In wahrscheinlich allen Epochen der Menschheitsgeschichte ist Hunger eine der größten Bedrohungen, vor denen die Menschen Angst hatten oder haben. Auch heutzutage leiden Menschen darunter, dass Grundbedürfnisse wie Essen nicht befriedigt werden können. Misereor etwa beziffert die Anzahl derer, die an Hunger leiden, auf eine Milliarde Personen weltweit und beklagt gleichzeitig, dass es heutzutage nicht mehr an Ressourcenknappheit, sondern an einer ungerechten Verteilung von Nahrung liege1. Täglich sterben weltweit 24.000 Menschen entweder an Hunger selbst oder an Krankheiten, die mit Hunger zu tun haben, was einem Toten alle 3,6 Sekunden gleich kommt2.
In unseren Breiten gilt es heutzutage für viele als selbstverständlich, dass man nicht Hunger leiden muss. Bedürftige können hierzulande in Notküchen ernährt werden und sind nicht mehr so unmittelbar vom Tode bedroht. Dies war noch vor wenigen Jahrhunderten nicht annähernd so leicht, und wenn jemand Angst haben muss, an Unterernährung zu sterben, ist es sicher nachvollziehbar, dass er sich dann fragt, woran das liegt. Wenn sich für Unglücke und Katastrophen keine wissenschaftliche Erklärung finden lässt, so sucht man sie bis in unsere Zeit in religiösen Begründungen oder in Angelegenheiten, die sich nicht unbedingt objektivieren lassen. Man denke nur an die Zahl 13 und die damit oft assoziierten Unglücke, die angeblich am Freitag, den 13. gehäuft auftreten sollen. Solcher und ähnlicher Aberglaube ist dann umso häufiger anzutreffen, wenn es an nachprüfbaren Fakten mangelt.
Im Mittelalter wurde dann, wenn schlechte Ernten drohten oder auch wirklich auftraten, die Ursache im vermeintlichen oder tatsächlichen Fehlverhalten von Menschen gesucht. Das Ziel dieser Arbeit soll daher sein, aufzuzeigen, welche Zeichen, die Menschen im Mittelalter am Himmel beobachteten, mit Hunger in Verbindung gebracht wurden und zu klären, was davon objektiv einen Zusammenhang aufweist und was auf religiösen Vorstellungen bzw. Aberglaube beruht.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hunger als Grund für Bevölkerungsrückgang
2.a) Hungersnöte: Definitionen
3. Religiöse Vorstellungen und Menschenbilder
4. Zusammenhang zwischen Hungersnöten und der Ursünde
5. Die Rolle der Obrigkeit bei der Interpretation von Hungersnöten
6. Himmelszeichen im Verhältnis zum mittelalterlichen Lebensgefühl
7. Die Rolle des Klerus beim Umgang mit Himmelszeichen
7.a) Beispiele für die Deutung von Himmelszeichen
8. Hinwendung zu Gott als Ausweg aus der Krise: Die Reformatio Sigismundi
9. Die Rolle des Klerus
10. Fazit
Bibliographie
1. Einleitung
In wahrscheinlich allen Epochen der Menschheitsgeschichte ist Hunger eine der größten Bedrohungen, vor denen die Menschen Angst hatten oder haben. Auch heutzutage leiden Menschen darunter, dass Grundbedürfnisse wie Essen nicht befriedigt werden können. Misereor etwa beziffert die Anzahl derer, die an Hunger leiden, auf eine Milliarde Personen weltweit und beklagt gleichzeitig, dass es heutzutage nicht mehr an Ressourcenknappheit, sondern an einer ungerechten Verteilung von Nahrung liege1. Täglich sterben weltweit 24.000 Menschen entweder an Hunger selbst oder an Krankheiten, die mit Hunger zu tun haben, was einem Toten alle 3,6 Sekunden gleich kommt2.
