Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Idee. Diese vielleicht etwas provokante These will ich zu Beginn der vorliegenden Arbeit in den Raum stellen. In dieser geht es mir darum ideationale Sprachtheorien wieder in den sprachphilosophischen Diskurs zurückzuführen und auf eine gewisse Weise zu rehabilitieren. Dies scheint mir besonders vor dem Hintergrund wichtig, als Ideentheorien vor allem im letzten Jahrhundert sehr unpopulär waren und bis heute in der Sprachphilosophie eigentlich keine Rolle mehr spielen. Sie gelten im sprachphilosophischen Diskurs gewissermaßen als überwunden und größtenteils widerlegt. Allerdings scheint mir eine derart radikale Herabsetzung etwas zu voreilig, denn ich glaube, dass geachtete Sprachphilosophen gerade des 20. Jahrhunderts interessante Theorien aufgestellt haben, die sich bei näherer Betrachtung auch als Ideentheorien auslegen bzw. verstehen lassen. Dies werde ich mit meiner Arbeit zu begründen versuchen.
Für dieses Vorhaben werde ich zuerst auf die Sprachphilosophie John Lockes eingehen, dessen Ablehnung über die damals herrschende Meinung von der Existenz angeborener Ideen gewissermaßen die Hauptzielscheibe für vielerlei Angriffe und Einwände war. Locke hatte die These vertreten, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke seien Ideen im Geiste. Deshalb werde ich das Konzept über die „Abstrakten Ideen“ seiner Sprach- bzw. Bedeutungstheorie ausführlich darstellen. In diesem Zusammenhang werde ich auf einen der wohl bekanntesten Haupteinwände hinweisen, der insbesondere von George Berkeley vorgetragen wurde, welcher die Möglichkeit von allgemeinen, abstrakten Ideen zu widerlegen versuchte. In diesem Sinne werde ich die Möglichkeit aufzeigen, wie man trotz dieser radikalen Kritik Lockes Konzeption der abstrakten Ideen verteidigen könnte. Bei dieser Diskussion werde ich verdeutlichen, dass Locke unabhängig von seiner Ideentheorie sprachphilosophische Positionen vertreten hat, die in der gegenwärtigen, allgemeinen sprachphilosophischen Kontroverse durchaus neu problematisiert werden könnten.
Inhaltsverzeichnis
IDEE UND INTENTION
VORWORT
I. EINLEITENDE BEMERKUNGEN ZU LOCKES SPRACHPHILOSOPHIE
1.1 DEFINITIONEN DES WORTES UND SEINER FUNKTIONEN
II. DIE IDEENTHEORIE IN DER SPRACHPHILOSOPHIE JOHN LOCKES
2.1 EINFACHE UND KOMPLEXE IDEEN
2.2 BERKELEYS HAUPTEINWAND
2.3 BINDEWÖRTER UND PARTIKEL
2.4 UNÜBERSETZBARKEIT MANCHER WORTE
III.DIE SPRACH- UND BEDEUTUNGSTHEORIE PAUL GRICES
3.1 KONVERSATIONALE IMPLIKATUR; INTENTIONALE SEMANTIK; SPRECHERBEDEUTUNG
3.2 DIE VIER MAXIMEN
3.3 DIE THEORIE DER SPRECHERBEDEUTUNG
3.4 DAS MODELL DER SPRECHERBEDEUTUNG
3.5 EINIGE WEITERE ERLÄUTERUNGEN DER SPRACH- UND BEDEUTUNGSTHEORIE GRICES
3.6 ÜBER SCHLUSSFOLGERUNGEN
IV.DIE SPRACH- UND BEDEUTUNGSTHEORIE GRICES ALS IDEENTHEORIE
