„Migration“, „Integration“ und „interkulturelle Kompetenz“ sind immer wieder Schlagwörter, welche in der Sozialen Arbeit und somit auch in der Sexualpädagogik fallen. Das „Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie (ISP)“ erläutert: „Die Gestaltung der sexuellen Identität ist ein lebenslanger Prozess. Frauen, Männer sowie Jugendliche sind immer wieder aufs Neue herausgefordert, sich mit ihrer sexuellen Entwicklung auseinanderzusetzen. Die Vielfalt von Wertvorstellungen und die unzähligen Möglichkeiten, wie Sexualität gelebt werden kann – ein Charakteristikum der Moderne – macht diese Suche für Frauen und Männer, Mädchen und Knaben sehr komplex.“ (ISP 2009)
Eben diese Wertevielfalt ist es, die im Zusammenhang mit Migration eine besondere Rolle spielt. Nicht nur die Normen und Werte der eigenen Kultur, sondern auch die der Fremdkultur bieten sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen für sexuelles Verhalten und damit für die Ausbildung sexueller Identität. Eben hier liegt die Aufgabe der Sexualpädagogik. Sie soll Informationen und Orientierungshilfen bieten und die KlientInnen in Aufbau und Ausleben einer selbstbestimmten Sexualität unterstützen. Dazu ist es notwendig, sich mit den persönlichen Verhältnissen und der konkreten Lebenswelt des Klientels auseinanderzusetzen. Im Zusammenhang mit Sexualität spielt hierbei natürlich auch die Religionszugehörigkeit eine entscheidende Rolle.
In der vorliegenden Arbeit versuche ich, die Herausforderungen, welche sich innerhalb interkultureller sexualpädagogischer Arbeit stellen, an Hand eines Beispiels aufzuzeigen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Kontinent Afrika
3. EinwanderInnen in der Bundesrepublik Deutschland
3.1. Migration in Deutschland
3.2. Afrikanische EinwanderInnen
3.3. Vorurteile und Rassismus
4. Lebenswelt der muslimisch geprägten Afrikanerinnen
4.1. Familienalltag
4.1.1. Geschlechtsrollenverständnis
4.1.2. Ehemuster
4.2. Sexualität
4.2.1. Entwicklung weiblicher Geschlechtsidentität und Körperbewusstsein
4.2.2. Genitalverstümmelung
4.2.3. Homosexualität
4.3. HIV und Aids
5. Sexualpädagogische Arbeit
5.1. Definition
5.2. Gegenstandsbereich und Querschnitt sexualpädagogischer Tätigkeit
5.3. Zur Bedeutung der Geschlechterverhältnisse: Subjekt- und themenzentrierte Sexualpädagogik
5.4. Kultureller Wandel der Sexualmoral
5.5. Sexualpädagogik im interkulturellen Kontext
Exkurs: Interkulturalität
5.5.1. Moralische Pluralisierung
5.5.2. Umgang mit kulturellen Differenzen
Exkurs: Menschenrechte
Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Migration“, „Integration“ und „interkulturelle Kompetenz“ sind immer wieder Schlagwörter, welche in der Sozialen Arbeit fallen. Auch in der Sexualpädagogik spielen sie somit eine Rolle. Das „Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie (ISP)“ erläutert:
„Die Gestaltung der sexuellen Identität ist ein lebenslanger Prozess. Frauen, Männer sowie Jugendliche sind immer wieder aufs Neue herausgefordert, sich mit ihrer sexuellen Entwicklung auseinanderzusetzen. Die Vielfalt von Wertvorstellungen und die unzähligen Möglichkeiten, wie Sexualität gelebt werden kann – ein Charakteristikum der Moderne – macht diese Suche für Frauen und Männer, Mädchen und Knaben sehr komplex.“ (ISP 2009, >>http://www.sexualpaedagogik.ch/pages/frameset_ausb.html<<)
Eben diese Wertevielfalt ist es, die im Zusammenhang mit Migration eine besondere Rolle spielt. Nicht nur die Normen und Werte der eigenen Kultur[1], sondern auch die der Fremdkultur bieten sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen für sexuelles Verhalten und damit für die Ausbildung sexueller Identität. Eben hier liegt die Aufgabe der Sexualpädagogik. Sie soll Informationen und Orientierungshilfen bieten und die KlientInnen in Aufbau und Ausleben einer selbstbestimmten Sexualität unterstützen. Dazu ist es notwendig, sich mit den persönlichen Verhältnissen und der konkreten Lebenswelt des Klientels auseinanderzusetzen. Im Zusammenhang mit Sexualität spielt hierbei natürlich auch die Religionszugehörigkeit eine entscheidende Rolle.
