das allgemeine und absolute Bedürfnis, aus dem die Kunst (nach ihrer formellen Seite) quillt, findet seinen Ursprung darin, daß der Mensch denkendes Bewußtsein ist, d.h. daß er, was er ist und was überhaupt ist, aus sich selbst für sich macht. Die Naturdinge sind nur unmittelbar und einmal, doch der Mensch als Geist verdoppelt sich, indem er zunächst wie die Naturdinge ist, sodann aber ebensosehr für sich ist, sich anschaut, sich vorstellt, denkt und nur durch dieses tätige Fürsichsein Geist ist“ (...). Was Hegel von der modernen Poesie sagt, gilt für die moderne Kunst überhaupt: Sie ist „die allgemeinste und ausgebreitetetste Lehrerin des Menschengeschlechts gewesen und ist es noch. Denn Lehren und Lernen ist Wissen und Erfahren dessen, was ist.
Sterne, Tiere, Pflanzen wissen und erfahren ihr Gesetz nicht; der Mensch aber existiert erst dem Gesetze seines Daseins gemäß, wenn er weiß, was er selbst und was um ihn her ist; er muß die Mächte kennen, die ihn treiben und lenken, und solch ein Wissen ist es, welches die Poesie in ihrer ersten substantiellen Form gibt“ (.).
Hegel begreift das Prinzip der modernen Kunst als Darstellung und Bewußtmachung der konkreten Bildungen der Subjektivität und ihrer inneren und äußeren Welt. Inhalt der Kunst sei die „sich mit sich im andern vermittelnde Subjektivität“ (514). „Die Seele will sich, aber sie will sich in einem Anderen, als sie selbst in ihrer Partikularität ist“ (745). Die Subjektivität hält nicht an der „nebulösen Vorstellung vom Idealischen neuerer Zeit“ fest. Diese sei „nur eine vornehme Abstraktion moderner Subjektivität, welcher es an Mut gebricht, sich mit der Äußerlichkeit einzulassen“. Die wahre Subjektivität läßt sich vielmehr „in die gewöhnliche äußerliche Realität, in das Alltägliche der Wirklichkeit und damit in die gemeine Prosa des Lebens ein“ (.) - ohne freilich in ihr auf-, genauer unterzugehen.
Der Künstler ist also für Hegel in der gegenwärtigen Welt durch keinen bestimmten Inhalt und keinen besonderen Stil gebunden. Die auf den ersten Blick verwirrende Vielzahl künstlerischer Stile und Tendenzen, das Selbständig- und Artistischwerden der Kunst, ihr Experimentieren mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten, das Reflektieren und Konstruieren der Künstler, dies alles ist für Hegel kein Symptom des Verlusts der Mitte, der Säkularisierung und Emanzipation, sondern der prinzipiell durch das Christentum ermöglichten Freiheit der Kunst.
Es ist die Würde und Aufgabe der Kunst, die konkreten Bildungen des Menschlichen, den geschichtlichen Reichtum seiner inneren und äußeren Welt mit den ihr gemäßen Darstellungsmitteln zum Bewußtsein zu bringen. Die moderne Kunst sagt etwas aus, was auch in der modernen Welt nur durch die Kunst ausgesagt werden kann, aber sie sagt nicht das Ganze aus, und sie sagt es nicht auf höchste Weise aus. Die moderne Kunst ist für Hegel neben der christlichen Religion, den Wissenschaften und der Philosophie ein Organon der Wahrheit, aber sie ist für ihn nicht wie für Schelling das höchste Organon der Wahrheit.
Von einem Ende der Kunst in dem Sinne der oben angedeuteten Kritik dieses Satzes in der Philosophie der Kunst nach Hegel kann also bei Hegel selbst keine Rede sein. Auch für Hegel persönlich bleibt die Kunst ein Element seines geistigen Lebens. Wenn er, der - sicherlich als Reaktion auf die damals üblichen persönlichen Konfessionen in der Kunst, der Religion und der Philosophie - nur selten von sich persönlich spricht, am Ende seiner „Ästhetik“ schreibt:
„Von allem Herrlichen der alten und modernen Welt kenne (ich) so ziemlich alles, und man soll es und kann es kennen“ (...), so ist das, wie ein Blick in seine „Ästhetik“ bereits zeigt, wahrlich kein hybrider Satz.“37
Zur Religionsphilosophie
Hegel:
>Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu sein, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich und lebt vornehm-lich in diesem Gefühl. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird. Der Geist hat aber in der Religion vielmehr seine Befreiung und das Gefühl seiner göttlichen Befreiung; nur der freie Geist hat Religion und kann sie haben< (_). (S. 315)
Bloch:
„Der Glaube, wie ihn Hegel faßt, befreit durch Entsagung, Ausziehen des natürlichen Adam und so fort den Menschen von der Last seiner selbst, aber >er befreit auch von dem Wahn, in Gott ein ihm fremdes Wesen sich gegenüber zu haben<. Glaube ist Gewißheit, Gewißheit aber definiert Hegel in seiner Religionsphilosophie als >unmittelbare Beziehung des Inhalts und meiner<, Gewißheit ist die Subjektivität, die alle Äußerlichkeit mit sich vermittelt hat. Sämtliche Religionen, behauptet Hegel, suchten eine solche Vermittlung, suchten die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen; am höchsten fand das Christentum diese Vermittlung in seinem Mittler oder Gottmenschen selbst. Ja, die Religionsgeschichte wird die Geschichte der Entstehung Gottes für die religiöse Vorstellung. Und noch mehr vom Himmel zum Menschen gebracht: Religion wird definiert als >Wissen des göttlichen Geistes von sich durch Vermittlung des endlichen Geistes<. .“ (S. 316)
„Karl Barth ... setzte gegen alle Humanisierung des Glaubens, gegen alle >Sprech- und Denkbewegung der Kreatur< das schlechthin theonome, das den Menschengeist schlechthin negierende Wort Gottes. (Wobei freilich selber nicht klar wird, wie Maritain beißend bemerkt, ob dieses Negierende eigentlich das Wort Barths oder das Wort Gottes ist.) Hegel steht dem entgegen, wie er den gesamten frommen Irrationalismus ablehnt. Er steht aber auch, trotz seines Kokettierens mit der Lutherischen Orthodoxie, Luther entgegen, dem völlig autoritären, dem Feind der >Närrin Vernunft<. Luthers Kommentar zum Galaterbrief strotzt von Beschimpfungen der menschlichen Vernunft; ihm sind alle christlichen Philosophen, von Origines bis Thomas von Aquin, >Sophisten< und des Teufels. Hegel dagegen rühmt die Scholastiker, die den Begriff bis auf die Mysterien ausgedehnt hatten, die ihren Gott in derWahrheitanbeten wollten.“ (S. 316 f.)
Wie Bloch bemerkt, wurde Hegels Religionsphilosophie „wegen des Hegelschen >Weltgeistes< überhaupt, für pantheistisch angesehen, während sie doch bedeutend mehr mit derMenschwerdungGottes Ernst macht, mit dem, was Feuerbach nachher als >Anthropologisierung der Religion< vorgetragen hat. Trotzdem war Pantheismus der Vorwurf, womit das Pfaffentum der ganzen Welt, nicht nur Preußens, gegen Hegels Philosophie Krieg führte. Der damalige päpstliche Kardinalstaatssekretär erklärte sie sofort für unchristlich, die anglikanischen Bischöfe bewiesen gar, in spinösen Büchern, daß sie eine gefährliche Erneuerung des - Brahma-Glaubens wäre. In der Tat aber erneuerte Hegel bedeutend mehr den Glauben des christlichen Mystikers Eckart, der die Gottheit >im Gemüte< suchte und die Erkenntnis des Menschen von Gott mit der
Selbsterkenntnis Gottes sich verschlingen ließ.“ (S. 317 f.)
Bloch:
„Hegel erwartet offenbar auch vom Kirchenchristentum, dem er die Ehre gibt, konkret zu sein, Einigung von Gott und Mensch, nicht von Klerus und Mammon. So wenig Religion in diesem System mit Moralität und Sittlichkeit zusammenfällt (sie ist durch die eigenen Sphäre des >absoluten Geistes< getrennt), so wenig kann sie der Sittlichkeit doch widersprechen: >Rechtes Leben ohne alle Religion ist jederzeit möglich, obwohl es dann keine Tiefen hat, aber Christentum ohne rechtes Leben ist die tönende Schelle.< Hegel feiert also Christentum nicht zuletzt deshalb als absolute Religion, weil es die Liebe als Kultus hat und keine Höhe kennt, in der der Menschensohn nicht vorkommt. Das bedeutet bei Hegel absolute Religion als die des zu sich gekommenen Geistes, das ist, des johanneischen Logos. Er ist hier Menschenseele, höchster Rationalismus, Gotteswort zugleich - eine andere Welt und doch eine aus Menschenliebe und Menschenvernunft bestehende.“ (S. 320)
„Die subjekthafte Auflösung des Gottinhalts bleibt zuletzt intensiver als dessen Auflö-sung ins objektive Bewußtsein, gar als ein mythischer Außengott. Vor allem werden Subjekt und Objekt zusammen gerade religiös wachsend übergriffen von jenerEinheit des Selbst, dessen Momente sie bei Hegel sind. So beginnt doch auch die Religion, gerade sie, mit jener Art von schlechtem Gewissen am Objekt, das - als wäre alles objekthaft notwendig ein Fremdes - zur gegenstandslosen Spiritualisierung führt.“ (S. 328 f.)
„Die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies, mitsamt dem Schweiß des Angesichts, wertet Hegel zwar nur aus protestantischem Arbeitsethos um, aber was die Erkenntnis des Guten und Bösen angeht, auf die hin ein eifernder, wo nicht eifersüchtiger Gott aus seinem Paradies vertreibt, so geschieht Hegels Umwertung ziemlich links auf der Ketzerseite, nämlich auf der des Subjekt-Vernunft-Glaubens: >Das Schwierige ist, daß gesagt wird, Gott habe den Menschen verboten, zu dieser Erkenntnis zu gelangen; denn die Erkenntnis ist gerade das, was den Charakter des Geistes ausmacht; der Geist ist Geist nur durch das Bewußtsein, und das höchste Bewußtsein liegt gerade in jener Erkenntnis< (...).“ (S. 332)
„Glaube und Wissen haben den gleichen Inhalt. Es wurde allerdings vorgehalten, daß, wenn dem so sei, eine von beiden Formen überflüssig sei: >In der Tat ist die Behauptung zu machen, daß der Inhalt, das Bedürfnis, das Interesse der Philosophie mit der Theologie ein gemeinschaftliches sei . Die Philosophie expliziert nur sich, indem sie die Religion expliziert, und indem sie sich expliziert, expliziert sie die Religion< (.).“ (S. 339)
„Revolutionäre Seite des Urchristentums, als des Ansich-Christentums, sie verschwindet mit ihm; Kritik und Begrenzung der Predigt Christi: >Dieses Reich Gottes, die neue Religion hatan sichdie Bestimmung der Negation gegen das Vorhandene, das ist die revolutionäre Seite der Lehre, die alles Bestehende teils auf die Seite wirft, teils vernichtet, umstößt . Das Vorhergehende verändert sich, das vorige Verhältnis, der Zustand der Religion, der Welt kann nicht bleiben wie vorher; es ist darum zu tun, den Menschen, dem das Bewußtsein der Versöhnung< (scilicet: nicht mit der vorhandenen Welt) >werden soll, daraus herauszuziehen, zu verlangen diese Abstraktion von der vorhandenen Wirklichkeit. Diese neue Religion ist selbst noch konzentriert, nicht als Gemeinde vorhanden, sondern in dieser Energie, welche das einzige Interesse des Menschen ausmacht, der zu kämpfen, zu ringen hat, sich dies zu erhalten, weil es noch nicht (!) in Übereinstimmung ist mit dem Weltzustand (!), noch nicht im Zusammenhang mit dem Weltbewußtsein .<. .“ (S. 347)
„Von Paulus bis zu Dostojewskis Großinquisitor haben alle Korrekturen der Bergpredigt den behaupteten Unterschied zwischen dem Ansich-Richtigen oder dem Fundament und dem darüber errichteten, in Existenz getretenen Bauwerk in Ordnung gefunden. Und da dieses Bauwerk nicht eben nach den Maßen der Bergpredigt, gar des Liebes-Kommunismus errichtet worden ist, so ist der Unterschied zwischen einer Frohbotschaft an sich und dem Staat aus Kerkern und Bel-Etagen in der Tat augenscheinlich.“ (S. 348)
„So findet sich bei Hegel zwar auch die stellvertretende Genugtuung durch den Opfer-tod, dergestalt, daß dadurch die >menschliche Endlichkeit< aufgehoben worden sei. Doch das >harte Wort, daß Gott gestorben ist<, enthält bei Hegel auch den ketzerischen Jubel, daß es der äußere Gott sei, der gestorben ist, und daß das, was aufersteht, Geist der christlichen Gemeinde heiße:
>In dem wahrhaften Verstehen des Tods tritt auf diese Weise die Beziehung des Subjekts als solchen ein. Das Betrachten hört hier auf; das Subjekt selbst wird in den Verlauf hineingezogen; es fühlt seine eigene Entfremdung, welche Christus auf sich genommen, in dem er die Menschlichkeit angezogen, aber durch seinen Tod vernichtet hat. Und hierin fängt die Entstehung der Gemeinde an: es ist dieser Inhalt dasselbe, was die Ausgießung des Heiligen Geistes genannt worden< (...).
>In dieser ganzen Geschichte ist den Menschen zu Bewußtsein gekommen, und das ist die Wahrheit, zu der sie gelangt sind: daß die Idee Gottes für sie Gewißheit hat, daß der Mensch unmittelbarer, präsenter Gott ist, und zwar so, daß in dieser Geschichte, wie sie der Geist auffaßt, selbst die Darstellung des Prozesses ist dessen, wasder Mensch, der Geist ist< (.). (S. 348 f.)
Zum ,Abschluß des Systems’
Bloch:
„ . der edelste Duft des Geisterreiches geht an.
. Er weht bei Hegel durch die Geschichte der Philosophie, also zum äußeren Teil durch Bücher. Die Vernunft zieht darin ihre letzte Straße, zur höchsten Stelle, wo der Geist tagt und beschließt. Die Philosophen haben fast immer ihre Beschäftigung (das heißt, ihre rein idealistische) der des obersten Wesens gleichgesetzt; so tragen sie Gottes Rock. Hegel gab dem eine besonders glänzende und hohe Formulierung, eine bezeichnenderweise nicht nur geistesaristokratische, sondern ministerielle.“ (S. 350)
„Erkauft wurde allerdings die Ableitung durch erneute Rückkehr aus der Zeit zu der aufgeblätterten Denkrose vor aller Zeit. Sieht doch Hegel in der Abfolge der Philosophie eine besonders zwingende Wiederkehr der Abfolge jener Gedanken Gottes, die er als vorweltliche Logik entwickelt hat. Mit stiller Gewalttätigkeit verfolgt er dies Vorhaben, ein fast noch seltsameres als die Einkleidung der Philosophen in Gottes Rock, obwohl es damit zusammenhängt. DieformaleOntologie der Hegelschen Logik, die Wiedergabe der
Grundstruktur alles Seienden überhaupt, diese abstrakte Sophia (Weisheit Gottes) wird eben alsphilosophiegeschichtlicheOntologie fruktifiziert. (S. 355)
„Genau was die Physik als Wissenschaft sich wünscht: einheitliche Sachentwicklung zu sein, das hat nach Hegel die Philosophiegeschichte erreicht; und diesesnicht obwohl, sondern weil Philosophie eine Wissenschaft mit Beinamen ist. Philosophen von Rang sind Hauptkategorien mit Teilnahme an der Totalität; so wollte Hegel jede Philosophie aus diesem ihrem Zentrum erkennen, so wollte er sie einordnen. Indem es - bei zureichendem Rang der Philosophen - überhaupt nichts unbedingt Falsches gibt, sondern nur Einseitiges, in seiner Einseitigkeit Übertriebenes und Verabsolutiertes, hat für Hegel jeder Standpunkt an Ort und Stelle seine begriffene Ehre.“ (S. 356)
„DerBegriffder Welt ist durch das pure Dasein des Begriffs dieses Begriffs (Hege-lisch: der Idee der Idee) verändert; ob daraus freilich auch eine Veränderung der Weltselbstresultiert, das hängt ersichtlich nicht vom Verweilen im Begriff ab, nicht von solchen mit ihm gesetzten Schulfragen, sondern vonEntscheidungen, zu denen der Begriff der Welt, gegebenenfalls, erst leitet. Immerhin ist er auch für Entscheidungen vorausgesetzt; das Problem (Inhalts-Problem) des Begriffs präformiert gerade das Ende der bloßen Begrifflichkeit, die sich nicht endlos reproduzieren kann, am systematischen Ende der Philosophie selber. Die theoretisch-praktische Veränderung des Gegenstands durch Arbeit, wie das gerade in Hegels Phänomenologie vorgedacht ist, legt die letzthinnige Aufhebung der Philosophie durch Verwirklichung ihrer, also durch philosophische Praxis, besonders nahe.“ S. 361 f.)
Hegel:
>Der Geist arbeitet sich nur solange in den Gegenständen herum, so lange noch ein Geheimes, Nichtoffenbares darin ist< (...). (S. 365)
Gegen die Oberflächlichkeit: >Das Leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurteilen, schwerer, es zu fassen< (.). (ebd.)
Gegen eine Gelehrsamkeit, die nur passiv ist und es bleiben will:
>Die Gelehrsamkeit besteht vorzüglich darin, eine Menge unnützer Sachen zu wissen, das heißt, solche, die sonst keinen Gehalt und kein Interesse in ihnen selbst haben als dies, die Kenntnis derselben zu haben< (...). (ebd.)
>Die Erwerbe des Denkens, als dem Geiste eingebildet, machen das Sein des Geistes selbst aus. Diese Erkenntnisse sind eben deswegen nicht eine Gelehrsamkeit, - die Kenntnis des Erstorbenen, Begrabenen, Verwesten; die Geschichte der Philosophie hat es mit dem nicht Alternden, gegenwärtig Lebendigen zu tun< (.) (ebd.)
Bloch:
„Von Historismus völlig verschieden ist das Bewußtsein des Erbes. Dieses ist der produktiv erfaßte gegenwärtige Standort, mit großer Tradition zur Seite. Historismus ist Erbbegräbnis, wirklicher Rückgriff aufs Erbe ist dasselbe wie Erneuerung des Volkes. Unaufgearbeitete, unabgegoltene Probleme der Vergangenheit liegen hier ebenso vor wie die große, befreundete Hilfe aus der Vergangenheit: beides aber kommt dann wie aus der Zukunft entgegen, nicht aus irgendeiner Gewesenheit. Es kann deshalb auch keine Hegelianer mehr geben, gerade weil Hegel nur in einer Philosophie, die nicht mehr die seine ist und sein kann, fortlebt. Die Uhr der Philosophien, die bei Hegel dieselbe wie die des Weltgeistes ist, schlägt nicht zweimal dieselbe Stunde:
[Hegel:] >Wenn also der Geist seine Bildung, von sich nur auszugehend scheinend, wieder von vorn anfängt, so ist es zugleich auf einer höheren Stufe, daß er anfängt. Das Geisterreich, das auf diese Weise sich in dem Dasein gebildet, macht eine Aufeinanderfolge aus, worin einer den anderen ablöste, und jeder das Reich der Welt von dem vorhergehenden übernahm< (.). (S. 366)
Bloch:
„Für die Tiefen Kants hielt Hegel die Augen geschlossen. Er beurteilte ihn doch wesentlich nach so höchst unkantischen Nachwirkungen des autonomen Willens wie der >schönen Seele<, gar der Schlegelschen >Freigeisterei der Leidenschaft<. Weiter wurde ihm Kant durch den liberalen Psychologisten Fries verstellt, weiter durch den skeptischen Agnostizismus, der sich damals schon wichtig machte (>Die Dinge an sich<, sagt selbst Herbart gegen solche Leute, >lassen sich nicht durch Vorwürfe verscheuchen<), weiter durch die skeptisch-mystelnde Gefühlsseligkeit Jacobis. Auch das hat aber mit Kantischer Philosophie wenig gemein, kaum etwas mit dem >Intelligiblen<, nichts mit der merkwürdig neuen, schwierigen Ortsangabe, Realitäts-Graduierung des >Postulats<, der >Ideen des Unbedingten< und so fort. Dagegen treffen Hegels Ablehnungen großartig jenen Agnostizismus, der ja nicht nur auf - Idealismus beschränkt ist: ... .“ (S. 372)
„Hegels Philosophie hält dafür, daß sie die absolute sei, und daß sie sich auf allen bis zu ihr durchlaufenen Standpunkten zugleich befinde.“ . (S. 373)
[Hegel:] >In der Einheit den Gegensatz und in dem Gegensatz die Einheit zu wissen, dies ist das absolute Wissen; und die Wissenschaft ist dies, diese Einheit in ihrer ganzen Entwicklung durch sich selbst zu wissen< (.). (ebd.)
>Durch das Wissen setzt der Geist einen Unterschied zwischen das Wissen und das, was ist; dies enthält wieder einen neuen Unterschied, und so kommt eine neue Philosophie hervor. Die Philosophie ist also schon ein weiterer Charakter des Geistes; sie ist die innere Geburtsstätte des Geistes, der später zur wirklichen Gestaltung hervortreten wird. Wir werden so sehen, daß das, was die griechischePhilosophiegewesen ist, in der christlichenWeltin die Wirklichkeit getreten ist< (.). - “. (S. 375 f.)
[Bloch:] „Es mag fraglich sein, ob die christliche Welt die Wirklichkeit der griechi-schen Philosophie war, aber der Gedanke fliegt jedenfalls, an dieser hellen Hegelstelle, nicht als Eule der Minerva, post festum. Als umwälzende, als Sprache eines Heraufkommenden kann Philosophie vielmehr, ohne abstrakt zu werden, ante rem stehen, nämlich so, als stünde sie, wie Hannibal, ante portas. Spricht eine große Philosophie den Gedanken ihrer Zeit aus, so spricht sie ebenso aus, was dieser Zeit fehlt und was in der kommenden fällig ist. So erst wühlt und leuchtet sie dem latent Neuen entgegen, nämlich der besseren Gesellschaft, wahreren Welt.“ (S. 376)
Hegel:
„Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reichs vollbringen. Ihre Aufbewahrung nach der Seite ihres freien, in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins ist die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffenen Organisation aber dieWissenschaft des erscheinenden Wissens; beide zusammen, die begriffene Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Throns, ohne den er das leblos Einsame wäre;
nur -
aus dem Kelche dieses Geisterreiches
schäumt ihm seine Unendlichkeit.< (Schlusssätze derPhänomenologie des Geistesvon 1807)
Andernorts definiert Hegel das „absolute Wissen“ nicht als „das Ziel“, sondern als die Verschränkung von Einheit und Gegensatz (Einheit von Identität und Nicht-Identität, s.o.).
Es sind Standpunkte des „Absoluten Geistes“, die Hegel anscheinend auch nach 1807 und bis zu seinem Lebensende beibehalten hat, auch wenn er in seiner Berliner Antrittsvorlesung von 1818 erklärte: „Gottbleibt in der Vorstellung feste Grundlage, als einSubjekt“38, wohl um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe von „Unchristlichkeit“ und Atheismus zurückzuweisen. Auch in den 1817 und 1830 erschienenen Fassungen derEnzyklopädie der philosophischen Wissen-schaften, die ja eine komprimierte Form derPhänomenologie des Geistesenthält, schreibt Hegel, „die Idee der Philosophie“ habe „die sich wissende Vernunft, das Absolut-Allgemeine zu ihrerMitte“. (a.a.O. S. 394)
ZWEITER TEIL
Antworten von Kritikern und Kritikerinnen des Hegelschen Systems
Den dritten Teil seines Hegel-BuchesSubjekt-Objekt ...(S. 379-520) überschreibt Bloch mit dem gut dialektischen Hegelschen BegriffDie Aufhebung, der so viel wie ,Negation‘ und zugleich Aufbewahrung auf höherer Stufe’ bedeutet. Darin behandelt Bloch die Kritiken von Autoren wie Schelling, Feuerbach, Marx und Kierkegaard, nur beiläufig auch Schopenhauer und Nietzsche, Lotze und E. von Hartmann (erstaunlicherweise gar nicht: Popper). Im Folgenden gilt es, die Beiträge dieser und anderer Autoren darzustellen und zu würdigen, und zwar a) in Bezug auf Hegels System als Ganzes und b) gemäß der Blochschen Aufgliederung in einzelne Themenbereiche.
a) das System als Ganzes betreffend (s.o. S. 5-14)
Hierzu schreibtHans-Dieter Sill(2021) in seiner Studie zum ThemaKritik an Hegel.39
„Hegel’s Philosophie hat zu erheblichen Kontroversen unter Philosophen geführt. „Für den einen ist die Hegelsche Logik Nonsens, der in den Giftschrank gehört, weil sie die Köpfe junger Leute oft auf immer für jeden klaren Gedanken verdirbt. Ein anständiger Mensch sollte eine Denkdisziplin sich aneignen, die ihn immunisiert gegen die Einbil-dung, man könne dieses Buch verstehen.“ (Spaemann 1983, S. 25) Viele grundlegen
de Kritiken kommen von nicht gerade unbedeutenden Philosophen. Eine Darstellung ihrer Ansichten und eine Auseinandersetzung mit ihnen gehört zum Ganzen der Hegelschen Theorien.“
In der Berliner Universität fanden Hegels Lehrveranstaltungen stets regen Zulauf und lebhaften Zuspruch; wohingegen Kollegen wieSchelling(1775-1854) undSchopenhauer(1788-1860) sich schon früh eher skeptisch oder kritisch äußerten. Schelling bemängelte, in Hegels System bleibe für Gott kein Platz. Schopenhauer hingegen, der sich durch Hegel in seiner Lehrtätigkeit beeinträchtigt fühlte, erfand zur Kennzeichnung der Hegelschen Philosophie „den pejorativen Begriff „Hegelei“ für eine unverständliche, mystifizierende Sprache ..., die den Eindruck von gedanklicher Tiefe, Komplexität und Wichtigkeit erzeugen soll, tatsächlich aber weitgehend inhaltsleer ist, damit auch wenn dann nur minimalen, meist überhaupt keinen Erkenntnisgewinn ermöglicht,. “. Und Schopenhauer erklärte überdies:
„Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, .hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt/.“ (nach Weischedel 1997, S. 109) (in: Sill a.a.O.)
Kein Wunder, dass Schopenhauer dementsprechend Hegels System als Ganzes rundweg ab-lehnte. Wesentlich differenzierter ist die Kritik, die Schelling gegen seinen einstigen Tübinger Studienfreund Hegel vorbrachte, wozuAnnette Schlemm(geb. 1961) in ihrem,Philoso- phenstübchen‘schreibt:
„Schelling kritisiert an Hegel, daß dieser für Gott in seiner Bewegung des Begriffs keinen Platz mehr lasse.
An der Systematik Hegels kritisiert er, daß das reine Sein bei Hegel nichts Subjektives enthalte und es deshalb auch kein Fortgehen haben könnte, sondern dieses künstlich hineingeredet würde. "Es ist, wie wenn man Wasser in der hohlen Hand tragen wollte, wovon man auch nichts hat. Die bloße Arbeit, etwas festzuhalten, das sich nicht festhalten läßt, wie es nichts ist, gilt hier statt des Philosophierens. Man kann dasselbe von der ganzen Hegel'schen Philosophie sagen."
Schellings Formulierungen seiner Dialektik sind naturnäher. Was bei ihm noch "Tätigkeiten", "Handlungen" und "Produkte" sind, werden bei Hegel abstrakte Aspekte des Werdens/Daseins/Etwas/Anderes usw. Diese begriffliche Naturnähe bei Schelling verleitet jedoch dazu, reale Prozesse und metaphysische Begriffe zu verwechseln.
Die "Produktivität" im Schellingschen Sinne ist ein ganz und gar metaphysischer Begriff und ist gerade NICHT die reale ! Oder anders herum: Die Selbstorganisationskonzepte haben gerade erkannt, daß die reale Natur selbst schöpferisch ist und dazu KEIN (metaphysisches) Absolutes braucht.
Hegels "Sein, "Nichts", "Werden"... usw. sind wortwörtlich genommen jedoch auch nicht hilfreich. Interessanter ist die "Logik" der Bewegung der Begriffe.
Während bei Schelling die Triebkraft der Bewegung im metaphysisch hinein-behaupteten Subjekt liegt, bekommt bei Hegel jedes Bestimmte selbst die Kraft zur Selbstbewegung.
Daß diese Selbstbewegung auch bei Hegel letztlich in ein höchstes Absolutes mündet und nichts wirklich offen läßt, ist seiner Systematik geschuldet und muß relativiert werden.
Die Konzepte der Selbstorganisation verweisen letztendlich aber gerade darauf, daß kein Absolutes die Entwicklung "steuert", bestimmt, antreibt o.ä. Die Weltbereiche entwickeln sich SELBST - ohne jedes Absolute.“40
Letzteres geht natürlich weit über Schellings Kritik hinaus, zumal A. Schlemm zu erkennen gibt, warum Hegels Konzept des Absoluten hinfällig ist.
Eine erste ausführliche Kritik findet sich beiLudwig Feuerbach(1804-1872) im Jahre 1839 unter dem Titel:Kritik der Hegelschen Philosophie. Anscheinend als erster hat Feuerbach das Grundübel der Hegelschen Spekulation erkannt:die unlogische, unzulässige Verquickung von Absolutem und Relativem, Glauben und Wissen, Gott und Welt- und die damit verbundene Definition des Menschen als „Geist“. Wie soll denn diese Definition auf den Menschen aus Fleisch und Blut zutreffen können? Feuerbach stellt fest, dass Hegel in seiner Definition die Subjekt-ObjektBeziehungen auf die spirituellen Elemente der Subjekt-Objekt-Beziehung reduziert: Nur durch das ihm innewohnende Absolute könne der Mensch Zugang zu Gott gewinnen, d.h. in Gottes Geist selbst „Geist“ werden - ein durch nichts beweisbares Konstrukt, das Hegel selbst obendrein schließlich im „Absoluten Wissen“ aufhebt und auflöst.
Feuerbach sieht darin vor allem eine unzulässigeProjektion. Aus eigenen familiären Erfahrungen mit Kindschaft und Vaterschaft (z.B. als „Vater und Sohn“) schließen Menschen auf einen allmächtigen, allweisen und allgütigen Schöpfergott. WasDavid Johann Lensingnäher wie folgt erläutert:
„Eine Projektion ist das, was ein Beamer oder - wie der Name schon sagt - ein guter alter Projektor macht: Er wirft das vergrößerte Abbild eines Bildes an eine Wand oder Leinwand. Im übertragenen, psychologischen Sinne ist mit Projektion das gedankliche Heraufbeschwören einer Illusion oder Vorstellung (also ein Abbild) von eigenen Gefühlen, Sehnsüchten, Wünschen (als das ursprüngliche Bild) gemeint, auf eine wie auch immer geartete Projektionsfläche. Und Feuerbachs Theorie besagt nun, dassGotteine solche Projektionsfläche ist, quasi die Wand, an die wir unsere Vorstellungen werfen. Wie ist das zu verstehen?
Der Mensch erfährt sich selbst als endliches, begrenztes und unvollkommenes Wesen. Seine Wünsche und Sehnsüchte, an etwas Überzeitlichem und Größerem teilzuhaben, überträgt er auf ein göttliches Wesen. Dadurch versucht der Mensch, seine eigene Unvollkommenheit zu überwinden. Dass Gott als ewiges, vollkommenes, heiliges, allmächtiges und allwissendes Wesen erscheint, ist nach Feuerbach also kein Zufall, sondern ein Produkt des menschlichen Wunschdenkens.“41
Gott verliert dabei seine angebliche Personalität; die seiner Transzendenz zugeschriebenen Qualitäten erweisen sich als Projektionen menschlicher Eigenschaften. Mit erheblichen Folgen auch für Feuerbachs Begriff von Philosophie:
„Die Philosophie ist die Wissenschaft der Wirklichkeit in ihrer Wahrheit und Totalität; aber der Inbegriff der Wirklichkeit ist die Natur (Natur im universellsten Sinne des Wortes). Die tiefsten Geheimnisse liegen in den einfachsten natürlichen Dingen, die der jenseits schmachtende Spekulant mit Füßen tritt. Die Rückkehr zur Natur ist allein die Quelle des Heils.“42
Der Mensch mit all seiner natürlichenSinnlichkeitrückt ins Zentrum des philosophischen Interesses. WorinWerner Postjedoch kein Anzeichen eines puren Atheismus a la Nietzsche sieht, sondern „eine andere >Lokalisierung< der Gottesvorstellung“ (a.O. S. 94). Mit anderen Worten: „Auch in der Negation“ bleibt Feuerbach noch „völlig von der Theologie bestimmt“, oder, wie Feuerbach selbst es ausdrückt:
„Die christliche Religion hat den Namen des Menschen mit dem Namen Gottes in den einen Namen des Gottmenschen verbunden - den Namen des Menschen also zu einem Attribut des höchsten Wesens erhoben. Die neue Philosophie hat der Wahrheit gemäß dies Attribut zur Substanz, das Prädikat zum Subjekt gemacht - die neue Philosophie ist realisierte Idee
- die Wahrheit des Christentums ... Die widerspruchslose, reine, unver-fälschte Wahrheit ist eine neue Wahrheit - eine neue, autonomische Tat der Mensch-heit.“43
In dieser Ambivalenz zwischen seiner Religionskritik und seinem Anspruch auf eine „neue Wahrheit des Christentums“ bleibt Feuerbach offensichtlich befangen. -
Ebenfalls überaus kritisch, wenn auch weniger differenziert, äußert sich Feuerbachs ZeitgenosseFriedrich Adolf Trendelenburg(1802-1872). Über ihn schreibtSill(a.a.O.):
„Gegen Hegel betonte Trendelenburg, dass alle philosophische Erkenntnis die Erfahrung zum Ausgangspunkt nehmen muss. Entsprechend ist jedes Systemdenken durch „Logische Untersuchungen“, so der Titel seines systematischen Hauptwerkes, zu ersetzen, in denen die Erfahrung erforscht wird, indem das Allgemeine aus dem Besonderen gewonnen wird. Trendelenburg wehrte sich gegen die Konstruktion eines Systems, dessen Richtigkeit sich in der Praxis erst erweisen muss. Als richtiger Ausgangspunkt galt ihm vielmehr die Natur und die Praxis der Einzelwissenschaften, die in der Logik und Metaphysik auf einen Nenner, zur Einheit, zu bringen sind.
Die zentrale Kategorie in der systematischen Philosophie Trendelenburgs ist die der /Bewegung/, in der das Sein und das Denken durch Sinnlichkeit und Verstand vermittelt sind. Erkenntnis kann nur entstehen, wenn eine äußere Bewegung durch eine innere konstruierende Bewegung nachvollzogen und in Deckung gebracht wird, nicht im Sinne einer Identität als Abbild, aber doch als Entsprechung. Aus dieser Überlegung und der Auffassung, dass das Werden stets auf Anschauung beruht und seinen Grund deshalb nicht in den rein abstrakten Begriffen des Seins und des Nichts haben kann, kritisierte Trendelenburg die vermeintlich reine Begrifflichkeit der Hegelschen Dialektik. „Die Dialektik hatte zu beweisen, dass das in sich geschlossene Denken die Wirklichkeit ergreife. Aber der Beweis fehlt. Denn allenthalben hat es sich künstlich geöffnet, um von außen aufzunehmen, was ihm von innen mangelt. Das geschlossene Auge sieht nur Phantasien.“ (Trendelenburg1870, S. 109)
Über die Wirklichkeit kann man nicht nur in reinen Begriffen reden, man braucht die Anschauung. „Das menschliche Denken lebt von der Anschauung, und es stirbt, wenn es von seinen eigenen Eingeweiden leben sollte, den Hungertod.“ (Trendelenburg 1870, S. 109)“
Ein weiterer prominenter Kritiker von Hegels Vernunft-Idealismus istFriedrich Nietzsche(18441900). Für ihn ist Hegels Lehre der Inbegriff dessen, was er zutiefst verachtet: die Synthese von Vernunft, Idealismus und Christentum. Auch Hegels Staatsverehrung und -vergötzung ist ihm ein Gräuel. Über Geist, Seele, Staat und Ethik äußert er sich wie folgt.
über Geist und Seele
„Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft lügt der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere.
Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe.
Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese Verachtung das Höchste: - sie wollte ihn mager, grässlich, verhungert. So dachte sie ihm und der Erde zu entschlüpfen.
Oh diese Seele war selbst noch mager, grässlich und verhungert: und Grausamkeit war die Wollust dieser Seele!
»Leib bin ich und Seele« - so redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden?
Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe.
Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt.
Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du »Geist« nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft.
„Ich“ sagst du und bist stolz auf dies Wort. Aber das Größere ist, woran du nicht glauben willst — dein Leib und seine große Vernunft: die sagt nicht Ich, aber tut Ich.“
(Aus:'Also sprach Zarathustra')
über den Staat
„Irgendwo giebt es noch Völker und Heerden, doch nicht bei uns, meine Brüder: da giebt es Staaten.
Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich euch mein Wort vom Tode der Völker.
Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: „Ich, der Staat, bin das Volk.“
Lüge ist’s! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten einen Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben.
Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heissen sie Staat: sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin.
Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als bösen Blick und Sünde an Sitten und Rechten.
Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten und Rechten.
Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er auch redet, er lügt - und was er auch hat, gestohlen hat er’s.
Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beisst er, der Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide.“
(Aus:'Also sprach Zarathustra')
zur Ethik
Nietzsche will die Autonomie der Person nicht mehr an die gesellschaftliche bzw. staatliche Gesetzlichkeit binden. Vielmehr sollen alle Menschen „die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden“ werden, um sodann erst als„Physiker ... Schöpfer“werden zu können, mit der Begründung: „Hoch die Physik! Und höher noch das, was uns zu ihrzwingt- unsere Redlichkeit.“ (Aus:,Diefröhliche Wissenschaft’)
WozuKaren Gloy(geb. 1941) feststellt:
„In dem Kapitel „Die 'Vernunft' in der Philosophie" in der Götzen-Dämmerung thematisiert und diskreditiert Nietzsche die Rolle und Funktion der Vernunft in der tradi-tionellen Philosophie: Sie sei es, die das Zeugnis der Sinne über die Wirklichkeit verfälsche, die erst
„die Lüge der Einheit, die Lüge der Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer“ schaffe. „Die ,Vernunft' ist die Ursache, dass wir das Zeugniss der Dinge fälschen. Sofern die Sinne das Werden, das Vergehn, den Wechsel zeigen, lügen sie nicht. . . " Der Grund für die Verstellung und Verzerrung besteht darin, daß die Kategorien der Substanz, der Dingheit, der Gleichheit, des Unbedingten der Wirklichkeit und ihrem Fließen widerstreiten und folglich diese nicht zu fassen vermögen. Sie stellen lediglich intel-lektuelle Operationsmittel zum Zwecke der Beherrschung und Bewältigung der Wirklich-keit dar.
,„Sein‘, ,Substanz“ und .Unbedingtes“, .Gleichheit“, .Ding“ das Denken erfand sich zuerst und zu ältest diese Schemata, welche thatsächlich der Welt des Werdens am gründlichsten widersprachen, aber ihr von vornherein, bei der Stumpfheit und Einerleiheit des anfänglichen, noch unter thierischen Bewußtseins, zu entsprechen schienen: jede „Erfahrung“ schien sie immer von Neuem und sie ganz allein zu unterstreichen“ ,
und so gelangten die Alten zur Annahme ihrer Richtigkeit und Wahrheit, während ihnen Veränderung, Wechsel, Werden überhaupt als Beweis für Scheinhaftigkeit galt.
„Heute umgekehrt sehen wir, genau so weit als das Vernunft-Vorurtheil uns zwingt, Einheit, Identität, Dauer, Substanz, Ursache, Dinglichkeit, Sein anzusetzen, uns gewis- sermaassen verstrickt in den Irrthum, necessitirt zum Irrthum; so sicher wir auf Grund einer strengen Nachrechnung bei uns dar über sind, dass hier der Irrthum ist."
Nietzsche kritisiert hier eine Weltdeutung, die im Prinzip zwei Jahrtausende lang ge- golten und die Vernunft in Gestalt der identifizierenden, klassifizierenden, dihaireti- tschen Vernunft, also der formalen Logik und Satzsyntax, der Sinnlichkeit superponiert hat und damit zugleich eine Wertung in bezug auf Wahrheit und Falschheit, Normativität und Dekadenz, Schönheit und Häßlichkeit verbunden hat.“ ...
„Vernunft führt zu nichts anderem als zu Täuschung und Irrtum. Indem Nietzsche die Vernunftautorität entmachtet, kehrt er das klassische Verhältnis um: Die traditionell scheinbare Welt ist die wirkliche und die traditionell wahre die scheinbare, erlogene.
Der Unterschied zwischen Hegels und Nietzsches Lösung resultiert aus einer unterschiedlichen Bewertung der Sinnlichkeit. Nicht nur wertet Nietzsche die Sinnlichkeit auf, sondern hält sie auch für das einzig glaubwürdige, Wirklichkeit erschließende Erkenntnisorgan. Die Vernunft allein ist Ursache der Verfälschung des Sinneszeugnisses durch ihre Interpretation der Sinnesdaten mittels statischer Kategorien. Mit Nietzsche erfolgt erstmals in der abendländischen, christlich geprägten Geschichte eine sinnes-, sogar leibphysiologische Begründung der Erkenntnistheorie, mit der eine Umstülpung der bisherigen Ordnung verbunden ist. Empfindungen, Wahrnehmungen, leibliche Erfahrungen erhalten einen höheren Stellenwert als das nur Gedachte. Darüber hinaus werden die sinnlichen Wahrnehmungen der Empiristen wie die Gedanken (cogitationes) der Rationalisten somatisch an den Leib gebunden und mit dem Gefühl von Lust und Unlust ausgestattet. Bei Hegel hingegen bleibt die Sinnlichkeit ein untergeordnetes Erkenntnisorgan, das nach der Phänomenologie des Geistes im Entwicklungsprozeß des Geistes von seinen sinnlichen Formen zum reinen Wissen überwunden wird und das nach der Enzyklopädie im Gesamtkonzept der Entfaltung des Geistes einen integrativen Bestandteil desselben ausmacht. Wird von Hegel die alte Ordnung prinzipiell anerkannt, so erfahren bei Nietzsche Sinnlichkeit und Leiblichkeit nicht nur eine Aufwertung, sondern treten an die Stelle der Vernunft.
Wiewohl Intention und Richtung von Nietzsches Ansatz damit deutlich geworden sind, stehen der Realisierung seines Programms erhebliche Schwierigkeiten im Wege, die keineswegs immer bewältigt worden sind und seine Philosophie nicht selten in Inkonzinnitäten verwickeln, geht es doch darum, ein neues Prinzip anzusetzen, das nicht mehr den Status eines Prinzips hat. Nicht zuletzt hieraus erklärt sich die eingangs erwähnte strittige Frage, ob Nietzsches Philosophie noch Metaphysik im Sinne einer Vollendung von Metaphysik oder Überwindung von Metaphysik durch einen Biolo-gismus ist, anders formuliert, ob hier noch eine Vernunftphilosophie vorliegt, die das Andere der Vernunft mit einbezieht, oder ein Abgrund für die Vernunft, der an Stelle der Vernunft das Andere statuiert, das eigentlich nur noch vollzogen, aber nicht mehr begriffen werden kann, da Leben für den Begriff unbegreiflich ist.
