Diese Hauptseminararbeit beinhaltet einen direkten Vergleich der altisländischen Ívens saga mit der mittelhochdeutschen Version dieser Saga von Hartmann von Aue.
Es handelt sich dabei besonders um Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf Figuren, Handlungen, Örtlichkeiten, etc.
Inhalt
1. Einleitung
2. Vorbetrachtungen
2. 1 Artusepik
2.2 Herkunft und Tradierung des Stoffes
2.3 Abgrenzung zwischen Saga und Ritterromans
2.4 Exkurs zum Doppelten Kursus
3. Vergleich Ívens Saga und Iwein
3.1 Ívens saga – Struktur und Inhalt
3.2 Gemeinsamkeiten zwischen Ívens Saga und Hartmanns Iwein
3.3 Unterschiede zwischen beiden Textfassungen
4. Schlussbetrachtungen
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Literatur
1. Einleitung
Die Abenteuer des legendären König Artus[1] und seiner Tafelritter haben die Menschen über Jahrhunderte hinweg in ihren Bann gezogen. Die sagenhaften Erzählungen von Turnieren, Kämpfen mit Drachen, Rettungen entführter Jungfrauen sowie einfachem und edlem Verhalten, aber auch Intrigen dominieren bis in die Gegenwart die Literatur. In vielen Ländern Europas kursieren mehr oder weniger ähnliche Geschichten, denn der Artusstoff ist neben den Nibelungen mit der beliebteste und weit verbreitete des Mittelalters[2].
Die Sage vom Ritter Iwein – dessen Ruhm, unehrenhaftem Fall und seiner Rückkehr in die Gesellschaft – hat im 13. Jahrhundert sogar den hohen Norden Europas erreicht. Parallel zu diesem Werk Chrétien de Troyes’ wurden ebenso die Erex saga und die, nur in Fragmenten bekannte, Parcevals saga übersetzt, welche im genannten Jahrhundert mit vielen anderen aus Frankreich nach Norwegen kamen[3].
In der Seminararbeit – Artusepik im Spannungsfeld nordeuropäischer Sagas und mittelhochdeutschen Ritterromanen. Ein exemplarischer Vergleich des altisländischen Iven und Hartmann von Aues Iwein – soll die altisländische Rittersaga Ívens saga mit dem mittelhochdeutschen Ritterroman Iwein Hartmanns von Aue vergleichend untersucht werden. In diesem Vergleich werden Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten, u.a. in der Beschreibung Abenteuer, Personen, Lokalitäten oder in der Darstellung der Gewalt während der Auseinandersetzungen bzw. Kämpfe, herausgearbeitet und vorgestellt.
Nach einer kurzen allgemeinen Begriffsdefinition, die sich vorwiegend auf ritterliche Tugenden und Verhaltensweisen konzentriert, werden die Rezeption sowie Tradierung des Artusstoffes dargestellt. Mit Hilfe dieser theoretischen Grundlagen soll zunächst eine Ausgangsbasis geschaffen werden, die für den exemplarischen Vergleich von Relevanz ist. Anschließend sollen im Hauptteil der vorliegenden Darstellung einzelne Elemente aus beiden Fassungen (Mittelhochdeutsch und Altisländisch) herausgestellt werden: Zentrale Punkte in diesem Abschnitt bilden beispielsweise unterschiedliche Zahlensymbolik, Zeitangaben oder Phänomene, die in den beiden Werken auftauchen. In diesem Zusammenhang muss darauf verwiesen werden, dass es hierbei nicht um die Frage geht, warum es zu bestimmten Variationen in den Fassungen gekommen ist, da dieses einen sehr spekulativen Charakter hätte und weniger wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht würde. Vielmehr soll herausgestellt werden, an welchen (ausgewählten) Punkten es Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem altisländischen und mittelhochdeutschen Stoff bestehen. In einem abschließenden Schlusskapitel werden die Arbeitsergebnisse noch einmal zusammengefasst.
Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass die Ältere Deutsche Philologie den Komplex Artusepik erforscht hat. Mertens thematisiert in seiner Abhandlung[4] den deutschen Artusroman, rekonstruiert dessen Entstehungs- und Entwicklungsprozess. Ferner wird auf mediävistische (klassische) Sekundärliteratur zurückgegriffen, in der ebenfalls die Stofftradition vor dem Hintergrund einer sich sukzessive herausbildenden Schriftlichkeit betrachtet wird[5]. Uecker hingegen gibt mit seiner Überblickdarstellung[6] zentrale Einblicke in die altnordische Literatur(-geschichte) und die Verbreitung und Bedeutung des Artusstoffes in Nordeuropa. In diesem Gebiet, wo das Mittelalter etwas später einsetzte als in Mittel- und Westeuropa, spielten Ritterepen und Sagas ebenfalls eine bedeutungstragende Rolle[7]. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren zunehmend herausgearbeitet worden, dass der Artusstoff in Norwegen weniger rezipiert wurde als in Island, wohingegen dieser eine stärkere bzw. längere Tradierung erfuhr[8]. Eine Herausarbeitung signifikanter Unterschiede zwischen dem mittelhochdeutschen Iwein des Hartmanns von Aue und der altisländischen Ívens saga ist nach meiner Ansicht bisher kaum vorgenommen worden. Daher sollen in der vorliegenden Seminararbeit erste Episoden, Elemente, Symbole etc. beider Werke gegenübergestellt werden.
2. Vorbetrachtungen
Im folgenden Kapitel wird zunächst ein kurzer theoretischer Überblick zu den verschiedenen mit der arturischen Thematik verbundenen Begriffen gegeben werden. Zunächst soll die Artusepik sowie die Herkunft und Tradierung des Artusstoffes allgemein vorgestellt werden. Ein weiterer Unterpunkt ist die Gegenüberstellung der beiden Texte Íven und Iwein, da die altisländische Version des Íven als Saga anzusehen ist und es sich bei Hartmann von Aues Iwein um einen Ritterroman handelt, sollen die Unterschiede dieser beiden Texttypen herausgestellt werden.
2. 1 Artusepik
Bein[9] vermerkt in seiner Darstellung, dass die Artusepik vom 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart immer wieder einen Platz in den Branchen der Literatur oder auch des Films findet. Diese Beliebtheit lässt sich bereits für das Mittelalter belegen, als sich aus der Artusepik die beliebtesten epischen Texte in der Literatur generierten. Im Mittelpunkt steht der realhistorische Held Artur/ Artus, der um 500 n. Chr. gelebt habe. Die Werke Iwein oder Erec Hartmanns von Aue beispielsweise sind typische Vertreter dieses Texttypus, da sich in ihnen die „Grundstrukturen und Sinnangebote der 'reinen Artusepik' finden[10]. Auffällig hierbei ist, dass König Artus selbst nicht die Hauptfigur der Erzählungen ist, sondern darin statisch und passiv geschildert wird sowie auch negative Züge annimmt. Dies zeigt sich u. a. darin, dass er nicht immer die richtigen Entscheidungen trifft und manche Zusammenhänge nicht versteht. In einigen Handlungen sind die sogenannten Artusritter zentrale Charaktere und ein Abschnitt ihres Lebens wird unter bestimmten Umständen – Kämpfe, Liebe etc. skizziert. Sein Artushof hingegen gilt immer als Ausgangs- und Mittelpunkt der Romane, da die Schilderungen dort ihren Anfang nehmen und die Artusritter ebenfalls dorthin zurückkehren. Bein konstatiert weiter, dass zu Beginn die Umwelt der Ritter geordnet erscheint. Diese wird jedoch gestört und bedroht, weshalb der jeweilige ritterliche Held mit seinen Taten jene Störungen verhindern und bekämpfen soll[11].
Die (Ritter-)Romane Hartmanns von Aue Erec und Iwein werden in der Forschung als sogenannte klassische Artusromane[12] bezeichnet. Sie schildern nicht nur Abenteuer, sondern reflektieren das Selbstverständnis der „Ritter“: Konflikte lösen und sich für Schwache einsetzen und für sie zu kämpfen. Die Gewalt, die in derartigen Episoden dargestellt wird, relativiert sich schließlich, da sie einem guten Zweck dienlich erscheint. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Abenteuerromanen geschieht in den Artusepiken nichts Zufälliges – alles ist schicksalhaft. Belegen lässt sich diese Aussage durch den Begriff âventiure[13], der sich ebenfalls im Iwein findet. Das Wort entstammt dem mittellateinischen adventura 'das, was kommen wird und muss' und die Ritter müssen diese âventiure bestehen[14].
