In der vergleichenden Politikwissenschaft gehören wohlfahrtsstaat¬liche Politiken zu den intensiv untersuchten Phänomenen. Im Hinblick auf die zahlreichen neuen Herausforderungen (Globalisierung der ökonomischen Konkurrenz, Migration, demographischer Wandel etc.) stehen die Wohlfahrtsregime unter starkem Veränderungsdruck. Als ein Modell der sozialen Ordnung hat sich der Wohlfahrtstaat nie ganz durchsetzen können. In der Arbeit werden die Möglichkeiten des Vergleichs unterschiedliche Wohlfahrtsysteme diskutiert und die aktuelle Forschungsstand sowie dei forschungsgeschichtliche Aspekte betrachtet.
Gliederung
1. Einleitung
2. Die aktuelle Lehrmeinung
2.1 Die deutschen Autoren
2.2 Grundzüge einer Kontroverse in der Forschung
2.3 Methodische Differenzen als eine Ursache der Kontroverse
3. Das Esping-Andersen-Modell und dessen Erweiterung
3.1 Das Modell an sich
3.2 Die Erweiterung
4. Andere Möglichkeiten der Differenzierung und des Vergleichs
4.1 „Moral values“ und Kriterien sozialer Wohlfahrt
4.2 Gender und Wohlfahrtsstaatsanalyse
4.3 Beveridge- und Bismarcksmodell
4.4 Innovation und soziale Sicherheit
4.5 Keynesianischer Wohlfahrtsstaat und Schumpeterischer workfare state
5. Zur Befürwortung und Kritik der verschiedenen Wohlfahrtskonzepte
5.1 Die Befürwortung
5.2 Die Kritik
5.3 Der Erfolg …
5.4 … und der Abbau des Wohlfahrtstaates
6. Der Versuch einer Evaluation der Wohlfahrtsstaatsforschung
7. Tabellen
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vergleichenden Politikwissenschaft gehören wohlfahrtsstaatliche Politiken zu den intensiv untersuchten Phänomenen.
„… [W]enn von „Wohlfahrtsstaat – Anspruch und Wirklichkeit“ die Rede ist, so führte die Frage nach dem Wesen und der Aufgabe des Staates [...] letzten Endes zur Urtatsache der gesellschaftlichen Wesensanlage der Menschen, der aufgrund seiner sozialer Natur und seiner Ergänzungs- und Hilfsbedürftigkeit nur als Gemeinschaftswesen leben und nur in gesellschaftlicher Kooperation die notwendige Voraussetzungen für seine personale Vervollkommnung […] finden kann.“[1]
Im Hinblick auf die zahlreichen neuen Herausforderungen (Globalisierung der ökonomischen Konkurrenz, Migration, demographischer Wandel etc.) stehen die Wohlfahrtsregime unter starkem Veränderungsdruck. Als ein Modell der sozialen Ordnung hat sich der Wohlfahrtstaat nie ganz durchsetzen können.
„Die sozialen Sicherungssysteme der westeuropäischen Staaten sind in ihrer Genese an die Industrialisierung, den mit ihr steigenden Mobilitäts- und Schutzanforderungen (Alterssicherung, Arbeitskrafterhalt, ect.) und den Kampf um soziale Rechte gekoppelt.“[2]
„Nun sind zwar in allen Ländern des Westens wohlfahrtstaatliche Rechtsregeln und Verwaltungsstäbe aufgebaut worden, aber deren Sinn und Zweck ist stehst umstritten geblieben. …[Die] Traditionen Liberalismus und Sozialismus habe[n] keine große Sympathie für den Wohlfahrtstaat gezeigt. Den einen ging die sozialstaatliche Intervention nämlich stets zu weit, den anderen nie weit genug“[3].
Selbst bei ähnlicher Höhe der Sozialausgabenquote zeigen sich große Unterschiede im Ausgabenprofil, „in der institutionellen Gestaltung und im Finanzierungsmodus der Programme, was Sozialwissenschaftler immer wieder zu dem Versuch angereizt hat, diverse Typologien des Sozialstaats zu entwickeln“[4].
In konzeptioneller Hinsicht kann man:
1) den Wohlfahrtsstaat als Ganzes erforschen. Dabei werden die Charakteristika einer solchen Art, etwa staats- und gesellschaftstheoretischer oder sozialphilosophisch diskutiert wie z.B. in der (älteren) deutschern Sozialstaatsliteratur. Hier dominiert dann die polity-Dimension des Politikbegriffs.
2) Wohlfahrtsstaatliche Politiken können auch dargestellt werden als Sentenz von quantitativen Variablen, um dann mittels statistischer Methode nach Determinanten und (generalisierbaren) Erklärungsmodellen zu suchen.
