Am 18. September 2005 wurde durch die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland eine seltene Situation geschaffen. Die Ergebnisse der Bundestagswahl dieses Tages sorgten für Verwirrungen. Auch Gerhard Schröder der Kanzler und Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zeigt ein eher unverständliches Auftreten an diesem Wahlabend. Er selbst bezeichnete später seinen TV-Auftritt, bei dem er sich zum Sieger erklärte, als „Suboptimal“ und verwies noch darauf, dass Alkohol keine Rolle spielte. Die vorliegende Arbeit rückt die Entwicklung des deutschen Parteiensystems in den Mittelpunkt. Anfangs wird der Frage nachgegangen, was eine Partei und das Parteiensystem grundlegend auszeichnet und wie diese Begriffe zu verstehen sind. Diese Fragen erlauben das verbesserte Verständnis für die Entwicklung des Parteiensystems, welche den Kern der Erarbeitung darstellt. Neben der Beleuchtung der Entwicklungslinie des Systems wird unterstützend nach der Beeinflussung durch die Koalitionskonstellation aus SPD und CDU/CSU gefragt. Die Fragen lauten folglich: Was ist eine Große Koalition? Was zeichnet das Parteiensystem aus? Wie entwickelte sich dieses System? Und abschließend: Welchen Einfluss bzw. welche Auswirkungen hat die Große Koalition aufs Parteiensystem?
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Aufbau
2. Begriffsklärung
2.1 Regierungsbildung und Große Koalition
2.2 Partei und Parteiensystem
3. Entwicklung des deutschen Parteiensystems
3.1 Von 1945 bis zur „Deutschen Einheit“
3.1.1 Neuformierungsphase
3.1.2 Konsolidierungsphase
3.1.3 Pluralisierungsphase
3.2 Bis zur Bundestagswahl 2005
3.3 Das neue veränderte Parteiensystem
3.4 Zwischenfazit
4. Auswirkungen der Großen Koalition
4.1 Theoretische Auswirkungen auf das Parteiensystem
4.2 ... auf das Parteiensystem
5. Schlussbemerkung
6. Anhang
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 18. September 2005 wurde durch die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland eine seltene Situation geschaffen. Die Ergebnisse der Bundestagswahl dieses Tages sorgten für Verwirrungen. Auch Gerhard Schröder der Kanzler und Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zeigt ein eher unverständliches Auftreten an diesem Wahlabend. Er selbst bezeichnete später seinen TV-Auftritt, bei dem er sich zum Sieger erklärte, als „Suboptimal“ und verwies noch darauf, dass Alkohol keine Rolle spielte.1
Die Folge dieser Wahl war die Bildung einer Regierungskoalition zwischen der SPD und der CDU/CSU, zum zweiten Male in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach dem Jahr 1966 war nun wieder eine Art Pattsituation entstanden. Rechnerisch war nur die „Zweierkoalition“ zwischen den zwei Volksparteien möglich. Da sowohl „Schwarz-Gelb“ als auch „Rot-Grün“ keine Mehrheit erlangte, stand neben der „Großen“ nur die „Dreierkoalition“ als Möglichkeit parat. Aber aufgrund inhaltlicher Differenzen, persönliche bzw. historisch bedingte Probleme mit der „Linkspartei“ wurde die Bildung einer Verbindung zwischen den beiden Großparteien praktisch zwingend.
Das Parteiensystem hatte sich verändert und brachte in seiner Geschichte wiedermal ein „Experiment“, „zeitlich begrenzte Ausnahme“ oder auch einen „verfassungspolitischen Ausrutscher“ hervor.2 Die Betitelungen für die „schwarz-rote“ Koalitionsvariante sind vielschichtig, wobei die negative Betonung stark überwiegt. Dies zeugt einerseits vom Unverständnis und anderseits von der Interesse an diesem „Regierungstypus“. Bei der Analyse der Großen Koalition ist ein Blick in die Entwicklungsgeschichte des Parteiensystems hilfreich. Dadurch können beeinflussende Faktoren erkannt werden und möglicherweise auf die Ursachen geschlossen werden. Auch könnte die Geschichte weitere Fragen zur gegenseitigen Einflussnahme von Parteiensystem und „Großen Koalition“ beantworten.
1.1 Fragestellung
Die hier vorliegende Arbeit rückt die Entwicklung des deutschen Parteiensystems in den Mittelpunkt. Anfangs wird der Frage nachgegangen, was eine Partei und das Parteiensystem grundlegend auszeichnet und wie diese Begriffe zu verstehen sind. Diese Fragen erlauben das verbesserte Verständnis für die Entwicklung des Parteiensystems, welche den Kern der Erarbeitung darstellt. Neben der Beleuchtung der Entwicklungslinie des Systems wird unterstützend nach der Beeinflussung durch die Koalitionskonstellation aus SPD und CDU/CSU gefragt. Die Fragen lauten folglich: Was ist eine Große Koalition? Was zeichnet das Parteiensystem aus? Wie entwickelte sich dieses System? Und abschließend: Welchen Einfluss bzw. welche Auswirkungen hat die Große Koalition aufs Parteiensystem?