4.1 DIE KOMBINATION VON DEN BEGRIFFEN INTENTION UND IDEE ALS EINE NEUE LESART DER LOCKESCHEN IDEENTHEORIE
4.2 WEITERE ÜBEREINSTIMMUNGEN DER BEGRIFFLICHKEITEN BEI LOCKE UND GRICE
V. DIE WIEDERBELEBUNG DER IDEENTHEORIE
Bibliographie
IDEE UND INTENTION
„Einzig die Analyse der Sprache
kann das Ziel der Philosophie sein.“
(Ludwig Wittgenstein)
VORWORT
Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Idee. Diese vielleicht etwas provokante These will ich zu Beginn der vorliegenden Arbeit in den Raum stellen. In dieser geht es mir darum ideationale Sprachtheorien wieder in den sprachphilosophischen Diskurs zurückzuführen und auf eine gewisse Weise zu rehabilitieren. Dies scheint mir besonders vor dem Hintergrund wichtig, als Ideentheorien vor allem im letzten Jahrhundert sehr unpopulär waren und bis heute in der Sprachphilosophie eigentlich keine Rolle mehr spielen. Sie gelten im sprachphilosophischen Diskurs gewissermaßen als überwunden und größtenteils widerlegt. Allerdings scheint mir eine derart radikale Herabsetzung etwas zu voreilig, denn ich glaube, dass geachtete Sprachphilosophen gerade des 20. Jahrhunderts interessante Theorien aufgestellt haben, die sich bei näherer Betrachtung auch als Ideentheorien auslegen bzw. verstehen lassen. Dies werde ich mit meiner Arbeit zu begründen versuchen.
Für dieses Vorhaben werde ich zuerst auf die Sprachphilosophie John Lockes eingehen, dessen Ablehnung über die damals herrschende Meinung von der Existenz angeborener Ideen gewissermaßen die Hauptzielscheibe für vielerlei Angriffe und Einwände war. Locke hatte die These vertreten, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke seien Ideen im Geiste. Deshalb werde ich das Konzept über die „Abstrakten Ideen“ seiner Sprach- bzw. Bedeutungstheorie ausführlich darstellen. In diesem Zusammenhang werde ich auf einen der wohl bekanntesten Haupteinwände hinweisen, der insbesondere von George Berkeley[1] vorgetragen wurde, welcher die Möglichkeit von allgemeinen, abstrakten Ideen zu widerlegen versuchte. In diesem Sinne werde ich die Möglichkeit aufzeigen, wie man trotz dieser radikalen Kritik Lockes Konzeption der abstrakten Ideen verteidigen könnte. Bei dieser Diskussion werde ich verdeutlichen, dass Locke unabhängig von seiner Ideentheorie sprachphilosophische Positionen vertreten hat, die in der gegenwärtigen, allgemeinen sprachphilosophischen Kontroverse durchaus neu problematisiert werden könnten. Diese intensive, vielleicht gar widmende Beschäftigung mit Lockes Philosophie gründet sich auf die Überzeugung, dass Locke einer der ersten war, der sich auf einer so grundsätzlichen, grundlegenden Ebene mit den Phänomenen der Worte und der Sprache auseinandergesetzt hat um auf seine Weise eine Antwort auf die wahrscheinlich rätselhafteste Frage der Sprachphilosophie zu finden: Wie ist es möglich, dass Worte Bedeutung und Sinn haben (können)?