In der vorliegenden Arbeit versuche ich, die Herausforderungen, welche sich innerhalb interkultureller sexualpädagogischer Arbeit stellen, an Hand eines Beispiels aufzuzeigen. Da sexualpädagogische Arbeit meist geschlechtsgetrennt vollzogen wird, entschied ich mich für eine Beschränkung auf weibliche Klientinnen. Dabei grenzte ich das Thema des Weiteren auf Afrikanerinnen ein, da diese im Laufe meiner bisherigen sexualpädagogischen Tätigkeit oft zu meinen Klientinnen zählten und sie auf Grund ihrer Hautfarbe oftmals Stigmatisierungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind. Da der Begriff „Afrikanerin“ jedoch Unmengen an kultureller und religiöserer Vielfalt beinhaltet, entschloss ich mich schließlich dazu, das Thema auf muslimische Afrikanerinnen zu begrenzen. Ich entschied mich dabei deshalb für eine Religionszugehörigkeit zum Islam, da diese Religion immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit rückt und ihr mit vielen Vorurteilen gegenüber getreten wird.
Innerhalb dieser Arbeit möchte ich zunächst näher auf den Kontinent Afrika und seine kulturelle Vielfalt eingehen. Auf diese Art möchte ich deutlich machen, dass man eben nicht von dem Afrika und dem / der AfrikanerIn sprechen kann. Im Anschluss daran erläutere ich kurz die Einwanderungssituation in Deutschland und damit die Relevanz des Themas, um in diesem Zusammenhang näher auf das von mir gewählte potentielle Klientel[2] sexualpädagogischer Arbeit und die ihm möglicherweise begegnenden Vorurteile einzugehen. Im folgenden Kapitel setze ich mich konkret mit der für die Sexualpädagogik (im Schwerpunkt) relevanten Lebenswelten muslimischer Afrikanerinnen auseinander. Dazu gehe ich intensiv auf das muslimische Verständnis von Ehe und Familie, im Besonderen aber auch auf das Verständnis von Sexualität im Allgemeinen und die damit verbundenen Konsequenzen für die potentiellen Klientinnen, ein. Auf diese Art möchte ich die Herausforderungen darstellen, denen sich die Sexualpädagogik in der Arbeit mit muslimischen Afrikanerinnen zu stellen hat. Abschließend erläutere ich die sexualpädagogische Arbeit im Allgemeinen, sowie im Speziellen die interkulturelle Sexualpädagogik, um die konkreten Aufgaben der Disziplin aufzuzeigen. Im daran anschließenden Fazit fasse ich meine Erkenntnisse hinsichtlich der Herausforderung in der Arbeit mit dem potentiellen Klientel zusammen und gebe abschließende kritische Anmerkungen.
2 Der Kontinent Afrika
Nach Asien ist Afrika mit seinen 30 Millionen Quadratkilometern der zweitgrößte Kontinent der Erde. Der polnische Journalist Ryszard Kapuściński schrieb:
„Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben könnte. Er ist ein regelrechter Ozean, ein eigener Planet, ein vielfältiger reicher Kosmos. Wir sprechen nur der Einfachheit, der Bequemlichkeit halber von Afrika. In Wirklichkeit gibt es dieses Afrika gar nicht, außer als geografischen Begriff. Afrika, das sind Tausende von Situationen. Verschiedenster, unterschiedlichster, völlig gegensätzliche Situationen“ (van Dijk 2005, S. 15).