In unseren Breiten gilt es heutzutage für viele als selbstverständlich, dass man nicht Hunger leiden muss. Bedürftige können hierzulande in Notküchen ernährt werden und sind nicht mehr so unmittelbar vom Tode bedroht. Dies war noch vor wenigen Jahrhunderten nicht annähernd so leicht, und wenn jemand Angst haben muss, an Unterernährung zu sterben, ist es sicher nachvollziehbar, dass er sich dann fragt, woran das liegt. Wenn sich für Unglücke und Katastrophen keine wissenschaftliche Erklärung finden lässt, so sucht man sie bis in unsere Zeit in religiösen Begründungen oder in Angelegenheiten, die sich nicht unbedingt objektivieren lassen. Man denke nur an die Zahl 13 und die damit oft assoziierten Unglücke, die angeblich am Freitag, den 13. gehäuft auftreten sollen. Solcher und ähnlicher Aberglaube ist dann umso häufiger anzutreffen, wenn es an nachprüfbaren Fakten mangelt.
Im Mittelalter wurde dann, wenn schlechte Ernten drohten oder auch wirklich auftraten, die Ursache im vermeintlichen oder tatsächlichen Fehlverhalten von Menschen gesucht. Das Ziel dieser Arbeit soll daher sein, aufzuzeigen, welche Zeichen, die Menschen im Mittelalter am Himmel beobachteten, mit Hunger in Verbindung gebracht wurden und zu klären, was davon objektiv einen Zusammenhang aufweist und was auf religiösen Vorstellungen bzw. Aberglaube beruht.
2. Hunger als Grund für Bevölkerungsrückgang
Wie oben angedeutet, spielten Hungersnöte in Europa im Mittelalter eine wichtige Rolle als Einflussfaktor für die Bevölkerungsdichte. Eine Untersuchung von Abel stellt exemplarisch fest, dass es in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu einem starken Wüstungen kam, d.h. durch verschiedene Faktoren bedingt kam es im heutigen Deutschland regional zu Bevölkerungsrückgang. Hierbei spielten Abel zufolge z.B. Kriege, Feuersbrünste und Erdbeben eine Rolle, wobei dies aufgrund schlechter Quellenlage zumindest anteilig spekulativ bleiben muss3. Zudem kann der Rückgang an einigen Orten auch damit zu tun haben, dass Menschen umzogen und die Bevölkerung dann andernorts anstieg. Weniger strittig scheint hingegen, dass der Bevölkerungsrückgang, der bis zum Verschwinden ganzer Orte reichen konnte, vorwiegend auf dem Land stattfand und Städte eher verschonte, zugleich ist festzustellen, dass Hungertyphus ab Beginn des 14. Jahrhunderts, einige Jahrzehnte später auch die als „Schwarzer Tod“ bekannte Beulenpest und daraus resultierend eine hohe Sterblichkeit eine Rolle spielten. Durch den Hungertyphus sollen nach einer neuzeitlichten Schätzung, die dementsprechend vorsichtig zu genießen ist, etwa in Mainz zwei Drittel der Bevölkerung, d.h. 16.000 Menschen, und in Speyer 9.000 Menschen gestorben sein4. Das allein macht die Hungersnöte und die Zusammenhänge zu Himmelszeichen, die die Menschen der damaligen Zeit herstellten, zu einem interessanten Phänomen. Verstärkt wurde die hohe Sterblichkeit noch durch Wanderungen von Menschen, die dann mutmaßlich die Beulenpest weiter übertrugen und somit noch Zeitgenossen ansteckten, außerdem ließen die wandernden Menschen ihre Felder zurück und somit stand weniger Getreide zur Verfügung, weil nicht jeder in der Lage war, die brach liegenden Felder für die anderen zu bestellen, was manchmal sogar dazu führte, dass ganze Dörfer sich in Wälder zurück wandelten5. Dies soll hier als grober Überblick zu dem Thema dienen, sicher wird daraus verständlich, weshalb Hunger und seine rationalen oder irrationalen Ursachen die Menschen in der Zeit sehr bewegte.
