Statistisch gesehen ist Japan eines der sichersten Länder der Welt. Es existieren unterschiedliche Ansätze, um die Ursache der niedrigen Kriminalitätsrate Japans zu erklären. Einer dieser Erklärungsansätze greift auf eine soziokulturelle Perspektive zurück. Er sieht Besonderheiten in der japanischen Mentalität und in den traditionellen gesellschaftlichen Strukturen als wesentliches Einflussmoment auf deviantes Verhalten in Japan.
In dieser Arbeit werden die Argumentationsschritte dieser weit verbreiteten, wohl aber umstrittenen Betrachtungsweise näher erläutert. Es wird auf die japanische Gruppenmentalität und die Rolle des Individuums eingegangen, welche gemäss der hier umschriebenen Theorie eine Abhängigkeit des Individuums von der Gruppe begründet. Die Gruppen in Japan nehmen die Funktion einer sozialen Verhaltenskontrolle ein, welche als traditionelles Regelungssystem vor dem Gesetz Einfluss auf kriminelles Verhalten ausüben.
Da nicht nur Devianz, sondern auch Rechtsempfinden und die Effizienz von psychologischen Sanktionen in Japan durch die Bedeutsamkeit der Gruppen gesteuert werden, stehen das Strafgesetz sowie staatliche Instrumente und Institutionen in der Wahrnehmung der japanischen Bürger erst an zweiter Stelle.
Ob der soziokulturelle Erklärungsansatz allerdings ein realitätsgetreues und kriminalitätsrelevantes Bild einer japanischen Lebensausrichtung zeichnen kann, wird von Wissenschaftlern beharrlich in Frage gestellt.
Inhalt
Einleitung
1. Strukturelle Verhaltenskontrolle durch Gruppenorganisation
1.1 Die japanische Gruppenmentalität
1.2 Entwicklung und Manifestation der Gruppen
1.3 Gruppen als Sozialkontrolle und erste Instanz
2. Individuelle Devianz in der japanischen Gesellschaft
2.1 Auftreten kriminellen Verhaltens in Japan
2.2 Japanspezifisches Motivationsphänomen für deviantes Verhalten
2.3 Mentale Revolution unter Jugendlichen
3. Japanisches Rechtsempfinden
3.1 Das japanische Rechtsbewusstsein (ho-ishiki)
3.2 Straffunktion der Scham (haji)
3.3 Scheu vor dem Gerichtsverfahren (kô han)
4. Merkmale des japanischen Strafrechts (keiji hô)
4.1 Das Strafgesetzbuch (kei hô)
4.2 Das Strafverfahren (keiji tetsuzuki)
4.3 Die staatlichen Sanktionen (sei sai)
Schlussbemerkung
Quellenverzeichnis
Einleitung
Statistisch gesehen ist Japan eines der sichersten Länder der Welt. Es existieren unterschiedliche Ansätze, um die Ursache der niedrigen Kriminalitätsrate Japans zu erklären. Einer dieser Erklärungsansätze greift auf eine soziokulturelle Perspektive zurück. Er sieht Besonderheiten in der japanischen Mentalität und in den traditionellen gesellschaftlichen Strukturen als wesentliches Einflussmoment auf deviantes Verhalten in Japan.
In dieser Arbeit werden die Argumentationsschritte dieser weit verbreiteten, wohl aber umstrittenen Betrachtungsweise näher erläutert. Es wird auf die japanische Gruppenmentalität und die Rolle des Individuums eingegangen, welche gemäss der hier umschriebenen Theorie eine Abhängigkeit des Individuums von der Gruppe begründet. Die Gruppen in Japan nehmen die Funktion einer sozialen Verhaltenskontrolle ein, welche als traditionelles Regelungssystem vor dem Gesetz Einfluss auf kriminelles Verhalten ausüben.
Da nicht nur Devianz, sondern auch Rechtsempfinden und die Effizienz von psychologischen Sanktionen in Japan durch die Bedeutsamkeit der Gruppen gesteuert werden, stehen das Strafgesetz sowie staatliche Instrumente und Institutionen in der Wahrnehmung der japanischen Bürger erst an zweiter Stelle.
Ob der soziokulturelle Erklärungsansatz allerdings ein realitätsgetreues und kriminalitätsrelevantes Bild einer japanischen Lebensausrichtung zeichnen kann, wird von Wissenschaftlern beharrlich in Frage gestellt.
1. Strukturelle Verhaltenskontrolle durch Gruppenorganisation
Um die Entstehung von Kriminalität und ihren gesellschaftlichen Umgang nachvollziehen zu können, bedarf es nach den hier dargestellten Anschauungen des Verständnisses der japanischen Mentalität. Diese entwickelt sich bereits ab dem Kindesalter innerhalb sozialer Strukturen und moralischer Werte, welche sich von den westeuropäischen Empfindungen in grundlegender Weise unterscheiden.
