„Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.“ Diesen mittlerweile berühmten Ausspruch formulierte der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer schon vor über 50 Jahren. Zu der Zeit als Adenauer dies sagte, waren die Spuren des Zweiten Weltkriegs noch deutlich zu erkennen und das Bedürfnis nach einem ewigen Frieden in Europa wurde immer größer.
Die einzelnen Staaten Europas erkannten schnell, dass sie allein in der bipolaren Welt kaum eine große Rolle spielen konnten. Nur das erneute wirtschaftliche Erstarken und die geografische Größe könnten einen Gegenpol zu den beiden Supermächten Sowjetunion und USA stellen. Doch keines der Länder dachte dabei an kriegerische Auseinandersetzungen, zu groß war der Schrecken der letzten beiden Kriege. Man erkannte schnell, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit einige Vorteile mit sich brachte und schon 1952 entstand die EGKS, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Schon zwei Jahre zuvor bildete man eine Europäische Zahlungsunion (EZU) und 1957 kamen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG, heute Euratom) hinzu. Ein Begriff für diese zunehmende Zusammenarbeit und Annäherung ließ nicht lange auf sich warten: Die europäische Integration. (...)
Sie ist geprägt durch Höhen und Tiefen. Um diese Entwicklungen theoretisch, empirisch und analytisch zu erfassen, bildeten sich mehrere Theorien heraus. Die beiden bedeutendsten für die europäische Integration sind der Neofunktionalismus und der Intergouvernementalismus. Während erstgenannter einen durch wirtschaftliche, technische Zusammenarbeit ausgelösten dauerhaften Prozess in allen Politikfeldern beschreibt, wird letzterer vom realistischen Standpunkt inspiriert und sieht vor allem in den staatlichen Akteuren den Kontrolleur und Initiator der Integration.
In dieser Hausarbeit möchte ich mich näher mit diesen beiden Theorien der europäischen Integration beschäftigen, um anschließend an ausgewählten Politikfeldern zu zeigen in wie weit die beiden Theorien zutreffen oder auch nicht zutreffen. Es stellt sich mir dabei primär die Frage, in wie weit eine einzelne Theorie die Komplexität einer solchen bisher unvollständigen (in dem Punkt sind sich die Theoretiker einig) Integration beschreiben kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theorien der europäischen Integration
2.1 Neofunktionalismus
2.2 Intergouvernementalismus
3. Analyse der Integrationstheorien anhand von Politikfeldern
3.1 Wirtschaftspolitik- Das Zugpferd der EU
3.2 Außen- und Sicherheitspolitik: Der Integrationsbremser
4. Abschließende Überlegungen
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.“[1] Diesen mittlerweile berühmten Ausspruch formulierte der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer schon vor über 50 Jahren. Zu der Zeit als Adenauer dies sagte, waren die Spuren des Zweiten Weltkriegs noch deutlich zu erkennen und das Bedürfnis nach einem ewigen Frieden in Europa wurde immer größer.
Die einzelnen Staaten Europas erkannten schnell, dass sie allein in der bipolaren Welt kaum eine große Rolle spielen konnten. Nur das erneute wirtschaftliche Erstarken und die geografische Größe könnten einen Gegenpol zu den beiden Supermächten Sowjetunion und USA stellen. Doch keines der Länder dachte dabei an kriegerische Auseinandersetzungen, zu groß war der Schrecken der letzten beiden Kriege. Man erkannte schnell, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit einige Vorteile mit sich brachte und schon 1952 entstand die EGKS, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Schon zwei Jahre zuvor bildete man eine Europäische Zahlungsunion (EZU) und 1957 kamen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG, heute Euratom) hinzu. Ein Begriff für diese zunehmende Zusammenarbeit und Annäherung ließ nicht lange auf sich warten:
Die europäische Integration. Der Duden beschreibt eine Integration mit „Vervollständigung, Eingliederung“[2]. Daraus lässt sich schließen, dass eine nicht vorhandene Integration unvollständig ist und intendiert den Drang hin zu einer Vervollständigung.