(Vgl. F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, in: KSA, Bd. 11, 627 (Nr. 39).“44
Aus dem 20.Jahrhundert verdienen nähere Betrachtung vor allem die negativen Kritiken vonSir Karl R. Popper(1902-1994),Theodor W. Adorno(1903-1969) undHans Schnädelbach(geb. 1936). Zu Poppers Kritik bemerktSill(a.a.O.):
„Nach Popper habe Hegel durch den Versuch, durch unverständliche Sprache tatsächlich fehlende inhaltliche Substanz vorzutäuschen, in der Philosophiegeschichte eine neue Epoche eingeleitet, die nicht auf Gedankenaustausch und Argumentation, sondern auf Beeindruckung und Einschüchterung ausgerichtet gewesen sei. Dieser Jargon’ habe zunächst intellektuelle und dann auch moralische Verantwortungslosigkeit nach sich gezogen. (Popper 2003) Popper versucht auch Verbindungen dieses Denkens zu Zentralismus, Etatismus und Nationalismus und Faschismus aufzuzeigen. Die geistesgeschichtlichen Wurzeln des letzteren sieht er vor allem in einer Kombination hegelianischer Geschichtsphilosophie mit den neomalthusianischen Biologismen des späten 19. Jahrhunderts, insbesondere denen Ernst Haeckels. Popper bringt das philosophische Fundament der faschistischen Ideologien des 20. Jahrhunderts auf die Formel „Hegel plus Haeckel“ (Popper 2003, S. 73). Habermas stellt in seinem Hauptvortrag auf dem HegelKongress 1981 fest, dass Popper Hegel als Feind der offenen Gesellschaft entlarvt hat. (Habermas 1983, S. 42)“
Popper versucht, eine stringente Entwicklungslinie des Totalitarismus von Platon über Hegel und Marx zu den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Wobei ihm zupass kommt, dass Marx tatsächlich erklärt hat, er wolle „Hegel vom Kopf auf die Füße stellen“ und dabei Hegels Idealismus durch empirisch gestützten dialektischen Materialismus ersetzen.
Popper bezeichnet Hegel zunächst als „die Quelle des Historizismus unserer Zeit“ und zugleich als “logischen Hexenmeister“, dem es dank seiner „zauberkräftigen Dialektik“ gelungen sei, „physische Kaninchen aus rein metaphysischen Zylinderhüten herauszuholen“.45Was Popper damit meint, fasstFranz Gmainer-Pranzlwie folgt zusammen:
„Als Ahnherr eines „Historizismus unserer Zeit“ (II, 35) sei Hegel zu benennen, dessen Philosophie - so Popper in durchaus drastischer Diktion - „die Renaissance der Ideologie der Horde“ (II, 39) darstelle; er verbinde „den Platonismus mit dem modernen Totalitarismus“ (II, 40). Die beiden Hauptsäulen der Hegelschen Philosophie seien die „Dialektik“ (II, 47) - die nach Popper „Kritik und Argumentieren unmöglich macht“ und sich als „doppelt verschanzter Dogmatismus“ (II, 49) etabliert - und die „Philosophie der Identität“ (II. 50), die „der Rechtfertigung der bestehenden
Ordnung“ (ebd.) diene. Eine Folge des Hegelianismus sei der Aufstieg eines „totalitären Nationalismus“ (II, 60), der gleichsam den Inbegriff einer geschlossenen Gesellschaft bilde.“46Popper führt auch ein starkes persönliches Motiv Hegels an, das diesen zur Begründung eines solchen fatalen Nationalismus angestachelt habe: die Unterstützung durch den preußischen König, seinen Arbeitgeber an der Berliner Universität. Hegel sei „der erste offizielle Philosoph des Preußentums“ gewesen, „ernannt in einer Periode feudaler ,Restauration‘ nach den napoleonischen Kriegen“.47Nicht zu unterschätzen sei „der ungeheure Einfluß“ seiner Philo-sophie schon zu seinen Lebzeiten und erst recht in der Nachwelt. In Wirklichkeit aber sei diese Philosophie wie “der moderne Totalitarismus ... nur eine Episode des ewigen Aufstandes gegen die Freiheit und gegen die Vernunft“ gewesen.48Den von Hegel inspirierten totalitären „Führern“ sei es sogar gelungen, „einen der kühnsten Träume ihrer Vorgänger zu verwirklichen; sie machten den Aufstand gegen die Freiheit zu einer populären Bewegung“. Und Gmainer-Pranzl fügt hinzu: „Der durch den Hegelianismus formierte Totalitarismus weist Popper zufolge sechs Kenn-zeichen auf: (a) Nationalismus, der „Blut“, „Volk“ und „Rasse“ als sein „höchstes Gut“ ansieht .; (b) ein „natürlicher“ Gegensatz eines Staates zu allen anderen Staaten, der notwendigerweise im Krieg ausgetragen werden müsse; (c) der Erfolg als zentrale Kategorie der Politik, die keine sittliche Verpflichtung kennt; (d) Krieg als erstrebenswertes Ziel; (e) das Führerprinzip als „Idee der weltgeschichtlichen Persönlichkeit“ (II, 86); sowie (f) das Ideal des Heroismus.“ (a.a.O. S. 6) Nichtsdestoweniger spricht Popper dem Hegelschen Denken jegliche Originalität ab, indem er polemisiert:
„Es gibt nichts in Hegels Schriften, das nicht vor ihm besser gesagt worden wäre. Es ist nichts in seiner apologetischen Methode, das er nicht von seinen apologetischen Vorgängern erborgt hätte. Aber diese erborgten Gedanken und Methoden widmete er einseitig, wenn auch ohne eine Spur von Talent, einem einzigen Ziel, dem Ziel, die offene Gesellschaft zu bekämpfen und auf diese Weise seinem Arbeitgeber, Friedrich Wilhelm von Preußen, zu dienen.“49
Radikaler und vernichtender kann Kritik kaum sein! Gmainer-Pranzl nennt sie eine Kritik der „faschistischen Version des Hegelschen Historizismus“ (a.a.O. ebd.). Zu welchen Irrtümern dieser geführt habe, zeigt sich laut Popper insbesondere an den „typischen dialektischen Verdrehungen“. Wobei zu beachten ist, dass Popper Hegels Dialektik nur in der Form der Triade These - Antithese - Synthese analysiert, nicht als die bei Hegel ebenso gängige Form Position - Negation - Negation der Negation. Auch behauptet Popper, Hegel verwende den Begriff Widerspruch stets im Sinne von ,Widersinn‘, nicht - wie bei Hegel klar nachweisbar - als Gegensatz bzw. Entgegensetzung (wie bei der Negation der Negation!). Popper:
„Und der Grund, warum er Widersprüche zulassen will, ist sein Wunsch, die rationale Argumentation und damit den wissenschaftlichen und intellektuellen Fortschritt aufzuhalten. Indem er Kritik und Argumentation unmöglich macht, schützt er seine eigene Philosophie vor aller Kritik; so vor jedem Angriff sicher, kann sie sich als ein doppelt verschanzter Dogmatismus und als der unübertreffliche Gipfel der philosophischen Entwicklung etablieren.“ (Popper a.a.O. S. 49) Popper wirft Hegel also vor, aus pur egoistischen Gründen eine Unsinns-Philosophie propagiert zu haben, um der Wissenschaft bewusst und wissentlich zu schaden und damit im Grunde ausschließlich Preußens „Gloria“ zu huldigen. Ein maßloser, kaum erträglicher Vorwurf!
(Näheres zur Dialektik s.u.)
zu Adorno
Das Ganze ist nicht alles.
Theodor W. Adorno (1903-1969)
»Das Grauen besteht darin, daß wir zum ersten Mal heute in einer Welt leben, in der man sich das Bessere gar nicht mehr vorstellen kann.« Erinnert vonMartin Warny:50
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen"; „Das Ganze ist das Unwahre": diese berühmten Kernsätze aus den „Minima Moralia" haben hier und in der Erfahrung des Exils zwischen 1933 und 1949, als Adorno aus den USA nach Frankfurt am Main zurückkehrt, ihren biographischen Kern. Das Ganze als undurchschauter ideologischer Verblendungszusammenhang, der den Einzelnen unmündig macht, indem er ihm schon die bloße freie Einsicht in die Möglichkeit des Heraustretens aus dem als naturwüchsig von den Subjekten empfundenen oppressiven Zusammenhang des Ganzen verwehrt. Aber ein solches sich dem falschen Ganzen Entziehen wäre ja möglich und Freiheit im antezipatorischen Vorgriff denkbar ja nur, wenn es sich erwiese, daß das Ganze eben nicht Alles ist, daß es gleichsam eine Perspektive gäbe, die mit dem Ganzen nicht identisch ist, aus der heraus das Ganze als das Unwahre zu erkennen wäre. Bei Hegel ist das Ganze bekanntlich das Wahre, das das Wirkliche und somit auch das Vernünftige ist. Die Widersprüche, an denen der Geist im Gang seiner Entwicklung zum Bewußtsein seiner Freiheit sich abarbeitet, sind am Ende dieses Entwicklungsganges, das zugleich das Ende der Geschichte darstellt, in einer widerspruchsfreien Totalität aufgehoben, die schlechthin Alles in sich einbe-greift, weil sie Alles auf den Begriff seiner selbst gebracht und mit sich selbst und dem Ganzen vermittelt identisch gemacht hat. Von Hegel ausgehend und zugleich dessen systeminhärenten Totalitarismus kritisierend, beharrt Adorno auf dem Nichtidentischen, dem nicht begrifflich zugerichteten Objekt wie dem seiner Verdinglichung qua Absolutierung sich widersetzenden Subjekt, das sich dagegen verwahrt, mit dem unwahren Ganzen identifizierend in Eins gesetzt zu werden und so seines emanzipatorischen Anspruchs auf Glück sich zu begeben. Dieses Nichtidentische ist dasjenige, von dem, wie im Bilderverbot der jüdischen Religion, die auch diejenige Adornos war, nicht gesprochen werden darf anders als in der Weise der Negation. Negative Dialektik besteht hier unerbittlich auf dem Einkassieren der Hegelschen Versöhnung; Negativität verharrt in der ganzen Schwärze ihrer Unversöhnlichkeit, um gerade in diesem Fehlen jeder Hoffnung ein utopisches Moment die Nacht der Negativität erhellen zu machen. Einstweilen aber bleibt Alles dunkel: „Freiheit hat sich in die reine Negativität zusammen-gezogen, und was zur Zeit des Jugendstils in Schönheit sterben ließ, hat sich reduziert auf den Wunsch, die unendliche Erniedrigung des Daseins wie die unendliche Qual des Sterbens abzukürzen in einer Welt, in der es längst Schlimmeres zu fürchten gibt als den Tod". Ein Aufheben der Negativität bedeutete nichts als eine falsch versöhnliche Affirmation ans Bestehende, das als ebenso undurchschauter wie eben darum scheinbar unentrinnbarer gesell-schaftlicher Verblendungszusammenhang die Beziehungen der Subjekte untereinander bis in ihre innerste Vermitteltheit nach dem merkantilen Prinzip des Tauschverhältnisses organisiert. Das Ganze in seinem Vermitteltsein transparent zu machen, ist nach Adorno eben die Aufgabe der Dialektik: die in der denkenden Arbeit am Begriff sich vollziehende Auflösung von dessen gleichsam ontologisch verfestigter Statik des an sich Seienden, die Einsicht in die Vermitteltheit des Objekts durchs Subjekt ebenso wie die, daß das Subjekt ohne das Moment der Objektivität einfach nichts ist.
Nicht weniger anspruchsvoll ist das, wasMarc Nicolas(2011) über Adornos Hegel-Kritik schreibt51:
„Hauptangriffspunkt von Adornos Kritik an der hegelschen Vermittlung ist die Verknüpfung der Vermittlung mit dem Primat des Geistes. Damit fügt sich diese Kritik in das Raster von Adornos Hegelkritik im Ganzen ein, die vom Anspruch geleitet ist, die inhaltlichen Gehalte der hegelschen Dialektik von der idealistischen Supposition der Identität von Subjekt und Objekt im Geist zu befreien. Dies ist nach der Negativen Dialektik das eigentliche Programm der adornoschen Philosophie. Die berühmte, auf der ersten Seite des Hauptwerks aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit von Philosophie überhaupt präzisiert sich zur Frage nach der Möglichkeit einer Dialektik, die inhaltliche Erfahrungen birgt, ohne die Identität von Subjekt und Objekt zu supponieren. Dieses Anliegen von Adornos Hegelkritik scheint jedoch von Beginn an einen Widerspruch zu involvieren, insofern Adorno von der hegelschen Dialektik ihre Fähigkeit zu inhaltlicher Erfahrung übernehmen und gleichzeitig der idealistischen Supposition einer Identität von Subjekt und Objekt entsagen will. Gerade diese Identität ist es aber, die nach Adorno Hegel erst die Fähigkeit zum inhaltlichen Philosophieren verleiht.
Ich möchte zeigen, dass die Kritik an der Identität von Subjekt und Objekt, an der die Fähigkeit zu inhaltlicher Erfahrung zu hängen scheint, gleichzeitig im innersten Kern der Dialektik Kräfte freisetzt, die der adornoschen Philosophie die Fähigkeit zu inhaltlicher Erfahrung ohne die idealistische Supposition einer Identität von Subjekt und Objekt verleihen. An diesem innersten Kern zeigt sich mit der Differenz in der Vermittlung eine Strukturveränderung der Dialektik, die für die adornosche Konzeption von grundlegender Bedeutung ist. ...
Inhaltliche Erfahrung ist für Adorno der Maßstab einer Philosophie, die ihren Namen noch verdient und sich nicht in einen abstrakten Formalismus zurückzieht. Sie bezeichnet eine Art der Erkenntnis, die ihre Gegenstände nicht aktiv konstituiert, sondern von diesen Gegenständen her passiv determiniert wird. Von dieser Form der Erkenntnis unterscheidet Adorno die klassifizierende oder identifizierende Erkenntnis. Das Verhältnis der beiden Erkenntnisarten konzipiert er als ein antagonistisches:
»Die Schlüsselposition des Subjekts in der Erkenntnis ist Erfahrung, nicht Form; was bei Kant Formung heißt, ist wesentlich Deformation. Die Anstrengung von Erkenntnis ist überwiegend die Destruktion ihrer üblichen Anstrengung, der Gewalt gegen das Objekt. Seiner Erkenntnis nähert sich der Akt, in dem das Subjekt den Schleier zerreißt, den es um das Objekt webt.«
Inhaltliche Erfahrung bezeichnet eine Erfahrung des Objekts jenseits der begrifflichen Identifikation, sie ist, um den zentralen Begriff der adornoschen Philosophie zu bemühen, Erfahrung des Nichtidentischen.
In der hegelschen Philosophie, die, besonders in ihrer Gestalt in der Phänomenologie des Geistes, das Modell für Adornos Erfahrungsbegriff abgibt, ist die Möglichkeit inhaltlicher Erfahrung, die sich über die Selbstkritik begrifflicher Identifikation konstituiert, durch den Primat des Geistes verbürgt.
»Hegels inhaltliches Philosophieren hatte zum Fundament und Resultat den Primat des Subjekts oder, nach der berühmten Formulierung aus der Eingangsbetrachtung der Logik, die Identität von Identität und Nichtidentität. Das bestimmte Einzelne war ihm vom Geist bestimmbar, weil seine immanente Bestimmung nichts anderes als Geist sein sollte.«
Die spekulative Identität bildet bekanntlich nicht erst bei Adorno einen zentralen Punkt der Hegelkritik. Neu an Adornos Kritik ist, dass er in dieser Identität nicht das Eigentliche der hegel- schen Position sieht, sondern sie vielmehr als eine idealistische Verstellung dessen versteht, was er unter dem Begriff der Dialektik zu retten versucht. Die Folgen dieser Rettung sind zweierlei. Einerseits wird dadurch die idealistisch abgestützte Fähigkeit zu inhaltlicher Erfahrung zerstört, andererseits wird die Dialektik dabei einer strukturellen und inhaltlichen Veränderung unterzogen, welche die Fähigkeit zu inhaltlicher Erfahrung jenseits der Identitätsphilosophie wiederherstellt.
Strukturell hat die Absage an die spekulative Identität zur Folge, dass es bei Adorno keine dialektische Entwicklung im eigentlichen Sinn gibt. Die negativ dialektische Beziehung kennt keine Progression, in der die nichtidentischen Momente auf einer höheren Stufe aufgehoben werden. Sie vermittelt zwar zwischen ihren Momenten, bringt diese emphatisch nichtidentischen Momen- te jedoch nicht zusammen. Dennoch greift es zu kurz, Adorno deshalb einen »Schritt von der Dialektik zum Dualismus« oder eine Rückverwandlung der Dialektik »in den Typus einer dualistischen Reflexionsphilosophie« vorzuwerfen. Die spezifische Differenz zwischen Adornos Position und einem Dualismus liegt im Gedanken der Vermittlung, die nicht bloß die äußerliche Verwiesenheit der Momente behauptet, sondern ihre immanente, wechselseitige Abhängigkeit. (...) Emphatisch gilt das für Subjekt und Objekt, von deren Verhältnis Adorno sagt: »Weder sind sie letzte Zweiheit, noch verbirgt hinter ihnen sich letzte Einheit.« Ihre Beziehung als negativ dialektische ist vielmehr ein Drittes neben diesen Alternativen. Dadurch ändert sich auch die Stellung der Identität im Strukturgefüge einer negativen Dialektik. Ist die spekulative Identität bei Hegel der Endpunkt, auf den sich die dialektische Bewegung hinbewegt, so wird die scheinhafte Identität von Begriff und Gegenstand bei Adorno zum Ausgangspunkt, von dem sich die Dialektik abstößt. Das spekulative Moment überlebt bei Adorno nicht in der Bewegung zur Identität, sondern im Widerstand gegen die Fassaden.
In einer Vorlesung beschreibt Adorno die Verschiebung des Spekulationsbegriffs als die von einer »sinnstiftenden Kategorie« zu einer Kategorie, die dazu dient, »den Schein von Sinn, den das bloß Daseiende usurpiert, zu zerstören«. Bei Hegel dient die Spekulation der Überwindung der Nichtidentität, bei Adorno zerstört sie die scheinhafte Identität von Subjekt und Objekt, hinter der erst die Nichtidentität hervortritt.
Die Befreiung der Dialektik vom Primat des Geistes affiziert sie auch inhaltlich: Dialektik verändert sich qualitativ. Michael Theunissen hat festgehalten, dass bei Marx und Kierkegaard durch die im Vergleich zu Hegel stärkere Dissoziation von Denken und Sein die hegelsche Dialektik in zwei Arten der Dialektik, eine Darstellungsdialektik und eine Realdialektik, zerbricht.
Bei Adorno nimmt dieses Auseinanderbrechen eine andere Form an. Statt eines Bruches in zwei Dialektiken gibt es bei ihm eine Achsendrehung der Dialektik von einer horizontalen Dialektik von Begriffen zu einer vertikalen Dialektik von Begriff und Gegenstand. Dadurch wird Adornos Dialektik gleichsam zu einer Grenzdialektik zwischen Bewusstsein und Gegenstand, Begriff und Realität, Denken und Sein. Die beiden Momente der Dialektik sind bei Adorno als radikal nichtidentische konzipiert, radikal in dem Sinne, dass ihre Nichtidentität nicht durch eine übergreifende Identität aufgehoben werden kann; nichtsdestoweniger sind sie durcheinander vermittelt. Negative Dialektik ist der Versuch, die Differenz in der Einheit von Subjekt und Objekt, Begriff und Nichtbegrifflichem zu denken; in Abgrenzung zu Hegels Formel von der Identität der Identität und Nichtidentität postuliert sie die Nichtidentität von Identität und Nichtidentität.
Resultiert Adornos Kritik am hegelschen Primat des Geistes in der Annahme einer fundamentalen Nichtidentität zwischen Subjekt und Objekt, so wird inhaltliche Erfahrung, das Ziel von Adornos Selbstkritik der Philosophie, scheinbar unmöglich. Um diese Erfahrung dennoch denken zu können, braucht Adorno ein Konzept, das Hegels spekulative Identität in ihrer erfahrungskonstitutiven Funktion ersetzt, ohne dabei die Identität von Subjekt und Objekt mitzusetzen.
Bei Hegel bestand nach Adorno die erfahrungskonstitutive Funktion darin, dass das Objekt durch das Subjekt erfahrbar ist, weil es selbst vom Subjekt gesetzt ist.
Darin verbergen sich zwei Momente: einerseits sind Subjekt und Objekt von derselben Art, beide sind Geist, somit ist das Objekt prinzipiell vom Subjekt erkennbar, andererseits ist das Objekt vom Subjekt selbst gesetzt, und deshalb diesem vollkommen kommensurabel.
Während Adorno dem zweiten Moment entsagt, muss er doch am ersten, der Gleichartigkeit von Subjekt und Objekt festhalten. Sonst könnte er nicht plausibel machen, wie das Subjekt überhaupt das Objekt erkennen kann; er würde auf einen Dualismus kantschen Typus zurückgeworfen werden, an dem er selbst kritisiert, dass er Erkenntnis im emphatischen Sinn nicht erklären kann, weil er sie tautologisch konzipiert.
Um an der Möglichkeit inhaltlicher Erfahrung ohne die Supposition einer Identität von Subjekt und Objekt festhalten zu können, bezieht Adorno eine prekäre Stellung im »Prozess zwischen Kant und Hegel«: Mit Hegel soll gegen Kant die starre Antithetik von Subjekt und Objekt und die der für Adorno damit assoziierten Dualismen überwunden werden; nur dadurch ist der Übergang in inhaltliches Philosophieren möglich. Mit Kant und gegen Hegel jedoch sollen sich diese Inhalte gegenüber dem Subjekt erhalten und nicht in es aufgelöst werden. In anderen Worten: Adorno möchte von Hegel die Fähigkeit inhaltlichen Philosophierens übernehmen, ohne zugleich Hegels absoluten Idealismus mitzuschleifen. Als Einspruch gegen diesen Idealismus dient ihm die »Idee der Andersheit«, die Idee der unaufhebbaren Differenz von Subjekt und Objekt. Diese wechselseitigen Kritiken mit Hegel an Kant und mit Kant an Hegel kreuzen sich in dem, was Adorno den Vorrang des Objekts nennt.
Der Vorrang des Objekts markiert sowohl Kritik am idealistischen Primat des Geistes, wie auch das Desiderat einer Erfahrung, die inhaltlich vom Objekt her bestimmt wird. Ist im ersten Moment die Unauflöslichkeit des Objekts aufgehoben, so im zweiten der Gedanke der Vermitt lung. Das Objekt muss von Adorno als durch das Subjekt Vermitteltes, in dieser Vermittlung aber gleichzeitig als vom Subjekt Unabhängiges und sich ihm gegenüber Erhaltendes gedacht werden. Der Schlüssel dazu ist in Adornos Kritik des hegelschen Vermittlungsbegriffs zu suchen.
Adornos kritische Aneignung der hegelschen Vermittlung
Adornos Auseinandersetzung mit dem hegelschen Vermittlungsbegriff bleibt in ihrem Bezug zur hegelschen Behandlung dieses Begriffs undurchsichtig. Reinhard Kager hat darauf hinge- 71
wiesen, dass Adorno die drei Momente der begrifflichen Vermittlung bei Hegel - Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit - auf zwei Momente - Allgemeinheit und Besonderheit - verkürzt. Dies erklärt sich, wie Birgit Sandkaulen bemerkt, aus Adornos Abneigung gegen ein versöhnendes Drittes, wie es in diesem Falle die Einzelheit darstellt.
Der springende Punkt jedoch liegt nach Sandkaulen darin, dass Adorno diese Verkürzung nicht leistet, sondern immer bereits voraussetzt: »Nicht etwa präsentiert er Hegels Vorlage unter Berücksichtigung ihrer drei Terme, um ihr dann >negativ< zu begegnen, vielmehr präsentiert er sie ihrerseits auch immer schon nur in einer auf zwei Pole reduzierten Form.«
Dadurch scheint Adorno den hegelschen Vermittlungsbegriff notwendig zu verfehlen. Dies zumindest, wenn man die Wissenschaft der Logik, in der Hegel die Vermittlung der drei Momente behandelt, zugrunde legt. Verständlich wird Adornos Vorgehen nur, wenn als Bezugspunkt nicht mehr die Logik, sondern die Phänomenologie des Geistes herbeigezogen wird. An diesem für Adornos Dialektikverständnis zentralen Werk lässt sich ein im Ursprung zweigliedriger Vermittlungsbegriff erkennen, den Adorno gegen Hegel selbst zu verteidigen sucht.
In Folge möchte ich versuchen, Adornos Vorgehen unter dieser Annahme zu lesen.
Die erste ausführlichere Behandlung des hegelschen Vermittlungsbegriffs findet sich in der 1957 veröffentlichen Hegelstudie »Aspekte«. Die Vermittlung führt Adorno dort zunächst als Fortschritt über die Dualismen der kantschen Philosophie ein:
»Hegel hat den Kantischen Kritizismus zu seinem Recht gebracht, indem er den Kantischen Dualismus von Form und Inhalt selber kritisierte, die starren Differenz-bestimmungen von Kant und, Hegels Interpretation zufolge, auch noch von Fichte in die Dynamik hineinzog, ohne doch die Unauflöslichkeit der Momente einer unmittelbaren planen Identität zu opfern.«
Es fällt auf, dass Adorno in den angeblich hegelschen Vermittlungsbegriff unter der Hand ein kantisches Motiv einschleust. Die Unauflöslichkeit der Momente ist ein Gedanke, den Adorno generell mit Bezug auf Kant als Einspruch gegen Hegel benutzt. An dieser Stelle aber hat er den kantschen Gedanken der Idee der Andersheit bereits in den Vermittlungsbegriff eingebaut, der deswegen kein genuin hegelscher mehr ist. Das Wesen dieser Vermittlung liegt nach Adorno darin, nicht »Grundstruktur« zu sein: Vermittlung bedeutet in diesem Sinne, dass es kein erstes oder letztes Prinzip gibt, auf das sich alles zurückführen ließe. Hier setzt Adornos Kritik an der Philosophie Hegels an: Trotz der Unverträglichkeit des (angeblich hegelschen) Vermittlungsbegriffs mit einem ersten Prinzip hat Hegel an einem solchen Prinzip festgehalten.
Hegel hat jedoch nicht einfach in Widerspruch zu seinem Vermittlungsbegriff gleichzeitig ein erstes Prinzip behauptet, auf dem sein System aufbaut, sondern diese Problematik ist bei Hegel weitaus komplexer. Dies hat auch Adorno gesehen. Er wirft Hegel nicht vor, sein System fuße auf einem undialektischen Prinzip, sondern kritisiert ihn dafür, dass er den Idealismus nicht verlässt, indem er mit dem Primat des Geistes am ihm festhält:
»Indem der betrachtende Geist sich vermißt, alles was ist, als dem Geist selber, dem Logos, den Denkbestimmungen kommensurabel zu erweisen, wirft der Geist sich zum ontologisch Letzten auf, auch wenn er die darin liegende Unwahrheit, die des abstrakten Apriori, noch mitdenkt und diese seine eigene Generalthesis wegzuschaffen sich anstrengt.«
Adornos Kritikpunkt lautet demnach, dass Hegel, wenn auch nicht an einem undialektischen Anfang, dennoch mit dem Geist, der das Ganze ist, am Konzept eines ersten Prinzips festhält; obwohl er ihn zunächst nur abstrakt voraussetzt, bleibt doch der Geist, als spekulative Identität von Subjekt und Objekt, Vorraussetzung der hegelschen Philosophie.
Aus der Verknüpfung von Vermittlung mit der spekulativen Identität wird die für Adorno ursprünglich zweigliedrige Vermittlung zu einer dreigliedrigen gemacht. Weil Hegel von Anfang an die entzweiten, durcheinander vermittelten Momente als Momente des Geistes denkt, kann er ihre Differenz schlussendlich auflösen. Und erst durch dieses Moment, sei es als abschließende Selbstaufhebung der Dialektik im Übergang von der Dialektik in die Spekulation oder als Synthese auf jeder einzelnen Stufe, wird die Vermittlung zu einer dreigliedrigen. Das dritte Glied ist dabei nicht ein Drittes neben den vermittelten Gliedern, sondern es ist die gesetzte Einheit der beiden Glieder der Vermittlung, die Synthese.
Festzuhalten ist hier die Verbindung des dritten Gliedes der Vermittlung mit dem Primat des Geistes: Nur dieser, die spekulative Identität von Subjekt und Objekt, erlaubt es Hegel, die beiden Momente der Vermittlung in einem dritten Moment, der Einheit der beiden ersten, aufzuheben. Dieser Zusammenhang erlaubt es wiederum Adorno, die Vermittlung als an sich zweigliedrige Struktur in Hegel hineinzuprojizieren und anzudeuten, dass dieser Begriff der Vermittlung bei Hegel verfälscht wird, da er mit dem Primat des Geistes verbunden wird; zudem kann Adorno so ziemlich rigoros zwischen zu Bewahrendem und zu Kritisierenden in der hegelschen Philosophie scheiden und seinen Vermittlungs- und Dialektikbegriff entwickeln, indem er ihn von der idealistischen Klammer, in der er bei Hegel konzipiert ist, befreit.
Mit Hinblick auf die Feststellung Sandkaulens, dass Adorno nicht bei der hegelschen Vermittlung in ihrer dreigliedrigen Form ansetzt und ihr negativ begegnet, sondern sie von Anfang an Hegel als zweigliedrige Vermittlung unterstellt, lässt sich nach der Motivation einer solchen umständlichen und verstellenden Interpretation fragen. Adorno selbst liefert dafür die Begründung, dass in der Hegelstudie »Aspekte« keine Darstellung der hegelschen Philosophie versucht wurde, »sondern daß es sich dabei um einen Versuch der Rettung Hegels handelt, und zwar, wenn Sie wollen, in einem gewissen Widerspruch zu gewissen Grundintentionen von Hegel selbst«.
Die Trennung in einen dialektischen und einen idealistischen Hegel und die daraus folgende Trennung von Vermittlung und Primat des Geistes steht bei Adorno demnach unter taktischen Motiven, die gleichsam auf eine Rettung der Dialektik Hegels gegen undialektische Tendenzen in seinem eigenen Denken abzielt.
Diese Rettung dient dabei nicht primär der Restitution der hegelschen Philosophie, sondern vielmehr der philosophischen Selbstbestimmung Adornos.“
zu Schnädelbach (geb. 1936)
Über ihn schreibtSill(a.a.O.):
„Herbert Schnädelbach studierte Philosophie, Soziologie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaften und wurde mit einer Dissertation zu Hegels Theorie der subjektiven Freiheit in Philosophie promoviert. Die Beschäftigung mit Hegel ist ein Bestandteil seiner wissenschaftlichen Arbeit geblieben. Er hat über Hegel mehrere Bücher geschrieben (1999 Georg Wilhelm Friedrich Hegel zur Einführung, 2000 Hegels Philosophie - Kommentare zu den Hauptwerken. (Hrsg.) 3 Bände) und zahlreiche Beiträge publiziert. ... Als ausgewiesener Kenner der Hegelschen Werke ist es umso erstaunlicher, dass Schnädelbach zu dem Schluss kommt, Hegel und der deutsche Idealismus wäre ein „philosophisches Unglück“ und sein Fazit lautet: „Vergesst Hegel!“ (Stekeler-Weithofer 2000). Er wandte sich gegen universitäre Beschäftigungen mit Hegel, solange diese nur der „Ahnenpflege“ und nicht auch der Gegenwart dienten. Nur noch der kritische Umgang mit Hegel (wie man es nicht machen solle) sei zu rechtfertigen und lehrreich (Schnädelbach 2003, S. 73).
Schnädelbach sieht das grundlegende Problem bei Hegel darin, dass er ein „holistisches Bewusstseinskonzept“ entwickelt, das „die Erfahrung des Bewusstseins von vornherein in das Licht der spekulativen Grundfigur rückt, ohne überzeugende Begründung dafür, dass dies möglich und legitim sei. ... Hegels Holismus des Bewusstseins bedeutet ja, dass in Wahrheit alles schon immer im Bewusstsein ist, dass nichts Neues in es hinein kommt“ (Schnädelbach 2017, S. 157).
Schnädelbach hält Hegels „spekulative Grundfigur“ (Schnädelbach 2017, S. 14) einer Einheit von Einheit und Vielheit bzw. vom Ganzen und seinen Teilen für letztlich unverständlich. „Damit ist von Dialektik die Rede, denn das wahre Eine als die Einheit seiner selbst und des Verschiedenen, als Identität und Nichtidentität - das läuft auf die Antinomie einer Vereinigung des Wahren und Falschen am Orte der Wahrheit hinaus, die Kant als den Index des Falschen, Hegel aber als den spekulativen Mittag des Lebens ansah“ (Schnädelbach 2003, S. 69).
Seine Abwendung von Hegel verbindet er mit einer Zuwendung zu den Weltauffassungen von Schopenhauer. „Schopenhauer war der erste Philosoph, der mit dem Ernst machte, woran Hegels grandioser Versuch einer rationalen Synthese von Vernunft, Natur und Geschichte gescheitert war: der Endlichkeit unserer Vernunft. . Wir können nun nicht mehr wie Hegel davon ausgehen, dass unsere subjektive Vernunft ein Widerschein oder gar eine Gestalt des ewigen lógos sei; vielmehr spricht alles dafür, dass das Wesen der Welt - sofern wir uns überhaupt noch getrauen, danach zu fragen - durch und durch irrational ist und unsere Vernunft, mit der wir das zu denken versuchen, gewissermaßen ein metaphysischer Ausnahmefall. Dieses irrationale Wesen der Welt dachte Schopen-hauer als blinden, ziellos drängenden Willen, und Nietzsche, die Vertreter der Lebens-philosophie und selbst Heidegger sind dem auf ihre Weise gefolgt. Unsere meta-physikgeschichtliche Situation steht im Zeichen Schopenhauers und nicht Hegels. . Warum also sollte man nach Schopenhauer sich noch dazu entschließen, wie Hegel zu philosophieren? Musste jetzt nicht der Mut der Wahrheit einer anderen Wahrheit gelten, nämlich der Einsicht in das undurchdringliche irrationale Wesen der Welt? . Hegels System ist ein intellektueller Traum, aus dem die Philosophie erwachen musste, als sie erwachsen wurde“ (Schnädelbach 2017, 165/166).“
b) zu den einzelnen Themenbereichen:
1. Phänomenologie des Geistes (s.o. S. 14-16)
Karl Marxschreibt in den ,Pariser Manuskripten’ von 1844 unter dem TitelNationalökonomie und Philosophie:
„Das Große an der HegelschenPhänomenologieund ihrem Endresultate - der Dialektik, der Negativität als dem bewegenden und erzeugenden Prinzip - ist also, einmal daß Hegel die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung, und als Aufhebung dieser Entäußerung; daß er also das Wesen derArbeitfaßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seinereigenen Arbeit begreift.“ Und:
„Hegel steht auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomie. Er faßt dieArbeitals dasWesen, als das sich bewährende Wesen des Menschen; er sieht nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative. Die Arbeit ist dasFürsichwerdendesMenscheninnerhalb derEntäußerungoder alsentäußerterMensch.“52
Schon hier wird sichtbar, dass Marx in seiner Hegel-Kritik sowohl Positives als auch Negatives zum Vorschein bringt. Das Negative verstärkt er im weiteren Fortgang der Abhandlung dadurch, dass er Hegel vorwirft, den Menschen vorzüglich als „Selbstbewußtsein“ zu verstehen, so dass die tatsächlichen Gegenstände des Bewusstseins nur noch als Inhalte des „vergegenständlichten Selbstbewußtseins“ in Erscheinung träten, die Welt der Objekte somit durch die desSubjektsersetzt werde. Im Einzelnen führt Marx dazu aus:
„Es gilt daher denGegenstand des Bewußseinszu überwinden. DieGegenständlichkeitals solche gilt für einentfremdetes, demmenschlichenWesen, dem Selbstbewußtsein nicht entsprechendes Verhältnis des Menschen. Die Wiederaneignungdes als fremd, unter der Bestimmung der Entfremdung erzeugten gegenständlichen Wesens des Menschen hat also nicht nur die Bedeutung, dieEntfremdung, sondern dieGegenständlichkeitaufzuheben, d.h. also der Mensch gilt als ein nicht-gegenständliches, spiritualistisches Wesen.“ (a.a.O. S. 270)
Wie aber beschreibt nun Hegel die sogenannte „Bewegung derÜberwindung des Gegenstandes des Bewußtseins“? Hierzu Marx: Da Hegel Mensch und Selbst(bewußtsein) gleichsetzt, gelangt er nicht zu einer adäquaten Beschreibung des wirklichen Menschen, sondern nur zu einem abstrakten Konstrukt des „selbstischen“ Menschen:
„Sein Auge, sein Ohr etc. ist selbstisch; jede seiner Wesenskräfte hat ihm die Eigenschaft derSelbstigkeit. Aber deswegen ist es nun ganz falsch zu sagen: DasSelbstbewußtseinhat Aug‘, Ohr, Wesenskraft. Das Selbstbewußtsein ist vielmehr von Qualität der menschlichen Ratio, des menschlichen Auges etc., nicht die menschliche Natur ist eine Qualität des ... Selbstbewußtseins.
Das für sich abstrahierte und fixierte Selbst ist der Mensch alsabstrakter Egoist, der in seine reine Abstraktion erhobeneEgoismus.“ (a.a.O. S. 271; wasNietzschespäter keineswegs als Manko des Selbst-Seins ansah!)
Genauer:
„Das menschlicheWesen, derMenschgilt für Hegel =Selbstbewußtsein. Alle Ent-fremdung des menschlichen Wesens ist daher nichts alsEntfremdung des Selbstbe-wußtseins. Die Entfremdung des Selbstbewußtseins gilt nicht alsAusdruck, im Wissen und Denken sich abspiegelnder Ausdruck der wirklichenEntfremdungdes menschlichen Wesens. Diewirkliche, als real erscheinende Entfremdung ist ihreminnerstenverbor-genen - und erst durch die Philosophie ans Licht gebrachten - Wesen nach nichts anderes als dieErscheinungvon der Entfremdung des wirklichen menschlichen Wesens, desSelbstbewußtseins.Die Wissenschaft, welche dies begreift, heißt daherPhänomenologie.“ (ebd.)
Woraufhin Marx acht verschiedene Stufen der Hegelschen „Überwindung des Gegenstandes des Bewußtseins“ ausmacht, darunter hervorstechend: DieDingheit, die durch die „Entäußerung des Selbstbewußtseins“ gesetzt werde (ebd.). Das Bewusstsein hebe einerseits die Gegenständ-lichkeit der Objektwelt auf, andererseits komme das Bewusstsein zu sich selbst erst in diesem Bezug zum Anders-Sein der Objektwelt. Bewusstsein wird Geist, aber erst in der „Totalität“ der Bestimmungen des Objekts (S. 272). Und dies, obwohl im Selbstbewusstsein keinerlei wirkliche Objekthaftigkeit (= Dingheit), sondern nur ein „Ding der Abstraktion“gesetztwerde. Dagegen betont Marx:
„Wenn der wirkliche, leibliche, auf der festen wohlgegründeten Erde stehende, alle Naturkräfte aus- und einatmendeMenschseine - wirklichen, gegenständlichenWesenskräftedurch seine Entäußerung als fremde Gegenständesetzt, so ist nicht dasSetzenSubjekt: es ist die Subjektivität gegenständlicher Wesenskräfte, deren Aktion daher auch einegegenständlichesein muß.“ (S. 273)
Nur dies könne eine wahrhaft neue Synthese von Materialismus und Idealismus herbeiführen: „Wir sehen hier, wie der durchgeführte Naturalismus oder Humanismus sich sowohl von dem Idealismus, als dem Materialismus unterscheidet, und zugleich ihre beide vereinigende Wahrheit ist. Wir sehen zugleich, wie nur der Naturalismus fähig ist, den Akt der Weltgeschichte zu begreifen.“ (ebd.)
Was folglich nicht durch das Hegelsche Kategorien-System (quasi „von oben nach unten“), sondern nur durch konkrete Analysen der wirklichen Abläufe in Natur und Geschichte möglich sei. Dies umso mehr, als Marx den Menschen nicht einfach als „Geist“, sondern als „unmittelbar Naturwesen“ auffasst, ein mit Leibes- und Geisteskräften ausgestattetes,tätiges, leidenschaftliches, zuweilen auch leidendes Wesen (vgl. S. 275).
Bei Hegel liefen dagegen „alle Illusionen der Spekulation“ zusammen (S. 277). Einen Urgrund von „falschem Positivismus“ sieht Marx - wohl zu Recht - in Hegels dauernder Vermischung von Theologie und Philosophie, wodurch aus VernunftUnvernunftwerde. Dies sei „die Lüge seines Prinzips“. Der Fehler entstehe dadurch, dass Hegel menschliches Dasein nur alsphilosophischesgelten lasse, so in „Religions-, Natur-, Staats-, Kunstphilosophie“. (S. 280) Wozu Marx anmerkt:
„Wenn aber mir die Religionsphilosophie etc. nur das wahre Dasein der Religion ist, so bin ich auch nur alsReligionsphilosophwahrhaft religiös und so verleugne ich diewirklicheReligiosität und den wirklichreligiösenMenschen.“ (ebd.)
Positivsei dagegen zu vermerken, dass Hegel - wenn auch stets in derAbstraktion-
„die Arbeit als denSelbsterzeugungsaktdes Menschen [fasse], das Verhalten zu sich als fremdem Wesen und das Betätigen seiner als eines fremden Wesens als das werdendeGattungsbewußtseinundGattungsleben.“ (S. 281)
In der dialektischen Bewegung seines Denkens verfange Hegel sich aber immer wieder in den Fallstricken der Theologie. Entfremdung gelte als„göttlicher Prozeß“, Gott selbst als „absoluter Geist, die sich wissende und betätigende Idee“ (S. 282). Dagegen glaubt Marx, nachweisen zu können, „die ganze Logik“ sei „der Beweis, daß das abstrakte Denken für sich nichts ist, daß die absolute Idee für sich nichts ist, daß erst dieNaturetwas ist“. (S. 283) Werde allerdings die Natur „abstrakt genommen“, werde sie erneut vom Menschen getrennt und als solche ebenfalls:„nichts“. Hegel betrachte die Natur lediglich als das „Anderssein des Gedankens“, wobei schließlich die Natur im Geist verschwindet („aufgehoben“ wird), während der Geist im Absoluten aufgeht und umgekehrt: „DasAbsolute ist der Geist: dies ist die höchste Definition des Absoluten.“ (S. 288)
Wodurch erkennbar wird, dass Marx hier durchwegnegativeKritik übt, während positiv wohl nur festzuhalten ist, dass er Hegel zubilligt, die Arbeit als den „Selbsterzeugungsaktdes Menschen“ aufgefasst zu haben. Die negative Kritik lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Im Hinblick auf die positive Erfassung des Wesens der Arbeit behauptet Marx, Hegel stehe „auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomie“ (a.a.O. S. 269). Fast an gleicher Stelle definiert Marx die Arbeit aber als „das Fürsichwerden des Menschen innerhalb der Entäußerung oder als entäußerter Mensch“ - und erkennt damit den Zusammenhang von Philosophie und Ökonomie darin, dass sie sich auf die gleiche Grundlage, das gleiche historische Substrat beziehen. Daher sieht Marx sich veranlasst, die Kritik der Nationalökonomie zur Grundlage und Voraussetzung seiner Hegel-Kritik zu machen.
Die schlimmste Verkehrung des notwendigen Welt- und Erklärungsbezugs sieht er in denMystifikationen des absoluten Wissens. Hegel habe die negative Seite der Arbeit nicht erkannt: „Die Arbeit, welche Hegel allein kennt und anerkennt, ist dieabstrakt geistige.“53Das Bewusstsein „überwindet“ dabei den Gegenstand, indem es ihn in sich aufnimmt, d.h. in Form der Reflexion (a.a.O. S. 647). Dadurch verliert der Gegenstand jedoch seine konkret-sinnliche Form des Dinges und wird als abstrakteDingheitgesetzt (S. 649), so dass der Gegenstand als Entäußerung des (Selbst-) Bewusstseins erscheint. Damit nicht genug: Das Bewusstsein hebt diese Entäußerung auf und verwandelt so die abstrakte Dingheit inNichtigkeit, was aber für das Selbstbewusstsein nicht nur negative, sondern auch positive Bedeutung hat: Es fühlt sich selbst bestätigt, da esweiß, dass das Gegenständliche als „Nichtigkeit“ seine Selbstentäußerung ist, die jedoch aufgehoben wird, so dass das Bewusstsein „in seinemAnderssein als solchem bei sich“ ist (S. 652).
AlsWissengibt das Bewusstsein vor, unmittelbar das Andere seiner selbst zu sein, nämlich: Sinnlichkeit, Wirklichkeit und Leben (S. 654). Was einer der Gründe dafür ist, dass Hegel behauptet, das wahre Wesen von Natur, Religion, Staat und Kunst könne erst als Natur-, Religions, Staats- und Kunst-Philosophiezum wahren Ausdruck und zur Geltung kommen (S. 656).