In einem darauffolgenden, zweiten großen Teil werde ich mich mit einem britischen Sprachphilosophen des 20. Jahrhunderts beschäftigen, der in der sprachphilosophischen Auseinandersetzung in manchen Aspekten Autorität und Anerkennung genießt. Gemeint ist Paul Grice. Seine berühmte Theorie der Sprecherbedeutung, der konversationalen Implikatur, und intentionalen Semantik will ich einer gründlichen Untersuchung unterziehen. Anhand vieler, verschiedener Beispiele werde ich mich diesen äußerst attraktiven und einleuchtenden Theorien nähern. Bei dieser genauen Betrachtung und Diskussion hoffe ich an geeigneten Stellen feststellen zu können, welche interessante Analogien und Parallelen zu der Lockeschen Sprachphilosophie zu ziehen sind. Es gilt hierbei also darum aufzuzeigen, inwiefern sich in der Theorie der Sprecherbedeutung Paul Grices eine Wiederbelebung der Ideen- und Bedeutungstheorie John Lockes feststellen lässt. Damit will ich den Nachweis erbringen, dass entgegen der allgemeinen, herrschenden Meinung in der sprachphilosophischen Kontroverse, ideationale Sprachtheorien nicht als überwunden gelten können. Ich werde dabei zeigen, inwiefern a. durch eine gezielte Begriffsanalyse- und analogisierung der beiden Theorien eine Verbindung im Denken dieser zwei großen britischen Philosophen herzustellen ist und inwiefern b. deren Theorien einen Schnittpunkt in der von Locke ins Feld geführten Ideenkonzeption (vor über 300 Jahren konzipiert!) aufweisen, um meine These der Wiederbelebung der Ideen- und Bedeutungstheorie John Lockes in der Sprachphilosophie von Paul Grice zu begründen.
Dies ist also das Programm; kommen wir nun zum ersten Teil.
I. EINLEITENDE BEMERKUNGEN ZU LOCKES SPRACHPHILOSOPHIE
Folgende Betrachtungen legen eine der bekanntesten Schriften John Lockes zugrunde, seinen ‚Essay concerning human understanding’. Diese Schrift bildet die geeignetste Quelle für mein Vorhaben. Folgende Überlegungen wollen wir uns daraus näher anschauen: 1. Definition des Wortes und seiner Funktionen, 2. die Unterscheidung von einfachen und komplexen Ideen, 3. Bindewörter und Partikel, 4. die Unübersetzbarkeit mancher Worte, 5. die Unvollkommenheit und der Missbrauch der Wörter'.
1.1 DEFINITIONEN DES WORTES UND SEINER FUNKTIONEN
Locke geht davon aus, dass die Sprache aus dem Grundbedürfnis der Menschen, eine Gemeinschaft zu bilden, entstanden ist. Für diese Gemeinschaft ist ein Gedankenaustausch zwischen ihren einzelnen Mitgliedern unabdingbar und konstitutiv. Aus diesem Grunde erfanden die Menschen bestimmte Laute, an denen sie ihre Ideen banden, die dann als Wörter sprachlich formuliert wurden. Demnach definiert Locke Wörter als "sinnlich wahrnehmbare Kennzeichen der Ideen"[2], eine Erklärung, die ich sehr einleuchtend und zutreffend finde. Jedoch sieht Locke die Bildung dieser Worte als rein willkürlich, beinahe zufällig an- denn niemand in der Welt diktiert, welche Worte welche Ideen vertreten.
Etwas pointierter könnte man sagen, dass das Wort nicht mehr ist als ein Symbol, das eine Idee bzw. Bedeutung gewissermaßen wie ein Kleid „angezogen" hat.
Locke unterscheidet im Wesentlichen zwei Entstehungsquellen der Worte: 1. Worte werden durch äußere Sinneswahrnehmungen hervorgerufen (‚sensation’-äußerer Sinn) und stammen 2. aus der Beschäftigung bzw. Beobachtung der eigenen, „inneren Operationen des Geistes“[3] (‚reflexion’-innerer Sinn).
Worte erfüllen den Zweck der Kommunikation mit anderen. Sie dienen dazu, zu beschreiben, was in der Welt der Fall ist und helfen uns darüber hinaus, uns unsere eigenen Gedanken einzuprägen.
Um eine Kommunikation zwischen den Sprechern einer Sprache zu ermöglichen, muss der Angesprochene genau dieselben Ideen von den Worten haben, wie der Sprecher, der sie verwendet. Anderenfalls wären die Worte nichts weiter als ein "bedeutungsloses Geräusch"[4] . An dieser Stelle möchte ich gerne zwei Ebenen benennen, auf denen Worte bzw. Sprache verlaufen: 1. Lautebene, 2. Bedeutungsebene. Diese Anmerkung erlaube ich mir deswegen, weil ich glaube, dass sie die vorangegangenen Überlegungen dieses Abschnitts gut veranschaulicht.
