Diese Arbeit untersucht die wichtigsten umweltethischen Argumente in Hans Jonas Werk: "Das Prinzip Verantwortung". Dabei werden diese analysiert, reflektiert und mit Gegenpositionen konstruktiv kritisiert.
Im ‚Prinzip Verantwortung‘ von Hans Jonas (Erstveröffentlicht 1979) ist die These vorherrschend, dass die Verheißung der modernen Technik sich in Drohung umgeschlagen hat, bzw. diese sich mit jener unlösbar verbunden hat.1 Seine wesentlichen umweltphilosophischen Hauptargumente habe ich nach drei verschiedenen Kernbereichen wie den Werten der Naturethik,
der Technik- und Zukunftsethik sortiert. Es wurde nachfolgend überprüft, ob seinen Thesen im Abgleich mit dem heutigen Kenntnisstand und heutigen Argumenten stattgegeben werden kann.
Inhalt
Einleitung
Die Zukunft
Die Werte
Die Technik
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Im ‚Prinzip Verantwortung‘ von Hans Jonas (Erstveröffentlicht 1979) ist die These vorherrschend, dass die Verheißung der modernen Technik sich in Drohung umgeschlagen hat, bzw. diese sich mit jener unlösbar verbunden hat. [1] Seine wesentlichen umweltphilosophischen Hauptargumente habe ich nach drei verschiedenen Kernbereichen wie den Werten der Naturethik, der Technik- und Zukunftsethik sortiert. Es wurde nachfolgend überprüft, ob seinen Thesen im Abgleich mit dem heutigen Kenntnisstand und heutigen Argumenten stattgegeben werden kann.
Die Zukunft
Früher waren sowohl Wissen als auch Macht begrenzt, um die entferntere Zukunft in die Voraussicht und gar den Erdkreis in das Bewusstsein der eigenen Kausalität einzubeziehen. Und dies war in der vorindustriellen Kausalität auch nicht notwendig. Statt spätere Folgen im großen Stile müßig zu erraten, konzentrierte sich die klassische Ethik auf die sittliche Qualität des augenblicklichen Aktes selber, in dem das Recht des mitlebenden (und mitleidenden) Nächsten zu achten ist. [2] Im Hinblick auf die Konsequenzen der Industrie und Technologie sei dies jedoch nicht mehr möglich. Hans Jonas schlägt einen überarbeiteten kategorischen Imperativ vor, der so lauten würde: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ [3]
„Warum wir [...] eine Verpflichtung gegenüber dem haben, was noch garnicht ist und >an sich< auch nicht zu sein braucht, jedenfalls als nicht existent keinen Anspruch auf Existenz hat, ist theoretisch garnicht leicht und vielleicht ohne Religion überhaupt nicht zu begründen.“ [4]
„Die >Zukunft< [...] ist in keinem Gremium vertreten; sie ist keine Kraft, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das Nichtexistente hat keine Lobby und die Ungeborenen sind machtlos. Somit hat die ihnen geschuldete Rechenschaft vorerst keine politische Realität im gegenwärtigen Entscheidungsprozess hinter sich, und wenn sie sie einfordern können, sind wir, die schuldigen, nicht mehr da.“ [5]
Hochinteressant, aber sehr unorthodox ist der (sehr abstrakte) antithetische Gedanke, den Michael Reder dazu anführt:
„Gerade die Umweltpolitik scheint ein Feld komplexer Interessenlagen zu sein, in dem verschiedene Akteure versuchen, Diskurshoheit zu erlangen, um damit ihre Interessen durchzusetzen. Auch zukünftige Generationen könnten dementsprechend als politische >Gegner< konzeptualisiert werden, die (indirekt) versuchen, gegenwärtige Umweltpolitik zu beeinflussen.“ [6]
Man mag Reder entgegenhalten, dass dieses Konzept nur sehr psychologietheoretisch und nicht sehr realistisch anmutet.