In höchster Aufhebung gelten diese abstrakt-dialektischen Entäußerungen des menschlichen Lebens als göttlicher Prozess, wobei Hegels Gott als „absoluter Geist, die sich wissende und betätigende Idee“ erscheint, was tatsächlich aber nichts anderes ist als „mystisches Subjekt-Objektoder über dasObjekt übergreifende Subjektivität“, d.h. Verabsolutierung des Subjekts, dem letztlich nichts übrigbleibt als „das reine, rastlose Kreisen in sich“ (S. 659), also Narzissmus, geistige Nabelschau: Der „absolute“ Geist beansprucht, Träger der Weltgeschichte zu sein, obwohl die Weltgeschichte selbst ihn erst als Resultat ihres Prozesses aus sich erzeugt, d.h. Bedingung der Möglichkeit seiner Existenz ist - eine Bedingung, die sich auch evolutions-geschichtlich leicht belegen lässt.
Ein weiteres Anzeichen für die Schwäche der Absolutheits-Konstruktionen des Geistes sieht Marx in Hegels Übergang von der Logik zur Naturphilosophie. In der „Großen Logik“ versucht Hegel, die Eigenständigkeit der absoluten Idee aufzuweisen als „Darstellung Gottes vor der Erschaffung der Natur“ und als „das Reich des reinen Gedankens“. Um in der Naturphilosophie auf einen Inhalt zu kommen, muss sich die absolute Idee „aufheben“. Dies geschieht dadurch, dass sie die Natur, die sie - als pure Abstraktion - in sich verbarg, „frei aus sich entläßt“, woraus Marx schließt: „Die ganze Logik ist also der Beweis, daß das abstrakte Denken für sich nichts ist, daß erst die Natur etwas ist.“ (S. 660)
AuchErnst Blochäußert sich in seinem Hegel-Buch gelegentlich kritisch über diePhänomenologie des Geistes, und zwar folgendermaßen:
„Die idealistische, zum Geist aufsteigende Hierarchie erscheint im Jubelbild des aufschäumenden Champagners, kein Erdenrest bleibt. So schließt die Phänomenologie als Spende an die Idee, die selber die Quintessenz des ihr geweihten Welttranks ist.
Aber das Schäumen, geistig, allzu geistig, braust damit ebenso seinen Stoff hinweg. Die idealistisch blühende Betrachtung endet die Geschichte nicht nur mit dem bloßen Wissen ihres Gewußtseins. Sondern damit verbindet sich die andere Kalamität des Idealismus: die Lust, aus dem Sein ausschließlich ins Bewußtsein überzutreten, statt umgekehrt. Die Selbstaufhebung der Geschichte in Geist vermehrt sich daher mit der angegebenenAufhebung des Objekts. So läßt Hegels Phänomenologie auf ihren letz-ten Stufen immer mehr die Gegenständlichkeit selber verdampfen, in wachsender Weltlosigkeit; und dieses ganz wider den objektiv-realen Sinn, der Hegel sonst so stark auszeichnet. Eben der Idealismus, der den abstrakten Geist als Prius setzt und die Welt alsseineProduktion, setzt ihn auch wieder als nicht-konkretes Ultimum, mit dem Subjekt an und für sich, ja mit dem Subjekt des bloßen Wissens vom Wissen als Sub-stanz. Alle Entäußerungen werden rückgängig gemacht auf wachsend geistige Weise, auf die Weise der Rückbewegung zum selbstbewußt gewordenen Geist. Der objektiv-reale Sinn Hegels ist wie vergessen, der ihn später sagen läßt: >Nichtobjektivität ist Inhaltslosigkeit- (...). Vergebens: die entgegenständlichte Einheit von Selbstbewußtsein und Gegenstand ist hier absolutes Wissen und sonst nichts. Sie ist nicht etwa Inhalt dieses absoluten Begriffs, sondern durchaus er selbst, als dieses Insichgehen zu einem Cogito ergo cogito: >In dem Wissen hat also der Geist die Bewegung seines Gestaltens beschlossen, . hat das reine Element seines Daseins, den Begriff, gewonnen< (.). Und es war dieser stofflose Ausgang der Phänomenologie, welcher das Thema ihrer Subjekt-Objekt-Beziehung: die Selbsterkenntnis zum Zweck der Selbstergreifung, also Kern-Objektivierung, im Geistesdunst, ja im Narzißmus dieses Dunstes sich auflösen ließ. . Die Aufhebung der Entfremdung - des von Hegel so richtig bezeichneten Urphänomens der kapitalistischen Gesellschaft - die Aufhebung dieses Zur-Ware-Werdens der Menschen, der Arbeit, der Objekte geschieht bei Hegel an diesem Punkt also rein im philosophischen Wissen, in seinem höchsten Äther, nicht in einer Praxis. Und die Aufhebung beschränkt sich eben nicht auf die die Menschen besonders entfremdenden Gegenständlichkeitsformen der kapitalistischen Gesellschaft, sondern geht auf das Objekt überhaupt. So, als wären Entäußerung und Objektivität, Entfremdung und Objekt schlechthin Synonyme und jede Welt schlechthin Entfremdung. Als wäre nur das Subjekt möglicher Ort des Fürsichseins, nicht aber das Subjekt mit demrechtenObjekt zusammen, das ist in einer mit dem zusich- gekommenen Menschen homogen werdenden Welt.“ (Bloch 1962, S. 100 f.)
Unverkennbar knüpft Bloch hier an die Marxsche Kritik derPhänomenologie(s.o.) an.
Im Jahr 2017 hatGeorg W. Bertrameinen „systematischen Kommentar“ zu Hegels »Phänomenologie des Geistes« veröffentlicht.54Darin schreibt er:
„Eine Lektüre von Hegels Phänomenologie des Geistes (PhG) sieht sich mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert. Hegel galt und gilt für viele der ihm nachfolgenden Philosophinnen und Philosophen als ein besonders unzugänglicher Autor. Oft wurde er als Dunkelmann gescholten und aus der philosophischen Tradition verbannt. Zugleich aber ging von Hegel immer eine besondere Faszination aus, die sich zum Beispiel inzwischen darin niederschlägt, dass er in der sogenannten sprach-analytischen Tradition, in der er lange Zeit verpönt war, mehr und mehr rezipiert wird. Für die entsprechenden negativen und positiven Vorurteile Hegel gegenüber ist besonders seine PhG verantwortlich. Sie sticht aus Hegels Werk heraus. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass es sein erster großer Wurf und zugleich ein sehr eigenwillig komponiertes Buch ist.
Die PhG bietet einerseits eine umfassende Weiterentwicklung der großen philoso-phischen Entwürfe von Kant, Fichte und Schelling - Hegels Vorgängern. Dabei führt sie in umfassender Weise Fragestellungen der theoretischen und der praktischen Philosophie zusammen. Andererseits entwickelt sie eine großangelegte Rekonstruktion der abendländischen Philosophie- und Geistesgeschichte. Schon allein die Kombination dieser unterschiedlichen Zielsetzungen hebt die PhG auch aus Hegels Werk heraus: Es ist ein rundum hybrides Buch.
Den weitreichenden Ambitionen des Textes stehen die Leserinnen und Leser aber in mancher Hinsicht hilflos gegenüber. Oftmals gewinnen sie - zu Recht - den Eindruck, dass Hegel nicht klar sagt, was er eigentlich sagen will. Zudem bleibt immer wieder unklar, warum Hegel in so komplexer Weise historische Überlegungen mit systema-tischen Überlegungen verbindet, so dass sich an unterschiedlichen Stellen des Textes die
Fragen stellen, welche Bedeutung die historischen Bezüge haben und warum Hegel es nicht bei systematischen Überlegungen belassen hat - zumal die systematischen Zusammenhänge, die er in den Blick nimmt, durchaus ausreichend komplex und schwer zu durchschauen sind.
Diesen Schwierigkeiten bei der Lektüre der PhG steht der Zauber gegenüber, den der Text ausübt. Gerade seine unorthodoxe Gestalt, seine pointierte und polemische Diktion und sein allumfassender Erklärungsanspruch ziehen Leserinnen und Leser immer wieder aufs Neue in ihren Bann. Oft hat man bei der Lektüre den Eindruck, dass hier Bedeutsames geschieht, auch wenn man nicht genau zu sagen weiß, was es denn nun eigentlich ist. Die Suggestionskraft von Hegels Schreiben und Denken mag ein Grund dafür gewesen sein, dass man ihm gegenüber misstrauisch geworden ist und - wie dies zum Beispiel im Umfeld des Neukantianismus auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert der Fall war - die vergleichsweise klarere und nüchternere Diktion Kants vorzieht.“
Hinzufügen kann man wohl, dass Hegel ja diePhänomenologiein seinerEnzyklopädie ...(von 1817) in durchaus verständlicher Sprache erneut aufgenommen hat, ohne dabei ihre inhaltliche Substanz (und Skurrilität!) zu verwässern.
2. zu Empirie und Empirismus (s.o. S. 17 f.)
Bloch:
„Was die Sinne liefern, muß also erst vernünftig geprüft und unsinnlich verstanden werden. Die menschliche Vernunft bei Hegel hat dazu die Macht, sie ist nicht tabula rasa, auf die alles erst geschrieben werden muß und ebenso alles geschrieben werden kann. Allerdings läuft Hegels nicht-empiristische Vernunft doch zuletzt auf idealistische Versöhnung mit einem schlechthin bereits als intelligent gedachten Wirklichen hinaus. Die Versöhnung wird fundiert durch Abtun dessen, was dem - Geist äußerlich ist; zu ergänzen ist: was den lebenden, wirklichen Menschen entfremdet und äußerlich ist: >In der Empfindung ist die ganze Vernunft, der gesamte Stoff des Geistes vorhanden. Entwicklung des Geistes aus der Empfindung pflegt aber so verstanden zu werden, als ob die Intelligenz ursprünglich durchaus leer sei und daher allen Inhalt als einen ihr gänzlich fremden von außen empfange. Dies ist ein Irrtum; denn dasjenige, was die Intelligenz von außen aufzunehmen scheint, ist in Wahrheit nichts anderes als das Vernünftige, folglich mit dem Geist identisch und ihm immanent. Die Tätigkeit des Geistes hat daher keinen anderen Zweck als den, durch Aufhebung des scheinbaren (!) Sich-selber-äußerlich-Seins des an sich vernünftigen Objekts auch den Schein (!) zu widerlegen, als ob der Gegen-stand ein dem Geist äußerlicher sei< (Enz. § 447 Zusatz .). Lehrreich wichtig ist bei alledem dennoch, daß die Denkfunktion das in der Sinnlichkeit, in dieser Oberfläche Implizierte greift und immer gründlicher aufschließt. Das ist die Kraft des Denkens, vorzüglich des philosophisch konkreten: das gedanklich aus der Wahrnehmung Erschlos-sene, Aufgeschlossene bildet so erst Erfahrung als eigentliche, nämlich volle.“ (a.a.O. S. 120)
Aus heutiger Sicht: Es geht also im Wesentlichen um das Verhältnis von Beobachtung und Begriff, d.h. um die Frage, wie im Geist, mithin in den dialektischen Subjekt-Objekt-Beziehungen, die Gegenstände des Bewusstseins erfasst, erkannt und bestimmt werden können. Was aber ist der „Boden des Begriffs“? Sind es die Gegenstände als solche oder nur diementalen Objekte55des Bewusstseins? Zu beachten ist hier, dass schonin jedem Worteinbegrifflicher Kernbzw. einBegriffs-Inhaltsteckt. Dieser wird automatisch auf die mentalen Objekte bezogen. Ob die Objekte in ihrem So-Sein angemessen bestimmt werden können, hängt also zunächst von den Sprachformen und -inhalten ab, die dem Beobachter bzw. der Beobachterin zur Verfügung stehen und korrekt zu verwenden sind. Dann erst kann es gelingen,wesentliche Merkmale und charakteristische Eigenschaftender mentalen Objekte näher zu bestimmen; wobei natürlich entscheidend die theoretischen und praktischen Erfahrungen, die Wissens-Bestände, die wissen-schaftliche Phantasie und die Kreativität des Beobachters bzw. der Beobachterin zum Tragen kommen.
Dies kann, wie ich meine, auch zurLösung des Induktions-Problemsbeitragen: Induktion, d.h. u.a. die Möglichkeit, aus Beobachtungen verlässlich korrekte Schlüsse zu ziehen, steht und fällt mit der Klarheit über ihre Voraussetzungen im Wissen und in den erkenntnisrelevanten Theorien. Nur wenn die Wissensbestände und Theoreme, die bei den Folgerungen zum Tragen kommen, nicht falsifiziert sind, haben die Folgerungen ihre nachprüfbare Berechtigung. Auch auf diese Weise können Empirie und Ratio kooperieren.
3. zur Dialektik (s.o. S. 19 f.)
Marx:
„ ... indem Hegel die Negation der Negation - der positiven Beziehung nach, die in ihr liegt, als das wahrhaft und einzig Positive - der negativen Beziehung nach, die in ihr liegt, als den einzig wahren Akt und Selbstbetätigungsakt allen Seins - aufgefaßt hat, hat er nur denabstrakten, logischen, spekulativenAusdruck für die Bewegung der Geschichte gefunden, die noch nichtwirklicheGeschichte des Menschen als eines vorausgesetzten Subjekts, sondern erstErzeugungsakt, Entstehungsgeschichtedes Menschen ist.“ (Marx 1964, S. 251 f.)
„Bei Hegel ist die Negation der Negation daher nicht die Bestätigung des wahren Wesens, eben durch Negation des Scheinwesens, sondern die Bestätigung des Scheinwesens oder des sich entfremdeten Wesens in seiner Verneinung oder die Verneinung dieses Scheinwesens als eines gegenständlichen, außer dem Menschen hausenden und von ihm unabhängigen Wesens und seiner Verwandlung in das Subjekt. Eine eigentümliche Rolle spielt daher dasAufheben, worin die Verneinung und die Aufbewahrung, die Bejahung verknüpft sind.“ (a.a.O. S. 278)
Feuerbachhabe „der Negation der Negation, die das absolut Positive zu sein behauptete, das auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive entgegengestellt“. (a.a.O. S. 251)
„Man sieht, wie Subjektivismus und Objektivismus, Spiritualismus und Materialismus, Tätigkeit und Leiden erst im gesellschaftlichen Zustand ihren Gegensatz, und damit ihr Dasein als solche Gegensätze verlieren; man sieht, wie die Lösung dertheoretischenGegensätze selbstnurauf einepraktischeArt, nur durch die praktische Energie des Menschen möglich ist und ihre Lösung daher keineswegs nur eine Aufgabe der Erkenntnis, sondern einewirklicheLebensaufgabe ist, welche diePhilosophienicht lösen konnte, eben weil sie dieselbe alsnurtheoretische Aufgabe faßt.“ (a.a.O. S. 243)
Bloch:
„Dialektik bei Hegel verliert ... allerdings die eine ihrer Wurzeln nicht völlig: die Wurzel des Sokratisch-Platonischen Gesprächs, aber gerade weil diese Wurzel sich aus dem Dialog in den Weltinhalt hineintreibt, entsteht ein Universum aus Gesprächsstoff, eine Außenwelt aus Unterredung. Hegelsche Dialektik gibt sich nach dieser Seite als Gespräch des Weltgeistes mit sich selbst, in geistigen Einwendungen fortschreitend, in Syllogismen, mit Ober-, Unter- und Schlußsatz, sich demonstrierend. Das macht die Hegelsche Begriffsmythologie aus: das Subjekt, das die Dialektik als Vehikel seiner dauernd reicheren Subjekt-Objekt-Beziehung verwendet, ist nicht das wirkliche, das bedeutend weniger geisthafte Subjekt der Geschichte. Es ist nicht der arbeitende Mensch als Produktivkraft, im technischen Bund mit den naturhaften Produktivkräften. Hegel nennt den Träger und das Subjekt der Geschichte vielmehr, mit völligem Idealismus, >Volksgeist<. Die Weltgeschichte erscheint so, ihren jeweiligen Subjekt-Trägern nach, als eine von >Volksgeistern< und ihrer Abfolge gebildete, als logisch wohlgeordnete >Völkerfuge< ...
Auch das Außersichsein, auch der darin besonders intensive Anstoß zur Fort-Bewegung, soll aus dem reinen Begriff deduziert werden, aus dem sich rein in sich selbst entzweienden. Es bleibt aber dunkel, weshalb die Welt, wenn sie so reiner Logos ist, nicht doch ihr zephyrleichtes Leben führt, ja weshalb der Geist überhaupt einen Prozeß nötig hat, mit Antithesen, Differenzen, Kollisionen auf jeder Stufe. Es bleibt unbegreiflich, wenn die Welt wirklich aus nichts als Logos und aus seinem Äther besteht, weshalb das Absolute nicht gleich am Anfang fertig ist, eine Konsonanz, die nicht an Dissonanzen denken läßt, und die sie am wenigsten selber setzt. .
>Die Erscheinung ist das Entstehen und Vergehen, das selbst nicht entsteht und vergeht, sondern an sich ist und die Wirklichkeit und Bewegung des Lebens der Wahrheit ausmacht< (.). Wird aber der Prozeß als real genommen und der >Ernst des Negativen< wirklich als Ernst, dann ist unschwer zu sehen, daß selbst bei Hegel ein ganz anderes Element als Geist den Sauerteig der Dialektik ausmacht. Wie erst dort, wo sie ganz alsRealdialektikauftritt, ohne Panlogismus, ohne Begriffsmythologie. Der wirkliche dialektische Antrieb ist Bedürfnis; einzig dieses gibt, als ungesättigtes, als ein durch die ihm jeweils gewordene Welt nicht erfülltes, den immer wieder entspringenden und sprengenden Widerspruch ab. .
Eben der reine Geist könnte nicht einmal die logischen Kategorien in Bewegung und Entwicklung bringen, geschweige die wirklichen Kategorien oder Daseinsformen der Geschichte und ihrer Welt. Die Füße, mit denen sich die Dialektik bewegt, sind die der arbeitenden Produzenten der Geschichte, nicht die des Geistes, des reinen Geistes, stes, der von Hegel aus der Geschichte abstrahiert und mythologisiert worden ist. Dialektik ist keine jungfräuliche Geburt aus angeblichem Selbstleben der Begriffe und kein Perpetuum mobile. Die dialektische Vernunft der Geschichte ist die des Produktionsprozesses; es gibt in der Geschichte einzig eine dialektisch sich entwickelnde Beziehung des Menschen zum Menschen und zur Natur.“ (a.a.O. S. 136-138)
Die vonKarl Jaspers(1883-1969) an Hegels Dialektik geübte Kritik wird vonAlbrecht Kiel(geb. 1938) wie folgt referiert:
„Hegel sei von der Überzeugung hingerissen gewesen, in der universalen Dialektik das absolute Wissen zu vergegenwärtigen. Dieser Wissensrausch habe sich auch auf die unkritische Rezeption der spekulativ-dialektischen Logik übertragen. Der „subjektiv sich wissende Begriff“ sei zugleich die „objektive Substantialität der Dinge“. Der Methode werden göttliche Attribute zugeschrieben: Die Bewegung des Begriffs ist die „schlechthin unendliche Kraft ..., welcher kein Objekt Widerstand leisten“ könne. Die Methode ist darum „die höchste Kraft oder vielmehr die einzige oder absolute Kraft der Vernunft. “ Das Denken der Logik werde bei Hegel „Gottesdienst“ genannt. Diese allgemeine Reflexion über Dialektik könne überhaupt nicht mehr zu einem bejahenden oder verwerfenden Ergebnis kommen. Sie sei die von der Sache losgelöste Reflexion. Nur die konkrete Dialektik könnte bei fortlaufender Prüfung zur Erfahrung der je spezifischen Evidenz führen beziehungsweise eine bloß formelle Begrifflichkeit und dialektische Spielerei enthüllen.
Im dialektischen Beweis wird ein Ganzes expliziert. Dieses umfassende Ganze ist nur im Vollzug der Bewegung explikativ zu erfassen, ohne dabei als es selbst, als klarer Gegenstand oder als zu vergegenwärtigende Sache zu stehen. Diese Ganzheiten sind die Ideen. Der „Beweis“ ist bei dieser Explikation vielfältig. Der Grund kann entweder in Prämissen bestehen, oder in der Selbstgegenwart einer Sache, oder in der Idee eines Ganzen. Die fälschliche Erweiterung einer formalen Methode zu inhaltlicher Erkenntnis verkennt, daß die Dialektik als solche die Erkenntnis des Absoluten sein will. Das Absolute als der Geist, der Geist als Leben, das Leben als Idee, die Idee als dialektische Bewegung gedacht. Es handelt sich um die vollendete Gotteserkenntnis des Geistes; durch die Steigerung der rein formalen Dialektik zu einer universalen Methode, zur inhaltlichen Erkenntnis des Absoluten, wird die Dialektik zu einer „Musik des Absoluten“ (NPhL/299, 302, 313 f.). Die Grenze der Dialektik liegt in den Brüchen, welche als nicht lösbare Dualismen und Antinomien in der Welt verharren. Die Dialektik kennt in der Welt nur relative Totalitäten, die Ideen, scheitert aber an allem Sein, das nicht Totalitätscharakter hat, das noch nicht Idee wird, oder über alle Ideen hinaus selbst Ideen trägt. Die Dialektik geht stets vom synthetischen Ganzen aus und betrifft das Werden, das Bewegen in der Zeit, das Leben, die geistigen Prozesse und das verantwortliche Handeln. Diese Bewegung kann immer gedacht werden als die Bewegung meines Denkens in Bezug auf eine Sache oder als die Bewegung einer Sache, der ich nachdenke (rationaler Aspekt), oder als die Explikation eines Ganzen in seinen bestehenden, aufeinander bezogenen Momenten (geistiger Aspekt).“56
Hegel erklärt nicht nur kontroverse Auffassungen und Behauptungen, sondern auch Unter-schiede zwischen natürlichen und künstlichen Objekten als „Negationen“. Beispiel: Die Knospe „negiert“ ihre Wurzel, die Blüte „widerlegt“ die Knospe (s.o. S. 15 f.). Gegen diese Sicht spricht jedoch die Tatsache, dass die zur Blüte gewordene Knospe nicht zu Nichts vergangen ist, sondern substantiell fortbesteht, wenn auch in neuer Gestalt. Ohne die Substanz der Knospe gäbe es die Blüte nicht. Das Anderswerden kann zwar als Werden, nicht jedoch allgemein als „Übergang vom Sein zum Nichts“ (wie Hegel das Werden definiert) verstanden werden. (Obwohl es in Natur und Geschichte zweifellos auch die Vernichtung, den Untergang, den endgültigen Übergang ins Nichts als „Vergehen“ gibt.) Aber Letzteres ist nicht die Regel. Dinge bzw. Objekte, die nebeneinander existieren - und sei es nur vorübergehend - müssen einander nicht zwangsläufig negieren, sofern siegemeinsamexistieren, also ko-existieren. Was „negiert“ wird, sind oft nur bestimmte äußere Formen, z.B. diejenigen gleichartiger Blumen oder anderer natürlicher oder künstlicher Produkte. „Kein Ding gleicht einem anderen“; aber sie negieren einander nicht zwangsläufig, auch nicht dialektisch, erst recht nicht auf Grund willkürlicher Setzung. - Vielleicht müssen Umfang und Inhalte des Begriffs ,Dialektik‘ neu analysiert und bestimmt werden, auch z.B. im Hinblick auf die „Realdialektik“ und die „Dialektik der Natur“, dieJean-Paul Sartreentschieden ablehnt, währendErnst Bloch, ähnlich wieFriedrich Engels, sie für durchaus möglich und sinnvoll hält.
4. zur Wissenschaft der Logik (s.o. S. 20 f.)
Lenin:
„Die Logik, schreibt Lenin, ist die Lehre nicht von den äußeren Formen des Denkens, sondern von den Entwicklungsgesetzen aller materiellen, natürlichen und geistigen Dinge, d. h. der Entwicklung des gesamten konkreten Inhalts der Welt und ihrer Erkenntnis, d. h. das Fazit, die Summe, die Schlußfolgerung aus der Geschichte der Erkenntnis der Welt" (aus dem Philos. Nachlaß, Ost-Berlin 1949 S. 9)
Bert Brecht:
Bertolt Brecht lässt in seinen Flüchtlingsgesprächen von 1940/41 den Intellektuellen Ziffel auftreten, der dem Proletarier Kalle erklärt, was es mit Hegels Logik auf sich hat:
„Sein Buch „Die große Logik“ habe ich einmal gelesen, wie ich Rheumatismus hatte und mich selbst nicht bewegen konnte. Es ist eines der größten humoristischen Werke der Weltliteratur. Es behandelt die Lebensweise der Begriffe, dieser schlüpfrigen, unstabilen, verantwortungslosen Existenzen; wie sie einander bekämpfen und sich dann zusammen zu Abendessen setzen, als sei nichts gewesen. (...) Sie können weder ohne einander leben, noch miteinander.“
(Brecht, Bertolt: Flüchtlingsgespräche, In: Ausgewählte Bände in sechs Bänden, Frankfurt am Main, 1996 S. 75)
,Wissen und Kritik’ (2021):
„Der Anfang von Hegels Logik -
Die Wirklichkeit als Ausdruck der Logik oder Die Logik als Grund der Welt
>Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, dass dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.< (WdL, Vorrede)
Die Auffassung Hegels, mit der Erklärung der allgemeinen Formbestimmungen des Denkens zugleich die wesentliche Natur irgendeines Trumms in der Welt begriffen zu haben, hat die fatale Folge, dass die Welt jetzt auf dem Kopf steht, indem das Denken zur Grundlage von allem erklärt wird. Wie kommt Hegel auf diese falsche Identifizierung, für den doch Philosophie Wissenschaft
sein sollte und der Wissenschaft - korrekter Weise - als die Ermittlung der Notwendigkeiten der in Rede stehenden Sache bestimmt hatte.
Hegels Anliegen bei der Untersuchung des Denkens war der Nachweis, dass das Denken sich selbst zur Objektivität emporarbeitet. Sein Resultat war: die Gedanken sind objektiv. Und sein Fehlschluss: also ist das Objektive Gedanke, aber in der Form der Objektivität.
>Wenn man sagt, der Gedanke als objektiver Gedanke sei das Innere der Welt, so kann es so scheinen, als solle damit den natürlichen Dingen Bewusstsein zugeschrieben werden. Wir fühlen ein Widerstreben dagegen, die innere Tätigkeit der Dinge als Denken aufzufassen, da wir sagen, der Mensch unterscheide sich durch das Denken vom Natürlichen. Wir müssten demnach von der Natur als dem Systeme des bewusstlosen Gedankens reden, als von einer Intelligenz, die, wie Schelling sagt, eine versteinerte sei.< (Enzyklopädie § 24,1 Zusatz 1) Hegel vertauscht also Subjekt und Prädikat seiner Aussage. Aus einem Urteil über das Denken wird so ein Urteil über die Welt. Bloß weil es richtig ist, dass das Denken die Identität eines Objektes erfasst, soll die Identität des Objektes das Denken sein. Der Fehler ist, dass Hegel ein Verhältnis der Welt zum Subjekt - sie wird von ihm erkannt, gedacht - zur Eigenart der Welt erklärt. Die Denkbarkeit wird somit deren Natur: die Welt ist logischer Natur. Die Fortsetzung dieses Fehlers besteht in der Gleichsetzung der Weise, wie der Verstand sich einzig die Welt aneignen kann, nämlich im urteilenden und schließenden Nachvollzug der Bestimmungen einer Sache, mit der gedachten Entstehung der Sachen selbst. Die Identität von Begriff und Sache als eine vom Geist erzeugte wird so wörtlich genommen, dass die dem Denken vorausgesetzte Objektivität als Werk der Idee erscheint, so dass die Logik die Welt der Erscheinungen „regiert“.
Damit hat sich alles umgekehrt: Die Tatsache, dass eine Sache eine logische Bestimmung hat, dass, wie im Schluss, ein als notwendig behaupteter Zusammenhang zwischen zwei Sach-verhalten in logischen Kategorien ausgedrückt wird, verdreht Hegel dahingehend, dass die in Rede stehende Sache im Wesentlichen durch diese logische Bestimmung charakterisiert sei, d.h. nicht der notwendig zusammenhängende Inhalt der Sache ist Thema, sondern die Sache als Ausdruck eben der logischen Kategorien.
Der Anfang der Logik ist nicht die Logik des Anfangs
Wenn Hegel so jedem wissenschaftlichen Begründen den Mangel andichtet, dass eine Begrün- dung deshalb nicht vollständig sei, weil nicht der Grund des Grundes dargelegt sei - ein Mangel, der gar kein Mangel der Begründung ist, denn entweder stimmt die Begründung oder nicht, zu ihr kommt nichts hinzu, wenn sich zeigt, dass der herausgefundene Grund selbst einen Grund hat - dann fordert er ein Gedankensystem, das die Wirklichkeit auf letzte, für den Verstand nicht weiter hintergehbare und deswegen auch nicht zu relativierende Gründe zurückführt, eine Forderung, die notwendig die Frage nach dem „absoluten Anfang“, dem „absoluten Grund“ von allem stellt.
Denn wenn Wissenschaft Ableitung ist, dann darf kein Abgeleitetes, „Vermitteltes“, ohne seine Ableitung Geltung beanspruchen. Hier bricht sich ein Fanatismus der Wissenschaftlichkeit seine Bahn, der erst im rein methodischen Gedanken der völligen Unvermitteltheit und Unabgeleitetheit, im leeren Gedanken der Ableitbarkeit, worin das Ableiten in seiner bloßen Möglichkeit zusammengezogen ist, seinen Fluchtpunkt erreicht.
Hegels methodisches Bedürfnis führt ihn also dazu, die Logik mit dem Problem des Anfangs selbst anzufangen, mit dem Widerspruch eines Grundlosen, das zugleich Grund von allem in nuce sein soll.
Die Erzeugung der 1. Kategorie erfolgt bei Hegel dadurch, dass er darlegt, die Wissenschaft habe selbstverständlich mit dem Anfang (!) anzufangen, indem sie aus der Logik des Anfangs den Anfang der Logik konstruiere. D.h. Hegel analysiert hier nur was es heißt „anzufangen“ und aus diesen Bestimmungen von „Anfang“, „anfangen“ - getrennt von jedem Inhalt, der anfängt - bastelt er die Anfangskategorien der Logik. Also über den Anfang der Logik nicht nachzudenken, sondern „Anfang überhaupt“ zu bedenken, gerade dieser methodische Unsinnerzeugt nach Hegel die ersten objektiven Kategorien der Logik.
>So muss der Anfang absoluter oder, was hier gleichbedeutend ist, abstrakter Anfang sein; er darf so nichts voraussetzen, muss durch nichts vermittelt sein noch einen Grund haben;. . . es ist nur zu sehen, was wir in dieser Vorstellung haben. Es ist noch Nichts, und es soll etwas werden. Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern ein Nichts, von dem etwas ausgehen soll; das Sein ist also auch schon im Anfang enthalten. Der Anfang enthält also beides, Sein und Nichts; ist die Einheit von Sein und Nichts - oder ist das Nichtsein, das zugleich Sein, und Sein, das zugleich Nichtsein ist.< (WdL, S.73)
Dementsprechend sehen sie auch aus, diese Hypostasierungen des dürftigen Quarks, den man denkt, wenn man „Anfang“ denkt: Sein, Nichts, Werden. Das „reine Sein“ ist gemäß dem methodischen Bedürfnis durch und durch negativ bestimmt: es ist das „Un-“, „ohne“, „-lose“, in der Tat nichts als die methodische Anweisung, wie es zu denken sei, genauer, was alles verboten ist zu denken - und es ist eben alles verboten zu denken, man soll denken, aber nichts denken - auf dass man es nicht verfehle. Die erste Kategorie der Logik ist also keine, sondern ein methodisch erzeugtes Universale: die grundlos zu denkende Ableitbarkeit.
Das Nichts wird eingeführt als die Bestimmung des Seins, also als von ihm unterschieden. Der Sache nach sind Bestimmung und Bestimmtes jedoch absolut identisch. Sie sollen jedoch zugleich Unterschiedene sein. Der methodische Denker bereinigt die Schwierigkeit mit einem Kunstgriff: er bemüht das „Etwas“ - das hier gar nicht Thema ist, nicht Thema sein darf - um zeigen zu können, dass sein erfundener Unterschied ein- und derselben Sache zwei in der Unterschiedenheit identische Sachen sind.
Beide Seiten jedoch, Sein und Nichts, sind in der Tat dasselbe; ihr Unterschied fällt ganz in das Meinen. Der Versuch, sie als Selbständige festzuhalten, zeigt, dass sie jeweils in das andere „schon übergegangen“ sind. Für sich genommen sind sie beide also haltlos, haben keinen Bestand. Dies will Hegel freilich nicht dahingehend verstanden haben, dass sein „Sein“ wie sein „Nichts“ gleichermaßen Chimären sind, sondern ist deren objektive Bestimmung. >Sie haben keinen Bestand<, diese Feststellung über „Sein“ und „Nichts“ wird als Bestimmung ernst genommen und zu einer objektiven Kategorie gemacht: das Werden. Dieser Fortgang von einem Bestimmungslosen ist nur methodisch zu machen: ganz genauso wie das methodische Bedürfnis sich eine erste Kategorie geschaffen hat, von der es weitergehen muss, - Ableitung total - erzeugt es sich in der Haltlosigkeit und Unselbständigkeit der ersten beiden Kategorien den Übergang: Werden.
Dagegen muß festgehalten werden: Sein ist nichts und wird auch nicht etwas.“ (in: wissenundkritik.de> 2021>)
5. zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (s.o. S. 21-24)
Bloch:
„Gewiß, Hegel mystifiziert die wechselseitige Abbildung von Subjekt und Objekt aneinander, indem er das ihnen Gemeinsame, gar den Träger dieses Geschehens Geist nennt. Auf diese Art werden die wirklichen Subjekte und Objekte zu bloßen Bestimmtheiten dieses mythologischen Geistes, auch zu bloßen Prädikaten eines absoluten Subjekts herabgesetzt. Doch ist gerade an diesem Punkt Hegel mehr kryptomaterialistisch als irgendwo sonst; denn unter dem Namen Geist hält er das Subjekt mit dem Objekt zusammen, als aus gleichem Stoff und als aus einem bewegendabgebildeten, abgebildet-bewegten vor allem.“ (a.a.O. S. 199)
„Freilich, wie bei einer Lehre nicht verwunderlich, die die Welt nur aus Geist bestehen läßt: der Übergang zum physisch Realen, als dem der Natur, ist bei Hegel wohl der abenteuerlichste wie der härteste. Im selben Sinn wie danach der Übergang zum psychisch Realen (der dem mechanischen Materialismus so schwer fällt) hier wiederum der leichteste, ja wie Aufatmen ist.“ (S. 200)
,Wissen und Kritik’ (2021):
„Alle Dinge sind ein kategorisches Urteil“ (Enz. §177) „Das Verbrechen ... ist das unendliche Urteil“ (6, 325). Und gerade in solchen Urteilen ist die Sache selbst nicht erfasst, denn es ist offensichtlich unsinnig, dass die verschiedensten Dinge ihre Identität gleichermaßen darin haben sollen, ein Schluss, ein Urteil, ein Sollen etc. zu sein, sich demnach im Wesentlichen nicht unterscheiden. Dadurch erhält die Wissenschaft a la Hegel ein neues Erkenntnisziel: Sie soll nicht mehr einfach die Sache erkennen, sondern immerzu sich in der Sache.
Wissenschaft besteht für Hegel in der Tätigkeit, die Identität der untersuchten Gegen-stände herauszufinden, ihren Begriff. Die wissenschaftliche Erklärung bietet eine Darle-gung der notwendigen Bestimmungen einer Sache und ihres notwendigen Zusammen-hangs zu anderen Sachen. Hegels Spezialität besteht nun darin, die Notwendigkeit, d.h. den ermittelten Begriff einer Sache, für diese Sache sprechen zu lassen. Er hält die Erklärung einer Sache durch die Vernunft für dasselbe wie den Erweis der Vernünftigkeit der Sache, dass es sie nicht nur gibt, sondern auch geben muss. Mit der von Hegel in die Welt gesetzten Behauptung, dass man bei der Erklärung einer Sache zugleich ihre Erklär-barkeit noch zu beweisen hätte, spricht er keine logische Bestimmun über eine Sache aus, sondern seine interessierte Unzufriedenheit mit dem, was eine Erklärung (Ableitung) leistet. Die Leistung des Begründens, die Notwendigkeit einer Sache relativ auf ihren Grund zu bestimmen und damit die Existenz dieser Sache zur relativen Notwendigkeit zu erklären - mit der Beseitigung des Grundes gibt es auch das Begründete nicht mehr - hat Hegel kritisiert, weil es ihm auf eine Sorte von Einsicht in die Notwendigkeit ange- kommen ist, die dem Verstand klar macht, dass es das, was er erklärt, geben muss. Die Notwendigkeit der Existenz einer Sache ist allerdings nicht das Resultat des Erklärens, das Erklären schafft vielmehr Freiheit im Umgang mit der erklärten Sache, sondern ist die methodische Forderung, die ganze (!) Welt (!) abzuleiten, in seinen Worten „sowohl das Sein als die Bestimmungen ... der Gegenstände zu beweisen.“ (Enz. § l)
6. zur Philosophie der Natur (s.o. S. 24-28)
Christian Spahn:
„Hegels Naturbegriff aus epistemologischer Perspektive
Natur ist laut Hegel die „Idee in der Form des Andersseins“ (...). Wie alles Logische und Reale ist für Hegel auch die Natur als eine Daseinsform der absoluten Idee zu betrachten (.), allerdings gilt für Hegel: „Die Natur ist an sich in der Idee göttlich, aber wie sie ist, entspricht ihr Sein ihrem Begriffe nicht; sie ist vielmehr der unaufgelöste Widerspruch.“ (.) Damit ist ausgesagt, dass zwar im Modus der „Äußerlichkeit“ (.) etwas Gegebenes vorliegt, dieses ist aber, obwohl es als ,nicht-begrifflich’ existiert, so wird postuliert, seinem inneren Wesen nach Begriff bzw. Idee. (.) So fern dem heutigen Sprachgebrauch jene Terminologie anmuten mag, so gilt, dass für Hegel nur vermittels jener oder einer analogen Hintergrundsannahme sich die skeptische, subjektiv-idealistische Herausfor- derung meistern lässt: Einem solchen Naturbegriff zufolge ist Natur in der philosophisch und naturwissenschaftlich begreifenden Betrachtung erkennbar als das, was sie wesentlich von sich aus ist: die Pointe des Hegelschen Ansatzes aus epistemischer Perspektive ist damit, dass das die Natur begreifende Bewusstsein in seinem Versuch, die Natur ,auf den Begriff’ zu bringen, ihr dennoch keine Gewalt, sondern der Natur nur ,ihr Recht’ antut. Die am Anfang der Naturphilosophie in der Enzyklopädie evozierte und gescholtene bloß ,theoretische Naturbetrachtung’ verwandelte die Natur in etwas, das sie nicht ist: ein System bloß abstrakter Gedanken und Verstandesbegriffe. Nicht jedoch ist damit jegliche Verwandlung ins Begriffliche zu tadeln, sondern die Art der nur abstrakten Begrifflichkeit ist ebenso defizient, wie die Vorstellung, dass mit dem Begrifflichen ein jenseitiger Bereich aufgespannt werde, der als „übersinnliche Welt“ hinter oder jenseits der Natur oder jenseits unseres Denkens läge. (.) Die erste These würde in einem schlechten Dualismus, einem sich missverstehenden Platonismus münden, die zweite in einem Konstruktivismus oder in der These der prinzipiellen Unerkennbarkeit der Natur durch uns.“[57]
Friedrich Grimmlinger:
„Zur Methode der Naturphilosophie bei Hegel (1970)
Begriff und Methode der Naturphilosophie sind eng verknüpft mit dem Begriff der Natur. Zuerst muß sich das allein mögliche und sinnvolle philosophische Wissen von der Natur begriffen haben, um einen Begriff der Natur angeben zu können. Hegel folgt übrigens dieser Reihenfolge in seiner Enzyklopädie. Obwohl im § 244 (letzter Paragraph der Logik) die Natur im Deduktionsgang erreicht wird, schaltet Hegel in der Einleitung in die Naturphilosophie (2. Teil der Enzyklopädie) zwei Paragraphen (§245 und 246), überschrieben mit „Betrachtungsweisen der Natur“ ein, um erst wieder ab dem § 247 mit dem „Begriff der Natur“ und der „Einteilung der Naturphilosophie“ im Deduktionsgang fortzufahren. Dies verdient durchaus Interesse. Hegel setzt in diesen beiden Paragraphen - unabhängig von seinem systemvorgeprägten Deduktionsgang - gleichsam neu mit einer Reflexion auf das Verhältnis des Menschen der Natur gegenüber an. Ziel hierbei ist es, in einer Stufenfolge von Betrachtungsweisen die „begreifende Betrachtung“ der Naturphilosophie zu erreichen, um auf diesem Standpunkt der Reflexion zum Begriff der Natur übergehen zu können.
Die Grundtendenz Hegels in den Paragraphen 245 und 246 über die Betrachtungsweisen der Natur liegt eindeutig in der Anerkennung der Vernünftigkeit der Natur. Im Rahmen seines Systemkonzepts hingegen ist die Natur als Idee in der Form des Andersseins bestimmt (§ 247). Dieses Anderssein faßt nun Hegel als Sich-selbst-Entfremden der Idee auf, wodurch ein Moment der Unvernunft mit hereinkommt: die Natur steht in der Spannung von Unvernunft und Vernunft. Die Naturphilosophie als Gestalt des absoluten Geistes hat nun im Sinne des Zurückkehrens des Geistes aus dieser Entfremdung jene Spannung rückgängig zu machen.
Nun hat - wie man an seiner ausgeführten Naturphilosophie sehen kann - Hegel dieses Ziel nicht zufriedenstellend erreicht. Wo ihm die Deduktion seiner Meinung nach gelungen ist, erscheint die Natur als Vernunft; wo sie mißglückt ist oder „noch nicht“ gelungen ist, erscheint die Natur als Unvernunft. Demnach ist die umfassende Vernunft der Natur ein eschatologischer Begriff oder ein Ziel, das bestenfalls am Weg des Geistes zu sich erreicht werden kann. Der eigentliche Sinn der Natur läge dann tatsächlich in der Naturphilosophie. Derartige Konsequenzen scheinen nun mit der grundsätzlichen Anerkennung der Vernünftigkeit der Natur in Widerspruch zu stehen.“5758
Hegels Gesetzesbegriff - Thur
„Hegel verdeutlicht die Unterscheidung zwischen Mechanischem und Organischem beispielsweise in der „Phänomenologie“, wenn er darlegt, wieso „im Organischen die Vorstellung eines Gesetzes überhaupt verloren“ (Phän., S. 187) gehe. Wo das Gesetz denkbar ist, also im Mechanischen, nimmt Hegel an, die im Gesetz als ruhend erfassten Seiten wären auseinandergehalten - dies sei im Organischen nicht mehr möglich. Dem widerspricht Renate Wahsner, indem sie zeigt, dass die von Hegel verwendete mechanizistische Sichtweise (für den Mechanismus) nicht selbst identisch ist mit einer naturwissenschaftlichen Sichtweise.
Keine Naturwissenschaft, auch nicht die Newtonsche, ist in ihrer wissenschaftlichen Methode so mechanizistisch, wie Weltanschauungsinterpreten (wie beispielsweise Voltaire) es von ihr annehmen. Wenn sie es wäre, würde sie nicht als Naturwissenschaft funktionieren. „Der Witz einer physikalischen Theorie - auch der klassischen Mechanik - liegt daher gerade darin, das gegenseitige Aufeinandereinwirken der Körper zu beschreiben und eben dadurch den Begriff des physikalischen Körpers zu bestimmen. Genau hierdurch unterscheidet er sich von einem geometrischen Körper. Die Physik selbst liefert also die Argumente gegen den Mechanizismus, für die Selbständigkeit der Natur oder der Materie.“. (Wahsner 1981a, S. 196).
In einer Diskussion erklärte R. Wahsner ausführlicher, dass Newtons Kraftbegriff nicht wie jener von Kant und Hegel „Stoß“ (oder dasselbe in der Gegenrichtung, als „Zug“) oder „Impuls“ meint und dass besonders die Gravitation nicht als eine einseitig gerichtete Kraft verstanden werden kann, sondern dass sie als Gegeneinander zu verstehen ist (Wahsner 2002b, S. 35f.). Körper sind nur gegeneinander schwer (vgl. Newton, in Borzeszkowski/Wahsner 1980b, S. 126). Die physikalische Größe „Masse“ ist nicht eine Eigenschaft eines isolierten Dinges, sondern beschreibt ein spezifisches Verhalten von Körpern, nämlich gegen die Änderung des Bewe-gungszustandes Widerstand zu leisten.