1.1 Die japanische Gruppenmentalität
In der westlichen Hemisphäre existiert auf dem beschwerlichen Pfad der Suche nach einem Lebenssinn die Theorie der individuellen Selbstverwirklichung innerhalb der Möglichkeitssphären des bestehenden Systems und unter eventueller Inkaufnahme der Missachtung des kollektiven Besten. In Japan hingegen hat sich laut Kühne und Miyazawa (1991) die konsequentialistische Theorie des Utilitarismus in Form eines Gruppenutilitarismus manifestiert. Nicht die Selbstverwirklichung ist das Ziel, sondern die Verfolgung des kollektiven Wohls auf Kosten der individuellen Autonomie (S. 63). Diese Selbstverkleinerung des einzelnen Menschen auf moralischer Ebene geschieht jedoch nicht für die japanische Bevölkerungsgesamtheit, sondern ausschliesslich für die Gruppen, welchen das betreffende Individuum angehört. Die moralische Verpflichtung des Individuums zu einem bestimmten Verhalten gegenüber seiner Gruppe wird in Japan giri, ‚der richtige Grund,’ genannt. Giri beruht auf dem Grundsatz der Reziprozität (Dean, 2002, S. 4), also einem gegenseitigen Sender-Empfänger-Prinzip.
Gemäss Kühne und Miyazawa definieren sich Japaner über und handeln für ihr in solche Gruppen untergliedertes, unmittelbares Umfeld (S. 61ff.). Für gewöhnlich gehört ein Japaner zwei oder drei solchen Gruppen an und richtet seinen Handlungsspielraum an den Anforderungen und zu Gunsten der Harmonie (wa) innerhalb dieser Gruppen aus (Rahn, 1990, S. 39f.). Kühne und Miyazawa postulieren, dass der Japaner danach strebt, sein „Ich“ (jibun) mit den Erwartungen der Gruppe in Übereinstimmung zu bringen, und dass er dabei nimmt in Kauf nimmt, zulasten seiner eigenen Persönlichkeitsentfaltung zu wirken (S. 63).
Der Einfluss der kontrollierenden Gruppe verstärkt sich durch die internen hierarchischen Strukturen, von denen das japanische Leben geprägt ist und an der sich die Entstehung von giri -Verpflichtungen ausrichtet.
1.2 Entwicklung und Manifestation der Gruppen
Nach Rahn (1990) ist die japanische Gruppenmentalität aus einer ökologischen und aus einer religiösen Komponente heraus entstanden. Die japanische Feldbauernmentalität, die sich in Japan durch den Nassreisanbau gefestigt hat, ist gekennzeichnet durch die Maximen Friede und Kooperation (S. 28f.). Diese Eigenschaften sind heute in der Hochstellung der Gruppenverbände und dem Streben nach Harmonie innerhalb der Gruppen verankert.
Die Religionen Buddhismus, Konfuzianismus und Shintoismus sind konkret und intuitiv, sie vermitteln Verbundenheit und Emotionalität (S. 31 ff.). Es herrscht eine Tendenz zum pragmatischen Empirismus, schnelle und effiziente Problemlösungsprozesse werden gross geschrieben. Nicht die individuelle Einzigartigkeit des einzelnen Menschen steht im Vordergrund, sondern seine Funktionalität innerhalb der Gruppe (Kühne & Miyazawa, 1991, S. 61). Die Funktionen der Gruppe sind Schutz und Verhaltenskontrolle. Die konfuzianische Vorstellung von Ordnung und Harmonie begründet die strenge Hierarchie in japanischen Gruppen, die jedem Glied der Kette eine eigene Position zuweist, nach der dieses Individuum dann zu leben hat.
Die drei bedeutenden Gruppen, die im Leben eines jeden Japaners eine Rolle einnehmen, sind der Familienclan, die Berufsgruppe und der Nachbarschaftsverband (Kühne & Miyazawa, 1991, S. 66ff.).
Die wohl bedeutsamste Gruppe, in welcher sich jeder Japaner bewegt, ist die Familie. Von der Geburt an bis zum Tode ist der Japaner mit seiner Familie verbunden, aus ihr kann er sich nicht lösen. Der Japaner ist um die Harmonie und Eintracht in seiner Familie bemüht. Das äussere Erscheinungsbild des Familienclans soll dabei möglichst unbefleckt sein. Daher dringen familieninterne Konflikte nur selten an die Aussenwelt. Solange ein Japaner in der Ausbildung ist oder einen Beruf ausübt, bewegt er sich in einem bestimmten beruflichen Umfeld, dem er unweigerlich zugeordnet wird. Dem obersten Vorgesetzten, in der Regel dem Firmenchef, wird eine Vaterrolle zugeschrieben. Aus verschiedenen soziokulturellen Gründen existieren auch so genannte Nachbarschaftsverbände, welche für die Sicherheit und den Zusammenhalt einzelner Wohngebiete verantwortlich sind. Sie überwachen z.B. in ihrem Gebiet die ausgeübte Kriminalität und sorgen für eine entsprechende Verhaltenskontrolle, um Delikte wie beispielsweise Körperverletzungen, Einbrüche oder Raubüberfälle zu vermeiden und bei eventuellem Auftreten eines solchen Verhaltens der staatlichen Strafverfolgung vorzugreifen (S. 98f.).
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