3) Es können dann auch Politik- und Problemfelder wie Arbeitslosigkeit, Rente, Verarmung, medizinische Versorgung u.a. mit dem dazugehörigen organisatorischen Gefüge analysiert werden. Die policy-Dimension steht hier im Vordergrund.[5]
Diese drei konzeptionellen Vollzüge auf den Wohlfahrtsstaat haben eher wenig beachtete Konsequenzen für die analytischen Zustände von Ländern. Das heißt, man kann die Anfänge des Wohlfahrtsstaatsvergleichs darüber zusammenfassen, welche Rolle den Ländern als territorial-politische Einheit zukommt. Kürzt gezeichnet gilt: Im ersten Beispiel treten einzelne Staaten als Muster und Darstellung für die Formung von Idealtypen auf. Im zweiten Falle spielen Länder als historisch-gesellschaftliche Erscheinungen keine Rolle, sie sind zu unbedeutenden „Behältern" für Daten geworden. Im dritten Beispiel sind aber die institutionellen und feldspezifischen Anzeichen von großem Einfluss und Komplexität.[6] „Dies erhöht einerseits die Differenzierung und praktische Anwendungsmöglichkeit der Forschungsergebnisse, erschwert andererseits aber die theoretische Verallgemeinbarkeit“[7].
Das führt zu zwei wichtigen Fragen: Machen policies oder Nationen einen Unterschied aus? (auch die Analyse einzelner Organisationen und Sozialversicherungszweige) und welche Ebene wird zum Vergleich ran gezogen? (z.B. Aggregatdaten täuschen eine Homogenität der Systeme vor)[8].
2. Die aktuelle Forschungsdebatte
2.1 Die deutschen Autoren
Verknüpft auf die hypothetische Orientierung hat Jens Alben zwei Erklärungsansätze erkannt: einerseits funktionalistische Modelle, die staatliche Sozialpolitik als „Reaktion auf die Veränderung der Arbeits- und Lebensformen im Rahmen des Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesses" darstellen; und andererseits konflikttheoretische Modelle, die den Einfluss von .Demokratisierungs- und politischen Mobilisierungsprozessen sowie Legitimationsdefizite der politischen Eliten hervorheben. Darauf unterscheidet Alben auf der Basis politisch-innovativer Orientierungen zwischen marxistischen und pluralistischen Erklärungsvarianten in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung.[9]
Hingegen gering anders ordnet Manfred G. Schmidt die kommenden vier theoretischen Ansätze in der neueren Sozialpolitik-Forschung ein:
1) Analytische Schule (ökonomische und demographische Faktoren);
2) Neomarxistische Schule der Staatstheoretiker (Konflikt zw. Arbeit und Kapital);
3) Schule der Marktsoziologen (Behebung von Folgen der Industrialisierung und Modernisierung)
4) Politisch-institutionalistische Schule (Auswirkung der sozialen und wirtschaftlichen Zwänge auf die Sozialpolitik).[10]
„Im letzten Ansatz werden die institutionelle Eigendynamik und die relative Autonomie der Sozialpolitik am stärksten betont“[11]. Den Hauptgrund für diese Eigendynamik erzeugt die Binnenkomplexität des modernen Wohlfahrtsstaats selbst, denn es geht hier nicht um ein gleichförmiges Produkt. Der Wohlfahrtsstaat setzt sich viel mehr aus unterschiedlichen Institutionen zusammen, die in verschiedenen historischen Abschnitten reif wurden und deren Wechselspiel eine wichtige Quelle der Dynamik ihrer eigenen und der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung bilden[12].
„Der Wohlfahrtsstaat ist demnach in seiner Entwicklung nur partiell determiniert und muss im historisch-vergleichenden Kontext gesehen werden“[13]. Sein Ausbau wird geformt durch politische Gruppen, nationalspezifische politische Konfigurationen und variierende Muster der Staatsorganisation[14].
Jens Alber sonderte drei historische Phasen in der Dynamik der Wohlfahrtstaatsentwicklung bezüglich der Akteurkonstellationen[15] ab:
1) Vor dem Ersten Weltkrieg betrachtete man die Sozialpolitik als eine Abwehrmaßnahme gegen die politische Bewegung der Arbeiterklasse. Das Kaiserreich unter Bismarck ist dafür prototypisch und stellt ein Beispiel einer Sozialpolitik in den autoritären Regimen dar. Erst in der Folgezeit erweiterten die parlamentarischen Demokratien soziale Sicherungssysteme, um die Wählerstimmen der Arbeiter zu konkurrieren.
2) In der Zwischenkriegszeit stellt Alber einen positiven Effekt der Arbeiterbewegung auf die Ausgestaltung der Sozialversicherungen dar. Sie wurden dort am stärksten entwickelt, wo sozialistische Parteien regierten oder bei den Wahlen Erfolg hatten. Deutschland mit dem Nationalsozialismus wird als ein Sonderfall betrachtet.