Recht unbekannt ist leider auch, dass Newton selbst sich ausdrücklich dagegen aussprach, dass Körpern nicht nur Trägheit zukommt und sie bewegenden Einflüssen quasi „von außen“ (z.B. durch äußere Naturgesetze) unterliegen, sondern dass hier sog. „aktive Prinzipien“ vorliegen, von denen er neben der Gravitation noch Gärung und Kohäsion nannte (Newton 1717, S.167). Diese Prinzipien kommen nicht den Dingen als Isolierte zu (als verborgene Qualitäten)[...], sondern „als allgemeine Naturgesetze, durch die die Dinge gebildet sind“ (ebd., S. 31). Das Gravitationsgesetz wird so zur Darstellung von bestimmten realen Wirkungen zwischen Körpern, die keiner weiteren Hypothesen über ihre Verursachung benötigen.
Natürlich ist die klassische Mechanik eingeschränkt auf wenige der möglichen Bewegungs-formen der Materie in der Welt.[30] Aber jene, die sie erfasst, erfasst sie nicht lediglich abstrakt als äußerlich den (qualitätslos gedachten) Dingen hinzukommende Beziehung, sondern sie sind begründet in den Verhaltensweisen der sie verwirklichenden Gegenstände. Auch die Gravitation ist - wie Newton nach langem Nachdenken erkannte - keine den Körpern inhärente Eigenschaft, sondern die Beschreibung eines gegenseitigen Verhaltens von Körpern. Diese Spezifik des Newtonschen Kraftbegriffs wird meist unterschlagen, wenn die „Newtonsche Welt“ als Billardtisch-Welt vorgestellt wird.
3.1.2 Spezifik des naturwissenschaftlichen Erkennens
Zu präzisieren bleibt nach Wahsner jedoch grundsätzlich, dass auch bei Hegel die Spezifik des naturwissenschaftlichen Erkennens nicht genügend ausgearbeitet worden ist. Naturwissenschaft befindet sich nicht nur „auf der Linie“ zwischen Verstand und Vernunft, sondern unterliegt epistemologischen Voraussetzungen („neben“ philosophischer Kategorienentwicklung), die innerhalb der diesbezüglichen Analysen überhaupt nicht erwähnt werden, wie der Erarbeitung von Erkenntnismitteln zum Zwecke der Ermöglichung der Messbarkeit.
Während Hegel davon ausgeht, die Naturwissenschaft als analytisch zu kennzeichnen und dies als Mangel per Philosophie aufzuheben, betont Renate Wahsner die Notwendigkeit und Berechtigung des speziellen naturwissenschaftlichen Vorgehens (Wahsner 1996a, S. 110). Vor allem die Bedeutung der messtheoretischen Bestimmtheit fehlt in der Hegelschen Wissen-schaftsvorstellung.
Auf diese Weise reflektiert Hegel nicht die realen Naturwissenschaften, sondern vereinfachte Vorstellungen über Naturwissenschaft, die - wenn sie wahr wären - nicht einmal das Funktionieren der Wissenschaft gewährleisten könnten. "Da Hegel die mechanizistische philosophische Reflexion der Naturwissenschaft seiner Zeit mit dieser Naturwissenschaft selbst identifizierte, ist ihm die Kritik der Metaphysik durch die Erhebung der Bewegung zum Subjekt als Subjekt zugleich Kritik der Naturwissenschaft..." (Wahsner 1996a, S. 59)
Bei seiner Kennzeichnung des Unterschieds der Philosophie gegenüber den „anderen Wissenschaften“ nimmt Hegel an, die Gegenstände der letzteren „als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben sowie die Methode des Erkennens für Anfang und Fortgang als bereits angenommen voraussetzen zu können“ (Enz. I, S. 41). Gegenstände wie auch Methode sollen also voraus-gesetzt werden und ihre Konstitution nicht selbst zur Wissenschaft gehören. Allerdings - und dafür stehen ausführliche Analysen u.a. von R. Wahsner - sind gerade die Gegenstände der Naturwissenschaft (speziell der Physik) ihr eben nicht bereits gegeben, sondern werden „durch das System der jeweiligen naturwissenschaftlichen Theorie“ (Wahsner 2002a, S. 105,) bestimmt.
Die maßgebliche Rolle einer Theorie für die Naturwissenschaft wird von Hegel gar nicht gesehen, seine Versuche der „Begriffsbestimmung in dem philosophischen Gange“ (WdL II, S. 15) setzen an der einzelnen naturwissenschaftlichen Größen an und können deren Bestimmung innerhalb der wissenschaftlichen Theorie nicht begreifen. Deshalb verwendet er oft die Bezeich-nung „empirische“ Naturbetrachtung, obwohl die von ihm gemeinte neuzeitliche Naturwissen-schaft selbst gar nicht so empiristisch funktioniert.[...] Wissenschaftliche Erfahrung ist dabei nicht zu verwechseln mit Alltagserfahrung.
Bei der Beschreibung, wie Naturwissenschaft vorgeht, betont Hegel die analytische Methode (Enz. I, S. 379). Er beschreibt, inwiefern tatsächlich das gegebene Konkrete (die widersprüch-liche Totalität) vereinzelt wird und auf diese Weise erst eine messende und rechnende Wissen-schaft entstehen kann. Wie jedoch die entstehenden Größenmomente selbst wieder in einen Zusammenhang kommen, der einerseits durchaus qualitativ unterschiedliche Aspekte enthält und andererseits auch reale Wechselwirkungsformen zur Erscheinung gelangen lässt, nämlich im Experiment, wird von Hegel nicht mehr untersucht. Wie Hegel richtig sieht, ist Naturwissen-schaft selbst auch „denkende Erkenntnis der Natur“ (ebd., S. 11), ihre spezifische Weise, Denken (Theorie) und Praxis (Experiment) zu verbinden, wird von Hegel aber nicht ausreichend erfasst.
Das in der Naturwissenschaft erfasste besondere Allgemeine, z.B. das „Physikalisch-Allgemeine“ (als nicht nur abstrakt Allgemeines, aber auch nicht vollständig konkret Allgemeines) kann deshalb nicht innerhalb des Hegelschen Kategoriensystems gefunden werden.
Letztlich ist naturwissenschaftliches Erkennen nicht nur als verständiges Denken im Hegelschen Sinne zu verstehen, sondern es unterscheidet sich von diesem durch zusätzliche wesentliche Elemente, die bei Hegel nicht erfasst sind. Denn obwohl Hegel die menschliche Arbeit durchaus thematisiert, fällt sie aus der naturphilosophischen Betrachtung heraus - er kann nicht nachvollziehen, inwieweit die Gegenstände, sogar das Sinnlich-Konkrete der Naturwissenschaft, Ergebnis menschlicher Tätigkeit sind (vgl. Wahsner 2002a, S. 132).“59
7. zur Geschichtsphilosophie (s.o. S. 28-34)
Marx:
Hegels Geschichtsauffassung sei „nichts anderes ... als derspekulativeAusdruck deschristlich-germanischenDogmas vom Gegensatze desGeistesund derMaterie, Gottesund derWelt. Dieser Gegensatz drückt sich nämlich innerhalb der Geschichte, innerhalb der Menschenwelt so aus, daß wenige auserwählteIndividuenalsaktiverGeist der übrigen Menschheit als dergeistlosen Masse, als derMateriegegenüberstehen.
HegelsGeschichtsauffassung setzt einenabstraktenoderabsolutenGeist voraus, der sich so entwickelt, daß die Menschheit nur eineMasseist, die ihn unbewußter oder bewußter trägt. Innerhalb derempirischen, exoterischen Geschichte läßt er daher einespekulative, esoterische Geschichte vorgehen. Die Geschichte der Menschheit verwandelt sich in die Geschichte desabstrakten, daher dem wirklichen MenschenjenseitigenGeistes der Menschheit.“
„Schon beiHegelhat derabsoluteGeist der Geschichte an derMassesein Material und seinen entsprechenden Ausdruck erst in derPhilosophie.DerPhilosoph erscheint indessen nur als das Organ, in dem sich der absolute Geist, der die Geschichte macht, nach Ablauf der Bewegungnachträglichzum Bewußtsein kommt. Auf dieses nach-trägliche Bewußtsein des Philosophen reduziert sich sein Anteil an der Geschichte, denn die wirkliche Bewegung vollbringt der absolute Geistunbewußt. Der Philosoph kommt also post festum.
Hegel macht sich einer doppelten Halbheit schuldig, einmal indem er die Philosophie für das Dasein des absoluten Geistes erklärt und sich zugleich dagegen verwehrt, daswirkliche philosophische Individuumfür denabsolutenGeist zu erklären; dann aber, indem er den absoluten Geist als absoluten Geist nur zumScheindie Ge-schichte machen läßt. Da der absolute Geist nämlich erstpost festumim Philosophen als schöpferischer Weltgeist zumBewußtseinkommt, so existiert seine Fabrikation der Geschichte nur im Bewußtsein, in der Meinung und Vorstellung des Philosophen, nur in der spekulativen Einbildung.“ (a.a.O. S. 767 f.)
„ErstFeuerbach, der denHegel auf Hegelschem Standpunktvollendete und kritisierte, indem er den metaphysischenabsolutenGeist in den„wirklichen Menschen auf der Grundlage der Natur“auflöste, vollendete dieKritik der Religion, indem er zugleich zurKritik der Hegelschen Spekulationund daheraller Metaphysikdie großen und meisterhaftenGrundzügeentwarf.“ (a.a.O. S. 838)
Bundeszentrale für politische Bildung:
„Während ... für Hegel der " Weltgeist" (Gott) das Subjekt des Geschichtsprozesses ist und sich im Entwicklungsgang der Menschheit zu seinem „adäquaten Selbstbewußtsein" hinbewegt, so daß der ganze Sinn der Geschichte letztlich ein theologischer ist, tritt bei Marx an die Stelle des Weltgeistes die menschliche Gesellschaft (die erst allmählich zu einer Einheit wird). Der Sinn der Geschichte ist daher für Marx rein menschlich. Damit fällt freilich auch die Sinngarantie weg, die Hegel durch den spekulativ-theologischen Rahmen seines Systems diesem zu geben versucht hatte. Ähnlich wie sich der Hegelsche Weltgeist der einzelnen Volksgeister „bedient", um Stufe für Stufe im Gang der Entwicklung voranzuschreiten, bedient sich die Menschheit (wenngleich eine solche Ausdrucksweise im Sinne von Marx immer nur metaphorisch gebraucht werden dürfte) der großen Klassen, die gleichsam zu Trägern des geschichtlichen Fortschritts auf einer bestimmten Stufe der Gesellschaftsentwicklung werden. Wie endlich bei Hegel die Welt-geschichte im c h r i s t l i c h - g e r m a n i s c h e n V o l k s g e i s t ihrer Vollendung entgegengeht, so bei Marx in der revolutionären Aktion (der umwälzenden Praxis) des Proletariats.
Sogleich muß hier jedoch der entscheidende Unterschied betont werden. Während nämlich Hegel der Meinung war, daß die Philosophie immer erst auftaucht, wenn „eine Gestalt des Lebens alt geworden“ ist (Vorrede zur Philosophie des Rechts), und daher das Verstehen der Geschichte und ihre Sinndeutung immer erst post festum kommen kann, eine endgültig richtige Geschichtsphilosophie also erst möglich wird, wenn die Geschichte „abgeschlossen“ ist, und nichts wesentlich Neues mehr bringt, glaubte Marx, daß der entscheidende Schritt zur Vollendung der Entwicklung der Menschheit mit vollem Bewußtsein vollzogen und bereits im voraus verstanden und vernünftig geplant werden könne. Dem bloß passiven, nachträglichen Begreifen der Vernunft in der Geschichte stellte er die in die Aktion umschlagende Selbstbewußtheit der revolutionären Klasse des Proletariats entgegen. So stellt die Geschichtsphilosophie von Marx eine doppelte Überbietung der Hegelschen dar:
Nicht nur die Vergangenheit — auch die Zukunft ist menschlicher Vernunft deutbar und verständlich, nicht nur das passive Verstehen, auch die Aktion kann mit vollem Selbst-bewußtsein ihrer Tragweite und Bedeutung durchgeführt werden.“
Lenin:
„In der Hegelschen Dialektik als der umfassendsten, inhaltsreichsten und tiefsten Entwicklungslehre sahen Marx und Engels die größte Errungenschaft der klassischen deutschen Philosophie. Jede andere Formulierung des Prinzips der Entwicklung, der Evolution, hielten sie für einseitig, inhaltsarm, für eine Entstellung und Verzerrung des wirklichen Verlaufs der (nicht selten in Sprüngen, Katastrophen, Revolutionen sich vollziehenden) Entwicklung in Natur und Gesellschaft. „Marx und ich waren wohl ziemlich die einzigen, die ... die bewußte Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur ... hinübergerettet hatten.“ (... Marx/Engels, Ausgewählte Schriften, Bd. II, S. 361, 337, 360.Die Red.)“60
„Der philosophische Idealismus istnurUnsinn vom Standpunkt des groben, einfachen, metaphysischen Materialismus aus. Umgekehrt ist vom Standpunkt desdialektischen
Materialismus aus der philosophische Idealismus eineeinseitige, übertriebene,überschwengliche (Dietzgen) Entwicklung (Aufblähung, Anschwellung) eines der Züge, einer der Seiten, einer der Grenzen der Erkenntnis zu einem Absolutum,losgelöstvon der Materie, von der Natur, vergöttlicht.“ (a.a.O. S. 317)
„Im Verlauf der ganzen vorangegangenen Darstellung, bei jeder von uns berührten erkenntnistheoretischen Frage, bei jeder philosophischen Frage, die durch die neue Physik aufgerollt wurde, konnten wir den Kampf zwischenMaterialismusundIdealismusverfolgen. Hinter dem Haufen neuer terminologischer Pfiffigkeiten, hinter dem Schutt gelehrter Scholastik fanden wir immer, ausnahmslos,zweiGrundlinien, zwei Grundrichtungen bei der Lösung der philosophischen Fragen. Ob man als das Primäre die Natur, die Materie, das Physische, die Außenwelt ansehen und Bewußtsein, Geist, Empfindung (nach der heutzutageverbreitetenTerminologie: Erfahrung), Psychisches u. dgl. für das Sekundäre halten soll - das ist die fundamentale Frage, diein der Tatnach wie vor die Philosophenin zwei große Lagertrennt.“ (a.a.O. S. 244)
Bloch:
„Geschichte wird so ein werdendes Gewordensein; das ist ein Widerspruch, und der Dialektiker-Antiquar hat ihn nicht aufgelöst. Das macht immer wieder: in der Hegelschen Geschichte erscheint ein Rückwärts- und Vorwärts-Gesicht aus Zeit, ein Januskopf, der sich überdies dreht, so daß beide Gesichter ineinandergehen.
Wonach man schwer weiß, ob das Gesicht auf uns zukommt oder sich entfernt. Nichts ist lehrreicher als dieses Ineinander von Werden und Gewordenheit in der ersten wirklich prozessualen und letzten statischen Philosophie.“ (a.a.O. S. 228 f.)
„Hegel bringt seine Geschichte ohnehin nicht auf dem eigenen, völlig frischen Feld unter, wo man sie erwartet. Statt der losbrechenden Bewegung, die am Ende der Naturphilosophie vorhergesagt war, kommt sogleich ein Fertiges: das Recht; und Geschichte wird diesem systematisch angehängt. Sie sitzt bei Hegel auf dem Staatsrecht auf, als bloßes Schlußglied nach dem entwickelten inneren und äußeren >objektiven Geist<. Das überrascht; denn an sich wie außer sich wie selbst noch an und für sich könnte alles bei Hegel Geschichtsphilosophie sein. Doch wie er die Phänomenologie, die auch alles ist, nämlich eben Geschichte, in der Enzyklopädie in einen bloßen Teil des subjektiven Geistes eigesperrt hat, so fügt er Geschichtsphilosophie dem Rechtswesen als Ende an. Allerdings mit Pathos: auf Grund der umkehrbaren Gleichung Weltgeschichte = Weltgericht. Geschichte wird Lesung der über die jeweiligen Staaten bereits ergangenen Gerichtsurteile, vollzogen in Niederlage oder Sieg, Untergang oder Aufgang. Sie ist so der Entscheid, gegen den es keine Berufung gibt, sowohl aus Gründen der fehlenden, höheren Gewaltinstanz wie auf Grund seiner absoluten Richtigkeit: >Das Verhältnis von Staaten zu Staaten ist schwankend; es ist kein Prätor vorhanden, der schlichtet: der höhere Prätor ist allein der allgemeine an und für sich seiende Geist, der Weltgeist< (Rechtsphil. § 339 Zusatz).“ (a.a.O. S. 231 f.)
„>Fortschritt im Bewußtsein derFreiheit<ist der des substantiellen menschlichen Willens, der sich nicht atomisiert und als homo homini lupus individualisiert, sondern der in der Polis, ohne Selbstentfremdung, sich gemeinsam entwickelt. Der geschichtliche VernunftKosmos freilich, den Hegel so verfrüht in der Gewordenheit, Vergangenheit als solcher sah, ist nicht vorhanden, falls nicht ein unbetrachtendes, ein das Werden leitendes und die Welt veränderndes Wissen ihn erst produziert.“ (a.a.O. S. 237)
[Marx:]„>Wir kennen nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft der Geschichte. Die Geschichte kann, von zwei Seiten aus betrachtet, in die Geschichte der Natur und die Geschichte der Menschen abgeteilt werden. Beide Seiten sind indes nicht zu trennen; solange Menschen existieren, bedingen sich Geschichte der Natur und Geschichte der Menschen gegenseitig< (Deutsche Ideologie). Hierbei ist die Hauptsache, immer wieder, bei all dieser auf die Füße gestellten Hegel-Dialektik: sie soll nicht kontemplativ bleiben. Das Subjekt in der Subjekt-Objekt-Beziehung des allhistorischen Materialismus wird als tätiges, als real erzeugendes bestimmt.“ (Bloch a.a.O. S. 415)
Walter Schulz:
„Hegel hat sicher mit Recht herausgestellt, daß geschichtliche Epochen nicht beziehungslos auseinander hervorgehen, sondern daß das Neue das Alte >aufhebt<. Aber die Aufhebung ist nicht ohne weiteres eine Vermittlung zum Besseren hin. Aufhebung und Vermittlung sind Weisen des geschichtlichen Tuns von Menschen, die im Wissen und Handeln endlich sind und sich darum bis zur Selbstvernichtung irren können. Hegel dagegen glaubt, daß der geschichtliche Wandel wesenhaft auf eine Vollendung hinstrebt, denn dieser Wandel ist ja von der Vernünftigkeit des absoluten Geistes bestimmt. Im Vertrauen auf diese letzte Instanz vermeint Hegel, daß der Zwiespalt von Außen und Innen in der mit sei
ner Philosophie beginnenden Epoche realiter und endgültig überwunden werde.“ (Schulz 1972, S. 271)
„Macht und List der Vernunft
Dass es in der Weltgeschichte vernünftig zugeht, steht für Hegel fest. Dennoch leugnet er nicht die Macht des Irrationalen, Unvernünftigen, dem in der Geschichte nicht wenige Menschen zum Opfer gefallen sind. Im Gegenteil, er erkennt sehr wohl die Gefahr, die von dieser Seite seinem teleologischen System des unaufhaltsamen Fortschritts der Weltgeschichte droht. Er hält es nämlich für erforderlich, Umwege und Rückschläge der Geschichte als „List der Vernunft“ zu erklären. Trotz aller Widrigkeiten und Enttäuschungen gelinge es der Vernunft immer wieder, „nurihrenZweck zur Ausführung“ zu bringen. Und Hegel scheut sich nicht, hier sogar „die göttliche Vorsehung“ heranzuziehen, die sich „als die absolute List“ verhalte:
>Gott läßt die Menschen mit ihren besonderen Leidenschaften und Interessen gewähren, und was dadurch zustande kommt, das ist die VollführungseinerAbsichten, welche ein anderes sind als dasjenige, um was es denjenigen, deren er sich dabei bedient, zunächst zu tun war.<
Die individuellen Zwecke und Absichten haben sich also stets den allgemeinen („höheren“, weil göttlichen) Zwecken unterzuordnen. Was der Einzelne, erst recht angesichts des Scheiterns seiner vordergründigen Interessen, nicht zu erkennen vermag, erscheint der „vernünftigen Intelligenz“ in einem anderen, quasi göttlichen Licht.“61
Emil Angehrn:
„Diese wesenhafte Verflechtung mit Geschichte findet nun auch in jener letzten Gestalt des Geistes statt, die Hegel als philosophisches Denken beschreibt, und sie führt darin zu einem spezifischen Problem. Es ist durch den genannten Vernunftanspruch bedingt, dadurch, dass die Philosophie in der Zuwendung zu ihrer Geschichte nicht nur mit kontingenten Denkformationen und einer „Galerie der Heroen der denkenden Vernunft" , sondern mit der substantiellen Entwicklung einer letztlich zeittranszendenten Wahrheit zu tun hat. Ziel der Philosophie ist zu erkennen, „was unvergänglich, ewig, an und für sich ist", und sie steht darin in unhintergehbarer Spannung zur Geschichte, die von dem handelt, was entsteht, durch anderes verdrängt wird und untergeht - eine Spannung, die nur in dem Maße überwunden wird, wie sich jene Geschichte nicht als äußerliche Geschichte, sondern innerer Werde- und Entwicklungsprozess der Sache selbst erweist. Das vorrangige Interesse gilt nicht der Kontextualisierung der Philosophie in der gesellschaftlichen und kulturellen Umwelt und der wechselseitigen Durchdringung der Entwicklungen in diesen Bereichen, ebensowenig der äußeren Sukzession der neu hervorkommenden, sich ausbreitenden, sich verändernden und wieder vergehenden Begriffs- und Theorieformen, sondern der inneren Entfaltung des Gedankens aus der Sache des Denkens heraus. Ihre innere Notwendigkeit gründet letztlich darin, dass die Geschichte des Denkens nur die konsequente Selbstexplikation des in aller Geschichte sich realisierenden Subjekts, des Geistes ist, so dass das Auseinanderlegen der Begriffsmomente nur die diskursive Chiffre jenes absoluten Geschehens der Differenzierung und Vereinigung ist, in welchem das Leben und wahre Sein des Geistes besteht. Es ist dieses Geschehen, das auch den Gehalt der Kunst und Religion ausmacht und das von der Philosophie im Begriff zu fassen ist.
In diesem Sinne bedeutet die Verweisung auf die Philosophiegeschichte nicht einen Bezug auf Vergangenes und verschwundene Denkformen, sondern auf einen Inhalt, der „nicht Vergängliches'', sondern „das unvergängliche Wesen des Geistes" als ein „gegenwärtig Lebendiges" ist.“62
Antje Allroggen:
„Hegel und seine Philosophie des Weltgeistes
Die Welt in ständiger Veränderung
Hegel verwendet dafür als Metapher das Wachsen einer Pflanze: Auch hier gehorchen die Reifephasen einem inneren Prinzip. Für Hegel folgt die Geschichte einer vorgegebenen Logik, in der es immer wieder zu historischen Widersprüchen und Umwälzungen kommt. Es sind Dialektische Veränderungsprozesse, die die Menschheit und damit die Geschichte jedes Mal ein Stück weiterbringen, davon war Hegel überzeugt.
Seine Theorie des Werdens wandte Hegel auch auf Gott an, was ihm vor allem in der katholischen Kirche wenig Sympathie einbrachte. Denn Hegel war der Auffassung, dass Gott als Entität nicht immer schon a priori einfach da gewesen sei, sondern erst im Laufe der Weltgeschichte zu dem wurde, was er nun ist: ein "Weltgeist", der die Summe aller Epochen in sich vereint. Als Hegel dann auch noch sagte, dass er die katholische Lehre von der Transsubstantiation (Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi in der heiligen Messe/Anm.d.R.) für Humbug halte, musste er sich dafür offiziell entschuldigen und seine Äußerungen zurücknehmen.“63
Franz Martin Wimmer:
„Geschichte der Philosophiehistorie:
Philosophie in Entwicklung - Hegel
Einer der Zeitgenossen Hegels, den mit ihm eine intime Gegnerschaft verband, war Jacob Friedrich Fries. Er fragt sich: „hielt denn der Weltgeist sich im Ernst einmal mit Thales für Wasser, mit Herakleitos für Feuer ... zugleich auch mit Epikuros für den, der gar nicht ist? Das ist sonderbar! Der Weltgeist muß entweder der Alte überall und nirgends, oder sonst ein drolliger spaßhafter Gesell sein.“ In der Tat ist es unverständlich, wenn nicht aus einem christlich-theologischen Geschichtsbild, wie Hegel von dem, was er „objektiver Geist“ oder auch „Volksgeist“ nennt, zur Annahme eines „Weltgeists“ kommt. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind alles eher als überzeugend, sie klingen nach einem Wunschdenken. Dies ist aber ein entscheidender Punkt.
Es gibt Wissensmängel bei Hegel:
Hegel weiß relativ wenig über die Vorgeschichte.
Das ist ihm nicht anzukreiden - noch Virchow hat den Schädel von Neanderthal völlig irrig datiert. Die Entwicklungsgeschichte der Menschen, die archaische Kunst, die Strukturen menschlicher Sprache sind heute weit genauer bekannt, als dies für irgendeinen Zeitgenossen Hegels der Fall war. Dies ist nicht nebensächlich, wenn jemand beansprucht, den Weg „des Geistes“ zu beschreiben.
Hegel weiß wenig über die Denktraditionen Asiens, die er so eindeutig „abscheidet“. Dies ist jedoch nicht einfach ein Wissensmangel, sondern bedingt einen Mangel an Urteilsfähigkeit. (...) Es ist ein Mangel, der durch Interesselosigkeit bedingt ist und seinerseits Interesselosigkeit befördert hat.
Hegel weiß so gut wie nichts über afrikanische und amerikanische Denktraditionen, jedenfalls schweigt er darüber. In dieser Hinsicht scheint er sich voll und ganz an den von ihm sonst so harsch kritisierten Brucker gehalten zu haben, der 1756 befand, es sei in diesen Weltgegenden nicht nur keine Spur von Philosophie, sondern auch kaum der Gebrauch der Vernunft zu finden.
Behauptetes, doch fragliches Wissen Hegels:
Was Hegel allerdings weiß oder zu wissen glaubt, ist erstens, daß das Christentum die Religion schlechthin ist. .
Ferner weiß er, was „der Geist“ will, was er tut, wohin er sich entwickelt. Dieses „Wissen“ ist (denn eine „Meinung“ darüber hat er nach eigenem Bekunden nicht) die notwendige und auch hinreichende Voraussetzung dafür, über Geschichte der Philosophie sinnvoll zu sprechen. Die Voraussetzung ist bei ihm erfüllt - so meint er jedenfalls.
Auch weiß Hegel, welche der Ausdrucksformen des Geistes unbeholfen sind: der Mythus und die Mathematik. Beides sind „Symbole“; der Geist braucht sie nicht wirklich, denn er hat etwas Besseres: die „Sprache“. (17) Kein Wort verliert Hegel darüber, daß es sich immer, auch hier, um eine Sprache mit ihren Besonderheiten handelt, niemals umdieSprache. Es stünde einem Philosophen besser an, hier wie auch sonst (etwa im Fall „der“ Geschichte, „der“ Menschheit usf.) den Singular zu problematisieren oder in aller Deutlichkeit beispielsweise zu sagen, „der Geist“ habe „die deutsche Sprache“ - wenn genau das doch gemeint ist.
Hegel schreibt suggestiv; seine sprachlichen Bilder sind häufig von großer Eindringlichkeit. Das bedeutet weder, daß sie klar sind, noch auch, daß sie richtig sind. Als Leser sollte man daher bei jedem dieser Bilder fragen, wie denn eigentlich belegt ist, was in dem Bild vermittelt werden soll. Die verwendeten Ausdrücke sind meist nur scheinbar einfach, ihre Zusammenfügung überrascht oft, was den Eindruck eines tieferen Sinns macht. Es empfiehlt sich jedoch, in allen derartigen Fällen zu fragen, wie die Sache einfacher gesagt werden kann. Auch wenn Hegels abfälliger Tonfall denjenigen gegenüber, die nicht vorgeben, die Einsicht in die große Einheit zu haben, dies schwer macht, sollte man ihn so lesen, als wüßte man nicht, wie er, genau über die Wege „des Geistes“ Bescheid.
(Anmerkungen:)
(...) In der Vorlesung nennt er sie „die Wahrheit in einer viel allgemeineren Gestalt, als sie in der philosophischen Gestalt ist“, op. cit., S. 16; der Frage nach einer Hierarchie der Religionen hat Hegel große Aufmerksamkeit gewidmet, wie seine „Religionsphilosophie“ zeigt. Darin ist er ein Wegbereiter für die seitherige Religionswissenschaft geworden. Es ist hier nicht der Ort zu einer Auseinandersetzung mit seiner diesbezüglichen Auffassung, aber Skepsis gegenüber derartiger Gewißheit ist in jedem Fall angebracht. Es wäre sonst wirklich nicht leicht zu erklären, warum es tief religiöse Menschen gibt, die das Christentum nicht annehmen, wenn sie es kennenlernen.
(...) „So kann man sagen: die Ewigkeit sei ein Kreis ... es ist ein Bild. Der Geist bedarf aber solches Symbols nicht; er hat die Sprache.“ (S. 86)64
8. zur Rechtsphilosophie (s.o. S. 34-37)
Frappierend ist die Tatsache, dass Marx schon ca. 1841 eineKritik der Hegelschen Staatsphilosophieverfasst hat. Diese Kritik hat Ernst Bloch anscheinend nicht thematisiert. Die von Marx geäußerten Grundgedanken der Kritik sind folgende:
„Die Tatsache, von der ausgegangen wird, wird nicht als solche, sondern als mystisches Resultat gefaßt. Das Wirkliche wird zum Phänomen, aber die Idee hat keinen andren Inhalt als dieses Phänomen. Auch hat die Idee keinen andren Zweck als den logischen: »für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein«. In diesem Paragraphen ist das ganze Mysterium der Rechtsphilosophie niedergelegt und der Hegelschen Philosophie überhaupt.“ (a.a.O. 1964, S. 26)
„Der Übergang der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft in den politischen Staat ist also der, daß der Geist jener Sphären, der an sich der Staatsgeist ist, sich nun auch als solcher zu sich verhält und als ihr Inneres sich wirklich ist. Der Übergang wird also nicht aus dem besondern Wesen der Familie etc. und dem besondern Wesen des Staats, sondern aus dem allgemeinen Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit hergeleitet. Es ist ganz derselbe Übergang, der in der Logik aus der Sphäre des Wesens in die Sphäre des Begriffs bewerkstelligt wird. Derselbe Übergang wird in der Naturphilosophie aus der unorganischen Natur in das Leben gemacht. Es sind immer dieselben Kategorien, die bald die Seele für diese, bald für jene Sphäre hergeben. Es kommt nur darauf an, für die einzelnen konkreten Bestimmungen die entsprechenden abstrakten aufzufinden.“ (a.a.O. S. 27)
„Wichtig ist, daß Hegel überall die Idee zum Subjekt macht und das eigentliche, wirkliche Subjekt, wie die »politische Gesinnung«, zum Prädikat. Die Entwicklung geht aber immer auf Seite des Prädikats vor.“ (S. 28)
„Der Wahrheit nach hat Hegel nichts getan, als die »politische Verfassung« in die allgemeine abstrakte Idee des »Organismus« aufgelöst, aber dem Schein und seiner eignen Meinung nach hat er aus der »allgemeinen Idee« das Bestimmte entwickelt. Er hat zu einem Produkt, einem Prädikat der Idee gemacht, was ihr Subjekt ist. Er entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertig und in der abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordnen Denken. Es handelt sich nicht darum, die bestimmte Idee der politischen Verfassung zu entwickeln, sondern es handelt sich darum, der politischen Verfassung ein Verhältnis zur abstrakten Idee zu geben, sie als ein Glied ihrer Lebensgeschichte (der Idee) zu rangieren, eine offenbare Mystifikation. Eine andre Bestimmung ist, daß die »verschiedenen Gewalten« »durch die Natur des Begriffs bestimmt sind« und darum das Allgemeine sie »auf notwendige Weise hervorbringt«. Die verschiedenen Gewalten sind also nicht durch ihre »eigne Natur« bestimmt, sondern durch eine fremde. Ebenso ist die Notwendigkeit nicht aus ihrem eignen Wesen geschöpft, noch weniger kritisch bewiesen. Ihr Schicksal ist vielmehr prädestiniert durch die »Natur des Begriffs«, versiegelt in der Santa Casa (der Logik) heiligen Registern. Die Seele der Gegenstände, hier des Staats, ist fertig, prädestiniert vor ihrem Körper, der eigentlich nur Schein ist. Der »Begriff« ist der Sohn in der »Idee«, dem Gott Vater, das agens |die treibende Kraft|, das determinierende, unterscheidende Prinzip. »Idee« und »Begriff« sind hier verselbständigte Abstraktionen.“ (S. 29)
„Der konkrete Inhalt, die wirkliche Bestimmung, erscheint als formell; die ganz abstrakte Formbestimmung erscheint als der konkrete Inhalt. Das Wesen der staatlichen Bestimmungen ist nicht, daß sie staatliche Bestimmungen, sondern daß sie in ihrer abstraktesten Gestalt als logisch-metaphysische Bestimmungen betrachtet werden können. Nicht die Rechtsphilosophie, sondern die Logik ist das wahre Interesse. Nicht daß das Denken sich in politischen Bestimmungen verkörpert, sondern daß die vorhandenen politischen Bestimmungen in abstrakte Gedanken verflüchtigt werden, ist die philosophische Arbeit. Nicht die Logik der Sache, sondern die Sache der Logik ist das philosophische Moment.
Die Logik dient nicht zum Beweis des Staats, sondern der Staat dient zum Beweis der
Logik.“ (S. 33)
„ ... (Hegel:) »Die Verfassung ist vernünftig, insofern der Staat seine Wirksamkeit nach der Natur des Begriffs in sich unterscheidet und bestimmt, und zwar so, daß jede dieser Gewalten selbst in sich die Totalität dadurch ist, daß sie die anderen Momente in sich wirksam hat und enthält, und daß sie, weil sie den Unterschied des Begriffs ausdrücken, schlechthin in seiner Idealität bleiben und nur Ein individuelles Ganzes ausmachen.«
Die Verfassung ist also vernünftig, insofern seine Momente in die abstrakt logischen aufgelöst werden können. Der Staat hat seine Wirksamkeit nicht nach seiner spezifischen Natur zu unterscheiden und zu bestimmen, sondern nach der Natur des Begriffs, welcher das mystifizierte Mobile des abstrakten Gedankens ist. Die Vernunft der Verfassung ist also die abstrakte Logik und |.| nicht der Staatsbegriff. Statt des Begriffs der Verfassung erhalten wir die Verfassung des Begriffs. Der Gedanke richtet sich nicht nach der Natur des Staats, sondern der Staat nach einem fertigen Gedanken.“ (S. 34 f.)
„ . (Hegel:) »Da der Geist nur als das wirklich ist, als was er sich weiß, und der Staat als Geist eines Volkes zugleich das alle seine Verhältnisse durchdringende Gesetz, die Sitte und das Bewußtsein seiner Individuen ist, so hängt die Verfassung eines bestimmten Volkes überhaupt von der Weise und Bildung des Selbstbewußtseins desselben ab; in diesem liegt seine subjektive Freiheit und damit die Wirklichkeit der Verfassung ... Jedes Volk hat deswegen die Verfassung, die ihm angemessen ist und für dasselbe gehört.«
Aus Hegels Räsonnement folgt nur, daß der Staat, worin »Weise und Bildung des Selbstbewußtseins« und »Verfassung« sich widersprechen, kein wahrer Staat ist. Daß die Verfassung, welche das Produkt eines vergangnen Bewußtseins war, zur drückenden Fessel für ein fortgeschrittnes werden kann etc. etc., sind wohl Trivialitäten. Es würde vielmehr nur die Forderung einer Verfassung folgern, die in sich selbst die Bestimmung und das Prinzip hat, mit dem Bewußtsein fortzuschreiten; fortzuschreiten mit dem wirklichen Menschen, was erst möglich ist, sobald der »Mensch« zum Prinzip der Verfassung geworden ist. Hegel hier Sophist.“ (S. 35 f.)
„ ... (Hegel:) »Man kann so auch von der Souveränität nach Innen sagen, daß sie im Volke residiere, wenn man nur überhaupt vom Ganzen spricht, ganz so wie vorhin (§ 277, 278) gezeigt ist, daß dem Staate Souveränität zukomme.«
Als wäre nicht das Volk der wirkliche Staat. Der Staat ist ein Abstraktum. Das Volk allein ist das Konkretum. Und es ist merkwürdig, daß Hegel, der ohne Bedenken dem Abstraktum, nur mit Bedenken und Klauseln dem Konkretum eine lebendige Qualität wie die der Souveränität beilegt.“ (S. 45)
„Die Demokratie ist die Wahrheit der Monarchie, die Monarchie ist nicht die Wahrheit der Demokratie. Die Monarchie ist notwendig Demokratie als Inkonsequenz gegen sich selbst, das monarchische Moment ist keine Inkonsequenz in der Demokratie. Die Monarchie kann nicht, die Demokratie kann aus sich selbst begriffen werden. In der Demokratie erlangt keines der Momente eine andere Bedeutung, als ihm zukommt. Jedes ist wirklich nur Moment des ganzen Demos. In der Monarchie bestimmt ein Teil den Charakter des Ganzen. Die ganze Verfassung muß sich nach dem festen Punkt modi-fizieren. Die Demokratie ist die Verfassungsgattung. Die Monarchie ist eine Art, und zwar eine schlechte Art. Die Demokratie ist Inhalt und Form. Die Monarchie soll nur Form sein, aber sie verfälscht den Inhalt.
In der Monarchie ist das Ganze, das Volk, unter eine seiner Daseinsweisen, die politische Verfassung, subsumiert; in der Demokratie erscheint die Verfassung selbst nur als eine Bestimmung, und zwar Selbstbestimmung des Volks. In der Monarchie haben wir das Volk der Verfassung; in der Demokratie die Verfassung des Volks. Die Demokratie ist das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen. Hier ist die Verfassung nicht nur an sich, dem Wesen nach, sondern der Existenz, der Wirklichkeit nach in ihren wirklichen Grund, den wirklichen Menschen, das wirkliche Volk, stets zurückgeführt und als sein eigenes Werk gesetzt. Die Verfassung erscheint als das, was sie ist, freies Produkt des Menschen; man könnte sagen, daß dies in gewisser Beziehung auch von der konstitutionellen Monarchie gelte, allein der spezifische Unterschied der Demokratie ist, daß hier die Verfassung überhaupt nur ein Daseinsmoment des Volkes, daß nicht die politische Verfassung für sich den Staat bildet.
Hegel geht vom Staat aus und macht den Menschen zum versubjektivierten Staat; die Demokratie geht vom Menschen aus und macht den Staat zum verobjektivierten Menschen.“ (S. 46 f.)
„Da die Bürokratie der »Staat als Formalismus« ihrem Wesen nach ist, so ist sie es auch ihrem Zweck nach. Der wirkliche Staatszweck erscheint also der Bürokratie als ein Zweck wider den Staat. Der Geist der Bürokratie ist der »formelle Staatsgeist«. Sie macht daher den »formellen Staatsgeist« oder die wirkliche Geistlosigkeit des Staats zum katego-rischen Imperativ. Die Bürokratie gilt sich selbst als der letzte Endzweck des Staats. Da die Bürokratie ihre »formellen« Zwecke zu ihrem Inhalt macht, so gerät sie überall in Konflikt mit den »reellen« Zwecken. Sie ist daher genötigt, das Formelle für den Inhalt und den Inhalt für das Formelle auszugeben. Die Staatszwecke verwandeln sich in Bürozwecke oder die Bürozwecke in Staatszwecke. Die Bürokratie ist ein Kreis, aus dem niemand herausspringen kann. Ihre Hierarchie ist eine Hierarchie des Wissens. Die Spitze vertraut den untern Kreisen die Einsicht ins Einzelne zu, wogegen die untern Kreise der Spitze die Einsicht in das Allgemeine zutrauen, und so täuschen sie sich wechselseitig,
Die Bürokratie ist der imaginäre Staat neben dem reellen Staat, der Spiritualismus des Staats. Jedes Ding hat daher eine doppelte Bedeutung, eine reelle und eine bürokratische, wie das Wissen ein doppeltes ist, ein reelles und ein bürokratisches (so auch der Wille). Das reelle Wesen wird aber behandelt nach seinem bürokratischen Wesen, nach seinem jenseitigen, spirituellen Wesen. Die Bürokratie hat das Staatswesen, das spirituelle Wesen der Gesellschaft in ihrem Besitze, es ist ihr Privateigentum. Der allgemeine Geist der Bürokratie ist das Geheimnis, das Mysterium, innerhalb ihrer selbst durch die Hierarchie, nach außen als geschlossene Korporation bewahrt. Der offenbare Staatsgeist, auch die Staatsgesinnung, erscheinen daher der Bürokratie als ein Verrat an ihrem Mysterium. Die Autorität ist daher das Prinzip ihres Wissens, und die Vergötterung der Autorität ist ihre Gesinnung. Innerhalb ihrer selbst aber wird der Spiritualismus zu einem krassen Materialismus, dem Materialismus des passiven Gehorsams, des Autoritätsglaubens, des Mechanismus eines fixen formellen Handelns, fixer Grundsätze, Anschauungen, Überlieferungen. Was den einzelnen Bürokraten betrifft, so wird der Staatszweck zu seinem Privatzweck, zu einem Jagen nach höheren Posten, zu einem Machen von Karriere.“ (S. 60 f.)
Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung
„Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit ver-schwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht, nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.“ (S. 208 f.)
„Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem |am Menschen| demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst. Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie, ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion. Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!“ (S. 216 f.)
„Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen, und sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven Volksboden eingeschlagen ist, wird sich die Emanzipation der Deutschen zu Menschen vollziehen.
Resümieren wir das Resultat:
Die einzig praktisch mögliche Befreiung Deutschlands ist die Befreiung auf dem Standpunkt der Theorie, welche den Menschen für das höchste Wesen des Menschen erklärt. In Deutschland ist die Emanzipation von dem Mittelalter nur möglich als die Emanzipation zugleich von den teilweisen Überwindungen des Mittelalters. In Deutschland kann keine Art der Knechtschaft gebrochen werden, ohne jede Art der Knechtschaft zu brechen. Das gründliche Deutschland kann nicht revolutionieren, ohne von Grund aus zu revolutionieren. Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat. Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie.
Wenn alle innern Bedingungen erfüllt sind, wird der deutsche Auferstehungstag verkündet werden durch das Schmettern des gallischen Hahns.“ (S. 223 f.)
Walter Schulz
hält Hegels Staatstheorie für „nicht überzeugend. Der Staat, der als das an und für sich Vernünftigeüberder Gesellschaft steht und sich als Stätte der sittlichen Freiheit durch Einsicht lenkt, ist eher ein Wunschgebilde als eine Realität.“ (Schulz 1972, S. 271)
9. zur Ästhetik (s.o. S. 37-46)
Bloch:
„Bedeutend mehr als der Staat wird die Schönheit bei Hegel fix und fertig. Ihre wesentlichen Bestimmungen sind aus der Arbeit heraus, werden >zu einem Kranze ge- ordnet<. Mit dem Gefühl der Ernte, nach Ablauf einer literarisch großen Zeit, im Dasein bürgerlich-höchstgebildeter Muße. Vor allem aber ist es das >reine Weltauge<, das in Hegels Ästhetik, an diesem Ende, trotz Humor, doch die Kunst fixiert. Nicht im Jahre 1830, wie die Geschichtsphilosophie und die des Rechts, aber an einem seligen Versöhnungsziel, als wäre es - gerade in der Wirklichkeit des Schönen, nicht in seiner Illusion - bereits da. ... Die Fragen gehen gewiß weiter, Hegel schließt nicht mit der Schönheit, im Tempel steht das Götterbild, das als solches aus der Religion stammt, nicht aus der Poesie.Doch Kunst geht bei Hegel nicht in sich selbst weiter, als >Vor-Schein<, etwa im Sinn Schillers (trotz der interesselosen Betrachtung): >Was wir als Schönheit hier empfunden, wird uns als Wahrheit einst entgegengehen.< Dieses Einst ist in Hegels Philosophie grundsätzlich nirgends ausgespart, auch nicht in den Vollendungsidealen, denen er das Schöne zuordnet. Hoffnungsvolles in den Kunst-Lösungen wird zwar, kraft der Dialektik, anerkannt, doch nicht derart, daß es innerhalb und an der Schönheit selbst den Betrachtenden bewegt. Eben das Hoffnungsvolle wird der Religion übergeben, die aber diesem ungeduldigen, ja ungebärdigen Wesen erst recht Versöhnung anlegt.Allerdings eine, in der der Mensch selbst recht behält, nicht nur, wie in der Tragödie, die allgemeinen Mächte. Der Friede der Kunst ist bei HegelWohlgefallenam Fürsich, der Friede in der ReligionAndachtam Fürsich ...