Vor all diesen Zukunftsproblemen meint Hans Jonas, dass eine Wissenschaft hypothetischer Vorhersagen, eine sogenannte „vergleichende Futurologie“ ausgebildet werden muss. Jonas spricht die Notwendigkeit an, dass eine Möglichkeit eine Wahrheit der Idealsphäre werden kann, wohingegen hypothetische Denkexperimente bestenfalls Wahrscheinlichkeit beanspruchen können. [7] Aufgrund der Unsicherheiten, die durch die Extrapolationen entstehen, fordert Jonas, dass „der Unheilsprophezeihung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung.“ [8]
Jonas selbst hält von der Alternative der „Freiheit schöpferischen Spielens“, von einer „Rechtfertigung enthobener Freiheit“, die er als nihilistisch klassifiziert, selbst sehr wenig. [9] Ebenso sieht er in den großen Wagnissen der Technologie kein Rettungsversuch des Bestehenden oder Behebungsversuch des Unerträglichen, sondern eine stetige Verbesserung des je erreichten, eine Steuerung dem Fortschritt entgegen, der die Herbeiführung eines irdischen Paradieses zum Ehrgeiz habe. [10] Da nach ihm solche Risiken beim Verwenden von Technologie bestehen, und er keinen Grund sehe, die Existenz der Menschheit aufs Spiel zu setzen, noch nicht mal, dass es ein Recht dazu gebe, ist er sehr pessimistisch, was die Auslotung von technologischen Strategien anbelangt. [11]
Man kann sagen, dass er damit ein teleologisches Verständnis von Technologieentwicklung für unwahr hält.
Wie schon vorher angedeutet, steht dem gegenüber, dass „[d]ie Unheilsprophezeihung [...] gemacht [wird], um ihr Eintreffen zu verhüten; und es wäre die Höhe der Ungerechtigkeit, etwaige Alarmisten später damit zu verspotten, dass es doch gar nicht so schlimm gekommen sei: ihre Blamage mag ihr Verdienst sein.“[12]
Ganz grundlegend erkennt Jonas schon an, dass es bei Naturschutz auch um den ‚egoistischen‘ Selbstschutz des Menschen geht, er meint aber auch, dass „[w]ir [...] darüber hinaus [gehen] und sagen, dass die in der Gefahr neuentdeckte Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Natur uns auch die selbsteigene Würde der Natur wiederentdecken lässt und uns über das Utilitarische hinaus ihre Integrität bewahren heißt.“ [13]
Der Selbstschutz des Menschen bedeute, dass man sich im Weltdurchschnitt eine Steigerung des Wohlstandes nicht mehr leisten könne, und für die entwickelten Länder das Verzicht bedeute. [14] Hierbei stehen gerade die psychologischen Mechanismen an erster Stelle, denn Verzicht muss breit Akzeptiert werden. Hierbei gesteht Jonas der Utopie, trotz aller Kritik an ihr, wesentliche Bedeutung zu, dass sie große Massen befeuern kann zu Taten und Leiden, die sie sich sonst nicht abgewinnen würden. [15] (Eine Utopie ist wie eine bessere Form des Zwangs, letzteres hält Jonas ja für geboten als ultima ratio.)
Gerade das immerwährende Credo der sogenannten Nachhaltigkeit sagt in einem Schlagwort alles und nichts. Das bestätigen auch Lexikoneinträge, deren Aussagen nicht immer durch Begründungen untermauert werden, wie z.B.: „Eine sogenannte starke, freilich kaum gerechtfertigte ökologische Nachhaltigkeit verbietet, nichterneuerbare Ressourcen wie fossile Energieträger vollständig zu verbrauchen.“ [16] Eine Begründung für letztgenanntes könnte z.B. sein: „Mittlerweile muss Nachhaltigkeit sicherstellen, dass Handlungen aufgrund von Knappheit nicht unmöglich werden, auch solche, die das Überleben sicherstellen.“ [17]
Die für michüberzeugendste Kurzdefinition ist mit Abstand diese hier: „Nachhaltigkeit bedeutet, nicht Gewinne zu erwirtschaften, die dann in Umwelt und Sozialprojekte fließen, sondern Gewinne bereits umwelt- und sozialverträglich zu erwirtschaften.“ [18]
Die Werte
Im Hinblick auf die technologischen Folgen könnte es sein, dass die neue Art menschlichen Handelns bedeuten würde, dass nur das Interesse des Menschen, also die anthropozentrische Beschränkung aller früheren ethischen Sichtweisen, nicht mehr gilt. [19] Sei also die außermenschliche Natur (die Biosphäre als Ganzes), zum menschlichen Treugut geworden, nicht nur aus Eigennutz, sondern um ihrer Selbst willen (als sogenannter Zweck an sich)? [20]