1.2 Aufbau
Um die Fragestellung befriedigend zu beantworten, wird anfangs auf grundlegende Begrifflichkeiten eingegangen. Was eine Koalition ist und welche Faktoren zu einer führen, wird im ersten Teil beschrieben. Die Typisierung der verschieden Koalitionsvarianten stellt den Übergang zur Beschreibung der Großen Koalition und deren Einordnung dar. Mit der darauffolgenden Darstellung des Parteiterminus und der damit verbundenen Forschungsdebatte innerhalb der Politikwissenschaft wird der begriffserklärende Teil abgeschlossen. Anschließend wird die Entwicklung des Parteiensystems im Blickpunkt stehen. Genauer werden die verschiedenen Phasen vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute gezeigt. Diese Darstellung soll die historischen Faktoren darlegen, welche zur Entwicklung und Veränderung des deutschen Parteiensystems geführt haben. Dem folgt die Analyse des „neuen“ Systems und die Auswirkungen der Regierung Merkel auf die „Parteienlandschaft“. Die Darstellung wird durch ein kurzes Resümee und einen Ausblick abgeschlossen.
2. Begriffserklärung
2.1 Regierungsbildung und Große Koalition
Um den Terminus der „Großen Koalition“ zu beschreiben, muss die Klarstellung des Begriffes der Koalition vorangehen. Diese beschreibt, wie der Name es schon vermuten lässt, eine „ [...] zweckgerichtete, auf gewisse Dauer angelegte Allianz politischer Akteure zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen.“3 Dieses politische Bündnis bezieht sich speziell auf die regierungsbildenden Parteien, welche zur Erlangung der Mehrheit ihre gewonnen Stimmen vereinen. Dies wird als Koalitionsregierung bezeichnet, welche ein Merkmal des deutschen politischen Systems darstellt.
Unterschieden wird nach Koalitionsmitgliedern, bezogen auf die Fraktionen und Größenordnung relativ zur Opposition.4 Das Spektrum erstreckt sich von einer „kleinen Koalition“, wie die der SPD und Bündnis 90/ die Grünen, bis zu einer Großen Koalition von SPD und CDU/CSU. Diese allgemeine Einteilung wird komplettiert durch eine typologische Kategorisierung der Koalitionen. Die “minimal winning coalation“, “minimum size coalition“, “minimum range coalition”, “minimal connected coalition” und “oversized coaltion” sind die Hauptkoalitionstypen.5
1) Als “minimal winning coalition” wird „[...] die kleinstmögliche Gewinnerkoalition [...]“6, bezogen auf die Partner, genannt. Der Austritt eines Bündnismitgliedes würde zum Verlust der Mehrheit führen und das Scheitern der Koalition bedeuten.
2) Die “minimum size coalition” ist eine Verbindung, welche die kleinstmögliche Mehrheit vereint, die nötig ist, um ein parlamentarisches „Übergewicht“ zu besitzen. Der Fokus liegt hier nicht auf der Partneranzahl sondern auf der Sitzverteilung. Demzufolge wäre auch eine Mehrheit von 50,1 Prozent denkbar, wobei jedes Ausscheiden eines Partners den Verlust der Mehrheit und den Zusammenbruch der Regierungskoalition bedeuten würde.7
3) Die “minimum range coalition” ist gekennzeichnet durch die größtmögliche programmatische Nähe der Allianzmitglieder.8 Dies bedeutet eine relativ hohe thematische Schnittmenge der Parteien und zumindestens theoretisch ein reibungsloseres Zusammenarbeiten. Bei diesem Typus liegt der Fokus auf der inhaltlichen Nähe, was auch eine Vielzahl von Akteuren in die Verbindung einschließen kann.
4) Als “minimal connected coalition” wird eine Verbindung von Parteien bezeichnet, in welcher jeder Partner benötigt wird, um die Mehrheit zu halten. Gleichzeitig müssen Mitglieder der Koalition die ideologisch und thematisch größte Nähe aufweisen.
5) Ein übergroßer Zusammenschluss der Parteien, in dem nicht alle „Teile“ benötigt werden, wird als “oversized coalition” bezeichnet. Dies bedeutet, dass beim Verlassen des kleinsten Partners der Allianz die Koalition weiter über die Mehrheit verfügt und theoretisch weiter arbeiten kann.