2.2 Herkunft und Tradierung des Stoffes
Der Artusstoff war neu und noch nicht durch Traditionen beeinflusst und diente er mitunter dazu, dass Leitthema höfischer Kultur – edle Liebe und rechter Kampf – in die Geschichten einfließen zu lassen und zu verbreiten. Die Volkssagen um König Artus sind in England bereits im 12. Jahrhundert belegbar[15]. Beim Lesen der letzten Textzeilen der Ívens saga wird die Herkunft unumstritten deutlich:
Ok lýkr hér sogu herra Ívens,
er Hákon konungr gamli lét snúa ór Franzeisu í Norrœnu.
König Hákon der Alte ließ den Text aus dem Französischen ins Norröne übersetzen, wobei nicht festzustellen ist, wen er beauftragt hatte. König Hákon der Alte bzw. Hákon Hákonarson[16] war von 1217-1263 König von Norwegen. Er richtete sich bei der Gestaltung seines Hofes nach Vorbildern anderer Länder, weshalb er ebenfalls Literatur importierte. Insbesondere orientierte er sich an französischer Literatur. Simek[17] vermerkt hierzu in seinem Nachwort zur Saga von Iven, dass vermutet wird, ein Nachfolger eines Bruders Robert oder Abtes Robert den Text übersetzt haben könne. Er begründet diese Mutmaßung damit, dass dieser Bruder oder Abt Robert bereits 1226 die Tristams saga sowie die Elis saga übersetzt habe. Ferner bemerkt er eine didaktische Absicht[18] beim Import dieser höfischen Literatur. König Hákon könnte seinen Untertanen folglich höfische Verhaltensmuster präsentiert haben, die als Vorbilder angenommen werden sollten[19].
Auf diesem Weg gelangten drei Werke, Erec et Eneide ‚ Erex saga’, Le chevalier au lion ou Yvain ‚Ívens saga’ und Le conte de graal ou Perceval ‚ Parcevals saga und Valvers Þáttr’ des französischen Schriftstellers Chrétien de Troyes in den Norden, aber auch andere den Artusstoff verarbeitende Erzählungen. Uecker[20] konstatiert, dass die höfische Literatur, die aus dem Französischen übersetzt wurde in Norwegen nach dem 13. Jahrhundert nicht mehr so populär gewesen sei. Sie diente vielmehr einer gewissen Erneuerung der höfischen Kultur des Landes, hat jedoch scheinbar die einheimische Literatur nahezu verdrängt.
In Island hingegen blühte diese Form der Literatur stärker. Auch wenn die Ívens saga bereits im 13. Jahrhundert in Norwegen übersetzt wurde, stammen alle Handschriften – 15 insgesamt – aus Island und späteren Zeiten[21]. Die Stoffe wurden über Jahrhunderte tradiert und verändert, was jedoch nicht lückenlos nachvollziehbar ist, da die ersten handschriftlichen Überlieferungen erst aus dem 15. Jahrhundert stammen. Es existierten neben den französischen Übersetzungen die originalen Rittersagas, die ebenfalls als Märchensagen bezeichnet werden: Hierbei handelt es sich um 30 Sagas, die hauptsächlich zwischen 1300 und 1500 entstanden[22].
2.3 Abgrenzung zwischen Saga und Ritterromans
Der Hauptunterschied zwischen dem norrönen Íven und dem mittelhochdeutschem Iwein liegt in ihrer Form. Während es sich bei Íven um eine der sogenannten riddarasögur ‚Rittersagas’ handelt, ist das Werk Hartmanns von Aue ein Ritterroman.
