Ein Filmemacher dreht einen Film und dieser richtet sich an den Zuschauer. Geht man von dieser simplen Aussage aus, so scheint der Zuschauer dem Film gegenüber nur eine passive Rolle auszuüben. Verschiedene Semiologen sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass Filme dem Zuschauer auch eine aktivere Rolle zuschreiben können, wenn man davon ausgeht, dass der Prozess des Filmemachens erst durch die Rezeption des Zuschauers seinen endgültigen Sinn erfährt, also vergleichbar mit einem mündlichen Austausch wird.
Im Film freilich gestaltet sich das Auffinden eines Enunziationsprozesses weitaus schwieriger als in einem Gespräch, wo es relativ einfach ist, den einzelnen Partizipanten einer Enunziation ihre Rollen zuzuweisen, und das einen interaktiven Diskurs darstellt. Im ersten Teil dieser Hausarbeit versuche ich darzustellen, inwieweit man trotzdem sagen kann, dass ein Film Teil eines Diskurses ist, an dem Filmemacher und Zuschauer als enunziative Pole beteiligt sind. Dabei nehme ich speziell auf den Bereich der Selbstreflexivität Bezug.
Im zweiten Teil der Hausarbeit zeige ich beispielhaft anhand von Jean-Luc Godards Film À BOUT DE SOUFFLE [AUSSER ATEM] (Frankreich 1960), wie dieser Regisseur schon in seinen ersten Film selbstreflexive Bezüge eingearbeitet hat, die auf das Medium an sich und dessen Geschichte verweisen. Dabei gehe ich zuerst auf allgemeine Referenzen, die sich auf bestimmte Aspekte der Filmgeschichte richten, ein, anschließend auf Verweise auf spezielle Filme und daraufhin auf die Art, wie die Charaktere in À BOUT DE SOUFFLE in der Tradition von Charakteren aus anderen Filmen stehen. Zum Abschluss lege ich dar, dass À BOUT DE SOUFFLE auf seine eigene Identität als Film aufmerksam macht, indem Godard dem Zuschauer den Blick auf den Prozess des Filmemachens ermöglicht und ihn damit zum Nachdenken über dessen Kinoerfahrungen und vielleicht sogar zum Verständnis filmischer Prozesse bringt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zur Selbstreflexivität im Film
3. Selbstreflexivität in À bout de souffle
3.1. Das Erbe der Cinémathèque française – Verweise auf die Filmgeschichte
3.2. Der Film als Film unter Filmen – Verweise auf andere Filme
3.3. Die Selbstinszenierung der Charaktere in À bout de souffle
3.4. Die Zerstörung der filmischen Illusion – Bekräftigung des Filmcharakters
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ein Filmemacher dreht einen Film und dieser richtet sich an den Zuschauer. Geht man von dieser simplen Aussage aus, so scheint der Zuschauer dem Film gegenüber nur eine passive Rolle auszuüben. Verschiedene Semiologen sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass Filme dem Zuschauer auch eine aktivere Rolle zuschreiben können, wenn man davon ausgeht, dass der Prozess des Filmemachens erst durch die Rezeption des Zuschauers seinen endgültigen Sinn erfährt, also vergleichbar mit einem mündlichen Austausch wird.
Im Film freilich gestaltet sich das Auffinden eines Enunziationsprozesses weitaus schwieriger als in einem Gespräch, wo es relativ einfach ist, den einzelnen Partizipanten einer Enunziation ihre Rollen zuzuweisen, und das einen interaktiven Diskurs darstellt. Im ersten Teil dieser Hausarbeit werde ich versuchen, darzustellen, inwieweit man trotzdem sagen kann, dass ein Film Teil eines Diskurses ist, an dem Filmemacher und Zuschauer als enunziative Pole beteiligt sind. Dabei werde ich speziell auf den Bereich der Selbstreflexivität Bezug nehmen.
Im zweiten Teil der Hausarbeit werde ich dann beispielhaft anhand von Jean-Luc Godards Film À bout de souffle (Frankreich 1960) zeigen, wie dieser Regisseur schon in seinen ersten Film selbstreflexive Bezüge eingearbeitet hat, die auf das Medium an sich und dessen Geschichte verweisen. Dabei werde ich zuerst auf allgemeine Referenzen, die sich auf bestimmte Aspekte der Filmgeschichte richten, eingehen, anschließend auf Verweise auf spezielle Filme und daraufhin auf die Art, wie die Charaktere in À bout de souffle in der Tradition von Charakteren aus anderen Filmen stehen. Zum Abschluss werde ich dann noch darlegen, dass À bout de souffle auf seine eigene Identität als Film aufmerksam macht, indem Godard dem Zuschauer den Blick auf den Prozess des Filmemachens ermöglicht und ihn damit zum Nachdenken über dessen Kinoerfahrungen und vielleicht sogar zum Verständnis filmischer Prozesse bringt.
