Das Fernsehen ist in Deutschland das Medium Nummer eins. 1995 standen in einem durchschnittlichen Fernsehhaushalt 30 Programme zur Auswahl. Im Jahr 2007 waren es bereits 60 Programme. Dieser beschriebene Zuwachs an Programmen stellt das Problem dar. Der Fernsehzuschauer wird gezwungen seine Präferenzen bezüglich des TV-Angebots genau festzulegen, um überhaupt eine auf ihn zugeschnittene und ihn interessierende Sendung finden zu können....
Die vorliegende Arbeit soll zeigen, worin die Gründe für das flatterhafte TV-Verhalten der Zuschauer liegen? Will man lediglich der Werbung aus dem Weg gehen oder ist der Grund im Programm selbst zu suchen? Gibt es eine Zuschauerbindung und wenn ja, wie kann diese gemessen werden? Nutzen die Zuschauer überhaupt das zur Verfügung stehende Programmangebot? Verhalten sich alle Zuschauer bezogen auf das Umschaltverhalten gleich oder gibt es unterschiedliche Charaktere? Wie reagiert eigentlich die Werbeindustrie darauf? Und zu welchen Forschungsergebnissen gelangte man bisher? Im ersten Abschnitt (Kapitel 2) wird zunächst auf die Kanalbindung des Fernsehzuschauers und in diesem Zusammenhang auf die Begrifflichkeit des „Audience Flow“ und dazu erhobene Studien eingegangen. Danach soll ein zweiter -die Zuschauertreue betreffender- Faktor erläutert werden, nämlich die Programmbindung und das dazugehörige Konzept des Relevant Set von Programmen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Gang der Untersuchung
2. Zuschauertreue
2.1 Vererbungseffekt
2.2 Audience Flow
2.3 Programmbindung
2.4 Relevant Set
3. Umschaltverhalten
3.1 Einflussfaktoren des selektiven TV-Verhaltens
3.2 Werbevermeidung und Programmselektion
3.2.1 Arten der Werbevermeidung
3.2.2 Arten der Programmselektion
3.3 Konzepte der Werbeindustrie
3.4 Ursachen des Umschaltverhaltens
3.5 Forschungsergebnisse
4. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Schematische Darstellung Audience Flow
Abb. 2: Anzahl empfangbare, genutzte, und Relevant Set-Sender
Abb. 3: Die Einflussfaktoren des selektiven TV-Verhaltens
Abb. 4: Die größten Umschaltpunkte
1. Einleitung
Das Fernsehen ist in Deutschland das Medium Nummer eins (vgl. SevenOne Media 2007: 13). 1995 standen in einem durchschnittlichen Fernsehhaushalt 30 Programme zur Auswahl (vgl. ARD 1996: 394). Im Jahr 2007 waren es bereits 60 Programme (vgl. ARD 2008: 421). Mit der Umstellung auf das duale Rundfunksystem wurden private Anbieter zugelassen. Neben dem Zuwachs an Fernsehprogrammen sind gleichzeitig auch die Werbemöglichkeiten gestiegen. Der Wettbewerb um Zuschauer und Werbekunden hat sich somit in den letzten Jahren drastisch verschärft. Die Zuschauer von heute stellen also sowohl das umworbene Publikum als auch ein Übel für die Fernsehanbieter dar. Denn das kaum noch überschaubare Angebot an Programmen macht es dem Zuschauer immer schwieriger sich für ein Programm zu entscheiden. Der Zuschauer ist flexibler geworden und kann mit Hilfe seiner Fernbedienung solange umschalten bis er etwas Wichtigeres oder noch Unterhaltsameres auf einem anderen Kanal gefunden hat. Das Hin- und Herschalten macht es den Fernsehanbietern jedoch schwierig den Zuschauer zu erfassen.
1.1 Problemstellung
Dieser beschriebene Zuwachs an Programmen stellt also das Problem dar. Der Fernsehzuschauer wird gezwungen seine Präferenzen bezüglich des TV-Angebots genau festzulegen, um überhaupt eine auf ihn zugeschnittene und ihn interessierende Sendung finden zu können. Ein weiteres Problem stellt das Aufkommen der privat-kommerziellen Sender und die Tatsache, dass diese sich größtenteils über Werbegelder finanzieren, dar. Die Einführung des dualen Systems führte zu einem starken Anstieg des Werbekontaktes mit dem Zuschauer. Doch dieser kann sich dadurch gereizt fühlen und mit Umschalten reagieren (vgl. Niemeyer/ Czycholl 1994: 1).
