Diese Seminararbeit setzt sich mit der ethischen Frage der Patientenverfügung auseinander. Dafür werden ethische Argumente aufgeführt und diskutiert.
Die Frage, die diskutiert wird, lautet: Soll die Patientenverfügung gesetzlich verankert werden und wenn ja, wie weitreichend wird diese festgelegt und welche Anforderungen sind an diese gesetzliche Regelung zu stellen. Dafür werden sowohl die Werte und als auch die
Handlungsoptionen diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Analyse des Ist-Zustands
1.1 Sachlage
1.2 Interessen
1.3 Konfliktfelder
1.4 Ordnungspolitischer Kontext
1.5 Geschichtlicher Hintergrund
2. Analyse der moralischen Prinzipien und Intuitionen
2.1 Handlungsoptionen
2.2 Verwandte Debatten
2.3 Moralische Prinzipien und Intuitionen
3. Evalierung ausgehend vom moral point of view
3.1 Argumente für vertretbare moralische Positionen
3.2 Stellungsnahme & Güterabwägung
4. Implementierung
5. aktuelle Lage – ein Ausblick
Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Analyse des Ist-Zustands
1.1 Sachlage
Fallbeispiel: Ein Patient A erlitt einen Gehirnschaden und wird seither von einer Sonde ernährt. Eine Kontaktaufnahme ist nicht mehr möglich. Der Sohn wird als Betreuer von A eingesetzt. Er beantragt das Einstellen der Ernährung über die Sonde, weil eine Verbesserung nicht zu erwarten sei und dies dem Wunsch von A entspreche. A hat im Falle einer Entscheidungsunfähigkeit eine Verfügung unterzeichnet, die besagt, dass er die Einstellung der Ernährung wünscht, falls diese nur den Vorgang des Sterbens verlängere und eine infauste Prognose vorliege.[1]
In Deutschland verfolgen die Ärzte die ethischen, nicht rechtlichen, Leitprinzipien des hippokratischen Eides. Diese ethischen Leitprinzipien des Arztes, für das „Wohl des Patienten (salus aegroti suprema lex, nihil nocere)“ zu sorgen und die Verantwortung für den Patienten zu übernehmen, wurden durch „das ethische Prinzip der Patientenautonomie (voluntas aegroti suprema lex) ergänzt“.[2] Durch die Ergänzung des ethischen Prinzips der Patientenautonomie kommt es zu einem Paradigmenwechsel in dem Arzt-Patienten-Verhältnis.[3] Der Patient und sein Recht auf Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG, sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG, sowie das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und das Recht auf Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG rücken ebenfalls in den Vordergrund.[4]
Der Arzt hat also einen Eid geleistet, einem Patienten die bestmögliche Hilfe und Behandlung zukommen zu lassen und das Leid des Patienten zu lindern. Ungesichert ist rechtlich aber, ob sich der Arzt strafbar macht, wenn aufgrund einer Schmerzlinderungstherapie der Tod des Patienten eintritt. Ebenfalls ist rechtlich unsicher, wie weitreichend eine Patientenverfügung für den Arzt nach dem Willen des Patienten zu handeln gültig ist, falls der Patient nicht mehr direkt ansprechbar ist. Ungeklärt ist auch wie weitreichend der Arzt nach dem Willen des Patienten handeln darf bzw. soll, falls dieser den Tod auch im ansprechbarem Zustand wünscht.
Die medizinischen Fortschritte der letzten Jahre haben dazu geführt, dass sowohl das Leben als auch der Sterbeprozess von Patienten auch noch im hohen Alter künstlich verlängert werden kann.[5] Aus Angst vor einer Übertherapie oder aus Angst vor einem langen und schmerzvollen Tod ergibt sich der Wunsch vieler Patienten, bis zu ihrem Lebensende über das eigene Leben in Form einer Patientenverfügung selbst bestimmen zu können.