2. Zur Selbstreflexivität im Film
Es ist nicht schwer zu begreifen, dass in einem Gespräch ein Enunziationsprozess stattfindet. Derjenige, von dem das Gespräch ausgeht, ist der Enunziator, derjenige, an den er sich wendet, ist der Enunziatär, und das, was der Enunziator dem Enunziatär erzählt, der häufig abwesende Gegenstand des Gesprächs, ist das Enunziat. Enunziator und Enunziatär können während des Gesprächs ihre Rollen tauschen und jeder der beiden kann auf die Form des Enunziats Einfluss nehmen. Christian Metz hat darauf aufmerksam gemacht, dass es, um sich den Prozess der Enunziation vorstellen zu können, sinnvoll ist, die abstrakten Begriffe ‚Enunziator’ und ‚Enunziatär’ durch die Begriffe „Sitz oder Quelle der Enunziation“ und „enunziatives Ziel“ zu ersetzen.[1] Mithilfe dieser Begriffe erhält auch das menschliche Subjekt seinen Platz in diesen theoretischen Überlegungen, „sobald jemand die Quelle oder das Ziel besetzt hat “[2]. Dies ist wichtig, da laut Metz Enunziation nur vorstellbar ist, wenn zumindest ihr Ziel von einer menschlichen Person eingenommen wird.[3]
Es ist unbestreitbar, dass ein grundlegender Unterschied zwischen einem Gespräch und einem Film besteht. Während der Filmvorführung ist kein Austausch zwischen seiner Quelle (dem Filmemacher) und seinem Ziel (dem Zuschauer) möglich, erstere ist sogar meistens abwesend. Somit kann eine Kommunikation eigentlich nur zwischen Zuschauer und Film (Enunziatär und Enunziat) stattfinden, wobei der Zuschauer allerdings keinen Einfluss auf den Film nehmen kann.[4] Zudem ist der Film im Gegensatz zum Enunziat in einem Gespräch zweifellos anwesend.[5] Dennoch kann man laut Metz von einer Enunziation im Film sprechen, nämlich dann, wenn der Film sich selbst oder die Position des Zuschauers zum Gegenstand seiner Erzählung macht.[6] Oder anders gesagt: „Die filmische Enunziation ist immer auch eine Enunziation über den Film. [...] [Sie informiert uns] über einen Text, der in sich selbst seine Quelle und seine Zielrichtung trägt.“[7] Bei einem solchen Film, der auf sich selbst verweist, einem selbstreflexiven Film, wird die eigene Konstruktion zum Thema gemacht, der Zuschauer zum Nachdenken über den filmischen Entstehungsprozess angeleitet.[8] Die Erwartungen des Zuschauers nach Kausalität und Linearität werden bei einem selbstreflexiven Film bewusst nicht erfüllt, stattdessen „[wird] eine diskursive Ebene eingeführt [...], [die in Konflikt] mit der klassischen Art der Narration [gerät].“[9] Damit erhält der Zuschauer jedoch eine wichtigere Rolle, denn, wie Robert Stam ausführt, erfordert echte Reflexivität einen aktiven Zuschauer.[10]
Im Folgenden werde ich an À bout de souffle, dem Debütfilm von Jean-Luc Godard, einem Regisseur, für den die Selbstreflexivität zu den markantesten Bestandteilen seines Werks gehört,[11] zeigen, wie in einem selbstreflexiven Film der Regisseur durch den Film mit dem Zuschauer einen Diskurs führen kann.