1.2 Zielsetzung und Gang der Untersuchung
Im Folgenden soll gezeigt werden, worin die Gründe für das flatterhafte TV-Verhalten der Zuschauer liegen? Will man lediglich der Werbung aus dem Weg gehen oder ist der Grund im Programm selbst zu suchen? Gibt es eine Zuschauerbindung und wenn ja, wie kann diese gemessen werden? Nutzen die Zuschauer überhaupt das zur Verfügung stehende Programmangebot? Verhalten sich alle Zuschauer bezogen auf das Umschaltverhalten gleich oder gibt es unterschiedliche Charaktere? Wie reagiert eigentlich die Werbeindustrie darauf? Und zu welchen Forschungsergebnissen gelangte man bisher? Im ersten Abschnitt (Kapitel 2) wird zunächst auf die Kanalbindung des Fernsehzuschauers und in diesem Zusammenhang auf die Begrifflichkeit des „Audience Flow“ und dazu erhobene Studien eingegangen. Danach soll ein zweiter -die Zuschauertreue betreffender- Faktor erläutert werden, nämlich die Programmbindung und das dazugehörige Konzept des Relevant Set von Programmen. Im zweiten Abschnitt (Kapitel 3) steht das Umschaltverhalten im Fokus, insbesondere die Einflussfaktoren des selektiven TV-Verhaltens, die verschiedenen Ausprägungen der Werbevermeidung und Programmselektion, die Konzepte der Werbeindustrie gegen werbevermeidende TV-Handlungen und die Ursachen des Umschaltverhaltens. Abschließend folgen eine übergreifende Zusammenfassung und ein Ausblick für die Fernsehforschung der Zukunft.
2. Zuschauertreue
Wunsch- und Zielvorstellung eines jeden Senders ist eine möglichst hohe und konstante Einschaltquote. Vor allem bei werbefinanzierten Privatsendern spiegeln die Einschaltquoten den wirtschaftlichen Erfolg. Die Haupteinnahmequelle der privat- rechtlichen Sender liegt im Verkauf von Werbezeiten. Das Hauptanliegen der Werbetreibenden besteht darin, dass eine möglichst große Anzahl von Zuschauern die ausgestrahlten Werbespots so oft wie möglich sehen sollen. Das Handeln der Fernsehsender und Werbetreibenden wird damit zu einem großen Teil durch finanzielle Aspekte getrieben. Voraussetzung dafür ist aber ein programmgebundenes, konstantes Sehverhalten der Zuschauer (vgl. Zubayr 1996: 13-15). Ohne den Zuschauer wäre jegliche Werbung und Programmplanung sinnlos.
Der wichtigste Faktor, der das Fernsehnutzungsverhalten beeinflusst, ist die Zuschauererreichbarkeit. Diese Zuschauererreichbarkeit kann zu einem Großteil Gewohnheitsmuster in Bezug auf die Fernsehnutzung erklären. Ob sich Gewohnheitsmuster bei der Selektion einzelner Sender und Programme, unabhängig von Programminhalten, ebenfalls erkennen lassen, wurde von Goodhardt, Ehrenberg und Collins untersucht. Sie entdeckten drei Regelmäßigkeiten. Sie werden als „duplication of viewing law“, Vererbungseffekt und Programmbindung bezeichnet (vgl. Zubayr 1996: 31- 35). Im weiteren Verlauf wird das „duplication of viewing law“ außer Acht gelassen.
2.1 Vererbungseffekt
„(D)er Vererbungseffekt beschreibt die Zuschauerüberschneidungen zweier direkt aufeinander folgender Programme“ (Zubayr 1996: 35). Danach erben Sendungen einen Großteil ihrer Zuschauer aus der vorangegangenen Sendung. Es können drei Gründe für dieses Phänomen genannt werden:
- Zuschauer sehen sich eine bestimmte Sendung an, bleiben im Programm kleben und schauen zusätzlich auch das nachfolgende Programm an („lead in“-Effekt).
- Ähnlich wie gerade beschrieben, schaut der Zuschauer auch hier die erste Sendung gezielt an. Der Grund dafür, dass er auch die nachfolgende Sendung sieht, liegt aber darin, dass mit dem Ende der ersten Sendung auf keinem anderen Kanal eine neue Sendung begann.
- Die dritte Möglichkeit ist, dass man eigentlich die zweite Sendung sehen möchte und sich mit dem Sehen der ersten Sendung nur die Zeit vertreibt. Der Zuschauer wartet also auf die eigentliche Sendung („lead out“-Effekt).