2.a) Hungersnöte: Definitionen
Bevor die Zusammenhänge zwischen Hungersnöten an sich und den vorangehenden Himmelszeichen behandelt werden, muss jedoch zunächst einmal eine Definition erfolgen, ab wann von Hungersnöten als solchen die Rede sein kann. Christian Jörg stellt hierzu fest, dass Begriffe wie Hunger und Hungersnöte dehnbar sind. Gemeinsam ist den von ihm angebotenen Begriffserklärungen, dass eine erhöhte Sterblichkeitsrate und eine Preisteuerung vor allem bei Getreide eine Rolle spielen, so ist er der Ansicht, dass die Getreidepreise zur Illustration von Hungersnöten dienen sollen6. In einer Definition aus dem 15. Jahrhundert, auf die er sich beruft, macht der Aspekt der Teuerung den größten Teil des Problems aus, in einer anderen aus der Magdeburgischen Schöppenchronik, die sich auf eine Hungersnot im Jahr 1360 bezieht, ist erst die Verbindung von Teuerung und Hunger entscheidend. In nahezu allen später erschienen Veröffentlichungen geht man Jörg zufolge ebenso von der Verbindung als Hauptursache einer Hungersnot aus7: Die Teuerung sei der Grund für den Hungertod vieler Menschen. Zeitgenössische Quellen, d.h. solche, die aus dem Frühmittelalter selbst stammen, lassen eine Definition von Hunger vermissen. In späteren Lexika, die ab dem 18. Jahrhundert erscheinen, wird Hunger zunächst als das körperliche Bedürfnis nach Nahrung definiert, bevor dann sogar auf einen lebensbedrohenden Mangel an Nahrungsmitteln, der im äußersten Fall zum Kannibalismus führen könne, eingegangen wird. Not kann auch erfinderisch machen - so zeigt ein Bericht der Annales Bertianini, dass zur Zeit Karls des Großen Hungernde einen Brei aus Erde und Mehl verspeisten, zumal das die einzige Überlebenschance darstellte8. Diese sehr weit gefassten Definitionen wurden erst ab dem 19. Jahrhundert enger gefasst, weil dann erst die schon länger vorliegenden Statistiken zum Hunger in den Blickpunkt der Geschichtsforschung rückten9. Erst dann konnte man also einigermaßen objektiv und weniger von Legenden umrankt als vorher nachprüfen, was es mit Berichten über Hungersnöte auf sich hat. Daraus wird erkennbar, dass eine eindeutige Definition von Hungersnöten nur schwer möglich ist; nichtsdestotrotz will ich nachfolgend versuchen, mich so weit wie möglich an eine zu halten: Nämlich die, dass von Hungersnöten ab einer existenzbedrohenden Krise gesprochen werden kann.
3. Religiöse Vorstellungen und Menschenbilder
Um die Himmelszeichen im Kontext ihrer Epoche zu sehen, ist es sinnvoll, einen Blick auf das Menschenbild der damaligen Zeit zu werfen. Im Mittelalter war in so gut wie ganz Europa das Christentum die vorherrschende Religion, und die hat sich von der antiken Vorstellung, der Mensch solle so untätig wie möglich sein und soviel Zeit wie möglich in Muße stecken, klar distanziert. Man stellte nunmehr einen direkten Zusammenhang zwischen Arbeit und Essen her, in dem Sinne, dass nur wer arbeitete, auch essen sollte. Hierbei wurde die Arbeit als eine dauerhafte Strafe für den Sündenfall von Adam und Eva angesehen, Faulheit war eine der schlimmsten Sünden überhaupt10. Dies bedeutete gleichwohl nicht, dass man allein durch Reichtum ein besseres Leben führte als wenn man in Armut lebte. Vielmehr sollte durch Arbeit und vor allem durch Produktion die Existenz jedes Gesellschaftsmitglieds gesichert und gerettet werden, welche zugleich so würdig wie möglich gestaltet werden sollte. Die Arten von Eigentum konnten verschieden sein, dennoch war nicht jedes Eigentum gleich sinnvoll und nützlich für den Besitzer oder die Allgemeinheit11.