Solange man eine Sprache oder ein Wort nicht kennt, nimmt man das Gesprochene ausschließlich auf der Lautebene wahr. Zur Bedeutungsebene gelangt das Wort erst dann, wenn es mit einer entsprechenden gedanklichen Assoziation verknüpft wird. Ist dies geschehen, so gerät die Lautebene immer mehr in den Hintergrund, bis man schließlich die Worte nicht mehr als Laute, sondern nur noch als bedeutungs- und sinntragende Einheiten begreift. Die Entwicklung dieser semantischen Transparenz lässt sich sehr gut am Erlernen einer Fremdsprache veranschaulichen: Zu Beginn sind die Worte einer Fremdsprache, die man lernt, nicht viel mehr als Laute. Und auch wenn man bestimmte Vokabeln gelernt und sich eingeprägt hat, so ist das Verstehen dieser Worte anfänglich sehr an die Muttersprache gekoppelt. Das heißt, die neuen Worte produzieren in unserem Geist nicht sofort die entsprechenden, gemeinten Ideen, sondern müssen in vielen Fällen in die eigene Muttersprache rückübersetzt werden, um verstanden zu werden. Je besser man eine Sprache beherrscht, desto schneller geht dieser Übersetzungsprozess zwischen der Lautebene und der Bedeutungsebene vonstatten. Bei unserer Muttersprache verläuft dieser Prozess so schnell und automatisch, dass es scheint , als ob wir von den Worten direkt und ohne zeitliche Verzögerung die "Bedeutung“ und den „Sinn hören". Schauen wir uns nun im Folgenden Lockes Ideentheorie genauer an, welche in der Geschichte und Tradition der Sprachphilosophie kontroverse Debatten ausgelöst hatte.
II. DIE IDEENTHEORIE IN DER SPRACHPHILOSOPHIE JOHN LOCKES
John Locke (1632-1704) war einer der bedeutendsten Sprachphilosophen seiner Zeit. Mit seiner empiristischen Philosophie gelang ihm eine angemessene Verknüpfung zwischen Semantik, Logik und Grammatik. Grundsätzlich konstatierte Locke einen intrinsischen Zusammenhang zwischen der Erkenntnis und den Begriffen, mit denen wir diese Erkenntnis begrifflich beschreiben. Die Mittel dieser begrifflich formulierten Erkenntnis sind für Locke die Ideen ('ideas'), und diese Ideen sind die Stellvertreter ('representations') der Dinge. Die Worte fasst Locke als den begrifflichen Ausdruck der Ideen (Zeichen) auf. Real sind für Locke diejenigen Ideen, "die in der Natur eine Grundlage haben"[5]. Alle Ideen sind nach seiner Theorie entweder Abbilder (‚images’) oder Darstellungen (‚representations’) und somit real. Locke unterscheidet zwischen einfachen und komplexen bzw. abstrakten Ideen. Worte übernehmen bezogen auf die komplexen, abstrakten Ideen eine wichtige Gestaltungsfunktion. Der Begriff der Idee ist in der Sprachphilosophie John Lockes der Kern- und Schlüsselbegriff schlechthin. Es ist das Konzept, das seine gesamte Konzeption der menschlichen Sprachfähigkeit bzw. des menschlichen Sprechens zur Grundlage hat, und von der all seine Überlegungen ihren ersten Ausgang nehmen. Locke bezeichnet die Idee als ein 'Atom der Bedeutung', das durch Worte, welche er ihrerseits 'Atome der Sprache' nennt, zum Ausdruck gebracht wird. Wenn ein Sprecher mit Worten etwas ausdrücken und bedeuten will, so muss er der Lockeschen Theorie folgend zunächst die Ideen von diesen Worten im Geiste haben. In diesem Sinn geht Locke davon aus, dass jemand, der etwas äußert, immer auch damit etwas bedeuten will und sich seiner Bedeutung der entsprechenden Äußerung bewusst ist. Etwas Bestimmtes ‚Bedeuten-Wollen’ ist bei diesem Prozess gleichzeitig die primäre Intention eines Sprechers. Etwas zu meinen, wenn man etwas äußert heißt demnach einfach zu intendieren, in den Zuhörern einen bestimmten Effekt hervorzurufen um in ihnen ein bestimmtes Resultat zu erzielen.
