Polynesische Feste als Ausdruck von Status und Prestige


Term Paper (Advanced seminar), 2008

20 Pages


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Polynesien
2.1 Status und Gesellschaft
2.1.1 Drei Typen von polynesischen Gesellschaftssystemen

3 Feste
3.1 Definition
3.2 Feste und Status
3.3 Feste und soziale Evolution

4 Feste in Polynesien
4.1 Tikopia
4.2 Marquesas

5 Fazit

Literatur

1 Einleitung

Am Beispiel Polynesiens lässt sich sehr anschaulich zeigen, welche Rolle Feste für den Er- halt oder den Erwerb von Status und Prestige spielen. Dies soll in der vorliegenden Arbeit versucht werden. Nach einer sehr kurzen, allgemeinen Darstellung Polynesiens, möchte ich einen Aspekt seiner Kultur etwas genauer beleuchten, den gesellschaftlichen Aufbau und die Vorstellungen von Status und Prestige. Im Anschluss daran folgt eine ausführliche Einfüh- rung in die ethnologische Betrachtung von Festen im Allgemeinen, in der die Verbindung von Festen zu Status und Prestige eher theoretisch-abstrakt gezogen wird. In der daran an- schließenden Darstellung von Festen in Polynesien wird diese Verbindung dann konkret veranschaulicht. Als polynesische Beispielgesellschaften habe ich Tikopia und die Marque- sas ausgewählt, auf die ich mich immer wieder bei einzelnen detailierten Betrachtungen beziehen werde. Eine ausführlichere Vorstellung von Tikopia und den Marquesas erfolgt am Ende der Arbeit.

2 Polynesien

It is extraordinary that the same Nation should have spread themselves over all the isles in this vast Ocean from New Zealand to this Island which is almost a fourth part of the circumference of the Globe Ähnlich wie James Cook bei seinem Eintreffen auf der Osterinsel waren wohl viele europäi- sche Entdecker fasziniert bei ihrem ersten Kontakt mit den Völkern Polynesiens (Bellwood, 1978, S. 5). Denn bis zum Beginn der europäischen Entdeckungen waren die Polynesier die geographisch am weitesten verbreitete ‘Nation’ der Erde. Spätestens seit dem 10. Jhd. n. Chr. besiedelten sie alle Inseln innerhalb des sogenannten polynesischen Dreiecks zwischen Neuseeland, Hawai’i und der Osterinsel und haben sich trotz dieser gewaltigen geographi- schen Ausbreitung eine in vielen Zügen einheitliche Kultur bewahrt (Bellwood, 1978, S. 7). Insbesondere die große Ähnlichkeit der polynesischen Sprachen untereinander, aber auch ihre einheitliche äußere Erscheinung, die sich stark von der der benachbarten Melanesier unterscheidet, legen eine enge Verwandtschaft und einen gemeinsamen Ursprung aller po- lynesischen Völker nahe (Bellwood, 1978, S. 23ff). Wo genau dieser Ursprung zu suchen ist, soll hier nicht weiter diskutiert werden, es gilt jedoch heute als weitgehend unbestrit- ten, dass das polynesische Dreieck von Westen nach Osten, also vermutlich von Melanesien aus besiedelt wurde1. Als Belege hierfür seien glottochronologische Untersuchungen der polynesischen Sprachen und ihrer Einordnung ins Austronesische genannt, sowie die ar- chäologischen Töpferei-Zeugnisse der Lapita-Kultur, die von Melanesien nach Polynesien und innerhalb Polynesiens von West nach Ost immer spärlicher werden (Bellwood, 1978, S. 45ff). Außerhalb des polynesischen Dreiecks werden noch einige Inseln im Bereich der melanesischen Inselgruppe der Salomonen zu Polynesien gerechnet und als (Polynesian) outliers bezeichnet. Das in dieser Arbeit als Beispiel dienende Tikopia ist eine davon. Trotz der beachtlichen kulturellen Homogenität lässt sich eine Unterteilung in West- und Ostpolynesien begründen, wobei ersteres neben den outliers u.a. die Inselgruppen Tonga, Samoa und Niue umfasst, während die Cook- und Gesellschaftsinseln, die Tuamotus und Marquesas, sowie Neuseeland, Hawai’i und die Osterinsel Ostpolynesien bilden (Bellwood, 1978, S. 20f). Die Unterschiede zwischen beiden Räumen liegen vor allem (aber keinesfalls ausschließlich) in der materiellen Kultur begründet, insbesondere ist die Steinverarbeitung in Ostpolynesien wesentlich ausgeprägter als im Westen, was die eindrucksvollen archäo- logischen Funde z.B. auf den Marquesas2 belegen. In der weiteren Darstellung der polyne- sischen Kultur möchte ich mich auf die gesellschaftliche Schichtung und die Vorstellungen von Status und Prestige beschränken.