Andererseits gelang es dem Christentum nicht ganz, die antiken, vorangegangenen Vorstellungen von Germanen und Slawen zu überwinden, und so entstand eine Art des Zusammenlebens, in der eine gemischte Wertvorstellung als Synthese aus der klassenlosen Gesellschaft, in der die Barbaren nach fremden Besitz gierten, und der christlichen Vorstellung, wonach man sich ihn erarbeiten muss12.
Soweit es die Handwerker und Bauern betrifft, die im Mittelalter die wichtigsten Arbeiten verrichteten, ist es das frühe Christentum, das die wirtschaftliche Ethik des Mittelalters vorrangig geprägt hat. Die Kirche postulierte eindeutig, dass die Arbeit der Kleinproduzenten ihrer Bedürfnisbefriedigung dienen sollte und als Erlösung und zugleich als Besitzquelle zu sehen sei. Insofern war es mit nichts zu rechtfertigen, dass Herrschende selbst nicht tätig waren und auf Kosten der arbeitenden Klasse lebten. Wer zum reicheren Teil der Bevölkerung zählte, sollte zur Entlastung der ärmeren beitragen, damit niemand durch ungleiche Güterverteilung zum Hungern gezwungen sein sollte13. Dies lief jedoch nicht darauf hinaus, dass man wie in der Bibel gefordert ganz ohne eigenen Besitz leben sollte.
Hieraus wird erkennbar, dass der Begriff Gerechtigkeit eine große Rolle im Weltbild der damaligen Menschen spielte. Das Thema war auch der Kirche wichtig, die einen beachtlichen Anteil ihrer Legitimation aus ihrer Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage ziehen konnte. Immerhin bedingte die Armut zumindest teilweise die Hungersnöte, von denen die Menschen über Jahrhunderte hinweg geplagt wurden. Dennoch zog auch die Kirche nicht die Konsequenz, Reichtum ganz abzulehnen. Für sie war es entscheidend, ob der Reichtum zum Wohl der Allgemeinheit eingesetzt wurde und somit wiederum der Bekämpfung des Hungers dienen konnte, oder ob die reicheren Menschen sich gleichgültig darauf ausruhten. Um dem Ziel des Seelenheils und der Erlösung nahe zu kommen, musste man sich also nicht als Individuum, sondern als Teil eines Ganzen ansehen, in dem jeder ein kleines, einzelnes Sandkorn darstellte. Daher waren die eigenen Interessen denen der Allgemeinheit unterzuordnen14. Was Thomas von Aquin zufolge dennoch nicht bedeutete, dass man nicht nach Gewinn streben sollte. Zu dem Thema stellte er fest: „[D]as Eigene und das Gemeinsame ist nicht dasselbe. Durch das Eigene entstehen die Unterschiede, durch das Gemeinsame wird alles zur Einheit verbunden. Verschiedene Vorgänge haben aber auch verschiedene Ursachen. Es muss also außer dem, was jeden antreibt, sein Wohl im Auge zu haben, noch etwas anderes geben, das ihn bewegt, das Gemeinwohl der Gesellschaft zu beachten“15. Thomas von Aquin hielt also das Gewinnstreben dann für angemessen, wenn der Gewinn zugleich der Allgemeinheit diente (das Stichwort publica utilitas war ihm wichtig), ohne jedoch genau die Grenze zwischen dem vertretbaren Gewinnstreben und der Sünde namens Habgier ziehen zu können. Dieses Dilemma konnte nie wirklich aufgelöst werden16, lediglich annähernd kann man feststellen, dass der Preis von Nahrungsmitteln Aufschluss über die Gerechtigkeit gibt: Ein gerechter Preis liegt dann vor, wenn er den auf dem Markt üblichen Anpassungen und Schwankungen entspricht. Wenn jedoch der Preis vermuten lässt, dass ein Händler nur die eigene Profitgier im Blick hat, war er als ungerecht anzusehen und somit nach Ansicht der Kirche verwerflich17.