Der Begriff der Saga wird in von Wilperts Sachwörterbuch der Literatur folgendermaßen definiert: Er bezeichnet keine fest umrissene Gattung, sondern eine, meist anonym verfasste, altisländische Prosaerzählung, die jedoch ebenfalls nicht mit Volksdichtung zu vergleichen ist. Er sieht sie als „bewusste literarische Leistung des isländischen Hochmittelalters“ an. Sagas entstanden bzw. wurden vom 12. bis zum 14. Jahrhundert aufgezeichnet. Sie stellen epische Formen, wie Kurzgeschichten, Erzählungen, Biografien oder Chroniken dar. Typisch für sie ist der knappe realistisch-sachliche Erzählstil, bei dem auf sprachliche Ornamente der Lyrik verzichtet wird. Ferner gehen sie häufig unvermittelt in Dialoge über. Altisländische Sagas gelten als Gegenstück zur europäischen höfischen Epik, sind aber teilweise an sie angelehnt. Bei Wilpert findet sich darüber hinaus eine nach Inhalten eingeteilte Klassifizierung der Saga: I. Konunga saga ‚Königs-Saga’, welche die älteste Gruppe darstellt und Schriften über die norwegisch-dänische Königsgeschichte beinhaltet. II. Íslendinga saga ‚Isländer-Saga’, die mit 36 Schriften, die um 1200 entstanden und Stoffe aus Landnahme-Zeit von 900 bis 1050 einschließen. III. die Gruppe der Biskupa saga ‚Bischofs-Saga’, welche die isländische Kirchengeschichte mit Erzählungen über Bischöfe aus der Zeit der Christianisierung um 1000 beschreiben. IV. Fornaldar saga ‚Vorzeit-Saga’ mit Stoffen aus der Wikingerzeit sowie skandinavische und südgermanischer Heldensagen. V. Riddar saga ‚Ritter-Saga’, die freien oder bearbeiteten Übersetzungen französischer und englischer höfischer Epik beinhalten. VI. Lygisaga ‚Lügen-Saga’, eine Gruppe von Neuschöpfungen mit Märchenmotiven. VII. sind Übersetzungen von Erzählungen, die ein (pseudo-)historisches Vorbild, wie z.B. den Troja- oder Alexanderroman, haben. VIII. bildet die Gruppe der hagiografischen Schriften, die Marien-, Apostel- und Heiligenlegenden wiedergeben. IX. beinhaltet die um 1250 in Bergen aufgezeichnete Thistrek-Saga, eine Zusammenstellung deutscher Heldendichtungen um Dietrich von Bern, die durch hanseatische Kaufleute in den Norden gelangten.
Ein Korpus dieser Rittersagas, die übersetzt wurden und später entstandenen originalen Rittersagas, ist äußerst umfangreich und durch Handschriften sehr gut überliefert. Nach Uecker[23] haben die Übersetzungen der Rittergeschichten parallel mit dem Entstehen der heimischen, isländischen Sagas stattgefunden und sie hatten ihre Blütezeit zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert[24].
Den Ritterroman definiert Wilpert zum einen als „irreführende Bezeichnung“ für den damaligen höfischen Roman. Zum anderen stellt dieser eine Form des Prosaromans dar, die von bestimmten Stoffen dominiert wird und vom ausgehenden Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert verfasst wurde: Die Erzählungen sind in einer Zauberwelt angelegt, in der Fabelwesen, wie Riesen, Zwerge sowie Bestie etc. nicht ungewöhnlich sind[25]. Cramer ergänzt weiterhin, dass die Topografie des Romans moralisch-idealistisch sei und nicht irdisch-geografisch.[26] Der Held der Geschichte steht ebenfalls unter einem beschützenden Zauber und stellt sich zugunsten seiner Dame hervor. Die Romane fanden in der höfischen Gesellschaft, als Identifikationsmuster, Anklang. Als Unterhaltungsliteratur, eine Mischung aus Abenteuer, Fantastik, Exotik, waren sie jedoch wenig tiefgründig.
Das Bild der Ritter[27] war in der Hinsicht ideologisch, da Könige, Grafen oder deren Söhne nicht als Ritter bezeichnet bzw. klassifiziert wurden. Es entsprach somit nicht der damaligen sozialen Wirklichkeit. Iwein ist einer der Artusromane, deren Funktion darin lag, den faktischen und niederen Stand der Ritter anzuheben und in eine Klasse zu verwandeln, die über den eigentlichen Ständen existiert[28].
