„Es gibt ungerechte Gesetze: sollen wir ihnen befriedigt gehorchen, oder sollen wir es auf uns nehmen, sie zu bessern...?“
Dieses Zitat von Henry David Thoreau stellt die Frage, die die Thematik des Kirchenasyls heute aufwirft und die in dieser Hausarbeit behandelt werden soll: Wo in unserem demokratischen Rechtstaat ist das aus juristischer Sicht illegale Phänomen des Kirchenasyls, bei dem sich formales Recht und moralisches Gewissen demokratischer Bürger gegenüberstehen, einzuordnen und wie ist es zu rechtfertigen?
Zur Untersuchung dieser Frage soll nicht nur die heutige Asylrechtslage in Deutschland herangezogen werden. Ausgangspunkt soll zunächst die historische Betrachtung des Themas Asyl sein. Ursprung und Geschichte des Asyls beleuchten die religiösen Zusammenhänge und tragen dazu bei, den Anspruch und das Selbstverständnis der Kirche in Bezug auf diese Problematik heutzutage herzuleiten und zu erklären. Dabei erfuhr nicht nur das Verständnis und die Handhabung des Asylbegriffs im Laufe der Zeit bedeutende Veränderungen. Ebenso hat der Flüchtlingsbegriff sich gewandelt und ist selbst heute noch nicht einheitlich und erschöpfend definiert. Die Erläuterung eben dieser historischen Entwicklungen soll einen Kontrast zum heutigen Inhalt des Kirchenasyls herstellen und als Einführung in die Hauptproblematik, nämlich dem Verhältnis zwischen Kirche, Staat und Asyl in unserer heutigen Zeit, dienen. Dies ist Voraussetzung dafür, die Entwicklungen der deutschen Asylsituation des 20./21. Jahrhunderts beleuchten zu können und die Revitalisierung und (erneute) Benötigung des Kirchenasyls zu erklären. Sowohl der Ablauf, als auch die Adressaten und die rechtliche Lage für Schutzsuchende und Schutzgewährende sollen dabei erläutert werden.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen verdeutlichen den Zwiespalt, in dem die aktuellen politischen Asylregelungen einerseits und die faktische Asyl- und Flüchtlingslage andererseits sich befindet. Die Resultate ermöglichen einen Versuch der Beantwortung der oben gestellten Ausgangsfrage:
Ist Kirchenasyl als notwendiges Mittel zu bewerten, das dort eingreift, wo der Staat mit Restriktionen und Selektionen der aktuellen Lage und seiner eigenen Verpflichtung auf Schutzgewährung nicht (mehr) gerecht wird? Oder handelt es sich vielmehr um illegalen Widerstand gegen juristische Entscheidungen?
Inhalt
1 Einleitung
2 Historischer Ursprung und Entwicklung von (kirchlichem) Asyl und Flüchtlingsschutz
3 Internationale und deutsche Asylsituation im 20. Jahrhundert
4 Revitalisierung des Kirchenasyls
5 Fazit
6 Bibliographie
1 Einleitung
„ Es gibt ungerechte Gesetze: sollen wir ihnen befriedigt gehorchen, oder sollen wir es auf uns nehmen, sie zu bessern...? “ 1
Dieses Zitat von Henry David Thoreau stellt die Frage, die die Thematik des Kirchenasyls heute aufwirft und die in dieser Hausarbeit behandelt werden soll: Wo in unserem demokratischen Rechtstaat ist das aus juristischer Sicht illegale Phänomen des Kirchenasyls, bei dem sich formales Recht und moralisches Gewissen demokratischer Bürger gegenüberstehen, einzuordnen und wie ist es zu rechtfertigen?
Zur Untersuchung dieser Frage soll nicht nur die heutige Asylrechtslage in Deutschland herangezogen werden. Ausgangspunkt soll zunächst die historische Betrachtung des Themas Asyl sein. Ursprung und Geschichte des Asyls beleuchten die religiösen Zusammenhänge und tragen dazu bei, den Anspruch und das Selbstverständnis der Kirche in Bezug auf diese Problematik heutzutage herzuleiten und zu erklären. Dabei erfuhr nicht nur das Verständnis und die Handhabung des Asylbegriffs im Laufe der Zeit bedeutende Veränderungen. Ebenso hat der Flüchtlingsbegriff sich gewandelt und ist selbst heute noch nicht einheitlich und erschöpfend definiert. Die Erläuterung eben dieser historischen Entwicklungen soll einen Kontrast zum heutigen Inhalt des Kirchenasyls herstellen und als Einführung in die Hauptproblematik, nämlich dem Verhältnis zwischen Kirche, Staat und Asyl in unserer heutigen Zeit, dienen. Dies ist Voraussetzung dafür, die Entwicklungen der deutschen Asylsituation des 20./21. Jahrhunderts beleuchten zu können und die Revitalisierung und (erneute) Benötigung des Kirchenasyls zu erklären. Sowohl der Ablauf, als auch die Adressaten und die rechtliche Lage für Schutzsuchende und Schutzgewährende sollen dabei erläutert werden.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen verdeutlichen den Zwiespalt, in dem die aktuellen politischen Asylregelungen einerseits und die faktische Asyl- und Flüchtlingslage andererseits sich befindet. Die Resultate ermöglichen einen Versuch der Beantwortung der oben gestellten Ausgangsfrage:
Ist Kirchenasyl als notwendiges Mittel zu bewerten, das dort eingreift, wo der Staat mit Restriktionen und Selektionen der aktuellen Lage und seiner eigenen Verpflichtung auf Schutzgewährung nicht (mehr) gerecht wird? Oder handelt es sich vielmehr um illegalen Widerstand gegen juristische Entscheidungen?