Seit 2004 wird in Deutschland vermehrt über eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung diskutiert. Damals hat die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries einen Gesetzesentwurf bezüglich der Patientenverfügung in den Bundestag eingebracht, der allerdings nicht genehmigt wurde. Die Ideen des Gesetzesentwurfs[6] waren auch schon hier die rechtliche Verankerung von Patientenverfügungen, sowie die Rechte von Bevollmächtigten oder Betreuern (u.a.). Zurzeit arbeiten im Deutschen Bundestag vier fraktionsübergreifende Arbeitsgruppen an weiteren Gesetzesentwürfen. In einer Patientenverfügung ist es dem Patienten möglich festzulegen, welche medizinischen Versorgungen am Lebensende seinem Willen entsprechen, falls er selbst nicht mehr in der Lage ist, seine Einwilligung für bestimmte medizinische Behandlungen zu geben oder solche zu verbieten. Außerdem kann er einen Bevollmächtigten eintragen, der, sollte der Patient seine Meinung nicht mehr selbst artikulieren können, den mutmaßlichen Willen des Patienten durchsetzt. Beachtet werden muss außerdem die Grenze zwischen dem Selbstbestimmungsrecht einer Person und der staatlichen Schutzpflicht für das Leben, die aus dem Grundgesetz resultiert. Denn es ist keinesfalls rechtlich abgesichert, wie weit eine aktuelle Patientenverfügung gültig ist und wie weit der Handlungsspielraum der Ärzte reicht.
Die Frage, die diskutiert wird, lautet: Soll die Patientenverfügung[7] gesetzlich verankert werden und wenn ja, wie weitreichend wird diese festgelegt und welche Anforderungen sind an diese gesetzliche Regelung zu stellen. Dafür werden sowohl die Werte und als auch die Handlungsoptionen diskutiert.
1.2 Interessen
Als Interessensgruppe sind zunächst die Patienten[8] selbst zu nennen, die sich ihre Selbstbestimmung bis zu ihrem Tod erhalten möchten. Der Erhalt eines würdigen Lebens und eines würdevollen Todes steht hier im Vordergrund. Es geht darum, Angehörige zu entlasten und ihnen Entscheidungen abzunehmen. Insbesondere durch die Entwicklung in der Palliativmedizin, die sich vor allem mit der Linderung von Schmerzen bei einer weit vorangeschrittenen Krankheit beschäftigt, haben viele Patienten Angst vor einer Übertherapie oder vor unzureichender medizinischer Versorgung. Hier ist entscheidend, dass viele Patienten wegen zu wenig Aufklärungsarbeit nicht genau einschätzen können, was die Palliativmedizin ausmacht. Außerdem steht die Angst, den Angehörigen auch finanziell zur Last zu fallen im Mittelpunkt.[9] Der Wunsch nach Patientenautonomie, auch wenn man seinen Willen nicht mehr artikulieren kann, fordert eine klare Rechtslage der PV.
Zu nennen sind zweitens die Ärzte, die unter der direkten Folge der PV genauere Anweisungen über den weiteren Verlauf einer Behandlung bekommen würden. Ärzte würden rechtlich weiter eingeschränkt werden und gegebenenfalls sogar rechtlich belangt werden können. Allerdings hieße eine PV auch, dass Ärzten mehr Rechtssicherheit gegeben werden könnte. „Ohne gesetzliche Regelung würde die von der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs geprägt Rechtslage mit den in der Praxis aufgetretenen Rechtsunsicherheiten fortbestehen.“[10] Auch bei aktueller gesetzlicher Lage handeln die Ärzte und rechtlich unsicherem Raum und könnten strafrechtlich verfolgt[11] werden. Des Weiteren sei es wichtig, eine bessere Ausbildung der Ärzte in Palliativmedizin während der Ausbildung zu gewährleisten (s.o.).[12]
Außerdem stößt man auf die Interessensvertreter der Kranken- und Pflegeversicherung. „Die Trennung von Kranken- und Pflegeversicherung führt dazu, dass die Krankenhäuser nur noch für die Akutmedizin unter streng vorgegebenen Verweildauern zuständig sind. Sobald Pflegebedürftigkeit eintritt wird in ein Pflegeheim verlegt.“[13] Kranken- und Pflegeversicherungen haben also weitgehend ökonomische Interessen, wenn es um den Tod und damit auch um die gesetzliche Regelung der PV geht.
Neben den Patienten selbst sind auch die Angehörigen von großer Bedeutung. Sie können ebenfalls ökonomische Interessen[14] verfolgen, wenn es z.B. um potentielle Erben geht, die als Betreuungsperson des Patienten eingesetzt sind. Auf der anderen Seite stehen die Angehörigen unter großem emotionalem Druck, wenn ein Verwandter im Sterben liegt. Für sie ist es wichtig, durch eine klare gesetzliche Lage diesen Druck von ihnen zu nehmen.
