Auf welchem Hintergrund und auf welche Weise gelang es ihr, Grenzen zu sprengen und im Kontext zeitgenössischer Strömungen Neues entstehen zu lassen?
Zunächst werde ich mich kurz mit den politisch-geschichtlichen Verhältnissen befassen, in denen Bachmanns Werke entstanden, um dann einen Blick auf Bachmanns Verhältnis zur Philosophie und Literatur und den Einflüssen zeitgenössischer Denker zu werfen.
Anhand zweier Gedichte „Die gestundete Zeit“ und „Die Anrufung des Großen Bären“, möchte ich dann versuchen, einen Einblick in Bachmanns „Sprachmagie“ zu gewinnen: wie ideengeschichtliche Prozesse und realhistorische Zustände durch das Medium der Literatur bearbeitet werden, und wie Bachmann von da aus „Grenzübergänge“ sucht, mit dem Ziel einer Umgestaltung der Gesellschaft zum Besseren.
Im politisch-historischen Umfeld der Nachkriegszeit gibt es zwei wichtige Themenbereiche, auf die ich hier fokussieren möchte:
1) Der Holocaust: Verarbeitung der Katastrophe in der Nachkriegszeit in der Literatur. Ein zentrales Thema in den 50-er Jahren war die Verarbeitung der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges: Die deutschsprachige Lyrik stand noch „unter dem Bann der Kriegserfahrungen und des Holocaust.“
2) Die Rolle der Frau in den 50-er Jahren: In der männlich dominierten Literaturszene der Nachkriegszeit wurde viel Aufhebens gemacht wegen Bachmanns Rolle als Frau, wobei man von dem Inhalt ihrer Lyrik ablenkte. Die junge Dichterin imponierte zunächst mit ihrer schönen Sprachform, wurde auch aber missverstanden, und man übersah ihre politischen Botschaften. Die Vorurteile spitzten sich zu in einem Artikel im Spiegel 1952.
Das politische Engagement Bachmanns führen von der Studienzeit in Wien über die Gruppe 47 zu den „Frankfurter Vorlesungen“ 1973, wo sie ihre Auseinandersetzung mit der Rolle der Literatur am deutlichsten zum Ausdruck bringt.
Doch der Weg von der Kriegszeit bis nach „Utopia“ war nicht nur ein politischer Weg, er führte bei Ingeborg Bachmann zu vielen Exkursionen in die Bereiche der Philosophie, denn ein neues Denken war notwendig, ein Neu-Denken durch eine andere, grenzüberschreitende Sprache, eine neue Kunst.
Inhaltsverzeichnis
- I Skizzierung des Essays
- 1. Ausgangspunkt Grenzland
- 2. Aufbau des Essays
- II Die politisch-realhistorische Umwelt
- 1. Vom Anschluss zum Wirtschaftswunder: Das Österreich zur Zeit Bachmanns
- 2. Die Poesie nach Auschwitz
- 3. „Nie wieder Krieg“: Die Gruppe 47 und die Nachkriegszeit in Deutschland
- 4. „Sekunde des Umschlags“: Bachmann und die Gruppe 47
- 5. Diva der Lyrik: Das „Spiegel“-Bild von Bachmann
- 6. Worte statt Waffen - Mit der Sprache gegen die Gewalt
- III Philosophie und Zeitgeist
- 1. Die Psychologie der Wahrnehmung
- 2. Vom Wiener Kreis zu Wittgenstein
- 3. Die Stimme aus dem Schweigen: Das Unsagbare in Worte fassen
- IV Die gestundete Zeit - im Zeitgeist der 50er Jahre
- V Der Große Bär – Dialog mit dem kulturellen Gedächtnis
- VI Konklusion
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit analysiert die Lyrik von Ingeborg Bachmann im Kontext des politischen und historischen Zeitgeschehens der 1950er Jahre. Die Arbeit fokussiert sich auf zwei Gedichte, "Die gestundete Zeit" und "Anrufung des Großen Bären", um Bachmanns sprachliche Gestaltung und ihre Auseinandersetzung mit den Traumata der Nachkriegszeit zu untersuchen.
- Die Verarbeitung der NS-Vergangenheit und des Holocaust in der Literatur
- Die Rolle der Frau in der männlich dominierten Literaturszene der 50er Jahre
- Die Suche nach einer neuen Sprache und einer neuen Kunst im Kontext der 50er Jahre
- Die Bedeutung von philosophischen Einflüssen auf Bachmanns Werk
- Bachmanns politisches Engagement und ihre Kritik an der Konsumgesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil der Arbeit skizziert den Essay und beleuchtet Bachmanns Lebensweg im Kontext ihrer Werke. Der Fokus liegt dabei auf dem Konzept des "Grenzlandes" als Metapher für die vielschichtigen Dimensionen, die Bachmanns Lyrik durchziehen.
Der zweite Teil untersucht die politisch-realhistorische Umwelt, in der Bachmanns Werk entstand. Hier wird das Österreich der Nachkriegszeit in den Blick genommen, das zwischen den Traumata des Anschlusses und dem Wirtschaftswunder oszillierte. Bachmanns Verhältnis zur Gruppe 47 und ihre Kritik an der konservativen Kulturszene werden ebenfalls beleuchtet.
Im dritten Teil wird Bachmanns Auseinandersetzung mit philosophischen Strömungen des Zeitgeistes behandelt, insbesondere mit der Psychologie der Wahrnehmung und den Ideen des Wiener Kreises und Wittgensteins.
Der vierte Teil analysiert das Gedicht "Die gestundete Zeit" im Kontext des Zeitgeistes der 50er Jahre. Das Gedicht zeigt die Suche nach einer neuen Zeitlichkeit und einer neuen Sprache, die der Erfahrung der NS-Vergangenheit gerecht wird.
Schlüsselwörter
Ingeborg Bachmann, Lyrik, 1950er Jahre, Nachkriegszeit, Österreich, Gruppe 47, Holocaust, Wirtschaftswunder, Sprache, Philosophie, Grenzüberschreitung, Zeitgeist, "Die gestundete Zeit", "Anrufung des Großen Bären", Paul Celan.
- Quote paper
- Ilona Gruber Drivdal (Author), 2020, Stimme aus dem Schweigen. Ingeborg Bachmanns Lyrik im politisch-historischen Kontext und Zeitgeist der 1950er Jahre. "Die gestundete Zeit" und "Anrufung des Großen Bären", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1453504