Eben dies sollte man sich bewusst machen, wenn man versucht, über diesen Kontinent zu berichten. Afrika stellt neben Asien den am wenigsten verstädterten Erdteil dar (vgl. Gaebe 1994, zit. nach: Hillebrand 1999) – rund zwei Drittel der Bevölkerung seien im ländlichen Raum sesshaft. Trotzdem weise Afrika, so Gaebe, weltweit die höchsten Urbanisierungsraten auf. Kulturell gesehen herrscht dort sicherlich die größte Vielfalt von Menschen. Mehr als 850 Millionen AfrikanerInnen gehören zu ca. 1000 ethnischen Gruppen. In den mehr als 50 Staaten werden mehr als 1000 anerkannte Sprachen gesprochen (vgl. van Dijk 2005). Andere Quellen behaupten sogar, dass allein in den Staaten südlich der Sahara bis zu 2000 verschiedene Sprachen gesprochen werden (vgl. Brenziger 1999). Exakte Überprüfung dieser Angaben erweise sich als schwierig, da zum einen viele afrikanische Sprachen noch nicht erforscht, zum anderen aber die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt schwierig zu treffen sei. Fortner (2001) zu Folge lassen sich jedoch nach Joseph Greenberg, einem amerikanischen Sprachwissenschaftler, vier große Sprachgruppen unterscheiden: Afroasiatische, nigerkordofanische, nilosaharische und Khoisan-Sprachen. Ebenso wenig, wie Äußerungen über das Afrika oder die afrikanische Kultur getroffen werden können, kann man Aussagen zu der afrikanischen Vegetation machen. Über Wüste, Regenwald, mediterranem Klima – die Natur des Kontinents ist ebenso vielfältig wie die Menschen, die dort leben. Diese ökologische Vielfalt begünstigt ein Artenreichtum an Flora und Fauna, welche in dieser Form kaum in einer anderen Region der Erde zu finden ist.
Jene Diversität trifft ebenso auf die Religionsvielfalt zu: 50% der Bevölkerung werden offiziell dem Christentum, 40% dem Islam zugezählt. Die verbleibenden 10% sind Anhänger von „Naturreligionen“ oder gehören anderen Glaubensrichtungen an.
Da beispielhafte Zielgruppe sexualpädagogischer Arbeit, wie bereits in der Einleitung erläutert (vgl. S. 3f), muslimisch geprägte Afrikanerinnen sein sollen, wird an dieser Stelle im Schwerpunkt auf den Islam eingegangen. Laut Günther (2005) leben etwas zwei Drittel der afrikanischen MuslimInnen im nördlichen Teil des Kontinents, oberhalb der Sahara, sowie im Sudan und dem Norden Nigerias.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Haase, A. 2005, >>http://www.erdkunde-wissen.de/erdkunde/kontinent/afrika/sprachen.htm<< )
Erstaunlich sei der Variantenreichtum muslimischer Lebens- und Gesellschaftsformen, welcher sich zum einen durch verschiedene historische Erfahrungen mit dem kulturellen und religiösen Referenzsystems des Islams, zum anderen durch die unterschiedlichen Wege der Islamisierung erkläre. Letztere sei ein sich über mehrere Jahrhunderte erstreckender Prozess, welcher überwiegend friedlich verlaufen sei. Günther (2005) beschreibt ihn in diesem Zusammenhang als „kulturelle Interaktion“ (S. 141). Damit wolle sie ausdrücken, dass bereits bestehende Glaubensvorstellungen und Traditionen nicht verdrängt und unterbunden wurden, sondern eher Gegenteiliges der Fall gewesen sei. So seien zum Teil lokale Traditionen und Praktiken nicht nur aufgegriffen, sondern auch im Sinne des Korans umgedeutet worden. Diese Integrationsleistung beschreibt Günther als „selektive Übernahme relig[iöser] Praxis und Vorstellungen“ (S. 141), welche je nach Region in ganz unterschiedlicher Gewichtung widerfahren worden sei.
Loimeier (2001) stellt den Islamisierungsprozess etwas differenzierter dar. Seinen Aussagen nach, verlief lediglich die Verbreitung und Etablierung der Lehren des Korans eher in den subsaharischen Gebieten friedlich ab. Nach militärischer Eroberung des nordafrikanischen Westens durch Muslime um 177 n. Chr. seien die dort ansässigen Berber unterworfen worden. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte hätten sich in den Maghreb-Ländern lokale islamische Lehrtraditionen entwickelt. Durch Handelsbeziehungen zwischen eben diesen Ländern und Regionen südlich der Sahara, wurde der Islam somit in Afrika verbreitet. Metaphorisch bezeichnet Loimeier den Gesamtausbreitungsprozess als „Staffellauf“ (S. 11): Zunächst durch arabische Muslime an die Berber weitergegeben, vermittelten diese den Islam, in der Rolle von Händlern und Gelehrten, an die subsaharische Bevölkerung. Diese wiederum wurden ebenso zu Vermittlern für das tropische Afrika.