Diese Andacht ist für Hegel das Mehr als Kunst; und wirklich war Religion, indem sie vom sinnlichen Gefallen abberief, oft ein Bildersturm, einer von oben nach unten. Ein Bildersturm von unten jedoch: um es auch so gut zu haben, so voll seines Wesens zu sein, wie es die Kunstbilder sind, diese kunstbejahende Verzehrung der Kunst hat im bloßen Harfenklang des Zwecks, im bloßen Zweck des Harfenklangs sinngemäß keinen Platz. Dafür ist Hegels Kunstbegriff, obwohl er nirgends Opium, überall >Entfaltung der Wahrheit< sein will, zu selig eingefügt in scheinend gutgewordener Sphäre.“ (Bloch a.a.O. S 288-290; Hervorhebungen, außer:„Wohlgefallen“: KR).
„Die Schönheit Hegels ist zwar in ihrer Schicht der Anschauung ebenso voll Fürsich-sein wie die Heiligkeit in ihrer Schicht der Vorstellung (und die volle Wahrheit in der Schicht des zum Begriff gewordenen Geistes). Jedoch diese Schönheit gleicht eher Narzissus, der das Spiegelbild seiner im See der Anschauung umfaßt, als Odysseus mit Fluchttrieb und fernem Vaterland im Sinn. Und schlägt auch die Schönheit, wie alles bei Hegel, zuletzt um, in die ihr nächstfolgende, die religiöse Gestalt, so ist sie vorher doch fest, wohl in sich vergafft, nicht gleitend, auch nicht Heiliges zu geringerem Preis, säkularisierte.“ (a.a.O. S. 290 f.)
Willi Oelmüller:
„Hegels Satz : „Uns gilt die Kunst nicht mehr als die höchste Weise, in welcher die Wahrheit sich Existenz verschafft. . . Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein“ (.), dieser Satz gehört zu den Sätzen der Hegelschen Philosophie, die bis heute am meisten provozieren und die fast durchweg kritisiert werden. Die Kritik des Satzes vollzieht sich auf zweifache Weise : direkt und indirekt.
a) Die verschiedenen, auch in ihrem Niveau verschiedenen Argumente der direkten Kritik lassen sich, sehr vereinfacht, so zusammenfassen: Hegel hat auf Grund seines mangelnden ästhetischen und historischen Bewußtseins, auf Grund seiner hybriden gnostischen Philosophie, auf Grund des Systemzwanges seiner Philosophie des absoluten Geistes, auf Grund der seit der deutschen Aufklärungsästhetik von Baumgarten an üblichen rationalistischen Unterscheidung zwischen gnoseologia inferior und gnoseologia superior vom Ende der Kunst gesprochen und so sprechen müssen. Hegels Urteil ist zu erklären aus dem intellektuellen Vorurteil des Philosophen, aus dem konservativen Klassizismus der Goethe-Zeit, aus der auf Grund der Produktionsverhältnisse kunstfeindlichen bürgerlichen Gesellschaft, aus seiner theologisch und philosophisch unhaltbaren Synthese von Hellas und Christentum, von Mythos und Logos.
b) Die indirekte Kritik des Hegelschen Satzes, die gewichtiger und ernsthafter ist, ist die nach Hegel ausgebildete Philosophie der Kunst selbst. Diese, und zwar nicht nur die der Antihegelianer und Nichthegelianer, sondern auch die der Hegelianer des 19. Jahrhunderts (Ruge, Vischer), aber auch die der Theoretiker des 20. Jahrhunderts geh davon aus, daß es für Hegel selbst in der gegenwärtigen Welt keine legitime Kunst mehr gibt und daß es von seiner Philosophie und ihren Voraussetzungen aus auch keine Philosophie der modernen Kunst in dem Sinne der Kunst in der gegenwärtigen Welt geben kann. Sie stellt sich daher die Aufgabe, bzw. sie glaubt, vor der Aufgabe zu stehen, die Bedingungen einer solchen modernen Kunst allererst erhellen oder neu erstellen zu müssen.
Daher entfalten ja auch seit etwa hundert Jahren die einzelnen Wissenschaften der Künste, z.B. die der Architektur, der Malerei, der Literatur und der Musik ihre eigenen, weithin von der offiziellen-Philosophie der Kunst abweichenden, ja ihr entgegengesetzten Prinzipien und Methoden ihres Umgangs mit Kunst.
Daher entwickeln seither große Künstler, z. B. Strawinsky, Picasso, Klee, Valéry, Gide, 117
Eliot, Brecht, Benn, Broch, Musil, Thomas Mann, ihre eigenen Theorien der Kunst, die nicht immer und vor allem nicht notwendig schlechter sind als die der Schulphilosophie. Daher leben heute gebildete Leute und Kunstkritiker mit der Kunst oft nicht wegen, sondern trotz der offiziellen Philosophie der Kunst nach Hegel. All dies, das hier nicht als Symptom des Endes der Philosophie der Kunst und der Philosophie überhaupt, sondern als Symptom ihrer gegenwärtigen Krise verstanden wird, rechtfertigt vielleicht den Versuch, den von der Philosophie der Kunst nach Hegel direkt oder indirekt kritisierten He- gelschen Satz noch einmal zu erörtern.
Wir fragen, ob uns die Hegels Satz vom Ende der Kunst zugrunde liegende geistige und geschichtliche Erfahrung bei dem Verständnis der modernen Kunst weiterhelfen kann, und wir beschränken uns hierbei bewußt auf einige Erfahrungen Hegels. Es geht uns - das sei schon jetzt deutlich gesagt - weder um eine naive, unkritische Aktualisierung der Hegelschen Philosophie der Kunst noch um eine bloß hegel-immanente historisch-philologische Kommentierung dieses Satzes. Warum und wie Hegel selbst z. B. seinen Satz auch von seiner nie bruchlos gelingenden Philosophie des absoluten Geistes und von seiner Theorie des Naturschönen her begründete, bleibt hier neben anderem unerörtert.
Wir fragen auch nicht, wie neuerdings z.B. Heiler, Lucas, Preisendanz, ob und wie von Hegels Ästhetik aus spezielle Momente der modernen Kunst (ihre Innerlichkeit, ihre Abstraktheit, ihr Humor) positiv interpretiert werden können.
Wir fragen auch nicht nach der Berechtigung und Grenze der Hegelschen Deutung der einzelnen Künste
Die durch die Menschwerdung Gottes offenbar gewordene tiefste Entzweiung und Versöhnung des Menschen ist für Hegel durch die Kunst nicht adäquat darstellbar.“[65]
10. zur Religionsphilosophie (s.o. S. 46-50)
Karl Marx:
„Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben und schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät.“
„Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point d’honneur, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.“
„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sei der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“6566
Martina Thom:Ein Vergleich der Hegel-Kritik von Feuerbach und von Marx (1843)
„In den 1842 erarbeiteten und im März 1843 von Marx gelesenen und bewerteten „Vorläufigen Thesen zur Reformation der Philosophie“ wird nun von Feuerbach immer wieder behauptet, daß Hegels Philosophie nichts anderes sei als „spekulative Theologie“, nämlich eine Verkehrung der Abhängigkeitsbeziehung zwischen Natur (Mensch) und „Geist“, zwischen Subjekt und Prädikat. So wie in der Theologie das Prädikat, die vom Menschen (dem natürlichen Subjekt) produzierten Vorstellungen von Gott, als Subjekt
gesetzt werde, indem der Mensch nicht als Schöpfer der Gottesidee erkannt, sondern Gott als Schöpfer des Menschen gedacht werde, so werde in der Hegelschen Philosophie der Geist (das Prädikat der hochorganisierten Natur, des Menschen) als abstraktes Subjekt gesetzt und die Natur und der Mensch erscheinen nur als Prädikate, als Materialisierungsprodukte, als „Vergegenständlichung“ des Geistes. Hegels Philosophie enthalte einen idealistischen Dreischritt: Für Hegel ist der abstrakt-spekulativ gesetzte Geist („die Substanz als Idee“) das Unendliche und Erste; diese erfährt ihre Negation, indem sie ins Endliche, Reale, Sinnliche, Wirkliche übergeht, was aber damit als Entfremdung der Idee von sich selbst disqualifiziert wird. Und es erfolgt in einem dritten Schritt die Negation der Negation, die Wiederherstellung des geistigen Prinzips in der Phase des Selbstbewußtseins. Es sei, so Feuerbach, eine Philosophie, welche die Theologie bejahe, nachdem sie dieselbe verneint habe. Es sei eine Philosophie des Widerspruchs
Daß die Hegelsche panlogistische Erklärungsweise Feuerbach später als Hauptindiz eines spekulativen Theologisierens erscheinen muß, liegt, wie wir sehen werden, daran, daß er ein durch Sinnlichkeit, Gegenständlichkeit, Anschauungsvermögen etc. charakterisiertes Bild des „natürlichen“ und „geselligen“ Menschen entwirft - nicht vermittels einer „rein erkenntnistheoretischen“ und im alten Sinne sensualistischen Begründung, sondern ihm geht es um die Menschen als leidenschaftliche, tätige und leidende, fühlende und anschauende blutvolle Wesen, die auf Grund ihrer Gattungsmerkmale, Vernunft, Wille und im besonderen Maße Gefühl, in der Lage sind, neue, harmonische gesellschaftliche Beziehungen zu gestalten. Indem Feuerbach, wie er selbst mehrfach betont, die Basis einer „neuen Religion“, einer Religion des Menschen als sich selbst höchsten Wesens, schaffen will, muß ihm das spiritualistische Menschenbild Hegels sogar noch lebensfremder erscheinen als das entfremdete christlich-religiöse Gefühl, das Ausdruck der Entzweiung des menschlichen Gattungswesens ist.“67
Falko Schmieder:Der nachhegelsche Feuerbach. Die Religionskritik des Wesen des Christen-tums
„Gemäß der schon in ,Zur Kritik der positiven Philosophie‘auf die Illusionen der christlichen Philosophen angewandten Umkehrmethode, derzufolge man bloß das, was die Religion resp. Theologie zum Prädikat macht, zum Subjekt zu machen braucht und umgekehrt, um das Wahre zu erhalten, transformiert Feuerbach den Grundsatz der Religionsphilosophie Hegels: „Das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen Gottes von sich selbst“ in den entgegengesetzten Grundsatz: „Das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen des Menschen von sich selbst.“
Der Gegensatz zwischen dem menschlichen und göttlichen Wesen, konstitutiv für die Religion, löst sich für Feuerbach auf in den Zwiespalt des Menschen mit seinem eigenen Wesen. Der mit sich selbst entzweite Mensch setzt sich in der Religion Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber, wobei der Gott nach Feuerbachs Darstellung als bloße Verdopplung, als extreme Potenzierung oder als absolute Negation des Menschen erscheinen kann. Allen diesen religiösen Verhältnissen ist jedoch Feuerbach zufolge eines gemeinsam: In ihnen wird die Gattung nicht, oder genauer, nur auf eine falsche Weise, nämlich unter der Form der Gottheit anerkannt. Genau darin besteht für Feuerbach das Grundverkehrte der Religion: Der Mensch schaut zu einem übermenschlichen, von ihm abgelösten Wesen empor, ohne zu erkennen, daß es nur das verzerrte Abbild des eigenen menschlichen Wesens ist. Als Folge der Hinwendung zu der vermeintlichen außerweltlichen Autorität gerät aber Feuerbach zufolge das reale menschliche Gemeinwesen ganz aus dem Blick; das wahre menschliche Leben verkümmert, weil der Mensch nur ein Interesse für das himmlische, jenseitige Leben aufbringt. Am Christentum, dem Hauptgegenstand von Feuerbachs Untersuchung, wird der Verlust der Gattung an der christlichen Identifizierung von Gattung und Individuum manifest. Im Zentrum der Verehrung und Anbetung steht hier ein Gott, der als Persönlichkeit vorgestellt wird, als solche aber zugleich das Allgemeine repräsentieren soll. Gott soll zugleich sinnlich und übersinnlich, Person und Gemeinwesen sein - ein Widerspruch, der Feuerbach zufolge im Christentum den Fixpunkt des Gattungslebens bildet.68
Willi Oelmüller:Geschichte und System in Hegels ,Religionsphilosophie‘:
„Die totale Kritik der Religion, die sich vor allem im Anschluß an Hegels Religionsphilosophie ausgebildet hat und die sich als ihre sachliche Konsequenz bzw. legitime Weiterentwicklung versteht, beansprucht, die Religion überhaupt durch einen kompromittierenden Grund: die Natur bzw. die Gesellschaft als falsches Bewußtsein bzw. als Ideologie entlarven zu können. Die totale Kritik der Religion im Namen der Natur, die vor allem von Feuerbach, Nietzsche und Löwith vorgetragen wird, deutet Hegels Religionsphilosophie als inkonsequente Aufhebung und Negation der „christlichen Onto-Theo- logie oder Meta-Physik“, die den vergeblichen und für die europäische Geschichte verhängnisvollen Überstieg des Bewußtseins „über die natürliche Welt zu einem überweltlichen Gott“ versucht hat. Da nach Feuerbachs Deutung der Moderne in den Wissenschaften, im Leben des Einzelnen und in der Gesellschaft das Christentum jedoch „gründlich, rettungslos, unwiderruflich" (...) negiert ist, ist für ihn Hegels Versuch, das Christentum für die Gegenwart neu zu applizieren und zu interpretieren, eine inkonsequente Halbheit: „Das Bedürfniss der Erhaltung ist nur ein gemachtes, hervorgerufenes - Reaction" (...). Notwendig ist für ihn jetzt eine totale Negation des Christentums, vor allem der durch das Christentum erzeugten maßlosen Selbstüberschätzung des Menschen, und ein „universaler Selbstenttäuschungsact“ (.) der Philosophie und des Menschen.
Notwendig ist jetzt „die Rückkehr zur Natur“. Diese ist „allein die Quelle des Heils“ (.), „der Anfang zu einem neuen Leben der Menschheit, die Grundbedingung ihrer Wiedergeburt" (.).
Der Ausgangspunkt und der Maßstab dieser Kritik der Hegelschen Religionsphilosophie: die außermenschliche und die menschliche Natur, bleibt freilich in der durch die modernen Naturwissenschaften und die industrielle und gesellschaftliche Praxis gebildeten Welt nicht zufällig vieldeutig und unbestimmt.
Mit Natur meint diese Hegelkritik den stoisch interpretierten Kosmos, einen vagen Evolutionsprozeß von Himmel und Erde, eine romantisch verklärte Unmittelbarkeit der Sinne, der Sinnlichkeit, des natürlichen Geschlechts und die durch sie begründete Ich-Du-Bezie- hung (Feuerbach). Als Natur gilt das mit antichristlichem Affekt beschworene dionysisch Ur-Eine und der Wille zur Macht (Nietzsche), die skeptisch und resigniert gesuchte sprachlose Welt der Natur (Löwith). ...
Die radikale Kritik der Hegelschen Religionsphilosophie im Namen der Gesellschaft geschieht bei Marx im Namen der zukünftigen revolutionär zu verwirklichenden Gesellschaft, in der die Menschen in ihrer Arbeit und Produktion der Lebensbedingungen und in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse unentfremdet leben können und in der die Religion und „die Tradition aller toten Geschlechter“ nicht mehr „wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden“ lastet.
Hegel gebraucht ab 1820 den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft und deutet sie als ein System der Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse und natürlicher Interessen. Sei ine ganze Philosophie geht davon aus, daß der Mensch dann seine konkrete Freiheit verloren hat, wenn er nach dem totalen Bruch mit allen Traditionen „alles durch sie [die bürgerliche Gesellschaft] sey und vermittelst ihrer thue“ (.). Für ihn ist daher nicht der revolutionäre Bruch mit der bisherigen Geschichte, sondern die glaubwürdige Vergegenwärtigung ihrer Substanz in der Theorie und in der Praxis das Bedürfnis der Zeit.69
Walter Schulz:
„Die als Prinzip gesetzte Sinnlichkeit bedeutet bei Feuerbach den ganzen Menschen. Sinnlichkeit soll beim Menschen im Unterschied zum Tier durchaus Geistigkeit und Freiheit einschließen. Aber das Wie dieser Einschließung bleibt ungeklärt, und es muß ungeklärt bleiben, weil Feuerbach jede Dialektik ausklammert. Die Tradition, gegen die er angeht, hat aber gerade die Dialektik anerkannt, insofern sie den Menschen als Doppelwesen bestimmt. Gegen diese Tradition kommt man nicht auf, wenn man naiv von der Wirklichkeit des Menschen als einer einfachen Gegebenheit redet. Die eigentliche Überwindung der Tradition muß weit reflektierter vollzogen werden, als es bei Feuerbach der Fall ist. Das weißMarxsehr genau, der die Sinnlichkeit nun in dialektischen Bezug zur Tätigkeit setzt.“ (Schulz 1972, S. 376)
Zum ,Abschluß des Systems’ (s.o. S. 50-53)
Bloch:
„Das Problem einer Philosophie der Philosophie, der Wahrheit der Wahrheit, mit Veränderung des Gegenstands, kann nicht - mit Parallele zur agnostischen Erkenntnistheorie - im Nihilismus enden. Ebensowenig allerdings kann es, wie das bei Hegel auch am Schluß der Philosophiegeschichte geschieht, in der gegenstandslosen Spiritualisierung enden, in der Selbstdurchkreisung des reinen gewußten Wissens. Nicht zwecklos heißt es im Jakobusbrief 4, 17, noch im Geist der Propheten: >Wer da weiß Gutes zu tun und tut es nicht, dem ist es Sünde.< Nicht grundlos hat die Bourgeoisie, wie die Kunst auf Lust, so die Erkenntnis auf folgenlose Theorie abgewertet. EinzigerZugangzum Problem der intensivierten Wahrheit besteht auf ganz anderem Boden als dem der beibehaltenen, der ununterbrochenen Theorie: er ist auf dem Bodenkonkreter Praxis. Dieser wurde von Hegel, trotz aller Regierungswünsche, nicht betreten, der Begriff wurde nicht auf die Füße gestellt. Die sich selbst erfassende Philosophie konnte, indem sie ihren Ernst doch nicht völlig ernst nahm, das heißt, sich zu ihm entschied, nicht zur Entscheidung umschlagen. Hegel konnte diesen Boden nicht betreten, weil dieses, statt der fertigen Welt, eine veränderungsfähige, unabgeschlossene voraussetzt, eine planbare. Rein theoretisch gehaltene und darin als finit erklärte Selbsterkenntnis muß Tautologie bleiben, Philo-sophie als Fürsichsein ihrer selbst schlägt nicht um. Hegels Philosophie konnte an ihrem Schluß nicht die Aufhebung der Philosophie enthalten, gerade weil diese dialektisch ihre Verwirklichung wäre. Und weil diese Verwirklichung in lauter Spiritualisierung selbst keinen Gegenstand mehr hätte, auch nicht im unentfremdeten Menschen, erst recht nicht in einer unentfremdeten Natur. Und weil Hegels System sich als geschlossenes selber verdinglicht, nicht ein prozeßhaft offenes im Sinn einer Marschordnung wird: zu dem unspirituellen Ziel hin, das Marx nennt >Aneignung des gegenständlichen Wesens durch die Aufhebung seiner Entfremdung<, also sowohl des entfremdeten menschlichen wie des welthaft-gegenständlichen Wesens. Die Idee der Idee, die Selbsterkenntnis der Selbst-erkenntnis ist bei Hegel immer wieder eine
Ätherisierung dessen, was gar kein Äther bleiben will, und es ist die gleiche Idee - von nun an bis in Ewigkeit.“ (a.a.O. S. 359 f.)
„[Hegel:] >Die höchste Form des Nichts für sich wäre die Freiheit, aber sie ist die Negativität, indem sie sich zurhöchsten Intensität in sich vertieft, und selbst, und zwar absolute, Affirmation ist< (Enz. § 87). Das kann aber einzig jene Praxis der Theorie besorgen, die die Welt nicht bloß begreifen, sondern sie bis zu dieser Negation, dieser Affirmation vertiefen, also - durch Vermittlung mit ihren Produktivkräften - verändern will. Danach lautet die antizipiert-konkrete Realdefinition der Identität (als der verwirklichten Philosophie): Ende des Objekts am befreiten Subjekt, Ende des Subjekts am unentfremdeten Objekt.“ (Bloch a.a.O. S. 365)
„So scheint das Wissen seiner selbst nicht anderes als sich selbst einheitlich umfassend zu enthalten. Der Übergang in diePraxis, in die Dialektik einer kritisch (negativ) aufhebenden, synthetisch (positiv) aufbauenden Praxis - ist hier durch die kontemplative Wiederholung des kontemplativ Ganzen verstellt. Hegel sagt einmal: >Man macht der Philosophie zum Vorwurf, sie sei nicht imstande, einen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken; das ist zwar vollkommen richtig, aber das ist auch nicht ihre Aufgabe.< Vielleicht ist es doch ihre Aufgabe, und gesetzt den Fall, daß es ihre sei, so hat Hegel gerade am Ende seiner Philosophiegeschichte, außer allem Preis des reinen und rein geschlossenen Geisterzugs, noch an ein weit Aktiveres als Hervorlocken erinnert, nämlich an Drängen und Wühlen.“ (a.a.O. S. 373 f.)
Zusatz:
Hegel-Kritik
Die Behauptung, die Weltgeschichte werde durch gottgewollten Sinn geleitet, hat schonKarl Raimund Popper(1902-1994) heftig kritisiert, und zwar in seinem 1945 erstmals erschienenen HauptwerkThe Open Society and Its Enemies(„Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde“). Darin bezeichnet er die Hegelsche Sinngebung als „theistischen Historizismus“, für den sich auch und gerade im Christentum fast gar keine Begründung finden lasse. Dagegen stellt er fest:
„Die Behauptung, dass Gott sich in dem offenbart, was man gewöhnlich >Geschichte< nennt, in der Geschichte internationaler Verbrechen und Massenmorde, diese Behauptung ist eine grobe
Lästerung; und sie wird nicht besser, wenn wir an die zukünftigen Machthaber und Massen-mörder appellieren. Was sich wirklich im Bereich des menschlichen Lebens ereignet - das wird durch diese grausame und zugleich kindische Affäre kaum je berührt. Das Leben des verges-senen, des unbekannten individuellen Menschen; seine Trauer, seine Freude, seine Leiden und sein Tod - sie sind der wirkliche Gehalt der menschlichen Erfahrung durch alle Zeiten.“70
Die eigentliche Aufgabe des Christentums bestehe darin, den Armen und den Leidenden zu Hilfe zu kommen (woraus, wie ich meine, zu schließen ist, dass diese Leiden keinesfalls als bloße „List der Vernunft“ wegdiskutiert werden können). Abwegig sei es anzunehmen, in der Geschichte offenbare sich der Wille bzw. eine Sinngebung Gottes. Kurz und bündig lautet Poppers Gegenthese: „Die Geschichte hat keinen Sinn, das ist meine Behauptung.“71
Dennoch argumentiert Popper selbst teleologisch, wenn er, wie Hegel, Vernunft und Freiheit zu geschichtlichen Zielen erklärt; er geht allerdings über Hegel hinaus, indem er diese Ziele, neben denen der Gerechtigkeit, der Gleichheit und der „Kontrolle des internationalen Verbrechens“, in den Dienst des Kampfes für eine offene Gesellschaft stellt. Anders gesagt: „...obwohl die Geschichte keinen Sinn hat, können doch wir ihr einen Sinn geben.“72
Auch Popper verzichtet also nicht auf den Versuch einer teleologischen Sinngebung, obwohl er ein Ziel der Geschichte nicht zu erkennen vermag.
Hegels Setzungen
SubjektiveSinngebungder Geschichte leistet allerdings auch Hegel, obwohl er behauptet, dieser Sinn werde objektiv, nämlich durch das Absolute, gestiftet. Seine teleologische Argumentation enthält jedoch eine Reihe von Setzungen, die zu überprüfen sind. (Eine Überprüfung, die Popper übrigensnichtvorgenommen hat!) Diese Setzungen lassen sich wie folgt umschreiben:
1. Ein Überblick über das Ganze des Weltgeschehens ist möglich und notwendige Voraussetzung einer Philosophie der Weltgeschichte.
2. Glaube und Wissen sind gleichzusetzen.
3. Gott bzw. das Absolute ist der absolute Sinnstifter der Weltgeschichte.
4. Geistige und somit philosophische Einsicht in das Absolute ermöglicht „absolutes Bestim-men“.
5. Gottes Geist manifestiert sich im positiven Fortschreiten der Weltgeschichte, z.B. als Welt-geist, Volksgeister, objektiver und subjektiver Geist, bis hin zum absoluten Wissen und absoluten Geist.
6. Vernunft ist „das Vernehmen des Göttlichen“.
7. Vernunft, Zweck und Wirklichkeit sind identisch, d.h. austauschbare Begriffe. Dadurch wird eine neue Teleologie der Natur entbehrlich, der Zweckbegriff universell verwendbar.
8. Alles Vernunft-, Zweck- und Sinnwidrige kann als „List der Vernunft“ interpretiert werden.
9. Ziele der Geschichtsphilosophie sind a) das Erkennen des gottgewollten (absoluten) Endzwecks, b) die „sich wissende Wahrheit, die sich selbst erkennende Vernunft.“
10. Hegel schwankt gelegentlich zwischen „persönlicher“ und „formeller“ Freiheit als Zielsetzungen.
Hier nun meineÜberprüfung dieser Setzungen:
zu 1): Uns Heutigen ist der Überblick über das Ganze der Geschichte verwehrt, weil die Ausdifferenzierungen der Philosophie und insbesondere der Wissenschaften und ihrer Ergebnisse nicht mehr überschaubar sind.
zu 2): Glaube und Wissen sind nicht gleichzusetzen, und zwar schon deshalb nicht, weil - wie schon Kant bemerkte - Wissen stets auf Objekte, d.h. überprüfbare Fakten, angewiesen ist, der religiöse Glaube jedoch nicht.
zu 3): Gott für einen „absoluten Sinnstifter“ zu halten, ist ein Glaubenssatz, d.h. eine unbeweisbare Behauptung.
zu 4): Den Geist zu verabsolutieren, erscheint heute schon deshalb unzulässig, weil die wichtigsten Funktionen des Geistes in der Großhirnrinde (Neocortex) des Menschen nach-gewiesen wurden, die als solche nicht vom Ganzen des Gehirns, des Körpers und der leib-seelischen Gesamtkonstellation zu trennen sind. - „Absolutes Bestimmen“ wäre unfehlbar, was es aber nicht geben kann, weil jegliches Bestimmen theorieabhängig und daher fehlbar ist.
zu 5) Letzteres gilt sinngemäß auch für die genannten weiteren Hegelschen Konstrukte.
zu 6): Auch hier werden Glaube und Wissen in unzulässiger Weise vermengt.
zu 7): Vernunft und Wirklichkeit gleichzusetzen, ist kurzschlüssig, weil die Macht des Irratio-nalen (einschließlich des Unterbewusstseins des Menschen) nicht selten stärker wirkt als die des Vernünftigen. - Befremdlich ist, dass Hegel - wohl als Folge der Gleichsetzung von Vernunft und Wirklichkeit - die Problematik einer Natur-Teleologie nicht diskutiert und den Zweckbegriff universell verwendet.
zu 8): Eine „List der Vernunft“ (überdies noch als „absolute“) zu vergöttern, zeugt von mangelndem Respekt gegenüber den zahllosen Opfern der Weltgeschichte. K. R. Popper hat dies nachdrücklich angeprangert (s.o.).
zu 9) Für den „absoluten Endzweck“ und die „sich selbst erkennende Vernunft“ gelten sinngemäß meine Einwände gegenüber den Begriffen des Absoluten, des Zwecks und der Vernunft; s. unter 1) bis 4) und 6) bis 8). Die „sich wissende Wahrheit“ ist letztlich die des Absoluten.
zu 10): Hegel schwankt zwischen tatsächlicher und formeller Freiheit wahrscheinlich deswegen, weil er weiß, dass keineswegs alle Menschen wirklich frei sind. Wenn er als Ziel der Weltgeschichte gelegentlich den „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ angibt, zeugt dies von ähnlicher Unsicherheit hinsichtlich des Begriffs Freiheit.
Fazit: Anscheinend erweisen sich fast alle Grundbegriffe der Hegelschen Teleologie als unhaltbar. Ähnliches gilt für die damit verbundenen Konstrukte. Und daran ändert auch die Tat-sache nichts, dass Hegel selbst die Teleologie nicht für die höchste Kategorie hält, sondern sie den angeblich höher stehenden Begriffen der „Idee“ (des Lebens, der Sittlichkeit und des absoluten Geistes) unterordnet.73
Noch weniger als Kant tragen die Deutschen Idealisten zu einer Lösung bestimmter Grundprobleme der Teleologie bei. Dies gilt insbesondere für die Frage, wie weit der Bedeutungs-umfang und -inhalt des Zweckbegriffs reicht, ob er auf das Naturgeschehen übertragen werden kann und ob eine Teleologie der Natur überhaupt möglich ist.74
DRITTER TEIL
Kritische Würdigung, Folgerungen, Ausblick
Nachtrag: zu Hegels Ethik
Ernst Bloch thematisiert diese Ethik nicht in einem gesonderten Kapitel, äußert sich aber gelegentlich leicht verwundert über die Tatsache, dass Hegel seine Geschichtsphilosophie einer fixen Instanz unterwirft: demRecht:
„Statt der losbrechenden Bewegung, die am Ende der Naturphilosophie vorhergesagt war, kommt sogleich ein Fertiges: das Recht; und Geschichte wird diesem systematisch angehängt. Sie sitzt bei Hegel auf dem Staatsrecht auf, als bloßes Schlußglied nach dem entwickelten inneren und äußeren >objektiven Geist<. Das überrascht; denn an sich wie außer sich wie selbst noch an und für sich könnte alles bei Hegel Geschichtsphilosophie sein.“ (s.o. S. 97)
Dabei ist diese Tatsache ohne weiteres auf bestimmte Sachzwänge des Hegelschen Systems zurückzuführen, vor allem auf die hybride, nämlich willkürliche Vermischung von Glauben und Wissen, genauer: von christlicher Theologie und Philosophie. Christlich-theologisch ist der allmächtige Gott Mensch geworden und waltet daher in allem.Da alle Menschen vor Gott gleich sind, sind sie auch alle gleich vor dem Gesetz. Da dies aber - anders als das sogenannteBöse- weder nachweisbar noch überprüfbar ist, braucht Hegel einen verlässlichen Garanten für seine optimistische Sicht und findet ihn in der festgefügten Instanz des Rechts, gestützt auf die unangefochtene Gewalt des Staates. Da das Recht in Staat, Gesellschaft und Familie verankert ist, werden bei Hegel Sollen und Sein identisch.
Ebenso steht es folglich mit HegelsEthik, die mit seiner Rechtsphilosophie unlösbar verknüpft ist. Es ist eine Ethik, die sich nicht - wie angeblich bei Kant - in moralischen Sollens-Forderungen und ethischen Imperativen erschöpft. Dazu schreibt Hegel in seinerRechts-philosophie:
>So wesentlich es ist, die reine unbedingte Selbstbestimmung des Willens als die Wurzel der Pflicht herauszuheben, wie denn die Erkenntnis des Willens erst durch diekantischePhilosophie ihren festen Grund und Ausgangspunkt durch den Gedanken seiner unendlichen Autonomie gewonnen hat, so sehr setzt die Festhaltung des bloß moralischen Standpunkts, der nicht in den Begriff der Sittlichkeit übergeht, diesen Ge-winn zu einemleeren Formalismusund die moralische Wissenschaft zu einer Rednerei vonder Pflicht um der Pflicht willenherunter. Von diesem Standpunkt aus ist keine immanente Pflichten-lehre möglich; man kannvon außenher wohl einen Stoff hereinnehmen und dadurch aufbesonderePflichten kommen, aber aus jener Bestimmung der Pflicht alsdem Mangel des Widerspruchs, der formellen Übereinstimmung mit sich, welche nichts anderes ist als die Festsetzung derabstrakten Unbestimmtheit, kann nicht zur Bestimmung von besonderen Pflichten übergegangen werden, noch wenn ein solcher besonderer Inhalt für das Handeln zur Betrachtung kommt, liegt ein Kriterium in jenem Prinzip, ob er eine Pflicht sei oder nicht. - Im Gegenteil kann alle unrechtliche und unmoralische Handlungsweise auf diese Weise gerechtfertigt werden. - Die weiterekantischeForm, die Fähigkeit einer Hand-lung, alsallgemeineMaxime vorgestellt zu werden, führt zwar diekonkretereVorstellung eines Zustandes herbei, aber enthält für sich kein weiteres Prinzip als jenen Mangel des Widerspruchs und die formelle Identität.<75
Dem ist jedoch Folgendes entgegenzuhalten: Kants Ethik begnügt sich keineswegs mit formellen ethischen Appellen, Forderungen und Imperativen, zumal sie - so in der Zweckformel des Kategorischen Imperativs - die menschliche Person ausdrücklich alsRechtspersonanerkennt:
„Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“76(,brauchen‘ hier im Sinne von ,gebrauchen‘)
Diese Formel gilt unter der Voraussetzung, dass Kant jederzurechnungsfähigen Person (bzw. Persönlichkeit)„unbedingte Würde“ zuspricht; dies gemäß seiner Herleitung der Würde aus dem Selbstzweck, in der es heißt: „ ... das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d. i. einen Preis, sondern einen inneren Wert, d. i. Würde.“77
Diese Bedingung bestehe in derMoralität,und nur durch sie könne „ein vernünftiges Wesen Zweck an sich selbst sein“, so dass es in der Lage sei, „ein gesetzgebend Glied im Reich der Zwecke zu sein“ (ebd.) und somit an der Allgemeinen Gesetzgebung zu partizipieren.
Mit dem „allgemeinen Gesetz“ meint Kant vor allem dasSittengesetz. Das Sittengesetz verlangt, dass unbedingt nicht nur der eigene Wille, sondern auch derjenige unserer Mitmenschen, d.h. aller „vernünftigen Wesen“, zu respektieren ist. Dies ist zugleich der Respekt vor der Person bzw. Persönlichkeit jedes Menschen, nicht zuletzt alsRechtsperson. Als vernünftige Person hat der Mensch nicht nur seinen Selbstzweck in sich, so dass er sich selbst Zwecke setzen darf; er hat sogar unbedingten „inneren Wert, d. i.Würde“. Eindrucksvoll bestätigt wird diese Auffassung vom Selbstzweck jedes Individuums durch die Ergebnisse der modernen Gen-Forschung. Genetischer Code und DNA bestimmen die Individualität in höchster Komplexität, bis hin zu den neuronalen Kombinationsmöglichkeiten des Gehirns, die weder überschaubar noch mathematisch erfassbar sind.
Im Übrigen impliziert das Sittengesetz auch dieGleichheit vor dem Gesetzund die „Achtung fürs Gesetz“; was der Grund dafür sein dürfte, dass Kant in der Formulierung der Zweckformel des Kategorischen Imperativs nicht den Begriff ,Sittengesetz‘, sondern den der allgemeinen Gesetz- gebung‘ verwendet. Insgesamt gesehen ergänzen sich die Formulierungen des Kat. Imp harmonisch zu einer keineswegs bloß normativenWertethik.Der Wert gibt hier den Ausschlag, nicht die bloße Norm. Kants sogenannte „Pflicht- und Sollensethik“ entpuppt sich bei näherer Betrachtung zugleich als Wertethik.
Einzigartig ist diese Ethik u.a. deshalb, weil in und mit ihr erstmals die als unbedingt erkannte Würde der Person nicht nur moralphilosophisch, sondern auch rechtlich und politisch begründet und gesichert wird, was u.a. sogar bereits einPetitionsrechtverbürgt: Auf Grund des Vergleichs von subjektiver Maxime und allgemein gültiger Gesetzgebung können Gesetzeslücken erkannt werden, deren Schließung die Einzelperson gegebenenfalls vom Staat verlangen kann. - Es sind Bestimmungen, die Kants Auffassung vom Eigenwert der Person, ihremSelbstzweck, vollauf bestätigen; woraus sich problemlos auch die Prinzipien der Menschenwürde, der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung als unentbehrlich und unabdingbar ableiten lassen.78
Demgegenüber beruht Hegels Ethik-Konzept letztlich auf theologischer Spekulation: Weil das Gute - so vonGottgewollt - in jedem Menschen vorhanden ist, können Staat und Gesellschaft - gestützt auf das Recht - sich des Bösen erwehren. Dieses Konzept überzeugt jedoch ebenso wenig wie das der Hegelschen „Sittlichkeit“, weil beide großenteils auf theologischen, mithin unbewiesenen und unbeweisbaren Annahmen beruhen; was bei Kant nicht der Fall ist.
Kritische Würdigung der Hegel-Kritiken
Hierzu werdenKernsätzedieser Kritiken herangezogen, und zwar
a) das System als Ganzes betreffend
1.Schelling bemängelte, in Hegels System bleibe für Gott kein Platz.(s.o. S. 51)
Schelling ist überzeugt, dass die Philosophie noch nicht in der Lage war, dem Wesen des Christentums gerecht zu werden. Dies gelte erst recht für Hegels „Gott der reinen Vernunft“ und des Absoluten, der als Ergebnis eines realen geschichtlichen Prozesses in Erscheinung trete. Dazu Schelling:
„Es genügt nicht, das Christentum bloß ungefähr darzustellen, es muß in seiner ganzen Eigentlichkeit dargestellt werden.“79
Diesem Ziel will er mit seiner „Philosophie der Offenbarung“ näherkommen.
2.Schopenhauer:
„Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, ...hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt.“(s.o. S. 55)
Hierzu bemerktHans-Dieter Sill(2021):
„In der gleichen Art wie Schopenhauer sich über Hegel geäußert hat, könnte man sagen, dass er als Krämerseele, Frauenfeind, Misanthrop, Pessimist und Verächter demokratischer Regierungsformen nicht in der Lage ist, dialektisch zu denken und diese Gedanken in geeigneter Weise auszudrücken.
Dies zeigt sich auch in seiner Theorie, in der nur immer eine Seite eines Ganzen betrachtet wird. In dem Verhältnis von Wollen und Können beschränkte er sich auf das Wollen und im Verhältnis von Glück und Unglück oder Lust und Leid auf das Negative dieser Verhältnisse.
Schopenhauers Philosophie basiert auf der realen Bedeutung des Willens bzw. der Motivation für das Leben eines Menschen und damit auch einer Gemeinschaft, die in solchen Wendungen wie der Wille kann Berge versetzen, ein starker Willen, Willenskraft und anderen zum Ausdruck kommt. Außer Acht lässt er offensichtlich, dass zur Durchsetzung des Willens auch reale Möglichkeiten zu seiner Befriedigung vorhanden sein müssen.“
3.Anscheinend als erster hat Feuerbach das Grundübel der Hegelschen Spekulation erkannt: die unlogische, unzulässige Verquickung von Absolutem und Relativem, Glauben und Wissen, Gott und Welt - und die damit verbundene Definition des Menschen als „Geist“.(s.o. S. 56 f.)
Hierz u bemerktWalter Schulz:
„Die eigentliche Überwindung der Tradition muß weit reflektierter vollzogen werden, als es bei Feuerbach der Fall ist. Das weißMarxsehr genau, der die Sinnlichkeit nun in dialektischen Bezug zur Tätigkeit setzt.“ (Schulz 1972, S. 376, s.o. S. 123)
4.Laut F. A. Trendelenburg „ist jedes Systemdenken durch „Logische Untersuchungen“ ... zu ersetzen, in denen die Erfahrung erforscht wird, indem das Allgemeine aus dem Besonderen gewonnen wird. Trendelenburg wehrte sich gegen die Konstruktion eines Systems, dessen Richtigkeit sich in der Praxis erst erweisen muss.“ (s.o. S. 58 f.)
Hierzu bemerktHans-Dieter Sill(a.a.O.):
„Die erste Stufe (die erste Gestalt des Bewusstseins) bei Hegel ist die sinnliche Gewiss- wissheit. In dieser Stufe der Erkenntnis wird von realen Objekten ausgegangen. Die Kritik von Trendelenburg ist also nicht zutreffend. Die Vorstellung der Gewinnung von Theorien durch Verallgemeinerung aus einzelnen Erscheinungen oder Erfahrungen ist eine verkürzte Form der Erkenntnisgewinnung, die nur zu Hypothesen führt.“
Trendelenburg verkennt offenbar die Tatsache, dass auch jegliche Analyse von Besonderem bereits von Allgemeinem, d.h. von Theorien und sonstigen Wissensbeständen, geleitet wird.
5.Nietzsche: „ ... der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. ...
„Ich“ sagst du und bist stolz auf dies Wort. Aber das Größere ist, woran du nicht glauben willst — dein Leib und seine große Vernunft: die sagt nicht Ich, aber tut Ich.“(s.o. S. 59 f.)
Das Leib-Seele-Problem lässt sich nicht dadurch lösen, dass man Geist und Seele einfach zu Funktionen des Körpers erklärt. Geist bedeutet als Subjekt-Objekt eine Dialektik der besonde-ren, spezifisch menschlichen Art. Das berücksichtigt auch der Dialektische Materialismus. Wer diese Dialektik nicht beachtet, verfällt leicht in Vulgärmaterialismus.
Heute wissen wir: Seele oder Psyche, das ist einerlei. Mit beidem meinen wir die individuelle, je- meinige Art und Weise, in der ich mich und die Welt erlebe. Ich bin, aber ich habe mich nicht, wie Ernst Bloch bemerkt. Was ich empfinde, verspüre, fühle, erinnere, denke, gehört nichtsdestoweniger zu meinem persönlichen Erleben, meinem ureigenen, einmaligen Seelen-Leben. Es gehört alles zu meinem Selbst, das hinter und in meinem Ich steht. Und ist doch auch Teil eines größeren Ganzen: des Subjekt-Seins. Und dieses Subjekt-Sein lässt sich nicht begreifen ohne seine ObjektBezüge. Dinge an sich werden Gegenstände für meine Sinne und für meinen Verstand; es sind Gegenstände, die in meinem Gehirn zumentalen Objektenwerden, zu Objekten des Empfindens, Fühlens, Wahrnehmens, Vorstellens und Reflektierens. In diesen Transforma-tionen zeigen sich Wechselwirkungen, Dialektik; so arbeitet derGeist, der aber ohne Körper und Psyche gar nicht funktionieren könnte. Subjekt-Objekt-Dialektik, das bedeutet: Der ganze Mensch ist stets auch ein geistiges Wesen und zugleich Teil der Natur, seiner Umgebung, seiner Gesellschaft - ein WeltEreignis.
Dialektik als Einheit von Identität und Nicht-Identität betrifft voll und ganz die leib-seelische Befindlichkeit des Menschen, wobei Grenzen der Erklärbarkeit, z.B. außerhalb der von Empfängnis und Tod begrenzten leib-seelischen Identität des Menschen, erkennbar werden.
Anfang und Ende des Ganzen, dessen Teile wir sind, kennen wir ohnehin nicht. Womit auch die Grenzen benannt sind, in denen sich eine dialektisch-materialistische Theorie der leib-seelischen Existenz des Menschen bewegen kann. - Immerhin ist diese Existenz aber an Hand eines dialektisch-materialistischen Informationsbegriffs näher bestimmbar, nämlich alsumfassendes Informations- und Interaktions-Geschehenim Rahmen einer Theorie der informationellen Einheit von Körper, Seele und Geist.80
6.Nietzsche: „Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: >Ich, der Staat, bin das Volk.<“(s.o. S. 61)
Ehe man ein solches Pauschal-Urteil ausspricht, sollte man den Staat gründlich analysieren, wie esMarxin seiner Kritik der Hegelschen Staats- und Rechtsphilosophie unternommen hat.