2.4 Exkurs zum Doppelten Kursus
Der Terminus des doppelten Kursus wurde eigens für die Struktur der Artusromane geprägt. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um eine literaturwissenschaftliche Theorie[29], die nicht den Anspruch erhebt, dass die höfischen Dichter sich dessen bewusst waren. Der doppelte Kursus bezeichnet ein bestimmtes Schema in der dem eine dreiteilige Struktur zweimal durchlaufen wird. Der zweite Teil ist hierbei höher anzusetzen als der erste. Brandt erörtert die Theorie sowohl an Hartmanns Erec als auch an Iwein und stellt folgende Ergebnisse heraus: Die Ausgangssituation ist zunächst der Hof. Darauf bauen sich der Ehrverlust des Protagonisten und die daraus resultierende Isolation auf. Ihr folgt, mit Hilfe verschiedener Ereignisse, welche das isolierte Individuum[30] wieder rehabilitieren und somit in die Gesellschaft zurückführen.
Beide Romane, Erec und Iwein, haben demzufolge einen Initialteil – von Anfang, zur Hochzeit bis hin zur katastrophalen Einbruch. Darauf folgt der Hauptteil mit den verschiedenen Abenteuer und der Reintegration in Hof und Gesellschaft[31]. Für Íven/Iwein ergibt folgendes Szenario: Er muss sechs Abenteuer bestehen, die nicht vollkommen dem parallelen Vorbild des doppelten Kursus entsprechen, aber durch Einfügen der Entführungsgeschichte der Königin Ginover erreicht werden kann. Die nachstehende Darstellung zeigt den Handlungsablauf im Sinne des doppelten Kursus genauer auf:
Íven/Iwein befindet sich am Hof bis seine ideale Welt gestört wird, beispielsweise durch den Ehrverlust Kalebrants/Kalogrenants. Da dieser (wie bereits oben erwähnt) Ívens/Iweins Vetter ist, betrifft der Ehrverlust auch ihn. Ívens/Iweins Isolation resultiert daraus, dass er allein und heimlich zur Quelle reitet und die erste Rehabilitation betrifft daher Kalebrant/Kalogrenant. Durch Ívens/Iweins Hochzeit mit der Witwe des besiegten Quellenritters entsteht wieder die (Ausgangs-)Situation des Hofes und ein zweiter Handlungszyklus beginnt. Der Konflikt, welcher die Idealität stört, wird durch die Überredung Ívens/Iweins von Valven/Gawein ausgelöst: Íven/Iwein wird die versprochene Frist überschreiten und somit seine Ehre verlieren. Seine Isolation erfährt der Protagonist, als Wilder, ohne Verstand im Wald lebend. Eine Zaubersalbe von drei Damen, die ihn schließlich auffinden, bewirkt das Entstehen eines neuen Handlungszyklus` und es schließt sich der Hauptteil mit einer Rehabilitation[32] an.
Diese Abenteuerkette[33] gliedert sich in zwei mal drei Abenteuer: Zunächst hilft Íven/Iwein der Dame von Nârisôn gegen den Jarl Alies/Graf Alier, danach rettet er den Löwen und besiegt den Riesen Fjallsharfer/Harpin. Als Zwischenepisode und zur Trennung der zwei Stränge ist die Erzählung der Entführung Ginovers anzusehen. Auf diese folgen drei weitere Abenteuer: der Kampf für Lúneta/Lunete, die Befreiung der 300 Jungfrauen und schließlich der Kampf für die jüngere Schwester im Erbstreit. Nachdem er alle diese Aufgaben bestanden hat, erfolgt seine endgültige Rückkehr in die Gesellschaft und die Versöhnung mit seiner Gattin.
3. Vergleich Ívens Saga und Iwein
Im nachstehenden Kapitel werden systematisch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Ívens saga und Iwein betrachtet. Hierzu ist zu erwähnen, dass die verwendeten Personen- und Ortsnamen unterschiedlich sind. Aus diesen Grund werden während des Vergleiches sowohl die norrönen als auch die mittelhochdeutschen Namen/Bezeichnungen, wie folgt, zur Unterscheidung der Texte verwendet: Beispielsweise Íven/Iwein, Lúneta/Lunete, usw., wobei der erste Name jeweils der altisländische und der zweite der mittelhochdeutsche ist.