Wie immer man den Islamisierungsprozess in Afrika auch beschreiben mag – fest steht, dass der Islam bereits früh in einzelnen Regionen des Kontinents angenommen wurde. Somit verbänden ihn und verschiedene afrikanische Gesellschaften eine lange gemeinsame Geschichte.
3 Einwanderinnen in der Bundesrepublik Deutschland
3.1 Migration in Deutschland
Deutschland verfügt über eine sehr heterogene Einwanderungsbevölkerung. Bade und Oltmer (2004) erläutern, dass diese Gruppe aus vielen verschiedenen Nationen stammt, welche zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus den unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland kam. Auf Grund der Unterschiedlichkeit der Wanderungsmotive und dem ethno-kulturellen Hintergrund dieser EinwanderInnen, unterschieden sich natürlich ebenso die Erfahrungen und Erlebnisse, die diese Menschen im Zusammenhang mit dem Verlassen ihres Heimatlandes und der Zuwanderung in ein für sie fremdes Land gemacht haben. An dieser Stelle soll somit nicht der Versuch unternommen werden, diese vielfältigen Erfahrungen darzustellen und zu erläutern, sondern vielmehr ein knapper Umriss über die aktuelle Einwanderungssituation in Deutschland gegeben werden.
Laut dem Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (2007) wurden im Zeitraum zwischen 1991 und 2007 etwa 15,8 Millionen Zuwanderungen nach Deutschland registriert. Gründe hierfür seien die bis Mitte der 1990er Jahre gestiegenen Zahlen von (Spät-)Aussiedlern, die bis 1992 gestiegenen und ab diesem Zeitpunkt kontinuierlich sinkende Zahl an Asylsuchenden, sowie so genannte „zeitlich begrenzte Arbeitsmigration“ (BAMF 2007a, S. 15), welche teilweise in die Statistik mit einfloss. Im Vergleich zu den Fortzügen in diesem Zeitraum, ergibt sich ein Wanderungsüberschuss von 4,2 Millionen Menschen. Im Jahr 2007 war Hauptherkunftsland der Zuwanderungen Polen, gefolgt von Rumänien und der Türkei. Die Gründe für eine Zuwanderung nach Deutschland sind vielfältig: Zu 28,9% stellen familiäre Gründe den Aufenthaltszweck dar, gefolgt von Beschäftigung (15,3%) und Studium (14,4%). Neben anderen, weniger stark ins Gewicht fallenden Gründen (z.B. humanitäre Gründe, Schulbesuch, etc.) nehmen die so genannten sonstigen Gründe mit 24,8 % eine bedeutende Rolle ein. Betrachtet man abschießend die Geschlechtsstruktur der ZuwanderInnen, so fällt auf, dass der Anteil der Frauen im Schnitt geringer als der der Männer ist. Allerdings zeige eine Differenzierung nach Herkunftsländern, dass manche Länder einen dafür überdurchschnittlich hohen Frauenanteil an den Zuzügen haben (so beispielsweise Thailand, mit 72,6% (vgl. BAMF 2007b, S. 30)). Erklärung hierfür sei vor allem die Heiratsmigration.
3.2 Afrikanische EinwanderInnen
Wie bereits gezeigt, sind Gründe für eine Einwanderung nach Deutschland so vielfältig, wie die Menschen, die diesen Weg auf sich nehmen.