(s.o. S. 108-114). Dann erst wird auch ein „Absterben des Staates“ denkbar.
7.Zur Ethik: Nietzsche will die Autonomie der Person nicht mehr an die gesellschaftliche bzw. staatliche Gesetzlichkeit binden. Vielmehr sollen alle Menschen „die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden“ werden, um sodann erst als „Physiker ... Schöpfer“ werden zu können, mit der Begründung: „Hoch die Physik! Und höher noch das, was uns zu ihr zwingt - unsere Redlichkeit.“ (Aus: ,Die fröhliche Wissenschaft‘)(s.o. S. 61)
Nietzsches Missverständnis: Kant habe gefordert, die je eigene, subjektive Maxime zum allgemeinen Gesetz zu erheben; womit er Kants Forderung jedoch ins Gegenteil verkehrt, um sie ad absurdum zu führen. Tatsächlich hatte Kant doch lediglich eine Überprüfung der subjektiven Maximen durch die Allgemeine Gesetzgebung gefordert ! ... Nietzsche landet wieder genau dort, wo Kant schon längst erfolgreich war: bei dem Versuch, Autonomie, Moralität und Gesetz-lichkeit miteinander in Einklang zu bringen. Dies mit dem gewichtigen Unterschied, dass Nietzsche dabei nachweislich gescheitert ist, während Kants Ethik zwar nicht vollständig Bestand hat, aber auch nicht als obsolet bezeichnet werden kann, zumal sie weiterhin die Diskussion über Grundfragen der Ethik beflügelt.“81
8.„Nach Popper habe Hegel durch den Versuch, durch unverständliche Sprache tatsächlich fehlende inhaltliche Substanz vorzutäuschen, in der Philosophiegeschichte eine neue Epoche eingeleitet, die nicht auf Gedankenaustausch und Argumentation, sondern auf Beeindruckung und Einschüchterung ausgerichtet gewesen sei.“(s.o. S. 63)
Wen wollte Hegel denn beeindrucken oder einschüchtern? Das Volk, die Intellektuellen, die Herrschenden? Dies dürfte nicht nachprüfbar sein. Dass Hegel Gedanken und Argumente ge-äußert hat, kann nicht bezweifelt werden. Richtig ist wohl, dass Hegels Sprache teilweise un-verständlich ist.
9.„Popper versucht, eine stringente Entwicklungslinie des Totalitarismus von Platon über Hegel und Marx zu den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts nachzuzeichnen.“(s.o. S. 64)Popper bezeichnet Hegel zunächst als „die Quelle des Historizismus unserer Zeit“ und zugleich als “logischen Hexenmeister“, dem es dank seiner „zauberkräftigen Dialektik“ gelungen sei, „physische Kaninchen aus rein metaphysischen Zylinderhüten herauszuholen“. (s.o. S. 64)
Tatsächlich behandelt Popper weder den Stalinismus noch dessen Vorläufer Lenin und auch nicht die faschistischen Totalitarismen von Mussolini, Hitler und Franco; und dies, obwohl das ganzheitliche Denken von Hegel und Marx völlig anders konzipiert und ausgestaltet ist, als Popper es darstellt, und beide Denker nie politische Machthaber waren. - Popper lässt wesentliche Bestandteile der Marxschen Theorie - wie z.B. die Ethik, die Ästhetik und die ,Diktatur des Proletariats‘ - außer Acht und wird ihr daher nicht gerecht. In seinem ganzheit-lichen Denken unterscheidet Marx sich stark von Hegel. Auch dies übersieht Popper. Zudem enthält Hegels Philosophie nachweislich nicht nur Unsinn!
Der Begriff „Historizismus“ beruht auf Poppers verfehlter Kritik an Hegel und Marx. Wenn Popper schon von deren angeblichem „Historizismus“ spricht, hätte er zumindest Hegels Geschichtsphilosophie (,Die Vernunft in der Geschichte’) und Marxens Geschichtsauffassung ausführlich behandeln müssen.
10.Auch behauptet Popper, Hegel verwende den Begriff Widerspruch stets im Sinne von Widersinn ‘, nicht - wie bei Hegel klar nachweisbar - als Gegensatz bzw. Entgegensetzung (wie bei der Negation der Negation!). Popper: „Und der Grund, warum er Widersprüche zulassen will, ist sein Wunsch, die rationale Argumentation und damit den wissenschaftlichen und intellektuellen Fortschritt aufzuhalten. Indem er Kritik und Argumentation unmöglich macht, schützt er seine eigene Philosophie vor aller Kritik; so vor jedem Angriff sicher, kann sie sich als ein doppelt verschanzter Dogmatismus und als der unübertreffliche Gipfel der philosophischen Entwicklung etablieren.“ (s.o. S. 61)
Für Hegel ist Dialektik nicht „Zauberei“, sondern eine Eigenschaft derSache selbstin Natur und Geschichte. Popper analysiert Hegels Dialektik nur in der Form der Triade These - Antithese - Synthese, nicht als die bei Hegel tatsächlich gängige Form Position - Negation - Negation der Negation.Hans-Dieter Sill(a.a.O.): „Popper erfasst nicht den Unterschied zwischen logischen und dialektischen Widersprüchen. Seine ganze langatmige Auseinandersetzung mit dem Problem der Widersprüche in der Dialektik besteht ausschließlich in formal-logischen Betrachtungen. Er beweist mit logischen Mitteln umständlich die triviale Tatsache, dass formal nicht gleichzeitig eine Aussage und ihre Negation wahr sein können.
Die dialektische Einheit gegensätzlicher Momente ist eine inhaltliche Betrachtung, die sich nicht mit Mitteln der formalen Logik formalisierten lässt. Popper unterstellt Hegel in Unkenntnis dessen eigener Aussagen, dass er gegen die Gesetze der formalen Logik verstößt.“
Popper hat also nachweislich Hegels Dialektik - und insbesondere dessen Begriff ,Wider- spruch‘ - nicht verstanden. Dass er überdies mit seiner unzutreffenden Kritik den unsinnigen Vorwurf verbindet, Hegel versuche, „die rationale Argumentation und damit den wissenschaftlichen und intellektuellen Fortschritt aufzuhalten“, ist kein Argument, sondern eine wohl emotional bedingte Unterstellung.
11.Adorno: »Das Grauen besteht darin, daß wir zum ersten Mal heute in einer Welt leben, in der man sich das Bessere gar nicht mehr vorstellen kann.«(s.o. S. 66)
Das ist offensichtlich ein Gipfel des Pessimismus. Im Gegensatz zu Hegel verneint Adorno die Möglichkeit, durch Nachdenken und Analyse Lösungen für die Probleme der Menschen und Wege zu einem besseren Leben zu finden. Hätte es diese Möglichkeit in der Vergangenheit nicht gegeben, wäre jeglicher Fortschritt, jede Evolution im Sinne einer Höherentwicklung ausge-schlossen gewesen. Ohne sie gibt es auch keine sinnvolle Zukunftsperspektive.
12.Adorno: „Das Ganze ist das Unwahre."(s.o. S. 66)
Dieser ebenfalls unmittelbar gegen Hegel gerichtete Ausspruch scheint seine Berechtigung schon deshalb zu haben, weil die Totalität der Welt in der Tat nicht mehr überschaubar ist, so dass - anders als zu Hegels Zeiten - niemand mehr den Anspruch erheben kann, verlässliche Aussagen über das Weltganze zu treffen. Allerdings: Wenn das Ganze nicht mehr überschaubar ist, lässt sich auch nicht entscheiden, ob es „das Wahre“ (wie bei Hegel) oder das „Unwahre“ (wie bei Adorno) ist. Beide Urteile sind nicht überprüfbar. - Sinnvoll scheint nichtsdestowenigerMartin Warnys Feststellung: „Von Hegel ausgehend und zugleich dessen systeminhärenten Totalitaris-mus kritisierend, beharrt Adorno auf dem Nichtidentischen, dem nicht begrifflich zugerichteten Objekt wie dem seiner Verdinglichung qua Absolutierung sich widersetzenden Subjekt, das sich dagegen verwahrt, mit dem unwahren Ganzen identifizierend in Eins gesetzt zu werden und so seines emanzipatorischen Anspruchs auf Glück sich zu begeben.“ (s.o. S. 66) Allerdings steht Letzteres in krassem Widerspruch zu Adornos Rede vom „Grauen“ (s. Nr. 11)!
13.„Inhaltliche Erfahrung ist für Adorno der Maßstab einer Philosophie, die ihren Namen noch verdient und sich nicht in einen abstrakten Formalismus zurückzieht. Sie bezeichnet eine Art der Erkenntnis, die ihre Gegenstände nicht aktiv konstituiert, sondern von diesen Gegenständen her passiv determiniert wird.“(s.o. S. 68)
Diese Auffassung führt unmittelbar auf eines der zentralen Probleme der Erkenntnistheorie: Wie soll das das Verhältnis von Subjekt und Objekt beim Erkenntnisprozess bestimmt werden?
Adornos Behauptung, das Subjekt werde beim Erkennen durch die Gegenstände „passiv determiniert“, läuft auf einenObjektivismus(wie bei Popper?) hinaus, denPeter Decker(1982) wie folgt kritisiert:
„(Adorno:)
"Denken ist dem eigenen Sinn nach Denken von etwas. Noch in der logischen Abstraktionsform des Etwas, als eines Gemeinten oder Geurteilten, die von sich aus kein Seiendes zu setzen behauptet, lebt untilgbar dem Denken, das es tilgen möchte, dessen Nichtidentisches, das, was nicht Denken ist, nach. Ratio wird irrational, wo sie das vergißt, ihre Ergebnisse, die Abstraktionen, wider den Sinn von Denken hypostasiert." (...)
Adorno meint hiermit Hegel zu treffen, aber er kritisiert nur sein eigenes Mißverständnis.(...) Denn Hegel war sich erstens völlig sicher, daß die Erkenntnis von der Erfahrung auszugehen habe, also ein vorausgesetztes, gegebenes Ding zu erkennen habe,(.) und verwechselte auch niemals den objektiven Inhalt des Gedankens mit dem Objekt, wenn er betonte, daß erst in der Form des Gedankens, also im Hinausgehen über die Zufälligkeit und Einzelheit der Erfahrung, die wahre Natur der Dinge gewußt werde. ...
Zweitens beweist auch der von Adorno geltend gemachte Umstand, daß Hegel mit falschen Argumenten die bürgerliche Gesellschaft als die notwendige Organisation der Freiheit ansah, nicht eine "Tilgung des Objekts" durch das Denken desselben, sondern eben ein falsches Argu-ment - das keineswegs Anlaß gibt, dem Denken, das "bewußtlos seinem Bewegungsgesetz folgt" und sich nach Adorno eben dadurch "wider seinen Sinn, das vom Gedanken Gedachte" (.) wendet, Einhalt zu gebieten und, statt das Argument inhaltlich zu kritisieren, ihm vorzu-werfen, es habe keinen Inhalt mehr, weil das Denken sich nunmehr selber zum Gegenstand hat...
Als Erkenntnistheoretiker verhält sich Adorno außerordentlich inkonsequent. Einerseits will er nur, wie Kant, den "Bruch von Subjekt und Objekt, dem Subjekt unentrinnbar (.) ins Bewußt-sein rufen, also nicht das Denken selber, sondern nur das Selbstbewußtsein desselben, also die Meinung, die von dessen Leistung herrscht, kritisieren und ändern. Von Kants diesbezüglicher Leistung hat Hegel bemerkt, sie habe den Gang der Wissenschaft nicht berührt, weder habe sie falsche Argumente kritisiert und damit aus der Welt geschafft, noch habe sie richtige verhindert: Bekenntnisse zu Kant und dazu, daß man selbstverständlich nur von Erscheinungen und nicht von den Dingen an sich wissen könne, seien den Vorwörtern vorbehalten geblieben, die Theorien selbst blieben von Kant unberührt. (.) Darüber hinaus aber weiß Adorno sehr wohl vom Wesen der Dinge, ist also selbst über den "unentrinnbaren Bruch" erhaben, vergleicht dieses Wesen der Dinge mit dem Wissen, das das Denken über sie zustande bringt, und kommt zu dem Schluß, Denken selber, gleich welcher Richtung oder Methode, sei Ideologie, treffe nicht das Wesen der Dinge, weil das Subjekt es mit sich bekannt macht und dadurch mit sich selber identisch. Die Identität der Dinge mit sich - dies, wie schon erwähnt, die abstrakteste Formulierung von 'etwas' - erscheint ihm, weil nur der erkennende Mensch diese Identität weiß, als Werk des Menschen; und weil er im Werk des Menschen per se die Nichtidentität der Sache sieht, betrachtet er alle Erkenntnis als äußerliche Subsumtion unter Allgemeinheiten, die nicht diejenigen der Sache sind. Auch hier besteht der besondere Fehler Adornos wieder darin, der an der Hegelschen Kantkritik geschulte und dadurch der radikalere, konsequentere Kantianer zu sein: Während Kant den Instrumentalis-mus predigte, um Wissenschaft von Spekulation abzugrenzen, und Hegel sehr deutlich - nämlich durch die Wahl Zweier Kapitel in der großen Logik - Teleologie, die praktische Setzung und Durchsetzung von Zwecken gegenüber Mitteln, vom Erkennen unter-schied, setzt Adorno beides explizit gleich und hält dafür, daß es einerseits auch gar nicht anders sein könne, daß andererseits dies aber gerade das Verhängnis der Moderne sei, weshalb "losgelassene Rationalität irrational" (...) werde und gebremst werden müsse. Die Differenz zwischen der Teleologie und dem Erkennen besteht bei Hegel darin, daß sich das Erkennen gegen das Objekt passiv verhält, daß es dessen allgemeine Bestimmung ihm abgewinnt, bei der Teleologie dagegen das Subjekt sich aktiv gegen das Objekt verhält und ihm eine allgemeine Bestimmung, die nicht in ihm, sondern im Subjekt liegt, durch praktische Tätigkeit aufherrscht; ein Mittel wird benutzt, wozu es dem Menschen beliebt - sofern es dazu taugt - und daß es dabei vernichtet, verbraucht wird, zeigt noch die Wahrheit des Zwecks. Durch eine Herleitung des Denkens aus dem, was noch nicht Denken ist, setzt Adorno Teleologie und Erkennen gleich und behauptet damit, daß allgemeine Bestimmungen überhaupt äußerlich und damit Nützlichkeits-gesichtspunkte sein müßten: mit dieser Gleichsetzung versucht Adorno zu zeigen, daß wie ein Herrscher (.) seinen Sklaven, so "das Denken dem, woran es seine Synthesen übt, Gewalt antut." “82
In Kurzform: Adorno unterstellt Hegel, nicht von der Erfahrung auszugehen und das Objekt mit dessen gedanklicher Repräsentation zu verwechseln. Beides trifft nicht zu. Hegel hat auch nicht behauptet, der Inhalt des Denkens verschwinde, sobald das Denken auch selbstreflexiv wird, d.h. auch das eigene Selbst als Inhalt des Bewusstseins erkennt. Abwegig ist Adornos Auffassung, durch das Letztgenannte verfalle das Denken in Ideologie, so dass es das Wesen der Dinge nicht mehr erkennen und bestimmen könne. Dadurch, dass Adorno Denken aus Noch-nicht-Gedach-tem ableiten will, verwechselt er Teleologie und Erkennen.
Darüber hinaus: Adorno ist natürlich nicht anzukreiden, dass er die Studien des NeurowissenschaftlersJean-Pierre Changeux(1983/84) zum Konzept dermentalen Objektenoch nicht gekannt hat. Das Subjekt kann jedenfalls nur dann „passiv“werden, wenn es sich des Wesens seinermentalenObjekte nicht bewusst ist. Wobei auch diese Objekte nicht mit dem Subjekt identisch sind. (Wenn ja, gäbe es tatsächlich “nichts Neues unter der Sonne“.) Leichter vorstellbar ist jedoch - mit Changeux - die von Hegel gedachte „Einheit von Identität und Nicht-Identität“. Das Subjekt ist auch mit seinen mentalen Objekten nicht substantiell identisch, bildet aber im Bewusstsein stets neue Einheiten mit ihnen, somitEinheiten von Identität und Nicht-Identität. Umso mehr Beachtung verdienen die diesbezüglichen Konzepte von Jean-Pierre Changeux.
Dieser unterscheidet sorgfältig zwischen Gegenständen der Außenwelt und mentalen („geistigen“) Objekten. Zur Existenzweise geistiger Objekte formuliert Changeux Folgendes:„Die hier vertretene Hypothese lautet, daß Perzept, Gedächtnisbild und Konzept verschiedene Formen oder Zustände der materiellen Einheiten geistiger Repräsentation sind, die ich unter der allgemeinen Bezeichnung <geistige Objekte> zusammenfassen will.“83(Für nicht korrekt halte ich die Übersetzung des französischen Originals (1983) ,objet mental’ als: ,geistiges Objekt’; korrekt ist: „mentales Objekt“.)
Perzepte sind Wahrnehmungsinhalte; „Gedächtnisbild“ (französisch original:,image‘) steht auch für ,Vorstellung‘; „Konzepte“ sind bei Changeux die im Neocortex ablaufenden Vorgänge der Kognition, insonderheit der begrifflichen bzw. sprachlichen und nicht-sprachlichen gedanklichen „Operationen“. - Wahrnehmungsinhalte und die dazu gehörigen Gegenstände der Außenwelt sind nicht identisch. Zwischen ihnen kann allenfalls „Isomorphie“ bzw. Formähnlichkeit bestehen. Hierzu Changeux: „Dasprimäre Perzeptist ein geistiges Objekt, dessen Verknüp-fungen und Aktivitäten durch die Interaktion mit der Außenwelt bestimmt werden.“ (a.O. S. 179)
Und: „Die Formähnlichkeit oderIsomorphiezwischen Perzept und äußerem Objekt ist darauf zurückzuführen (Kap. 4), daß sich das Neuronennetz aus Neuronen der Bilder oder Homunkuli zusammensetzt, die bereits >Repräsentationen< der Sinnesorgane und insofern auch der Welt sind.“ (a.O. S. 181)Repräsentationen der Welt, also nicht einmal „Abbildungen“! Formale Ähnlichkeit bedeutet niemals inhaltliche Ebenbildlichkeit. Mentale Objekte gehören zur Welt der Erscheinungen; Gegenstände der Außenwelt sind nicht als solche, sondern nur alsmentale Objektebestimmbar; als Gegenstände der Außenwelt gehören sie teilweise der Welt der Dinge an sich an.84
Zu Schnädelbach (s.o. S. 74)
14.„Als ausgewiesener Kenner der Hegelschen Werke ist es umso erstaunlicher, dass Schnädelbach zu dem Schluss kommt, Hegel und der deutsche Idealismus wäre ein „philosophisches Unglück“ und sein Fazit lautet: „Vergesst Hegel!“ ... Schnädelbach sieht das grundlegende Problem bei Hegel darin, dass er ein „holistisches Bewusstseinskonzept“ entwickelt, das „die Erfahrung des Bewusstseins von vornherein in das Licht der spekulativen Grundfigur rückt, ohne überzeugende Begründung dafür, dass dies möglich und legitim sei. . Hegels Holismus des Bewusstseins bedeutet ja, dass in Wahrheit alles schon immer im Bewusstsein ist, dass nichts Neues in es hinein kommt“.“
Hierzu bemerktSill(a.a.O.):
„Schnädelbach versteht offensichtlich nicht, wie Hegel den Terminus „Bewusstsein“ verwendet. Mit den Gestalten des Bewusstseins beschreibt Hegel die schrittweise Annäherung an das Absolute, die vollständige Erkenntnis aller Zusammenhänge. Diese Zusammenhänge in der Realität existieren natürlich bereits vor ihrer Erkenntnis durch das Bewusstsein. D. h. aber nicht, dass sie schon immer im Bewusstsein vorhanden sind. Es geht um das Verhältnis von Erkenntnisstand und Erkenntnisziel. Ohne den Glauben, dass das „Absolute“ im obigen Sinne existiert, ist kein Erkenntnisfortschritt möglich.“
(Wobei allerdings wohl eine gesonderte Kritik von Hegels „Absolutem“ erforderlich ist; s.u. S. 145)
15.„Schnädelbach hält Hegels „spekulative Grundfigur“ einer Einheit von Einheit und Vielheit bzw. vom Ganzen und seinen Teilen für letztlich unverständlich. „Damit ist von Dialektik die Rede, denn das wahre Eine als die Einheit seiner selbst und des Verschiedenen, als Identität und Nichtidentität - das läuft auf die Antinomie einer Vereinigung des Wahren und Falschen am Orte der Wahrheit hinaus, die Kant als den Index des Falschen, Hegel aber als den spekulativen Mittag des Lebens ansah“.“
Dazu schreibt Sill (a.a.O.):
„Hegels Diktum der Einheit von Identität und Nichtidentität, des Positiven und Negativen, eines Begriffs und seiner Negation kann mit den Mitteln der formalen Logik nicht bewertet werden. Beide Teile des Ganzen sind gleichberechtigt, man kann nicht sagen, dass das eine wahr und das andere falsch ist, es sich also um eine Antinomie handelt.“
16.Schnädelbach: „Schopenhauer war der erste Philosoph, der mit dem Ernst machte, woran Hegels grandioser Versuch einer rationalen Synthese von Vernunft, Natur und Geschichte gescheitert war: der Endlichkeit unserer Vernunft. ... Warum also sollte man nach Schopen-hauer sich noch dazu entschließen, wie Hegel zu philosophieren? Musste jetzt nicht der Mut der Wahrheit einer anderen Wahrheit gelten, nämlich der Einsicht in das undurchdringliche irrationale Wesen der Welt? . Hegels System ist ein intellektueller Traum, aus dem die Philosophie erwachen musste, als sie erwachsen wurde“
HierzuSill(a.a.O.):
„Erschreckend ist der Ausweg, den Schnädelbach vorschlägt, nämlich eine Orientierung an der destruktiven Vorstellung von Schopenhauer, dass die Welt durch und durch irrational ist und man dies zu akzeptieren habe. Das wäre dann das Ende der Philosophie als einer zukunftsorientierten Wissenschaft. Sie bleibt dann ein ewiges Gespräch über die nicht zu verstehende Welt.“
Zu den einzelnen Themenbereichen
zurPhänomenologie des Geistes:
17.Marx: Da Hegel Mensch und Selbst(bewußtsein) gleichsetzt, gelangt er nicht zu einer adäquaten Beschreibung des wirklichen Menschen, sondern nur zu einem abstrakten Konstrukt des „selbstischen“ Menschen.(s.o. S. 76)
Dies mag weitgehend zutreffen. Man muss aber bedenken, dass Bewusstsein und Selbstbewusstsein für Hegel nur Durchgangsstadien sind, die in Vernunft und Geist (wenn auch bis hin zum „Absoluten“) „aufgehoben“ werden.
18.Marx: Das Bewusstsein hebe einerseits die Gegenständlichkeit der Objektwelt auf, andererseits komme das Bewusstsein zu sich selbst erst in diesem Bezug zum Anders-Sein der Objektwelt. Bewusstsein wird Geist, aber erst in der „Totalität“ der Bestimmungen des Objekts (S. 272). Und dies, obwohl im Selbstbewusstsein keinerlei wirkliche Objekthaftigkeit (= Dingheit), sondern nur ein „Ding der Abstraktion“ gesetzt werde. (s.o. S. 77)
Siehe hierzu meinen Kommentar zu Kernsatz Nr. 17!
19.Nach Marx ist eine wahrhaft neue Synthese von Materialismus und Idealismus nicht durch das Hegelsche Kategorien-System (quasi „von oben nach unten“), sondern nur durch konkrete Analysen der wirklichen Abläufe in Natur und Geschichte möglich. Dies umso mehr, als Marx den Menschen nicht einfach als „Geist“, sondern als „unmittelbar Naturwesen“ auffasst, ein mit Leibes- und Geisteskräften ausgestattetes, tätiges, leidenschaftliches, zuweilen auch leidendes Wesen.(s.o. S. 77 f.)
Auch dies trifft wohl zu. Hegel hielt eine Synthese aus Materialismus und Idealismus anschei- nend nicht für erforderlich.
20.Einen Urgrund von „falschem Positivismus“ sieht Marx - wohl zu Recht - in Hegels dauernder Vermischung von Theologie und Philosophie, wodurch aus Vernunft Unvernunft werde. Dies sei „die Lüge seines Prinzips“. Der Fehler entstehe dadurch, dass Hegel mensch-liches Dasein nur als philosophisches gelten lasse, so in „Religions-, Natur-, Staats-, Kunst-philosophie“. (s.o. S. 79)
Einverstanden; bis auf den Begriff „Positivismus“, den Marx hier verwendet. Insgesamt gesehen war Hegel nicht Positivist, sondern Dialektiker; was Marx andernorts durchaus anerkennt, zumal er Hegel die Grundlagen der Dialektik verdankt.
21.In der dialektischen Bewegung seines Denkens verfange Hegel sich aber immer wieder in den Fallstricken der Theologie. Entfremdung gelte als „göulicher Prozeß“, Gott selbst als „absoluter Geist, die sich wissende und betätigende Idee“). Dagegen glaubt Marx, nachweisen zu können, „die ganze Logik“ sei „der Beweis, daß das abstrakte Denken für sich nichts ist, daß die absolute Idee für sich nichts ist, daß erst die Natur etwas ist“. Werde allerdings die Natur „abstrakt genommen “, werde sie erneut vom Menschen getrennt und als solche ebenfalls: „nichts“. Hegel betrachte die Natur lediglich als das „Anderssein des Gedankens“, wobei schließlich die Natur im Geist verschwindet („aufgehoben“ wird), während der Geist im Absoluten aufgeht und umgekehrt: „Das Absolute ist der Geist: dies ist die höchste Definition des Absoluten.“ (s.o. S. 78)
Hierzu bemerktKlaus Hartmann, Marx missverstehe Hegel gründlich, weil er dessen wahre Absicht, „eine transzendentale oder spekulative Kategorienlehre zu geben“, nicht erkenne. Was aus dieser Absicht in Hegels System entstanden ist, sei keineswegs per se „entfremdet“ (wie Marx behaupte). Hegel verwende neue, konkrete kategoriale Inhaltsbestimmungen, wohingegen Marx bei der „Selbsterzeugung des Menschen“ verharre, ohne Hegels höheren Sphären des Geistes in dessen Kategorien-System gerecht zu werden.85
Hierzu mein Kommentar: Hegels Lehren vom „objektiven und absoluten Geist“ sind wissenschaftlich nicht haltbar. K. Hartmann verkennt die Tatsache, dass Hegel selbst sein System ad absurdum führt, indem er a) Gott -theologisch- als absoluten Schöpfer und Lenker der Weltgeschichte ausgibt (Glaube statt Wissen!), b) dann aber Gott in Konkurrenz zu „Weltgeist“ und „Volksgeistern“ treten lässt, c) Gott in Jesus am Kreuz sterben lässt, d) daraufhin das Absolute im „Absoluten Geist“ und „Absoluten Wissen“ des Menschen bzw. der Person des Philosophen Hegel (!) auf- und untergehen lässt. Absurd, denn das Absolute ist unendlich, der Mensch nicht, Hegel nicht. Außerdem ist der menschliche Geist - außer bei Hegel - stets auch auf die Zukunft gerichtet - und auch deshalb nicht absolut, während das im Gedächtnis gespeicherte Wissen zwar auch auf die Zukunft bezogen sein kann, faktisch aber stets der Vergangenheit angehört und - da falsifizierbar - ebenfalls nicht absolut sein kann.
Zur Empirie
22.Bloch: „Allerdings läuft Hegels nicht-empiristische Vernunft doch zuletzt auf idealistische Versöhnung mit einem schlechthin bereits als intelligent gedachten Wirklichen hinaus. Die Versöhnung wirdfundiert durch Abtun dessen, was dem - Geist äußerlich ist; zu ergänzen ist: was den lebenden, wirklichen Menschen entfremdet und äußerlich ist.“(s.o. S. 83)
Auch hier trifft sich Blochs Kritik mit derjenigen von Marx.
Zur Dialektik
23.Marx: Feuerbach habe „der Negation der Negation, die das absolut Positive zu sein behauptete, das auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive entgegengestellt“.(s.o. S. 85)
Hegel verwechselt „das Absolute“ mit der Realität. Daher hält er die „Negation der Negation“ für den Inbegriff sowohl der Dialektik als auch des „absolut Positiven“. Marxens mate-rialistische Fundierung des Positiven bedeutet dagegen keinen Verzicht auf die Dialektik. Vielmehr will er sicherstellen, dass die Dialektik sich nicht verselbständigt und im „Absoluten“ verflüchtigt.
24.Bloch: Dialektik ist keine jungfräuliche Geburt aus angeblichem Selbstleben der Begriffe und kein Perpetuum mobile. Die dialektische Vernunft der Geschichte ist die des Produktionsprozesses; es gibt in der Geschichte einzig eine dialektisch sich entwickelnde Beziehung des Menschen zum Menschen und zur Natur.(s.o. S. 86)
s. Kommentar zu Nr. 22!
25.„Das Anderswerden kann zwar als Werden, nicht jedoch allgemein als „Übergang vom Sein zum Nichts“ (wie Hegel das Werden definiert) verstanden werden. (Obwohl es in Natur und Geschichte zweifellos auch die Vernichtung, den Untergang, den endgültigen Übergang ins Nichts als „Vergehen“ gibt.) Aber Letzteres ist nicht die Regel. Dinge bzw. Objekte, die neben-einander existieren - und sei es nur vorübergehend - müssen einander nicht zwangsläufig negieren, sofern sie gemeinsam existieren, also ko-existieren. Was „negiert“ wird, sind oft nur bestimmte äußere Formen, z.B. diejenigen gleichartiger Blumen oder anderer natürlicher oder künstlicher Produkte. „Kein Ding gleicht einem anderen“; aber sie negieren einander nicht zwangsläufig, auch nicht dialektisch, erst recht nicht auf Grund willkürlicher Setzung.“(s.o. S. 88)
26.„Vielleicht müssen Umfang und Inhalte des Begriffs ,Dialektik‘ neu analysiert und bestimmt werden, auch z.B. im Hinblick auf die „Realdialektik“ und die „Dialektik der Natur“, die Jean- Paul Sartre entschieden ablehnt, während Ernst Bloch, ähnlich wie Friedrich Engels, sie für durchaus möglich und sinnvoll hält.“(s.o. S. 88)
Zur Wissenschaft der Logik
27.Bertolt Brecht:
„Die große Logik“ ... ist eines der größten humoristischen Werke der Weltliteratur. Es behandelt die Lebensweise der Begriffe, dieser schlüpfrigen, unstabilen, verantwortungslosen Existenzen; wie sie einander bekämpfen und sich dann zusammen zu Abendessen setzen, als sei nichts gewesen. (.) Sie können weder ohne einander leben, noch miteinander.“(s.o. S. 89)
Diese Kritik stimmt inhaltlich weitgehend überein mit den im Folgenden (Nr. 28 bis 30) geäußerten.
28.Die Auffassung Hegels, mit der Erklärung der allgemeinen Formbestimmungen des Denkens zugleich die wesentliche Natur irgendeines Trumms in der Welt begriffen zu haben, hat die fatale Folge, dass die Welt jetzt auf dem Kopf steht, indem das Denken zur Grundlage von allem erklärt wird. ... Hegels Anliegen bei der Untersuchung des Denkens war der Nachweis, dass das Denken sich selbst zur Objektivität emporarbeitet. Sein Resultat war: die Gedanken sind objektiv. Und sein Fehlschluss: also ist das Objektive Gedanke, aber in der Form der Objektivität.(s.o. S. 89)
29.Der Fehler ist, dass Hegel ein Verhältnis der Welt zum Subjekt - sie wird von ihm erkannt, gedacht - zur Eigenart der Welt erklärt. Die Denkbarkeit wird somit deren Natur: die Welt ist logischer Natur. Die Fortsetzung dieses Fehlers besteht in der Gleichsetzung der Weise, wie der Verstand sich einzig die Welt aneignen kann, nämlich im urteilenden und schließenden Nachvollzug der Bestimmungen einer Sache, mit der gedachten Entstehung der Sachen selbst.(s.o. S. 90)
30.Hegels methodisches Bedürfnis führt ihn . dazu, die Logik mit dem Problem des Anfangs selbst anzufangen, mit dem Widerspruch eines Grundlosen, das zugleich Grund von allem in nuce sein soll. . Die erste Kategorie der Logik ist also keine, sondern ein methodisch erzeugtes Universale: die grundlos zu denkende Ableitbarkeit.(s.o. S. 91)
31.Das Nichts wird eingeführt als die Bestimmung des Seins, also als von ihm unterschieden. Der Sache nach sind Bestimmung und Bestimmtes jedoch absolut identisch. Sie sollen jedoch zugleich Unterschiedene sein. ... >Sie haben keinen Bestand<, diese Feststellung über „Sein“ und „Nichts“ wird als Bestimmung ernst genommen und zu einer objektiven Kategorie gemacht: das Werden. Dieser Fortgang von einem Bestimmungslosen ist nur methodisch zu machen: ganz genauso wie das methodische Bedürfnis sich eine erste Kategorie geschaffen hat, von der es weitergehen muss, - Ableitung total - erzeugt es sich in der Haltlosigkeit und Unselbständigkeit der ersten beiden Kategorien den Übergang: Werden.(s.o. S. 91 f.)
zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
32.„Alle Dinge sind ein kategorisches Urteil“ (Enz. § 177) „Das Verbrechen . ist das unend- liehe Urteil“ (...) Und gerade in solchen Urteilen ist die Sache selbst nicht er fasst, denn es ist offensichtlich unsinnig, dass die verschiedensten Dinge ihre Identität gleichermaßen darin haben sollen, ein Schluss, ein Urteil, ein Sollen etc. zu sein, sich demnach im Wesentlichen nicht unterscheiden. Dadurch erhält die Wissenschaft d la Hegel ein neues Erkenntnisziel: Sie soll nicht mehr einfach die Sache erkennen, sondern immerzu sich in der Sache.“(s.o. S. 93)
Auch dieser Fehler entsteht wahrscheinlich durch Hegels pantheistische „Erkenntnistheorie“:
Da Gott in allem waltend anwesend ist, werden Subjekt und Objekt - trotz ihrer dialektischen Beziehung - identisch, so dass es dem mit „absolutem Wissen“ ausgestatteten Philosophen möglich wird, die Dinge mit seinem Urteil über sie gleichzusetzen; was natürlich abwegig ist.
Ähnlich:
33.„Wissenschaft bestehtfür Hegel in der Tätigkeit, die Identität der untersuchten Gegen-stände herauszufinden, ihren Begriff. Die wissenschaftliche Erklärung bietet eine Darlegung der notwendigen Bestimmungen einer Sache und ihres notwendigen Zu8sammenhangs zu anderen Sachen. Hegels Spezialität besteht nun darin, die Notwendigkeit, d.h. den ermittelten Begriff einer Sache, für diese Sache sprechen zu lassen.“(s.o. S. 93)
zurPhilosophie der Natur34.„Natur ist laut Hegel die „Idee in der Form des Andersseins“ (...). Wie alles Logische und Reale istfür Hegel auch die Natur als eine Daseinsform der absoluten Idee zu betrachten (...), allerdings gilt für Hegel: „Die Natur ist an sich in der Idee göttlich, aber wie sie ist, entspricht ihr Sein ihrem Begriffe nicht; sie ist vielmehr der unaufgelöste Widerspruch.“ (.) Damit ist ausgesagt, dass zwar im Modus der „Äußerlichkeit“ (.) etwas Gegebenes vorliegt, dieses ist aber, obwohl es als ,nicht-begrifflich’ existiert, so wird postuliert, seinem inneren Wesen nach Begriff bzw. Idee.“(s.o. S. 94)
Was ähnlich abwegig und unzulässig ist wie in Nr. 32 und 33.
35.Im Rahmen seines Systemkonzepts . ist die Natur als Idee in der Form des Andersseins bestimmt (§ 247). Dieses Anderssein faßt nun Hegel als Sich-selbst-Entfremden der Idee auf, wodurch ein Moment der Unvernunft mit hereinkommt: die Natur steht in der Spannung von Unvernunft und Vernunft. Die Naturphilosophie als Gestalt des absoluten Geistes hat nun im Sinne des Zurückkehrens des Geistes aus dieser Entfremdung jene Spannung rückgängig zu machen.(s.o. S. 95)
36.Nun hat - wie man an seiner ausgeführten Naturphilosophie sehen kann - Hegel dieses Ziel nicht zufriedenstellend erreicht. Wo ihm die Deduktion seiner Meinung nach gelungen ist, erscheint die Natur als Vernunft; wo sie mißglückt ist oder „noch nicht“ gelungen ist, erscheint die Natur als Unvernunft. Demnach ist die umfassende Vernunft der Natur ein eschatologischer Begriff oder ein Ziel, das bestenfalls am Weg des Geistes zu sich erreicht werden kann. Der eigentliche Sinn der Natur läge dann tatsächlich in der Naturphilosophie. Derartige Konse-quenzen scheinen nun mit der grundsätzlichen Anerkennung der Vernünftigkeit der Natur in Widerspruch zu stehen.“(s.o. S. 95 f.)
37.„Während Hegel davon ausgeht, die Naturwissenschaft als analytisch zu kennzeichnen und dies als Mangel per Philosophie aufzuheben, betont Renate Wahsner die Notwendigkeit und Berechtigung des speziellen naturwissenschaftlichen Vorgehens (Wahsner 1996a, S. 110). Vor allem die Bedeutung der messtheoretischen Bestimmtheit fehlt in der Hegelschen Wissenschaftsvorstellung. - Auf diese Weise reflektiert Hegel nicht die realen Naturwissenschaften, sondern vereinfachte Vorstellungen über Naturwissenschaft, die - wenn sie wahr wären - nicht einmal das Funktionieren der Wissenschaft gewährleisten könnten.“(s.o. S. 97 f.)
38.Die maßgebliche Rolle einer Theorie für die Naturwissenschaft wird von Hegel gar nicht gesehen, seine Versuche der „Begriffsbestimmung in dem philosophischen Gange“ (WdL II, S. 15) setzen an der einzelnen naturwissenschaftlichen Größen an und können deren Bestimmung innerhalb der wissenschaftlichen Theorie nicht begreifen. Deshalb verwendet er oft die Bezeichnung „empirische“ Naturbetrachtung, obwohl die von ihm gemeinte neuzeitliche Naturwissenschaft selbst gar nicht so empiristisch funktioniert.“(s.o. S. 98)
HierzuErnst Bloch:
„Hegels Natur ist sowohl im Sinn des Durchlaufs durch sie wie im Sinn der Vergangenheit >passiert<, ein totliegendes Parterre für die menschliche Geschichte; aus ihm selber ist jede Geschichte heraus. Die Organismen entwickeln sich nicht, und in diesem zeitlosen Naturraum befinden sich Sonne, Mond und Sterne dauernd am unteren Rand. Indem die Natur sich in sich vertieft hat, indem der Erdgeist, wie Hegel das nennt, im Menschen erwacht und zum Bewußtsein kommt, beginnt nun höhere Kunde - post nubila Phoebus, nach Proteus die historische Offenbarung.“ (Bloch a.a.O. S. 226) („Nach den Wolken kommt die Sonne.“)
Meine Frage: Kann Hegels Naturphilosophie eine „dialektisch-qualitative“ (Bloch, s.o. S. 24) sein, wenn aus seinem Naturbegriff „jede Geschichte heraus“ ist? Gerade bei Hegel bedeutet Dialektik doch Geschichtlichkeit und Veränderung. Warum dies in dieser Form für die Natur- philosophie nicht gelten kann, begründet Hegel folgendermaßen:
>Die Veränderungen in der Natur, so unendlich mannigfaltig sie sind, zeigen nur einen Kreislauf, der sich immer wiederholt; in der Natur geschieht nichts Neues unter der Sonne... .< (in: Bloch a.a.O. S. 238)
Demnach lässt sich der Dreischritt der Dialektik nicht einfach von der Geschichte auf die Natur übertragen. Wenn das Wesen der Natur im Absoluten besteht bzw. darin aufgeht, steht die Natur - gemäß HegelstheologischerGrundüberzeugung - sowohl jenseits der profanen Geschichte als auch mitten im Leben. Diese Dialektik macht für Hegel die Eigenart der Natur aus, unterscheidet sie jedenfalls von der Dialektik der Geschichte. - Kurios bleibt dennoch das Resultat, die Natur sei qualitativ-dialektisch, aber nicht geschichtlich; zumal der Geist - und somit die Dialektik - in der Natur nur im Verborgenen existiere:
>Der Geist der Natur ist ein verborgener Geist, er tritt nicht in Geistesgestalt hervor; er ist nur Geist für den erkennenden Geist, oder er ist Geist an ihm selbst, aber nicht für sich selbst.<
Zu Grunde liegt dem Ganzen offensichtlichSchellings - letztlichtheologischbegründete - Unterscheidung zwischen Dialektik in der Natur und im Menschen, wonach der Geist in der Natur als dialektisches, „objektives Subjekt-Objekt“ auftrete, im Menschen hingegen als ein ebenfalls dialektisches, aber „subjektives Subjekt-Objekt“.86
zur Geschichtsphilosophie
39.Marx: Hegels Geschichtsauffassung sei „nichts anderes ... als der spekulative Ausdruck des christlich-germanischen Dogmas vom Gegensatze des Geistes und der Materie, Gottes und der Welt. Dieser Gegensatz drückt sich nämlich innerhalb der Geschichte, innerhalb der Menschenwelt so aus, daß wenige auserwählte Individuen als aktiver Geist der übrigen Menschheit als der geistlosen Masse, als der Materie gegenüberstehen.(s.o. S. 99)
40.Marx: „Hegel macht sich einer doppelten Halbheit schuldig, einmal indem er die Philo-sophie für das Dasein des absoluten Geistes erklärt und sich zugleich dagegen verwehrt, das wirkliche philosophische Individuum für den absoluten Geist zu erklären; dann aber, indem er den absoluten Geist als absoluten Geist nur zum Schein die Geschichte machen läßt. Da der absolute Geist nämlich erst post festum im Philosophen als schöpferischer Weltgeist zum Bewußtsein kommt, so existiert seine Fabrikation der Geschichte nur im Bewußtsein, in der Meinung und Vorstellung des Philosophen, nur in der spekulativen Einbildung.“(s.o. S. 100)
Hegels besondere Tragik liegt wohl darin, dass er sein pseudo-religiöses Zweck-Konstrukt, ein Gemisch aus Glauben und Wissen, nach und nach selbst zerstört hat. Pseudo-religiös ist dieses Konstrukt, weil es im Grunde mitgeschichtsphilosophischemAnspruch auftritt, wobei Gott zunächst der allmächtige Schöpfer, Alleinherrscher und alleinige Lenker der Weltgeschichte ist, dann aber auf die Konkurrenz von „Weltgeist“ und „Volksgeistern“ trifft, bis er schließlich am Kreuz stirbt, um sodann im „Absoluten Wissen“ des Philosophen unterzugehen. Mit diesem „Wissen“ glaubt Hegel, sogar dasGanze der Welterfassen zu können, behauptet er doch: „Das Ganze ist das Wahre.“ Und: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Demgemäß tritt das „Absolute Wissen“ an die Stelle der Herrschaft Gottes und kann insofern als „autokratisch“ bezeichnet werden. - Was sich - verschlimmernd - beiNietzschefortsetzt, der Hegels Rede vom „Tode Gottes“ begierig aufgreift und sich selbst zum Schöpfer seiner selbst und zum selbstherr- liehen, je einzigen „Gesetzgeber“ erklärt, den die Gesellschaft einen Dreck angehe. . .87
41.Marx: „Erst Feuerbach, der den Hegel auf Hegelschem Standpunkt vollendete und kritisierte, indem er den metaphysischen absoluten Geist in den „wirklichen Menschen auf der Grundlage der Natur“ auflöste, vollendete die Kritik der Religion, indem er zugleich zur Kritik der Hegelschen Spekulation und daher aller Metaphysik die großen und meisterhaften Grundzüge entwarf.“(s.o. S. 100)
Anscheinend als erster hat Feuerbach das Grundübel der Hegelschen Spekulation erkannt:die unlogische, unzulässige Verquickung von Absolutem und Relativem, Glauben und Wissen, Gott
42. „Während ... Hegel der Meinung war, daß die Philosophie immer erst auftaucht, wenn „eine Gestalt des Lebens alt geworden“ ist (Vorrede zur Philosophie des Rechts), und daher das Verstehen der Geschichte und ihre Sinndeutung immer erst post festum kommen kann, eine endgültig richtige Geschichtsphilosophie also erst möglich wird, wenn die Geschichte „abgeschlossen“ ist, und nichts wesentlich Neues mehr bringt, glaubte Marx, daß der entscheidende Schritt zur Vollendung der Entwicklung der Menschheit mit vollem Bewußtsein vollzogen und bereits im voraus verstanden und vernünftig geplant werden könne. Dem bloß passiven, nachträglichen Begreifen der Vernunft in der Geschichte stellte er die in die Aktion umschlagende Selbstbewußtheit der revolutionären Klasse des Proletariats entgegen.(s.o. S. 101)
43.Bloch: „Geschichte wird so ein werdendes Gewordensein; das ist ein Widerspruch, und der Dialektiker-Antiquar hat ihn nicht aufgelöst. Das macht immer wieder: in der Hegelschen Geschichte erscheint ein Rückwärts- und Vorwärts-Gesicht aus Zeit, ein Janus-kopf, der sich überdies dreht, so daß beide Gesichter ineinandergehen.“(s.o. S. 102)
44.[Marx:]„>Wir kennen nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft der Geschichte. Die Geschichte kann, von zwei Seiten aus betrachtet, in die Geschichte der Natur und die Geschichte der Menschen abgeteilt werden. Beide Seiten sind indes nicht zu trennen; solange Menschen existieren, bedingen sich Geschichte der Natur und Geschichte der Menschen gegenseitig< (Deutsche Ideologie).