2.1 Status und Gesellschaft

Polynesische Gesellschaften weisen eine derart beachtliche Variabilität im Grad ihrer Stra- tifikation auf, dass viele Ethnologen sich geradezu genötigt sahen, umfassende theoretische Erklärungen für diese Vielfalt zu entwerfen. In seinem Buch Social stratification in Poly- nesia unternimmt Sahlins (1958, S. 1) den Versuch, die polynesischen Gesellschaften nach dem Grad ihrer Stratifikation zu ordnen und Ausgangspunkt seiner Analyse ist die Fest- stellung, dass in Polynesien alle Gemeinwesen zu einem gewissen Grade stratifiziert sind. Ausdruck der Stratifikation einer Gesellschaft ist der unterschiedliche Status ihrer jeweili- gen Mitglieder. So sind in egalitären Gesellschaften alle Statusebenen im Prinzip für jeden erreichbar, während in stratifizierten Gesellschaften Status einen statischen Charakter an- nimmt (Sahlins, 1958, S. 2). Als universale Statusmerkmale identifiziert Sahlins (1958, S. 1) Alter, Geschlecht und persönliche Charakterereigenschaften, wobei in einer eher egalitär- en Gesellschaft vor allem letztere eine entscheidende Rolle spielen. Goldman (1970, S. 9) fügt in seinem voluminösen Werk Ancient Polynesian Society dieser Liste zwei weitere ent- scheidende Punkte hinzu: Erstgeburt und die Geschichte der Abstammungslinie, und stellt fest, dass in Polynesien Status vor allem nach genealogischen Kriterien zugeschrieben wird. Persönlicher Verdienst und herausragende Fähigkeiten können ebenfalls zum Status beitra- gen, jedoch nicht, indem sie diesen begründen; vielmehr werden sie als Ausdruck von Status verstanden. Denn Status bedeutet in Polynesien die Fähigkeit, ‘Mächte’ zu kontrollieren und hat somit einen religiösen Charakter:

a status position stems fundamentally from an expectation of notable efficacy ort he ability to control powers. In Polynesia, all powers are from the gods and, in principle, are transmitted genealogically, which is to say authentically along established lines (Goldman, 1970, S. 9).

Das Konzept von sich im Menschen manifestierender göttlicher Macht ist in großen Teilen Ozeaniens verbreitet und wird als Mana bezeichnet. Die weltliche Macht eines Chiefs und sein Status sind Ausdruck seiner göttlichen Abstammung, die ihm die Fähigkeit verleiht, Mana zu kontrollieren:

all conspicuous success is a proof that a man has mana; his influence depends on the impression made on the people’s mind that he has it; he becomes a chief by virtue of it. Hence a man’s power, though political or social in its character, is his mana (Codrington, 1891, S. 120).

Je größer das Mana eines Menschen, desto größer auch die Verpflichtung, dies durch Taten zum Ausdruck zu bringen. Status verlangt also würdiges Verhalten, und eine gute Möglichkeit, sich als des eigenen Status würdig zu erweisen, ist diesen weiter auszubauen (Goldman, 1970, S. 18). Das erklärt auch, warum in weiten Teilen Polynesiens eine ausgeprägte Statusrivalität zu beobachten ist.

Untrennbar mit Mana und somit auch mit Status verbunden ist das ebenfalls in weiten Tei- len Ozeaniens anzutreffende Konzept des Tapu 3, das in ‘erster Näherung’ als eine Form von Prestige angesehen werden kann4 (Sahlins, 1958, S. 9), so dass der Grad der unter- schiedlichen Ausprägung von Tapu in verschiedenen Gesellschaften als ein Index für den Grad der Stratifikation dienen kann. Ein weiterer Maßstab für die Stratifikation einer po- lynesischen Gesellschaft und den Status ihrer Chiefs ist deren wirkliche politische Macht, insbesondere die direkte Macht über Menschenleben (Goldman, 1970, S. 18), z.B. bei Tapu- Brüchen: Auch in den am wenigsten stratifizierten Gesellschaften wie Tikopia durfte die Würde des Chiefs (ariki) nicht angetastet werden, die Art der Bestrafung unterschied sich jedoch (zumindest formal) von der Vorgehensweise in stratifizierteren Gesellschaften: „The more power-minded societies had offenders against chiefly dignity killed; Tikopian ariki asked them to commit suicide“ (Goldman, 1970, S. 365).