Es besteht eine Vielzahl von Motiven zur Bildung von unterschiedlichsten Bündnisvariationen. Als Hauptmotiv jeder Koalitionsbildung ist natürlich der Wille zur Erlangung der Mehrheit und der damit verbunden der Regierungsstellung zunennen. Dies wird auch als “office seeking“ beschrieben. Franz Müntefering verlieh diesem Motiv mit dem Ausspruch „Opposition ist Mist“ eine rhetorische Gestalt. Dem Kernmotiv folgt die Suche nach den passenden Partnern, welche die Mehrheit gewährleisten, um die eigenen politischen Vorstellungen bestmöglich durchsetzen zu könne. Diese Bestrebung wird “policy pursuit“ genannt. Verschiedene Faktoren spielen in diese Suche rein. Eine ideologische Nähe sowie thematische Schnittmengen sind nicht unbeträchtliche Faktoren für einen Koalitionsschluss. An dem Beispiel des nicht vorhandenen Bündnisses von SPD und der „Linken“ wird ein weiterer entscheidender Moment in der Allianzbildung deutlich. Die persönliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Akteure, sowie die subjektive Ablehnung, aus der Historie heraus, verhindert eine Verbindung der beiden Parteien auf Bundesebene. Dieser Boykott ist vor allem an der Person Lafontaines festzumachen, welcher als ehemaliger SPD Spitzenpolitiker jetzt der „Linken“ vorsteht. Zusammenfassend ist zu sagen dass, die Regierungs- und Koalitionsbildungen durch die Faktoren Mehrheitssuche, ideologische Nähe und thematische Schnittmenge, sowie persönliche Befindlichkeiten und historische Ablehnung, beeinflusst werden.
In der Bundesrepublik Deutschland ist eine Große Koalition die Regierungsverbindung der beiden größten Fraktionen des Parlamentes. Vor allem auf Bundesebene wird stellvertretend bei einer Allianz aus SPD und CDU/CSU von einer Großen Koalition gesprochen. Es ist eine überdimensionale Koalition, wenn davon ausgegangen wird, dass die beiden stärksten Fraktionen die Regierung stellen und damit auch der Großteil der Bundestagsabgeordneten ihr angehören. Dieses Phänomen trat in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 in den Jahren 1966 bis 1969 und seit dem Jahr 2005 auf. In der ersten Großen Koalition standen 447 Regierungsabgeordnete gerade mal 49 Oppositionsparlamentarier gegenüber.9 Das zeigt die enorme Überlegenheit der Großen Koalition des Kurt Georg Kiesinger. Die aktuelle Verbindung aus SPD und Union ist gleichzeitig auch als „minimal winning coalition“ zu charakterisieren, da keiner der beiden Fraktionen allein die Mehrheit stellen kann und so die „Zwangshochzeit“ eingehen müssen. Dieser Druck wuchs immer aus einer Alternativlosigkeit in der Koalitionsfrage. Vor allem nach der Bundestagswahl 2005 war es für beide Großparteien nicht möglich mithilfe der jeweiligen Wunschpartner, wie der FDP, die Mehrheit zu stellen. Die Ursachen für die Bildung der Großen Koalition sind natürlich vielschichtiger und tiefgründiger, aber die Alternativlosigkeit ist ein pragmatischer Bestandteil dieser Ursachen.10
2.2 Partei und Parteiensystem
Um die Begriffe der Koalition und Regierungsbildung klar zu erkennen, müssen die fundamentalen Termini der „Partei“ und des „Parteiensystems“ festgelegt sein. Als Bestandteil jeder Koalition und Voraussetzung der parlamentarischen politischen Willensbildung nehmen die Parteien die tragende Rolle ein.
[...]
1 Vgl. dazu Spiegelartikel vom 22.09.2005 auf der Internetpräsenz Spiegel-Online: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,376035,00.html, (Stand: 18. März 2009).
2 Vgl. Reinhard Schmoeckel/ Bruno Kaiser (Hrsg.): Die vergessene Regierung – Die große Koalition 1966 bis 1969 und ihre langfristigen Wirkungen, Bonn 1991, S. 17.
3 Manfred G. Schmidt: Koalition, in: Manfred G. Schmidt: Wörterbuch zur Politik, Stuttgart 2004, S. 358.
4 Vgl. ebd., S. 358.
5 Vgl. Detlef Jahn: Einführung in die vergleichende Politikwissenschaft, Wiesbaden 2006, S. 105-109.
6 Manfred G. Schmidt: Minimal-winning-Koalition, in: Schmidt, 2004, S. 451.
7 Vgl. ebd., S. 106.
8 Vgl. Jahn, 2006, S. 107.
9 Vgl. Jürgen Dittberner: Große Koalition: 1966 und 2005, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 35-36 (2007), S. 12.
10 Vgl. dazu „Working Paper“ dee Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung Nummer 91 - Eric Linhart: Ampel, Linkskoalition und Jamaika als Alternative zur großen Koalition, Mannheim 2006.
- Arbeit zitieren
- Matthias Dallinger (Autor:in), 2009, Das Parteiensystem und die Große Koalition, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146035
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