Dies wird in der Philosophie kontrovers diskutiert. Dieter Birnbacher definiert ‚inhärente Naturwerte‘ folgendermaßen:
„>Inhärenter Wert< wird [...] als Begriff innerhalb des anthropozentrischen Denkrahmens verstanden, und zwar als Gegenbegriff zum >instrumentellen Wert<. [...] Inhärenten Wert besitzen Naturbestandteile dagegen als Gegenstände intrinsisch wertvoller Zustände, z.B. als Gegenstände ästhetischer, religiöser oder metaphysischer Kontemplation. Inhärenter Wert ist an die Subjektivität des bewertenden Subjekts gebunden.“ [21]
Der Satz, dass die Existenz einer Welt überhaupt besser sei als die Existenz keiner, ist gleichzeitig so unbeweisbar wie überzeugend. [22] Aller künstlichen Welt geht zwar in irgendeiner Hinsicht ein sogenannter Zweck voraus, aber ob das bei der natürlichen Welt genauso sei, lässt sich ohne eine Zuhilfenahme transzendentaler Annahmen nicht eindeutig beantworten, weswegen Jonas dem Metaphysischen besser zuspricht als andere moderne und postmoderne Philosophen. Z.B. kann Angelika Krebs dem ‚theologischen Argument‘ nicht viel abgewinnen:
„Es gibt kein wertendes Wesen mit dem Namen >Gott<, das zum Beispiel die Welt geschaffen und den Menschen als Hüter über seine Schöpfung eingesetzt hätte. [...] Und selbst wenn es ein solches Wesen gäbe, sollten wir ihm nicht blindlings folgen. Denn es könnte ein böser, ungerechter Dämon sein.“ [23]
Jonas Befürchtung hingegen ist, dass das, was er die „Abschaffung der Transzendenz“ nennt, vielleicht „der kolossalste Irrtum der Geschichte“ gewesen sein mag. [24]
Jonas geht ferner von einer Pflicht zur Nachkommenschaft aus (zwar nicht jedes Einzelnen). Legen wir uns nach ihm hypothetisch darauf fest, dass spätere Generationen auf jeden Fall existieren werden, gibt ihnen, wenn es soweit ist, ihr unerbetenes Dasein das Recht, uns Frühere als Urheber ihres Unglückes zu verklagen, wenn wir durch sorgloses und vermeidbares Tun die Welt oder die menschliche Konstitution für sie verdorben haben. Also bestehe für uns Heutige aus dem Recht des zwar noch nicht vorhandenen, aber zu antizipierenden Daseins späterer Generationen eine Pflicht der Urheber, die Dimensionen der Wirkungen unserer Taten zu verantworten. [25]
„[Das politische Individuum] ist (im Normalfall) aus [der Interessengemeinschaft] hervorgegangen und durch sie er selbst geworden, ist also zwar nicht Vater, aber >Sohn< seines Volkes und Landes (auch Standes, und so fort) und hierin all den Anderen, die dazugehören – lebenden, kommenden, selbst gewesenen - >verschwistert<. Dies begründet, wie bei der Familie, der die Symbolik entlehnt ist, mehr als nur ein Pflichtverhältnis, nämlich jene emotionale Identifizierung mit dem Ganzen, die gefühlte >Solidarität<, die der Liebe zum Einzelnen analog ist.“ [26]
Von der Pflicht zur Nachkommenschaft leite sich abstrakter die Pflicht zum Dasein schlechthin ab. Mit diesem Imperativ sei man gar nicht den künftigen Menschen per se verantwortlich, sondern der Idee des Menschen selber. [27]
Insofern die Natur Zwecke innehat, habe sie auch Werte. [28] Nach ihm könnte eine Wertlehre das Verhältnis von Gut und Sein (bonum und esse) eine etwaige Verbindlichkeit von Werten begründen, als (Be-)Gründung des Guten im Sein. [29] „Erst von hierher ließe sich zeigen, dass die Natur, indem sie Werten anhängt, auch die Autorität zu ihrer Sanktion hat und ihre Anerkennung von uns und jedem wissenden Willen in ihrer Mitte fordern darf“, so Jonas. Ob wir ihren Werten beipflichten müssen, ist eine schwer zu klärende Frage. [30]
„Das >Gute< oder den >Wert< im Sein gründen heißt die angebliche Kluft von Sein und Sollen überwinden. [...] Insoweit also Ziele tatsächlich in der Natur, einschließlich der unsrigen, angelegt sind, scheinen sie keine andere Würde als die der Tatsächlichkeit zu genießen.“ [31]