Zunächst soll jedoch die Struktur der altisländischen Saga herausgearbeitet sowie der Inhalt wiedergegeben werden, so dass auf dieser Basis ein Vergleich aufgebaut werden kann. Zentrale Kriterien dieser vergleichenden Darstellung bilden einerseits strukturelle Aspekte des Iwein-Stoffes. Andererseits werden entsprechende Gemeinsamkeiten sowie Differenzen des Inhalts bzw. relevanter Handlungsstränge thematisiert.
3.1 Ívens saga – Struktur und Inhalt
Die Vorlage der norrönen Saga Ívens[34], die im Auftrag König Hákons dem Alten aus dem Altfranzösischen ins Altisländische übertragen und übersetzt wurde, ist in 16 Kapitel untergliedert. Diese Kapitel sind wiederum, nahezu Satz für Satz, eingeteilt.
In Kapitel I wird in die eigentliche Geschichte, die erzählt werden soll, eingeführt und über ein prachtvolles Fest berichtet, welches am Hofe König Artús’ gehalten wird. Dort sitzen einige seiner Tafelritter – Kalebrant, Sighamors, Valven, Íven und Kæi – zusammen. Kalebrant ist dabei, eines seiner Abenteuer zu erzählen, als auch die Königin hinzukommt, während Artus schläft.
Kalebrant berichtet, in Kapitel II, ausführlich über sein Abenteuer, welches er vor sieben Jahren auf der Suche nach âventiure erlebte. Dort traf er auf einen Waldschrat, der ihm von einer wundersamen Quelle berichtete. Kalebrant begab sich an den beschriebenen Ort und musste gegen einen starken Ritter kämpfen, der diese Quelle verteidigte. Er verlor jedoch, wurde gedemütigt und verließ den Ort.
Nachdem er seine Geschichte beendet, spottet Ritter Kæi in Kapitel III über ihn. Íven schwört Rache für Kalebrant und Kæi wird von der Königin ermahnt. Artús gesellt sich zu seinen Rittern und will ebenfalls zur Quelle reiten, so dass Íven beschließt, sich zuvor und heimlich dorthin zu begeben. Er findet alles, wie Kalebrant es beschrieben hat – das Gasthaus, den Waldschrat, die Quelle und den Ritter, den er fast umbringt. Íven folgt dem fliehenden Ritter zu dessen Schloss, wo er ihn tötet und in eine Falle gerät. Eine Zofe, Lúneta, hilft ihm in dieser aussichtslosen Lage, da der gesamte Hofstaat auf der Suche nach ihm ist.
Kapitel IV beschreibt, wie der Leichnam des Schlossherren getragen wird und dessen Wunden wieder aufbrechen. Dem toten Körper folgt eine trauernde Witwe und sie befiehlt dem Mörder, sich zu zeigen. Íven beobachtet die ganze Szene und verliebt sich in die Schlossherrin. Lúneta bietet ihm an, ihn aus dem Schloss zu bringen, aber er lehnt ab und bittet sie stattdessen, ihn mit ihrer Herrin bekannt zu machen.
Diesen Versuch unternimmt die Zofe in Kapitel V, indem sie ihre Herrin mit guten Argumenten zu überreden versucht, den Ritter, der ihren Mann getötet hat, zu heiraten. Die Schlossherrin wird zornig über dieses Angebot, bereut es später und wird sogar neugierig auf den möglichen Bräutigam. Sie kann seine Ankunft kaum erwarten und versammelt den Hofstaat, damit dieser ihrem Vorhaben zustimmt.
Im Kapitel VI berichtet Lúneta Íven von der freudigen Nachricht und bereitet ihn auf die Zusammenkunft vor. Als es zum Gespräch zwischen der Burgherrin und dem Ritter kommt, ist er unterwürfig und versucht sich zu rechtfertigen. Außerdem gesteht Íven seine Liebe zu ihr und sie nimmt seine Entschuldigung schließlich an. Der Hofstaat erklärt sich in Kapitel VII mit einer erneuten Heirat einverstanden. Parallel hierzu ist Artús bereits auf dem Weg zur Quelle und das Ritual ist mit dem Tod des Schlossherren in Gefahr geraten. Die Herrin jedoch lässt sich lange bitten, willigt letztendlich ein und es findet eine prächtige Hochzeit statt.