Im Vererbungseffekt kann auch der Grund gesehen werden, warum Programmplaner weniger attraktive Sendungen zwischen zwei erfolgreiche Sendungen platzieren. Das Zuschaueraufkommen der unattraktiven Sendung soll somit verbessert werden (vgl. Zubayr 1996: 41f.). Man versucht möglichst wenig Zuschauer von der einen Sendung auf die nächste zu verlieren und sie bestmöglich im Programm zu halten.
2.2 Audience Flow
Der Audience Flow ist ein Maß für die Zuschauerbindung und gibt die Wanderbewegungen der Zuschauer bei aufeinander folgenden Sendungen an. Der Audience Flow ist somit ein Instrument zur Unterstützung der Programmplanung. Um den Audience Flow zu analysieren, werden Identitätsanalysen durchgeführt. Man betrachtet dabei den Übergang eines Programmformats auf das nächste und bekommt dadurch Informationen über die Sehbeteiligung der einzelnen Sendungen, sowie über die Schnittmenge derjenigen Zuschauer, die beide Sendungen gesehen haben. Es werden also immer aufeinander folgende Sendungspaare analysiert. Ein Beispiel hierfür liefert die Identitätsanalyse der Sendepaarung „Wetten, dass..?“ und „heute-journal“ im Jahr 2005 (vgl. Kuchenbuch/ Auer 2006: 154-156).
Abb. 1: Schematische Darstellung Audience Flow
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Kuchenbach/ Auer, 2006, 156.
Die Identitätsanalyse liefert viele Kenngrößen. Welche diese sind und wie sie berechnet werden, wird nun anhand des oben gezeigten Beispiels erläutert:
1. Vorlauf: Sehbeteiligung der vorlaufenden Sendung.
2. Nachlauf: Sehbeteiligung der nachfolgenden Sendung.
3. Identitäten: Sehbeteiligung in Millionen derjenigen Zuschauer, die beide Sendungen gesehen haben. Je länger ein Zuschauer Sendung A und Sendung B gesehen hat, desto stärker geht sein persönliches Gewicht in die Berechnung ein.
4. Übergabe: Anteil derjenigen Zuschauer (30,6%) des Vorlaufs, die einen Teil beider Sendungen gesehen haben (Berechnung: Identitäten in Mio/ Sehbeteiligung vorlaufende Sendung * 100).
5. Übernahme: Anteil derjenigen Zuschauer (68,6%) des Nachlaufs, die einen Teil beider Sendungen gesehen haben (Berechnung: Identitäten in Mio/ Sehbeteiligung nachlaufende Sendung * 100).
Die Betrachtung der Kenngrößen ist jedoch nicht ganz unproblematisch. So unterliegt die Sehbeteiligungen sowohl im Tagesverlauf als auch saisonal starken Schwankungen, da im Winter und am Abend grundsätzlich mehr ferngesehen wird. Da die Identität aus der Sehbeteiligung errechnet wird, hängt auch sie von saisonalen Schwankungen ab. Außerdem können die Kenngrößen nicht eindeutig interpretiert werden. Gelingt es einer Sendung viele Zuschauer von anderen Sendern zu gewinnen, die die vorlaufende Sendung also nicht gesehen haben, so könnte auch eine geringe Übernahme als Stärke der Sendung beurteilt werden. Unter Vermeidung des stark schwankenden Indikators Sehbeteiligung, ist der Audience Flow über den ganzen Sendetag und alle Sender betrachtet dann als positiv zu bewerten, wenn er eine hohe Identität (eine Million), eine hohe Übergabe (40 Prozent), eine hohe Übernahme (40 Prozent) und eine geringe Differenz zwischen Übergabe und Übernahme aufweist (vgl. Kuchenbuch/ Auer 2006: 155-158).
Dass am Abend mehr ferngesehen wird, ist auch der Grund, warum Sat.1 seine werktägliche Vorabendstruktur umgestellt hat. Die im August 2008 gestartete Telenovela „Anna und die Lieben“ bekommt nun seine Sendezeit von Montag bis Freitag um 18.30 Uhr, um zum einen etabliert zu werden und zum anderen den Audience Flow im Vorabendprogramm zu optimieren (vgl. Thiemann 2008).