Selbiges trifft natürlich ebenso auf AfrikanerInnen zu – wobei bei Menschen dieses Kontinents laut Schmidt-Wulffen (2007) Flucht eine besondere Rolle spiele. Anlass zur Flucht seien wirtschaftliche Armut, politische Verhältnisse, aber auch „medial vermittelte Vorstellungen von einem besseren Leben“ (S. 98). Vor allem letzterem Migrationsmotiv sei in den letzten beiden Jahrzehnten eine entscheidende Bedeutung zugekommen. Durch Massenmedien würde vor allem jungen AfrikanerInnen vermittelt werden, dass man außerhalb ihrer Heimat besser lebe und durch eine vorübergehende Migration nach Europa die Vorraussetzungen für ein besseres Leben schaffe. Schmidt-Wulffen stützt seine Aussagen auf persönliche Gespräche und Erfahrungen, welche er bei seinen jährlichen Besuchen in Westafrika geführt und erlebt habe. Insbesondere Studienwünsche sollen dabei eine Rolle spielen: Nicht nur der Mangel an Studienplätzen im Heimatland, sondern auch die Vorstellung vieler afrikanischer GymnasiastInnen, ein Studium in ihrem Heimatland sei unzureichend, würden dabei den Ausschlag geben. Allerdings, so Schmidt-Wulffen, wären alle von ihm befragten Jugendlichen der Überzeugung, nach ihrem möglichen Studium in Europa, wieder in ihr ursprüngliches Heimatland zurückzukehren.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund das bereits in 3.1 darstellet Zuwanderungsmotiv Studium und dazu nun die zugangsstärksten Herkunftsländer von in Deutschland Asylsuchenden, so scheinen sich Schmidt-Wulffsens Aussagen zum Thema Flucht zu besttätigen. Aus Afrika wurden so zum Beispiel im Jahr 2007 3.486 Erstantragsteller verzeichnet – das sind 18.2% aller Asylantragssteller Deutschlands (vgl. BAMF 2007). Die Hauptherkunftsländer waren dabei Nigeria, Algerien, Eritrea und Somalia, wobei Nigeria im vergleich zu den Hauptherkunftsländern aller Welt sogar Platz 9 einnimmt. Allerdings muss hierbei angemerkt werden, so Bade und Oltmer (2004), dass die Relationen sich innerhalb des letzten viertel Jahrhunderts nahezu umgekehrt haben: Stammen 1986 noch 74,8% aller Asylsuchenden aus Ländern des afrikanischen Kontinents, so habe sich durch Abwehrmaßnahmen gegen Armutsflüchtlinge afrikanischer Nationen im Zusammenspiel mit der Krisenentwicklung in Osteuropa, das Bild stark verändert. Bereits 1993 stammen 72,1 % der Asylsuchenden aus eben letzteren Ländern. Ein Blick auf die Zahlen der Folgejahre bestätigt diesen Eindruck. Während 1992 noch 67.408 Asylsuchende aus afrikanischen Nationen stammen, waren es 1999 bereits nur noch 9594 Menschen (vgl. Bade, Oltmer 2004, S. 112). Babila (2003) bestätigt diese Beobachtungen. Ihren Angaben zu Folge erreichen nur ca. 2% der Gesamtzahl afrikanischer MigrantInnen Europa. Vielmehr würden Nachbarregionen innerhalb des afrikanischen Kontinents und vor allem Asien die Flüchtlinge beherbergen.
3.3 Vorurteile und Rassismus
Beschäftigt man sich mit Migration, muss man sich leider auch immer mit Vorurteilen und Rassismus auseinandersetzen. Zu Grunde liegend ist hierbei das Gefühl vom „Eigenem“ und „Fremden“, wobei Fremdheit nach Eikelpasch (1999) ein relativer Begriff sei. Nicht bestimmte ethnische Merkmale definierten jemanden als fremd, sondern vielmehr der Umstand, dass dieser Jemand in einer bestimmten Situation von einer bestimmten, „einheimischen“ Gruppe als „anders“ definiert würde. Somit hänge die Definition von „fremd“ immer von dem jeweiligen Selbstbild der so genannten „Wir-Gruppe“ ab.
Nach einer Begriffsbestimmung Bergmanns stellen Vorurteile „stabile negative Einstellungen gegenüber einer anderen Gruppe bzw. einem Individuum [dar], weil es zu dieser Gruppe gerechnet wird“ (Bergmann 2005b, S. 5). Sie seien im Wesentlichen durch normativen und moralischen Gehalt bestimmt und somit nicht als absolut, sondern als relativ anzusehen, da sie nur in Abhängigkeit des Wissens- und Moralstandards einer Gesellschaft existieren würden. Somit stellten sie soziale Urteile, welche gegen die Normen der Rationalität, der Gerechtigkeit und der Mitmenschlichkeit verstoßen, dar: Sie verstießen daher gegen die Rationalität, da Vorurteile ein vorschnelles Urteilen und Festhalten an Fehlurteilen, ohne genauere Kenntnis des eigentlichen Sachverhaltes meinen. Durch die ungleiche Behandlung von Menschen oder Menschengruppen, werde gegen Gerechtigkeit verstoßen – ebenso gegen die Mitmenschlichkeit, da es an Empathie für sein Gegenüber mangle und die Interaktion mit diesem von Intoleranz und Ablehnung gekennzeichnet sei.