3. Selbstreflexivität in À Bout de Souffle
Im Jahre 1959, als Jean-Luc Godard seinen ersten Spielfilm drehen kann, hat die Nouvelle Vague gerade ihre ersten Erfolge erzielt. Bei aller inhaltlichen und inszenatorischen Originalität und Frische in den Werken von François Truffaut und Claude Chabrol beruhen Narration und Montage bei ihnen jedoch durchaus noch auf dem Gedanken der Kontinuität, so dass ihre Filme sich in dieser Hinsicht nicht vom konventionellen Kino abheben. Erst Godard geht bei seinem Debütfilm À bout de souffle auch formal neue Wege: Zum einen bricht er hier mit den etablierten ästhetischen Regeln des Kinos, zum anderen nutzt er den Film für zahlreiche Verweise auf die Kinogeschichte, andere Filme und andere Kunstformen. Während es das Ziel des traditionellen Kinos gewesen war, den Zuschauer vergessen zu lassen, dass er einen Film sehe, hebt Godard gerade den Konstruktionsaspekt des Films hervor. Auf diese Weise macht er dem Zuschauer immer wieder bewusst, dass dieser ‚nur’ einen Film sieht. Durch die Kennzeichnung seines Films als gemachtes Produkt erweckt er Aufmerksamkeit für den Prozess des Filmemachens an sich und macht damit deutlich, was laut Jean Collet sein eigentliches Thema ist: „Le sujet des films de Godard, c’est le cinéma lui-même.“[12] Im Folgenden werde ich versuchen, zu zeigen, wie es Godard gelingt, durch die selbstreflexiven Elemente in À bout de souffle den Film als Film zu kennzeichnen, und wie sich dieser Film damit vom traditionellen Kino abhebt.
3.1. Das Erbe der Cinémathèque française – Verweise auf die Filmgeschichte
Die Mitglieder der Nouvelle Vague gehören zu den ersten Regisseuren, die nicht auf dem damals üblichen praktischen Weg über Regieassistenzen gelernt haben, wie man einen Film inszeniert. Als sie ihre Arbeit als Filmkritiker aufgeben, um selbst Filme zu drehen, haben sie lediglich theoretische Vorstellungen darüber, wie Filme gemacht werden müssen. Dieses filmtheoretische Wissen haben sie sich zum größten Teil schon Ende der 40er-Jahre bei ihren ständigen Besuchen in der Cinémathèque française angeeignet. Wobei sie, dabei über die instinktive Neigung zum Kino hinausgehend, nicht nur versuchen, herauszufinden, wie ein Film funktioniert, sondern außerdem durch die Vielzahl der Filme, die sie in jener Zeit sehen, auch ein beträchtliches filmhistorisches Wissen erwerben. Die in der Cinémathèque gemachten Erfahrungen prägen die späteren Mitglieder der Nouvelle Vague derart, dass sich ihre Filme immer wieder, sowohl explizit als auch implizit, auch mit der Geschichte des Kinos auseinandersetzen. Dies fällt besonders in ihren ersten Werken auf, so dass ein Filmkritiker wie Enno Patalas beispielsweise über Godards Debütfilm sagen kann, dass À bout de souffle „wie ‚Les 400 coups’ und ‚Les Cousins’ [...] ein Film ohne Stil [sei], der die Kenntnis aller Stile verrät“[13], eine Einschätzung, die - auf diese Filme angewandt - sicherlich ihre Berechtigung hat, jedoch nicht auf alle Werke der Nouvelle Vague anwendbar ist.[14]
[...]
[1] Vgl. Christian Metz: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films. Münster 1997 [1991], S. 3.
[2] Metz, Unpersönliche Enunziation, S. 3.
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. ebd., S. 16.
[5] Vgl. ebd., S. 17.
[6] Vgl. ebd., S. 10.
[7] Ebd., S. 21.
[8] Vgl. Thomas Christen: Filmische Selbstreflexionen. Aspekte des Metafilms. In: Filmbulletin 1994, Nr. 2, S. 48.
[9] Ebd.
[10] Vgl. Robert Stam: Reflexivity in Film and Literature. From Don Quixote to Jean-Luc Godard. New York 1992
[1985], S. 16.
[11] Vgl. ebd., S. 259.
[12] Jean Collet: Jean-Luc Godard. Paris 1974, S. 18.
[13] E.P. (= Enno Patalas): Ausser Atem (A bout de souffle). In: Filmkritik Vol. 4 (1960), No. 6, S. 175.
[14] In späteren Filmen prägt die Geschichte des Kinos zumindest bei einigen Mitgliedern der Gruppe (vor allem bei Ri-
vette und Rohmer) nur noch in geringem Maße oder gar nicht mehr ihre Arbeitsweise (sofern nicht jeder Film in ir-
gendeiner Weise davon geprägt ist); auf das Gesamtwerk bezogen bleibt dieser Aspekt wohl am ehesten für Truffaut
bestimmend.
- Quote paper
- M.A. Marius Nobach (Author), 2006, Selbstreflexivität im Film am Beispiel von Jean-Luc Godards "À bout de souffle", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145632
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