[Bloch:] „Hierbei ist die Hauptsache, immer wieder, bei all dieser auf die Füße gestellten HegelDialektik: sie soll nicht kontemplativ bleiben. Das Subjekt in der Subjekt-Objekt-Beziehung des allhistorischen Materialismus wird als tätiges, als real erzeugendes bestimmt.“(s.o. S. 103)
45.Antje Allroggen: „Seine Theorie des Werdens wandte Hegel auch auf Gott an, was ihm vor allem in der katholischen Kirche wenig Sympathie einbrachte. Denn Hegel war der Auffassung,dass Gott als Entitätnicht immer schon a priori einfach da gewesen sei, sondern erst im Laufe der Weltgeschichte zu dem wurde, was er nun ist: ein "Weltgeist", der die Summe aller Epochen in sich vereint. Als Hegel dann auch noch sagte, dass er die katholische Lehre von der Transsubstantiation (Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi in der heiligen Messe/Anm.d.R.) für Humbug halte, musste er sich dafür offiziell entschuldigen und seine Äußerungenzurücknehmen.“(s.o. S.106)
„Was Hegel allerdings weiß oder zu wissen glaubt, ist erstens, daß das Christentum die Religion schlechthin ist. Ferner weiß er, was „der Geist“ will, was er tut, wohin er sich entwickelt. Dieses „Wissen“ ist (denn eine „Meinung“ darüber hat er nach eigenem Bekunden nicht) die notwendige und auch hinreichende Voraussetzung dafür, über Geschichte der Philosophie sinnvoll zu sprechen. Die Voraussetzung ist bei ihm erfüllt - so meint er jedenfalls.“ (S. 107)
46. zu Hegels „Macht und List der Vernunft“
Popper: „Die Behauptung, dass Gott sich in dem offenbart, was man gewöhnlich >Geschichte< nennt, in der Geschichte internationaler Verbrechen und Massenmorde, diese Behauptung ist eine grobe Lästerung; und sie wird nicht besser, wenn wir an die zukünftigen Machthaber und Massenmörder appellieren. Was sich wirklich im Bereich des menschlichen Lebens ereignet - das wird durch diese grausame und zugleich kindische Affäre kaum je berührt. Das Leben des vergessenen, des unbekannten individuellen Menschen; seine Trauer, seine Freude, seine Leiden und sein Tod - sie sind der wirkliche Gehalt der menschlichen Erfahrung durch alle Zeiten.“
Die eigentliche Aufgabe des Christentums bestehe darin, den Armen und den Leidenden zu Hilfe zu kommen (woraus, wie ich meine, zu schließen ist, dass diese Leiden keinesfalls als bloße „List der Vernunft“ wegdiskutiert werden können). Abwegig sei es anzunehmen, in der Geschichte offenbare sich der Wille bzw. eine Sinngebung Gottes. Kurz und bündig lautet Poppers Gegenthese: „Die Geschichte hat keinen Sinn, das ist meine Behauptung.“ ( a.a.O. S. 168)
Dennoch argumentiert Popper selbst teleologisch, wenn er, wie Hegel, Vernunft und Freiheit zu geschichtlichen Zielen erklärt; er geht allerdings über Hegel hinaus, indem er diese Ziele, neben denen der Gerechtigkeit, der Gleichheit und der „Kontrolle des internationalen Verbrechens“, in den Dienst des Kampfes für eine offene Gesellschaft stellt. Anders gesagt: „... obwohl die Geschichte keinen Sinn hat, können doch wir ihr einen Sinn geben.“ (Popper a.a.O. S.169)
Auch Popper verzichtet also nicht auf den Versuch einer teleologischen Sinngebung, obwohl er ein Ziel der Geschichte nicht zu erkennen vermag.87
Zur Rechtsphilosophie
47.Marx: „Die Tatsache, von der ausgegangen wird, wird nicht als solche, sondern als mystisches Resultat gefaßt. Das Wirkliche wird zum Phänomen, aber die Idee hat keinen andren Inhalt als dieses Phänomen. Auch hat die Idee keinen andren Zweck als den logischen: »für sich unendlicher wirklicher Geist zu sein«. In diesem Paragraphen ist das ganze Mysterium der Rechtsphilosophie niedergelegt und der Hegelschen Philosophie überhaupt.“(s.o. S. 108 f.)
48.Marx: „Wichtig ist, daß Hegel überall die Idee zum Subjekt macht und das eigentliche, wirkliche Subjekt, wie die »politische Gesinnung«, zum Prädikat. Die Entwicklung geht aber immer auf Seite des Prädikats vor.“(s.o. S. 109)
49.Marx „Der Wahrheit nach hat Hegel nichts getan, als die »politische Verfassung« in die allgemeine abstrakte Idee des »Organismus« aufgelöst, aber dem Schein und seiner eignen Meinung nach hat er aus der »allgemeinen Idee« das Bestimmte entwickelt. Er hat zu einem Produkt, einem Prädikat der Idee gemacht, was ihr Subjekt ist. Er entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertig und in der abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordnen Denken. Es handelt sich nicht darum, die bestimmte Idee der politischen Verfassung zu entwickeln, sondern es handelt sich darum, der politischen Verfassung ein Verhältnis zur abstrakten Idee zu geben, sie als ein Glied ihrer Lebensgeschichte (der Idee) zu rangieren, eine offenbare Mystifikation.(s.o. S. 109)
50.(Hegel:) »Man kann so auch von der Souveränität nach Innen sagen, daß sie im Volke residiere, wenn man nur überhaupt vom Ganzen spricht, ganz so wie vorhin (§ 277, 278) gezeigt ist, daß dem Staate Souveränität zukomme.«(s.o. S. 111)
Marx: „Als wäre nicht das Volk der wirkliche Staat. Der Staat ist ein Abstraktum. Das Volk allein ist das Konkretum. Und es ist merkwürdig, daß Hegel, der ohne Bedenken dem Abstraktum, nur mit Bedenken und Klauseln dem Konkretum eine lebendige Qualität wie die der Souveränität beilegt.“ (s.o. S. 111)
51.Marx: „Hegel geht vom Staat aus und macht den Menschen zum versubjektivierten Staat; die Demokratie geht vom Menschen aus und macht den Staat zum verobjektivierten Menschen.“(s.o. S. 112)
52.Marx: „Die Bürokratie ist der imaginäre Staat neben dem reellen Staat, der Spiritualismus des Staats. Jedes Ding hat daher eine doppelte Bedeutung, eine reelle und eine bürokratische, wie das Wissen ein doppeltes ist, ein reelles und ein bürokratisches (so auch der Wille). Das reelle Wesen wird aber behandelt nach seinem bürokratischen Wesen, nach seinem jenseitigen, spirituellen Wesen. Die Bürokratie hat das Staatswesen, das spirituelle Wesen der Gesellschaft in ihrem Besitze, es ist ihr Privateigentum.“(s.o. S. 112 f.)
53.Marx: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem |am Menschen| demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.“(s.o. S. 113).
Zu Marxens Rechtsverständnis merktHermann Klenner(1998) Folgendes an:
„Marx hatte eine Normativkonzeption und keine Tatsächlichkeitskonzeption des Rechts. Anders als Lassalle, der ja Verfassung als tatsächliche Machtverhältnisse definiert, hat Marx Verfassung definiert als Gesetz für die Gesetzgebende Gewalt. Er hat das Gesetz definiert als Einschränkung der Regierungsmacht, und er hat das Recht definiert als Maßstab, nicht als Willkür der herrschenden Klasse, widerspiegelnd die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Aber insofern das Recht Recht ist, hat es Maßstabfunktion.“88Dies im Unterschied zuLenins Behauptung, die ,Diktatur des Proletariats’ sei „an keinerlei Gesetze gebunden“ (a.a.O. S. 42).
Unbestritten bleibt die Tatsache, dass Marx und Engels dem „bürgerlichen Staat“ kritisch gegenüberstanden und langfristig sogar ein „Absterben des Staates“ für möglich und wünschenswert hielten.
zur Ästhetik
54.Bloch: „Bedeutend mehr als der Staat wird die Schönheitbei Hegel fix und fertig. Ihre wesentlichen Bestimmungen sind aus der Arbeit heraus, werden >zu einem Kranze geordnet<. Mit dem Gefühl der Ernte, nach Ablauf einer literarisch großenZeit, im Dasein bürgerlichhöchstgebildeter Muße.Vor allem aber ist es das >reine Weltauge<, das in Hegels Ästhetik,an diesem Ende, trotz Humor, doch die Kunst fixiert.“(s.o. S. 114 f.)
55.Willi Oelmüller: „Hegels Satz : „Uns gilt die Kunst nicht mehr als die höchsteWeise, in welcher die Wahrheit sich Existenz verschafft. ... Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein“ (.), dieser Satz gehört zu den Sätzen der Hegelschen Philosophie, die bis heute am meisten provozieren und die fast durchweg kritisiert werden.“(s.o. S. 116)
56.Oelmüller: „Die durch die Menschwerdung Gottes offenbar gewordene tiefste Entzweiung und Versöhnung des Menschen ist für Hegel durch die Kunst nicht adäquat darstellbar.“(s.o. S. 118)
57.Oelmüller: „Daher entfalten ja auch seit etwa hundert Jahren die einzelnen Wissenschaften der Künste, z.B. die der Architektur, der Malerei, der Literatur und der Musik ihre eigenen, weithin von der offiziellen Philosophie der Kunst abweichenden, ja ihr entgegengesetzten Prinzipien und Methoden ihres Umgangs mit Kunst.
Daher entwickeln seither große Künstler, z. B. Strawinsky, Picasso, Klee,Valéry, Gide, Eliot, Brecht, Benn, Broch, Musil, Thomas Mann, ihre eigenen Theorien der Kunst, die nicht immer und vor allem nicht notwendig schlechter sind als die der Schulphilosophie. Daher leben heute gebildete Leute und Kunstkritiker mit der Kunst oft nicht wegen, sondern trotz der offiziellen Philosophie der Kunst nach Hegel.“(s.o. S. 118)
Bloch: „Die Schönheit Hegels ist zwar in ihrer Schicht der Anschauung ebenso voll Fürsich-sein wie die Heiligkeit in ihrer Schicht der Vorstellung (und die volle Wahrheit in der Schicht des zum Begriff gewordenen Geistes). Jedoch diese Schönheit gleicht eher Narzissus, der das Spiegelbild seiner im See der Anschauung umfaßt, als Odysseus mit Fluchttrieb und fernem Vaterland im Sinn. Und schlägt auch die Schönheit, wie alles bei Hegel, zuletzt um, in die ihr nächstfolgende, die religiöse Gestalt, so ist sie vorher doch fest, wohl in sich vergafft, nicht gleitend, auch nicht Heiliges zu geringerem Preis, säkularisierte.“ (s.o. S. 115 f.)
Bloch: „Vom Schönen wird gesagt, daß es erfreue, ja sogar genossen werde. Doch hat es seinen Lohn damit noch nicht dahin. Kunst ist keine Speise. ...
Künstlerischer Schein ist überall dort nicht nur bloßer Schein, sondern eine in Bildern ein-gehüllte, nur in Bildern bezeichenbare Bedeutung von Weitergetriebenem, wodie Exagge-rierung und Ausfabelung einen im Bewegt-Vorhandenen selber umgehenden und bedeutenden von Wirklichem darstellen,einen gerade ästhetisch-immanent spezifisch darstellbaren. Hier wird belichtet, was gewohnter oder ungestumpfter Sinn noch kaum sieht, an individuellen Vorgängen wie an gesellschaftlichen, wie an naturhaften. .
Kunst ist ein Laboratorium und ebenso ein Fest ausgeführter Möglichkeiten, mitsamt den durcherfahrenen Alternativen darin, wobei die Ausführung wie das Resultat in der Weise des fundierten Scheins geschehen, nämlich des welthaft vollendeten Vor-Scheins. In großer Kunst sind Übersteigerung wie Ausfabelung am sichtbarsten aufgetragen auf tendenzielle Konsequenz und konkrete Utopie.“89
zur Religionsphilosophie
58.Karl Marx: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben und schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät.“(s.o. S. 118)
59.Marx: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sei der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“(s.o. S. 118)
60.Martina Thom: „Indem Feuerbach, wie er selbst mehrfach betont, die Basis einer „neuen Religion“, einer Religion des Menschen als sich selbst höchsten Wesens, schaffen will, muß ihm das spiritualistische Menschenbild Hegels sogar noch lebensfremder erscheinen als das entfremdete christlich-religiöse Gefühl, das Ausdruck der Entzweiung des menschlichen Gattungswesens ist.“(s.o. S. 119 f.)
61.Falko Schmieder: „Der Gegensatz zwischen dem menschlichen und göttlichen Wesen, konstitutiv für die Religion, löst sich für Feuerbach auf in den Zwiespalt des Menschen mit seinem eigenen Wesen. Der mit sich selbst entzweite Mensch setzt sich in der Religion Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber, wobei der Gott nach Feuerbachs Darstellung als bloße Verdopplung, als extreme Potenzierung oder als absolute Negation des Menschen erscheinen kann.“(s.o. S. 120)
62.Falko Schmieder: „Am Christentum, dem Hauptgegenstand von Feuerbachs Unter-suchung, wird der Verlust der Gattung an der christlichen Identifizierung von Gattung und Individuum manifest. Im Zentrum der Verehrung und Anbetung steht hier ein Gott, der als Persönlichkeit vorgestellt wird, als solche aber zugleich das Allgemeine repräsentieren soll. Gott soll zugleich sinnlich und übersinnlich, Person und Gemeinwesen sein - ein Widerspruch, der Feuerbach zufolge im Christentum den Fixpunkt des Gattungslebens bildet.“(s.o. S. 120 f.)
63.Walter Schulz: „Die als Prinzip gesetzte Sinnlichkeit bedeutet bei Feuerbach den ganzen Menschen. Sinnlichkeit soll beim Menschen im Unterschied zum Tier durchaus Geistigkeit und Freiheit einschließen. Aber das Wie dieser Einschließung bleibt ungeklärt, und es muß ungeklärt bleiben, weil Feuerbach jede Dialektik ausklammert. Die Tradition, gegen die er angeht, hat aber gerade die Dialektik anerkannt, insofern sie den Menschen als Doppelwesen bestimmt. Gegen diese Tradition kommt man nicht auf, wenn man naiv von der Wirklichkeit des Menschen als einer einfachen Gegebenheit redet. Die eigentliche Überwindung der Tradition muß weit reflek-tierter vollzogen werden, als es bei Feuerbach der Fall ist. Das weiß Marx sehr genau, der die Sinnlichkeit nun in dialektischen Bezug zur Tätigkeit setzt.“(s.o. S. 123)
Zum ,Abschluß des Systems’
64.Bloch: „Das Problem einer Philosophie der Philosophie, der Wahrheit der Wahrheit, mit Veränderung des Gegenstands, kann nicht - mit Parallele zur agnostischen Erkenntnistheorie - im Nihilismus enden. Ebensowenig allerdings kann es, wie das bei Hegel auch am Schluß der Philosophiegeschichte geschieht, in der gegenstandslosen Spiritualisierung enden, in der Selbst- durchkreisung des reinen gewußten Wissens.“(s.o. S. 123)
65.Bloch: „Die Idee der Idee, die Selbsterkenntnis der Selbsterkenntnis ist bei Hegel immer wieder eine Ätherisierung dessen, was gar kein Äther bleiben will, und es ist die gleiche Idee - von nun an bis in Ewigkeit.“(s.o. S. 124)
66.„[Hegel:] >Die höchste Form des Nichts für sich wäre die Freiheit, aber sie ist die Negativität, indem sie sich zur höchsten Intensität in sich vertieft, und selbst, und zwar absolute, Affirmation ist< (Enz. § 87). (Bloch:) „Das kann aber einzig jene Praxis der Theorie besorgen, die die Welt nicht bloß begreifen, sondern sie bis zu dieser Negation, dieser Affirmation vertiefen, also - durch Vermittlung mit ihren Produktivkräften - verändern will. Danach lautet die antizipiert-konkrete Realdefinition der Identität (als der verwirklichten Philosophie): Ende des Objekts am befreiten Subjekt, Ende des Subjekts am unentfremdeten Objekt.“(s.o. S. 124)
Den Geist zu verabsolutieren, erscheint heute schon deshalb unzulässig, weil die wichtigsten Funktionen des Geistes in der Großhirnrinde (Neocortex) des Menschen nachgewiesen wurden, die als solche nicht vom Ganzen des Gehirns, des Körpers und der leib-seelischen Gesamtkonstellation zu trennen sind. - „Absolutes Bestimmen“ wäre unfehlbar, was es aber nicht geben kann, weil jegliches Bestimmen theorieabhängig und daher fehlbar ist. (s.o. S. 127)
Vernunft und Wirklichkeit gleichzusetzen, ist kurzschlüssig, weil die Macht des Irrationalen (einschließlich des Unterbewusstseins des Menschen) zuweilen stärker wirkt als die des Vernünftigen. - Befremdlich ist, dass Hegel - wohl als Folge der Gleichsetzung von Vernunft und Wirklichkeit - die Problematik einer Natur-Teleologie nicht diskutiert und dennoch den Zweckbegriff universell verwendet. (s.o. S. 127)
Eine „List der Vernunft“ (überdies noch als „absolute“) zu vergöttern, zeugt von mangelndem Respekt gegenüber den zahllosen Opfern der Weltgeschichte. K. R. Popper hat dies nachdrück-lich angeprangert. (s.o. S. 127 bzw. S. 153 f.))
Folgerungen
Nachdem nunmehr die maßgeblichen Hegel-Kritiken in Kernsätzen, oder besser: in 66 KernAbschnitten aufgeführt und großenteils kommentiert sind, ist es möglich, Hegels Gesamtwerk zu beurteilen, zu beerben und positiv weiterzuentwickeln. Dass dies grundsätzlich der Fall ist, kann seit Marx, Bloch und Veröffentlichungen wie ,Vernunft und Revolution‘von Herbert Marcuse (1941/1962) nicht mehr bezweifelt werden. Eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass in Hegels unzulässigen Vermischungen von Glauben und Wissen die einzelnen Grundbestandteile nicht immer leicht herauszufinden sind. Gravierend kommt hinzu, dass der Glaube durchaus auch Positives enthalten kann, während zum Wissen Sätze geprägt worden sind wie „Wissen ist Macht.“; woraus gefolgert werden kann, dass Wissen in Technik, Wirtschaft und Gesellschaft auch missbräuchlich eingesetzt werden kann. Dies alles erschwert den Versuch, in Hegels System das Positive vom Negativen zu unterscheiden.
Negative Kritik
in Bezug auf das Gesamtwerk:
Hegels Gottes-Begriff unterscheidet sich teilweise erheblich vom herkömmlichen, obwohl er das Christentum für den Inbegriff von Religion schlechthin hält. Sein Gottesbegriff krankt u.a. daran, dass er ihn mit dem Absoluten gleichsetzt, dieses jedoch im „Absoluten Wissen“ bzw. im „Absoluten Geist“ aufgehen lässt, so dass dieser „unmittelbarer, präsenter Gott“ werden kann; was jedoch den Gottesbegriff insgesamtad absurdumführt. Hauptgrund hierfür ist die Tatsache, dass Hegel Religion definiert als „Wissen des göttlichen Geistes ..“ und den Glauben an Gott als eine„Gewissheit“, die er schließlich sogar als „Absolutes Wissen“ ausgibt. Kurios dabei auch: Die Natur existiere dadurch, dass Gott sie „frei aus sich entlässt“, obwohl Gott erst am Ende des Geschichtsprozesses dasjenige Absolute wird, was er andererseits angeblich schon immer war. .
Hieraus ergeben sich weitere Probleme. WieFeuerbach(als Erster?) feststellt, verquickt Hegel nicht nur Gott und Welt, Glauben und Wissen, sondern auch Absolutes und Relatives. In Gottes Geist (einem Glaubensinhalt!) soll der Mensch selbst alsGeistwesenerkennbar sein. Was
Feuerbach alsunzulässige Projektionbezeichnet: „Aus eigenen familiären Erfahrungen mit Kindschaft und Vaterschaft (z.B. als „Vater und Sohn“) schließen Menschen auf einen allmächtigen, allweisen und allgütigen Schöpfergott.“ (s.o. S. 57) Als „Geistwesen“ ist dem Menschen eine Rückkehr zur Natur verwehrt. Daher kann Hegel bei seinen Analysen nicht mehr von der Natur und neutraler gesellschaftlicher Praxis ausgehen, sondern kreist unaufhörlich in eigenen Begriffs-Horizonten, im eigenen Logos. (WasNietzscheumzukehren versucht, indem er z.B. den Geist als „etwas am Leibe“ erklärt, während er Hegels Verknüpfung von Vernunft und Wirklichkeit für vollends abwegig hält.)
Alle seine Konstrukte habe Hegel, wiePopperbehauptet, in völlig unverständlicher Sprache und unendlich anmaßend vorgetragen. Dass Schlimmste daran sei, dass Hegel mit seinem Absolutheitsdenken die totalitären politischen Horror-Systeme des 20. Jahrhunderts vorbereitet habe (was z.B.Herbert Marcuseheftig zurückweist). Feststeht wohl: Hegel dachte nicht nationalistisch, aber mit dem Anspruch,das Ganzeals „das Wahre“ erfassen und darstellen zu können. Totalitäre Denker und Politiker haben dies anscheinend missverstanden.
Zum Entwicklungsgedanken der ,Phänomenologie‘: Marx kritisiert wohl zu Recht, dass Hegel die Realität in Formen des bloß „vergegenständlichten Selbstbewusstseins“ aufgehen lässt, wobei er obendrein Gegenständlichkeit undEntfremdunggleichsetzt und den Menschen zu einem „spiritualistischen Wesen“ mutieren lässt. Wobei auch das Objekthafte der Dinge in Abstrak-tionen aufgelöst werde, während das Subjekt-Sein des Menschen im „Absoluten“ untergehe. „Gewußtsein“ und Geschichte sind ohnehin nicht identisch, erst recht nicht in der „Aufhebung des Objekts“. Das Verhältnis von Erfahrung, Beobachtung sowie Erkenntnis- und Begriffs-Arbeit ist neu zu bestimmen (s.o. S. 83 f.)
Zur Dialektik: An Hegels Dialektik-Konzept ist zu bemängeln, dass er dieNegationverab-solutiert. Dadurch geraten offensichtlich zusammengehörige, ko-existierende Dinge - wie die Entwicklung einer Blume vom Keim bis zur Blüte - in Verhältnisse wechselseitiger Ausschlie-ßung (was sicherlich nicht den Tatsachen entspricht). Ob dagegenAdornos Konzept der „inhaltlichen Erfahrung“ hilft, ist mehr als fraglich. Falsch ist es sicherlich, vom (Hegelschen) Subjektivismus in das andere Extrem, den Objektivismus, zu fallen. Weder Hegel noch Adorno erfassen die ganze Bandbreite der dialektischen Subjekt-Objekt-Beziehungen. Mehr Aufschluss hierüber vermitteln neuere, z.B. neurowissenschaftliche Erkenntnisse, wie die vonJean-Pierre Changeuxzumobjet mental(1983/84). Ob Hegel bei seinen Vermischungen sogar Wahr und Falsch ineins setzt (wieSchnädelbachbehauptet), muss dahingestellt bleiben. Zu nichts führt jedenfalls Schnädelbachs Versuch, Hegels Vernunftglauben durch Schopenhauers Irrationalismus zu ersetzen.
Wer wie Hegel die Negation verabsolutiert, verkennt deren Grundlage: das mitFeuerbach„positiv auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive“ (s.o. S. 85). Solche Dialektik kann dem wahrhaften Subjekt der Geschichte, demarbeitenden Menschen, nicht gerecht werden, auch dann nicht, wenn das Absolute als „Volksgeist“ oder „Weltgeist“ auftritt.
Zur ,Großen Logik’:WährendLeninsie für die „Algebra der Revolution“ und „Lehre von den Entwicklungsgesetzen aller materiellen, natürlichen und geistigen Dinge, d. h. der Entwicklung des gesamten konkreten Inhalts der Welt und ihrer Erkenntnis“ hält, bewertetBertolt BrechtHegels Begriffe als die „schlüpfrigen, unstabilen, verantwortungslosen Existenzen; wie sie einander bekämpfen und sich dann zusammen zu Abendessen setzen, als sei nichts gewesen“. (s.o. S. 89) - Das Denken kann nicht die letzte Grundlage von allem sein; es kann auch nicht mit dem ObjektSein schlechthin gleichgesetzt werden. Auch kann dieNaturnicht einfach als „System des bewußtlosen Gedankens“ aufgefasst werden. Begriff und Sache sind nicht identisch; ebenso wenig wie Sein und Nichts, die Hegel vereint, um das Werden zu erklären. Unterschiede an den Dingen können nicht einfach erfunden werden, wie Hegel es tut.
Zur ,Enzyklopädie‘: Da bei Hegel die Welt nur aus Geist besteht, misslingt ihm der Übergang zur Natur. Unsinnig ist es, Dinge und Urteile über sie gleichzusetzen, so dass sogar die Wissenschaft narzisstisch wird.
Zur Naturphilosophie: Hegel erklärt die Natur zur „Idee in der Form des Andersseins“ und zugleich als „unaufgelösten Widerspruch“ (s.o. S. 94). Das Nicht-Begriffliche der Natur erhält dadurch den Status des Begriffs bzw. der Idee („in der Form des Andersseins“), tatsächlich aber wird sie zu einemSystem bloß abstrakter Gedanken und Verstandesbegriffe. Wobei Hegel die Natur durchaus als „vernünftig“ ansieht. Wo dann aber die entsprechende Ableitung nicht gelingt, kommt dennoch auch „das Unvernünftige“ zum Tragen. Dies scheint ein probater Ausweg zu sein, zumal Hegel die Natur-Gesetzlichkeitim Organischen für nicht anwendbar hält. Womit er allerdings auf den Einspruch moderner Naturwissenschaftler stößt. Demnach ist es Hegel nicht gelungen, der Spezifik naturwissenschaftlichen Erkennens gerecht zu werden. Was es bedeutet,Messbarkeitzu erreichen, scheint für Hegel unklar zu sein. Naturwissenschaft findet auf wesentlich höherem Niveau statt, als Hegel einräumt. Wie Theorie und Praxis, d.h. vor allem Denken und Experiment, in den Naturwissenschaften funktionieren, thematisiert Hegel nicht oder nur beiläufig.
Zur Geschichtsphilosophie: Marx kritisiert Hegels Geschichtsphilosophie, weil er in ihr das „christlich-germanische“ Dogma vom Gegensatz zwischen Geist und Materie bzw. Gott und Welt am Werk sieht. Bei Hegel macht Geschichte nicht die breite Masse „bewußtloser“ Indi-viduen, sondern der „absolute Geist“, den Hegel auch als „Weltgeist“, „Volksgeist“ oder „absolutes Wissen“ ausgibt. Damit wird Geschichte zum Gegenstand purer philosophischer Spekulation, ein reines Bewusstseins-Phänomen. Dieser Spekulation stellt Marx den tatsäch-lichen Produktionsprozess als Geschichtsträger entgegen. - Für widersprüchlich hältErnst BlochHegels Konstrukt der Geschichte als pures „Gewordensein“. Dass Hegel der Geschichts-philosophie dasRechtvoranstellt, hat aber naheliegende, letztlich theologische Gründe: Das Recht herrsche in der Geschichte, weil Gott es so wolle. Zugleich definiert Hegel Freiheit u.a. als “Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“, ohne die Tatsache zu reflektieren, dass die von ihm postulierte Vernünftigkeit alles Wirklichen nicht nachweisbar ist. Ähnlich steht es mit der „List der Vernunft“ diePopperzu Recht anprangert (s.o. S. 153 f.), und zwar auch im Hinblick auf HegelsErziehungsKonzept (s.o. S. 12), zu demMax Stirner(1806-1856) kritisch anmerkt:
„Der moralische Einfluss nimmt da seinen Anfang, wo die Demütigung beginnt, ja er ist nichts anderes, als diese Demütigung selbst, die Brechung und Beugung des Mutes zur Demut herab.“
(In: H.-D. Sill a.a.O.; Sill pflichtet Stirner bei und fügt hinzu: „Es ist erstaunlich, dass Hegel, der auch als Lehrer gearbeitet hat, nicht in der Lage ist, seine dialektischen Betrachtungen auch auf die Entwicklung von Menschen anzuwenden.“ a.a.O.)
WieF. M. Wimmeraufweist, krankt Hegels Geschichtsphilosophie sowohl an einigen Wissensmängeln (z.B. in Bezug auf asiatische und afrikanische Kulturen) als auch an willkürlichen Konstrukten wie dem „Weltgeist“ und dem „Absoluten“ als angeblichen Geschichtsfaktoren.
Zur Rechtsphilosophie: Die maßgebliche Kritik hat Marx schon in seinerKritik der Hegelschen Staatsphilosophie1841 geleistet. Der Staat wird bei Hegel zum „Staatsgeist“. Familie und Gesellschaft analysiert er nicht wirklich, sondern (re)konstruiert sie in eigentümlich will-kürlichen Begriffen und Überlegungen. An die Stelle des Konkreten tritt laut Marx überall die Abstraktion. Wahres Interesse zeige Hegel nicht an der Rechtsphilosophie, sondern an der Logik. (Aber: „Nicht die Logik der Sache, sondern die Sache der Logik ist das philosophische Moment“, schreibt Marx.) Hegel erkenne dabei nicht, dass der Staat eine Abstraktion und nur das Volk etwas Konkretes sei. Gegen Hegels Bevorzugung der (konstitutionellen) Monarchie stellt Marx sein Bekenntnis zurDemokratie, ohne die es keine wahre Selbstbestimmung des Volkes geben könne. Verschlimmernd komme die Rolle derBürokratieim Staat hinzu. Tatsächlich entstehe durch die Bürokratie ein weiterer, imaginärer „Staat“ im Staat.
Zur Ästhetik: Bloch bemängelt die Tatsache, dass Hegel der Kunstphilosophie keinerlei Zukunftsperspektive einräumt. Nicht nur in Hegels „sinnlichem Scheinen der Idee“, sondern imVorSchein auf eine mögliche bessere Weltsei das Wesen der Kunst zu ergründen. Dagegen sei Hegels Kunstbegriff in sich erstarrt und werde zudem noch durch die angeblich „höhere Sphäre“ der Religion abgelöst. Wenn Hegel vom „Ende der Kunst“ rede, drücke sich darin eher bürger-liche Kunstfeindschaft aus, wie W. Oelmüller feststellt. Hegel sei gezwungen, von der Kunst zur Religion überzugehen, weil „die durch die Menschwerdung Gottes offenbar gewordene tiefste Entzweiung und Versöhnung des Menschen ... für Hegel durch die Kunst nicht adäquat darstellbar“ sei (Oelmüller, s.o. S. 118).
Zur Religionsphilosophie: LautMartina ThomhatFeuerbachschon um 1842 Hegels Philoso-phie als „spekulative Theologie“ entlarvt. Panlogismus führe dazu, den Menschen nicht zunächst als „sinnlich“, „natürlich“ und „gesellig“, sondern als im christlich-religiösen Gefühlentfremdetaufzufassen. Hierzu schreibtFalko Schmieder: „Genau darin besteht für Feuerbach das Grundverkehrte der Religion: Der Mensch schaut zu einem übermenschlichen, von ihm abgelösten Wesen empor, ohne zu erkennen, daß es nur das verzerrte Abbild des eigenen menschlichen Wesens ist.“ (s.o. S. 120) Zu bejahen sei dagegen Marxens Kritik der Hegelschen Religionsphilosophie im Namen der Gesellschaft und der Emanzipation des Proletariats (W. Oelmüller).
Zum Abschluss des Systems: Bloch bemängelt, dass Hegels System in einer „gegenstandslosen Spiritualisierung“ endet. Von solcher Theorie aus gibt es keinen Weg zurück zur Praxis. Zu fordern ist die Vermittlung mit den tatsächlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen.
positive Kritik
Auf den ersten Blick erscheint als positiv zu bewerten: 1. der „christlich-germanische“ An-spruch, 2. die Dialektik, 3. die Bewusstseins-Philosophie.
Zu 1.: Richtungsweisend und entscheidend ist hier wohl die historische Entwicklungslinie, die von Jesu Verkündigung der Gleichheit aller Menschen vor Gott zur Gleichheit vor dem Gesetz führt. Markante Zwischenstationen sind hierbei u.a. die englische ,Magna Carta Libertatum’ von 1215, die französische Menschenrechtserklärung von 1789, die US-amerikanische ,Bill of Rights’ von 1791 sowie die Rechtsphilosophien der Aufklärung bis hin zu Kant und Hegel. Auch Marx, dessen Ethik stark von Kant beeinflusst war, hatte - anders als nach ihm Lenin - ein positives Verhältnis zum Recht.90Aktuell maßgeblich sind die Präambel der UN-Charta, Artikel 2 des EU-Vertrags und Artikel 1 des bundesdeutschen Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“). Art. 2. des EU-Vertrags lautet:
„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschen-rechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“
Alle diese Faktoren können wohl als vorzügliche Ausprägungen des „christlich-germanischen“ Anspruchs gelten.
In weltgeschichtlicher Perspektive scheinen die von diesem Anspruch ausgehenden Impulse, ähnlich wie Hegel es sah, entscheidend zu den unleugbaren Fortschritten der Menschheit beigetragen zu haben. Erst recht, wenn es legitim ist, nicht nur die Beiträge von Descartes, Rousseau, Kant, dem Deutschen Idealismus, Feuerbach, Marx, Bloch, Marcuse u.a.m., sondern auch die US-amerikanische und die Französische Revolution des 18. Jahrhunderts als bahnbrechend und richtungsweisend zu bewerten.- Wie aber sollen „christliche“ Fehlentwicklungen, Verzerrungen und Auswüchse zu beurteilen sein? Wohl ebenso wenig positiv wie Hegels „List der Vernunft“. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass neuerdings nicht der Irrationalismus (z.B. a la Schopenhauer, Nietzsche, Freud und C.G. Jung), sondern eine neue, teils sogar an Hegel angelehnteBewusstseins-Philosophiewissenschaftliche Fundierung und Bestätigung findet (s.u. zu Punkt 3.).
Was den politischen Machtanspruch „christlich-germanischer“ Couleur betrifft, so ist unverkennbar, dass sich dieser seit mehr als 200 Jahren allmählich immer mehr in die westliche Hemisphäre, insbesondere die US-amerikanische, verlagert hat. Und zwar in verstärktem Maße nach dem 2. Weltkrieg und dem (vorläufigen?) Ende des Kalten Krieges nach 1990. Seitdem glaubte man zeitweise, der „Siegeszug“ des globalisierten Neoliberalismus sei nun nicht mehr aufzuhalten. Was im Nachhinein zumindest als voreilig und prätentiös bezeichnet werden muss. Unübersehbar ist, dass es eineDauerkrise des Kapitalismusgibt, verstärkt durch Öko- und KlimaKrisen, zunehmende soziale Spannungen und Konflikte, globale Fluchtbewegungen mit bedrohlichen Ausmaßen usw.91Ebenso wie die Tatsache, dass den US-amerikanischen und europäischen Herrschaftsansprüchen und -ambitionen inzwischen Einhalt geboten wird, z.B. durch China und neue Widerstandsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt. China ist zwar nicht im Kern christlich geprägt, aber ohne bestimmte abendländische Errungenschaften - wie z.B. den Marxismus-Leninismus in Verbindung mit umfangreichen westlichen Technologien und kontrollierter Marktwirtschaft - wären die Beseitigung der Massenarmut und der neue Wohlstand kaum möglich gewesen. (Wenn auch politisch um den Preis eines forcierten Autoritarismus in einem durch Künstliche Intelligenz gestützten Überwachungsstaat.) - Denkbar sind jedenfalls sogarneue Kompromiss-Modelle einer demokratisch-sozialistischen Marktwirtschaft bis hin zum Demokratischen Öko-Sozialismus(s.u.).
Zu 2.:Dialektik. Diese ist - auch schon bei Hegel - vornehmlich eine Methode des Denkens, der Analyse und des Erkennens. Eine „Dialektik der Natur“ bzw. „Realdialektik“ kann dagegen nicht mehr als allgemein-gültig postuliert werden. Dass es in der Natur nicht einfach „dialektisch“ zugeht, steht spätestens seit den revolutionären Entdeckungen Einsteins und Heisenbergs fest. Wo Relativität und Unschärferelation zu Grunde liegen, kann nicht mehr einfach ein Lehr-gebäude der Dialektik Anwendung finden. Allenfalls kann jeweils geprüft werden, ob ein bestimmter Naturvorgang dialektisch analysierbar ist. Zumal die Dialektik alsDenkmethodeimmer noch vielfältige Möglichkeiten bietet. Wer einen Sachverhalt klären, verstehen und erklären will, muss möglichst umfassend recherchieren, möglichst alle wesentlichen Aspekte, Faktoren undZusammenhängeberücksichtigen. Man muss über genügend (spezielles) Wissen verfügen, um zwischen (wahrscheinlich) Richtig und Falsch, Akzeptablem und Nicht-Akzep-tablem unterscheiden zu können. Wobei die Analyse allein - so wesentlich sie ist - nicht aus-reicht. Denn: Auch Vor- und Nachteile, Vor- und Rückseiten der „Medaillen“ müssen begut-achtet werden. Was auch mögliche Auswirkungen und Konsequenzen bestimmter Erkenntnis-se betrifft. Positives und Negatives sind abzuwägen, ohne dabei die wesentlichen Vorzüge der Dialektik preiszugeben, wie sie z.B. in den hegelschen Triaden a) Position - Negation - Negation der Negation und b) These - Antithese - Synthese zum Tragen kommen.
Ein Beispiel: In einer politischen Versammlung wird über Vor- und Nachteile der Demokratie diskutiert. Redner(in) A fordert, sie müsse auf jeden Fall in der bestehenden Form erhalten bleiben. Redner(in) B erwidert: „Nein, im Gegenteil, mal muss damit Schluss sein!“ Darauf-hin Redner(in) C: „Nein, nein, oh no, no! Weder noch! Was wir schaffen müssen, ist die Rundum-Erneuerung, das Aggiornamento der Demokratie!“ - Offensichtlich heben sich die Argumente von A und B in denen von C auf. Die Demokratie soll erhalten bleiben, aber nicht in ihrer bestehenden Form, sondern in ganz neuem Gewand. Was ein Beispiel dafür zu sein scheint, dass Antithese und Synthese in vielen Fällen die besseren, eher angemessenen Begriffe sind als Negation und Negation der Negation. Was sich der Form nach völlig verändert, muss nicht zwangsläufig inhaltlich auseinanderfallen. Demokratie bedeutet in der Substanz: Selbst-bestimmung des Volkes - und diese muss erhalten bzw. immer wieder - auch in gänzlich neuen Formen - erkämpft werden.
Zu 3.:Bewusstseins-Philosophie
Hierzu habe ich festgestellt:
Die oft übersehene Grundlage: Hegels Bestimmung des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes
Übersehen wird oft die Tatsache, dass Hegel die genannte Bestimmung durch seinekritische Auseinandersetzung mit Kantgewonnen hat. In seinerPhänomenologie des Geistes(2. Fassung in derEnzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, §§ 413 ff.) schreibt Hegel:
Über Bewusstsein und Selbstbewusstsein:
„Die Wahrheit des Bewußtseins ist das Selbstbewußtsein und dieses der Grund von jenem, so daß in der Existenz alles Bewußtsein eines anderen Gegenstandes Selbstbewußtsein ist; ich weiß von dem Gegenstände als dem meinigen (er ist meine Vorstellung), ich weiß daher darin von mir. - Der Ausdruck vom Selbstbewußtsein ist Ich = Ich; ... “ (§ 424)
Über das „anerkennende Selbstbewußtsein“:
„Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein zunächst unmittelbar als ein Anderes für ein Anderes. Ich schaue in ihm als Ich mich selbst an, aber auch darin ein unmittelbar daseiendes, als Ich absolut gegen mich selbständiges anderes Objekt. . Dieser Widerspruch gibt den Trieb, sich als freies Selbst zu zeigen und für den Anderen als solches da zu sein, - den Prozeß des Anerkennens.“ (§ 430)
Über Bewusstsein und Selbstbewusstsein als Übergangsstufen zur Vernunft:
„Diese Einheit des Bewußtseins und des Selbstbewußtseins enthält zunächst die Einzelnen als ineinander scheinende. Aber ihr Unterschied ist in dieser Identität die ganz unbestimmte Verschiedenheit oder vielmehr ein Unterschied, der keiner ist. Ihre Wahrheit ist daher die an und für sich seiende Allgemeinheit und Objektivität des Selbstbewußtseins, - die Vernunft.“ (§ 437)
Die Kehrseite: das unglückliche Bewusstsein
In scharfem Kontrast zu seinen Bestimmungen des Bewusstseins präsentiert Hegel die Kehr-seite der Medaille: „das unglückliche Bewusstsein“, das sich gegen eine Welt stellt, die es zugleich als „unwandelbar“ akzeptiert.92„Der Stoizismus nimmt hin und versucht das eigene Begehren zu vergessen. Der Skeptizismus negiert alles und versucht sich Erleichterung im Nichtverstehen zu verschaffen. Beide Formen erschöpfen sich in einer Symptombekämpfung. Weder vermag der Stoizismus das Begehren dauerhaft zu überwinden, noch der Skeptizismus dauerhaft der Illusion, nichts zu verstehen, zu unterliegen. Sie pendeln und wechseln sich ab, und dieses Pendeln, als Einheit reflektiert, führt zum Begriff des unglücklichen Bewusstseins, das seine Einheit als Wechselbewegung erkennt und ein stabiles, statisches Gleichgewicht in einer sich dauerhaft verändernden Welt ersehnt.“ (Carmele a.a.O. ebd.)
Woraus unmittelbar „die Notwendigkeit des Scheiterns folgt“ (ebd.) Wie Hegel erklärt, denkt und handelt das unglückliche Bewusstsein „nicht mit Blick auf das mannigfaltige Leben, sondern unter Berücksichtigung des Leblosen, Statischen, eines erwarteten Jenseits und Grabes der eigenen Bemühungen“:
„Dem Bewußtsein kann daher nur das Grab seines Lebens zur Gegenwart kommen.
Aber weil dies selbst eine Wirklichkeit und es gegen die Natur dieser ist, einen dauernden Besitz zu gewähren, so ist auch diese Gegenwart des Grabes nur der Kampf eines Bemühens, der verloren werden muß.“ (Hegel ebd.)
Das unglückliche Bewusstsein „bleibt in einer Sisyphusarbeit gefangen. Es vergisst die Fallen, in die es bereits getappt ist, und fällt immer wieder erneut auf sie herein. Es vergisst die Versuche, die unerfolgreich geblieben sind, und vermag deshalb nicht aus dem Teufelskreis auszubrechen.“ (Carmele a.a.O. S. 6)
Allerdings: „Das unglückliche Bewusstsein bleibt nur solange unglücklich, wie es sich und seine eigenen Handlungen und Entscheidungen vergisst. Von Schicksal und Notwendigkeit keine Spur und wenn, dann nur im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung aufgrund einer sich selbst auferlegten Unaufrichtigkeit oder eines mnemonischen Unvermögens.Die letztliche Auflösung des Konfliktes besteht im Bejahen eines dynamischen, sich wiederherstellenden, sich perpetuierenden Gleichgewichts durch die verschiedenen, erinnerten Momente hindurch.Genau dies gelingt dem Bewusstsein am Ende vonDie Phänomenologie des Geistes.“ (Carmele a.a.O. S. 7, Hervorhebungen im vorletzten Satz durch mich.)