2 Historischer Ursprung und Entwicklung von (kirchlichem) Asyl und Flüchtlingsschutz
Das griechische Wort á sylor kennzeichnet zunächst nur einen Zufluchtsort, den man nicht plündern darf.2 Das ursprüngliche Asylrecht hatte seine Anfänge aber im religiösen und spirituellen Kontext. Asyl wurde als das Recht verstanden, an bestimmten meist kultischen Orten Schutz vor Verfolgung zu suchen und zu empfangen.3 Der mit einem sakralen Ort verbundene Schutzaspekt war in der religiösen und gewohnheitsrechtlichen Vorstellung verankert und allseits respektiert. Die Verletzung des Asylschutzes war nicht nur rechtswidrig, sondern galt darüber hinaus auch als religiöse Schandtat gegen die höhere Autorität des Heiligen.4 Als Mittel zur Abschreckung vor der Verletzung des sakralen Schutzes konnte die Kirche den Kirchenbann einsetzen. Der Eindringling wurde damit aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und ihm die Erlösung im Jenseits versagt.5 Die Hemmschwelle, das Asyl zu brechen und den Beschuldigten selbst zu richten, war aus diesem Grunde verhältnismäßig hoch.
Religion verkörperte in diesem historischen Zusammenhang die Hauptquelle für humanitäre Gedanken und stellte damit ein Gegengewicht zum damalig üblichen System der Blutrache als Strafmittel im weltlichen Zusammenleben dar.6
Das Gebot, Schutzsuchenden eben diesen Schutz zu gewähren, lässt sich direkt aus der Bibel ableiten. Eine wichtige Stelle dazu findet sich beispielsweise im Vierten Buch Mose, Kapitel 35, Vers 10-12:
Rede zu den S ö hnen Israel und sage zu ihnen: Wenn ihr über den Jordan ins Land Kanaan zieht, sollt Ihr euch St ä dte bestimmen: Zufluchtsst ä dte sollen es sein, dass dorthin ein Totschl ä ger fliehe, der einen Menschen aus Versehen erschlagen hat. Und die St ä dte sollen euch als Zuflucht vor dem R ä cher dienen, damit der Totschl ä ger nicht sterbe, bis er angesichts der Gemeinde vor Gericht gestanden hat. 7
Besagte israelitische Asylstädte waren Anlaufstelle für diejenigen Menschen, die ohne Absicht getötet hatten und deswegen verfolgt wurden.8 Kirchliches Asyl war in diesem Zusammenhang Mittel zur Konfliktlösung und Vermittlung zwischen Schutzsuchendem und weltlicher Macht, was es dem Verfolgten durch die religiösen Grundsätze der Nächstenliebe (caritas) und Barmherzigkeit (misericordia) ermöglichte, Beistand zu erhalten. Die Aufnahme zum Schutz vor der Blutrache des Rächers bot unmittelbare vorläufige Sicherheit vor dem Verfolger und verschaffte dem Flüchtling infolgedessen Zeitgewinn bis zum Gerichtsverfahren und einem möglichen Freispruch, der für ihn die Rehabilitierung und Bannung der Gefahr durch den Rächer bedeuten konnte. Was der Verfolgte also zu erwarten hatte, sofern ihm die Flucht vor der Blutrache überhaupt gelang, war keine Amnestie, sondern Rechtsschutz.9 Außerdem konnte er durch die Fürbitte (Intercessio) der Kirche, die sich gegen Todes- und Körperstrafen einsetzte, im Schuldfall auf Strafminderung hoffen.10 Im diesem Falle wurden ihm zur Läuterung durch die Kirche Strafen auferlegt und seine weltliche Schuld damit abgegolten. Diese Art des frühen kirchlichen Asyls kann daher als subjektives Individualrecht angesehen werden, da es zunächst jeder in Anspruch nehmen konnte.
Asyl und Flüchtlingsschutz waren aber nicht ausschließlich Phänomene der christlichen Religion. Die Problematik war auch in vorchristlicher Zeit präsent. Verträge zwischen Staaten bzw. Königen belegen, dass es schon um 1300 v. Chr. Abkommen über Auslieferungen und ähnliche das Thema Flucht und Schutz betreffende Fragen gegeben hat. Als Beispiel seien hier die Verträge zwischen Pharao Ramses II. und dem Hethiterkönig Hattušil III genannt, in denen die gegenseitige Auslieferung von Flüchtlingen versprochen und die Unversehrtheit der Abgeschobenen für sich und ihren Besitz zugesichert wurde.11 Schon damals existierten also (Schutz-)maßnahmen, für die Beschränkungen der eigenen Souveränität in Kauf genommen wurden und die somit als zwischenstaatliches Instrument zum Flüchtlingsschutz, jedoch ohne Asylrecht, gewertet werden können.
