„Die Kollektivierung war der letzte Akt in einem Drama, das 1917 begonnen hatte. Sie war der gewaltsame Versuch, jenes Russland der ,Ikonen und Kakerlaken', wie Trockij es einmal genannt
hatte, aus der Welt zu schaffen. Die Kolchose war das Instrument, mit dem Unterwerfung vollbracht werden sollte. Sie nahm den Bauern die Früchte ihrer Arbeit, führte sie in die Leibeigenschaft zurück,aus der sie der Zar befreit hatte, und unterwarf sie mentaler und materieller Knechtung.“
Verantwortlich für all dies war Josef Vissarionovič Stalin(21.12.1879– 5.03.19532), der berühmte sowjetische Diktator, der vor allem für die Anordnung der systematischen Tötung von Millionen Menschen bekannt ist.3 Nach Lenins Tod 1924 ging Stalin aus der Gruppe der konkurrierenden Parteianhänger als Anführer hervor, zerbrach die Opposition und steuerte die Sowjetunion in Richtung Industrialisierung und Kollektivierung,4 die vor allem während der späten 20er bis Mitte der 1930er Jahre durchgeführt wurde. [...]
Wie der Titel dieser Arbeit besagt, soll es in der folgenden Untersuchung um die soziokulturellen Hintergründe der Kollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin gehen.
Dabei sollen die vom Diktator und seiner Partei vertretene bolschewistische Ideologie und ihr Wertesystem mit dem Wertesystem der Landbevölkerung und ihren bäuerlichen Traditionen
kontrastiert werden.In Hinblick auf die Kollektivierung der Landwirtschaft soll gezeigt werden, dass die
Bolschewiki mittels der Einrichtung von Kolchosen nicht nur wirtschaftliche Ziele verfolgten,sondern dass sie auch ihre Herrschaft über die ländliche Bevölkerung in ideologischkultureller Hinsicht verankern wollten. Neben der Darstellung des Kollektivierungsvorganges selbst und des ökonomischen Hintergrundes sollen folglich die parteilichen Ziele im Sinne der stalinistischen Ideologie beleuchtet werden, und schließlich der „anderen Seite“, der tatsächlichen Lebenssicht und -praxis der bäuerlichen Bevölkerung gegenübergestellt werden.
Die Zwangskollektivierung, die das Aufeinanderprallen der verschiedenen Wertesysteme besonders deutlich offenbart, führt zum Widerstand der Bevölkerung gegen die staatlichen
Maßnahmen, die meist weitere staatliche Gewalt nach sich zieht. Dieser bäuerliche Widerstand im Angesicht der staatlichen Übermacht soll ebenso erläutert werden. Im Anschluss daran soll diese Kollision von Staat und Volk und ihrer verschiedenen
Soziokulturen in einem größeren Bedeutungsmuster in Zusammenhang gebracht werden...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Einrichtung der Kolchosen
- Vorgehen und Organisation
- Soziale Folgen der Kollektivierung
- Der wirtschaftliche Hintergrund der Kollektivierung der Landwirtschaft
- Die Getreidebeschaffungskrise 1928
- Ökonomische Erwartungen über die Totalkollektivierung und die tatsächlichen Resultate
- Stalins Machtapparat – Ideologische Vorstellungen von Staat und Herrschaft und ihr Zusammenhang mit der Kollektivierung der Landwirtschaft
- Die politischen Ziele Stalins abgeleitet aus der Verfassung der UdSSR vom 5.12.1936
- Der Terror gegen die Kulaken und die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft
- Maßnahmen gegen Kulaken vor 1930
- Äußerungen Stalins über die Eliminierung der Kulaken als Klasse in einem Zeitungsartikel der Krasnaya Zvezda vom 21. Januar 1930
- Die Brandrede Molotovs vom 11. Februar 1930 - Dekulakisierung und Totalkollektivierung als vom Zentralkomitee beschlossene Ziele
- Der allgemeine ideologische Hintergrund – Die Kulturrevolution
- Die isolierte Staatsmacht – Ein weiterer Hintergrund für die Veranlassung der Kollektivierung
- Das russische Bauernvolk und die Kollektivierung als Eingriff in die Kernstruktur des bäuerlichen Lebens
- Die bäuerliche Lebenswelt
- Die Sicht der Bauern über die Kollektivierung
- Die Formen des bäuerlichen Widerstandes gegen die Eingriffe des Staates
- Eine Untersuchung des Begriffes „Widerstand" anhand der Parameter ,,Motivation“, „Kontext“ und „Quellen -Blickwinkel"
- Aktiver Widerstand
- Passiver Widerstand
- Die Kollision von Staat & Volk, Theorie & Praxis, Ideologie & dem tatsächlichen Leben
- Die staatliche Gewaltspirale und der Volkswiderstand als sich gegenseitig bedingende Faktoren
- Fazit
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Seminararbeit befasst sich mit den soziokulturellen Aspekten der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion unter Stalin. Sie analysiert die ideologische Grundlage der Kollektivierung, die sich aus der bolschewistischen Ideologie und dem Wertesystem der Partei ableitet, und setzt sie in Kontrast zu den Lebenswelten und Traditionen der bäuerlichen Bevölkerung. Die Arbeit untersucht, wie die Kollektivierung nicht nur wirtschaftliche Ziele verfolgte, sondern auch die Herrschaft der Partei über die ländliche Bevölkerung in ideologisch-kultureller Hinsicht festigen sollte.