Dass das Ergebnis für den Tapu-Brecher in beiden Fällen letztlich doch dasselbe ist, mag einen Hinweis darauf geben, warum Goldman die polynesischen Gesellschaften als aristo- kratisch bezeichnet. Nach seinem Verständnis ist Aristokratie „the imposition of a comman- ding and natural authority over the entire cultural domain“ (Goldman, 1970, S. 4) und die Chiefs sind die Quellen und Garanten dieser natürlichen Authorität. Aristokratie in Poly- nesien ist nicht einfach eine Herrschaftsform, sondern entsprechend obiger Definition eine kulturelle Überzeugung über den Aufbau der gesamten sozialen Ordnung, die den Unter- schied zwischen den einzelnen Menschen zum Ausdruck bringt. Und als solche kann Ari- stokratie als eine „Doktrin des sozialen Status“ (Goldman, 1970, S. 4) verstanden werden. Eine derart auf sozialen Status aufbauende Gesellschaftsstruktur ermöglicht es, soziale Be- ziehungen durch den unterschiedlichen Wert von Menschen auszudrücken und befriedigt somit laut Goldman (1970, S. 6) das zutiefst menschliche Bedürfnis danach, sich und ande- re zu bewerten:

By status system I mean the principles that define worth and more specifically honor, that establish the scales of personal and group value, that relate position or role to privileges and obligations, that allocate respects, and that codify respect behavior (Goldman, 1970, S. 7).

Ob Goldman mit dieser Einschätzung tatsächlich die polynesische Wirklichkeit darstellt, darf durchaus bezweifelt werden, zumal er selbst keine praktische Feldforschung dort ge- leistet hat und sich somit in die lange Reihe der Armchair-Scholars einreiht (Howard, 1972, S. 811f).

2.1.1 Drei Typen von polynesischen Gesellschaftssystemen

In dieser Tradition hat er eine auf den ersten Blick theoretisch sehr überzeugende Einteilung der polynesischen Gesellschaften in drei Gruppen von Status- und Gesellschaftssystemen vorgenomme, die bis heute gerne zitiert wird:

1. Traditionelle Gesellschaften
2. Offene Gesellschaften
3. Stratifizierte Gesellschaften

In ‘traditionellen’ Gesellschaften ist das Prinzip der Seniorität zentral, Status wird in ers- ter Linie mit zunehmendem Alter und entsprechender Lebenserfahrung erworben. Entspre- chend sind die Statusunterschiede eher kontinuierlich und kaum mit weltlicher Macht oder ökonomischen Unterschieden verbunden. Stattdessen drückt sich Status im Bereich des Re- ligiösen aus und bezeichnet die Fähigkeit, Rituale durchzuführen und Verantwortung für die Gruppe zu übernehmen (Goldman, 1970, S. 20). Diese Form des Status könnte, trotz ihrer immer vorhandenen genealogischen Komponente, als Prestige bezeichnet werden, da das Lebenswerk und die Lebenserfahrung eine entscheidende Rolle spielen.

Auch in ‘offenen’ Gesellschaften gründet ein großer Teil des Status auf Prestige. Im Ge- gensatz zu traditionellen Systemen spielen Lebenserfahrung und Alter jedoch eine unterge- ordnete Rolle, stattdessen zählen persönliche Leistungen wie militärischer oder politischer Erfolg oder auch besondere handwerkliche Fähigkeiten. Insgesamt sind offene Gesellschaften eher praktisch orientiert, Stabilität wird durch militärische Macht gewährleistet und Politik spielt eine große Rolle. Aus unterschiedlicher weltlicher Macht ergeben sich scharfe Statusunterschiede zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern, die jedoch nur selten genealogisch festgelegt sind. Es ist somit möglich, den eigenen Status zu erhöhen (daher der Name ‘offen’), was zu einer ausgeprägten Statusrivalität führt.