„Nur wer Verantwortung hat, kann unverantwortlich handeln. [...] Dieser Begriff in seinem starken Sinn ist reserviert für den Verrat an Verantwortungen unabhängiger Gültigkeit, durch den ein wahres Gut gefährdet wird.“ [32] Nun gibt es auch die Konstellation, dass ein Gut, dass nicht von selbst schon im aktuellen Umkreis unserer Macht liegt, für das wir daher noch garnicht verantwortlich sein können, Gegenstand freigewählter Verantwortung werden kann. [33] Der Übergang, dass man von der ‚Macht-Über-Etwas‘ zur ‚Macht-Für-Etwas‘ kommt, kennzeichnet das Wesen der Verantwortung. [34] „Der Freie nimmt die herrenlos wartende Verantwortung für sich in Anspruch und steht dann allerdings unter ihrem Anspruch; er gehört ihr und nicht mehr sich selbst. Die höchste und anmaßlichste Freiheit des Selbst führt ins gebieterische und unnachsichtigste Muss.“ [35] Jonas meint, dass alles Lebendige sein eigener Zweck sei, dass keiner Rechtfertigung bedürfe, und dass der Mensch hierin nichts vor anderen Lebewesen voraus habe – außer dass er allein auch für sie, dass heißt für die Hütung ihres Selbstzweckes, Verantwortung haben kann. [36]
Auch die technokratischen Philosophenherrscher in Platons Staatskonzeption haben sinngemäß auch den Auftrag der Macht-Für-Etwas. Jonas fragt vorsichtig, ob Platons Weg nicht einmal für künftige Menschen wieder gangbar wird, und ob letztenendes undemokratische Expertenherrschaft der Wahrheit des Sein mehr entspricht als der unsrigen. [37] Er drückt sich nicht davor, die Vorteile totaler Regierungsgewalt uns aufzuzeigen, auch wenn er es „auf die Dauer“ für ein zweifelhaftes Mittel zum Zweck hält. [38] (Denn die Demokratie sei für die Handhabung der Klimakrise „mindestens zeitweise untauglich“.) [39]
„Maßnahmen [...], die das Eigeninteresse der Betroffenen sich spontan nicht auferlegt hätte, die demnach, wenn sie gar die Majorität treffen, im demokratischen Prozess schwer zum Beschluss gebracht werden könnten. Solche Maßnahmen sind aber eben das, was die drohende Zukunft verlangt und immer mehr verlangen wird. [...] Das wirkliche Problem ist dies: Wenn, wie wir glauben, nur eine Elite ethisch und intellektuell die von uns angezeigte Zukunftsverantwortung übernehmen kann – wie wird eine solche Elite erzeugt und wie mit der Macht ausgestattet, sie auszuüben?“ [40]
Dass es soweit nicht kommen soll, bestätigen auch die fahrtaufnehmenden Initiativen zur ‚Bildung für Nachhaltige Entwicklung‘. BNE und politische Bildung seien im hohen Grade kompatibel. Beide seien geprägt von Selbstreflexion sowie Anerkennung und Respekt anderen und der Umwelt gegenüber.[41]
Die Technik
Im Zeichen der Technologie hat es die Ethik mit Handlungen zu tun (primär nicht mehr der Einzelsubjekte), die eine beispiellose kausale Reichweite in die Zukunft haben. Die Unversehrtheit der Welt der Menschen (die Erde) und seines Wesens muss gegen die Übergriffe der technologischen Macht der Menschen beschützt werden. [42] Die moderne Technik hat Handlungen von neuerer Größenordnung und Konsequenzen eingeführt, dass der Rahmen früherer Ethik sie nicht mehr fassen kann. [43] „Denn die Grenze zwischen >Staat< (polis) und >Natur< ist aufgehoben worden.“ [44]
Die Unversehrtheit der Welt ist dabei schon zu einem Ideal geworden, das es anzustreben gilt. Johan Rockström, Wissenschaftler beim Stockholm Resilience Centre der Universität Stockholm, schlug 2009 einen neuen Ansatz vor zur Feststellung der Voraussetzungen für die menschliche Entwicklung. Dieser zeigt auf, dass das Überschreiten bestimmter biophysikalischer Schwellen katastrophale Folgen für die Menschheit haben könnte. Schon damals wurden 3 von 9 miteinander verbundenen planetaren Grenzen bereits überschritten. Dieser Zustand hat sich nicht verbessert, im Gegenteil. [45]
Anmerkung des Lektorats:
Diese Abbildung wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
[46] Da die Druckqualität der Abbildung ein Lesen der Kipppunkte erschwert, seien sie hier erwähnt:
· Climate change
· Ozean acidification
· Stratospheric ozon depletion
· Nitrogen & Phosphorus cycle (biogeochemical flow boundary)