Nicklas (2006) führt des Weiteren vier Aspekte von Vorurteilen auf: Zum einen der kognitive Aspekt – das Vorurteil behaupte eine vermeintliche Tatsache über das beurteilte Objekt. Zum anderen der affektive Aspekt, dem zu Folge Vorurteile mit starker gefühlsmäßiger Ablehnung verbunden seien. Aus diesen beiden resultierend, erfolge der evaluative Aspekt, welcher das Objekt, dem die Vorurteile gelten, nun insgesamt negativ bewerte. Schließlich entstünde der konative Aspekt, die Disposition zum Handeln, welche die Option, Vorurteile in Diskriminierung umschlagen zu lassen, hervorrufen könne.
Vorurteile sind nicht angeboren. Sie werden bereits früh durch Beobachtungslernen erworben. Studien hätten gezeigt, dass das Zugehörigkeitsgefühl zu einer ethnischen Gruppe sich um das fünfte Lebensjahr herausbilde, wobei Kontakte zu Menschen anderer ethnischen Gruppen keine Rollen zu spielen scheinen würden (vgl. Bergmann 2005b). Vielmehr werde durch Beobachtung, Imitation und Identifikation mit Vorbildern, aber auch durch direkte Instruktionen, Verbote und Strafen, die negative Wertung der Bezugsgruppe auf eine andere Personengruppe übernommen. Psychologische und sozialisationstheoretische Ansätze gingen mittlerweile davon aus, dass dabei besonders dem sozialen Netzwerk eines Individuums, der Schule und vor allem auch den Medien eine entscheidende Rolle zugesprochen werden müsse. Letztere würden durch ihre Art der Aufbereitung von Themen, wie zum Beispiel der Auseinandersetzung mit Asyl, nicht ausschließlich die öffentliche Meinung widerspiegeln, sondern auch rassistische Vorurteile schüren (vgl. Wetzel 2005). Informationen würden gefiltert und nicht wertfrei an den Konsumenten weitergegeben. Außerdem stünden grundsätzlich eher Negativereignisse im Fordergrund.
Das in dieser Arbeit vorgestellte, potentielle Klientel sexualpädagogischer Arbeit sieht sich mit gleich zwei möglicherweise stigmatisierenden Urteilen konfrontiert: Zum einen die Bezeichnung „ der Afrikaner“, mit seiner vermeintlich primitiven Kultur, zum anderen die Zugehörigkeit zum Islam.
Zunächst zum stigmatisierenden Stereotyp „Afrikaner“: Als „äußerlich erkennbare Minderheit“ seien Schwarze in Deutschland nach Aussagen Bergmanns (2005a) besonders häufig mit Rassismus konfrontiert. Dies habe ein Bericht der ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz) im Jahre 2003 ergeben. In Auseinandersetzung mit der Frage, welches Bild von AfrikanerInnen in „weißen Köpfen“ vorherrsche, erläutert Attikpoe (2003), dass AfrikanerInnen in Kolonialzeiten als unzivilisierte „Wilde“ betrachtet wurden, welchen nicht nur die Fähigkeit zur Sprache, sondern Zivilisation im Ganzen abgesprochen wurde. Ebenso erläutert er, dass die schwarze Hautfarbe in damaligen Zeiten durchweg mit „Böse“ und „Undurchdringlichkeit“ assoziiert wurde. Gleichzeitig merkt er an, dass solche Charakterisierungen leider nicht gänzlich der Vergangenheit angehören würden. „Die Erscheinungsbilder von Afrika-Stereotypen in der so genannten postkolonialen Ära zeugen von ihrer Aktualität“ (S. 21). Attikpoes Meinung nach sei diese rassistische Stereotypisierung immer noch unterschwellig und latent vorhanden, würde jedoch im heutigen globalen Diskurs nicht länger offen ausgesprochen werden. Er merkt des Weiteren an, dass diese negativen Bilder ursprünglich keine Folge interkultureller Missverständnisse seien, sondern vielmehr einer politischen Funktion dienten: Der klaren Abgrenzung der europäischen Identität gegenüber dem afrikanischen Kontinent. Die Konstruktion des Afrika-Stereotypen sei im imperialistischen Kontext anzusiedeln und spiegele einen strukturellen Teil der ehemaligen Herrschaft über den Kontinent Afrika wieder.