‘Stratifizierte’ Gesellschaften können lauf Goldman (1970, S. 20) als das Ergebnis exzessi- ver Statusrivalität betrachtet werden und erlauben keinen gesellschaftlichen Aufstieg mehr. Die herrschende Schicht hat alle politische und ökonomische Macht und besitzt das Land, so dass ein Vergleich mit den europäischen Feudalstaaten des Mittelalters naheliegt. Auf- grund der überschaubaren Größen ihrer ‘Staaten’ hatten polynesische Chiefs oder ‘Könige’ im Gegensatz zu vielen ihrer europäischen ‘Vorbilder’ jedoch auch de facto die Macht, die ihnen de jure zustand. Beispiele für stratifizierte Gesellschaften sind die Gesellschaftsin- seln, Hawai’i oder Tonga. Im folgenden soll jedoch auf diesen Gesellschaftstyp nicht weiter eingegangen werden.

Die Marquesas sind, wie die Osterinsel und Samoa, ein Beispiel für eine offene Gesell- schaft, während die Tikopia (und z.B. auch die neuseeländischen Maori) dem traditionellen Typ entsprechen. Auf dem Gebiet der Ökonomie sind in diesen beiden Gesellschaftstypen die Statusunterschiede auf den ersten Blick nicht sehr ausgeprägt. Alles Land und das Meer gehören de facto jeweils der ganzen Gruppe, und obwohl der Chief als offizieller Besitzer von allem gilt, steht die Nutzung allen Gruppenmitgliedern gleichermaßen zu. Der Chief fungiert lediglich als Verwalter „in the best interest of the group as a whole“ (Sahlins, 1958, S. 6), weshalb diese Besitzform auch als stewardship bezeichnet wird. Zum Schutz vor Hungersnöten kann der Chief über bestimmte Nahrungsmittel ein Tapu aussprechen, dessen Einhaltung in erster Linie durch übernatürliche Kräfte, oft aber auch durch weltliche Macht sanktioniert wird (Sahlins, 1958, S. 7). Desweiteren obliegt dem Chief die Verantwortung über die oft überlebensnotwendige Vorratshaltung und alle Formen der gemeinschaftlichen Nahrungsgewinnung. Aus diesen Beobachtungen schließt Sahlins (1958, S. 3), dass die Ge- winnung und vor allem die Verteilung von Nahrung die primäre Quelle von Status und Prestige sind:

In many primitive societies, power, privilege, and prestige appear to be generated primarily in the processes of goods distribution (Sahlins, 1958, S. 3)

Insbesondere die Produktion von Nahrungsüberschüssen fördert die Stratifikation einer Gesellschaft und eröffnet die Möglichkeit für Arbeitsteilung und die Herausbildung von Spezialisten wie Handwerkern oder Kriegern. Eine andere Möglichkeit, mit Nahrungsüberschüssen umzugehen, sind Feste.

Doch bevor auf diese genauer eingegangen werden kann, sei kurz auf die vielfältige Kritik hingewiesen, die gegen die beiden von mir zitierten Werke von Sahlins und Goldman vor gebracht wurde.

[...]


1 Der Vollständigkeit halber sei hier (Heyerdahl, 1952) erwähnt, der eine Besiedlung Polynesiens von (Süd-) Amerika aus annimmt, mit dieser Meinung heute jedoch weitgehend alleine dasteht.

2 oder auf der Osterinsel, auf Hawai’i oder Raiatea.

3 Obwohl Tapu sicherlich nicht in ganz Polynesien einheitlich geschrieben wird, habe ich mich für diese Schreibweise entschieden, um eine Gleichsetzung mit dem - von eben diesem Wort abgeleiteten - deutschen Wort „Tabu“ zu vermeiden.

4 Diese ‘erste Näherung’ wird dem Konzept des Tapu selbstverständlich in keiner Weise gerecht, aber eine genauere Betrachtung ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich.

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Details

Title
Polynesische Feste als Ausdruck von Status und Prestige
College
University of Freiburg  (Institut für Völkerkunde)
Course
Hauptseminar Status und Prestige
Author
Year
2008
Pages
20
Catalog Number
V145053
ISBN (eBook)
9783640541959
ISBN (Book)
9783640542093
File size
447 KB
Language
German
Keywords
Polynesische, Feste, Ausdruck, Status, Prestige
Quote paper
Peter Baumann (Author), 2008, Polynesische Feste als Ausdruck von Status und Prestige, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145053

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