· Global freshwater use
· Change in land use
· Biodiversity loss
· Atmospheric aerosol loading
· Chemical pollution
Die traurige Schlussfolgerung ist, dass der Trend eindeutig dazu neigt, dass sehr schnell sehr stark die Schwellen massiv überschritten werden. Wenn diese rasende Entwicklung weitergeht, könnten in einem Jahrzehnt Umweltkatastrophen regelmäßig die menschliche Welt herausfordern, besser zu sagen überfordern. Wobei die Geschichte auch zeigt, dass es anders möglich ist, wenn man nur will:
„Mit Blick auf Nachhaltigkeit ist die Wissenschaft zu einer Frühwarninstanz für die Gesellschaft geworden, wie das Beispiel der Ozonlochvergrößerung zeigt: Hier haben wissenschaftliche Erkenntnisse dazu beigetragen, die Gefahr zu erkennen und ihr durch entsprechende politische Maßnahmen zu begegnen.“ [47]
Die Verletzlichkeit der Natur durch die technische Intervention war nicht vermutet, bevor der angerichtete Schaden sichtbar wurde. Dies hat sichtbar gemacht, dass wir im System Erde zu einem kausalen Faktor wurden. [48] Deshalb meint Jonas, dass das sogenannte ‚Bacon’sche Ideal‘ zu Unheil geführt hat, weswegen es heute eine ‚Macht über die Macht‘ brauche. [49]
Anknüpfend an die frühere Ethik ist zu sagen, dass die Technik nur eine notwendige Begleiterscheinung war, nicht die Straße zum erwählten Ziel der Menschheit. Hans Jonas spricht hier vom „Triumph des Homo Faber über den Homo Sapiens.“ [50]
Somit könnte die Verantwortung, die auf uns zukommt, uns tendenziell überfordern. Technologische Macht hat das Potenzial, uns zu Zielen zu treiben, die früher als Utopisch galten, aber jetzt immer mehr ausführbare Projekte darstellen, und im Wählen zwischen ihnen müssen wir zwischen Extremen ferner und großenteils unbekannter Wirkungen wählen. [51] Demgemäß wird Unwissen über die letzten Folgen selber ein Grund für verantwortliche Zurückhaltung. [52]
Desweiteren meint Jonas, dass kommende Erfindungen und Entdeckungen zum Beispiel nicht antizipierbar seien und damit in die Zukunftsprognose nicht schon eingerechnet werden können.[53]
Er sagt ferner, dass bei der Technik, anders als bei der Wissenschaft, Fortschritt eventuell auch unerwünscht sein kann (weil Technik sich nur durch ihre Effekte, nicht durch sich selbst rechtfertige). [54]
Wie weit man den Technologiepessimismus (in der Öffentlichkeit, auch durch die ‚Bildung für Nachhaltige Entwicklung‘) (be)treiben darf, ist keine leicht zu beantwortende Frage. Das richtige mittlere Maß ist entscheidend. Ansonsten würden Ergebnisse, die es eventuell dringend gebraucht hätte, gar nicht erst zu Stande kommen. Nicht umsonst heißt es in einem Artikel zur ‚nachhaltigen Technologiegestaltung durch Partizipation‘: „Zustimmung und Begeisterung der Bürger sind für die erfolgreiche Einführung neuer Technologien genauso wesentlich wie die Forschung selbst. Auch bei der Priorisierung von zukünftigen Forschungszielen sind sie ein wichtiger Faktor.“ [55]
Fazit
Die Zukunft ist ein ethisch schwierig zu behandelndes Thema. Spätere Folgen im großen Stile zu antizipieren, ist kein Gegenstand klassischer Ethik. Hans Jonas begegnet diesem Problem mit einem neuen kategorischen Imperativ. Die Verpflichtungen späteren Generationen gegenüber sind nach seiner Ansicht ohne metaphysische Begründungen nicht haltbar. Diese (Umwelt-)Probleme der Zukunft erfordern eine Wissenschaft hypothetischer Vorhersagen, er spricht von einer ‚vergleichenden Futurologie‘. Diese muss zwischen Wahrheit und Wahrscheinlichkeit differenzieren können und dementsprechend Handlungsanweisungen vorschlagen. Generell postuliert Jonas einen Technologiepessimismus, bei der der Unheilsprophezeihung Vorrang einzuräumen ist. Er verneint teleologische Positionen der Technik- und der Gesellschaftsentwicklung. Die Selbstschutzmaßnahmen werden den Menschen einige Opfer abverlangen, in diesem Sinne könnte es nach Jonas einer Utopie bedürfen, die die Menschen zum korrekten Tun beflügelt. Diese Utopie heißt heute (m.M.n) Nachhaltigkeit.