Im Falle der europäischen Integration geschah dies voranging im Bereich der Ökonomie. 1987 legte man den Grundstein für einen europäischen Binnenmarkt mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA). Diese trat 1993 in Kraft und 1995 wurde aus der Europäischen Gemeinschaft die Europäische Union (Vertrag von Maastricht). Mit der europäischen- kam dann auch die Währungsunion 1998. Durch den Vertrag von Maastricht kamen zu der bisher nahezu ausschließlich wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwei neue Säulen hinzu. Dies waren sowohl die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit im Innern und in Justizfragen. Danach war die geografische Erweiterung eine große Etappe. Durch mehrere Erweiterungen (u.a. EU- Osterweiterung 2004) steht man heute bei einer Mitgliederzahl von 27 Staaten.
Diese Entwicklung lief nicht immer reibungslos ab. Projekte wie die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG, 1954) scheiterten oft an einzelnen Interessen von Staaten. Auch heute verläuft die Zusammenarbeit außerhalb vom ökonomischen Bereich nur schleppend. Eine gemeinsame europäische Verfassung scheiterte bereits zweimal an der Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten.
Die europäische Integration ist also geprägt durch Höhen und Tiefen. Um diese Entwicklungen theoretisch, empirisch und analytisch zu erfassen, bildeten sich mehrere Theorien heraus. Die beiden bedeutendsten für die europäische Integration sind der Neofunktionalismus und der Intergouvernementalismus. Während erstgenannter einen durch wirtschaftliche, technische Zusammenarbeit ausgelösten dauerhaften Prozess in allen Politikfeldern beschreibt, wird letzterer vom realistischen Standpunkt inspiriert und sieht vor allem in den staatlichen Akteuren den Kontrolleur und Initiator der Integration.
In dieser Hausarbeit möchte ich mich näher mit diesen beiden Theorien der europäischen Integration beschäftigen, um anschließend an ausgewählten Politikfeldern zu zeigen in wie weit die beiden Theorien zutreffen oder auch nicht zutreffen. Es stellt sich mir dabei primär die Frage, in wie weit eine einzelne Theorie die Komplexität einer solchen bisher unvollständigen, in dem Punkt sind sich die Theoretiker einig, Integration beschreiben kann.[3] Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Theorien der europäischen Integration
2.1 Neofunktionalismus
Der Neofunktionalismus ist die erste Theorie, die sich eingehend mit der regionalen Integration beschäftigt, von der Überlagerung der Nationalstaaten durch supranationale Kooperationen ausgeht und sich dabei vor allem auf das Beispiel Europa bezieht. Sie wird daher auch als „Urvater der empirisch-analytischen Theorien europäischer Integration“ (Wolf 2005: 65) betitelt. Es liegt nahe, dass der Neofunktionalismus auf wesentliche Elemente des Funktionalismus von David Mitrany aufbaut, dabei aber vor allem dessen normative Zweckbestimmtheit aufgibt. Der Neofunktionalismus legt die gegenseitige Abhängigkeit von Staaten und Organisationen, sowie Institutionen (vorrangig ökonomisch) als Grundlage und trägt somit auch Elemente des Interdependenzansatzes von Keohane und Nye.
Als Begründer des Neofunktionalismus gilt Ernst B. Haas, der 1958 mit seinem Werk „The Uniting of Europe“ (Haas 1958) den Grundstein für die Theorie und ihre wichtigsten Strukturmerkmale gelegt hat. Haas wurde 1924 in Frankfurt am Main geboren und emigrierte 1938 mit seinen Eltern, wegen des Nationalsozialismus in die Vereinigten Staaten. Dort studierte er dann zuerst an der University of Chicago und nach seiner Armeezeit an der Columbia University. Der Politikwissenschaftler wurde anschließend Professor an der UC Berkeley, der er bis zu seinem Tode treu blieb. Er war dort vier Jahre lang Direktor des Lehrstuhls Internationale Politik, schrieb viele Bücher und Aufsätze und lehrte später als Professor für Regierungsforschung am Department für Politische Wissenschaft. 1999 legte Haas seine Professur nieder und widmete sich bis zu seinem Tod 2003 der Forschung.[4]
Vor allem seine persönlichen Erfahrungen mit den Nationalsozialisten vor der Auswanderung prägten seine grundsätzlichen Vorstellungen von der Erhaltung des Friedens und der Stärkung von Menschenrechten (vgl.: Wolf 2005: 66).
