Sprachwandel ist ein Phänomen, das eine lebendige Sprache von einer toten, eine natürliche von einer künstlichen unterscheidet. Jede lebendige und natürliche Sprache verändert sich, und zwar gerade deshalb, weil sie gesprochen wird. Natürliche Kommunikation führt zu natürlichem, d.h. nicht von den Sprechern intendiertem Wandel. Daneben existiert auch beabsichtigter Wandel, der durch staatliche Eingriffe angeschoben wird: Sprachnormierung, Sprachplanung und Sprachpolitik entstehen nicht durch natürliche Kommunikation, sondern sind das Produkt außersprachlicher gesellschaftlicher Bedürfnisse.
Innerhalb des natürlichen, nicht intendierten Sprachwandels lassen sich drei Typen unterscheiden: system-initiierter, außersprachlich initiierter sowie sprachkontakt-initiierter Wandel. Für diese Arbeit ist jedoch nur der system-initiierte Wandel relevant, d.h. Wandel, der durch das Sprachsystem selbst angestoßen und möglich wird. Grammatikalisierung und Lexikalisierung sind damit unbeabsichtigte, durch das Sprachsystem angestoßene und auf semantischen Komponenten beruhende Formen des Sprachwandels. Lexikalisierung soll als „Übergang sprachlicher Einheiten ins Lexikon“ (Lehmann 1989: 12) verstanden werden, Grammatikalisierung als „Übergang sprachlicher Einheiten in die Grammatik“ (Lehmann 1989: 11) bzw. als diachroner „Prozess, in dessen Verlauf neue grammatische Formen aus ehemals autonomen lexikalischen Einheiten entstehen“ (Klump 2007: 24).
In dieser Arbeit interessieren vor allem die Fragen nach dem Warum und dem Wie: Warum können grammatische Elemente aus lexikalischen entstehen? Wie, d.h. in welchen Etappen läuft ein solcher Prozess ab und welche kognitiven Mechanismen stehen dahinter? Die Theorie des expressiven Sprachwandels kann Antworten auf diese Fragen geben. Sie soll zunächst, ausgehend von Lüdtkes Kreislaufmodell und illustriert an einem Lexikalisierungsbeispiel, erläutert werden. Anschließend werden zwei Grammatikalisierungsbeispiele aus dem Französischen vorgestellt und durch das Modell des expressiven Sprachwandels erklärt. Lexikalisierung und Grammatikalisierung liegen ähnliche kognitive Sprecherstrategien zugrunde, weshalb die Theorie des expressiven Sprachwandels auf beide Phänomene angewandt werden kann. Da das Endergebnis beider Prozesse jedoch unterschiedlich ist, muss die Grammatikalisierung als „Spezialfall“ expressiven Wandels betrachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kreislaufmodell nach Helmut Lüdtke
- Expressiver Sprachwandel
- Beispiel: Lexikalisierung von frz. beaucoup, viel'
- Modell des expressiven Sprachwandels
- ,,Trabantenwort“ und Normalwort
- Grammatikalisierung durch expressiven Sprachwandel
- Beispiele aus dem Französischen
- Grammatikalisierung des Negationspartikels pas
- Grammatikalisierung des Futurmarkers aller
- Grammatikalisierung als Spezialfall expressiven Wandels
- Expressivität als Grund für die Unidirektionalität von Grammatikalisierungsprozessen
- Beispiele aus dem Französischen
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Grammatikalisierung als einen Spezialfall des expressiven Sprachwandels am Beispiel des Französischen. Sie analysiert die Entstehung neuer grammatischer Formen aus lexikalischen Einheiten im Kontext des expressiven Sprachwandels, um die kognitiven Prozesse und Mechanismen hinter diesem Phänomen zu beleuchten. Dabei werden sowohl die Ursachen als auch die Abläufe der Grammatikalisierung im Detail betrachtet.
- Das Kreislaufmodell von Helmut Lüdtke als Ausgangspunkt für die Analyse des expressiven Sprachwandels
- Die Rolle der Expressivität im Sprachwandelprozess
- Beispiele für Grammatikalisierung im Französischen (Negationspartikel pas und Futurmarker aller)
- Die Unidirektionalität von Grammatikalisierungsprozessen und ihre Erklärung durch das Modell des expressiven Sprachwandels
- Die Beziehung zwischen Lexikalisierung und Grammatikalisierung im Kontext des expressiven Sprachwandels
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt den Sprachwandel als ein Kennzeichen lebendiger Sprachen vor und differenziert zwischen natürlichem und beabsichtigtem Wandel. Der Fokus liegt auf dem system-initiierten Wandel, der durch das Sprachsystem selbst angestoßen wird. Die Arbeit konzentriert sich auf Grammatikalisierung und Lexikalisierung als Formen dieses system-initiierten Wandels.
- Kapitel 2 präsentiert Lüdtkes Kreislaufmodell, das Sprachwandel als einen zyklischen Prozess beschreibt, der durch sprecher- und hörerseitige Bedürfnisse nach Optimierung der Kommunikation angetrieben wird. Das Modell verdeutlicht die Wechselwirkungen zwischen Ökonomie und Redundanz im Sprachgebrauch.
- Kapitel 3 widmet sich dem expressiven Sprachwandel und erläutert dessen Modell anhand eines Lexikalisierungsbeispiels. Es werden die Konzepte des „Trabantenworts“ und des Normalworts eingeführt und ihre Bedeutung im Kontext des expressiven Sprachwandels erläutert.
- Kapitel 4 analysiert Beispiele für Grammatikalisierung im Französischen. Es werden die Grammatikalisierung des Negationspartikels pas und des Futurmarkers aller untersucht und durch das Modell des expressiven Sprachwandels erklärt.
Schlüsselwörter
Grammatikalisierung, expressiver Sprachwandel, Lexikalisierung, Kreislaufmodell, Helmut Lüdtke, Französisch, Negationspartikel pas, Futurmarker aller, Unidirektionalität, Sprecherstrategien, kognitive Mechanismen, Sprachsystem, Sprachwandeltypen.
- Quote paper
- Evelyn Glose (Author), 2008, Grammatikalisierung durch expressiven Sprachwandel am Beispiel des Französischen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144118