Soviel als Einblick ins Welt- und Menschenbild der Epoche im Hinblick auf Nahrungsmittelversorgung. Kommen wir nun zu Hungersnöten und den damit verbundenen Zusammenhängen zum Welt- und Menschenbild.
4. Zusammenhang zwischen Hungersnöten und der Ursünde
Zur Frage, inwiefern ein Zusammenhang zwischen Hungersnöten und der Ursünde von Adam und Eva vermutet wurde, äußert sich unter anderem der französische Autor Fossier. Er stellt fest, dass zur Knappheit von Nahrungsmitteln ein Mangel an Quellen vorliegt und z.B. fürs heutige Frankreich eine Informationslücke von über 1.000 Jahren es kaum möglich macht, Schlussfolgerungen zu ziehen18. Es stehen lediglich rudimentäre Textquellen zur Verfügung, z.B. eine in Heidelberg entstandene Regelung für ein wahrscheinlich örtliches Kloster. Darin ist die Rede davon, wie die Menschen dort ernährt wurden: „[...] singulos panem et portionem de lardo illa una vice, illa alia vice portionem de formatico; per totum annum sic faciant“19. Dies deutet auf eine Art und Weise der Ernährung hin, von der man mittlerweile sicher weiß, dass sie gesundheitsschädigend ist und den Hunger nicht wirklich stillen kann. Ähnliches findet man auch in den Statuten eines Klosters in St. Dénis, wenngleich hier nicht auf das ganze Jahr, sondern nur auf eine bestimmte Phase Bezug genommen wird: „Inter Pascha Natale Domini et sancti Dionysii missam leguminum modia triginta quinque, de sale modia ducenta [...] solvitur in salinis“20 - man war also zumindest in der Lage, Gemüse in Salz einzulegen. Dennoch blieb die Ernährung auch hier qualitativ eher dürftig.
Sofern diese Auszüge repräsentativ sind, spielte die dürftige Ernährung wohl anteilig eine Rolle bei der Lebenserwartung, die seinerzeit deutlich geringer war als etwa heutzutage. Doch sind solche Erkenntnisse zur Ernährungsphysiologie sehr neuzeitlich und nutzten den Menschen im Mittelalter nichts. Ergo lag es für sie näher, Hungersnöte und Probleme, die damit zu tun hatten, religiös zu erklären. Hierfür bot sich der menschliche Sündenfall an, den Adam und Eva laut Bibel begangen haben.