In seinem bereits erwähnten Hauptwerk „The Uniting of Europe“ zeigt Haas ontologisch zwei grundlegende Thesen auf. Erstens stellt er fest, dass eine zunehmende funktionale Differenzierung zu verstärkter organischer Interdependenz führt (vgl. Haas 1958), d.h. die Mitglieder einer Gesellschaft werden immer professioneller und kommen zu einer hohen Expertise, werden dadurch gleichzeitig immer abhängiger von einander. Dieses Phänomen sei auch grenzüberschreitend zu beobachten. Zum anderen erklärt Haas, dass der verstärkte Pluralismus, also die Vielzahl von Akteuren, Interessen, Vorstellungen und Einschätzungen dazu beiträgt, dass alle relevanten „sozialen und ökonomischen Probleme tatsächlich politisch aufgegriffen und der Entscheidungsfindung zugeführt werden.“ (Wolf 2005:67) In der Weiterführung dieses Gedankens wird deutlich, dass für Haas die nationalen Regierungen, also die Staaten zwar durchaus relevant sind, doch die aus der Interdependenz resultierenden Handlungszwänge der beteiligten Akteure den eigentlichen Kern seiner Analyse darstellen. Das Agieren der staatlichen und gesellschaftlichen Akteure über Grenzen hinweg beschränke sogar die Machtausübung der Staaten, was wiederum eines der Kerngedanken Haas´ stärkt: die Friedenssicherung (ebenda).
Epistemologisch geht Haas in seiner Theorie wie bereits erwähnt weitestgehend empirisch-analytisch vor. Er nutzte dabei kaum das Mittel quantitativer Studien, die beispielsweise den Grad der Integration hätten messen können. Diese Studien führten, so argumentierte er, zu einer Umkehrung von Ursache und Wirkung (vgl. Wolf 2005:69f.). Haas wollte vorrangig die Antriebs- und Bremskräfte der Integration herausarbeiten und nutzte dafür zusammen mit seinen Schülern Fallstudien der europäischen Integration, wie beispielsweise die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Weiterhin machte er wiederholt deutlich, dass der Neofunktionalismus keineswegs ausschließlich auf die europäische Integration anzuwenden sei, was oft kritisiert wurde (z.b.: Hoffmann 1963), sondern auch in anderen Regionen wie Asien oder Afrika anzuwenden wäre.
Haas verfasste daher eine allgemein gültige Definition der regionalen Integration:
“Political integration is the process whereby political actors in several distinct national settings are persuaded to shift their loyalities, expectations and political activities toward a new centre, whose institutions possess or demand jurisdiction over the pre-existing national states.” (Haas 1958: 16)
Die Kooperation politischer Akteure, die daraus resultierende Schaffung gemeinsamer Institutionen mit übergeordneten politischen Kompetenzen und der Transfer von Loyalität machen zusammengefasst eine regionale Integration aus. Haas verdeutlicht dabei den Unterschied zwischen regionaler supranationaler Integration und intergouvernementaler Zusammenarbeit.
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[1] Zitat aus: http://www.eu2007.de/de/News/Speeches_Interviews/March/0325Poettering.html (Letzter Zugriff: 1.10.2009)
[2] DUDEN : Die deutsche Rechtschreibung Seite 502, Mannheim 2001
[3] Karikatur : http://www.deuframat.de/parser/parser.php?file=/deuframat/deutsch/1/pletsch/kap_1.htm (Letzter Zugriff: 01.10.2009)
[4] Biografische Daten zu Ernst B. Haas: http://www.berkeley.edu/news/media/releases/2003/03/11_ehaas.shtml (letzter Zugriff: 02.10.2009)
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- Sebastian Noack (Author), 2009, Europäische Integration - Nur eine Theorie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144327
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