Wir werden später sehen, welch immense Kritik sich Locke mit dieser Ideentheorie ausgesetzt hat. Wir werden jedoch auch feststellen, wie dieser Grundgedanke Lockes sich in der Sprachtheorie Grices wiederfindet und implizit weiterentwickelt wird.
Auch ist das Besondere an dieser Lockeschen Ideenlehre die Auffassung, dass eine einzige Idee nicht in mehreren Geistern („minds“) identisch auftreten kann, sondern sich immer notwendigerweise, wenn auch nur geringfügig, unterscheiden muss. Schauen wir uns nun die Lockesche Differenzierung der Ideen genauer an.
2.1 EINFACHE UND KOMPLEXE IDEEN
Locke behauptet, dass die Idee eines Wortes nicht allein durch seine Definition hervorgerufen werden kann. Manche Ideen oder Zustände in der Welt, die durch Worte beschrieben werden, müssen sinnlich wahrnehmbar sein. Diese bezeichnet Locke als einfache Ideen. Einfache Ideen können nur durch die Erfahrung von Objekten, für die die Ideen ein Zeichen sind, gewonnen werden. Beispiele hierfür sind Geschmack, Farbe oder Licht. Man wird einem Blinden beispielsweise niemals Licht durch schwierige physikalische Erklärungen oder Definitionen in der Form erläutern können, dass dieser Licht genauso wie ein Sehender wahrnehmen könnte. Das Gleiche gilt für Geschmack oder Farben. Solche einfachen Ideen sind deshalb undefinierbar.
Anders verhält es sich mit den sogenannten komplexen oder abstrakten Ideen. Diese Ideen entstehen durch das Zusammenfügen einzelner Ideen, welche dem Geist bekannt sind. Die Entstehung solcher Ideen vollzieht sich in drei Etappen: 1. Eine gewisse Anzahl einzelner Ideen wird ausgewählt, 2. diese werden miteinander verknüpft, und 3. dann wird für diese Verknüpfung ein Name erdacht. Dieser Name ruft in uns das gesamte Bedeutungsspektrum der Idee wach, für die er steht. All diese Schritte sind einzig und allein Produkt des Verstandes, wodurch sich die komplexen Ideen wesentlich von den einfachen Ideen unterscheiden. Abstrakte, komplexe Ideen bestehen aus einer sinnvollen Kombination von Komponenten, die bestimmte Vorstellungen und Bilder von Objekten in uns hervorrufen können, wenn wir durch unsere Sinneswahrnehmung diese Objekte in uns aufgenommen haben und ihre Namen kennen. Aufgrunddessen können sie auch durch andere Worte erklärt oder definiert werden. Beispiele für komplexe Ideen sind Menschheit, Moral oder Gerechtigkeit.
Hinsichtlich dieser beiden Ideeformen lässt sich desweiteren anmerken, dass einfache Ideen in der Regel weniger zweifelhaft und unsicher sind als komplexe Ideen. Das hängt damit zusammen, dass einfache Ideen lediglich äußere Wahrnehmungen und Sinneseindrücke beschreiben, über deren Wahrheitsgehalt zu streiten wenig Sinn machen würde.
Schauen wir uns nun im Folgenden den Haupteinwand an, den George Berkeley gegen Lockes Konzeption der abstrakten Ideen vorgebracht hat.