Auch Bergmann (2005a) führt aus, dass das Afrikabild der Medien, Schulbücher, Werbung, Literatur und Politikdiskurse das „globale Machtungleichgewicht zwischen der „Dritten“ und der westlichen Welt“ (S. 47) reflektiere. Rassistische Wahrnehmungsmuster seien tief in unserer Sprache eingebettet und würden dadurch bereits früh an die nächste Generation weitergegeben werden. Als Beispiel erläutert er hierbei nicht nur politisch inkorrekte Formulierungen wie „Mohrenkopf“ oder Liedgut wie „Zehn kleine Negerlein“, sondern auch Begrifflichkeiten der Umgangssprache, welche dem Wort „schwarz“, so wie bereits durch Attikpoe erläutert, eine negative Assoziation beimessen (so zum Beispiel „Schwarzmarkt“ oder „Schwarzarbeit“). Des Weiteren hätten Analysen deutscher und europäischer Schulbücher ergeben, dass das dort vermittelte Afrika-Bild stark von Exotismus gekennzeichnet sei. Gleichzeitig würden auch dort immer wieder stigmatisierende Begrifflichkeiten wie „Eingeborene“, „Mulatte“ oder ähnliches auftauchen. Solche Schulbuchuntersuchung hätten ebenso ergeben, dass Afrika außerdem meist nur im Rahmen europäisch relevanter Themen untersucht würde (vgl. Poenickes 2001, zit. nach Bergmann 2005a).
Doch auch Religionszugehörigkeit gibt immer wieder Anlass zu Vorurteilen und damit zu Diskriminierung und Rassismus. Insbesondere seit dem 11. September 2001 kommt dabei dem Islam eine besondere Rolle zu. Birgit Schulze zu Folge (2005) sei der Islam, und damit auch die Furcht vor den Auswirkungen des radikalen Islams, seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und auf das US-Verteidigungsministerium in Washington D.C. verstärkt ins öffentliche Interesse gerückt. In den Medien würde ein Bild vermittelt, welches den Islam mit Islamismus, und diesen wiederum mit Terrorismus gleichsetze. Muslime seien einem „Generalverdacht“ (Schulze 2005 S. 31) ausgesetzt, welcher zu Folge habe, dass in einer 2004 durchgeführten Befragung 70% der deutschen Bevölkerung den Islam als gefährlich einstuften und bezweifelten, dass Muslime in die westliche Welt passen würden. 58% lehnten es ab, in eine von Muslimen besiedelte Region zu ziehen und sogar 24% vertraten die Auffassung, Muslimen sollte die Einreise in die Bundesrepublik komplett verweigert werden (vgl. Schulze 2005). Königseder und Schulze (2005) erläutern des Weiteren, dass die Deutschen den Islam insgesamt als mit einer Vorstellung von Intoleranz und Menschenverachtung verknüpfen würden. Ein besonders sensibles Thema sei dabei die Stellung der muslimischen Frau, welche mehrheitlich als unterdrückt und dem Ehemann oder Vater bedingungslos unterworfen angesehen würde.
4 Lebenswelt muslimischer Afrikanerinnen
4.1 Familienalltag
Nach Gärtner (2005) versteht man unter Familie eine auf „Verwandtschaft und Heirat gegründete Form der Sozialisationsorganisation, die das Zusammenleben von Menschen regelt“ (S. 95). Dabei seien in vorkolonialen Zeiten Afrikas mit Hilfe der Familie Probleme von sozialer Reproduktion, Kindeserziehung, Versorgung der älteren Mitglieder der Gesellschaft, Ressourcenverteilung, Vererbung und Krankenversorgung bewältigt worden. Im Zuge der Kolonialisierung und der Verstaatlichung seien diese Strukturen zwar beeinflusst worden, doch habe unter anderem die gegebene Ressourcenknappheit dazu geführt, dass keine funktionierenden Sozialstaaten entstehen konnten. In Folge dessen blieben also die zuvor genannten Probleme im Aufgabenbereich familiärer Strukturen, was jedoch nicht bedeute, dass Familienverhältnisse auf dem afrikanischen Kontinent nicht auch Transformationsprozessen unterlaufen wären. Obgleich also in der westlichen Vorstellung eine afrikanische Familie möglicherweise oftmals aus einer Großfamilie unter männlicher Leitung besteht, sei die Lebensrealität der in Afrika lebenden Menschen laut Schäfer (2003) weit davon entfernt. Diese [die Lebensrealität] zeichne sich durch eine große Variationsbreite und vielfältige