Position der Kirche (EKD)[15]
Der Rat der evangelischen Kirche spricht sich primär für eine gesetzliche Regelung der PV aus, um den Patienten und Angehörigen mehr Rechtssicherheit zu geben. Außerdem sollte „jedem Menschen ein menschenwürdiges Sterben gewährt werden“.[16] Das Leben eines Jeden müsse im Vordergrund stehen. Des Weiteren gibt der Rat Vorschläge für eine gesetzliche Regelung und stellt die Ziele einer solchen Regelung dar.
Ziele sollten sein:
- „die Vorsorge für Zeiten der Entscheidungsunfähigkeit zu regeln,
- die Wirksamkeitsvoraussetzungen für PV festzulegen,
- die Reichweite von PV zu bestimmen,
- die Rechtssicherheit bei der Umsetzung von PV zu stärken,
- die Aufgaben von Betreuern und Bevollmächtigen zu klären,
- die Freiheit im Blick auf das Ausstellen einer PV zu wahren“.[17]
Nach christlicher Auffassung darf über den Tod und das Sterben nicht frei verfügt werden, weil Gott die Zeit aller Dinge bestimmt hat. Diese Auffassung kann niemand für einen anderen vertreten, sondern muss von mir selbst vor mir und vor Gott verantwortet werden. Deswegen ist es wichtig, dass jeder für sich selbst, auch in Zeiten der Entscheidungsunfähigkeit, seine Entscheidungen bis zum Lebensende treffen kann. Tötung auf Verlangen ist weiterhin unter ethischen Umständen unzulässig. Gefordert wird außerdem eine klare und eindeutige Terminologie, um Missverständnissen vorzubeugen.[18] „Im Zweifel ist für das Leben zu entscheiden“, wenn die Balance zwischen Selbstbestimmung und Fürsorgerecht nicht eindeutig ist. Die Schriftform sei, wegen der höheren Objektivität und der geringeren Gefahr von Missverständnissen, der Mündlichkeit vorzuziehen. Es sei wichtig, eine klare Trennung zwischen Bevollmächtigtem und Betreuer zu ziehen.[19]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich sowohl die Ärzte, als auch die Angehörigen mehr Rechtssicherheit wünschen. Auch der Patient selbst wünscht sich mehr Rechtssicherheit in Bezug auf seine Autonomie.
Weiterhin umstritten bleibt der Fall von Wachkomapatienten, der gesonderten Regelungen bedarf.
Es handelt sich also sowohl um Konfliktfelder im Bereich der rechtlichen Situation, als auch um Konfliktfelder im Bereich von wirtschaftlichen Interessen sowie um einen Wertekonflikte.
[...]
[1] Vgl. BGH, Beschluss vom 17.03.2003 – XII ZB 2/03 (Schleswig)
[2] Oduncu, Fuat: Ärztliche Sterbehilfe, S. 407.
[3] Vgl. May, Arnd T.: Autonomie, S. 63.
[4] Ortrun Riha sieht in diesem Paradigmenwechsel eine zunehmende Verrechtlichung des Arzt-Patienten-Verhältnisses.
[5] Vgl. http://jaccomat.net/net/jtauss/dl/Hueppe.pdf, 12.01.10, 19:03 Uhr, S. 1.
[6] Vgl. http://www.kritischebioethik.de/patientenverfuegung_gesetzentwurf_bmj_%2001-11-2004.pdf, 13.01.10, 16 :56 Uhr.
[7] Im Folgenden mit PV abgekürzt.
[8] Natürlich handelt es sich bei der Interessensgruppe der Patienten um eine große Anzahl von Patienten, deren Meinung im Einzelfall differenziert werden muss.
[9] Vgl. Oduncu, Fuat: Ärztliche Sterbehilfe, S. 437.
[10] Drucksache 16/11360, Gesetzesentwurf nach Bosbach.
[11] Vgl. § 212 StGB, § 323c StGB, § 223 StGB.
[12] http://www.bundestag.de/cgibin/druck.pl, 26.05.2009, 14:47 Uhr.
[13] Putz, Wolfgang: Patientenrechte, S. 13.
[14] Putz, Wolfgang: Patientenrechte, S. 13.
[15] http://www.ekd.de/print.php?file=/presse/pml34_2007_eckpunkte..., 26.05.2009, 14:44 Uhr.
[16] Ebd., S. 1.
[17] Ebd., S. 1-2.
[18] Ebd., S. 2.
[19] Ebd., S. 2.
- Arbeit zitieren
- Urte Borchardt (Autor:in), 2010, Ethisches Gutachten zur Patientenverfügung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148666
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