Hierzu ist zunächst anzumerken, dass Angst vor Hungersnöten prinzipiell immer vorhanden war, zumal die Gefahr potentiell ständig drohte. Dennoch liegt auch hier ein Unterschied vor, was die Größe der Gefahr betrifft: Es gab durchaus auch schon reichere Menschen, denen ggf. ein einzelner Tag ohne Nahrung drohte, andererseits Bauern, die oftmals mehrere Tage ohne Nahrung auskommen mussten — und eben solche, die ständig mit der Gefahr leben mussten, zu verhungern21. Daher ist anzunehmen, dass die Besorgnis, mit der die Menschen Himmelszeichen beobachteten, auch dementsprechend variierte. Es gab auch Ereignisse, die als Wundertaten der Ernährung angesehen und gefeiert wurden, etwa dann, wenn ein Herrscher in der Lage war, ein Volk zu ernähren und sich dadurch neu einkleiden durfte; andererseits deuten auch literarische Quellen auf dauerhaft Hunger leidende hin. All das hatte nach der damaligen Vorstellung einen Bezug zur Ursünde von Adam und Eva, und es hielt sich die Überzeugung fest im Umlauf, dass — wie bei den meisten Unglücken und Katastrophen — auch Hungersnöte dem Zweck dienen sollten, die ganze Menschheit dafür zu bestrafen. Fossier nennt vier große Hungersnöte vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, die ganz Europa betrafen, sowie sieben weitere, die während desselben Zeitraumes lokal begrenzt stattgefunden haben und sich zumeist in Westeuropa abspielten. Während dieses Zeitraumes sind gut hundert Texte entstanden, die aussagen, dass die Hungersnöte wegen der Ursünde stattfanden, sie also eine regelmäßige Bestrafung Gottes darstellen22. Dies passt Fossier zufolge gut in eine Gesellschaft, in der Riten als solche eine wichtigere Rolle spielten als deren Inhalte und die von der Kirche auch nur schwer mit Hilfe der Bibel zu rechtfertigen waren. Demzufolge ist es auch nur logisch, dass die Kirche ihre eigenen Gesetze für wichtiger hielt als die weltlichen und diese auch gewaltsam durchsetzte, ohne dass dabei soziale Stellungen eine Rolle spielten. Als Beispiele nennt Fossier den französischen König Heinrich II. und seine beiden Söhne, wobei er ausdrücklich betont, dass das Phänomen des gewaltsamen Vorgehens auch bei kleinen Auseinandersetzungen auf der Ebene einer Stadt oder eines Dorfes zu finden war. Die These, dass Hunger zeitweilig als Mittel zur Repression genutzt wurde, so dass mit seiner Hilfe Menschen zum Arbeiten gebracht werden sollten und er somit der moralischen Disziplinierung diente, wird auch von Vernon vertreten, der sogar zu dem Schluss kommt, dass Hungersnöte als solche erst vor knapp 200 Jahren überhaupt ins Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt seien23.
[...]
1 Vgl. http://www.misereor.de/themen/hunger-bekaempfen.html (Internetzugriff am 2. Mai 2009)
2 James Vernon: „Hunger - a modern history“, Cambridge, Massacusettes und London 2007, S. 1
3 Wilhelm Abel: „Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert“, dritte Auflage, Stuttgart 1978, S. 114.
4 Ebd., S. 116 f.
5 Ebd., S. 117 - 119.
6 Christian Jörg: „Teure, Hunger, großes Sterben. Hungersnöte und Versorgungskrisen in den Städten des Reiches während des 15. Jahrhunderts“, Stuttgart 2008, S. 36 f.
7 Ebd., S. 37.
8 Felix Grat, Suzanne Clémencet, Léon Levillain und Jeanne Vielliard (Hrsg.): „Annales de Saint-Bertin“, Paris 1964, S. 44.
9 Jörg, S. 38 f.
10 Aaron J. Gurjewitsch: „Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen“, übersetzt von Gabriele Loßack, (Dresden 1978 = Moskau 1972 [russ.] ), S. 249.
11 Ebd., S. 250.
12 Ebd., S. 251.
13 Ebd., S. 305 f.
14 Ebd., S. 307 f.
15 Thomas von Aquin: „Über die Herrschaft des Fürsten“, Stuttgart 1975, übersetzt von Friedrich Schreyvogl, zitiert nach http://www.projektwerkstatt.de/demokratie/aquin.html [Internetzugriff am 26. November 2009].
16 Gurjewitsch, S. 310 f.
17 Ebd., S. 312.
18 Robert Fossier: „Enfance de l'Europe — aspects économiques et sociaux, tome premier: L'homme et son espace“, erster Band, Paris 1982, S. 112.
19 Mémorial d'études de la Soc. Nat. des Antiq. de France, ohne Ort 1951, p. 271.
20 Concilia aevi karolini, hier zitiert nach: Martin Bouquet (Hrsg).: „Recueil des Historiens de France“, ohne Ort 1749, S. 688.
21 Fossier, S. 115.
22 Ebd., S. 115 f.
23 Vernon, S. 2.
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