Als Artús und sein Gefolge, in Kapitel VIII, an der Quelle eintreffen, kämpft Íven mit Kæi und besiegt ihn schmachvoll. Íven gibt sich den anderen zu erkennen und lädt sie auf sein Schloss ein, welches festlich geschmückt wird. Ritter Valven überredet Íven mit ihm auf eine Abenteuerreise zu gehen, dass er seine Ritterehre und Ansehen nicht verliert. Dessen Gattin gestattet ihm 12 Monate und 7 Nächte und überreicht ihm einen Zauberring, der vor Verletzungen und Gefangenschaft schützt. Íven hält die Frist aber nicht ein und ist untröstlich. Eine junge Dame kommt in Kapitel IX, um Íven, im Namen seiner Gemahlin, den Ring abzunehmen. Er verliert daraufhin seinen Verstand und lebt als Wahnsinniger im Wald, bis ihn drei junge Frauen finden. Eine erkennt ihn und bittet ihre Herrin um Hilfe. Íven wird mit einer wundersamen Salbe gerettet und folgt der jungen Frau auf das Schloss, von dem sie kommt.
[...]
[1] Die historische Person des Artus oder Arthur war ein keltischer Stammeshäuptling, oder auch Heerführer der um 500 n.Chr. in England die einfallenden Sachen bekämpft hat. Die erste Erwähnung findet er 829/30 in der Historia Britonorum des walisischen Geschichtsschreibers Nennius, später u.a. auch beim englischen Geschichtsschreiber Geoffrey of Monmouth in dessen Historia regum Britanniae, eine fiktive Chronikerzählung über das britische Reich um 1135 (vgl. hierzu Bein, Thomas: Germanistische Mediävistik. Eine Einführung. Erich Schmidt Verlag, Berlin, 1998, S. 154, daneben Nachwort, in Hartmann von Aue Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung von Thomas Craemer, Frankfurt am Main (24. Auflage) 2003, S. 445, sowie im Nachwort Stange, Manfred (Hrsg.): Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Übersetzt, mit einem Nachwort versehen von Manfred Stange. Marix Verlag, Wiesbaden, 2006.
[2] Bein, Germanistische Mediävistik, S. 154: Sieht man vom ‚Nibelungenlied’ ab, so stellt die ‚Artusepik’ den landläufig populärsten epischen Texttyp des Mittelalters dar.
[3] Uecker, Heiko: Geschichte der altnordischen Literatur. Philipp Reclam jun., Stuttgart, 2004, S. 171-172.
[4] Mertens, Volker: Der deutsche Artusroman. Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1998.
[5] Zentrale Darstellungen zum Forschungsgegenstand bieten u.a. Brandt, Rüdiger: Grundkurs germanistische Mediävistik/Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Wilhelm Fink Verlag, München, 1999 und Bein, Germanistische Mediävistik.
[6] Uecker, Geschichte der altnordischen Literatur.
[7] So diente die höfische Literatur in Nordeuropa der Erziehung junger Adliger. Hierbei wurde, wie im übrigen westlichen Europa, in Anlehnung an das von Horaz geprägte Begriffspaar delectare (Unterhaltung) und prodesse (Erziehung) Wert gelegt.
[8] Vgl. Uecker, Geschichte der altnordischen Literatur, S. 172.
[9] Bein, Germanistische Mediävistik, S. 121.
[10] Ebenda, S.154.
[11] Ebenda, S. 155.
[12] Vgl. zu klassischen und nachklassischen Artusromanen Bein, Germanistische Mediävistik, S. 156-157.
[13] In der altisländischen Textvorlage Kölbing, Eugen (Hrsg.): Ívens Saga. Niemeyer, Halle a. S.,
1898, u.a. S. 12 findet sich die Bezeichnung æventýra.