3) Nach dem zweiten Weltkrieg ist der Einfluss dieser politischen Faktoren nicht mehr so stark. Die wirtschaftliche Entwicklung fängt an, die Sozialpolitik zu prägen. Für Deutschland muss man auf die sozialpolitische Ambivalenz christdemokratischer Parteien hinweisen. Gleichzeitig wird aus vergleichender Perspektive in dieser Phase in Westeuropa eine gewisse Konvergenz der Systeme der sozialen Sicherung bemerkbar[16].
Für die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung sind zwei Aspekte besonders wichtig. Das sind die Kontroverse um die Bedeutung ökonomischer und politischer Determinanten und die jüngeren Überlegungen über die Gepräge von Wohlfahrtsstaatstypen und deren Kritik[17].
2.2 Grundzüge einer Kontroverse in der Forschung
In den beginnenden Verhandlungen über den Einfluss von politischen gegenüber sozioökonomischen Variablen bei der Erklärung der Entstehung des Wohlfahrtsstaats können zwei wichtige Faktorenkomplexe genannt werden: erstens solche, die ihre Überlegungen auf dem Industrialismus basieren, zweitens solche, die die wachsende politische Bedeutung der Arbeiterklasse oder die Beeinflussung von Parteien und anderen Interessengruppen in der Vordergrund stellen[18].
Der Vertreter der sozialökonomische Schule M.G. Schmidt geht davon aus, dass hauptsächlich die ökonomische Entwicklung und die damit gebundene demographische Struktur der Bevölkerung für das verschiedene Ausmaß der Wohlfahrtsausgaben die Verantwortung tragen. Die links ausgerichteten bzw. sozialdemokratischen Parteien sind dabei Abhängige von diesen Faktoren.[19]
Der erste Teil dieser Behauptung könnte ansatzweise durch die Länder der Europäischen Union bestätigt werden. In Westeuropa existiert eine positive Verbindung zwischen den Ausgaben für die Sozialpolitik und dem BIP[20]. Durch die kulturellen und politischen Traditionen zusammen mit dem wirtschaftlichen Wachstum nähern sich diese Länder in ihren Politiken der Bildung sicherer sozialer Niveaus[21].
Die weitere Erklärung, die stark auf die neomarxistische Schule zugreift, wird von John Stephens dargestellt. Er geht davon aus, dass die Beteiligung der sozialdemokratischen Parteien an der Regierung und der Einfluss der Gewerkschaften die Ausgaben für den Aufbau des Wohlfahrtstaates bestimmen. Dieses sozialdemokratische Modell kann man durch die vier Grundlagen darstellen:
- Der Wohlfahrtsstaat wird als Produkt vom Klassenkampf dargestellt und ist die direkte Folge der Etablierung der Arbeiterklasse in der Staatspolitik.
- Die Ausgaben für den Aufbau des Wohlfahrtsstaats werden durch die Regierungsentscheidungen bestimmt.
- Es findet ein Wettbewerb in den westlichen Demokratien zwischen bürgerlichen Parteien und Arbeiterparteien statt, dabei sorgen die reformistischen Gruppen für den Ausbau der sozialen Sicherheiten.
- Die Etablierung und weitere Entwicklung von Linksparteien sind eine Größe des Ausmaßes der politischen Beteiligung des Proletariats.
So wird beim sozialdemokratischen Modell deutlich die Hypothese vertreten, dass sich Wohlfahrtsstaaten in dem unterscheiden, in wie fern sie sozialdemokratisch geprägt sind[22].
[...]
[1] Casetti 1978, in: Faganini, hans-Peter/Wili, Hans: Der Wohlfahrtstaat Anspruch und Wirklichkeit, Breisgau 1978, S. 160.
[2] Benz, Benjamin: Wettbewerb mittels wirtschaftlicher Integration und sozialer Segregation – Die Europäische Union vor der Osterweiterung, in: Benz, Benjamin/Boeckh, Jurgen/Huster, Ernst-Ulrich (Hrsg.): Sozialraum Europa, Opladen 2000, S 134.
[3] Alber, Jens: Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat. Analysen zur Entwicklung der Sozialversicherung in Westeuropa, 2. durchges. Aufl., Frankfurt/New York 1987, S. 5.
[4] Ebd.
[5] Vgl. Schmidt Josef: Wohlfahrtsstaaten im Vergleich, 2. Auflage 2002, S. 71.
[6] Vgl. ebd.
[7] Ebd.
[8] Vgl. ebd.
[9] Vgl. Schmidt 2002, S. 72
[10] Vgl. ebd., S. 73.
[11] Ebd.
[12] Vgl. Schmidt 2002, S. 73.
[13] Ebd., S. 74.
[14] Vgl. ebd.
[15] Vgl. ebd.
[16] Vgl. ebd., S. 74-75.
[17] Vgl. ebd., S. 75.
[18] Vgl. Schmidt 2002, S. 76.
[19] Vgl. ebd.
[20] Vgl. ebd.
[21] Vgl. ebd., S. 77.
[22] Vgl. Schmidt 2002, S. 77.
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