Da die Betrachtung aller einzelnen Kennwerte mühsam sein kann, entwickelte man einen neuen Kennwert, der das Ergebnis der Identitätsanalyse in einem einzigen Wert abbildet und der es erlaubt, dieses Ergebnis als guten oder schlechten Audience Flow einzuordnen. Der neue Kennwert wird mit dem Namen „Score“ („Score Audience Flow“) bezeichnet. Der Score kann Werte zwischen null und unendlich annehmen. Ein Score von 80 gilt dabei als guter Score. Bei den Identitätsanalysen der Sender ZDF, ARD, RTL und Sat.1 wurden im Jahr 2004 4000 Sendungspaare analysiert. Dabei konnten Unterschiede bzgl. des Alters, des Wochentags, zwischen der Prime Time und dem kompletten Sendetag und Unterschiede zwischen dem Wochenende und Werktagen erkannt werden. Folgende Ergebnisse wurden festgehalten:
- RTL weist niedrige Überschneidungswerte (= Identitäten) auf. Ein Grund dafür ist die Zielgruppenausrichtung des Programms auf die 14- bis 49- Jährigen. Jüngere Zuschauer binden sich weniger an ein Programm und somit an einen Sender. Diese Zielgruppe steht auch bei Sat.1 im Vordergrund.
- Das ZDF erzielte 2004 sein bestes Ergebnis am Freitag. Über den ganzen Sendetag betrachtet, kam ZDF zu einem Score von 108. Das schlechteste Ergebnis lag Montag vor. Die ARD erreicht sein bestes Ergebnis am Dienstag mit einem Score von 103, RTL am Donnerstag mit einem Score von 82 und Sat.1 am Freitag mit einem Score von 73.
- RTL und Sat.1 weisen am Wochenende einen deutlich niedrigeren Audience Flow auf, was mit dem hohen Strukturanteil für die 14- bis 49- Jährigen zu begründen ist.
- Den mit 127 besten Score im Hauptabend, also zwischen 19.00 und 23.00 Uhr, konnte die ARD vor ZDF und RTL verbuchen. Sat.1 fällt mit einem Score von 41 deutlich ab. Bei der Betrachtung des Hauptabends muss jedoch berücksichtigt werden, dass die durchschnittliche Länge eines Sendungspaares bei den unterschiedlichen Sendern stark variiert. Bei der ARD hat ein Sendungspaar durchschnittlich 62 Minuten, beim ZDF 88 Minuten, bei Sat.1 102 Minuten und bei RTL sogar 104 Minuten. Am Hauptabend wird das Programm häufiger gewechselt. Daher kommt es zu höheren Identitäten und zu geringeren Anteilen von Übergabe und Übernahme (vgl. Kuchenbuch/ Auer 2006: 154- 161).
2.3 Programmbindung
Auffälligkeiten im Ausmaß der Zuschauerüberschneidungen sind außer beim Vererbungseffekt auch bei der Programmbindung zu sehen (vgl. Zubayr 1996: 35). Hierbei werden nur Zuschauer betrachtet, die zwei aufeinander folgende Episoden derselben Sendung gesehen haben. Untersuchungen zur Programmbindung beziehen sich auf das Jahr 1971, als es noch keine mehrmals wöchentlich ausgestrahlten Sendungen gab. Daher wurde die Programmbindung von Woche zu Woche mit folgender Formel ermittelt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Programmbindungsrate beschreibt damit den Anteil der Zuschauer einer Sendung, der die nächste Episode oder Ausgabe der gleichen Sendung ebenfalls rezipiert. Man spricht auch vom “repeat-viewer”. Man stellte fest, dass bei zunehmender Reichweite einer Sendung die Programmbindungsrate anstieg. Das heißt je höher die Reichweite einer Sendung, desto größer der Anteil derjenigen, die die nächste Episode auch anschauen. Umgekehrt bedeutet das aber, dass weniger attraktive Sendungen nur eine kleine und weniger treue Seherschaft haben (vgl. Zubayr 1996: 43-45).
Die Ergebnisse zeigten außerdem, dass die über alle untersuchten Sendungen gemittelte Programmbindungsrate bei 30,7 Prozent lag. Das heißt zwei Drittel der Zuschauer einer Sendung haben die nächste Folge nicht gesehen (vgl. Zubayr 1996: 148).
Mit einfachen Methoden versuchen die Sendeanstalten die Zuschauer dauerhaft an ihre Sendungen zu binden. Ein Beispiel hierfür sind „Cliffhanger“. Ein Cliffhanger wird meist vor Werbeunterbrechungen oder vor dem Ende einer Episode eingebaut. Dabei wird die Sendung oder der Film in einer spannenden Situation abgebrochen, die erst nach der Werbepause oder in der nächsten Episode aufgelöst wird (vgl. Petersen 2004: 52).
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