- Die ideologische Grundlage der Kollektivierung und ihre Auswirkungen auf die bäuerliche Lebenswelt
- Die wirtschaftlichen Ziele der Kollektivierung und ihre Folgen für die Landwirtschaft
- Der Widerstand der bäuerlichen Bevölkerung gegen die Kollektivierung und die staatliche Gewalt
- Die Kollision von Staat und Volk und die sich gegenseitig bedingende Eskalation von Gewalt
- Die Rolle der Kulturrevolution in der Durchsetzung der Kollektivierung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Kollektivierung der Landwirtschaft als einen zentralen Aspekt der stalinistischen Politik dar und beleuchtet die Rolle Stalins als Diktator und die ideologische Grundlage der sowjetisch-kommunistischen Ordnung. Sie führt die zentralen Themen der Arbeit ein, die sich mit den soziokulturellen Aspekten der Kollektivierung, dem Konflikt zwischen der bolschewistischen Ideologie und der bäuerlichen Lebenswelt sowie dem Widerstand der Bevölkerung gegen die staatlichen Maßnahmen befassen.
Das zweite Kapitel befasst sich mit der Einrichtung der Kolchosen, ihrer Organisation und den sozialen Folgen der Kollektivierung. Es analysiert die Maßnahmen der Partei zur Durchsetzung der Kollektivierung und die Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bauern.
Das dritte Kapitel untersucht den wirtschaftlichen Hintergrund der Kollektivierung, insbesondere die Getreidebeschaffungskrise von 1928. Es analysiert die ökonomischen Erwartungen der Partei an die Totalkollektivierung und vergleicht sie mit den tatsächlichen Resultaten.
Das vierte Kapitel beleuchtet Stalins Machtapparat und die ideologische Grundlage seiner Herrschaft. Es analysiert die politischen Ziele Stalins, die sich aus der Verfassung der UdSSR ableiten, und untersucht den Terror gegen die Kulaken und die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Darüber hinaus wird der allgemeine ideologische Hintergrund der Kulturrevolution und die Rolle der isolierten Staatsmacht in der Veranlassung der Kollektivierung beleuchtet.
Das fünfte Kapitel widmet sich dem russischen Bauernvolk und der Kollektivierung als Eingriff in die Kernstruktur des bäuerlichen Lebens. Es analysiert die bäuerliche Lebenswelt, die Sicht der Bauern auf die Kollektivierung und die Formen des bäuerlichen Widerstandes gegen die staatlichen Maßnahmen. Die Untersuchung des Begriffes „Widerstand" anhand der Parameter ,,Motivation“, „Kontext“ und „Quellen -Blickwinkel" ermöglicht eine differenzierte Analyse des bäuerlichen Widerstandes.
Das sechste Kapitel beleuchtet die Kollision von Staat und Volk, Theorie und Praxis, Ideologie und dem tatsächlichen Leben. Es analysiert die staatliche Gewaltspirale und den Volkswiderstand als sich gegenseitig bedingende Faktoren und zeigt, wie die Sowjetunion unter den Bolschewiki immer stärker in einen Sog der Gewalt geriet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Sowjetunion unter Stalin, die bolschewistische Ideologie, die Kulturrevolution, die bäuerliche Lebenswelt, der bäuerliche Widerstand, die staatliche Gewalt und die Kollision von Staat und Volk. Die Arbeit analysiert die soziokulturellen Aspekte der Kollektivierung, die Auswirkungen der stalinistischen Politik auf die bäuerliche Bevölkerung und die Folgen des Konflikts zwischen der bolschewistischen Ideologie und den traditionellen Lebenswelten der Bauern.
- Quote paper
- Christina Gieseler (Author), 2009, Soziokulturelle Aspekte der Kollektivierung der Landwirtschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148715