Erfolge dieser Art kann das Bewusstsein erzielen, solange es nicht unglücklich wird, sondern gesund bleibt, und zwar im Einklang mit den von Hegel vorgelegten Bestimmungen (s.o.); in Kurzform:
1. Das Bewusstsein ist mit dem Selbst-Bewusstsein und folglich mit dem Person-Sein als Ganzem verbunden.
2. Es bezieht - anerkennend - die Personen der Anderen und damit die gesellschaftliche Dimension mit ein.
3. Es verbindet sich mit den höheren Stufen des Geistes und daher mit der Gesamtheit der dialektischen Subjekt-Objekt-Beziehungen.
Auf Maschinen bzw. KI-Roboter ist keine dieser Bestimmungen anwendbar. Roboter verfügen nicht über die Voraussetzungen für Bewusstsein. Dieses istbewusstes Sein, d.h. Bewusstsein als Selbst-Bewusstsein des Menschen, wobei das Selbst - mitNietzsche- weitgehend auch als derLeibdes Menschen aufgefasst werden kann. Auf der Grundlage der organischen Leiblichkeit verfügt der Mensch - im Unterschied zu jeder Maschine - über sinnliche Gewissheit, Wahrnehmung, Anschauung, Vorstellung, Verstand und Ich als Voraussetzungen für Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Verstehen, die sich erst in derAnerkennung des anderen Menschenin Vernunft und Geist voll entfalten können.
Kein Roboter ist ein Ich, keiner ein Subjekt. Denn es fehlen ihm (Selbst-)Bewusstsein, Vernunft und Geist, die sichin umfassenden, dialektischen Beziehungen zwischen Subjekt und Objektmanifestieren. Was man bei KI-Robotern als „Intelligenz“ bezeichnet, sind in Wahr-heit von Menschenhand erzeugte Programme, d.h. vorwiegend Sprach-Programme, die durch ihre schier unerschöpflich auftretendeQuantitätden Anschein erwecken, dem Menschen überlegen zu sein.93
Das Bewusstsein kann auch das Unbewusste beherrschen!
Wie schonBenjamin Libetin seinen Experimenten der 1980er Jahre herausgefunden hat, beeinflusst das Bewusstsein in hohem Maße auch das Unbewusste. Zu diesem erklärt Libet:
„Wir betrachten eine psychologische Funktion oder ein Ereignis als unbewusst, wenn die Person kein berichtbares Bewusstsein des Ereignisses hat.“94
DasTräumenrechnet Libet erstaunlicherweise zu den völligbewusstenProzessen, obwohl es dabei zu Verzerrungen kommen könne und die Träume „gewöhnlich nur schlecht oder überhaupt nicht erinnert“ würden (S. 124, ausnahmsweise mit deutlichem Seitenhieb aufFreud!). Im Übrigen handele es sich beim Ubw wahrscheinlich um „etwas Geistiges“, wobei durchaus auch„Repräsentationen der Erfahrung“Teile des Ubw seien.Woraus folgt, dass anscheinend sämtliche Gedächtnis-Systeme für das Verstehen des Ubw heranzuziehen sind! ...
Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild:
1. Libet erweitert die Einsicht in das Ubw durch seine Experimente, aus denen hervorgeht, dass in Entscheidungssituation das Ubw früher als das Bewusstsein in Aktion tritt. Nicht das Bewusstsein, sondern das Ubw leitet den Entscheidungsprozess ein.
2. Da auch sämtlicheErfahrungenins Ubw bzw. insGedächtniseingehen (können), finden im Ubw bereits Abwägungen, auch ethischer und lebenspraktischer Art, statt.
3. Das Ubw schlägt dem Bewusstsein jeweils Entscheidungs-Optionen vor.
4. Nicht der Determinismus, sondernder freie Wille des Bewusstseinsentscheidet über die vom Ubw vorbereiteten Optionen.
5. Die neuen Einsichten in das Ubw bestätigen weitgehend die ethischen und die (meisten) religiösen Auffassungen hinsichtlich der Willensfreiheit und der Verantwortung des Menschen für sein Tun und Lassen.
Zusatz.Zu beachten ist, dass es einenabsolut freien Willennicht geben kann, zumal die Willensfreiheit schon durch das je eigene Denken und Empfinden bedingt wird, wie Peter Bieri(1944-2023)nachgewiesen hat.Dies steht im Einklang mit der wissenschaftlich begründeten Bewusstseins-Philosophie, wobei allerdings auch die gesellschaftlich bedingten Einschrän-kungen der Willensfreiheit zu berücksichtigen sind. Selbst wenn es eines Tages gelingen sollte, das Marxsche ,Reich der Freiheit’ weltweit zu etablieren, würde die Konditionierung durch das eigene Denken wahrscheinlich fortbestehen (vgl. Bieri 2001). Und dies, obwohl zu bedenken ist, dass angeblich auch die Gedanken frei sind, so dass anzunehmen ist, dass Bewusstsein, Denken und Willensfreiheit zwar in wechselseitiger Abhängigkeit stehen, genau darin aber (relativ) frei sind. Insofern gibt es tatsächlich keine unbedingte, sondern eine bedingte Willensfreiheit. - Zudem erinnert Bieris Erkenntnis anHegels, danach vonEngelsübernommene Definition von Freiheit als „Einsicht in die Notwendigkeit“, eine eher unheimliche Vorstellung, gäbe es nicht auch die konkreten Freiheiten wovon, wodurch und wozu, und zwar auf Grund des Erkennens von Möglichkeiten. Es gilt, sowohl die Notwendigkeiten als auch die Möglichkeiten zu erkennen und demgemäß zu handeln.
Bestätigung, Verstärkung und Ergänzung durch die Ulmer Forschergruppe um Markus Kiefer (2015)
Wenn das Ubw in so hohem Maße vom Bw beeinflusst und sogar gesteuert wird, möchte man hierüber Genaueres erfahren. In einer Studie aus dem Jahr 2015 heißt es dazu:
„Unser Wille ist freier als gedacht
Sind wir Sklaven unseres Unbewussten und können nichts dagegen tun?
Hirnforscher sagen: Nein! Unser Bewusstsein kontrolliert unbewusste
Prozesse im Gehirn.Der Wille und die automatische Verarbeitung arbeiten Hand in Hand, nicht gegeneinander.Das hat eine Forschergruppe an der Universität Ulm herausgefunden.
<http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24954512>. ...
Unbewusste Prozesse, die im Widerspruch zu unseren Absichten stehen, werden weitgehend von unserem Bewusstsein blockiert."Unser Wille ist freier als gedacht", sagt Markus Kiefer, Wissenschaftler an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Ulm.
Seine Forschungsgruppe konnte mit Messungen der Hirnaktivität im Magnetresonanztomographen (MRT) zeigen, dass bewusste Vorsätze die Arbeit unserer automatischen Systeme im Gehirn steuern. Die Forscher wiesen erstmals nach, dass solche Vorsätze für eine gewisse Zeit Netzwerke von Bereichen im Gehirn etablieren, die den unbewussten Informationsfluss im Gehirn steuern. .
Seit den Arbeiten des Begründers der Psychoanalyse Sigmund Freud wurde unhinterfragt angenommen, dass unser Unbewusstes autonom und nicht vom Bewusstsein kontrollierbar ist. "Die Vorstellung des chaotischen und unkontrollierbaren Unbewussten prägt bis heute auch die akademische Psychologie und Kognitions-forschung. Dieses Dogma wurde in der Vergangenheit kaum kritisch hinterfragt", sagt Kiefer.
Die neuen Befunde widerlegen diese Lehrmeinung. Sie zeigen eindeutig, dassunser Bewusstsein zu den Absichten passende unbewusste Vorgänge in unserem Gehirn verstärkt, nicht passende dagegen abschwächt. Dadurch werde gewährleistet, dass unser bewusstes "Ich" Herr im Haus bleibt und nicht durch eine Vielzahl unbewusster Tendenzen beeinflusst wird, erklärt Kiefer: "Wir sind also keinesfalls Sklaven unseres Unbewussten, wie lange Zeit angenommen." ...
Die bewussten Absichten und Einstellungen entscheiden somit darüber, ob ein unbewusster Prozess in unserem Gehirn überhaupt ablaufen kann.“95
Diese Ergebnisse stimmen weitgehend mit denjenigen Libets überein (s.o.). Dass sie allerdings nicht für die epigenetischen und sonstigen unbewussten Körperfunktionen gelten können, liegt auf der Hand. Frappierend ist dennoch a) das hohe Ausmaß der Kontrolle durch das Bewusstsein, b) die Vielfalt der Kooperation zwischen Bw und Ubw. Ohne die weit gefassten Begriffe für beide Sphären wäre es nicht möglich, den genannten Befunden und Erkenntnissen gerecht zu werden. Mit erheblichen Folgen für die komplexen Fragen von Ethik, Lebensführung, Gesundheitsfürsorge, Psychohygiene usw.
Außerdem: Nicht zu bestreiten ist, dass die Kontrolle durch das Bewusstsein nicht immer gelingt. Man denke nur an die relativ häufigen Fälle von krankhaften Veränderungen, Ungeschicklichkeiten, Naturkatastrophen, Bosheit, Kriminalität und anderen angeborenen und/oder erworbenen Beeinträchtigungen. - Die Macht des Unbewussten ist - wie die des Bewussten - nicht zu überschätzen, aber auch nicht zu unterschätzen.Anscheinend aber müssen und können Balance und Maß individuell herausgefunden und hergestellt werden.- Auch wenn unklar sein mag, wo innerhalb einerKlassengesellschaftdie Grenzen des freien Willens liegen.96
Ausblick: von der Veränderungsethik zum Demokratischen Ökosozialismus
Wenn es einen im Unbewussten verankerten freien Willen gibt, der entscheiden kann und dies auch tut, stellt sich die Frage, auf Grund welchen Wissens bzw. welcher Gedächtnisinhalte der Wille hierzu in der Lage ist. Zumal ja stets die Aufgabe besteht, die Ansprüche des Ichs mit denen des Es und des Über-Ichs in Einklang zu bringen. Die Antwort liegt nahe: Es geht vor allem umOrientierung durch Ethik. Diese darf aber nicht statisch bzw. unkenntlich werden wie bei Hegel, und zwar schon deshalb nicht, weil Ethik die jeweils in einer Gesellschaft herrschende Moral zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren hat. Hierzu hat Ernst Bloch seineVeränderungsethikvorgelegt, und zwar nicht im Anschluss an Hegel, sondern vor allem an Kant und Marx.
Veränderungsethik
Darin verbindet Bloch problemlos seine Konzepte des Noch-Nicht-Bewussten und des Tag-traums. Diese soll dazu dienen,reale Freiheitzu erkämpfen, wozu er in seinenPolitischen Messungen(1977, S. 252) schreibt: „Einzig diese Veränderungs-Ethik hebt so die bloße Wandelgalerie der bisherigen Ethik-Geschichte auf.“ Wodurch nicht alle vorherige Ethik obsolet, sondernkritisch beerbbarwird, und zwar nicht zuletzt auch zu Gunsten konkreter politischer Praxis, wozu Bloch anmerkt: „Eine wirklich ermunternde Ethik kann so anfangen, gegen Entmenschung gerichtet, mit Theorie-Praxis hin zum Citoyen. Vermutet man mit Kant, die wahre Politik könne keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, so ist das richtig, aber nur, weil auch die wahre Moral in dieser unserer Zeit keinen Schritt tun kann, ohne Politik zu sein, revolutionäre.“ (ebd.) Was nicht bedeutet, dass Moral endgültig in Politik aufzugehen habe, denn: „Politik löst weder die Individualkonflikte unterhalb ihrer vollständig auf (etwa das >kommunistische Vergißmeinnicht< der Geschlechtsliebe) noch erläutert und erhellt sie das Wozu, das Summum bonum und gar das Dunkel des Todes.“ (a.a.O. S. 253). Auch und gerade in derVeränderungsethikverleiht erst die Moral der Einzelperson ihre Würde, und zwar sowohl in der Klassengesellschaft als auch in einem zukünftigen Reich der Freiheit einer Klassenlosen Gesellschaft: „Man stirbt nicht für ein durchorganisiertes Produktionsbudget; unsere Totalität ist keine nur politisch abmachbare, geschweige bloß ein Rat- und Lehrinhalt der Politik.Dem Kämpfer fürs Reich der Freiheit fällt die Sittlichkeit von selber zu, doch daß er ein Kämpfer sei, dies steht nicht in der kommunistischen Politik, sondern nur in der kommunistischen Moral geschrieben.“ (ebd. Hervorhebungen durch mich.)
Was den Kampf für das Reich der Freiheit beflügelt, ist nicht nur revolutionäres Bewusstsein, sondern auch „Glaube, Liebe, Hoffnung in der Beziehung der Menschen“, dies sogar als „das letzte moralische Agens der Revolution“! (ebd.)
Wenn Bloch vonVeränderungspricht, meint er das Heranrücken an die „Wahrheit des Sozialen“ = Sozialismus, an Marxens Reich der Freiheit bzw. „die Verwirklichung der sozialen Utopie als Vorbedingung zur Realisierung des metaphysisch höchsten Gutes“ (H.-E. Schiller), und damit ein Desiderat, das auch im 21. Jahrhundert nichts von seiner brisanten Aktualität verloren hat.
Wie aber soll die Veränderung möglich sein? Zweifellos nicht ohne konkrete Analysen der konkreten Situationen, mit denen wir heute - eminent spürbar - nicht nur durch den globalen Kapitalismus, sondern, in dessen Gefolge, immer mehr auch durch dieschleichende ÖkoKatastrophekonfrontiert sind. Da türmen sich Probleme - nicht zuletzt auch psychologischer bzw. „seelsorgerischer“ Art - auf, die ohne philosophische Orientierung anscheinend nicht zu bewältigen sind.
Blochs Ethik hilft auch hier weiter. Für ihn gibt es keine Moral ohne Naturrecht, aber dieses reicht nicht aus, um jene zu begründen. Vielmehr geht Bloch davon aus, dass „große Moral“ dem Naturrecht sogar überlegen, „übergeordnet“ ist. Dabei handelt es sich allerdings um eineunvollendeteMoral, die auf die Utopie des Reichs der Freiheit verpflichtet bleibt und sich nur dortvollständigwird verwirklichen lassen. Und damit zugleich als sogar dem Naturrecht übergeordneter Maßstab dient, und zwar nicht nur für die Zukunft, sondern auch für jegliche Praxis im Hier und Jetzt. Dem entspricht die Tatsache, dass Blochgenuin ökologischdenkt und argumentiert; dies schon auf Grund seines Natur-Begriffs, wonach Natur zunächst als ,natura naturans‘, d.h. als schöpferische Macht und (mögliches) „Natursubjekt“ zu begreifen ist, als eine Macht, von derSchellingerklärt, sie sei „ihre eigene Gesetzgeberin“, die als solche keineswegs bloß naturwissenschaftlich, z.B. durch Atom- und Feldtheorien, adäquat zu verstehen ist.
In Anerkennung dieser Qualitäten entwickelt Bloch eine neueAllianztechnikmit der Natur, in der diese nicht mehr in kapitalistischer Manier rücksichtslos ausbeuterisch missbraucht, sondern alsmögliches (hypothetisches) Subjektgeachtet wird, wobei stets auch dasWiedes Umgangs mit den Naturschätzen, z.B. bei der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, kritisch zu überprüfen ist. Es geht um eine Allianztechnik, die zwar erst in einer klassenlosen Gesellschaft, d.h. nicht ohne „soziale Revolution“ voll zu verwirklichen sei; zuvor aber als Kompass und Leitstern jeglicher emanzipatorischer Praxis - und damit möglicherweise auch als Grundlage jeglicher
Öko-Ethik.97
Veränderungsethik? Gut und recht. Aber:Wasmuss denn verändert werden? Das zeigt sich von Tag zu Tag anders, mal mehr, mal weniger. In unserer Zeit leider nicht nur in der Fratze des globalisierten Kapitalismus, sondern auch in dem MonsterÖko-Krise, das zwar auch eine kapitalistische Fratze trägt, aber nicht nur diese. Auch und gerade in den sogenannten sozialistischen Ländern wirkte sich verfehlter Umgang mit Natur und Umwelt katastrophal aus. All dies macht das Desiderat einer Öko-Ethik zu einer Mammut-Aufgabe der besonderen Art.
Natur-, Tier- und Öko-Ethik lassen sich unmittelbar aus dem Eigenwert der Natur ableiten. Als Hauptkriterium für die Öko-Ethik nenntKlaus Sojkadie „Verträglichkeit mit der Lebenseinheit“ und erklärt dazu: „Das bedeutet: Die zur Pflicht erhobene Selbsterhaltung gebietet die Erhaltung der in Gemeinschaft mit dem Menschen lebenden Tiere jedweder Art und Beschaffenheit, ferner den Verzicht auf den Verbrauch vorhandener Stoffe, sofern er nicht unbedingt zur NotbedarfsDeckung erforderlich ist. Die vordergründigen Maßnahmen bewirken, Beeinträchtigungen von Lebewesen jedweder Erscheinungsform, insbesondere durch Quälerei, Verstümmelung oder Vernichtung abzuwenden, weil sie als Teil der Einheit und Schicksalsgemeinschaft Solidarität beanspruchen.“98- Jedermann muss sich fragen, ob sein/ihr Verhalten sich nützlich, schädlich oder neutral auf Natur und Umwelt auswirkt. Alles Schädliche muss vermieden werden.
Speziell in der Tier-Ethik ist seit langem umstritten die Frage, ob auch Tieren einPersonen-Statuszuerkannt werden sollte. Was unmöglich ist, wenn das Person-Sein als „der totale Umfang des Menschen“ (Mounier) definiert wird. Dagegen schlägt der kalifornische Ethik- und WirtschaftsforscherThomas Whitevor, Personen von Sachen folgendermaßen zu unterscheiden: Eine Person ist einWer?, eine Sache einWas?, so dass die Tiere, die ja keine Sachen sind, wahrscheinlich ausnahmslos als Personen zu bezeichnen wären. Eine Möglichkeit, auf die White jedoch nicht eingeht. Stattdessen entwirft er einen speziellen Katalog von Kriterien für ein Person-Sein, das Tieren und Menschen gleichermaßen zuzubilligen wäre. Demnach sind Personen gekennzeichnet durch Faktoren wie Leben, Bewusstsein, Wahrnehmung, Gefühle, „eine Vorstellung von sich selbst“, Kontrolle des eigenen Verhaltens, Anerkennung der anderen Personen, hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten (z.B. zur Lösung von Problemen), Gedächtnis und die Fähigkeit zur Kommunikation von Gedanken.99Diese Kriterien seien, so White, auf alle Menschen anwendbar, nicht jedoch auf alle Tiere, sondern nur auf Elefanten, „Wale und Delfine, Große Menschenaffen, Vögel, Reptilien und bei Bedarf sogar auf Außerirdische“ (wo es dann leider etwas unseriös wird ...). - Es stellt sich zu dieser Klassifizierung jedoch sofort die Frage, wo mit ihr die genauen Grenzen des Person-Seins im Tierreich zu ziehen wären. Zeigen nicht auch z.B. Ameisen, Bienen, Hunde, Katzen und Pferde Intelligenzleistungen und andere Fähigkeiten, die den genannten Kriterien in etwa entsprechen? Ein Dilemma, für dessen Lösung ich vorschlage,der gesamten außermenschlichen Welt und allen Menschenkindern im vorgeburt-lichen StadiumvorpersonaleEigenschaften zuzubilligen, wobei graduelle Unterschiede gemacht werden können.
Unter dieser Voraussetzung halte ich es für möglich, die Ethik der Person durch eine Ethik der Natur zu ergänzen, wofür ich eineNaturformel des Kategorischen Imperativsvorgeschlagen habe, in der die Tatsache berücksichtigt wird, dass im Umgang mit der Naturlegitime Interessenabwägungenerforderlich sein können. Es ist eine Formel, die nicht die noch im Gange befindlichen Diskussionen über (mögliche) Rechte der Natur, der Umwelt, der Tier- und Pflanzenwelt (Natur-, Öko-, Tierrechte) präjudizieren kann oder soll. Sie lautet:
Verhalte Dich so, dass Du die Natur in jeder Person und in jeder anderen Erscheinungsform stets als Zweck - und als Mittel nur zu ethisch begründbaren und moralisch vertretbaren Zwecken - behandelst.
Wenn nun zu klären ist, welche konkreten Rechte und Pflichten sich mit dieser neuen Formel begründen lassen, stellt sich die Frage nach der Legitimierung entsprechender gesetzgeberischer Maßnahmen. Was ist legitim? Rechtspositivistisch zweifellos das aktuelle geschriebene und gesprochene Recht. Und in Fällen staatlicher Willkür? Oder gar in Unrechtsstaaten? Da hilft zunächst wohl nur die naturrechtliche Anerkennung desEigenwerts der Naturund desSelbstzwecks der Person, die auch in Kants Zweckformel des Kategorischen Imperativs enthalten ist, wozu meineNaturformellediglich alsErgänzungdient.
Wenn mit Schelling die schöpferische Natur (,natura naturans’) als ihre „eigene Gesetzgeberin“ anzunehmen ist, gilt dies sowohl für die Natur im Menschen als auch für die außermenschliche Natur. „Was „legitim“ ist, muss ethisch und moralisch überprüft und begründet werden. Es sindallgemeine, naturrechtlich verankerte Grundrechte(wie z.B. die Menschenwürde, die Freiheit der Person, die Natur- und Umweltrechte), die jedem Öffentlichen Recht vorzuordnen sind.“100
Ethik der Verhaltenssteuerung
Verständlich und wissenschaftlich bestätigt wird nunmehr jedenfalls, warum Kant es für ausgeschlossen hielt, Ethik auf Neigungen gründen zu können. Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass die tief im Unterbewussten und Körperlichen verankerten Neigungen automatisch das Gute bewirken, für das wir normalerweise schon aus Gründen der Selbsterhaltung - spontan oder nach mehr oder weniger reiflicher Überlegung - uns zu entscheiden bereit sind. Wobei es natürlich nicht nur um uns selbst, um unser eigenes Person-Sein geht, sondern ebenso um dasjenige unserer Mitmenschen So dass hier nicht nur das „radikal Böse“, sondern auch die Frage nach dem PersonSein eine Rolle spielt. Es sind existenziell bedeutsame ethische Probleme, die Kant vor allem im Zusammenhang mit seinen Erörterungen des Kategorischen Imperativs behandelt hat, den ich allerdings zu einerlegitimen Forderungumformuliere - so dass der Kat. Imp. zwar weitgehend seine Gültigkeit behält, jedoch nicht als Pflicht- und Sollensethik mit Absolutheitsanspruch, sondern alspersonale Wertethik. Meinelegitime Forderunglautet:
Achte bei allem, was Du tust, darauf, Dich selbst und Deine Mit-Menschen als Rechtspersonen und Persönlichkeiten zu respektieren und möglichst stets das Sittengesetz zu befolgen.
„Möglichst“ deshalb, weil es Ausnahmesituationen gibt, wie z.B. die derNotwehr, in denen die Rechte der eigenen Person gegen existenzielle Bedrohungen und Rechtsbrüche jeder Art zu verteidigen sind.101
Demokratischer Ökosozialismus
Sich gegen den neoliberalen Turbo-Kapitalismus aufzulehnen, ist mit Ethik und Moral allein nicht möglich. Dazu bedarf es vielmehr politischer Gegenwehr mit langem Atem, zumal dann, wenn weder ein „revolutionäres Subjekt“ noch ein entsprechendes Klassen-Bewusstsein vorhanden ist. Dennoch brauchen die ethischen Forderungen davor nicht zu kapitulieren. Vielmehr sind sie in die antikapitalistischeVeränderungsethikaufzunehmen, wie sie Ernst Bloch konzipiert hat (s.o.). Eine solche Ethik kann und muss auch den reformerischen bis revolutionären Kampf stützen, getreu der Marxschen Devise, dass die Philosophie sich nicht verwirklichen kann, ohne sich „aufzuheben“.
Öko-Sozialismus - eine neue Synthese.Zum Sozialismus-Begriff.Ernst Bloch erklärt: „Die Wahrheit des Sozialen ist der Sozialismus“. Und er entwirft die VisionSubstanzziel Sozialismusals utopische Einheit von Substanz und Subjekt, d.h. alsEndsubstanz in unentfremdetem An- und Fürsichsein. Wobei kein Zweifel daran bestehen kann, dass dieses Ziel mit denjenigen übereinstimmt, die Marx und Bloch dem Kampf für den Sozialismus mit auf den Weg gegeben haben. Aber: 1. Gegen den geballten Widerstand des Großkapitals ist Sozialismus anscheinend nicht durchsetzbar. 2. Ohne die Mobilisierung breiter Kreise der Bevölkerung, insbesondere der Arbeiterschaft, kann ein sozialistisches Experiment nicht gelingen.
Öko-Sozialismus.In der„ökosozialistische Erklärung von Belem“(2009) wird eineumfassende ökosozialistische Revolutiongefordert, und zwarweltweit, so dass endlich auch „der am meisten unterdrückte Teil der menschlichen Gesellschaft, die Armen und die indigenen Völker“ der Dritten Welt, von Elend, Unterentwicklung und Ungerechtigkeit (z.B. durch ungleichen, unfairen Handel!) befreit werden könne. Im Zuge dieser Befreiung könne dann auch die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau, die „Geschlechtergleichheit“ als „integraler Bestandteil des Ökosozialismus“, überall auf der Welt gewährleistet werden. Es handele sich um ein Programm, für das die Mehrheit der Bevölkerung allenthalben zu gewinnen sei. Im Übrigen empfehlen die Autoren ihr Programm auch als Anleitung für dringend notwendigeReformen im Hier und Jetzt. Hunger, Not, Elend, Natur- und Umweltzerstörung dulden keinen Aufschub mehr. Abhilfe muss unverzüglich geschaffen werden, wo immer es möglich ist.
Digitaler Sozialismus.Computer und „soziale Medien“ allein können die Probleme der Gesellschaft nicht lösen, zumal die Komplexität der menschlichen Person - auch und gerade als eines Gemeinschaftswesens - sich dem bloß quantifizierenden und rubrizierend-einordnenden Zugriff von Rechnern entzieht. Erforderlich sind jedenfallsgesetzlich geregelte Digitalisierung und ebenso kontrollierte Künstliche Intelligenz. (Näheres hierzu u.a. bei: Peter Bezler:Echte Demokratie durch KI, in: https://übermorgen.org, 2022.)
Sozialistische Planung.Computer und Internet eröffnen dem Sozialismus ganz neue Möglichkeiten. Makroökonomie, aber auch Detailprobleme wie die der Arbeitszeiten, sind plötzlich in ungeahnter Schnelligkeit berechenbar.
Direkte Demokratiewürde bedeuten: Der durch Arbeit Werte Schaffende selbst wäre endlich Herr im eigenen Haus, und zwar durch die Gewährung positiver Rechte, von denen die AutorenCockshottundCottrellim Jahre 1993 als wichtigste nennen: „(1) Das Recht, ihren Lebens-unterhalt zu verdienen, (2) Das Recht, den vollen Wert ihrer Arbeit zu erhalten und (3) Das Recht, über den Wert ihrer Arbeit nach eigenem Wunsch frei zu verfügen.“ Das wären neuartige Eigentumsrechte, und zugleich das Ende von Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Entfremdung und Fremdbestimmung.
Insgesamt: eine wunderschöne neue Welt der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Aber:Wie soll sie erreicht, wie geschaffen, wie durchgesetzt werden?Und warum sind wir ihr seit dem Erscheinen der Vorschläge von Cockshott und Cottrell im Jahre 1993 fast keinen Schritt näher gekommen? - Hätte nicht das Scheitern sowohl der sowjetischen als auch der französischen (pseudo-)sozialistischen Experimente (1983 bzw. 1989 ff.) Autoren wie Sarkar, Kern, und Cockshott, Cottrell zu ganz anderen Schlussfolgerungen veranlassen müssen?
Marktsozialismuskönnte wahrscheinlich nur dann möglich werden, wenn die Marktwirtschaft - auch mittels gesetzlich geregelter Digitalisierung und ebenso kontrollierter Künstlicher Intelligenz - gesamtgesellschaftlicher Kontrolle unterworfen wird, makro- und mikroökono-misch durch kompetente Steuerungs-Behörden möglichst auf allen Ebenen, von der Arbeiter-Kontrolle in den Betrieben über lokale und nationale Einrichtungen bis hin zu internationalen Gremien, auch z.B. durch entsprechende Neuerungen in der UNO. Kapitalistische Marktwirt-schaft müsste somit zu einem neuen Marktsozialismus transformiert werden, wozu neben politischer Macht die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung erforderlich ist. Um einenfriedlichen, gewaltfreien Übergang zum Sozialismusangesichts der gegenwärtigen Weltlage wenigstens denkbar zu machen, muss ein neuer Marktsozialismus mit einer demokratischen Verfassung des Gemeinwesens vereinbar sein.
Nah- und Fernziele eines Demokratischen Öko-Sozialismus:Und wie kann ein Demokratischer Öko-Sozialismus Wirklichkeit werden? Zur Teleo-Logik des Sozialismus in Übergangsgesellschaften.Wenn die Wahrheit des Sozialen der Sozialismus ist, bedarf es sowohl einer Wahrheitstheorie als auch einer Theorie des Sozialen. Wenn das Soziale im Sozialismus zu voller Wahrheit aufblühen soll, muss es selbst als Ausgangsbasis der Umgestaltung dienen, so dass zunächst bei den bestehenden sozialen Errungenschaften, speziell des Sozialstaats, anzuknüpfen ist.
Zur konkreten Analyse der konkreten Situation.Unumgänglich ist es, sich über das bereits vorhandene Soziale einen möglichst klaren Überblick zu verschaffen. - Aufklärende Agitation und Propaganda, ,Agitprop‘ im besten und weitesten Sinne des Begriffs, sind vonnöten, um, möglichst über alle Partei- und Gesinnungsgrenzen hinweg, der gesamt-gesellschaftlichen Emanzipation, dem Vorschein desReichs der Freiheit, näher zu kommen.
Oscar Wilde verwirklicht den Sozialismus in der Kunst.Im Kunstwerk sieht Wilde bedeutsame Aspekte von Materialität und Personalität vereinigt. Für den künstlerischen Ausdruck gebe es keine Grenzen und keine „Dekadenz“. Künstler*innen vertragen keinerlei politischen Zwang, keinerlei „autoritäre Gewalt“ über sich: „Die Regierungsform, die für den Künstler am geeignetsten ist, ist: überhaupt keine Regierung.“- Und genau dies entspricht wohl dem, was Karl Marx unter demReich der Freiheitund derfreien Assoziation freier Individuenverstand.102
Insofern kann das oben vorgetragene Konzept einesDemokratischen Ökosozialismusdurchaus auch im Sinne des Hegelschen Begriffs,Versohnung‘interpretiert werden (s.o. S. 33 f.). Ver-söhnt werden sollen nicht nur die gesellschaftlichen Gegensätze und Konflikte, sondern auch die furchtbaren Entzweiungen, die durch die chaotische Verschlechterung der internationalen Beziehungen gegenwärtig zu beklagen sind. Welche anderen Möglichkeiten der Völkerverständigung und -Versöhnung könnte es geben? Jedenfalls kann das Konzept des Demokratischen Ökosozialismus alsKompromissund zugleich als Voraussetzung und Kompass für ein notwendiges Durchgangsstadium zum Reich der Freiheit gelten.
Literaturhinweise
Angehrn, Emil:Das Denken der Geschichte. Hegels Theorie des Geistes zwischen Geschichtsphilosophie und Philosophiegeschichte, in: https://edoc.unibas.ch/34949/3/20150803112504_55bf33700cce1.pdf
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Studie:Unser Wille ist freier als gedacht(2015), 2000011387060/studie-unser-wille.
Personen-Register
Adam25, 46
Adorno63, 66-74, 137-141, 162, 182 f.
Allroggen106, 153, 182
Angehrn104 f., 182
Apollo37
Aristoteles23, 26
Barth47
Baumgarten117
Bertram82, 182
Bezler180
Bieri171 f., 182
Bloch14-22, 24, 26-38, 41, 43, 46-48, 50, 52-54, 80 f., 83, 85, 89, 92, 102 f., 108, 115, 134, 145-147, 150, 152 f., 156, 159 f., 163-166, 174 f., 179, 182
Borzeszkowski 97
Brecht89, 118, 147, 157, 162
Brensing 177
Broch118,157
Brucker107
Carmele169 f., 182
Changeux141, 162, 182
Christus97
Cockshott180 f.
Cottrell180 f.
Dante41
Danz132
Decker138, 140, 182
Descartes 15, 166
Dostojewski 49
Engels89, 101, 147, 156, 172, 183
Epikuros107
Eva25
Fehige126
Feuerbach47, 54, 57 f., 85, 100, 119-123, 133, 146, 152, 158 f., 161 f., 164, 168
Fichte7, 72, 82
Franco136
Franz132
Freud166, 171, 173
Fries52, 107
Gide118, 157
Gloy61, 63, 136, 182
Gmainer-Pranzl64 f., 182
Goethe43, 117
Grimmlinger95
Habermas64
Haeckel63 f.
Hannibal53
Hartmann, E. von54
Hartmann, K. 145
Hegelpassim
Heiler118
Herakleitos107
Hermanni132
Hieronymus Bosch37
Hitler136
Hölderlin36
Hume23
Jaspers67, 183
Jung166
Kalle89
Kant7-9, 12, 23, 52, 68, 71 f., 75, 82 f., 96, 127-132, 135, 139 f., 143, 165 f., 168, 174, 178, 183
Kiefer172 f.
Kiel87, 183
Kierkegaard54, 70
Klee118, 157
Klenner155 f., 183
Lenin89, 101, 136, 156, 162, 165 f., 183
Lensing 57
Libet170 f., 173, 183
Lowith171 f.
Lotze54
Lucas118
Luther47
Macbeth47
Mann, Th.118, 157
Marcuse, H.160 f., 166
Maritain47
Marx4, 30, 54, 64, 70, 75-81, 84 f., 99-101, 103, 108, 113, 118 f., 122-124, 133, 135-137, 143-146, 151 f., 154-156, 158-161, 163-166, 171, 173-175, 179, 182, 183 f.
Meggle 126
Mussolini 136
Musil118, 157
Napoleon64
Newton96 f.
Nicolas67, 183
Nietzsche54, 58 f., 61-63, 75, 77, 121 f., 134-136, 151, 161, 166, 170, 182
Novalis 37
Odysseus 116, 157
Oelmüller44, 116, 121, 156, 164 f., 183
Origines47
Othello42
Paulus49
Phoebus150
Picasso118, 157
Platon13, 21, 37, 64, 85, 95, 136, 183
Plotin 37
Popper54, 63-66, 125-127, 136-138, 153 f., 160 f., 163, 182 f.
Post58, 183
Preisendanz118
Proteus150
Raffael37
Robra1, 7, 135, 142, 171, 176, 178 f., 182-184
Rosenkranz37
Rossini39
Rousseau15, 166
Ruge117
Sarkar181
Schelling7, 46, 54-56, 82, 90, 132, 150, 175, 178, 184
Schiller, F.43, 116
Schiller, H.-E.175
Schlegel39, 52
Schlemm55 f., 184
Schmieder121, 158f., 165
Schnädelbach63, 74 f., 142 f., 162
Schopenhauer38, 54 f., 75, 132 f., 143, 162, 166
Schulz103 f., 115, 123 f., 133, 159, 184
Sartre89, 147
Shaftesbury 15
Shakespeare 42
Sill55, 58, 63, 74, 132 f., 137, 142 f., 164, 184
Sojka176 f.
Spaemann55
Spahn94
Spinoza15
Stalin136
Stirner120, 163 f.
Strawinsky118, 157
Thales107
Theunissen70
Thom, M.119 f., 158, 165
Thomas von Aquin23, 47
Trawny119
Trendelenburg58 f., 133 f.
Valéry118, 157
Virchow107
Vischer117
Wahsner96-99, 149
Weischedel55
White176 f.
Wilde181
Wimmer106, 164
Zarathustra60 f.
Ziffel89
[...]
1Hegel 1970 (1807), S. 14
2aus:Meyers Enzyklopädisches Lexikon,Band 23 (1978)
3aus: G. Schischkoff:Philosophisches Wörterbuch, Stuttgart 1961 Vgl. Hegel:Grundlinien der Philosophie des Rechts(1820), Hamburg 1995, S. XXI f.
4Aus: ,Wissen und Kritik’:Kommentar zur Rechtsphilosophie, in:
5www.wissenundkritik.de > wp-content > uploads
6Hegel:Enzyklopädie...,§ 204
7Ebd.
8Hegel,Enzyklopädie.... ,Dritter Teil,Frankfurt a.M. 1970, S. 211, 286
9A.a.O. S. 287
10Hegel:Die Vernunft in der Geschichte, Hamburg 1955, S. 78
11Hegel:Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede(1821), Frankfurt a.M. 1979, S. 23
12Hegel:Wissenschaft der Logik, Frankfurt a.M. 1986, S. 443
13Ebd. S. 444
14Ebd. S. 444 f.
15Ebd. S. 453
16Ebd.
17Ebd.
18Ebd. S. 454 f.
19Vgl. Hegel:Die Vernunft in der Geschichte, Hamburg 1955, S. 44-48, 77 f., 123 ff.
20A.a.O. S. 47
21Ebd. S. 32 f.
22Hegel.Enzyklopädie..., § 209, Zusatz
23Hegel:Die Vernunft in der Geschichte, a.a.O. S.100
24Ebd. S. 29
25Ebd.
26A.a.O. S. 26
27A.a.O. S. 109
28A.a.O. S. 264
29Vgl. Robra 2015, S. 400 ff.
30Bloch 1962, S. 11
31Hegel:Religionsphilosophie - Das Reich des Sohnes,in: https://hegel-system.de/de/abs-rel-2.htm
32Hegel 1967, S. 187
34In: texte-splitter.com/html/die_notwendigkeit_html
35HEGEL, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), Vorrede (Werke, Bd. 8 [Berlin 1833] § 324).
36Hegel, in: https://hegel-system.de/de/recht1.htm
37In: philosophisches-jahrbuch.de > wp-content > uploads
38Hegel 1970 a) S. 415
39s. Literaturhinweise!
40Schlemm, Annette 1996:Schelling und Hegel, in: www.thur.de > philo > as223
41Lensing, D. J., in: https://dajolens.de/blog/feuerbachs-projektionstheorie
42Feuerbach, in: Post 1969, S. 93
43Feuerbach, in: Post a.a.O. S. 94 f.
44Karen Gloy:Nietzsches Theorie des Willens zur Macht als Kritik an der traditionellen Vernunftherrschaft, in: philosophisches-jahrbuch.de > wp-content > uploads
45Popper 1992, Band II, S. 35
46Popper, in: Gmainer-Pranzl 2020, S. 5
47Popper a.a.O. Bd. II, S. 37
48Popper, in Gmainer-Pranzl a.a.O. S. 6
49Popper a.a.O. Bd. II, S. 40 f.
50In: http://www.glanzundelend.de/auswahl/adorno.htm
51In: https://edoc.unibas.ch/35918/4/Sommer_Differenz_Deckblatt.pdf
52Marx 1964, S. 269 f.
53Marx 1962, S. 646
54In: www.reclam.de > data > media
55Diese wurden allerdings nicht schon von Hegel, sondern erst von dem NeurowissenschaftlerJean-Pierre Changeux(1983) analysiert.
56A. Kiel, in: kielkonstanz.de > text > (s. Literaturhinweise!)
57A. Kiel, in: kielkonstanz.de > text > (s. Literaturhinweise!)
58In: http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/2343/1/NPhil.pdf
59In: www.thur.de > philo > hegel
60Lenin 1959, S. 13
61Robra 2015, S. 404 f.
62In: https://edoc.unibas.ch/34949/3/20150803112504_55bf33700cce1.pdf
63In: https://www.dw.com/de/hegel-weltgeist/a-54688328
64In: homepage.univie.ac.at > franz > skriptphhhegel
66Marx, https://www.philosophie.uniwuppertal.de/fileadmin/philosophie/PDFs allg/Seminarmaterialien/Trawny/ Marx.pdf
67In: www.max-stirner-archiv-leipzig.de > dokumente > ThomVergleichHegel
68In: https://rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Feuerbach.pdf
69In: philosophisches-jahrbuch.de > wp-content > uploads
70Popper in: Ch. Fehige, G. Meggle u. U. Wessels (Hrsg.):Der Sinn des Lebens, München 2000, S. 166
71Popper in: Fehige a.a.O. S. 168
72Popper in: Fehige a.a.O. S. 169
73Vgl. Hegel:Wissenschaft der Logik, a.a.O. S. 461 ff.
74Vgl. Robra 2015, S. 406-410
75Hegel 1979, § 135
76Kant 1965, S. 52
77a.a.O. S. 58
78Vgl. Robra o.J. (2020), S. 4 f.
79In: Albert Franz:Schellings Philosophie der Offenbarung und die Theologie, philosophisches-jahrbuch.de>wp-content>uploads; ferner auch: Friedrich Hermanni:Hegel als Episode? Die Bedeutung Hegels für die Entwicklung der Spätphilosophie Schellings, ub01.uni-tuebingen.de > xmlui > bitstream, sowie: Christian Danz:Der Gedanke des trinitarischen Gottes als bestimmter Begriff der Freiheit bei Schelling, www.tabularasamagazin.de > der-gedanke-des-trinitarischen
80s. auch K. Robra:Mit Leib, Seele und Information. Ein Vorschlag zur Lösung des Leib-Seele-Problems, München 2019, https://www.grin.com/document/461010
81In: K. Robra:Ethik der Verhaltenssteuerung. Eine Neubegründung, München o.J., https://www.grin.com/document/923015, S. 134 f. Darin auch Näheres zu Nietzsches Begriff „Redlichkeit“ und seiner „Ethik der Stärke“ (S. 135 f.). S. auch die Stellungnahme vonKaren Gloy, s.o. S. 58 f.
82Peter Decker (1982):DIE METHODOLOGIE KRITISCHER SINNSUCHE. Systembildende Konzeptionen Adornos im Lichte der philosophischen Tradition,in: http://www.destruktivekritik.gegeninformation.net/Texte: DIE_METHODOLOGIE_KRITISCHER_SINNSUCHE
83Changeux 1984, S. 173
84Vgl. Robra 2017, S. 86 f.
85Vgl. Hartmann, Klaus:Die Marxsche Theorie, Berlin 1970, S. 123
86Vgl. Schelling 1975, S. 643 ff.
87Vgl. Robra 2024, S. 60 f.
88H. Klenner 1998, S. 91; auch in: Robra o.J (2021), S 43 f., mit weiteren Hinweisen zu Marx und Lenin.
89Bloch 1959, S. 242, 247, 249
90Hierzu: Klenner 1998, S. 91, s.o. S. 147 f.
91Hierzu auch: Robra 2024 b), S. 62 ff.
92Vgl. Carmele 2022, S. 5
93Näheres und Weiteres hierzu findet sich in meiner StudieKünstliche Intelligenz und die Zukunft der Menschheit - Möglichkeiten und Gefahren, München, GRIN-Verlag 2023, https://www.grin.com/document/ 1383067.
94Libet 2005, S. 124
95Studie: Unser Wille ist freier als gedacht(2015), S. 1, Hervorhebungen KR.
96Vgl. Robra 2024 a), S. 22-29
97Vgl. Robra o.J. (2020), S. 175-177
98Klaus Sojka:Öko-Ethik, Göttingen 1987, S. 59
99Vgl. Karsten Brensing: Persönlichkeitsrechte für Tiere, Freiburg 2013, S. 198 f.
100Vgl. Robra 2015, S. 518, s. auch Robra 2017, S. 133-143
101Vgl. Robra o..J. (2020), S. 305 f.
102Vgl. Robra o.J. (2020), S. 348-350
- Quote paper
- Klaus Robra (Author), Hegels System. Welterklärung oder Mystifikation?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1490033
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