2.2 BERKELEYS HAUPTEINWAND
Die Auseinandersetzung mit der von Locke eingeführten Konzeption der komplexen bzw. abstrakten Ideen wäre ohne die Erwähnung von einem der wichtigsten Haupteinwände sicherlich unvollständig. Dieser wurde von dem irischen Philosophen George Berkeley vorgetragen.[6] Für Berkeley sind nur die Ideen real, welche man direkt wahrnehmen kann. Für ihn gibt es keine abstrakten Ideen, da jede abstrakte Vorstellung oder Idee sich in unserem Geiste durch konkrete und direkt wahrnehmbare Komponenten dieser Idee oder Vorstellung konstituiert. Das wohl bekannteste Beispiel, das Berkeley zur Veranschaulichung dieser Position anführt, ist das eines Dreiecks. Werden wir aufgefordert, uns dieses geometrische Gebilde vorzustellen, so haben wir davon nicht etwa eine abstrakte Idee in unserem Geiste, sondern denken vielmehr an ein bestimmtes, konkretes Dreieck, das die "Gattung" der Dreiecke repräsentiert. Aufgrund dieser Kritik Berkeleys, die später auch von Wittgenstein aufgegriffen und weitergeführt wurde, wurde die Vorstellung Lockes von abstrakten Ideen im weiteren Verlauf des philosophischen Diskurses ziemlich unpopulär.
Und dennoch- so scheint mir- gibt es eine Möglichkeit, diesen Lockeschen Gedanken zu verteidigen und durchzustehen. Zu diesem Zwecke möchte ich mich gerne des cartesianischen Beispiels eines Wachsgegenstandes bedienen, welches Descartes[7] in seinen "Meditationen über die Grundlagen der Philosophie" anführt. Gesetzt den Fall, wie Berkeley behauptet, dass keine abstrakten Ideen möglich sind, so scheint es notwendig, dass alle Ideen konkret oder individuell sind.
[...]
[1] George Berkeley, Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2004, S.14 ff.
[2] John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 2, Buch III und IV, Philosophische Bibliothek, Bd.76, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2000, S.5
[3] John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1, Buch I und II, Philosophische Bibliothek, Bd.75, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2000, S.109
[4] John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 2, Buch III und IV, Philosophische Bibliothek, Bd.76, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2000, S.9
[5] John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, 1, Buch I und II, Philosophische Bibliothek, Bd.75, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2000, S.468
[6] Die alleinige Bezugnahme auf Berkeley soll an dieser Stelle selbstverständlich nicht als Auschluss von anderen großen Philosophen, die sich auf Locke kritisch bezogen haben, verstanden werden.
So hat Leibniz beispielsweise mit seinen ‚Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand’, in dem er gegen Lockes Empirismus rationalistisch argumentiert, eine beeindruckende ‚Gegenschrift’ vorgelegt. Die Kritik in dieser Schrift ist viel fundamentaler als die von Berkeley, da sie in grundlegender Weise Lockes Konzeption der menschlichen ‚Tabula rasa’ in Zweifel stellt, aus der Locke seine (sprachphilosophische) Ideentheorie entwickelt. Leibniz hatte diesen Theorien sein ebenso gewaltiges Konzept der an- bzw. eingeborenen Ideen entgegengesetzt. Diese unterschiedlichen Positionen Lockes und Leibniz haben ihren Ursprung in einem unterschiedlichen Verständnis von der Natur Gottes, dessen Ausführung leider nicht Gegenstand dieser Arbeit sein kann. So hoffe ich, dass der Leser sich mit dieser kurzen Anmerkung wird zufrieden geben können.
[7] René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. Zweite Meditation: Über die Natur des menschlichen Geistes, Hamburg: Felix Meiner Verlag 1994, S.23-26
- Quote paper
- Nathaniel Mandal (Author), 2009, Idee und Intention - Die Ideen- beziehungsweise Bedeutungstheorie John Lockes und ihre Wiederbelebung in der Theorie der Sprecherbedeutung bei Paul Grice , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147915
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