Positionen der Naturethik postulieren, dass anthropozentrische Sichtweisen nicht mehr gelten sollen. Die dabei zur Debatte stehenden Werte handeln grob gesagt über sogenannte Zwecke an sich, bzw. ‚inhärenten Werten‘. Es ist strittig, ob selbige von bewertenden Subjekten abhängen, oder nicht. Bei Verneinung muss man praktisch zwangsläufig transzendentalen Annahmen Rechnung tragen, was säkularisierte Philosophen wiederum ablehnen. Jonas begründet weiter eine ‚Pflicht zur Nachkommenschaft‘ mit einer eigenwilligen Metaphysik, mit einer emotionalen Identifizierung mit dem Ganzen, platt gesagt mit einem intrinsischen Solidaritätsgefühl, dass eine Liebe zu vielen (der Vergangenheit, Gegenwart und noch kommenden Zukunft) erzeuge. Eng daran anknüpfend ist die Pflicht zum Dasein, bei der wohlgemerkt die Idee der Menschheit selber verteidigt wird. Die Axiologie über die Natur fordere überdies von uns, uns vom Konzept des naturalistischen Fehlschlusses zu befreien. Jonas bezweifelt (leider), dass die Demokratie vollends tauglich ist, für die Umweltprobleme eine Lösung zu gebären, und drückt sich nicht davor, dem Leser die Vorteile totaler Regierungsgewalt aufzuzeigen.
Die Technologie stellt die Ethik seit den 1970er Jahren vor Herausforderungen. Das Machtvermögen der modernen Technik zeigt einen wesentlichen Unterschied zu aller früheren auf. Die Unversehrtheit der Welt war sozusagen immer vorausgesetzt, bis der angerichtete Schaden Sichtbar wurde. Die Menschheit wurde zu einem kausalen Faktor im System Erde. Das ‚Bacon’sche Ideal‘ habe zu Unheil geführt, weswegen es heute eine ‚Macht über die Macht‘ brauche, so Jonas. Sein Können sei sein Schicksal. Er spricht hier vom ‚Triumph des Homo Faber über den Homo Sapiens‘. Seine Unheilsprophezeihung begründet er damit, dass Unwissen über die letzten Folgen selber ein Grund für verantwortliche Zurückhaltung wird. Auch seien kommende Erfindungen und Entdeckungen nicht antizipierbar und können damit nicht in die Zukunftsprognosen eingerechnet werden. Da er teleologische Positionen in der Technikentwicklung verneint, kann Fortschritt in der Technik (anders als bei der Grundlagenforschung in der Wissenschaft) prinzipiell auch unerwünscht bzw. gefährlich sein. Gerade der Aspekt seines Technologiepessimismus ist heute ein Punkt, den es (zumindest meines Erachtens) kritisch zu beurteilen gilt.
Literaturverzeichnis
Bauchmüller, Michael: Schönen Gruß aus der Zukunft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 64. Jg./31-32 (2014), S. 3 – 6.
Birnbacher, Dieter: Bioethik zwischen Natur und Interesse, Frankfurt am Main, 1. Auflage, 2006, Suhrkamp Taschenbuch Verlag.