Ein Beispiel für die ebenso eher politisch geprägte Gewährung von Schutz, hier jedoch mit Asylrecht, findet man bei den griechischen Stadtstaaten. Entscheidungen über Asylgewährung wurden vor dem Hintergrund von Politik und Souveränität getroffen, was das eigentliche Asylrecht stetig in die Richtung eines Rechts des Staates verschob.12 Es konnte so auch zur Demonstrierung der eigenen Souveränität und Macht instrumentalisiert werden, indem sich beispielsweise den Auslieferungsforderungen anderer Machthaber widersetzt und der Schutz von Flüchtlingen als eigene edle Aufgabe deklariert wurde.
Im römischen Rechtsdenken dagegen spielte institutionalisierte Schutzgewährung keine maßgebliche Rolle.13 Die Idee des heiligen Schutzes war in den religiösen Vorstellungen zwar vorhanden, hatte aber bei der sozialen Bewältigung von Konflikten kaum Relevanz. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang war lediglich das Mittel der Auslieferung. Rom selbst lieferte in der Regel keine Flüchtlinge aus, bestand aber unbedingt auf die Auslieferung von römischen Bürgern, die sich Verbrechen gegen den Staat schuldig gemacht hatten und ins Ausland fliehen konnten.14 Die Verfolgung politischer Verbrecher betrieb Rom also über seine Grenzen hinweg und forderte damit andere Mächte und deren Souveränität heraus, die die Auslieferungsforderungen wiederum als Demonstrierung ihrer eigenen Macht (wie im griechischen Beispiel) ablehnen konnten.
Bis ins Mittelalter spielte das kirchliche Asyl eine bedeutende Rolle. Die Kirche hatte durch ihre Schutzrechte, ihren Einfluss auf die sozialen Abhängigkeitsverhältnisse (beispielsweise die Freilassung von Hörigen) und das Monopol der Sozialfürsorge eine mächtige Position gegenüber der politischen und wirtschaftlichen Machtinhaber.15 Diese einflussreiche Lage der Kirche führte ihre Asyltätigkeit zu einem Höhepunkt im 13./14. Jahrhundert. Diese Resonanz brachte aber auch erhebliche Belastungen mit sich. Für die Lösung der vielfältigen gesellschaftlichen Konflikte waren ausgleichsorientierte Institutionen nötig, die die Kirche nicht ersetzen konnte. Es setzte außerdem eine Entwicklung ein, die es auch nicht-christlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Feudalherren oder Adligen, ermöglichte, das Asylprivileg verliehen zu bekommen und die monopolistische, einflussreiche Position der Kirche in diesem Bereich zu schwächen.16 Diese Schwächungen und Belastungen führten dazu, dass Verstöße gegen das Kirchenasyl durch staatliche Instanzen immer öfter geduldet und Zielgruppenrestriktionen hingenommen wurden.17 Die Bedeutung des Kirchenasyls schwand und erlebte schließlich die Abschaffung durch die politische Macht.
3 Internationale und deutsche Asylsituation im 20. Jahrhundert
Die Kriege und Konflikte des 20. Jahrhunderts lösten neue Flüchtlingswellen von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß aus und machten internationales Handeln nötig. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte ein Prozess zur Schaffung eines internationalen Flüchtlingsrechts ein, der aber durch das Festhalten am nationalen Souveränitätsdenken behindert wurde.
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1 Thoreau, H. D.: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, Zürich 1996, S. 39 f.
2 Vgl. Hentschel, Georg: Zum Umgang mit den Anderen, in: Frank, G., Haustein, J. und de Lange, A. (Hrsg.): Asyl Toleranz und Religionsfreiheit, Göttingen 2000, S. 30.
3 Vgl. Bammann, Kai: Bergenden Schutz geben, Münster 1998, S. 5.
4 Vgl. Ebenda, S. 6.
5 Vgl. Turner, Bertram: Asyl und Konflikte von der Antike bis heute, Berlin 2005, S. 97.
6 Vgl. Kimminich, Otto: Asyl, das älteste Recht, in: Spaich, Herbert (Hrsg.): Asyl bei den Deutschen, Hamburg 1982, S. 150.
7 Nachgeschlagen auf www.bibel-online.net.
8 Vgl. Turner (2005), S. 56.
9 Vgl. Hentschel (2000), S. 34.
10 Vgl. Ebenda, S. 11.
11 Vgl. Turner (2005), S. 63.
12 Vgl. Kimminich (1982), S. 154.
13 Vgl. Turner (2005), S. 88.
14 Vgl. Kimminich (1982), S. 155.
15 Vgl. Turner (2005), S. 100.
16 Vgl. Ebenda, S.106.
17 Vgl. Ebenda, S. 101.
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