[14] Die Aufgaben, die âventiure mit sich bringt, sind einem Ritter vorherbestimmt und können nicht gesucht werden. Nur derjenige, der für eine Aufgabe auserwählt ist, kann diese überhaupt bestehen. Alle anderen müssen scheitern. Eine zweite Bedeutung ist „Erzählung oder Bericht über eine „ âventiure“, auch „literarische Quelle“, eine farbenfrohe Geschichte mit Wesen wie z. B. Zwergen, Riesen, Zauberbrunnen oder ähnlichem. Von dieser Bedeutung aus entwickelte sich später die heutige Bedeutung des Abenteuers, vgl. hierzu: Brandt, Grundkurs germanistische Mediävistik, S. 194-196.
[15] Mertens, Der deutsche Artusroman, S. 20.
[16] Uecker geht hier von der Annahme aus, dass es sich um Hákon Hákonarson handelt und nicht um Hákon Magnússon (1280-1299) handelt, S. 172.
[17] Simek, Rudolf: Die Saga von Iven. Aus dem Altisländischen übersetzt und mit einem Nachwort von Rudolf Simek. Verlag Bernd Kretschmer. Hattingen, 1982, S. 98.
[18] Vgl. hierzu ebenfalls Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2002, S. 439-446.
[19] Vgl. Simek, Die Saga von Iven, S. 101.
[20] Vgl. Uecker, Geschichte der altnordischen Literatur, S. 172.
[21] Simek, Die Saga von Iven, S. 102.
[22] Ebenda, S. 186.
[23] Vgl. Uecker, Geschichte der altnordischen Literatur, S. 170.
[24] Dies ist, wie oben zu sehen ist eine andere Zeitangabe als bei Wilpert. Eine weitere Datierung, wie sie Uecker an führt findet sich bei Schier, Kurt: Sagaliteratur. J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. Stuttgart, 1970, S. 93, wo es heißt, dass sich der Anfang der Riddarasögur mit ziemlicher Sicherheit im Jahr 1226 ansetzten lässt, als „Bruder Robert“ im Auftrag des norwegischen Königs Hákon Hákonarson Tristams saga ok Ísondar aus dem englischen übersetzte.
[25] Vgl. hierzu (Nachwort) Cramer, Thomas: Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung, Frankfurt am Main24 2003, S. 446.
[26] Ebenda, S. 446-447.
[27] Brandt, Grundkurs germanistische Mediävistik zum Ritterbegriff: Das deutsche Wort ritter ist mit dem mittellateinischen ministerialis ‚Ministeriale’ gleichzusetzen. Ministeriale waren im MA die Bezeichnung für jemanden, der sich Dienst eines Anderen, eines Adligen, stand, S. 180-181.
[28] Cramer, Hartmann von Aue, Erec, S. 448.
[29] Brandt, Grundkurs germanistische Mediävistik, S. 190 sowie im Nachwort Benecke, G. F. – Lachmann, K. – Wolff, L.(Hrsg.): Hartmann von Aue: Iwein. 4., überarbeitete Auflage. Übersetzung und Nachwort von Thomas Cramer. Walter de Gruyter, Berlin, 2001, S. 164.
[30] In diesem Kontext muss darauf verwiesen werden, dass es in der mittelalterlichen Literatur keine
Individuen gab, sondern Personen wie Iwein, Erec, Keie etc. lediglich Stereotypen darstellten. Diese standen für bestimmte Verhaltensnormen oder repräsentierten exemplarisch Problemartiges, an deren Auftreten sich das Hörerpublikum orientieren und von ihnen lernen sollte.
[31] Nachwort Benecke – Lachmann – Wolff, Hartmann von Aue: Iwein, S. 164.
[32] Brandt, Grundkurs germanistische Mediävistik, S. 190-193.
[33] Vgl. zur Abenteuerstruktur Nachwort Iwein, S. 164.
[34] Vgl. hierzu (Nachwort) Cramer, Hartmann von Aue, S. 448.
- Arbeit zitieren
- Katja Kaiser (Autor:in), 2008, Artusepik im Spannungsfeld nordeuropäischer Sagas und mittelhochdeutschen Ritterromanen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146119
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