Organisationsmuster aus und sei von Faktoren wie dem Alter des Vaters, der Mutter, Einkommen, Kinderzahl, sozialem Status und dem Alter der Kinder abhängig. Daher solle in diesem Zusammenhang weniger von „Familien“, sondern eher von „Haushalten“, bzw. „Haushaltsdynamiken“ gesprochen werden. Dies solle, so Schäfer (2003), den Frauen und Männern ermöglichen, „als Akteure ihres Alltags und Gestalter ihrer spezifischen Lebenssituation anerkannt zu werden“ (S. 65). Die Lebensrealität von AfrikanerInnen ist also weit von dem klischeehaften, mitunter stigmatisierendem Bild entfernt, welches die Europäer zu Großteilen besitzen. Schäfer (2003) berichtet des Weiteren, dass ähnlich wie in Europa die Zahl der allein erziehenden Mütter steige und auch die Mehrgenerationenfamilie zunehmend an Bedeutung verliere. Außerdem würden auch polygame Ehen immer seltener zur Realität gehören und eher als Männerphantasie gelten. Trotzdem, so Nord (2005), würde dem Patriarchat insbesondere in afrikanischen Gesellschaften noch heute eine entscheidende Rolle zu kommen. Dies trifft wiederum im speziellen auf das von mir vorgestellte potentielle Klientel sexualpädagogischer Arbeit zu, da der Islam als patriarchale Religion gilt (vgl. dazu: Akashe-Böhme 2006).
Innerhalb dieser Bachelorthesis werde ich somit nun genauer auf die konkrete Lebenswelt der muslimischen Afrikanerinnen eingehen. Da diese Muslima jedoch oftmals noch immer, wie unter Kapitel 2 (vgl. S. 4) erläutert, eine starke Bindung zu Naturreligionen und den ursprünglichen Traditionen ihres jeweiligen Volkes haben, soll zunächst kurz auf die vorkolonialen Familienstrukturen, bzw. Haushaltsdynamiken eingegangen werden. Gärtner (2005) zu Folge, unterscheiden Ethnologen hierbei zwischen patri-, matri- und bilinearen Familientypen. Diese Strukturen würden vorgeben, über welche Linie – die des Mutters, des Vaters, oder beiden – die Weitergabe von Status, Ämtern und Eigentum verlaufe. Des Weiteren werde auf diese Art die Entscheidung über den Wohnsitz einer Familie getroffen. Hierbei würde zwischen „patrilokaler Residenz“, also dem Wohnsitz bei der Familie des Mannes, „matrilokaler Residenz“, dem Wohnsitz bei der Familie der Frau und „neolokaler Residenz“, dem Wohnsitz an einem dritten Ort, unterschieden. Insbesondere für die Rolle der muslimischen Frau ist dies in sofern von Bedeutung, da trotz Arbeitsmigration, Urbanisierung und anderen Faktoren, bis heute das Patriarchat in afrikanischen Gesellschaften dominieren würde (vgl. Nord 2005), aber nach meiner Ansicht davon auszugehen ist, dass Muslima, welche aus ehemals matrilinear oder bilinear organisierten Regionen stammen, einen anderen sozialen Rückhalt erfahren, als dies bei Muslima aus ehemals patrilinear organisierten Regionen der Fall ist.
Im Folgenden werde ich nun näher auf das Geschlechtsrollenverhältnis und Ehemuster muslimischer Afrikanerinnen eingehen, da diese den Familienalltag grundlegend bestimmen.
[...]
[1] An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass nicht von der Kultur gesprochen werden kann. „Kultur“ ist weiträumiger Begriff, hinter dem sich zahlreiche Perspektiven verbergen. Da selbst der Versuch einer Definition an dieser Stelle zu weit führen würde, möchte ich an auf folgenden Artikel verweisen:
Hasenjürgen, B. (2009). Kultur , Transkultur, demokratische Kultur. In: Genenger-Stricker, M./Hasenjürgen, B./Schmidt-Koddenberg, A.(Hrsg.). (2009). Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus der Frauen. Ein Projekt macht Schule, Opladen, Barbara-Budrich, S. 37-54
[2] Ich wähle daher den Begriff „potentiell“, da MigrantInnen meines Erachtens nicht grundsätzlich als Klientel sozialer Arbeit betrachtet werden sollten. Dieser Blick grenzt an Diskriminierung. Vielmehr meine ich, dass MigrantInnen, ebenso wie Menschen ohne Migrationshintergrund gleichermaßen Klientel wie auch nicht darstellen können.
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