Erben, Friedrun/de Haan, Gerhard: Nachhaltigkeit und politische Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 64. Jg./31-32 (2014), S. 21 – 27.
Höffe, Otfried: Nachhaltigkeit, in: Lexikon der Ethik, Höffe, Otfried (Hrsg.), München, 8. Auflage, 2023, C.H.Beck oHG, S. 236 – 237.
Johan Rockström et al.: A safe operating space for humanity, 23.09.2009, unter: https://www.nature.com/articles/461472a (Stand: 14.02.2024).
Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt am Main, 1. Auflage, 2003, Suhrkamp Taschenbuch Verlag.
Kaiser, Simone et al.: Shaping Future. Nachhaltige Technologiegestaltung durch Partizipation, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 64. Jg./31-32 (2014), S. 28 – 34.
Krebs, Angelika: Naturethik im Überblick, in: Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion, Krebs, Angelika (Hrsg.), Frankfurt am Main, 1. Auflage, 1997, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, S. 337 – 379.
Pufe, Iris: Was ist Nachhaltigkeit?. Dimensionen und Chancen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 64. Jg./31-32 (2014), S. 15 – 20.
Reder, Michael: Philosophie pluraler Gesellschaften. 18 umstrittene Felder der Sozialphilosophie, Stuttgart, 1. Auflage, 2018, W. Kohlhammer GmbH.
Stockholm Resilience Centre: Planetary Boundaries, 2023, unter: https://www.stockholmresilience.org/research/planetary-boundaries.html (Stand: 14.02.2024).
[1] Jonas 2003, S. 7.
[2] Vgl. Jonas 2003, S. 8.
[3] Ebd., S. 36.
[4] Ebd.
[5] Ebd., S. 55.
[6] Reder 2018, S. 150.
[7] Jonas 2003, S. 67.
[8] Ebd., S. 70.
[9] Ebd., S. 73.
[10] Vgl. Ebd., S. 79.
[11] Vgl. Ebd., S. 80.
[12] Ebd., S. 218.
[13] Ebd., S. 246.
[14] Vgl. Jonas 2003, S. 287.
[15] Vgl. Ebd., S. 288.
[16] Höffe 2023, S. 236.
[17] Bauchmüller 2014, S.6.
[18] Pufe 2014, S. 16.
[19] Vgl. Jonas 2003, S. 30.
[20] Vgl. Ebd., S. 30.
[21] Birnbacher 2006, S. 112.
[22] Vgl. Jonas 2003, S. 33.
[23] Krebs 1997, S. 361.
[24] Jonas 2003, S. 231.
[25] Vgl. Jonas 2003, S. 87f.
[26] Ebd. S., 193.
[27] Vgl. Ebd., S. 91.
[28] Vgl. Ebd., S. 148.
[29] Vgl. Ebd., S. 149.
[30] Ebd., S. 150.
[31] Ebd., S. 153.
[32] Ebd., S. 176 ff.
[33] Vgl. Jonas 2003, S. 180.
[34] Vgl. Ebd., S. 181.
[35] Ebd., S. 182.
[36] Vgl. Ebd., S. 184.
[37] Vgl. Ebd., S. 231.
[38] Vgl. Ebd., S. 263.
[39] Ebd., S. 269.
[40] Ebd., S. 263.
[41] Vgl. Erben/de Haan 2014, S. 24.
[42] Vgl Jonas 2003, S. 8f.
[43] Vgl. Ebd., S. 26.
[44] Ebd., S. 33.
[45] Vgl. Rockström 2009.
[46] Azote for Stockholm Resilience Centre, Stockholm University. Based on Richardson et al. 2023, Steffen et al. 2015, and Rockström et al. 2009 (Licenced under CC BY-NC-ND 3.0).
[47] Pufe 2014, S. 19.
[48] Vgl. Jonas 2003, S. 26f.
[49] Vgl. Ebd., S. 253.
[50] Ebd., S. 31.
[51] Vgl. Ebd., S. 54.
[52] Vgl. Jonas 2003, S. 55.
[53] Vgl. Ebd., S. 217.
[54] Vgl. Ebd., S. 295.
[55] Kaiser et al. 2014, S. 28.
- Quote paper
- Christian Klisch (Author), 2024, Kritische Betrachtung der umweltethischen Kernargumente in Hans Jonas' "Das Prinzip Verantwortung", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1467487
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